Neues Regelwerk und olympisches Judo [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Eskrimador
31-07-2012, 11:15
Da meine Anfänge der Kampfkunst im Judo lagen, blieb ich immer Judo - interessiert.

Nach zwei Tagen intensiven Judo - schauens anlässlich der olympischen Spielen, kann ich nur sagen ...

das neue Regelwerk ist STINKLANWEILIG ...

Die meissten Kämpfe sind eintönig und ohne "Pfeffer".
Die ständigen Ermahnungen gehen mir auf den Zeiger und von einer vitalen Kampfkunst ist nur noch ein armselig kastrierter Rest an Kampfsport übrig geblieben.

Die Verantworlichen für dieses "neue" Regelwerk haben dem Judo auf alle Fälle keinen Gefallen getan.
Sensei Kanō Jigorō würde im Grab rotieren wie ein Propeller, könnte er noch mitbekommen was aus sein System wurde.

Jetzt liegen meine Hoffnungen auf den Tae Kwon Do - Wettkämpfen (obwohl ich mir dabei sicher bin, dass ich auch hier die Wettkämpfe aus Ärger über nicht vorhandene Deckungen, nicht vollständig anschauen werde).

Sollte jemand etwas GUTES über das neue Judoregelwerk zu berichten haben, wäre ich sehr neugierig wo denn die Vorteile liegen ...

Es muss ja einen triftigen Grund gegeben haben so einen Bockmist zu verzapfen.

:(

marq
31-07-2012, 12:19
erläutere dein misfallen mal genauer: was sollte denn deiner meineung nach erlaubt oder nicht erlaubt sein?

BenitoB.
31-07-2012, 12:55
nun ja, es gibt schon einige kritikpunkte. beinangriffe im stand nicht erlaubt. viel kraft-wenig technik (was sicher nicht nach kano ist) und der bodenkampf ist zeitlich stark limitiert. aber es ist ja auch judo und nicht bjj. mir gefallen die wettkämpfe,trotz der angesprochenen punkte, dennoch gut. mir machts spass zuzuschauen.

Underhook
31-07-2012, 13:01
komisch...also ich hatte jetzt nicht das gefühl, dass internationale judowettkämpfe (einschließlich london bisher) jetzt mehr oder weniger körperbetont sind als noch vor 10 jahren

marq
31-07-2012, 13:02
ich bin vorallem überrascht, dass relativ viel boden kampf möglich ist im gegensatz zu den olympiaden zuvor.

Eskrimador
31-07-2012, 13:06
In kurzen Worten ...

Zu viele verbotene Techniken, die esentieller Bestandteil des ursprünglichen Judos waren.

Z.B:

- Dojime (Beinscheren) ... verboten, völlig egal wo sie angesetzt werden.
- Lösen eines Griffes unter Zuhilfenahme von Bein oder Knie ... verboten.
- Hebel sind nahezu verschwunden ... gibt quasi nur noch eine einzige erlaubte Art zu hebeln über den Ellenbogen.
- Hebel in Verbindung mit einem Wurf (Gang und Gebe in jeder Aikido - Anfängergruppe) absolut unzulässig.
-Keine Kopfwürfe mehr zulässig, im Gegenteil, man darf nicht einmal mehr auch nur im Ansatz den Kopf manipulativ zur Würfunterstützung mit einbeziehen (somit Nelson und seine Variationen absolut verboten)

Viele traditionelle"Judo" Arm-/ Schleuderwürfe und Würgegriffe sind nicht mehr zulässig.

Allein schon das unterstützende Greifen nach dem Bein zur Einleitung / Vorbereitung eines Koshi - Guruma (Hüftrades) ist verboten (war mir vorher nicht bewusst, musste ich aber heute lernen).

Das Judo wurde von seinem genialen Erfinder u.A. auch für sportliche Wettkämpfe entwickelt.
Da haben (meiner bescheidener Meinung nach) andere Personen nach ca. 120 Jahren nicht dran zu rütteln und die Technikvielfalt zu beschneiden.

Ich hoffe diese Ausführungen von meinem Laienstatus aus reichen dir. :o
Einklemmen

Underhook
31-07-2012, 13:07
ich bin vorallem überrascht, dass relativ viel boden kampf möglich ist im gegensatz zu den olympiaden zuvor.

ja das ist auch meine beobachtung

Underhook
31-07-2012, 13:09
Allein schon das unterstützende Greifen nach dem Bein zur Einleitung / Vorbereitung eines Koshi - Guruma (Hüftrades) ist verboten (war mir vorher nicht bewusst, musste ich aber heute lernen).



das ist echt schade...

wenn du an der thematik interessiert bist kannst du mal die suchfunktion benutzen, die diskussionen gabs hier schön öfters

Eskrimador
31-07-2012, 13:13
Am erschreckensten für mich war die Erkenntnis, dass ich nun nach meinen Sambo - Jahren JEDEN offiziellen Judowettkampf sofort verlieren würde, da ich nach kürzester Zeit unwissentlich einen Disqualifikationsbestand erfüllt hätte.

:ups:

Sven K.
31-07-2012, 14:21
ich bin vorallem überrascht, dass relativ viel boden kampf möglich ist im gegensatz zu den olympiaden zuvor.

Ich auch. Habe sogar nen Armstreckhebel als Finish gesehen. Der Judoka hatte sogar die Zeit, sich den richtig zu erarbeiten. Fand ich gut. ;)

Phelan
31-07-2012, 15:04
Vorneweg sei gesagt, ich kenne mich nicht sonderlich mit Judo aus noch habe ich es je betrieben.
Was mir vor allem aber gestern missfallen hat:
Die meisten Kämpfe (auch Platz-Kämpfe) wurden durch "Fouls" entschieden.
Das fand ich schon sehr.. ja langweilig. Es ist ja nicht so, das die Judokas nicht anders könnten. Der Moderator hat das gestern recht gut auf den Punkt gebracht: "Die kennen sich ja alle, da will keiner was riskieren."
Ja sorry.. also es ist Olympia, da sollte man eben schon was riskieren!

Nur meine Meinung ,-)

gruß
Phelan

Ayur
31-07-2012, 15:26
Das Judo wurde von seinem genialen Erfinder u.A. auch für sportliche Wettkämpfe entwickelt.
Da haben (meiner bescheidener Meinung nach) andere Personen nach ca. 120 Jahren nicht dran zu rütteln und die Technikvielfalt zu beschneiden.

Die meisten Sachen, die du aufzählst hat Kano doch schon fürs Randori verboten? Was mich am meisten aufregt ist, dass so viele Yuko (bzw. Shido) kampfentscheidend sind... Kein Zeitlimit und nur Ippon als Sieg ;) Vielleicht würde es dann auch weniger kraftbetont, wenn man länger durchhalten müsste :)
Und nein, es wurde nicht für sportliche Wettkämpfe entwickelt und er wollte auch nicht, dass es olympisch wird, weil er es nicht als Sport gesehen hat.

Eskrimador
31-07-2012, 16:01
Berichtige mich bitte für den Fall eines Irrtums, aber soweit ich mich erinnere, bekam Kano nur durch einen sportlichen Vergleichswettkampf mit einer konkurierenden Schule das Recht eine eigene Judo - Schule zu betreiben (und seine Schüler gewannen fast alle Kämpfe überzeugend).

Und da dieses Judo noch zu seinen Lebzeiten sportliches Pflichtfach in den Schulen Japans wurde, kann man durchaus von einer gewollten sportlichen Note ausgehen.

Für den sportlichen Wettkampf entfernte Herr Kano lediglich potentiel tödliche Techniken und das Schlagen und Treten (was es in seinem Grundsystem jedoch noch gab).

Aber ich erhebe keinen Anspruch darauf, dass ich richtig liege (zumindest nach Wikipedia erinnere ich mich jedoch richtig .. jaja, schon klar, in Wiki steht auch viel Quatsch).

:cool:

Ayur
31-07-2012, 16:10
Berichtige mich bitte für den Fall eines Irrtums, aber soweit ich mich erinnere, bekam Kano nur durch einen sportlichen Vergleichswettkampf mit einer konkurierenden Schule das Recht eine eigene Judo - Schule zu betreiben (und seine Schüler gewannen fast alle Kämpfe überzeugend).
Klar gab es damals schon Wettkämpfe... Aber dafür hat er es sicher nicht geschaffen, sondern es ist ein Abfallprodukt davon...

Oder ist Eskrima auch für den Sport geschaffen, nur weil man sich damit bei Wettkämpfen kloppen kann? Finde ich eine schwache Argumentation.


Wenn man etwas macht, mit dem man sich gegenseitig messen kann werden die Leute es irgendwann dafür einsetzen.



Und da dieses Judo noch zu seinen Lebzeiten sportliches Pflichtfach in den Schulen Japans wurde, kann man durchaus von einer gewollten sportlichen Note ausgehen.

Und Sport hat was mit Wettkämpfen zu tun? Klar war ein großes Ziel von Kano die körperliche und geistige Weiterentwicklung - aber sicher kein Wettkampfsport...



Für den sportlichen Wettkampf entfernte Herr Kano lediglich potentiel tödliche Techniken und das Schlagen und Treten (was es in seinem Grundsystem jedoch noch gab).
Nicht nur potenziell tödliche Techniken - Fußhebel sind doch auch zB weg oder?
Kano (bzw. der Kodokan) hat auch (später) verboten, dass so Sachen wie der Guardpull möglich sind. Es gibt doch genügend Texte von Kano, die seine Meinung zum Thema Judo und "Sport" bzw. Wettkampfsport klar machen.
Und ja, Atemi gibt es in Kata usw. Und das hauptsächlich für das Randori, also zum Training von Judo.

the5ilence
31-07-2012, 16:11
Hmm... also ich finde die Kämpfe in Olympia die ich gesehen habe doch schon vielfältiger als erwartet. War eigentlich davon ausgegangen, dass es garkeinen Bodenkampf im olympischen Judo gibt, hab dann aber nicht nur Regelmäßig arbeiten um die Position, sondern auch mehrere Beendigungen am Boden gesehen (Hebel/Würger) sehr schick :-)

Was den Standkampf angeht, habe ich auch nicht das Gefühl, dass es das einschränkende Regelwerk ist, was viele Kämpfe so Langweilig macht... Wenn beide Gegner sich gegenseitig nur blockieren und dann mit total abwegigen Ansätzen auf nen halben Punkt hoffen, werden die zurecht verwarnt. Ich glaube das liegt eher an der Mentalität von vielen Kämpfern die da antreten - das Regelwerk verbietet dir nicht mit voller Überzeugung in irgendeinen von 60!? Würfen rein zu gehen?

Und solang ich im Stand meistens nur 2 Ansätze und soviel steifes blockieren und sich auf alle Viere fallen lassen sehe, kann ich nur hoffen, dass sie solche Leute weiter abstrafen und Aktivität belohnen... Gab ja auch ein paar Kämpfe da liefs anders - die waren im gleichen Regelwerk um Klassen interessanter - nach meinem Gefühl viele der Frauen-Kämpfe...

Ayur
31-07-2012, 16:14
Was den Standkampf angeht, habe ich auch nicht das Gefühl, dass es das einschränkende Regelwerk ist, was viele Kämpfe so Langweilig macht... Wenn beide Gegner sich gegenseitig nur blockieren und dann mit total abwegigen Ansätzen auf nen halben Punkt hoffen, werden die zurecht verwarnt. Ich glaube das liegt eher an der Mentalität von vielen Kämpfern die da antreten - das Regelwerk verbietet dir nicht mit voller Überzeugung in irgendeinen von 60!? Würfen rein zu gehen?
Klar ist es das Regelwerk, denn wenn es effektiver ist 5 Minuten um den Griff zu kämpfen und zu hoffen, dass der Andere 2 Passivitätsstrafen bekommt, dann wird das kein intelligenter Wettkämpfer anders machen - vor allem, wenn er nicht gut genug ist es anders zu machen.

Edit: Und Passivität am Boden sollte richtig bestraft werden... Dieses blöde in der Bank- oder Bauchlage auf den KR warten ist einfach nervig...

Eskrimador
31-07-2012, 16:41
Was die Unterschiede von älterem Judo und dem aktuellen olympischen Judo ausmacht, kann man im direkten Vergleich mit dieser alten Zusammenfassung von 2004 recht gut ausmachen:

http://www.youtube.com/watch?v=-y5GeF8tEHo

Eine große Anzahl der aggressiven Würfe und auch einige Bodenlösungen mit hoher Wertung würden nach der Regeländerung zum Ausschluß des Kämpfers führen.

Sanguinius
31-07-2012, 16:55
So hatte ich das Judo in Erinnerung.
Ist ja doch schon ein Weilchen her, dass ich Judo trainiert habe.

Das was ich gestern und heute an Wettkämpfen gesehen habe sieht irgendwie anders aus. Für mich persönlich eher langweilig.
Man versucht die meiste Zeit den Gegner zu sperren und hofft, so kam es mir vor, dass man eine Wertung erhält, weil der Gegner eine Strafe bekommt.

An Wurftechniken habe ich z.B. gar nichts gesehen, auch keine wirklichen Ansätze.


Mfg. Sanguinius

Hug n' Roll
01-08-2012, 07:34
Ohne auf die Geschichte der "Verschlimmbesserung" des Jûdô eingehen zu wollen nur mal ein paar Eindrücke der letzten Tage:


- Das Ausscheiden von Sabrina Filzmoser im 1/4-Finale gegen Automne Pavia bei den Damen -57 kg mit Hansokumake (direkter Disqualifikation) war eine Darstellung der Regeländerung (Verbot des Beingreifens) in ihrer ganzen Absurdität.

- Der Weg von Ole Bischof ins Finale hat gezeigt, daß man trotz extremer Limitierung der Bodenarbeit sich trotzdem noch lohnend darauf spezialisieren kann.

- M.E. hat Travis Stevens (ich glaube im Kampf vs. Guilheiro) -81 kg zwischendurch sogar mal mit Guillotine-Choke gewonnen, wobei ich mir nicht mal sicher bin, ob der in der Form (quasi gyaku hadaka jime) vor 20 Jahren erlaubt war....


Alles in allem glotze ich quasi alle Kämpfe und finde das mitunter auch spannend (obwohl mir gute Bodenarbeit natürlich schmerzlich abgeht....). Allerdings sehe ich medientechnisch (und für die Zuschauer sollen die ganzen Änderungen ja angeblich stattgefunden haben, oder?) keinerlei Fortschritt zur Situation vor 20 Jahren. Nur zu den blauen Anzügen (da war ich am Anfang schon aus Prinzip auch dagegen) muß ich sagen, daß die schon optisch helfen.

Eskrimador
01-08-2012, 08:08
Genau das ist es ... Judo hat alleine schon rein optisch sehr viel Attraktivität verloren.

Noch mal Vergleich, der von den Techniken her genauso unter der Überschrift "klassisches Judo" hätte stattfinden können.
Nur handelt es sich halt um sportliches Sambo.
Aber da findet alles das statt was (meiner Meinung nach) nun dem Judo fehlt.

2010 EU Sambo Final : Rybak vs Volkov - YouTube (http://www.youtube.com/watch?v=1c2dDAHI4i8)

Kein 5 minütiges Gezerre und Sperren auf der Suche nach dem EINEN Griff, sondern eine stetige dynamische Entwicklung.
Wenn sich hier ein Gegner halbherzig rein des optischen Eindrucks wegen vor einem Gegener auf alle Viere werfen würde, müsste er mit der sich daraus entwickelnden Bodensitution klar kommen .... das alleine verhindert 60% der extrem unschönen und langweiligen Kampfsituationen (die ich in den letzten drei Tagen sehen musste).

Bevor jetzt einer sagt ... das sind ja auch die schweren Klopse ... ok hier ein Link bei dem alles dabei ist ... von klein bis schwer und auch Frauen.

European Sambo Championship 2012, Moscow. Day 3. Finals. - YouTube (http://www.youtube.com/watch?v=VzVCt5Uhd1g)

Das soll jetzt keine Werbung für Sambo sein, ich komme nur aus dem Beritt und kenne mich da aus ... ich bin sicher vergleichbare interessante Wettkämpfe gibt es auch aus dem BJJ.

Die Besonderheit bei den Sambo - Wettkämpfen ist halt, dass sich das Sambo zum großen Teil aus dem Judo entwickelte und gerade die Sambo - Wettbewerbe aus 80% Judotechniken bestehen und lediglich der kleine Rest dem Ringen entliehen wurde (ich schreibe jetzt hier nur vom Sambo - Ringen und nicht vom Combat - Sambo).