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Vollständige Version anzeigen : Kampfsport als Allerheilmittel für Gewaltpräventation



Durakier
02-04-2012, 13:30
Hallo liebe KKBler,

über die Jahre hinweg kommen immer wieder Beiträge, Dokumentationen und Artikel in sämtlichen Medien über Kampfsport als Mittel der Gewaltpräventation. Häufig kommen in solchen Camps sogenannte Problemkinder aus Problemvierteln mit einschlägiger Erfahrung, die dann Boxen, Karate etc. erlernen (mit dem sie Menschen noch besser malträtieren und verletzen können). Angeblich lernen diese Kinder dann Disziplin und entwickeln ein soziales Empfinden. Langt es denn nicht, eine andere, weniger VK/SV-orientierte Sportart dafür herzunehmen? Muss es denn ein KS sein?

Irgendwie ist mir nicht wohl bei sowas. Ich bringe doch auch keinem Mörder das Schießen in einem Sportverein bei.

Wie ist denn eure Meinung?

Danke

Durakier

Tanzgraf
02-04-2012, 13:50
Der Sport an sich wird wohl kaum dazu beitragen, Gewalt zu verhindern. Ich denke es geht dabei viel mehr um die Mentalität, die ein guter Trainer und ein gutes Umfeld im Training vermitteln können. Und sicher erreicht man solche Kids mit KS eher als mit Fußball. Wenn sie sich sowieso schon den ganzen Tag kloppen kann man sie auch leicht für KS begeistern und dann im Training eben versuchen, Disziplin usw. zu vermitteln. Man muss halt darauf achten, dass das Training nicht als "Ausbildung" für die Strasse gesehen wird, das würde mit Sicherheit schief gehen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es solchen "Schlägern" gut tun würde, mal beim Sparring mit deutlich überlegenen Gegnern konfrontiert zu werden.

Aber ich würde meine Hand auch nicht für den Erfolg von solchen Projekten ins Feuer legen. Hat jemand verlässliche Angaben über die Erfolgsquoten von solchen Einrichtungen ?

Sensei-T
02-04-2012, 13:51
Irgendwie ist mir nicht wohl bei sowas. Ich bringe doch auch keinem Mörder das Schießen in einem Sportverein bei.

Dat is wohl so... Die Frage ist doch: Wer sucht sich wen als Opfer - der Kleine, den Großen oder doch eher der Große den Kleinen. In einem KK-/KS-Verein ist es mitunter doch mal der Fall, dass das große Problemkind (legitimiert) eins auf die Moppe kriegt und dann mal am eigene Leibe erfahren muss, was es bedeutet was einstecken zu müssen.

Sicher sind dies wieder Optionen oder Argumente, die nicht sattelfest sind. Es wird in einem Schützenverien jedoch auch der verantwortungsvolle Umgang mit einer Waffe beigebracht (=Werte vermittelt). Allerdings sind davon die von Dir besagten Personen ausgeschlossen, da sie wahrscheinlich eher keinem Verein beitreten würden oder könnten...

Tuborgjugend
02-04-2012, 13:56
Ein Punkt ist, dass sich die Veranstalter solcher Camps die Jugendlichen aussuchen und natürlich nur die nehmen, die auf den ersten Blick eine gute Prognose haben. Insofern wäre jede Erfolgsstatistik das papier nicht wert

Mit allen und für alle auffälligen Jugendlichen klappt das ganz sicher nicht.

BigLion
02-04-2012, 14:10
Das Problem ist das es mit einem Trainingscamp einfach nicht getan ist.

Es gab vor einiger Zeit mal eine Reportage welche einen kriminellen Jugendlichen (er hatte glaube ich die die Wahl, Camp und Bewährung oder Knast) durch solch ein Boxcamp begleitet hat. Der Junge schien auch tatsächlich auf einem guten Weg zu sein. Bis zu dem Tag als er wieder nach Hause kam und ihn seine Kumpels wieder empfangen haben. Dem konnte er sich leider nicht entziehen. Der letzte Kommentar des Sprechers war das der Jugendlichen an diesem Abend wieder mit "seinen Jungs" losgezogen ist, sich geprügelt hat und nun seinen Haftaufenthalt antreten durfte.

Wichtig ist es neben der Freizeit im KS/KK diese Jugendlichen auch aus ihrem negativen sozialen Umfeld rauszuholen, und zwar komplett. Es ist schön und gut wenn der mittags im Training der brave Bub ist. Bringt aber nichts wenn dann abends der Einfluss der Gang da ist.

Luggage
02-04-2012, 14:11
Es geht bei diesen Kindern um Gewaltbereitschaft und nicht um kämpferisches Vermögen, denn wie hoch das ist, spielt keine Rolle. Die haben ihre Opfer immerhin schon VOR dem Training verkloppen können. Es ist also vollkommen egal, ob die noch ein Bisschen besser zu haun können - sie sollen lernen es ganz zu lassen. Und da setzt der Sport an: Das sind zumeist Leute aus Milieus, in denen körperliche Stärke Respekt bedeutet. Diese Stärke hat zum einen der altgediente Boxtrainer - deshalb wird im zugehört. Zum anderen bietet das Training den Erwerb, bzw. die Steigerung dieser Stärke und damit überhaupt die Chance, die Kinder dafür zu begeistern. Das ganze ist nur ein Medium um Ideale zu transportieren, das eben zündet. Andere Medien könnten dieselben Ideale transportieren, würden aber nicht verfangen.

Das Training kann helfen die Energie in eine unschädliche Richtung zu lenken (nämlich in Richtung Sandsack, statt Mitschüler). Es kann auch etwas sein, was den Kindern etwas bedeutet, und vom dem sie fürchten müssen, es zu verlieren, würden sie erneut straffällig - denn zumeist ist es auch die Perspektivlosigkeit, die Tatsache, dass selbst Knast keine echte Verschlechterung darstellen würde, die junge Leute Mist bauen läßt.

Ich denke also, schlimmer wird dadurch nichts und vllt. ein Bisschen besser.

Blu3 3y3d hybr1d
02-04-2012, 14:26
Ein Punkt ist, dass sich die Veranstalter solcher Camps die Jugendlichen aussuchen und natürlich nur die nehmen, die auf den ersten Blick eine gute Prognose haben. Insofern wäre jede Erfolgsstatistik das papier nicht wert

Mit allen und für alle auffälligen Jugendlichen klappt das ganz sicher nicht.

bist du dir da sicher? ich hatte mal gehört, dass diese "veranstalter" vom staat für jeden jugendlichen, der das camp besucht, ne stange geld bekommen (neben den gesponserten summen für den unterhalt). könnte mir da gut vorstellen, dass es den veranstaltern am a**** vorbeigeht, in wie weit ein jugendlicher nach dem camp rückfällig werden könnte oder nicht.

ich für meinen teil bin absolut dagegen, schläger "auszubilden". diese menschen sind so intelligent wie ne scheibe toastbrot. sie werden rückfällig, da sie keinen bezug zur verletzung eines anderen menschen haben. sie nehmen sich irgendwo aus der luft das recht, jemanden dafür zu schlagen, dass sie einen ansehen oder ähnliches.

der eigentliche "zähmungseffekt" resultiert ausschließlich basierend auf der auslastung dieser personen. diese personen haben dank arbeitslosigkeit viel energie und viel zeit zum nachdenken. was ist das resultat? aggressionen. menschen sind wie jagdterrier - jeder muss irgendwo ausgelastet werden, sonst fühlen wir uns unausgeglichen, träge, genervt und/oder werden last but not least aggressiv und/oder angriffslustig.

bedeutet sie werden tatsächlich lieb, nett und einsichtig - so lange sie im camp geforced werden, ständig ihre runden zu laufen. sie kommen also nach dem camp nachhause und sind wahrscheinlich für einen gewissen zeitraum weiterhin nett, lieb und teils einsichtig. doch letztlich fallen sie wieder in die einsame, hoffnungslose atmosphäre zurück. sie haben wieder viel zeit zum nachdenken und dank leeren geldbeutel keine möglichkeit, sich auf irgendeine art und weise mit anderen leuten auszulasten. bedeutet sie verlieren nach und nach wieder jeden bezug zu anderen personen und werden wieder aggressiv und letztlich rückfällig - das ist quasi vorprogrammiert.

ich könnte natürlich falsch liegen - doch psychologisch betrachtet scheint mir meine theorie doch recht logisch.


EDIT:

ich sehe also keinen großen sinn in diesen camps, obgleich es sein mag, dass somanche person nach dem camp nicht mehr (dokumentiert) rückfällig wird. WENN DIESE CAMPS ALSO EIN "MUSS" SIND, DANN SOLLTEN DIESE KIDS AUF ANDERE ARTEN AUSGELASTET WERDEN. VLLT DURCH EXTREME AUSLASTUNG MIT BERGWANDERUNGEN ODER ÄHNLICHES - ABER KEIN KS/KEINE KK.

Luggage
02-04-2012, 14:37
Du machst es dir viel zu einfach und siehst die Sachlage zu eindimensional. Diese Leute sind nicht einfach nur dumm und haben zuviel Zeit. Auch ist es nicht die bloße Auslastung, die sie auf andere Gedanken kommen läßt. Das sind vielgestaltige Mechanismen am werkeln und die kann man durchaus beeinflussen. Sicher sind Camps allein zu wenig, da muss regelmäßige Betreuung im Alltag her. Und sicher gibt es keine Garantien. Aber aus den von mir oben beschriebenen Gründen gibt es keine Alternative zu KS-Training - oder kannst du dir ein Rudel aufgestylter Ghetto-Assis beim wöchentlichen Bergwandern im Kreuzberger Hinterland vorstellen? Die Hinterhofboxbude scheint mir da realistischer...

Cillura
02-04-2012, 14:47
... oder kannst du dir ein Rudel aufgestylter Ghetto-Assis beim wöchentlichen Bergwandern im Kreuzberger Hinterland vorstellen? ...

:rofl:



@Topic: Ich denke ich kann mich Luggages Meinung anschließen. Man kann die Leute nur kriegen, wenn sie etwas haben, was sie nicht verlieren wollen. Etwas, wofür sie sich anstrengen und Herzblut investieren. (<-- Natürlich kann das auch ein anderer Sport sein). Den Gedanke finde ich jetzt erstmal nicht soo abwegig. Blöd ists nur, wenn sie dann nach dem Camp wieder in ihre alten Gewohnheiten hinein rutschen und sich von den alten Kumpels wieder mitziehen lassen. Naja, man kann halt nicht jeden "retten" :o

Blu3 3y3d hybr1d
02-04-2012, 14:53
Du machst es dir viel zu einfach und siehst die Sachlage zu eindimensional. Diese Leute sind nicht einfach nur dumm und haben zuviel Zeit. Auch ist es nicht die bloße Auslastung, die sie auf andere Gedanken kommen läßt. Das sind vielgestaltige Mechanismen am werkeln und die kann man durchaus beeinflussen. Sicher sind Camps allein zu wenig, da muss regelmäßige Betreuung im Alltag her. Und sicher gibt es keine Garantien. Aber aus den von mir oben beschriebenen Gründen gibt es keine Alternative zu KS-Training - oder kannst du dir ein Rudel aufgestylter Ghetto-Assis beim wöchentlichen Bergwandern im Kreuzberger Hinterland vorstellen? Die Hinterhofboxbude scheint mir da realistischer...

das ist natürlich ein interessanter punkt. du sprichst quasi unter anderem den aspekt "hobbypriorität" an. ein hobby kann einen menschen glücklich stimmen und da könnte KS-training natürlich ansprechender wirken als wanderungen, da sich die leute auch nach dem camp mit KS auseinandersetzen können. es gibt ab diesem punkt also etwas, das sie mit wahrem interesse verfolgen und lernen können (freizeitplanung).

ich habe im letzten kommentar ein wenig verallgemeinert - muss ich zugeben. es gibt natürlich viele variablen, welche man jedoch nicht nach einem bestimmten schema antasten kann.

wie stimmt man einen aggressiven jugendlichen glücklich, der in seiner kindheit regelmäßig das opfer häuslicher gewalt wurde und in seiner zukunft (wissend) das opfer der mangelnden bildung wird (keine gesellschaftliche priorität)?

klar denkt sich eine solche person, dass alles und jeder sch**** ist. wenn dann auch noch hinzukommt, dass diese person "anders aussieht" als der durchschnittsmensch und es an jeder ecke heißt, dass er "da hingehen soll wo er hergekommen ist" kann das natürlich auch in einem angriff enden. diese menschen haben nichts und werden nie etwas haben, wenn kein wunder ins spiel kommt - und das wissen sie.

mir gibt es zwar ein schlechtes bauchgefühl, doch ich schätze dass du irgendwo recht hast, was das training im camp betrifft. jedoch müssten diese leute auch, wie du es erwähnt hattest, nach den camps (zwangs)betreut werden. diese leute muss man manchmal zu ihrem glück zwingen. nicht dass es nach dem camp heißt "ach ne ich hab heut´ kein bock auf das event und versauere lieber im plattenbau"

Karateka94
02-04-2012, 15:00
Besonders durchs Karate habe ich gelernt, gewisse Sachen zu akzeptieren, und Fehler bei mir zu suchen. Früher hatte ich öfters Probleme, mich anderem zu fügen, heute sehe ich über Ärgernisse wie z.B. Verspätungen der Bahn o.ä. hinweg, ich weiß, dass ich einiges nicht ändern kann. Wenn etwas nicht klappt, weiß ich, dass der Fehler bei mir zuerst zu suchen ist. Wenn eine Technik nicht funktioniert, dann ist das ein Zeichen dafür, dass man sie noch nicht oft genug gemacht hat. Dafür ist man nur selbst verantwortlich.
Das liegt aber auch am Trainer. Meiner ist sehr freundlich, jedoch eine bestimmende Autorität, und auch wenn er etwas höflich sagt, ist es Anlass sich richtig reinzuhängen, seinen Wunsch zu erfüllen! Wenn man hingegen irgendeinen Fighter von der Straße auf die ohnehin schon verzogene, gewaltbereite Jugend loslässt, endet das meist mit Jugendknast.

Durakier
02-04-2012, 17:49
Blöd ists nur, wenn sie dann nach dem Camp wieder in ihre alten Gewohnheiten hinein rutschen und sich von den alten Kumpels wieder mitziehen lassen. Naja, man kann halt nicht jeden "retten"

Aber dort liegt dann doch der Hund begraben. Was passiert dann mit den neuerworbenen Faehigkeiten? Muss er die dann zurueckgeben?

Man bildet jemanden im Kampf aus, der sich gerne pruegelt, damit er sich nicht mehr pruegelt.

Irgendwie fehlt mir die Logik bei sowas.

Warum kann man diese Leute nicht in ein Rugby-Camp oder zum Handball schicken? Dort lernt man doch auch soziales Verhalten?

lucyinthesky
02-04-2012, 18:32
Ich glaube schon, dass Sport ein gutes Mittel ist, um Gewaltaggressionen sinnvoll umzulenken, zweifle aber daran, ob Kampfsport und Rugby das richtige dafür sind. Soziales Engagement in sozialen Einrichtungen und Training in gewaltfreier Kommunikation wären auch ein guter Ansatzpunkt.

Trinculo
02-04-2012, 18:46
P.S.: Allerheiligen und Panazeen haben zunächst nichts miteinander zu tun ;)

DeepPurple
03-04-2012, 06:23
Ich glaube schon, dass Sport ein gutes Mittel ist, um Gewaltaggressionen sinnvoll umzulenken, zweifle aber daran, ob Kampfsport und Rugby das richtige dafür sind. Soziales Engagement in sozialen Einrichtungen und Training in gewaltfreier Kommunikation wären auch ein guter Ansatzpunkt.

Gibts ja auch. Vor allem mit Leuten die sich nicht in Gruppen einfügen können, ist Mannschaftssport eine gute Wahl.

Kampfsport hat halt den besonderen Charme einer 1:1-Auseinandersetzung nach Regeln, die einen auch schützen, womit die Brücke zu den Regeln des täglichen Lebens geschlagen wird.
Zweitens ist es auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen Ängsten und Traumata, was ebenfalls therapeutische Wirkung hat (ohne eine solche zu ersetzen).

@Durakier
Die konnten vorher schon gut prügeln, jetzt lernen sie es nach Regeln, die auch sie schützen.

Sven K.
03-04-2012, 12:39
Kidz müssen motiviert werde, sonst hat nichts einen Sinn. Also müssen sie dort
abgeholt werden, wo sie gerade stehen. KK/KS hat nen "Coolness"-Faktor. #
Natürlich würde man die selben Dinge auch mit rhythmischer Sportgymnastik
erreichen. Da macht aber kein Kiddy mit.

Es geht um ganz andere Dinge als um KK/KS. Dies ist nur Mittel zum Zweck.

Ansonsten hat @Luggage schon alles wichtige gesagt. Wenn man keinen
Einblick hat, was und wie dort gearbeitet wird, sieht es schnell nach den
Klischees aus, die hier ja auch schon genannt wurden.

Wobei es natürlich auch "Institutionen" gibt, die gutes Geld damit verdienen
und fachlich nicht so kompetent sind. Die "versauen" oft auch das Image. ;)

clasher
03-04-2012, 13:08
Aber dort liegt dann doch der Hund begraben. Was passiert dann mit den neuerworbenen Faehigkeiten? Muss er die dann zurueckgeben?

Man bildet jemanden im Kampf aus, der sich gerne pruegelt, damit er sich nicht mehr pruegelt.

Irgendwie fehlt mir die Logik bei sowas.

Warum kann man diese Leute nicht in ein Rugby-Camp oder zum Handball schicken? Dort lernt man doch auch soziales Verhalten?

Es geht aber eben auch darum wann man sich prügelt.
Eben nur im Ring, mit bestimmten Regeln, mit Handschuhe.

Kampfsport soll ermöglichen, dass man sich auch "prügeln" darf und kann, aber eben nur in gesondertem Rahmen und wenn der Gegner/Partner das auch will.