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Vollständige Version anzeigen : Liechtenauer



rudongshe
24-07-2010, 12:14
Hallo.
Ich habe zwei Fragen, will aber keine zwei Themen aufmachen. Vielleicht schaffen wir es ja, die Nummerierung durchzuhalten ;)

1) Warum wurde die Fechtkunst Liechtenauers bekannt, was hebte sie von anderen Schulen/Systemen ab Eurer Meinung nach?

2) Liechtenauer hat seine Kunst in Versen vermittelt, die indirekt übertragen wurden. Nun muss man sich ja intensiv beschäftigen mit der alten Sprache und vor allem dem jeweiligen Bedeutungskontext der benutzten Worte - es ist ja ein System. Dazu vermute ich, findet eine Übertragung in aktuelles Deutsch statt (die vermutlich auch immer wieder neu vorgenomen wird). Wo finde ich denn ins aktuelle Deutsch interpretierte Verse aus der Liechtenauer Tradtion (Tante google half nicht).

Also wenn Euch was einfällt: ich bin neugierig.

Grüße

Bärserker
24-07-2010, 13:07
Ist zwar nicht mein Steckenpferd, aber ich versuche dennoch was beizutragen.



Warum wurde die Fechtkunst Liechtenauers bekannt, was hebte sie von anderen Schulen/Systemen ab Eurer Meinung nach?

Liechtenauer hat meines wissens nach nur von anderen Meistern zusammengetragen. Also Quasi eine Zusammenfassung anderer Meister geschrieben. Das ihm am besten zu scheinende/funktionierende zu einem gemacht.


2) Liechtenauer hat seine Kunst in Versen vermittelt, die indirekt übertragen wurden. Nun muss man sich ja intensiv beschäftigen mit der alten Sprache und vor allem dem jeweiligen Bedeutungskontext der benutzten Worte - es ist ja ein System. Dazu vermute ich, findet eine Übertragung in aktuelles Deutsch statt (die vermutlich auch immer wieder neu vorgenomen wird). Wo finde ich denn ins aktuelle Deutsch interpretierte Verse aus der Liechtenauer Tradtion (Tante google half nicht).


Schau mal bei der Hammaborg nach, der Dierk Hagedorn ist da ein ziemlich fleissiges Bienchen was das angeht. Vielleicht hat Dirk dir auch einen Tipp was die "Verdeutschung" des Manuskriptes angeht.

T. Stoeppler
24-07-2010, 15:09
1) Warum wurde die Fechtkunst Liechtenauers bekannt, was hebte sie von anderen Schulen/Systemen ab Eurer Meinung nach?


Das ist eine gute Frage. Fakt ist, dass sein System die gesamte Fechttechnik über Jahrhunderte hin beeinflusst hat. Ich denke, er wird zu allererst ein grosser Könner gewesen sein - er wird "ein hoher Meister" genannt - und er konnte, nicht zuletzt seiner Lehrverse wegen, sein System klar vermitteln - Das System hat seine Basis in sehr einfachen, klaren Anweisungen, einem sehr einfachen, funktionalen Aufbau (die "High-Percentage" Techniken/Kombinationen direkt zu Beginn).

Es stimmt, dass Liechtenauer von vielen Meistern gelernt und sich ausgetauscht hat - anscheinend hat er seinen Kram so stringent und klar herausgearbeitet, dass er eben einfach auffallend gut in dem war, was er tat.

Ich schätze am wichtigsten wird allerdings das "Vitamin B" gewesen sein, denn seine Schülerschaft hat sich weit gestreut und man findet seine Begrifflichkeiten später gut verteilt über die Landkarte.




2) Wo finde ich denn ins aktuelle Deutsch interpretierte Verse aus der Liechtenauer Tradtion (Tante google half nicht).

Hammaborg: Historischer Schwertkampf (http://www.hammaborg.de/de/transkriptionen/start.php)

Am besten mal die Handschriften 44 A 8 und 3227a anschauen

Gruss, Thomas

rudongshe
24-07-2010, 16:44
Danke. Was ich bis jetzt als Vermutung schlussfolgere:

Top 1) Wenn Liechtenauer zusammengetragen hat (was ja logisch ist, jeder lernt), dann aber daraus ein stringentes System entwickelte, das ihn zu einem "hohen Meister" machte (in Augen der Schüler), dann war seine Art des Fechtens wohl kein Sammelsurium.
Er muss Dinge weggelassen haben und andere gesammelt: anhand seiner Prioritäten/Prinzipien/Grundsätze/Ideen.

Top 2) Gelten die Lehrverse als klar oder verschlüsselt? Ich kenne es aus dem Taijiquan so, das die Texte erheblich anderen Sinn bekommen, je nachdem, welche Praxis dahinter steht.

rudongshe
24-07-2010, 17:27
Hammaborg: Historischer Schwertkampf (http://www.hammaborg.de/de/transkriptionen/start.php)


Jetzt kapier ich wie es geht. Cool. Muss viel Arbeit sein. :)

Jörg B.
24-07-2010, 17:30
Top 1) Wenn Liechtenauer zusammengetragen hat (was ja logisch ist, jeder lernt), dann aber daraus ein stringentes System entwickelte, das ihn zu einem "hohen Meister" machte (in Augen der Schüler), dann war seine Art des Fechtens wohl kein Sammelsurium.
Er muss Dinge weggelassen haben und andere gesammelt: anhand seiner Prioritäten/Prinzipien/Grundsätze/Ideen.

Diese Vermutung liegt nahe, was, wo und bei wem der gute Liechtenauer gelernt hat, was er weggelassen hat, das alles wissen wir leider nicht.



Top 2) Gelten die Lehrverse als klar oder verschlüsselt? Ich kenne es aus dem Taijiquan so, das die Texte erheblich anderen Sinn bekommen, je nachdem, welche Praxis dahinter steht.

Das kommt drauf an, was Du unter klar bzw. verschlüsselt verstehst. Die Verse allein versteht man als Nicht-Eingeweihter nicht. Und auch heutige Rekonstruktionen/ Interpretationen wären ohne die erläuternden Glossen nicht wirklich möglich.

rudongshe
24-07-2010, 18:27
Das kommt drauf an, was Du unter klar bzw. verschlüsselt verstehst. Die Verse allein versteht man als Nicht-Eingeweihter nicht. Und auch heutige Rekonstruktionen/ Interpretationen wären ohne die erläuternden Glossen nicht wirklich möglich.

Das ist eine gute Frage. Nach einigem Überlegen denke ich, gibt es nie klare schriftliche Anweisungen. Es geht immer sehr schnell in die Nowendigkeit der Interpretation - selbst bei modernen Gebrauchsanweisungen ;).

Insofern könnte man sagen:
Die Verse sind wichtig, um die Fechtbücher der Nachfolger zu verstehen im Sinne der Ausführung nach dem "Prinzip Liechtenauer."

Und ...

Die Fechtbücher der Nachfolger sind wichtig, die Verse und das "Prinzip Liechtenauer" zu verstehen.

Vorausgesetzt es gibt das Prinzip...

Jörg B.
24-07-2010, 19:26
Sicher gibt es das.

rudongshe
24-07-2010, 20:36
Sicher gibt es das.

Hast Du für Dich das Prinzip auf den "Punkt" bringen können? Oder hat sich das Verständnis dessen auch schon gewandelt?

ThirdKing
24-07-2010, 22:40
1) Warum wurde die Fechtkunst Liechtenauers bekannt,[...]
Lichtenauer verdankt seine Berühmtheit nicht nur seinem können- sondern vielmehr seiner sehr guten Marketingkampange in Form seiner Fechtbücher. Ohne seine Bücher als Marketingkampange, wäre Lichtenauer auch nur einer unter vielen gewesen.

ThirdKing

T. Stoeppler
24-07-2010, 22:41
Hast Du für Dich das Prinzip auf den "Punkt" bringen können? Oder hat sich das Verständnis dessen auch schon gewandelt?

Auf den Punkt gehts kaum, aber zumindest in bemühter Kürze:

Liechtenauer´s Fechtkunst liegt in den fünf Worten Vor/Nach/Indes Hart und Weich verborgen und geht immer den direktesten Weg ohne Verzug.

Das bedeutet schlichtweg, dass es frei von Spielerein und unnötigen Bewegungen ist. Die taktischen Elemente (Vor/Nach/Indes) und die dynamischen Elemente (Hart und Weich) bedingen die technische Ausführung.

Gruss, Thomas

P.S. Das Verständnis der Lehre entwickelt sich natürlich immer weiter, je länger man dabei ist. Das Grobe ist den meisten historischen Fechtern seit einiger Zeit klar, der Teufel steckt im Detail - und da gehts dann auseinander, weil dort die Entwicklung eben noch längst nicht abgeschlossen ist.

rudongshe
25-07-2010, 11:05
Liechtenauer´s Fechtkunst liegt in den fünf Worten Vor/Nach/Indes Hart und Weich verborgen und geht immer den direktesten Weg ohne Verzug.

P.S. Das Verständnis der Lehre entwickelt sich natürlich immer weiter, je länger man dabei ist.

Auf die fünf Wörter bin auch gestoßen. Man interpretiert ja solche Sachen zunächst aus seinem Efahrungsschatz heraus.

Mich hat davon einiges an das Taijiquan erinnert, wobei man die Begrifflichkeiten sicher nicht 1zu1 übertragen kann.

Stärke würde ich zur Zeit mit der Verbundenheit (Aus dem Körper/nicht den Armen) und der Peng-Energie und/oder fa-jin (wie ich es lerne) verbinden.
Schwäche mit der nötigen Entspannung zum leer-werden und dem hören von Energie.
Indes habe ich verstanden als eine Mischung aus Bindung (v.a. als dem Kontakt im Moment der Abwehr) und dem hören von energie, also in Richtung anhaften und keben.
Vor ist Vor, das Ergreifen von Initative und erzwingen von Bindung und Kontakt.
Nach wäre das Folgen, das umleiten von Energie und das Folgen in die Blöse.

Diese Prinzipien gelten ja bei Liechtenhauer scheinbar für sein gesamten Fechten/Kampfen.

Die fünf Wörter lesen sich zunächst wie ein einfaches Schema, aber sind doch eher die Bestandteile, die sich in unterschiedlichen Anteilen bei jedem Wiederfinden?

Das heißt, ich benötige prinzipiell Stärke und Schwäche zugleich, damit treffen und adaptieren kann.
Werde ich attackiert, brauche ich genug stärke nicht getroffen zu werden und schwäche um die Richtung zu fühlen.
Ebenso muss ich auch im "Nach" ein gewisses "Vor" haben, sonst komme ich nicht zum Treffer, kann ich nicht folgen in die Blöße.
Und im "Vor" stelle ich mir vor, je nach dem wie stark die Abwehr ist, also der Impuls, der meinen Angriff aus der Bahn bringt, das auch dann auch ins "Nach" rutschen muss.

In einer der Vers-Quellen stand auch etwas von nach links blicken und rechts blicken, aber muss da noch mal genauer hinschauen.

T. Stoeppler
25-07-2010, 15:12
Also wenn man durch die Taiji-Brille schaut, kommt man ganz logischerweise zu dieser Sichtweise ;)

Ein paar Sachen sind allerdings etwas, sagen wir, direkter zu verstehen.

Vor - das heisst, die Initiative zu haben UND den Gegner zur Reaktion zu zwingen.

Nach - Wenn der Gegner etwas tut, kann man kontern. Ebenso kann man mit dem "Nachschlag" treffen indes/während sich der Gegner schützt.

Indes - das bedeutet während der Aktion des Gegners seine eigene zu bringen.

Hart und Weich sind relative Begriffe, die sich auf die Bindungssituation beziehen - Dort sind neben der physischen Kraft auch eben Kraftrichtung und Hebelverhältnisse wichtig. Am Schwert sind die Hebelverhältnisse elementar.

Die ganzen Körpermechanischen Spezialitäten sind nicht in den Begriffen enthalten, *aber* es ist nicht verkehrt, sie zu beherrschen ;)

Die "Dekonstruktion" von Kampf und Bewegungsprinzipien endet immer irgendwo gleich, sei es, im Taijiquan-Klassiker oder in den Liechtenauer-Versen. Allerdings hat Liechtenauer kein Taijiquan gemacht, seine Körpermechanik ist eine ganz andere - wobei man natürlich auch in der Liechtenauer-Mechanik "Fajin" entwickeln kann.

Was das "links und rechts blicken" betrifft, da meinst du wohl die Anweisung der bevorzugten Hiebseite (ficht nicht link so du recht bist).

Gruss, Thomas

rudongshe
25-07-2010, 15:32
seine Körpermechanik ist eine ganz andere

Wie sieht diese aus?:)

T. Stoeppler
25-07-2010, 19:01
Das ist eine *wirklich* schwierige Frage, aber wenn man sich die historischen Abbildungen ansieht, erkennt man schon gewisse Tendenzen, wenn man sie mit den Taijiquan Praktikern vergleicht.

Es ist weniger "geerdet", die Mobilität steht im Vordergrund. So etwas wie "Pengjin" gibt es nur als kurzen Impuls, wenn man in die Bindung kommt.

Jedenfalls gibt es dazu verschiedene Interpretationen (ich habe meine) und auch die historischen Meister hatten ihre jeweiligen Eigenheiten, wie man sehen kann.

Gruss, Thomas

rudongshe
25-07-2010, 21:17
Es ist weniger "geerdet", die Mobilität steht im Vordergrund. So etwas wie "Pengjin" gibt es nur als kurzen Impuls, wenn man in die Bindung kommt.

Hallo, meine knappe Frage kam aus zeitgründen zustande. Also danke für die lange Antwort.

Was Du bschreibst deckt sich 100% mit dem snakestyle - deswegen weiß ich ja auch, das Texte immer nur nach Übertragung/Erfahrung gedeutet werden - und das wiederholt sich eben oft. Lesen, Verstehen, Ausprobieren, Lesen ...

T. Stoeppler
26-07-2010, 16:55
Richtich.

Ich würde vielleicht noch anfügen, dass Liechtenauer´s Fechtkunst eine eher aufrechte Körperhaltung verwendet, wie man in den Abbildungen der Fechter (frühere Quellen) sehen kann. Eine "kompakte" Haltung, wie sie in vielen chinesischen Stilen vorkommt, wird nur kurz eingenommen, wenn man sich in eine stabile Position bewegen möchte, oder wenn man die Blössen klein halten möchte, beispielsweise bei der Annäherung ("Zufechten").

Gruss, Thomas

rudongshe
26-07-2010, 19:07
Ich würde vielleicht noch anfügen, dass Liechtenauer´s Fechtkunst eine eher aufrechte Körperhaltung verwendet, wie man in den Abbildungen der Fechter (frühere Quellen) sehen kann. Eine "kompakte" Haltung, wie sie in vielen chinesischen Stilen vorkommt, wird nur kurz eingenommen, wenn man sich in eine stabile Position bewegen möchte, oder wenn man die Blössen klein halten möchte, beispielsweise bei der Annäherung ("Zufechten"). Gruss, Thomas

Mit aufrecht meinst Du also mit gesundem Holkreuz und kompakt mit gebügelter Lendenwirbelsäule? :rolleyes:

Wird neben dem aus der Leibesmitte bewegen noch irgendwie auf die Körperhaltung oder bewegung konkret eingegangen? (Also nicht sei flink wie ein Falke oder renn den Gegner um wie ein Schlchtross - sondern konkret wie z.B. Schwert bewegt sich zuerst) :)

Danke im voraus

T. Stoeppler
26-07-2010, 20:28
Mit "aufrecht" meine ich eine physiologische Wirbelsäule und eben einer aufrechten Positur. (also nicht die drei Rundungen etc)

Und ja, in der 3227a gibt es konkrete Anweisungen wie die Waffenführung aussieht, mit einer netten Analogie "Ort oder Schneide bewegen sich auf die Blösse als seien sie von einem Faden gezogen" und tatsächlich kann man das ausprobieren. Ebenso wird die Schwert und Bewegungsmechanik erklärt - beispielsweise soll man seine Schritte so setzen, als würde man auf einer Waage stehen. (auch das kann man ausprobieren).

Gruss, Thomas

rudongshe
26-07-2010, 21:01
Mit "aufrecht" meine ich eine physiologische Wirbelsäule und eben einer aufrechten Positur. (also nicht die drei Rundungen etc)

Und ja, in der 3227a gibt es konkrete Anweisungen wie die Waffenführung aussieht, mit einer netten Analogie "Ort oder Schneide bewegen sich auf die Blösse als seien sie von einem Faden gezogen" und tatsächlich kann man das ausprobieren. Ebenso wird die Schwert und Bewegungsmechanik erklärt - beispielsweise soll man seine Schritte so setzen, als würde man auf einer Waage stehen. (auch das kann man ausprobieren).

Gruss, Thomas

Dann weiß ich nicht genau, was Du dann mit asiatisch-kompakt meinst. Aber auf jedenfall interessant. Mit dem Faden habe ich mir mal grad vorstellt. Bei mir kommt da die Oberkörperbewegung mit ins Spiel, ist aber vielleicht Vorbelastung.
Gibt es zum Ringen andere Haltungsanweisungen?
Mit Waage meinst Du sicher die mit den zwei Waagschalen. Spielt da die gewichtung durch das Schwert eine Rolle und äußert sich im Druck der Füße?
Spannendes Thema :)