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Vollständige Version anzeigen : Chinesisches Schwertfechten / Interpretationen



Richard22
17-03-2013, 10:59
***Edit: Der Thread war ein Kommentar zum Schwertfecht-Lehrgang im Eventforum. Natürlich wird im Eventforum nicht über Inhalte diskutiert. Es dient dazu, Events anzuzeigen. Diskussion über fachliche Inhalte bitte nur im entsprechenden Hauptforum. Thomas***

Edit - Bezug:
Hier ein Video aus unserem Unterricht:
http://www.youtube.com/watch?v=cdW4OPdjJN4&feature=youtu.be

Hier ein Video mit Cheng Man Ching
http://www.youtube.com/watch?v=DwFTHa_TtlE&feature=youtu.be


Die gezeigte Technik ist leider fahrlässig gefährlich und würde zu sofortigen Treffer am ausführenden Fechter führen. Ihr müßt das Band generell auf Überkopfhöhe und Körperaußenseite führen, oder eben eine Seitschritt ausführen - alles anderes führt zu sofortigen Treffer mit z.B. einem Sturz oder Überschnitt. Es reicht dazu, daß einer der Fechter stolpert.

Das ist ja gerade der Übungsinhalt vom zweiten Kreis, er beginnt im Inneraum/Innenort, geht an die Grenze zum Innen und Außen/ Innenort und Außenort und greift dann wieder innen an.

Ihr solltet Fechtmasken Tragen - Augen und Zähne sind schnell entfernt, die Verantwortung im Falle eines solchen Unfalls trägt ganz klar der Unterrichtsleiter - weil die Übung eben fahrlässig gefährlich ist. Ich würde mir so etwas nicht antun. Oder aber ihr verwendet Holzübungswaffen. Ansonsten wird keine Form von Versicherungschutz bestehen.

Nur weil man glaubt die Übungen seinen weich heißt das noch lage nicht das selbst stumpfe Übungswaffen aus Stahl ungefährlich sind.

Generell ist es aber schön, daß sich jemand um das Jian kümmert.

Kleben heißt überdies, daß sich der Bindungspunkt nicht verändert. Zhan (Anhaften) und Kleben (Nian) sind auch nicht dasselbe, auch wenn sie heute zusammengeworfen werden. Meiner Erinnerung nach ist der erste Verfasser, der Nian, Kleben, erwähnt Yu Da-You (1503–1579), auf sein Jian Kompendium geht so gut wie alles Jian Fechten zurück, das heute bekannt ist.

Fechtergruß

wudangjian
17-03-2013, 12:06
Hallo Richard,

vielen Dank für dein Feedback.

Die Klebende Schwerterübung hat erst einmal grundsätzlich mit realen Anwendung "nichts gemein" ... bzw. eine andere Funktion, andere Ziele. Hier geht es zum einem - wie du schon erwähntest - zu lernen die Mitte / den Punkt zu halten (wie und wo setzte ich die Technik an...) und zum anderen besonders ein Gefühl für den Druck des Angriffs und des Übernehmens und des Weiterleitens zu erfahren ... Körperarbeit (aufnehmen, abgeben, )...

Bei der Technik handelt es sich hier um Yun - Wolkenschwert. In der Kampf-Anwendung wird - wie du auch schon erwähntest – oben aufgenommen/weitergeleitet und unten (dabei zur Seite raus/Gegner unterlaufen) angegriffen...

Insgesamt versuche ich "Grundtechniken" meisten in verschiedenen Modi zu unterrichten, damit ein tieferes Verständnis für Do´s and Don´ts zu entwickeln...

Beim Thema Trainingssicherheit bin ich auch ganz bei Dir! Normalerweise üben wir Anwendungen meistens mit Larp-Jians und haben eine Schutzbrille auf... Bei Vollkontakt-Sparring sieht der Schutz dann nochmals anders aus...

Viele Grüße
Frank

Richard22
17-03-2013, 12:09
Super - Stahlwaffen, auch stumpfe Übungswaffen, sind eben immer gefährlich.

Aber, Frank, alle Fechtübungen mit dem Jian sind - historisch - auf die reine Anwendung ausgelegt. Worauf sollten sie sonst ausgelegt sein?

Fechtergruß

Klaus
17-03-2013, 15:13
Ich würde da bei Stahlwaffen oder überhaupt starren Waffen empfehlen, zumindest eine Fechtmaske zu tragen, besser noch einen Halsschutz.

wudangjian
17-03-2013, 15:59
Aber, Frank, alle Fechtübungen mit dem Jian sind - historisch - auf die reine Anwendung ausgelegt. Worauf sollten sie sonst ausgelegt sein?

Fechtergruß

Ist das eine Fangfrage? Ich kenne da ähnliche Diskussionen hier ... ;-)
Ich bin da aber bei Dir.

Nun, man könnte aber auch schauen aus welchen Motive die Menschen Kampfkunst /Schwertfechten praktizieren möchten... Einige möchten es 100% authentisch, manche Daoisten sogar bei spirituellen Zeremonien, andere um ein bissl fun zu haben um sich beim LARP zu verbessern, einige Taichiler sogar um die Körperarbeit zu verbessern, Selbstkultivierung, ... wie dem auch sei – das muss jeder für sich selbst wissen! ;-)

Ich persönlich versuche das Thema für mich "ganzheitlich" zu erfassen (Körper-/Strukturarbeit, Kraftumsetzung, Technik, effektive Anwendungen, etc) ... um ggfls so auch unterschiedlichen Leuten einen Einstiegspunkt bieten zu können und vielleicht dann auch wiederum für andere Aspekte der chinesischen Schwertfechtkunst begeistern zu können...

wudangjian
17-03-2013, 17:50
Kleben heißt überdies, daß sich der Bindungspunkt nicht verändert. Zhan (Anhaften) und Kleben (Nian) sind auch nicht dasselbe, auch wenn sie heute zusammengeworfen werden. Meiner Erinnerung nach ist der erste Verfasser, der Nian, Kleben, erwähnt Yu Da-You (1503–1579), auf sein Jian Kompendium geht so gut wie alles Jian Fechten zurück, das heute bekannt ist.
Fechtergruß

Klebende Schwerter hat sich da irgendwie als Bezeichnung etabliert. Und die ganzen Schwertschlüssel / Bezeichnungen der Prinzipien gilt es auch erst mal in den richtigen Kontext zu "rekonstruieren"... Ein grosses Missverständnis ist es oft auch, das die Schwerter bei der Übung permanent aneinander haften/kleben.. Dabei ist dieses Haften ja eher ein kurzes Kontrollieren / Manipulieren um einen "Bindungspunkt" ohne viel Druck aus zu üben, um dann wieder losgelöst anzugreifen...

Dieses Yu Da-You Jian-Kompendium - gibts das noch irgendwo am besten übersetzt? :-)

Xiao Long
17-03-2013, 18:56
Hier ist z. B. etwas, aber nicht übersetzt :)

¼C¸g (http://www.cos.url.tw/fight/stick.htm)
¼C¸g¥þ¤å»P¹Ï (http://kendo9.com/newpage301.htm)

Klaus
17-03-2013, 20:59
Als kleiner Tipp, Jian gegen Jian wäre früher extrem selten vorgekommen um aus sowas eine zentrale Übung "für den Kampf" zu machen. Jian gegen alles mögliche was lang ist, also Speer, usw., eher. Sollte man jetzt nicht als Zentrum eigenen Überlebens empfinden, sondern als historisch.

Richard22
18-03-2013, 20:14
Yu Da-You habe ich in Englisch übersetzt gekauft - das sind hunderte von Stücken für das Jian am Gun erklärt. Insofern hat Klaus recht, daß Jian ist eine Allzweckwaffe, die große Ähnlichkeiten mit dem Qiang hat.

Du solltest, wenn vom Yang Stil kommend, Dir unbedingt die Chen Ausgabe aneignen. Erst mit beiden sollte man sich ein möglichst stilfreies Bild machen.

Waffen sind generell im Taiji eine massive Erweiterung, ist doch der gefühlte Bindungspunkt nicht der tatsächliche Bindungspunkt - sozusagen eine Abstraktion des Fühlens. You Da-You erwähnt am Gun das Wort Nian, bei einem Kompendium über das Jian. Auch benutzt er, meines Wissens nach, als Erster das Wort Lü als Streichen - genauso wie heute noch im Taiji.

Die nächste Frage ist die Frage nach der Verwendung des Schilds oder eines zweiten Jians. Die fünf klassischen Waffen sind: Schild, Speer, Dao, Axt und Bogen. Der Jian fällt da unter den Speer.

Zhan und Nian zusammenzuwerfen ist ein Unding. Nian erwähnt Yu Da-You, meiner Erinnerung nach, als Erster. Zhan ist Anhaften/Vorschieben, Nian ist Kleben/ im Band bleiben.

Der Reibungskoeffizient von Stahl ist in der Haftreibung von dem der Gleitreibung unterschiedlich - gleitet das Band, dann ist in der Regel jedes Kontrolle verloren.

Fechtergruß

T. Stoeppler
18-03-2013, 21:01
Ich habe hier noch eine Demo von Jason Tsou - der hatte mal ein reines Anwendungs-Video, das finde ich aber grad nicht mehr online. Ist schon ein paar Jahre her, ich fand das ziemlich gut.

Jedenfalls hat man hier auf der Demo das Repertoire des Kun Wu Jians ganz hübsch drin.

Traditional Chinese sword fighting with Sifu Jason Tsou - YouTube (http://www.youtube.com/watch?v=qDpmwUyHVs0)

Gruss, Thomas

Richard22
19-03-2013, 07:39
Schönes Video - ist aber klar Daofechten, also Fechten mit Hieb und Schnitt im Vordergrund.

Punkthieb und Stoß sind eher charakteristisch für das Jian, denke ich.

Fechtergruß

T. Stoeppler
19-03-2013, 07:50
Hallo Richard,

Das ist glaube ich nur der Demo bzw der Sicherheit geschuldet... alle Ansätze von Schlagen und Punktieren sind da schon drin - der Tsou macht die oft, ist aber ausserhalb der Mensur.

Es gab mal ein Anwendungsvideo von ihm (ich glaube, es ist nicht mehr online) und das hat mir sehr gefallen... IMHO das einzige wirklich brauchbare (im Sinne der Ernstfalltauglichkeit) Anwendungsvideo zum Jian was ich überhaupt gesehen habe.


Gruss, Thomas

Ronny Wolf
19-03-2013, 13:11
Ich finde, Ismet Himmet hat es mal in einem Seminar gut auf den Punkt gebracht.
Sinngemäß: "Wir machen hier keinen Schwertkampf, d.h. wir bekämpfen nicht das Schwert des Gegners."
Wudang Sword Tutorial 1 - Space of the Dragon is untouchable (http://www.youtube.com/watch?v=cnbWOISXJ1s)

Es macht also wenig Sinn, ständig auf das Schwert des Gegners einzukloppen. Ziel ist es, den Gegner möglichst schnell auszuschalten, d.h. selbst wenn ich die Klinge des Gegners abfange, so ist mein Ziel an der Klinge vorbei den Gegner zu treffen. Und genau hier setzen meiner Meinung nach die klebenden Schwert ein. Die Übungen dienen dazu, im Moment der Kontaktaufnahme festzustellen, wohin die Enerige geht und dann entsprechend zu reagieren, um ungefährdet zum Gegner vorzudringen, denn Ziel muss es auch sein, selbst nicht getroffen zu werden.
Bei guten Fechtern ist der Kampf nach ein oder zwei Aktionen beendet.

Hier auch die Erklärung von Ismet Himmet zum Thema Klebende Schwerter, die, finde ich, auch Sinn macht:
Wudang Sword Tutorial 3 - for what tui jian? (http://www.youtube.com/watch?v=qdLG3iCp_s4)

Hier übrigens mal eine "Demonstration" wie man ein Kampf mit einem Schwert am effektivsten gewinnt. ;)
How to win a sword fight (http://www.youtube.com/watch?v=6Mb5QgXEGUg)

Richard22
19-03-2013, 17:50
Der Mann übersieht einfach die Gesetzmässigkeiten der Physik. Auch haben Stock und Schwert wenig bis gar nicht gemeinsam.

Den Ort eines Stockes versetzt niemand - aber die Hand bewegt sich durchaus langsamer. Vor allem, wenn die Waffe kein Kreuz oder Korbgefäß hat.

Entweder ich greife die Blößen des Gegners an und treffe ihn im Erstschlag, oder es kommt zum Band - das finden wir schon bei Liechtenauer.

Fechtergruß

wudangjian
19-03-2013, 19:36
Schönes Video - ist aber klar Daofechten, also Fechten mit Hieb und Schnitt im Vordergrund.
Punkthieb und Stoß sind eher charakteristisch für das Jian, denke ich.
Fechtergruß

Ich denke aufgrund der Schnelligkeit leidet hier ein wenig die Genauigkeit und man sieht nicht immer so gut worums gerade geht ...

... zu ergänzen wäre noch das das Jian schon auch eine Schnittwaffe ist wie z.B. feine Schnitte zu den Handgelenken, Hals, Sehnen, Adern ....



Ich finde, Ismet Himmet hat es mal in einem Seminar gut auf den Punkt gebracht.
Sinngemäß: "Wir machen hier keinen Schwertkampf, d.h. wir bekämpfen nicht das Schwert des Gegners."
Wudang Sword Tutorial 1 - Space of the Dragon is untouchable (http://www.youtube.com/watch?v=cnbWOISXJ1s)

Es macht also wenig Sinn, ständig auf das Schwert des Gegners einzukloppen. Ziel ist es, den Gegner möglichst schnell auszuschalten, d.h. selbst wenn ich die Klinge des Gegners abfange, so ist mein Ziel an der Klinge vorbei den Gegner zu treffen. Bei guten Fechtern ist der Kampf nach ein oder zwei Aktionen beendet.

Grundsätzlich wird beim parieren auch nicht aufs Schwert "eingekloppt" sondern weiter- abgeleitet ohne viel Druck zu machen / zu geben - sonst gehen die Jians auch kaputt...

Dieses Unterbrechen / Abfangen (Jie) ist grundsätzlich ne super Sache aber in der unmittelbaren Anwendung ne echte Herausforderung. Man muss entweder den Gegner lesen können und ultraaa schnell sein ... oder man stellt "eine Falle" und bringt ihn dazu genau das zu tun, um die Technik anwenden zu können...

Wir nennen das bei uns u.a. "Fensterkreuz", in dem man "Angriffs-Sektoren" öffnet oder schliesst - anbietet - können gewisse Angriffe oder Techniken ausgeschlossen oder angenommen werden ... Parieren ist grundsätzlich gar nicht so verkehrt als Einstieg in eine/n Technik / Konter und ist auch eine Form von "Kontrolle" ... z. B. dabei den Gegner zu unterlaufen und seinen Raum dicht zu machen ....

Im regulären Kampf den Druck zu spüren ist nicht gleich der dem aus den Klebenden Schwertern. Da geht es m.e. um Druck "zu erkennen" bzw. "zu wissen" wie die "Kraftlinien" laufen, wenn die Techniken ein vielfaches schneller kommen... Also der Transfer aus dem langsam gespürten der Klebende Schwerter in die "schnelle Anwendung" ...

LG
Frank

Klaus
19-03-2013, 19:57
Ich halte es immer noch für unverantwortlich, mit Kontakt ohne Schutz für die Augen zu fechten. Selbst wenn man nie zum Körper geht, können kleine Stücke aus der Klinge brechen die fliegen gehen. Mal davon abgesehen dass auch Berührungen schwierig sind, wenn es keine Minimalabsicherung gibt. Die Kendorüstung sieht ja auch nicht zum Spass so aus.

Die Frage ist, was will man üben. Wenn man tatsächlich hingeht und möchte, und sei es nur aus historischem Interesse, die üblichen Treffer trainieren mit einem stumpfen Schwert, dann muss man die Ausrüstung nehmen die auch die historischen Fechter benutzen. Bei Kontakt muss man minimal den Körper mit Pappe o.ä. abpolstern und ne stabile Jacke drüber, das kostet auch nicht übermässig Geld. Ein Gambeson kostet ab 149,- etwa. Volle Kanne drauf geht sowieso nie.

Richard22
20-03-2013, 10:39
100%, Klaus!

Nur weil Taiji angeblich weich ist, heißt das noch lange nicht, daß Stahl weich ist. Chinastahl ist dazu oft noch eher schlecht und bruchanfällig.

Fechtergruß

tomdada
20-03-2013, 20:09
Der Mann übersieht einfach die Gesetzmässigkeiten der Physik.

Hast Du das auf Ismet Himmet bezogen? Also, als Mensch mit ein paar Semestern Physik als Background erscheint mir, dass er eben gerade auf Gesetzmässigkeiten der Physik eingeht, wenn auch auf nicht sehr wissenschaftlichem Niveau.

Ansonsten finde ich den Himmet'schen Ansatz des Distanzhaltens und -verkürzens als recht oft wiederholtes Prinzip - mit und ohne Waffe - sehr interessant, zumal er als einer der wenigen in der Lage ist, seine Prinzipien und die Folgen bei Nicheinhalten in realistischer Geschwindigkeit zu demonstrieren.


Auch haben Stock und Schwert wenig bis gar nicht gemeinsam.

Du hast recht, würde man wirklich mit Stöcken kämpfen, dann würde man das ganz anders tun als in den Filmchen gezeigt. Aber die Stöcke dienten ja als Schwertsimulatoren, deshalb wurden sie eben nicht wie Stöcke geführt.


Entweder ich greife die Blößen des Gegners an und treffe ihn im Erstschlag, oder es kommt zum Band - das finden wir schon bei Liechtenauer.

Ich bin mir nicht sicher, ob Du da wirklich etwas wesentlich anderes sagst als Himmet. Wenn Du mit "Band" die Kontrolle der gegnerischen Waffe meinst: Seine Kontrolle des Gegners beschränkt sich nur nicht auf die Waffe des Gegners und in Himmet-Manier geht er so nahe ran, wie es möglich ist, d.h. typischerweise (aber nicht notwendigerweise) hinter den Punkt, wo die gegnerische Waffe gehalten wird. Wer den Arm kontrolliert, der die Waffe hält, der kontrolliert auch die Waffe. Dasselbe propagiert er auch mit ziemlich einleuchtenden Demonstrationen fürs Blocken im Faustkampf. Wenn Du mit "Band" allerdings meinst, dass da in Errol-Flynn-Manier minutenlang Schwerter gekreist werden, dann möchte ich Dich darum bitten, das auch videomässig zu unterlegen. Man sieht das oft - nämlich beim Showfechten (dazu gehören Demos genauso wie das freundschaftliche Schwerterkreuzen in Studentenverbindungen und Fechtfilmen, und vermutlich auch klassisches, ritterliches Turnierfechten). Wie ein echter Kampf auf Leben und Tod mit Blankwaffen ablaufen würde, wenn die Kämpfer keinerlei Einschränkungen haben, nicht in Panzern stecken und wirklich auf den Mann gehen, das kann ich mir nicht so recht vorstellen und ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du da mehr dazu sagen könntest.

Mir scheint, dass da ein Kurosawa'sches "zwei-Schnitte-ein-Toter" die Sache möglicherweise eher trifft als ein Errol-Flynn'sches Schwerteraneinanderreiben (sorry für die Spielfilmreferenzen - es geht hier nur um Dokumentation mit allseits bekannten Bildern, nicht um die Behauptung, dass die irgendwie realistisch wären). Auf reale Anwendung bezogen scheint mir deshalb Himmets Ansatz zumindest bedenkenswert. Allerdings kann ich nun wirklich nicht behaupten, dass ich mir auf Deinem Spezialgebiet auch nur im Entferntesten ein Urteil leisten kann.

Die Schwierigkeit ist natürlich, dass der Kampf mit Schwertern auf Leben und Tod heute nicht mehr stattfindet, also niemand vorhanden ist, der wirklich aus Erfahrung sprechen kann.

T. Stoeppler
21-03-2013, 06:52
Die Unterschiede liegen im Modell der Kampfsituation - und dann in der technischen Ausführung.

Es gibt gar nicht "DEN" Schwertkampf auf Leben und Tod, sondern mehrere typische Abläufe, die alle je nach Kultur/Umfeld/Personen zustande kommen und alle auch dokumentiert sind. Wie so ein Kampf auszusehen hat, darüber haben Fechtmeister seit Jahrhunderten diskutiert.

Es gibt Befürworter des Fechtens aus der Bindung, des Fechtens ohne Bindung, des Fechtens, was sofort in den In-Fight über geht, dann gibt es Leute, die meinen man müsse den Gegner immer auf Distanz halten, provozieren, fintieren etc pp.

Es hilft also alles nichts - man muss alle Möglichkeiten kennen.

Eines ist allerdings - und das ist absolut zwingend - immer elementar: Der Punkt der Entscheidung, also der echte Angriff und die Gegenreaktion, lässt sehr sehr wenig Spielraum für Fehler. Man muss mit dem Zeitproblem klarkommen, welches man im waffenlosen Kampf ein bischen über Nehmerqualitäten kompensieren kann. Das gibts beim Gefecht mit Waffen nicht, in Ost und West.

Damit werden sofort alle nicht ganz direkten Bewegungen zu dem Zeitpunkt der Entscheidung ausgeschlossen. Wenn ich jemanden in Mensur sehe, der die Klinge nicht direkt auf den Mann bringt, dann ist das kein Fechten.

Gruss, Thomas

Klaus
21-03-2013, 10:36
Wenn ich jemanden in Mensur sehe, der die Klinge nicht direkt auf den Mann bringt, dann ist das kein Fechten.


Was meinst Du damit ?

wudangjian
21-03-2013, 13:04
Das man grundliegende Kampf-Prinzipien /Strategien auf Faustkampf und verschiedene Waffen teilweise transferieren kann steht ausser Frage. Die Sache ist die Umsetzung und Darstellung in Bezug auf die waffentypische Führung und deren spezielle Eigenheiten... Und die "Physik" gibt dem Schwert in Sachen Energieumsetzung, Schwertführung und Anwendungen da einen gewissen Rahmen vor...

Mit Kurzstöcken Schwertfechttechniken / Anwendungen zu simulieren finde ich persönlich aus meiner Erfahrung her eher schwierig. Leute die noch keine oder nur wenig Erfahrung mit dem Schwert haben, können das Veranschaulichte / die Idee vielleicht nicht sauber transferieren und die Stöcke könnten zu Techniken verleiten, die so vielleicht mit dem Jian nicht funktionieren würden...

VG
Frank

Klaus
21-03-2013, 13:52
Was auch auf zu leichte Jian zutrifft. ;)

wudangjian
21-03-2013, 13:55
Was auch auf zu leichte Jian zutrifft. ;)

Ha ha ha, ja "touché"! ;)

T. Stoeppler
21-03-2013, 15:27
Was meinst Du damit ?

Wenn man sich in der Distanz befindet , wo man den Gegner treffen könnte (mit Arm-Ausstrecken und ggf einer kleinen Körperneigung etc). Dann kann der Gegner einen nämlich auch treffen und wenn der das kapiert, ist man hoffentlich schon mit der Schwertspitze in seinen Innereien.

Gruss, Thomas

Klaus
21-03-2013, 17:01
Ja, das ist eine Distanz in der ich mich nicht aufhalten würde, und das war auch meine Kritik an manchen Videos. Da standen die Leute einfach zu nah aneinander bevor es los ging. Wobei, teilweise ist es ja erwünscht dass man ein Ziel bietet, und dann kontert man die Aktion, aber da muss man dann für sich selbst "beweisen" in seinem Training, dass man den Angriff auch bekommt. 2. Sieger ist nie gut, wenn Waffen im Spiel sind. Für solche Szenarien ist Schutzkleidung die das erlaubt aber unumgänglich.

Richard22
22-03-2013, 11:43
Ich sehe erst mal die Sicherheit der Übenden als Wichtigstes an. Das ist der Platz der Physik im Fechten.

Danach kommt die Fechtlehre nebst Quelle.

Peter Johansson hatte mal ein klasse Jian nach einem Qriginal kopiert, daß Ding habe ich in de Hand gehalten - völlig biegesteif und massiv. Ein super Schwert - nur ist Peter nicht unbedingt billig.

Fechtergruß

Klaus
22-03-2013, 15:12
Die Frage wäre noch, was das für ein Original war, von wann, und zu welchem Zweck. Es gab um die Jahrhundertwende Anfang 20. Jahrhundert eine Menge Zeremonialschwerter, die man sich entweder über die Tür gehängt hat, oder die für irgendwelche Riten genommen wurden. Wenn da ein Schwert besonders massiv war, wäre es keine gute Idee das zum Maßstab zu nehmen. Scott Rodells Pi-mal-Daumen-Angabe 1,5 Pfund ist da schon gut. 700-850g, mehr sollte es nicht haben, es sei denn es wäre so ein Xingyi- oder PM-Zweihänder mit Überlänge. Ein Schwert mit 70cm Klinge darf nicht wesentlich schwerer als 800g sein. Dass einzelne Leute sich ganz besonders schwere "Originalwaffen" genommen haben (Linda Heenan z.B. hat eins von 1100g), weil sie es toll fanden wie schwer das in der Hand liegt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen dass das ganz seltene Exemplare waren, wenn sie denn funktional gewesen sind. Scott hat über 3000 Originale vermessen, und nur die Ausreisser liegen ausserhalb dieses 700-850-Bereichs. Das ist in der Mitte eine Häufung von über 90%.

tomdada
23-03-2013, 14:19
Die Frage wäre noch, was das für ein Original war, von wann, und zu welchem Zweck.

Gibts eigentlich irgendwo eine Sammlung mit Infos über gefundene klassische Schwerter. Ich habe mal hier ein bisschen gestöbert bei der Frage, was ich mir für ein Schwert kaufen würde, wenn es so einigermassen dem entsprechen sollte, was früher tatsächlich zum Einsatz kam:

chinesische Schwerter (http://www.chinesesword.net/Items.htm)

Die Infos dort sind halt schon sehr mager. Mir hats immerhin gereicht um festzustellen, dass moderne Billigjians oft zu lang, zu schwer und mit völlig falschem Schwerpunkt daherkommen.

Zur Stock-Diskussion: Die Kritik war ja wohl urspr. darauf gemünzt, dass jemand sich das Sakrileg erlaubt, einen Stock zu benutzen, um Schwerttechniken gefahrlos vorzuführen. Dass man einen Stock ansonsten ganz anders führt, dürfte wohl jedermann klar sein, und dass ein Stock im Training die Gefahr bietet, Freiheiten des Stocks zu nutzen, die nicht auf ein Schwert übertragbar sind, das ist auch klar. In den bemängelten Videos habe ich aber kein Indiz dafür gefunden, dass die Leute dort in diese Falle getappt sind. Ihr?

Prinzipiell gilt wohl wie immer: Am besten übt man Schwerttechniken mit Schwertern. Nur hat das auch so seine Nachteile, es zahlt ja keine Versicherung, wenn man dabei liegen bleibt ...


Es hilft also alles nichts - man muss alle Möglichkeiten kennen.


Wenn mir der Einwand erlaubt ist: Man muss die Antwort auf alle Möglichkeiten kennen, man muss nicht alle Varianten selber beherrschen. Gegen einen Gegner, der langwierige Bindungsspielchen bevorzugt, muss man ja nicht zwangsläufig dieselben beherrschen, sondern es reicht beispielsweise zu wissen, wie man sich aus der Bindung zu seinem eigenen Vorteil lösen kann.

Gerade die Problematik der Vorstellung wie ein Kampf auszusehen hat ("weil Meister X das schon vor 300 Jahren so gesagt hat" oder "weil es so üblich ist" oder "weil alles andere unfair/unelegant ist"), verstellt uns doch oft den Blick für die simplen Lösungen. Meistens ist man nicht im Vorteil, wenn man nach dem Stil des Gegners zu kämpfen versucht, denn der hat wohl in seiner eigenen Art zu kämpfen viel mehr Übung als man selbst ("ringe nicht mit einem Ringer").

Klaus
23-03-2013, 20:00
Rule of thumb, Klingenlänge ohne Griff (vom Griffende oberhalb des Parierelements gemessen) 69-75cm, Gewicht 700-860g, Balance 14-16cm ebenfalls vom Griffende aus. Ausserhalb dieser Werte hat Scott nichts gefunden, das spricht eigentlich für sich. Bezeichnend allerdings, dass diese Tabelle wieder aus dem Netz verschwunden ist, ein Schelm wer ...

Bei Klingenwaffen gilt erst recht, wer trifft hat Recht. Einiges sagt einem der gesunde Menschenverstand, anderes muss man schlicht probieren. Man muss auch daran denken, dass diese Stile in einer Zeit entstanden sind, als es jeweils einen Sinn dafür gab. Eine Methode mit Leuten fertig zu werden die eine zeitgenössische Rüstung an hatten ist anders als eine für die Stadt gegen Räuber. Und man muss zusehen dass man keine "echte Methode des 17. Jahrhunderts" übt die aus der Peking-Oper kommt, es sei denn das stört einen nicht.

wudangjian
23-03-2013, 20:50
Bei Klingenwaffen gilt erst recht, wer trifft hat Recht. Einiges sagt einem der gesunde Menschenverstand, anderes muss man schlicht probieren. Man muss auch daran denken, dass diese Stile in einer Zeit entstanden sind, als es jeweils einen Sinn dafür gab. Eine Methode mit Leuten fertig zu werden die eine zeitgenössische Rüstung an hatten ist anders als eine für die Stadt gegen Räuber. Und man muss zusehen dass man keine "echte Methode des 17. Jahrhunderts" übt die aus der Peking-Oper kommt, es sei denn das stört einen nicht.

Eine gute Sichtweise auf das Thema. Gefällt.

Richard22
24-03-2013, 09:19
Klaus hat sehr solide Argumente in Feld geführt, die ich alle nur bejahen kann.

Das einzige ist die Länge - es ist die Frage, ob ein Jian für eine zeitgenössischen Europäer die Abmessungen haben sollte, die es im 15. Jhd. für einen zeitgenössischen chinesischen Soldaten hatte.

Hier ein Beitrag von Peter über sein Jian:

A Contemporary Ancient Jian -- myArmoury.com (http://www.myarmoury.com/talk/viewtopic.php?t=10039)

Das Jian war ein Nachbau - keine Kopie eines Artefakts - ich muß mich da korrigieren.

Die Dimensionen, die Klaus angibt, passen überdies für ein Oakesshott Typ X ganz gut - die Spatha in ihrer späten Form. Diese kommt um 300 vor unserer Zeitrechnung auf.

Bei den klassischen China Waffen (Speer/Schild/Dao/Axt/Bogen) gibt es kein Jians - ich denke es ist gut möglich, daß das Jian technisch eine Spatha-Kopie ist, vor allem wenn man sich Oakeshott XI und XII ansieht. Die klassichen China-Waffen sind wahrscheinlich bronzezeitlich, Stahl wurde nicht in China erfunden.

Fechtergruß

Klaus
24-03-2013, 13:27
Glaube ich nicht, da die Bronzezeitwaffen und frühen Stahlschwerter ganz anders aussahen. Lang, schwer, geeignet für Kampf zu Pferd oder Karren, und für einen Kampf Mann gegen Mann mit Rüstung relativ sinnfrei. Das waren Stichwaffen die man vom Pferd oder Karren aus einfach in die Gegend halten konnte, und wer im Weg stand hatte ein Problem.

Wenn man Formen übt für den Kampf zu Fuss, mit eleganten Methoden, dann muss man auch die Waffe dafür nehmen. Leicht, wendig, schnell, und mit einer Balance für die richtigen Bewegungen. Gerade so stabil dass es sich nicht zu sehr verbiegt oder kaputt geht. Ich denke die frühen Ming-Waffen haben sich in Korea erhalten, das waren quasi leichte dünne Fechtwaffen. Möglicherweise weil sich die Leute nicht oft mit berüsteten Gegner abgeben mussten, oder weil der einzige Weg da mit Stichen durch die Lamellen oder ins Gesicht war, dafür brauchte man übrigens auch einen Fajin um die Spitze an der Schwachstelle durch Leder zu treiben. Dafür darf das Schwert dann nicht zu dünn sein, weil es sich sonst biegt und die Energie nicht reicht, um das Leder zu perforieren. Also die 400g-Wabbeldinger die heute als "Shaolin" verkauft werden sind auch dafür Käse, 700g muss das schon haben, und die Steifigkeit durch das Diamantprofil.

Am Ende gilt, will man das "authentisch", aus Spass an der Freud, oder einfach irgendwas spielen. Spielen kann man auch mit einem Besenstil. Aber Nahkampf-Infight-Manöver mit einem Zweihänder machen auch nicht wirklich Sinn, sowas gibt es nur im Film.

Richard22
24-03-2013, 16:51
Klaus, wir haben Jian Fechtbücher aus dem 17. Jhd - auch für Zweihand Jian.

Es gibt auch einen ganzen Schwung koreanische Fechtbücher - Koran und Japan waren eben Kulturfolger Chinas.

Die klassischen Waffen China (Schild, Bogen, Speer, Dao und Axt) stammen mit Sicherhheit aus der Bronzezeit - China ist recht alt. Natürlich sind Ming- Waffen nicht bronzezeitlich - das habe ich auch nicht ausdrücken wollen.

Ein Jian sollte, meiner Meinung nach, 900-1000 Gramm haben.

Überdies, Bronzeschwert sind oft axtähnlich - "bil" wie in Beil heißt "Hiebschwert". Schwert heißt einfach Waffen, erst später wird damit eine besitmmte Waffe gemeint. Es gibt aber auch Bronzeschwerter, die wie Rapiere aussehen, also reine Stichwaffen sind und Jians in der Fechtweise recht nah kommen.

Bronzeschwerter unterscheiden sich massiv von Stahlschwertern, keine Frage.

Yu Da-You zeigt in seinem Jianklassiker Gun, also den Stock, als Übungswaffen, weil er davon ausgeht, daß sich Jianfechten am Gun gut erlernen läßt.

Fechtergruß

Klaus
24-03-2013, 18:08
Wenn ein Jian des 17. Jahrhunderts als die Dinger auch benutzt wurden 1000g haben "sollte", dann hätte es die auch gehabt. Es gab schliesslich auch damals schon nicht nur Chinesen von 1,30 sondern auch welche von 1,80 und in schwer, und irgendwie hat man lieber die als Wächter genommen als die Wichtel. Stattdessen sind schwere Jian eine absolute Rarität, während es die 750g-Variante zu tausenden noch gibt.

Nagare
24-03-2013, 18:18
Stattdessen sind schwere Jian eine absolute Rarität, während es die 750g-Variante zu tausenden noch gibt.

Vielleicht die heutige 300g-Wackel-Variante der damaligen Zeit :D