Vollständige Version anzeigen : strukturierter Unterricht und Didaktik
Hatte gestern beim Grillen ein interessantes Gespräch über Unterrichtsgestaltung von Deutschen und Chinesen.
Dabei erzählte mir jemand, die Chinesen könnten nicht gut erklären, würden beim Unterricht nicht genug auslegen, worum es geht usw.
Meine eigene Erfahrung aber ist, daß nur dann wenig geredet wird, wenn entweder die Teilnehmer noch so viel mit der Umsetzung der Bewegungen zu tun haben, daß sie mit zusätzlicher Theorie überfordert wären
oder- wesentlich häufiger-, daß einfach niemand da war, der dementsprechend gut übersetzen konnte.
Ich habe ja einige Seminare mit Chen Bing und Chen Ziqiang (auch anderen Chinesen) und ebenfalls mit deutschen Trainern besucht und meine erfahrung ist die, daß die Chinesen wunderbar erklären- sogar sehr tiefgehend- wenn denn nur jemand dabei ist, der genügend von der Kampfkunst versteht, um es auch übersetzen zu können.
So überraschte CZq z.B. beim letzten Pushhands-Seminar mit der Erklärung des Laugong-Punktes und der Anweisung, von der Handinnenfläche nach innen "abzustrahlen", jedoch bitte darauf zu achten, von der Außenseite der Hand dann dementsprechend nach außen abzugeben. (Im Zusammenhang mit Yin- und Yangseite der Hände bei der einhändigen Routine).
Das war nicht nur wertvolle Info (die auch erklärt, wie ein sehr Fortgeschrittener diese Fähigkeit zum Wegschubesen kultivieren kann, ebenso, wie es dann auch logisch erscheint, irgendwann an jeder beliebigen Körperstelle Energie austreten lassen zu können), sondern es ging auch deutlich über das hinaus, was ich sonst im üblichen Unterricht (bei Deutschen) zu hören bekommen habe.
Drüben in der Videospalte läuft auch gerade ein Pushhands-Video, dessen Untertitel recht ordentliche Erklärungen liefern, d.h., der chin. Meister erklärt ebenfalls recht stimmig, worum es geht.
Nach diesen Beispielen stellt sich mir natürlich die Frage, wieso "wir" auf die Idee gekommen sind, die Chinesen könnten ihren Unterricht didaktisch nicht so gut aufbauen, wie wir.
Sprachproblem?
Oder vielleicht die andere Mentalität, denn laut CXW z.B. legen die Chinesen vor allem Wert darauf, etwas fühlen zu können, bzw. daß sich die Übung gut und stimmig anfühlt,
während die Westler vor allem Wert darauf legen, eine logische Erklärung zu bekommen, damit der Verstand befriedigt ist und nachvollziehen kann, was der Körper warum tun soll (egal, ob es dann acuh klappt).
Oder vielleicht ein "marketingtechnischer" Versuch, die Qualität einheimischen Unterrichts aufzuwerten, um Schüler zu binden?
Wie sind eure Erfahrungen?
yiquanberlin
23-05-2011, 13:12
Das die Chinesen ihren Unterricht inzwischen strukturiert(er) und didaktisch aufbauen, hat imo nur einen Grund..die wollen davon leben und zwar verdammt gut leben!!!
Und sie haben verstanden, dass man im Westen nur so die breite Masse an sich binden kann.
In einem wirklich trad. Unterricht, wie ihn meine Lehrer noch in Penang und Taiwan kennengelernt haben, war es anders...man hat eine Übung, eine Bewegung gezeigt bekommen und hat sie nachgemacht, fertig. Manchmal gab es für viele Wochen dann keinen weiteren Input. Außer es zeigten sich gravierende Fehler, dann wurde es nochmal gezeigt und man musste selber weiter arbeiten und forschen, bis die Bewegung stimmig war!
Erst viel später gab es mal Erklärungen zum Jin, Li, Qi, Yi & Co...manchmal erst Jahre später.
Hat den Vorteil, dass man zu Beginn nicht überlastet wird mit Dingen, die es eher zu erfahren (fühlen, wahrnehmen) gilt, anstatt sie rein intellektuell zu begreifen.
Der Nachteil kann für viele Menschen die notwendige Geduld sein, so zu lernen.
Es ist auch ein gewisses Ausleseverfahren..die Geduldigen bleiben und der große Rest hört ganz auf oder sucht sich etwas anderes.
Meiner Ansicht nach ist das "Problem" (wenn es denn eins ist) sehr vielschichtig, d.h. auch sehr vielfältig in seinen Erscheinungsformen.
Grundsätzlich kann ich zustimmen, dass viele chinesische Lehrer (ich will nicht von "die Chinesen" sprechen) eher weniger erklären bzw. die Erklärungen der Praxis hinten anstellen, während wir Westler es eben gewohnt sind, zuerst eine Erklärung zu bekommen, weil wir oft glauben, erst auf Basis der Erklärung korrekt handeln zu können.
Aber wie oben erwähnt, gibt es auch "Ausnahmen", bzw. die andere Seite; d.h. Chinesen, die gerne viel erklären und erzählen, alle Fragen ausführlich beantworten; und auch Westler, die auch ohne Erklärungsbasis fleißig üben und eigene Erfahrungen machen können.
Das eigentliche Problem liegt meiner Ansicht nach in den unterschiedlichen Arten zu denken, und auf Basis dieser Denkweisen zu handeln, d.h. zu trainieren, usw.
Viele Westler verstehen grundlegende Annahmen über den Sinn und die Methodik des Trainierens nicht wirklich. So schön solche Erklärungen bspw. über der Laogongpunkt auch sind, so ungünstig ist es bspw. wenn solche Lehrinhalte als "Regeln" oder "zu vermittelnde Anteile des Wissens und Könnens" betrachtet werden. So gibt es meiner Ansicht nach sicherlich viele IMA-Meister ("Meister" im Sinne des durchdringenden Könnens und Verstehens), die sich bspw. um so eine Laogong-Punkt-Angelegenheit nicht kümmern würden.
Deswegen "erklären" oder erwähnen sie das auch nicht. Sie sind deswegen aber keine schlechteren Lehrer.
Der Punkt ist IMO, dass es dann ggf. unser Problem ist, dieses bestimmte Phänomen einfach nur als irgendeinen Erfahrungsaspekt zu begreifen, den man entdecken kann, wenn man mit der richtigen Mentalität übt. Wenn diese "richtige Mentalität" fehlt, nützt die Erklärung nichts.
Das Verständnis dieser Mentalität ist IMO das eigentliche Problem; weil eben viele Erklärungen nicht zur wahren Erkenntnis der richtigen Mentalität führen, sondern an der falschen Mentalität flickschustern; und dann baut sich dieser ganze Mist auf, wie man denn mit dem Laogong-Punkt "richtig" umgeht, und wie "Yi", "Qi" und "Jin" denn "definiert" sind, und dieser ganze Schwachsinn.
So überraschte CZq z.B. beim letzten Pushhands-Seminar mit der Erklärung des Laugong-Punktes und der Anweisung, von der Handinnenfläche nach innen "abzustrahlen", jedoch bitte darauf zu achten, von der Außenseite der Hand dann dementsprechend nach außen abzugeben.
Wie sind eure Erfahrungen?
Für mich ist es wichtig ob der Lehrer Übungen anbieten kann mit denen das Gesagte erfahrbar wird.
Mir nützt es nicht wenn mir gesagt wird wie ich wo was abstrahlen soll.
Da bleibt erst mal ein nettes Konzept mit dem ich dann meine eigenen Schüler verunsichern kann, bzw ihnen zeigen kann was sie alles nicht können. ;-)
Also meine Frage kam nach der Erklärung noch was, eine Übung?
Sundro
Snakesqueezer
23-05-2011, 15:58
Wichtig finde ich dabei nicht nur den Aspekt, ob ein Lehrer "allgemein" didaktisch gut herangeht, sondern auch ob so was in seinem Kopf vorgeht wie "He, der/die da hat es (noch) nicht verstanden/umgesetzt, wie kann ich es schaffen dass es doch klappt?" Letzteres geht leider nicht bei Massenlehrgängen und bedarf echten Interesses an seinen Schülern.
Für mich ist es wichtig ob der Lehrer Übungen anbieten kann mit denen das Gesagte erfahrbar wird.
Mir nützt es nicht wenn mir gesagt wird wie ich wo was abstrahlen soll.
Da bleibt erst mal ein nettes Konzept mit dem ich dann meine eigenen Schüler verunsichern kann, bzw ihnen zeigen kann was sie alles nicht können. ;-)
Also meine Frage kam nach der Erklärung noch was, eine Übung?
Sundro
Meine Erfahrung mit solchen Dingen ist, daß es diejenigen, die soweit sind, umsetzen können, die anderen nicht, werden sich aber sicher daran erinnern, wenn sie irgendwann soweit sind, daß sie energie im Laugong fühlen.
Haltet euch jetzt aber bitte nicht an diesem Detail auf, das war ja nur ein Beispiel.
Es gibt ja auch noch Übertragungen und ein paar energetische Dinge, durch die der Schüler auch ohne Worte genau merkt, wie er etwas zu machen hat und weiterkommt, die aber mit europäischer Rationalität nicht erklärbar sind und wohl auch nicht von allen Schülern mal erlebt wurden.
Das ist keine europäische "Rationalität", sondern typisch deutsche Beamtenverkopftheit, besonders bei Oberstufenschülern und Studierten bzw. Studenten. Ein Türke, Italiener, Spanier hat so ein Problem nicht. Erleben > "Denken". Im Sport ist das Spontane, "in the zone", das A und O, ohne das geht es nicht. Ein Stürmer kann Dir nicht sagen was er genau eigentlich macht um ein Tor zu schiessen, die gehen dahin wo der Instinkt sie hinführt und halten irgendwie den Fuss dazwischen oder "schliessen ab". Und dabei entstehen oft abgefahrene Aktionen, wo es auf Millimeter ankommt. Nur die groben Züge weiss man da, z.B. "ich gehe zum langen Pfosten". Auch beim Basketball merkt man im Wurf am Gefühl ob der "passt", und dann sind die auch drin. Da fühlt sich der Wurf gut an, genauso wie in Formen eine Bewegung.
Eigentlich finde ich, dass gerade eine gewisser Anteil "typisch deutscher Verkopftheit" eine sehr gute Ausgangsposition ist, um die chinesische Mentalität zu verstehen, bzw. einen wirklich angemessenen Zugang zu finden, ohne in klischeehafte Imitation plus kulturelle Selbstverleugnung zu verfallen.
Auf jeden Fall ein besserer Zugang als irgendeine Art "südländischen Draufgängertums", oder anderes supertoll emotionales und intuitives, was wir verkopften Krampfköpfe ja meistens als "viel natürlicher und deswegen besser" vorgesetzt bekommen.
Im Grunde ist der chinesische Ansatz auch relativ verkopft, nur eben auf eine mehr oder weniger dezent andere Art, und halt ein bisschen konfuser und teilweise weniger systematisch.
Man braucht eigentlich nur die Schnittstelle zwischen Erklärung und Praxisansatz wirklich zu verstehen. Weil aber oft der Praxisansatz fehlt, baut sich oft ein unangemessenes Denkgebäude aus unnötig komplizierten theoretischen Vorstellungen auf; und das ist dann schwer wieder abzutragen.
T. Stoeppler
24-05-2011, 20:54
Bei den Chinesen kenne ich sowohl die "nicht-Erklärer", die nur grinsend neben einem stehen und warten bis man an irgendwas verzweifelt, und dann mit ein, zwei Handgriffen korrigieren, als auch die Leute, die reichlich abstrakte Erklärungen liefern.
Mir persönlich ist ein Könner, der die Bewegung hands-on korrigiert, und damit alle Fragen eigentlich beantwortet, viel lieber.
Ein paar Sachen und Zusammenhänge muss man aber auch eben klar verständlich verbal kommunizieren können.
Das typisch moderne Dauergefrage "wozu ist das gut?" "ich kann das nicht, warum?" "So geht das auch, oder?" ist nervtötend und nicht zielführend, dafür muss man seine Zunge jetzt nicht bemühen.
Gruss, Thomas
Ich habe noch keinen Beamtenkopf erlebt der im Sport irgendwas gerissen hätte. Die bevölkern dann eher die Sparte Trainer die nichts können. Ein Ball kommt über Gefühl am Ziel an, da kann man hundert Mal den Rotationsimpuls des Balls korrekt berechnen können.
Das grosse Problem heisst eigentlich Verweigerung aus Scham.
Ich habe noch keinen Beamtenkopf erlebt der im Sport irgendwas gerissen hätte. Die bevölkern dann eher die Sparte Trainer die nichts können. Ein Ball kommt über Gefühl am Ziel an, da kann man hundert Mal den Rotationsimpuls des Balls korrekt berechnen können.
Das grosse Problem heisst eigentlich Verweigerung aus Scham.
Ein guter Lehrer würde dann Übungen anbieten (können) die das Werfen des Balles immer mehr dem näher bringen was gemeint ist. Ein schlechterr Lehrer wirft den Ball einfach mal (perfekt) und hofft das seine Schüler das irgendwann auch so gut können. Möglicherweise würde der schlechte Lehrer dann noch ein paar Theorien über den Ballwurf als solches und im speziellen einwerfen, was auch nix nützen würde.
Mir geht es um Nachvollziebarkeit in Form von Übungen. Und da mangelt es oft daran.
Sundro
Ein guter Lehrer würde dann Übungen anbieten (können) die das Werfen des Balles immer mehr dem näher bringen was gemeint ist.
Richtig.
Ein schlechterr Lehrer wirft den Ball einfach mal (perfekt) und hofft das seine Schüler das irgendwann auch so gut können.Das ist ein Irrtum, es gibt Leute die das innerlich instinktiv nachvollziehen können, nur vom sehen. Ich habe einem guten Volleyballer mal beim Squashunterricht nur meine Art zu schlagen gezeigt, und seine "inneren Fehler" korrigiert. Stand zu nah am Ball, weil er den aus Gewohnheit quasi mit der Hand statt dem Schläger schlagen wollte. Ich habe ihm nur gesagt Du willst mit der Hand schlagen, der Schlägerkopf ist Deine Hand, und sofort konnte er genau so schlagen wie ich, nur nicht so fest.
Mentale Korrekturen zeichnen gute Lehrer aus, und das kann sehr, sehr tief gehen. Auch ohne Sprechen, was einige hier öfter erlebt haben.
Kamenraida
25-05-2011, 11:50
Das ist keine europäische "Rationalität", sondern typisch deutsche Beamtenverkopftheit, besonders bei Oberstufenschülern und Studierten bzw. Studenten. Ein Türke, Italiener, Spanier hat so ein Problem nicht. Erleben > "Denken". Im Sport ist das Spontane, "in the zone", das A und O, ohne das geht es nicht. Ein Stürmer kann Dir nicht sagen was er genau eigentlich macht um ein Tor zu schiessen, die gehen dahin wo der Instinkt sie hinführt und halten irgendwie den Fuss dazwischen oder "schliessen ab". Und dabei entstehen oft abgefahrene Aktionen, wo es auf Millimeter ankommt. Nur die groben Züge weiss man da, z.B. "ich gehe zum langen Pfosten". Auch beim Basketball merkt man im Wurf am Gefühl ob der "passt", und dann sind die auch drin. Da fühlt sich der Wurf gut an, genauso wie in Formen eine Bewegung.
Wann hast du denn das letzte Mal Sport gemacht?! Die stetige Verbesserung von Spitzenleistungen ist nur deshalb möglich, weil die Disziplinen von einer sehr fundamentalen und ausgefeilten Theoriearbeit begleitet werden.
In den IMA ist das sogar noch viel wichtiger - wobei Theorie, genau wie Sundro das schrieb, immer durch entsprechende Übungen erfahrbar gemacht werden muss.
Aber egal - ein guter Lehrer sollte klar und nachvollziehbar erklären können, was er macht. Punkt.
Alles andere ist die typische Taichi-Geheimniskrämerei-Nummer, die so gut wie nie gute Leute hervorbringt.
Die stetige Verbesserung von Spitzenleistungen ist nur deshalb möglich, weil die Disziplinen von einer sehr fundamentalen und ausgefeilten Theoriearbeit begleitet werden.
Genau. Und die betrifft nicht etwa den Biomechaniker am Becken der mit einer Hochgeschwindigkeitskamera die Bewegungen einer Van Almsick aufzeichnet, nein. Van Almsick selbst musste vor ihrem Weltrekord mit 14 Jahren Physik studieren, Hochgeschwindigkeitskameras konstruieren, die Analysesoftware programmieren, und und und. Training hat die so gut wie keins gebraucht. Ohne umfassendes Wissen der Strömungsdynamik aus endlosen Strömungssimulationen am Supercomputer hätte sie niemals ihre Leistung gebracht.
Auch Vitali Klitschko hat erst einen Doktor in Sportmedizin gemacht, und DANN angefangen zu boxen. Nicht umgekehrt.
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