PDA

Vollständige Version anzeigen : Handwechsel im Scheibendolch?



Jadetiger
11-01-2013, 09:52
Nach wie vor ist mein Wissen über den mittelalterlichen "Dosenöffner" recht begrenzt.
Als Messerfechter kommen da Fragen auf wie "Warum zum Geier wird das Ding so oft im Icepickgriff gehalten?". Außer die größere Kraft hat diese Haltung einfach nur Nachteile.

Das will ich hier aber garnicht diskutieren. Was mich interessiert ist, gibt es Tipps in der historischen Literatur, wie man von Icepick zu Hammergriff wechselt? Ich stelle mir das beim Scheibendolch recht problematisch vor.

Gibt es eigentlich auch Stücke, in denen der Dolch von einer Hand in die andere übergeben wird? Gerade in ringerischen Situationen kann das ja sehr vorteilhaft sein.

Fechtergruß,
Jadetiger

ThomasL
11-01-2013, 11:19
Mir fällt auf die Schnelle nur ein Stück ein, wo dies gemacht wird. Findet sich in Thal1467. Detailierte Tips wie die Übergabe gemacht wird, wirst Du aber kaum finden.
Kurz zum Thema "Icepickgriff". Die Frage aus Sicht eines "Messerfechters" kommt von der Fixierung auf Messerduelle. Gerade in der Nahdistanz bzw. SV Situationen (der andere will nicht kämpfen - wie im Duell - sondern Dich schlichtweg abstechen, hört sich nach dem gleichen an, ist aber etwas anderes) hat dieser Griff aber durchaus auch einige Vorteile. Im Rüstungskampf sogar noch mehr.

Wo bist Du her? Eventuell könnte man sich mal treffen, da lässt sich das besser verdeutlichen / zeigen.

itto_ryu
11-01-2013, 12:17
Beim schottischen Dirk, dessen Herkunft ja in mittelalterlichen Dolchen zu finden ist, wechseln wir ja häufiger vom Messer- in den Dolchgriff, es kommt auf die Situation drauf an. Dazu gibt es schottischerseits keinen Hinweis, aber zum Dirk ja ohnehin nur wenig, daher ist das reine Übungssache innerhalb der von uns benutzten Guards den Griff zu wechseln. Im Laufe der Zeit ist das reine Gewöhnung.

Was Vor- und Nachteile von Messer- oder Dolchgriff anbelangt, also wir machen mit dem Dirk die Technikkonzepte im Grunde genommen gleichwertig mit jeder Griffart. Beides hat seine Vorzüge bei bestimmten Situationen. Beim Dirk spielt noch eine Rolle, dass er wie ein Bowiemesser eine scharfe Schneide hat und auch als Werkzeug im Einsatz war, so dass man Schnitte wie mit einem Kurzschwert anbringe kann. Messer- und Dolchgriff sind bei uns daher ca. 50/50 im Einsatz. Allerdings, auch mit kurzen Klingen bietet der Messerkampf im Dolchgriff nicht einfach nur Nachtiele, im Duellmodus sicherlich, in der Sv keineswegs. Persönlich nötige ich mich dazu auch immer gegen die blitzschnellen FMAler im Sparringsmodus bei meiner "Dirk-Denke" zu bleiben, ein rein-raus zu vermeiden, sondern das Binden und rein-rein-rein und immer wieder rein-rein mit der Klinge. Da wir hauptsächlich mit dem Broadsword unterwegs sind, habe ich aber kein Problem ganz "fechterisch" ranzugehen, wenn es sein muss und per "strike & fly out" zu arbeiten, was dann natürlich im Messergriff geschieht.

Tendentiell wurde der Dirk an der rechten Hüfte getragen und mit rechts gezogen, nichts spricht dagegen ihn auch im Messergriff von dort aus zu ziehen, aber der Dolchgriff ist schneller. Man muss zudem bedenken, dass der Dirk, ebenso wie der Scheibendolch, eine Waffe für Krieg und SV ist, keine Duellwaffe, d.h. der Kampf findet auf engstem Raum statt. Beim Scheibendolch kann man zudem mehr Wucht im geharnischten Kampf entwickeln und die ganzen netten Hebeleien sind damit natürlich fein zu machen, denn das Ringen spielt im Dolchkampf eine große Rolle. Von der Rechten in die Linke wechseln wir nur, wenn dies im Clinch oder Bodenkampf erforderlich wird.

Dazu diese beiden Topics als Empfehlung:
http://www.kampfkunst-board.info/forum/f65/power-of-reverse-hema-dagger-152590/

http://www.kampfkunst-board.info/forum/f65/highland-broadsword-122393/index12.html#post2936372

jimmy-13
11-01-2013, 15:46
. Beim Scheibendolch kann man zudem mehr Wucht im geharnischten Kampf entwickeln und die ganzen netten Hebeleien sind damit natürlich fein zu machen, denn das Ringen spielt im Dolchkampf eine große Rolle. Von der Rechten in die Linke wechseln wir nur, wenn dies im Clinch oder Bodenkampf erforderlich wird.

Sehe ich auch so.

Also meiner Meinung nach spielt sich das Dolchringen so wie sie im Fechtbuch stehen eigentlich nur im Harnisch ab.

@Thomas
wenn Jadetiger der Messerfuchtler ist, den ich beim NBL kennenlernen durfte, isser einer der Guten und noch viel weiter von dir weg, wie ich:D:D
Btw gehst du zu Hendriks meet the East Messern?

Da ich mit Harnisch nicht mehr soviel mache, und mich die Dolchgeschichten da nie fasziniert haben (weswegen ich ja auch Messerfuchteln mache), kann ich dir leider auch nix weiter sagen, aber evtl schaue ich mir am WE mal ein paar Sachen an.....
.....glaub bei Fiore war da auch noch was drüber.......

Naja und im Harnisch isses halt ne Nebenwaffe und wenn ich da ringe, dann ringe ich erstmal den anderen zu Boden - meist dann ohne Waffe.
First Position, then submission!
Vor kleineren Sachen schützt ja eh die Rüstung und das Schwert ist dann in der Clinch/Nahdistanz nicht mehr optimal.
Und wie steht es nochmal im Buch, halte seine Hand fest und ziehe dann seinen Dolch und steche ihn ab, oder so ähnlich :D

T. Stoeppler
11-01-2013, 16:55
Hi,



Als Messerfechter kommen da Fragen auf wie "Warum zum Geier wird das Ding so oft im Icepickgriff gehalten?". Außer die größere Kraft hat diese Haltung einfach nur Nachteile.


Auch wenn das "eigentlich" nicht Thema sein soll - Der Scheibendolch ist eine Waffe speziell gegen Körperpanzerungen. Die Distanz, in der er eingesetzt wird, ist *überwiegend* ideal für den Eispickel-Griff. Der Hammergriff kommt aber auch regelmässig vor, ich würde mal sagen, die Griffarten werden so grob halbe-halbe behandelt.

Als Übungsmethode für Abwehrtechniken wird natürlich der Standard-Angriff am meisten behandelt. Und der ist, im Affekt, nahezu immer im Eispickel-Griff. Daher sieht man den auch sehr oft.



Was mich interessiert ist, gibt es Tipps in der historischen Literatur, wie man von Icepick zu Hammergriff wechselt? Ich stelle mir das beim Scheibendolch recht problematisch vor.


Nein, dazu ist mir keine Anleitung bekannt.



Gibt es eigentlich auch Stücke, in denen der Dolch von einer Hand in die andere übergeben wird? Gerade in ringerischen Situationen kann das ja sehr vorteilhaft sein.


Das ist keine gängige Praxis. Also ein Stück im Talhoffer (ich glaube, das meinte der ThomasL) behält den Dolch hinter dem Rücken und kann sowohl mit links als auch mit rechts stechen (das vorwiegend übrigens im Hammer-griff)

Ansonsten fällt mir auf die Schnelle nichts ein. Vielleicht ist im PH-Mair noch eins zu finden.
Jedenfalls ist ein Handwechsel für das Einsatzgebiet dieser Waffe nicht sonderlich praktikabel, bzw wenn, dann muss man das selbst improvisieren.

Gruss, Thomas

Richard22
11-01-2013, 17:42
Talhoffer benutzt im "München" 1467 ein einfaches Raumdeckungskonzept. Bei den oberen Blöße gibt es vier Methoden - eine davon ist der Schild.

Greifst Du also, die oberen Blößen decken, den Scheibendolch mit der Ort am kleine Finger, so kannst du den Schild machen, also die linke Hand das Blatt greifen lassen, und du kannst den Griff wechseln, zum Ort über dem Daumen.

Wenn man flinkt ist kann man auch einhändig den Griff wechseln, dazu muß nur ein Finger unter das Gehilz gehackt werden - aber das ist nichts für den Ernst, wo allerlei Gefahren lauern können.

Talhoffer schlägt mit dem Blatt (einhändig und zweihändig im Schild) und sticht mit dem Ort. Darin liegt die Stärke der Waffe gegen anderen Kurzwaffen.

Die meisten Stücke gehen ins Ringen am Scheibendolch, reines Stechen ist vorhanden, aber eher selten. Harnische kann man nicht durchstechen (schon gar keine gehärteten Platten), ader der Eingang ins Ringen ist eine übliche Vorgehensweise gegen Harnischträger.

Technisch hat Talhoffers Scheibendolchfechten eine Menge Schnittmengen mit dem Halbschwert, sehr wenige mit modernem Messerkampf.

Fechtergruß

roberto
11-01-2013, 19:05
Der "Icepickgriff" bietet viele Vorteile im Nahkampf. Es wäre unklug, diese Methodik nicht zu trainieren. In vielen italienischen Schulen ist er ein Standardelement; wir fangen lediglich nicht damit an; aber der Icepickgriff gehört selbstverständlich zum Curriculum.

LG,

R.

Richard22
12-01-2013, 09:17
Ort über dem kleinen Finger - "Eispickelgriff" ist der Standardgriff bei Talhoffer.

Im langen Schwert entspricht der dem Ochsen, den Talhoffer dem Pflug (wenn man so will der "Hammergriff", Ort über dem Daumen) durchaus vorzieht.

Der Zweifelgriff, also beide Hände hinter dem Rücken, ist bei Talhoffer die Möglichkeit links oder rechts oder Ort über kleinem Finger auf Ort über Daumen zu wechseln - bei der Preisgabe der eigenen Raumdeckung. Das ist also ein Spezialfall.

Was Talhoffer explizit bebildert ist eine Schrittarbeit, die in Gegners Außenort führt, also den Raum, der nicht die geradlinge Verbindung zwischen den Körpern der beiden Fechter ist.

Talhoffer führt im Scheibendolch auch Kreuzschritte aus. Diese nennt das 322a7 im Tel des langen Messers die "Schildtritte. Möglich, das es hier einen taktischen Zusammenhang gibt, das Umgehen des Schildes.

Fechtergruß

ThomasL
14-01-2013, 12:01
jimmy-13
@Thomas
wenn Jadetiger der Messerfuchtler ist, den ich beim NBL kennenlernen
durfte, isser einer der Guten und noch viel weiter von dir weg, wie ich

Schade, persönlicher Austausch ist doch immer am Besten. Erst recht wenn er einer "der Guten" ist (falls er aus Lindau/Bodensee ist bitte kurze PM - da bin ich in Kürze auf Dienstreise, d.h. dann wäre ein Austausch möglich).



jimmy-13
Btw gehst du zu Hendriks meet the East Messern?

Aber sicher doch. Nachdem ich jetzt so oft im Osten zum Training war, nütze ich es aus wenn der Osten mal in meine Nähe kommt ;-). Du auch? Da kann man sich vielleicht mal wieder treffen (wörtlich gemeint ;-)).

Jadetiger
14-01-2013, 18:43
Wow, danke für die vielen interessanten Infos!

@ThomasL

Die Frage aus Sicht eines "Messerfechters" kommt von der Fixierung auf Messerduelle.Völlig richtig! :D

Ich wohne in München (-> Monaco di baviera ;) )

ThomasL
15-01-2013, 22:07
Schade. Hatte das mit dem bayrischen Monaco gelesen, war mir aber nicht sicher was damit gemeint ist (obwohl ich letztes Jahr zweimal in München war und dies vermutlich Allgemeinwissen ist - Schande über mich, sollte man wahrscheinlich wissen aber ich bin halt nur ein Frankenpatriot ;-)).



ThomasL

Zitat:
Zitat von ThomasL
Die Frage aus Sicht eines "Messerfechters" kommt von der Fixierung auf Messerduelle.

Jadetiger antwortete
Völlig richtig!

Ich weiß ;-), kommt daher, dass ich mich bei den ersten Blicken in die Fechtbücher auch fragte was das mit dem Icepickelgriff soll. Ich komme halt auch vom Escrima / Messerfechten. Mal sehen, vielleicht schaffe ich es dieses Jahr dienstlich auch mal wieder nach München, jetzt liege ich erstmal in Lindau im Hotel und suche noch nach jemand der dort für morgen oder übermorgen jemand zum Training sucht.

Althalus
16-01-2013, 07:26
dass ich mich bei den ersten Blicken in die Fechtbücher auch fragte was das mit dem Icepickelgriff soll.
Was man vielleicht noch erwähnen sollte: Scheibendolche schneiden im Allgemeinen nicht. Die sind spitz und steif, also ideal zum Stechen, aber eben keine schneidenden Waffen.

Was die Messerfechter verwenden, sind aber eben scharfe Klingen.

Den Unterschied sehen wir z.B. bei Marozzo, der den Pugnale (schneidend) analog zum Schwert verwendet, während mit dem Stiletto (Stich) mit Icepickgriff und Ringen gearbeitet wird.

roberto
16-01-2013, 08:03
Was die Messerfechter verwenden, sind aber eben scharfe Klingen.

Das ist nur bedingt richtig, da es nicht auf jede Schule zutrifft:
Die apulische Galeotta wie auch die Carcerata (der Name zweier Methodiken innerhalb eines Systems) sind z. B. auch dahingehend aufgebaut, mit reinen Stichwaffen(Schraubenzieher, Scheren, Stifte bzw. selbstgebastelte Waffen) zu kämpfen, da diese Methodiken ihre Anwendungen in den Strafanstalten Süditaliens fanden. Und auch hier spricht man natürlich nicht von Duell, vielmehr von Verteidigung.

LG,

R.

Althalus
16-01-2013, 09:56
Ah, danke Roberto, das scheint also analog zu den Bolognesern zu sein, in dieser Hinsicht. Auch der Unterschied zwischen Duell und SV.

roberto
16-01-2013, 10:27
Ah, danke Roberto, das scheint also analog zu den Bolognesern zu sein, in dieser Hinsicht. Auch der Unterschied zwischen Duell und SV.

Es ist reiner Mythos, dass die ital. Schulen primär Duellschulen seien. Im Grunde gab es Duelle nahezu nur innerhalb der sog. Ehrenwerten Gesellschaften, und sie waren meist nicht tödlich; es waren Konventionsduelle. Darum hatte (und hat heute noch vor allem auf Sizilien) jede Schule der Syndikate zwei Lehrwege - Duell (da saala) und SV (da strada). Der kampf auf der Straße zum Schutze des Lebens wurde demanch immer - auch in den Clans der Unterwelt - geübt.

Zudem gab und gibt es auch die reinen Schulen der Verteidigung, die keinerlei Duellkonvention kennen und auch nicht den Synakaten entstammen. Man findet z. B. in einer dieser Schulen auch viele Ähnlichkeiten zum Dolch nach Meyer (fragt ruhig mal bei Jörg Bellinghausen nach), wie auchunser Langstock dem historisch Zweihänder sehr nahe kommt (sehr nah zu Fiore dei Liberi z. B.).

Mit den Schlagworten Mafia, Camorra und `Ndrangheta lässt sich halt mehr Mythos erzielen, mehr Umsatz machen. Aber kultur-historisch bewegt sich das ital. Messer auf den Spuren des historischen europ. Fechtens, mit natürlich beiden Wegen des Kampfes: Duell UND Selbstwehr.

LG,

R.

Althalus
16-01-2013, 13:30
Roberto, du hast mich da, glaube ich, missverstanden. Das mit dem Duell weiß ich doch - ich meinte, dass sich dein Einwand eben mit Marozzo deckt, der die reine Stichwaffe auch nur im SV-Kontext zeigt, nicht als Duellwaffe.

Wenn man genauer drauf eingehen würde, müsste man ja die Pugnale-Techniken auch wieder unterscheiden: Pugnale solo als Duellmethodik, Pugnale e Cappa als SV-Variante. ;)

roberto
16-01-2013, 14:18
Roberto, du hast mich da, glaube ich, missverstanden. Das mit dem Duell weiß ich doch - ich meinte, dass sich dein Einwand eben mit Marozzo deckt, der die reine Stichwaffe auch nur im SV-Kontext zeigt, nicht als Duellwaffe.

Stimmt, absolut deckungsgleich.

Jadetiger
17-01-2013, 17:16
Mit den Schlagworten Mafia, Camorra und `Ndrangheta lässt sich halt mehr Mythos erzielen, mehr Umsatz machen. Aber kultur-historisch bewegt sich das ital. Messer auf den Spuren des historischen europ. Fechtens, mit natürlich beiden Wegen des Kampfes: Duell UND Selbstwehr. :halbyeaha