Vollständige Version anzeigen : Interessantes BGH-Urteil: SV mit Messer nach beendetem Zweikampf
Ich bin grade darauf gestoßen und fand es ganz interessant und geeignet, die eigene Rechtseinschätzung zu schärfen. Hier das Urteil: Beschluss des 2.*Strafsenats vom*10.11.2010 -*2*StR*483/10*- (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=83f1095c6b7a7037d0afd8aae38ce9f0&nr=54349&pos=0&anz=1)
Die Kurzform: 25 Jähriger gerät mit drei 17 bis 19 Jährigen in Streit und es wird einvernehmlich ein Zweikampf ausgetragen, den der 25 Jährige gewinnt. Die drei lassen das nicht auf sich sitzen und attackieren ihn daraufhin mit ihren Gürteln (mit Gürtelschnallen zu peitschen, ist eine recht übliche und gleichsam üble Misshandlungsmethode in bestimmten Kreisen). Er sticht einem davon ein unbemerkt gezogenes Messer zur Verteidigung ins Herz, durchtrennt eine Arterie und eine Herzkammer (betroffener überlebt aber).
Das Landgericht hat seine Notwehrbefugnis wegen der vorrangegangen Szene eingeschränkt gesehen und daher eine Rechtfertigung aus §32 verneint, auf versuchten Totschlag verurteilt. Das ganze ging zur Revision an den BGH, der das Urteil aufhob und klarstellt, dass die Duellsituation als bereits abgeschlossen und bloß unsittlich, sowie die verbale Auseinandersetzung keine Provokation darstellen, die das Notwehrrecht einschränken könnten. Das Urteil wurde an das Landgericht zurückgewiesen.
Interessant, danke dir. Wie es wohl gelaufen wäre, wenn die drei ihn nur mit den Gürtel bedroht hätten und er präventiv zugestochen hätte?
jkdberlin
13-01-2011, 15:49
Danke!
Paul2102
13-01-2011, 15:50
Frage wäre ja auch, in welcher Situation sich das ganze abgespielt hat.
Soweit ich das Urteil überflogen hab, stand davon nichts. Also ob sich das in einem menschenüberfüllten bahnhofsgelende ereignet hat oder z.B. in einer dunklen Ecke irgendwo in der Stadt, wo man schlecht abhauen könnte.
Nachts um 1 vor einer Kneipe.
Paul_Kersey
13-01-2011, 15:56
Das schönste ist dass der BGH auf Seite 4 klar stellt dass die an den Haaren herbeigezogenen und unrealistischen Verhaltensmodi die das Landgericht zur Urteilsbegründung konstruiert hat, einer Nachprüfung nicht standhalten. 
Es ist immer wieder erstaunlich was da für Leute (samt ihren Vorstellungen) an den Amts- und Landgerichten sitzen.:rolleyes:
Frage wäre ja auch, in welcher Situation sich das ganze abgespielt hat.
Soweit ich das Urteil überflogen hab, stand davon nichts. Also ob sich das in einem menschenüberfüllten bahnhofsgelende ereignet hat oder z.B. in einer dunklen Ecke irgendwo in der Stadt, wo man schlecht abhauen könnte.
Nachts vor einer Gaststätte. Und der Gag ist ja, dass, wenn die Notwehrbefugnis nicht durch das Vorverhalten eingeschränkt ist, ein Abhauen rechtlich nicht gefordert ist. 
Kritischer ist grundsätzlich das verdeckte Ziehen der Waffe und deren sofortiger Einsatz ohne vorheriges Drohen damit. Letzteres wird von der Rechtsprechung nämlich regelmäßig gefordert, wenn es um Waffen geht, so es denn möglich ist. Offensichtlich hat der BGH es in dieser Situation aber für entbehrlich gehalten, was ich auch sehr interessant finde.
Neon_Osborne
13-01-2011, 16:00
Interessant ! Danke !
Schnueffler
13-01-2011, 16:10
Sehr interessant!
Danke fürs posten!
Helmut Gensler
15-01-2011, 17:54
es gibt anscheinend doch noch Juristen, die die Realität anerkennen so wie sie wirklich ist.
Alephthau
15-01-2011, 18:52
Offensichtlich hat der BGH es in dieser Situation aber für entbehrlich gehalten, was ich auch sehr interessant finde.
Ich denke mal weil der gute Mann durch die einschlagenden Gürtel schon in einer bestehenden gefährlichen Situation war in dem es nicht mehr zuzumutbar gewesen wäre erstmal mit der Waffe nur rumzuwedeln! ;)
Wäre ja so als ob jemand der beschossen wird erstmal verpflichtet wäre seine Waffe rauszuholen, sie dem Gegner zeigen und sagen müßte "Hey, schau ich habe hier auch ne Waffe mit der mache ich auch Piu Piu wenn Du nicht aufhörst zu schießen!" ! :D
Gruß
Alef
Sportler
15-01-2011, 21:34
Er sticht einem davon ein unbemerkt gezogenes Messer zur Verteidigung ins Herz, durchtrennt eine Arterie und eine Herzkammer (betroffener überlebt aber).
Herzbeutel. Mit der Herzkammer hätte der Typ wohl nicht überlebt.
Danke für den Link! Hoffentlich nehmen sich das die normalen Richter mal zu Herzen.
Exodus73
15-01-2011, 23:02
Das schönste ist dass der BGH auf Seite 4 klar stellt dass die an den Haaren herbeigezogenen und unrealistischen Verhaltensmodi die das Landgericht zur Urteilsbegründung konstruiert hat, einer Nachprüfung nicht standhalten. 
Es ist immer wieder erstaunlich was da für Leute (samt ihren Vorstellungen) an den Amts- und Landgerichten sitzen.:rolleyes:
Nö so erstaunlich ist das nicht... wenn ich mir die pappnasen bei mir an der uni angucke, die mal strafverteidier werden wollen oder staatsanwälte oder richter und deren einzige erfahrung mit gewalt, sv, etc.  in einer oder zwei kriminologie-vorlesungen besteht, was willste denn da bitte erwarten???
Danke für den Link! Hoffentlich nehmen sich das die normalen Richter mal zu Herzen.
Was meinst Du damit?
Man muss trotz allem feststellen dass der Angeklagte sich auf eine Schlägerei bewusst eingelassen hat, also seinen Teil zur Eskalation beigetragen hat.
Interessant ist aber wirklich dass der BGH nicht findet dass seine Notwehrbefugnis dadurch leidet.
Interrsant dazu auch http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/10-11/hrrs-11-10.pdf
Interessant, danke dir. Wie es wohl gelaufen wäre, wenn die drei ihn nur mit den Gürtel bedroht hätten und er präventiv zugestochen hätte?
Dann wäre es doch ein komplett anderer Fall?:confused:
Ich denke mal weil der gute Mann durch die einschlagenden Gürtel schon in einer bestehenden gefährlichen Situation war in dem es nicht mehr zuzumutbar gewesen wäre erstmal mit der Waffe nur rumzuwedeln! ;)
Naja, er konnte sie unbemerkt ziehen und stach damit auf den nächsten sich nähernden Angreifer ein. Da kann man vom bequemen Richterstuhl aus durchaus auf die Idee kommen, dass er da auch erstmal mit drohen könnte. Dass das weltfremd wäre, steht außer Zweifel. Mit diesem Urteil kann man aber sein Judiz schärfen, das Gefühl dafür, wann die Rechtsprechung Drohen mit Waffeneinsatz für entbehrlich hält.
Die Hetze auf "normale" Richter (wann genau wird ein Richter unnormal?) kann ich aber nicht unterschreiben. Ihr habt doch keine Ahnung wieviele tausend Fälle jährlich absolut vernünftig von erstinstanzlichen Gerichten entschieden werden, bzw. schon zuvor von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden...
Sportler
16-01-2011, 17:00
Die Hetze auf "normale" Richter (wann genau wird ein Richter unnormal?) kann ich aber nicht unterschreiben. Ihr habt doch keine Ahnung wieviele tausend Fälle jährlich absolut vernünftig von erstinstanzlichen Gerichten entschieden werden, bzw. schon zuvor von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden...
Es ist richtig, dass die meisten einen guten Job machen. Aber was bei Nicht-Juristen immer hängen bleibt sind die Fälle, wo ziemlich Mist gebaut wurde. Ich versuche in manchen Fällen dann zwar noch selber nachzulesen, was wirklich passiert ist, wenn ich von einem Fall höre, aber manchmal rollen sich mir schon die Zehennägel auf. Und ob jetzt hier im Forum oder in den Medien - man kriegt immer nur die doofen Fälle präsentiert. Klar, dass sich da Unmut breit macht, wenn man nicht mindestens genauso viele Fälle betrachtet, wo alles nach eigenem Verständnis "besser" gelaufen ist - und welcher Nicht-Jurist macht das?
Der BGH ist kein "normales" Gericht. Die definieren sich selbst so:
"Er hat vor allem die Sicherung der Rechtseinheit durch Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und die Fortbildung des Rechts zur Aufgabe."
Das heißt doch, dass ich mich in einem ähnlichen Fall vor irgendeinem kleinen Amtsgericht (bei "normalen" Richtern) darauf berufen könnte. Ober sticht Unter, deshalb die Unterscheidung.
Das Bashing der "normalen" Richter kam dadurch zu Stande, dass der Typ ja vorher zu 4 1/2 Jahren verurteilt wurde. Da finde ich das Urteil vom BGH einfach realitätsnäher. Auch wenn man die Situation anders hätte lösen können(weglaufen).
oliverk71
19-01-2011, 13:04
Die Hetze auf "normale" Richter (wann genau wird ein Richter unnormal?) kann ich aber nicht unterschreiben. Ihr habt doch keine Ahnung wieviele tausend Fälle jährlich absolut vernünftig von erstinstanzlichen Gerichten entschieden werden, bzw. schon zuvor von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden...Das sehe ich gespalten. Unser Recht finde ich absolut gut und sicher ist auch an vielen Urteilen nichts auszusetzen. Aber oft genug ist das auch anders, nicht nur, aber besonders auch bei ernstinstanzlichen Urteilen.
4,5 Jahre sind heftig für eigentlich berechtigte Notwehr! Eigentlich eine Unverschämtheit. Aber der BGH hat's ja korrigiert.
Die Beurteilung des Falles ist interessant und nachvollziehbar. Vielen Dank!
Andere Frage, die sich mir stellt:
Überprüfungspunkt 9 in dem BGH-Bericht ist u.a. die Widerlegung einer Unverhältnismäßigkeit. Ich frage mich, in wie weit dies Prüfungsgegenstand sein muss und eine Bejahung der Erforderlichkeit für die erfolgte Verteidigungshandlung nicht genügd. Mit anderen Worten: ich dachte, eine Notwehrhandlung kann u.U. trotz Unverhältnismäßigkeit gegeben sein. Wo liegt mein Denkfehler?
Alephthau
20-01-2011, 17:39
Das heißt doch, dass ich mich in einem ähnlichen Fall vor irgendeinem kleinen Amtsgericht (bei "normalen" Richtern) darauf berufen könnte. Ober sticht Unter, deshalb die Unterscheidung.
Jein, Du kannst dich darauf berufen, aber der einzelne Richter kann trotzdem völlig frei entscheiden! ;)
Gruß
Alef
oliverk71
20-01-2011, 17:58
Mit anderen Worten: ich dachte, eine Notwehrhandlung kann u.U. trotz Unverhältnismäßigkeit gegeben sein. Wo liegt mein Denkfehler?Notwehr muss immer erforderlich sein. Daher wird auch die Erforderlichkeit geprüft. Erforderlich ist ein Mittel dann, wenn kein milderes zur Verfügung steht, welches den Angriff abwehren kann.
Die Aussage aus der urspünglichen Begründung:
Seine Verteidigung im Rahmen des solchermaßen eingeschränkten Notwehrrechts sei unverhältnismäßig gewesen. Da der Angeklagte nur zwei Gegnern gegenüber gestanden habe
finde ich realitätsfern. Es wäre meiner Ansicht nach wünschenswert, wenn der Richter zu den Kontext des Vorgangs ein Minimum an Fachkompetenz haben würde, dann wäre der Gang zum BGH wohl überflüssig gewesen.
Notwehr muss immer erforderlich sein. Daher wird auch die Erforderlichkeit geprüft. Erforderlich ist ein Mittel dann, wenn kein milderes zur Verfügung steht, welches den Angriff abwehren kann.
Ja. Aber wenn die Erforderlichkeit nicht widerlegt werden kann, warum muss dann in diesem Fall noch die Verhältnismäßigkeit geprüft werden?
Raging Bull
20-01-2011, 21:28
Es ist richtig, dass die meisten einen guten Job machen. 
Jap!
 Aber was bei Nicht-Juristen immer hängen bleibt sind die Fälle, wo ziemlich Mist gebaut wurde. Ich versuche in manchen Fällen dann zwar noch selber nachzulesen, was wirklich passiert ist, wenn ich von einem Fall höre, aber manchmal rollen sich mir schon die Zehennägel auf. Und ob jetzt hier im Forum oder in den Medien - man kriegt immer nur die doofen Fälle präsentiert. Klar, dass sich da Unmut breit macht, wenn man nicht mindestens genauso viele Fälle betrachtet, wo alles nach eigenem Verständnis "besser" gelaufen ist - und welcher Nicht-Jurist macht das?
  
Ist ja auch richtig so. Ich meine kein Mensch nimmt Notiz davon, dass ich gestern vor einer Kneipe an 3 Typen vorbeigegangen bin und die mir freundlich "Guten Abend" gesagt haben. So sollte es nämlich sein und ebenso sollten Richter nicht weltfremd urteilen. Tun sie es dennoch, so bleibt zu hoffen, dass der zu Unrecht Verurteilte über entsprechende "Bockigkeit" verfügt, das nicht auf sich sitzen zu lassen. In die Zeitung muss das aber sicherlich.
oliverk71
20-01-2011, 21:47
Ja. Aber wenn die Erforderlichkeit nicht widerlegt werden kann, warum muss dann in diesem Fall noch die Verhältnismäßigkeit geprüft werden?Verhältnismäßigkeit gibt's ja so im Gesetz gar nicht. Keine Ahnung also, was die Richter da meinen. Hab mich auch nur oberflächlich mit dem Urteil befasst gebe ich zu.
Die Aussage aus der urspünglichen Begründung:
Seine Verteidigung im Rahmen des solchermaßen eingeschränkten Notwehrrechts sei unverhältnismäßig gewesen. Da der Angeklagte nur zwei Gegnern gegenüber gestanden habe
finde ich realitätsfern. Es wäre meiner Ansicht nach wünschenswert, wenn der Richter zu den Kontext des Vorgangs ein Minimum an Fachkompetenz haben würde, dann wäre der Gang zum BGH wohl überflüssig gewesen.
Nun, daß ist doch auch ein wesentlicher Punkt. Es gibt keine "Verhältnismäßigkeit". 
Das warum und in welchem Zusammenhang hat Luggi hier ja oft und in aller ausführlichkeit dargelegt.
"Fachkompetenz" haben die allermeisten Richter, nur keine Ahnung wenns um das Leben geht - da kennen die sich wenig aus ;)
Was man aber auch verstehen kann..
"Fachkompetenz" haben die allermeisten Richter, nur keine Ahnung wenns um das Leben geht - da kennen die sich wenig aus ;) . 
 
man muss immer bedenken, dass die richter nicht dabei gewesen sind und nach der gegebenen beweislage entscheiden müssen.
 
 
BGH :
Auch vermögen die von der Kammer aufgezeigten theoretisch denkbaren milderen Verteidigungsmittel die Erforderlichkeit der erfolgten Verteidigungshandlung nicht in Frage zu stellen, da nicht aufgezeigt wird, dass es dem Angeklagten in der konkreten Situation auch tatsächlich möglich gewesen wäre, diese Erfolg versprechend zu ergreifen. 
 
hmm da bleibt ja noch handlungsspielraum für die hauptverhandlung....
vBulletin v4.2.5, Copyright ©2000-2025, Jelsoft Enterprises Ltd.