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Vollständige Version anzeigen : Ist MMA wirklich so gefährlich?



Yip-Man
21-02-2012, 15:04
Ich bin im Internet auf ein Interview mit einem Facharzt gestoßen, der sich über die Verletzungsrisiken beim MMA äussert. Sehr interessant und empfehlenswert zu lesen ;)



"Ground & Pound: Herr Dr. Moser, wie kam es eigentlich zu Ihrem Auftritt bei stern TV?

Dr. Moser: Stern TV suchte einen Ringarzt für seine Sendung und einer der Produzenten kam dann über seine Recherche auf mich. Er hat mich dann gefragt, ob er einen Film drehen dürfte. Dieser Film hat dann offensichtlich Günter Jauch so gut gefallen, dass er mich dann noch zur Sendung eingeladen hat.

GnP: Welche Erfahrungen haben Sie als Ringarzt gemacht? Und wie kamen Sie dazu Ringarzt zu werden?

Dr.M.: Ich selber komme vom Boxen. In der Studienzeit war ich aktiver Amateurboxer und später dann noch einmal von 35 bis 45. Als man mir aber dann mit 45 Jahren beim normalen Sparring drei Rippen gebrochen hatte, habe ich gemerkt, dass meine Rippen wohl nicht mehr so elastisch wie früher sind und habe aufgehört. Hauptsächlich war ich als Ringarzt beim Boxen und Kickboxen tätig.

GnP: Und kann man Boxen und Kickboxen mit den Mixed Martial Arts (MMA) überhaupt vergleichen?

Dr.M.: Als Arzt hat man bei Boxkämpfen immer mehr zu tun als beim Kickboxen, da beim Boxen häufiger schwerere Verletzungen auftreten. Der Grund dafür ist, dass beim Boxen ausschließlich auf den Kopf geschlagen wird, während beim Kickboxen der Kämpfer einen großen Teil des Kampfes mit Fuß- und Armblocks beschäftigt ist. Ich gehe davon aus, dass bei den MMA die Summe der Kopftreffer durch die verschiedenen Techniken insgesamt reduziert ist.

GnP: Ist Boxen für Sie als Ringarzt denn anstrengender als Kickboxen?

Dr.M.: Beim Boxen wird dauernd auf den Kopf geschlagen, weil Körpertreffer weitgehend wirkungslos sind. Beim Kickboxen wird oft versucht mit einem Kick den Gegner KO zu schlagen. Der Kick ist aber in der Regel langsamer als der Faustschlag und kann dadurch effektiv abgewehrt werden. Wenn allerdings ein Kick einmal den Kopf trifft, dann führt dies meiner Erfahrung nach oft zum sofortigen KO. Ein sofortiger KO ist aber besser als diese permanente Schädigung des Gehirns durch Teilwirkungstreffer.

Der Boxsport zeichnet sich dadurch aus, dass ein Kämpfer angezählt werden kann. In diesem Fall muss man davon ausgehen, dass der Boxer zu mindestens schon eine kleine Gehirnerschütterung erlitten hat. Oft sind sie danach für Minuten nicht mehr richtig Herr ihrer Sinne und zeigen unkoordinierte Bewegungen. Dennoch geht der Kampf direkt weiter – ohne eingehende medizinische Untersuchung. Kassiert der angeschlagene Boxer in dieser „vulnerablen Periode“ gleich den nächsten Schlag, so ist dies für das Gehirn unvergleichlich gefährlicher.

GnP: Was halten Sie überhaupt von den Vorwürfen, die gegen den MMA-Sport in Deutschland momentan geäußert werden? Ist das für Sie überhaupt ein Sport?

Dr.M.: Am Anfang, als ich nur davon gehört hatte, da hatte auch ich Vorurteile. Man kennt ja „Fight Club“, jeder hat „Mad Max“ gesehen oder „Bloodsport“. Diese Art von Gladiatorenkämpfen hat man dann zuerst im Kopf. Nachdem ich mir die MMA-Kämpfe im Fernsehen angeschaut hatte, musste ich meine Meinung revidieren. MMA-Kämpfe sind ganz klar Sport und haben nichts mit „Rauferei“ oder Straßenschlägerei zu tun.

GnP: Finden Sie es als Sportmediziner bedenklich, dass der Kampf am Boden weitergeführt wird?

Dr.M.: Nein, denn wenn man sieht, dass der Bodenkampf auch eine Möglichkeit ist sich zu verteidigen, dann hat das nichts damit zu tun, dass man auf einen „Wehrlosen einschlägt“. Denn der Kämpfer in der Unterlage ist nicht wehrlos.

GnP: Gregor Herb hatte ja auch schon bei stern TV erwähnt, dass er seinen Gegner extra auf sich gezogen hatte, da man aus der Unterlage mit einer Vielzahl von Aufgabetechniken den obenliegenden Gegner angreifen kann und so hat er auch den Kampf gewonnen, der da in der Sendung gezeigt wurde.

Dr.M.: Ja, ich denke, wenn man vom Boxen kommt kann man sich das einfach nicht vorstellen. Aber wenn man es ein paar Mal selbst gesehen hat, dann ist das schon ein erheblicher Unterschied. Der unten Liegende ist ja nur scheinbar im Nachteil. Dies sehe ich jetzt auch anders als am Anfang, wo ich mich noch nicht richtig mit Mixed Martial Arts auseinandergesetzt hatte. Also ich hätte keine großen Bedenken, dass durch die Schläge auf den Kopf eines am Boden liegenden Kämpfers es zu einer gefährlichen Hirnschädigung kommt. Dieses tragische Ereignis in der Ukraine 1998, welches bei stern TV gezeigt wurde, war ein unglücklicher Einzelfall. Die medizinische Versorgung war dort sicherlich nicht auf so einem hohen Standard wie hier. Vielleicht wäre der Kämpfer auch hier gerettet worden. Aber wo Verletzungen auftreten, können auch Leute sterben, dies ist im Sport wie im Alltag möglich. Deshalb wird auch dieser Sport irgendwann einmal Tote zu verzeichnen haben. Vielleicht nicht in Deutschland oder in Amerika, aber vielleicht in anderen Ländern, wo der medizinische Standard nicht so hoch ist und die Kämpfe nicht so überwacht werden und nach solchen strikten Regeln verlaufen wie zum Beispiel bei der UFC.

GnP: Ja, sie meinen den bekannten Fall von Douglas Dedge. Aber in dem Zusammenhang wird auch meistens gerne in den Medien verschwiegen, dass kein Arzt in den USA oder Japan sich dazu bereit erklärt hatte, Dedge ein Kampflizenz zu erteilen, da Dedge schon vor dem Kampf eine ernstzunehmende Verletzung hatte. Das war ja überhaupt der Grund warum er in die Ukraine geflogen ist, um so seiner Sperrung aus medizinischen Gründen zu entgehen. Sein Tod ist natürlich tragisch, aber man muss sich auch fragen, inwiefern da ein Eigenverschulden eine Rolle gespielt hat. Aber wie bewerten Sie denn diesen Vorfall in der Ukraine?

Dr.M.: Das war wie gesagt 1998 und da waren diese Veranstaltungen ja noch ungeregelt und heute sind es ja geregelte Kämpfe und ich kann mir auch einfach vorstellen, dass in der Ukraine ein anderes medizinisches Niveau herrscht als hier. Bei den Vorkehrungsmaßnahmen, die die UFC hier in Köln getroffen hat, es sind an dem Abend fünf Ärzte am Ring, wovon zwei Anästhesisten sind, die jahrelang leitende Oberärzte an der Uni-Klinik waren und jahrelange Intensiverfahrung haben. Wenn der verletzte Kämpfer eine Überlebenschance hat, wird er gerettet werden. Da müsste es schon wirklich mit dem Teufel zu gehen, wenn er auf dem Weg ins Krankenhaus verstirbt. Und dann steht noch ein komplettes Neurochirurgenteam bereit das nur für die UFC reserviert ist. Also da ist es fast unmöglich, dass einer stirbt.

GnP: Also würden Sie als Arzt sagen, dass die UFC aus medizinischer Sicht alles für die Sicherheit der Kämpfer macht, was machbar ist?

Dr.M.: Das ist schon extrem gut! Durch diese fünf Ringärzte ist sichergestellt, dass wenn in einem Kampf etwas vorfallen sollte, immer noch genügend Ärzte da sind, um die weiteren Kämpfe zu betreuen. Normalerweise gibt es ja immer das Problem, dass sie am Ring nur einen Ringarzt haben und wenn da was passiert, dann steht der Ringarzt für den nächsten Kampf nicht mehr zur Verfügung. Hier in Köln könnten sie rein theoretisch drei Schwerverletzte hintereinander haben und selbst dann hätten sie immer noch genügend Ärzte am Ring, die die folgenden Kämpfe beaufsichtigen könnten. Fünf Ärzte, ein Notarzt vor Ort und ein komplettes Rettungsteam – also mehr können sie nicht tun. Aus ärztlicher Sicht könnte man es besser überhaupt nicht organisieren.

GnP: Können Sie aus rein fachlicher Sicht die Aussagen in den Medien wie „Käfigkampf“ oder so etwas wie „Blutorgie“ nachvollziehen?

Dr.M.: Die UFC behauptet ja, dass der Käfig die Kämpfer schützt. Ein Vorteil des Käfigs ist es sicher, dass der Kämpfer nicht aus dem Ring fallen kann. Während ich das beim Boxen eigentlich noch nie erlebt habe, kann ich mir das im MMA-Sport schon vorstellen. Jetzt wo ich mehrere MMA-Kämpfe gesehen habe, halte ich es schon für sinnvoll und sicherer, dass sie in einem Käfig stattfinden. Bei den verschiedenen Wurf- und Ringtechniken im MMA stellt der Käfig tatsächlich einen gewissen Schutz dar.

GnP: Gibt es dazu auch genaue Zahlen, die das noch wissenschaftlich untermauern?

Dr.M.: Ja, in den 635 professionellen MMA-Kämpfen, die in der Studie der Johns Hopkins Universität untersucht wurden, ergab sich eine Verletzungsrate von 23,6 pro 100 Kampfteilnahmen und als häufigste Verletzungen wurden Riss-Quetsch-Wunden und Verletzungen der oberen Extremität festgestellt. Die Gehirnerschütterungsrate war erstaunlich niedrig, mit lediglich 3,3 Prozent. Es kamen keine Todesfälle in diesem Zeitraum vor, noch kam es zu schweren Sportverletzungen. Schwere Verletzungen sind z.B. bleibende Hirnschäden, Lähmungen, Extremitätenverlust oder dauerhafte Blindheit. Auch das Alter, Gewicht und die Kampferfahrungen führten statistisch gesehen nicht zu einer Erhöhung des Verletzungsrisikos. Die Verletzungsrate entspricht damit der von anderen Kampfsportarten und das absolute Risiko eine schwere Verletzung während eines geregelten MMA-Kampfes zu erleiden, war laut Autoren erstaunlich gering.

GnP: Ist die angeblich höhere Gefährdung von MMA-Athleten, wie sie momentan gerne in den Medien suggeriert wird, also wissenschaftlich gar nicht zu halten?

Dr.M.: Nein, wissenschaftlich könnte man eher noch das Gegenteil belegen. Bedenkt man hierbei noch einmal, dass es im MMA-Sport im besagten Zeitraum keine Todesfälle oder Schwerstverletzungen gab, dann gibt es aus medizinischer Sicht keinen sachlichen Grund, der ein Verbot rechtfertigen könnte. Selbst die Gehirnerschütterungsrate liegt im professionellen Boxsport bei 11,5% und bei den geregelten MMA-Kämpfen lediglich bei 3,3%, was der Gehirnerschütterungsrate von internationalen Taekwondokämpfen unter Männern entspricht. Solange man andere Profisportarten erlaubt, die teilweise ein höheres oder zumindest ein vergleichbares Todes- bzw. Verletzungsrisiko besitzen, gibt es de facto keine Rechtfertigung für ein Verbot von MMA in Deutschland aus ärztlicher Sicht.

GnP: Wie beurteilen Sie aufgrund der medizinischen Fakten das diskutierte Verbot von Mixed Martial Arts in Deutschland?

Dr.M.: Ich sag es mal so, wenn man die Sportler sieht, welche Risiken sie eingehen, wenn sie z. B. mit 300 km/h über die Straße fahren im Motorradrennen oder bei der Formel 1, das könnte man auch als ein Spektakel bezeichnen. Die Sportler sterben vielleicht nicht immer durch Fremdeinwirkung wie bei Boxkämpfen, aber dann indem sie irgendwo fallen oder gegen fahren. Auch andere Sportarten wie z.B. Fußball, Reiten und Skifahren müssten dann verboten werden, weil sie ein erhöhtes Verletzungsrisiko beinhalten. Wenn man diese Menschen schützen will dann müsste man also den kompletten Profisport verbieten. Wenn man die Boxer oder die MMA-Sportler ganz neutral als Angestellte einer Sportindustrie sehen würde, dann müsste man auch deren Verletzungsrisiko und Todesrisiko mit denen von anderen Angestellten wie zum Beispiel von Bauarbeitern und Farmarbeitern vergleichen. Wissenschaftlich rechnet man das immer auf eine Millionen Teilnehmer hoch, um ein vergleichbares Ergebnis zu erhalten. Dann hat zum Beispiel ein Profiboxer in Nevada ein Todesfallrisiko von 220 zu 1.000.000, ein Bauarbeiter 251 zu 1.000.000 und ein Farmarbeiter 356 zu 1.000.000, d.h. das Risiko bei der Ausübung seines Berufes zu sterben ist beim Profiboxer geringer als beim Bauarbeiter oder beim Farmarbeiter. Meines Erachtens wird da einfach falsch argumentiert, man muss das in der Perspektive sehen, dass beide Angestellte sind und dann könnte man auch sagen der eine steigt lieber in den Ring, weil er dann statistisch eine höhere Überlebenschance hat, als wenn er auf dem Bau arbeiten würde oder auf einer Farm. Berücksichtigt man hierbei, dass es im professionellen Boxsport im Jahr 2000-2007 insgesamt 68 Todesfälle gab und in geregelten MMA-Kämpfen von 2001-2007 es zu keinem tödlichen Zwischenfall kam, dann hat man im Käfig statistisch gesehen sogar noch die besten Überlebenschancen in diesem Vergleich.
Jeder verdient halt seine Brötchen, wie er es kann, der eine wird Arzt und der andere wird halt Boxer oder MMA-Kämpfer.

GnP: Jetzt wo Sie mittlerweile mehrere MMA-Kämpfe gesehen haben, was halten Sie persönlich von diesem Sport?

Dr.M.: Im letzten MMA-Kampf den ich gesehen habe, hat es mich sehr beeindruckt, dass ein Kämpfer der im Boxen eindeutig unterlegen war den anderen festgehalten und auf den Boden gezwungen hat. Also er hat versucht, mit einer anderen Technik aus seiner aussichtslosen Situation zu entkommen. Das finde ich schon sehr spannend. So eine Möglichkeit das Blatt zu wenden hat z. B. ein unterlegener Boxer nicht. Der kann nur weiter die Schläge einstecken und versuchen sich über die Runden zu retten. Der Übergang zum Bodenkampf ist für das deutsche Publikum wohl auch noch neu. Das Publikum geht dann wohl fälschlicherweise eher davon aus, dass es ein Boxkampf ist und wenn einer auf den Boden liegt ist dieser wehrlos und wird dann nach Strich und Faden vermöbelt. Ich persönlich empfinde den Bodenkampf als eine interessante technische Erweiterung im Mann gegen Mann Kampf.

Also ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, wenn es den Sport bei mir damals schon gegeben hätte, dann hätte ich eher MMA gemacht als Boxen!

GnP: Also Sie wären eher MMA-Kämpfer geworden als Boxer?

Dr.M.: Definitiv, ja! Weil ich MMA als Rundumausbildung besser empfunden hätte. Ich sah das ja zum Beispiel an den Gregor Herb, der mit mir bei stern TV im Studio saß. Der hatte ja Unterarme gehabt wie ich Waden. Das hat mich schon sehr beeindruckt.

Gnp: In der Diskussion um Mixed Martial Arts wird von manchen Seiten behauptet, dass die Kämpfer nicht wirklich etwas können und vielleicht auch gar nicht richtig trainieren. Was halten Sie von solchen Äußerungen?

Dr.M.: Ich denke, dass ich das als Sportmediziner beurteilen kann. Auf mich wirken die MMA-Kämpfer extrem durchtrainiert. Da ist kein Gramm Fett am Körper, sondern nur reine Muskelmasse. Von der Physis war ich schon sehr beeindruckt. In der Sendung wurde gesagt, die Kämpfer könnten keine Technik richtig korrekt ausführen. Ich denke aus Boxersicht mag das vielleicht nicht alles hundertprozentig gut sein. Aber dieser Kampfsport erfordert natürlich auch andere Techniken, weil man ja so viele verschiedene Möglichkeiten hat zu kontern. Meines Erachtens kann man da Boxen und MMA, mit ihren Techniken und all ihren Regeln, überhaupt nicht miteinander vergleichen. Es gibt ja auch Sportler im MMA, die aus anderen Disziplinen wie z.B. dem Karate kommen und dann selbstverständlich eine andere Schlagtechnik verwenden. Ich würde mir jedenfalls nicht anmaßen, deren Technik zu kritisieren und dies sollten auch andere nicht tun.

GnP: Ich denke, es liegt auch teilweise an dem mangelnden Hintergrundwissen einiger sogenannter Experten. Freddie Roach, der Trainer des derzeit unbestrittenen besten Boxers der Welt, Manny Pacquiao, trainiert nämlich auch regelmäßig mit einigen MMA-Kämpfern, wie z.B. mit Andrei Arlovski und Anderson Silva und er hat genau das bestätigt, was sie gerade gesagt haben, dass man Boxtechniken für den MMA-Sport anpassen muss, wegen den Kontermöglichkeiten. Es ist schon etwas eigenartig, wenn man sich als angeblicher Boxexperte ausgibt und dann annimmt, dass einer der weltweit renommiertesten Boxtrainer seine Zeit mit Sportlern vergeudet die angeblich „falsch schlagen“. Ich empfand es in der stern TV-Sendung, als Zuschauer auch befremdend, dass jemand der im Boxen wohl noch nicht up to date ist, dann noch einen Judo-Schwarzgurt wie Herrn Herb über Judo belehren wollte oder behauptet, dass MMA-Kämpfer nichts können, obwohl Weltmeister im brasilianischen Jiu-Jitsu oder olympische Medaillengewinner wie z.B. Matt Lindland oder Satoshi Ishii im MMA-Sport tätig sind. Wie denken Sie über solche Kritik?

Dr.M.: Ja sehen Sie, die Kritik rührt meistens von einer unüberlegten und eingeschränkten Sichtweise auf diesen neuen Sport, der von vielen offensichtlich noch nicht richtig verstanden wird. Bei manchen ist es vielleicht auch eine „moralische Frage“, die ich hier nicht beantworten möchte. Da bin ich halt kein Experte.

GnP: Ich würde gerne noch einmal auf das Thema Schädel-Hirn-Trauma zurückkommen, es wird ja auch immer über die kleineren Handschuhe im MMA gesprochen. Geht von denen eine höhere Gefahr aus als von den Boxhandschuhen?

Dr.M.: Also bei den kleineren Handschuhen im MMA-Sport wird wahrscheinlich schneller ein KO erzwungen. Während der Boxer durch die etwas schwereren Handschuhe oft Schläge gegen den Kopf bekommt, die ihn zwar schädigen aber nicht KO werden lassen. Diese permanenten Schläge sind meiner Meinung nach wie schon gesagt wesentlich gefährlicher für das Gehirn, als wenn sie einen Schlag bekommen und sofort KO gehen. Wenn sie beobachten, wie manche Boxer in der 5. oder 6. Runde gar nicht mehr wirklich wissen was sie tun sollen, wenn sie unterlegen sind und immer wieder klammern und immer wieder einen Treffer einstecken müssen, dann halte ich das für wesentlich gefährlicher. Im Übrigen sind die Boxhandschuhe ja auch nicht entwickelt worden um die Gegner zu schützen, sondern um die Hand des Schlagenden zu schützen. Man kann auch mit einem Boxhandschuh ein Jochbein oder einen Kiefer brechen.

GnP: Eine Möglichkeit einer Verletzung beim MMA-Sport aus dem Weg zu gehen ist ja auch die Aufgabe.

Dr.M.: Ja, die Aufgabe im MMA-Sport hat keine negativen Konsequenzen für den Kämpfer, wohingegen es beim Boxen nicht der Wahrheit entspricht, dass sie nach einer Aufgabe als Boxer keine beruflichen Nachteile haben. Ein Boxer der aufgibt, kann eigentlich nie wieder wirklich boxen. Im Profibereich sind sie dann draußen. Also ich kenne da keinen dem es nicht richtig geschadet hätte. Das jüngste Beispiel ist ja Oscar de la Hoya, dem blieb nach seiner Aufgabe ja auch keine andere Alternative mehr, als mit dem Boxsport aufzuhören. Ich denke das Aufgeben im MMA-Sport ist eine wichtige Möglichkeit, einen Kampf unbeschadet zu beenden und dies ohne Gesichtsverlust.

GnP: Wie beurteilen Sie als Ringarzt die Leistung der Ringrichter in der UFC?

Dr.M.: Bei den Kämpfen, die ich gesehen habe, habe ich beobachtet, dass der Ringrichter direkt eingeschritten ist als er gesehen hatte, dass der untenliegende Kämpfer sich nicht mehr vernünftig verteidigen konnte. Und bei einigen Kämpfen gab es sogar sehr früh einen Kampfabbruch, was mich wiederum verwundert hat, da es beim Boxen definitiv weitergegangen wäre. Im Boxen hätte man den Kämpfer nochmal aufstehen lassen, hätte ihn angezählt und nach acht Sekunden wäre der Kampf weitergegangen. Also so wie die Kämpfe in der UFC augenblicklich von den Ringrichtern geführt werden, kann ich als Sportmediziner und auch als Ringarzt nur sagen – sehr verantwortungsvoll!

Nichtsdestotrotz wird ein Risiko bleiben. Null-Risiko gibt es in der Welt nicht. Eine Null-Risiko-Umwelt existiert in der Realität einfach nicht, auch wenn sie der Deutsche so gern hätte. Selbst wenn man davon ausgeht, dass alle Beteiligten während eines Kampfes Null Fehler machen, bleibt ein Restrisiko. Die Gesellschaft muss eine gewisse Menge an fatalen Ausgängen tolerieren, sowohl bei der Arbeit, als auch im Profisport. Jeder Einzelne muss überlegen, ob dies für ihn akzeptabel ist, wenn er sich in diese Situation bringt. Das ist dann die Entscheidung des Individuums – und dies nennen wir dann Freiheit. Es ist die Entscheidung des Individuums ob er sich als Polizist, Dachdecker, Formel 1-Fahrer oder MMA-Kämpfer in Lebensgefahr bringt – wenn die Todesratenrisiko gleich ist und der gesellschaftlichen Toleranzschwelle entsprechen.

GnP: Wie würden Sie zusammenfassend das Debüt der UFC in Deutschland aus professioneller Sicht beurteilen?

Dr.M.: Ich glaube medizinisch ist das klar. Es gibt keinen medizinischen Grund MMA-Kämpfe zu verbieten. Da muss man nicht viel diskutieren, da liegen die Fakten auf dem Tisch. MMA-Kämpfer sind definitiv nicht gefährdeter als Boxer.

Durch die hervorragende medizinische Versorgung vor Ort und die wirklich guten Ringrichter sehe ich dem Debüt der UFC sehr entspannt entgegen – gerade in Bezug auf den Schutz der Gesundheit der Kämpfer.

GnP: Herr Dr. Moser, vielen herzlichen Dank für das Interview!

Dr.M.: Gerne!"

Edit: Quelle http://www.groundandpound.de/allgemein/news/dr-karl-heinz-moser-exklusiv-interview/

Dudeson
21-02-2012, 19:04
danke für den post!

starkes interview, und hat mir noch ein zwei offene fragen beantwortet!

mindcrime
22-02-2012, 06:49
Ja, das ist sehr interessant. Danke. Könntest Du bitte noch die Quelle nennen?

Edit: Schon gefunden
http://www.groundandpound.de/allgemein/interviews/news/dr-karl-heinz-moser-exklusiv-interview/

Caramujo
22-02-2012, 08:06
Ganz tolles Interview!
Sehr gut geführt, interessant und informativ => Daumen hoch :halbyeaha

Caramujo

BFM09
22-02-2012, 08:18
Yap, sehr gut. Danke dafür.

marq
22-02-2012, 09:14
das interview ist vkurz vorufc 99 gemacht oder ? bischen alt :)

Yip-Man
22-02-2012, 11:38
Hab die Quelle reineditiert ;)

jkdberlin
22-02-2012, 13:12
und ich verschiebe es mal ins MMA Forum...

Gladbeck
22-02-2012, 15:38
Klasse Post!!!Danke.

Ralph22
22-02-2012, 18:19
:thx:

MfG Ralph

Miyamoto_Musashi
23-02-2012, 16:34
Super Interview. Das war doch direkt mal informativ :D

ikkyo
23-02-2012, 17:56
Es ist immer potenziell "gefährlich" sich Vollkontakt vor die Schnauze zu hauen, oder sich die Gliedmaßen zu verdrehen.
Wie man das nun nennt ist dabei egal.

Yip-Man
23-02-2012, 18:02
Es ist immer potenziell "gefährlich" sich Vollkontakt vor die Schnauze zu hauen, oder sich die Gliedmaßen zu verdrehen.
Wie man das nun nennt ist dabei egal.

Gefährlich ist es auf jeden Fall. Risiken gibt es ja überall. Nur.. MMA wird halt oft nur als sinnloses, übertriebenes Einschlagen auf den Gegner gesehn und hat bei vielen keinen guten Ruf... erstaunlich ist dann jedoch, dass MMA statistisch viel weniger ernsthafte Verletzungen o.ä. aufweist, als das Boxen ;)