Sinn und Unsinn von autodidaktischem Formenlernen [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Vollständige Version anzeigen : Sinn und Unsinn von autodidaktischem Formenlernen



Ronny Wolf
27-01-2012, 12:45
Neuer Threadeinstieg.
Gruss, Thomas



Schon klar, dass ein Lehrer/Trainer besser ist als jedes Buch oder Video.
Verschieden Gründe sprechen bei mir leider dagegen.


Nicht nur besser, sondern (leider) notwendig. Ich fürchte aber, dass kann man erst verstehen, wenn man mal den Vergleich hat. Aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, es ist so. Und glaube mir, der Weg, Fehler wieder abzustellen, ist deutlich länger, als es völlig unbedarft neu zu lernen.

Es gibt da eine nette Anekdote von Jan Silberstorff:
Als Jan das erste mal auf Großmeister Chen Xiaowang traff, bat ihn natürlich der Großmeister, seine Form(en) vorzuführen. Im Anschluß klatschte der Großmeister Beifall und meinte sinngemäß: "Sehr schön Jan. Das sah alles sehr toll aus und die bist die Form auch schön tief gelaufen. Nur leider war Deine Form vollkommen leer." Jan meinte, danach hätte die eigentliche Arbeit unter Anleitung von Chen Xiaowang erst richtig begonnen.

Ronny Wolf
27-01-2012, 13:52
Aber wenn der Threadersteller eben eine Form für sich lernen möchte dann ist das ein guter Anfang. Manch einer kann damit auch einen recht hohen Standard in der Praxis erreichen.


Oder sich auf Abwege begeben, aus denen er nie wieder herausfindet. Aber gut, jeder hat das Recht seine eigenen Fehler zu begehen. Schlaue Leute aber holen sich Rat bei erfahrenen Menschen und können so eine Menge Fehler in ihrem Leben vermeiden.

T. Stoeppler
27-01-2012, 14:06
Oder sich auf Abwege begeben, aus denen er nie wieder herausfindet.

Oh mein Gott, wir werden alle sterben!!!!

Lernen ist lernen. Der einzige sichere Abweg ist gar nichts zu lernen. Sich etwas anzueignen, kann nie falsch sein, ausser man nimmt sich damit ein bischen zu ernst. Die Eigenverantwortlichkeit hat aber jeder.

Gruss, Thomas

Ronny Wolf
27-01-2012, 14:42
Oh mein Gott, wir werden alle sterben!!!!

Ne, ist klar. Von einem Moderator hätte ich eigentlich mehr erwartet, aber bitte, wenn Du das aus meinem Kommentar liest.

Eines ist auf jeden Fall ganz klar: Die Lebenszeit, und damit auch die Zeit, in der wir etwas lernen(können), ist begrenzt. Wer seine Lebenszeit mit Umwegen und dem Erlernen von nutzlosen Dingen verschwenden will, soll dies tun. Insofern hat dies dann natürlich damit zu tun, dass wir alle sterben werden.

Simplicius
27-01-2012, 15:22
Sich etwas anzueignen, kann nie falsch sein, ausser man nimmt sich damit ein bischen zu ernst.

Es gibt auch schlechte Gewohnheiten, die man schwer wieder loskriegt

junger Tiger
27-01-2012, 16:24
Lehrvideos sind gut, sie ermöglichen einen ersten Einblick und später autodidaktische Weiterbildungen - nur das Zeitfenster dazwischen sollte irgendwie gestopft werden, vornehmlich mit einem Lehrer.

Wichtig ist vor allem, die Achtsamkeit dem eigenen Körper gegenüber und die Bewegung im Raum. Dass ein Lehrer bestimmte Spannungen etc. erkennen kann, die man selbst gar nicht wahrgenommen hätte, ist verständlich. ch denke aber, wer ein gewisses Niveau in irgendeiner Bewegungskunst erreicht hat, kann durch das Ansehen von Lehr-DVDs und natürlich durch ÜBEN einen gewissen Mehrwert erhalten. Man darf es sich nur nicht zu einfach machen und "mal fix" die Stellungen runter laufen. Jede einzelne Bewegung muss genau verstanden und gefühlt werden.

Vorwissen+DVD=gut
Vorwissen+Lehrer= sehr gut
Vorwissen+DVD+Lehrer=sehr gut

Vielleicht hilft es ja auch, sich einige Seminare herauszusuchen, diese zu besuchen und das dort erworbene praktische Wissen in die eigene Form zu integrieren. Auf Seminaren kann man gutes Feedback erhalten. Eine DVD antwortet in der Regel nicht auf deine Fragen.

shin101
27-01-2012, 19:52
Würde ich nicht so eng nehmen. Generell ist ein Lehrer immer besser. Aber ich finde es gibt da noch mehr Faktoren als den Lehrer. Wichtig ist auch der eigene Hintergrund.Habe ich bereits einen Backround von 3-4 Kampfkünste oder sagen wir nur von 1-2, aber mit einigermaßen vernünftiger Schulung ist es was anderes als wenn ich noch nie was gemacht hab. Außerdem gibt es noch Dinge wie Hingabe, Fleiß, Wille,die eigene Aufnahmefähigkeit usw. Die spielen alle dabei eine Rolle.
Ich zb. kann Abends nicht zum Training gehen da ich in der Abendschule bin, morgen gibt es kein Training, ergo bin ich auf mich allein gestellt. Das ist auf keinen Fall das selbe wie mit einem Lehrer, aber ich weigere mich nichts zu machen,nur weil ich was falsch machen könnte oder was auch immer.


Liebe Grüße,
Shin

junger Tiger
27-01-2012, 20:01
Was ist besser? Ein schlechter Lehrer oder eine gute Lehr-DVD?

shin101
27-01-2012, 20:11
Was ist besser? Ein schlechter Lehrer oder eine gute Lehr-DVD?

Eine vernünftige Grundlage in einem System. Ich wage zu Behaupten das im Weng Chun fürs Kung Fu einigermaßen bekommen zu haben. Damit würde ich mich aber nicht hinstellen und behaupten irgendeine Kung Fu Kunst mal eben so zu meistern, aber ich mache sicher mehr draus als gar nichts.
Eine gute DVD nutzt auch nichts, wenn du sie nicht weißt zu verwenden.


Liebe Grüße,
Shin

Kamenraida
28-01-2012, 17:19
Wichtig ist auch der eigene Hintergrund.Habe ich bereits einen Backround von 3-4 Kampfkünste oder sagen wir nur von 1-2, aber mit einigermaßen vernünftiger Schulung ist es was anderes als wenn ich noch nie was gemacht hab. Shin

Das sehe ich im Prinzip genauso. Wenn ich einen Stil einigermaßen gemeistert habe, kann ich mir Dinge/Formen visuell aneignen - ob nun per DVD oder weil ich jemandem zusehe.

Allerdings sollte einem klar sein, dass man im Zweifel eben SEIN Ding draus macht. Man überträgt die gelernten Prinzipien auf eine andere Form, die vielleicht ganz andere Schwerpunkte hat.

Für Anfänger ist es meiner Meinung nach anders und sehr eindeutig: IMA lassen sich nicht per DVD lernen. Ende und Aus. Wer etwas anderes behauptet, neppt die Leute.

Drachin
28-01-2012, 21:59
Leider kommt es immer auf den Lehrer an, ob live oder per DVD. Imitation als solche genügt so oder so nicht wirklich, aber warum sollte eine DVD nicht auch Erklärungen beinhalten, die einen Schüler auf die wesentlichen Dinge aufmerksam machen, ebenso wie im live Unterricht.

Ich habe mir oft gewünscht, ich hätte die live Kurse meines Meisters in aufgezeichneter Form gehabt, um die ganze Info nach und nach verdauen zu können.

WingChun77
28-01-2012, 22:38
Hallo und guten Abend!

Für mich stellt das autodidaktische Lernen (und Feilen) - insbesondere der Formen - einen grundlegenden Pfeiler einer jedweden Kampfkunst dar. Damit meine ich nun nicht den Verzicht auf Partnertraining et al oder aber die begleitende Hand eines erfahreneren Anwenders. Wohl aber sollte und muss IMO gerade das Lernen einer Form auf einem singulären Wege erfolgen, um auch wirklich Primärerfahrungen zu erfahren und nicht blind bzw. unreflektiert einer Sekundärbotschaft zu folgen.

LG

Günther

Simplicius
28-01-2012, 23:57
Wohl aber sollte und muss IMO gerade das Lernen einer Form auf einem singulären Wege erfolgen, um auch wirklich Primärerfahrungen zu erfahren und nicht blind bzw. unreflektiert einer Sekundärbotschaft zu folgen.


Die Form ist ein Transportmittel für Inhalte.
Manche Inhalte sind von außen zu erkennen, andere werden idealerweise von einem erfahrenen Praktiker vermittelt.
Einiges kann man vielleicht auch alleine entdecken, je nach Tiefe des Inhaltes und der Tradition ist es besser sich vorerst auf die Vorerfahrungen von Generationen zu verlassen.
Das Üben dieses Inhaltes anhand der Form, bzw. das Entdecken des Inhaltes bei sich selbst ist dann singuläre Sache.
Wenn auf eine Stunde Unterweisung mit Lehrer zehn Stunden eigenes Üben kommen, dann ist das IMO eine guter Ansatz.
Erfahrungen mit selbstbewussten Autodidakten lassen mich vermuten, dass eine Ausbildung bei einem guten Lehrer zu besseren Ergebnissen und weniger Missverständnissen führen.
Ein Anfänger sieht eventuell nur den äußeren Ablauf und ahmt diesen nach.
Dann kann es durchaus sein, dass, wie in dem Silberstorff-Beispiel aus dem Eingangsbeitrag, einer, der um den Inhalt weiß, diese Form als leer bezeichnet, auch wenn das chinesische Kampfrichter die ganz toll finden.

Wenn ein Karateka (das war ja der Anstoss zu diesem Thema) nach einem Ablaufdiagramm einer Wudangform fragt, ist anzunehmen, dass er die Wudangform mit Karateinhalten füllt.
Würde er sich eine gute DVD kaufen, dann könnte er sehen, wie ein erfahrener Praktiker diese Form läuft und würde eventuell noch entsprechende Erklärungen erhalten, um welchen Inhalt es denn geht.
Das ist dann eventuell gleichwertig, möglicherweise sogar besser, als ein Massenseminar mit einem berühmten Meister, der auch nur vorführt und ein wenig erklärt, den man aber nicht in Zeitlupe und aus verschiedener Perspektive ablaufen lassen kann.
(insofern man von den üblichen Sinneskanälen zur Informationsvermittlung ausgeht)
Noch förderlicher ist dann ein Lehrer, der individuelles Feedback gibt und auch haptische Kanäle zur Informationsvermittlung nutzt.
Wenn man einen Stil lernen möchte, dann muss man sich erstmal auf die "Sekundärbotschaft" der kompetenten Stilvertreter verlassen.
Diese Sekundärbotschaft überprüft man dann in eigenem Üben.

Also:
Erlernen einer Form idealerweise in nahem Kontakt mit einem guten Lehrer
Üben der Form/ Erforschen des eigenen Körpers anhand der Form allein in eigenem Üben.

Natürlich ist eine gute DVD, auf dem ein Lehrer, der um die Inhalte weiß und diese auch umsetzen und erklären kann, besser als Privatunterricht bei einem schlechten Lehrer, der die Inhalte weder verstanden hat, noch umsetzen kann.
Dagegen ist regelmäßiger Kleingruppenunterricht bei einem Lehrer, der die Inhalte soweit verstanden hat und zeigen/vermitteln kann, dass er einen Anfänger individuell fördern kann, eventuell besser als Massenuntericht bei einem Meister, der aufgrund des Rahmens nicht individuell auf den Schüler eingehen kann, bzw. den Schüler nicht häufig genug sieht, um eine kontinuierliche Entwicklung zu fördern.

Yangshuo
30-01-2012, 21:30
.

Klaus
31-01-2012, 11:59
Der Einfluss eines schlechten Lehrers wird masslos überschätzt, bzw. im unguten unterschätzt. Man kann sich ordentlich "mit Bewegungen auseinandersetzen" die man _korrekt_ auf Video sieht, wenn man die Intuition besitzt. Lernen durch Nachmachen ist uralt. Man muss nur die entsprechenden Vorübungen machen, die helfen fehlende motorische Fähigkeiten bestimmter Bereiche zu bilden. Ich brauche keinen sündhaft teuren Lehrer der mir erzählt ich muss jetzt die Wand hochrennen und oben nen Salto rückwärts machen, das kann man auch lernen indem man es tut und vom Video abschaut. Nicht jeder ist ein völliger Bewegungslegastheniker der nicht mal sieht dass er die Hände nicht mal ungefähr auf der richtigen Höhe hat obwohl man das gut auf einem Bild sieht.

Erst um nicht offensichtliche Dinge zu bearbeiten ist ein guter Lehrer hilfreich, mit Betonung auf gut. Einem Chinesen der mir das Geld aus der Tasche ziehen will selbiges hinterherwerfen führt nicht zu grösseren Fähigkeiten, ausser im Geld wegschmeissen. So mancher Hinterhoflehrer in der Provinz ist zehnmal der Lehrer wie so der eine oder andere Kostümscherge. Ein Seminar bei einem wirklich guten Lehrer und danach Heimtraining ist normalerweise der bessere Weg als übertriebenes gruppendynamisches Happening in einer überschaubar guten Schule.

Kamenraida
31-01-2012, 13:37
Man kann sich ordentlich "mit Bewegungen auseinandersetzen" die man _korrekt_ auf Video sieht, wenn man die Intuition besitzt.

Natürlich, das kann man machen. Man geht nur das Risiko ein, dass man lange - vielleicht sogar Jahre - am eigentlichen vorbeiübt.

Weil man imho das, worauf es bei den IMA ankommt, eben NICHT sehen kann, ohne es zuvor durch entsprechende Korrekturen erfahren zu haben. Meine Begegnungen mit Leuten aus äußeren KK bestätigt das. Sie können Taichi-Formbeweungen immitieren, aber es hat nichts mit Taichi zu tun.

Richard22
31-01-2012, 14:00
Wenn man unter autodidaktischen Lernen das selbstständige Erarbeiten von Inhalten versteht, dann muß man sagen, das dies für die KK 100 Prozent notwendig ist.

Ein Lehrer muß von seinem Schüler erwarten, daß er ihm die anderen drei Ecksteine bringen kann, wenn er ihm den ersten gezeigt hat.

Lernen bedeutet aber nicht nur das assimilieren von Bewegungen, sondern auch die Verwendung im Gefecht. Also muß man sich klopfen - das wiederum ergibt Einsichten, die zumindest die Inhalte aus dem Unterricht begleiten, oft aber erst vervollständigen.

Fechtergruß

Klaus
31-01-2012, 18:15
Mit den richtigen Basisübungen geht das sehr schnell, man muss sie halt nur auch machen. Es geht nicht um "Meister des Flying Sword per Email", sondern um "ich beschäftige mich korrekt und sinnvoll mit Wudang-Formen und habe einen Nutzen davon, und entwickle meinen Körper". Überschätzt mal nicht so grotesk wieviel man jemandem erklären muss damit er eine Fertigkeit entwickelt, das geht über ÜBEN. Mit teils wirklich einfachen Übungen. Die Laberei die hierzulande zelebriert wird stört eher als dass sie nützt.

P.S.: Ein Kurs bei einem fähigen Lehrer sollte die gravierenden Probleme korrigieren können, sonst sollte derjenige seine Lehrbefugnis zurückgeben. Das ist natürlich weniger als kontinuierliche Entwicklung über längere Zeit, aber damit muss man halt leben wenn man keinen Lehrer in der Nähe hat. Sterben wird man nicht daran, und schlechter als jemand der gar nichts übt bleibt man auch nicht.

Richard22
01-02-2012, 12:30
Hier gehen wir konform, Klaus.

Fechtergruß