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Vollständige Version anzeigen : Schilde in der frühen Neuzeit beim Rapierfechten?



mrx085
28-04-2013, 20:41
Guten Abend. Auch wenn in Gefahr laufe mich tödlich zu blamieren,:rolleyes: hätte ich da eine Frage.

Ich beschäftige mich mit der Entwicklung des europäischen Schwertkampfes
und bin da auf einen Punkt gestoßen der mir nicht ganz klar ist.

Der Schild scheint in Europa beim Schwertkampf schon immer hoch im Kurs gewesen zu sein. Das zog sich von der Antike bis zum Hochmittelalter durch, wo man z.B mit dem Schwert und Buckler gefochten hat. Dann mit der Verbesserung der Rüstungen im Hochmittelalter, würde der Schild dann überflüssig und das lange Schwert kam auf.

Doch in der frühen Neuzeit, kamen die Rüstungen doch aus der Mode, wenn ich mich nicht irre, auch die Schwerter haben sich verändert. Diese entwickelten sich später zum Rapier wenn ich mich nicht irre.

Nur warum hat man beim Fechten mit dem Rapier, der meines Wissens nach ja Einhändig geführt wurde, auf ein Schild verzichtet?

Würde das nicht der Kampfweise des Rapier Fechtens entsprechen oder hatte es letztendlich nur modische Gründe?


Oder habe ich bei meinem laienhaften Aufzahlung was wichtiges übersehen? Oder bin ich mit meinem "geschichtlichen" Abriss sogar komplett auf dem Holzweg?

itto_ryu
28-04-2013, 21:08
Nicht unbedingt, es wurde eine Zeit lang Buckler und sogar Rotella benutzt, aber Parierdolche setzten sich durch, ich vermute im Zivilkampf praktischer als große Schilde und gegen verstärktes fechten mit Stoß auch besser zwecks Kontrolleiren durch Bindung:

http://www2.nau.edu/~wew/fencing/papers/kevin/target/Image4.gif

http://deckerm.net/southernwatch/References/pn4.jpg

http://www.fencingonline.com/academy/articles/MarozzoMay19_01.JPG

http://www.achillemarozzo.it/articoli/images/armidifensive/rotella.png

http://www2.nau.edu/~wew/fencing/marozzo/02002077.jpg

http://www.thearma.org/Manuals/NewManuals/CapoFerro/10001131.jpg

mrx085
29-04-2013, 06:20
Danke für die Infos Itto Ryu. Diese Bilder kannte ich gar nicht. Habe mir zum Rapier bisher nur YT Videos angeschaut, und da wurde meist nur mit einer Hand, ohne Schild gearbeitet. Daher auch meine Frage.

Althalus
29-04-2013, 08:42
Die obersten Bilder sind keine Rapiere, sondern Spade da filo, engl. als "Sidesword" tituliert. Das nur als Ergänzung.

Die Verwendung von Buckler, Targa und Rotella mit dem Rapier lässt sich bis ins 17. Jhdt finden. Das ist dann allerdings schon eher was für den Milizbereich, wenn man am Schlachtfeld halt seine Klinge ziehen muss.

Der Dolch ist die Standardbewaffnung für die linke Hand - der Kampf ohne Dolch ist hier das eher ungewöhnliche. Rapier und Dolch sind zivile Bewaffnungen, die in vielen oberitalienischen Städten jedem Bürger zu tragen gestattet waren. Klarerweise entwickelte man die Duellfechtweise auf Basis dieser Waffen.

itto_ryu
29-04-2013, 09:45
Gut Seitschwert natürlich, korrekt, wobei es zur Entwicklung von Seitschwert wie Marozzo, Meyer usw. bis Rapier im eigentlich Sinne wie Ferro oder Fabris ja mit ins familiäre Spektrum gehört, oder? Also ich meine im Hinblick auf mrx085s Fragestellung.

Schau mal mrx085, hier sind ein paar experimentelle Videos:
KJkQRoA_Co8

HIxBIWrbTEA

F_qmNgFp8Kg


vgl. dazu Bolognese Sword & Buckler:

BbTd9httbFY

mrx085
29-04-2013, 12:09
Hallo itto ryu. Besten Dank für die Videos.

@Althalus Auch an dich ein Danke für die Infos. Du hast mich übrigens auf Fehler bei meiner Denkweise aufmerksam gemacht. Das der Rapier eher eine Zivilwaffe als eine Militärwaffe war, habe ich nicht bedacht, obwohl das irgendwo schon mal gelesen habe. Und bei meiner Zivilwaffe ergibt die Fechtweise mit dem Dolch natürlich viel mehr Sinn.

Nur mit welcher Waffe ist man dann in den Krieg gezogen? Mit den sogenannten Small Swords, oder gab es eine eigene Rapier Ausführung für die Schlacht?

Ein weitere Fehler von mir, war ja, dass auch beim Rapier Fechten unterschiedliche Strömungen bzw Schulen gab.

Zwischen der italienischen und der spanischen Schule dürfte es auch ein paar Unterschiede geben haben.:confused:

Ist jedenfalls ein interssantes Thema. Danke nochmal für eure Hilfe.

Schwerthase
29-04-2013, 12:44
btw., wenn du in Wien bist, kannst mal bei Klingenspiel vorbei schaun, die machen Rotella und Rapier und können sicher Auskunft geben.

mrx085
29-04-2013, 20:09
btw., wenn du in Wien bist, kannst mal bei Klingenspiel vorbei schaun, die machen Rotella und Rapier und können sicher Auskunft geben.


Werde ich machen. Danke für den Tipp. Bin im Juni eh für 2 Wochen aus privaten Gründen dort. Da könnte ich wirklich um Auskunft bitten.

JanPSV
29-04-2013, 22:03
Nur mit welcher Waffe ist man dann in den Krieg gezogen? Mit den sogenannten Small Swords, oder gab es eine eigene Rapier Ausführung für die Schlacht?

Mit Gwehren und Piken ;-)
Als Seitenwehren wurden hiebtauglichere Varianaten (Stichwort Feldrapier) im militärischen Umfeld getragen. Mit etwas kürzeren und breiteren Klingen, die ehr dem Spade da filo / Seitschwert gleichen.

Damit man Althalus' Aussage nicht falsch versteht: Rotella, Targe und Buckler wurden auch, aber nicht nur mit dem Seitschwert zusammen geführt. Mit Rapier gab es das natürlich auch. Zumindest Rapier&Rotella fallen mir hier ein - Bild steht ja oben bereits drin. Aber Targe und Buckler denke ich genauso, oder...?

Althalus
30-04-2013, 07:29
Aber Targe und Buckler denke ich genauso, oder...?
Sowohl Agrippa also auch Lovino iirc haben die drin. Und Marcelli zeigt Buckler und sogar die Laterne.;)

Mir gings nur um die Abbildungen an sich. Sonst kommt wieder der Mythos auf, dass Marozzo & Co. eine Rapierlehre darstellen. ;)

itto_ryu
30-04-2013, 08:57
Da ich mehr Gemeinsamkeiten sehe in den Taktiken mit dem Bologneser Seitschwert zum Scottish Broadsword, als zum Rapier späteren Datums tät ich das niemals nie nicht behaupten :D

mrx085
02-05-2013, 19:29
Thx für die weiteren Antworten. Ist ja wirklich ein interessantes Thema. Werde mich jetzt eigenständig auf die Suche nach ein paar Quellen machen um noch weiter zu forschen. :)

Warjag
07-05-2013, 11:31
Du findest vielleicht noch ein wenig mehr, wenn du statt Rotella nach Rondartsche bzw der Truppengattung der Rondartschiere suchst.

Hier noch ein paar Infor unter gewissen Vorbehalten, wie beispielsweise dem, dass gerade die Rondartschiere wohl keine Milizen waren, sondern in bestimmten Ländern feststehende Elitetruppen, insbesondere in Östereich und Spanien. Die Rondartsche war dort keine Milizwaffe.

Desweiteren ist die hier propagierte Trennung von "Kugelschild" und Rondartsche so nicht haltbar.

Die Rotella (http://www.marozzo.info/fior15/index.php?option=com_content&view=article&id=112:rotella&catid=45:schwert-und-rondartsche&Itemid=29)

Allgemein waren Schilde in der Neuzeit verbreiteter als man glaubt. Das hohe Gewicht und die spezialisierte Einsatzweise machten solche Schilde zu einer fast rein militärischen Schutzwaffe.

Althalus
07-05-2013, 15:00
dass gerade die Rondartschiere wohl keine Milizen waren
Nein - aber die Rotella, bzw. ihr Gebrauch, wie er in den Fechtbüchern dargestellt ist, ist eine Waffe der städtischen Milizen. Nicht jeder, der eine Rondartsche benutzt, ist auch ein Rondartschier.

Desweiteren ist die hier propagierte Trennung von "Kugelschild" und Rondartsche so nicht haltbar.
Inwiefern? Die Originale, die ich bisher in der Hand hatte, unterschieden sich sowohl in Gewicht als auch Bauweise auf die genannte Art voneinander.

JanPSV
07-05-2013, 22:41
Ein kleine ergänzung: Das spansiche Gegenstück, Rodela genannt, sollte nicht vergessen werden. Aber die einzige Quelle dazu, die ich kenne, ist wieder der Louis Godinho..

itto_ryu
08-05-2013, 08:02
Nein - aber die Rotella, bzw. ihr Gebrauch, wie er in den Fechtbüchern dargestellt ist, ist eine Waffe der städtischen Milizen. Nicht jeder, der eine Rondartsche benutzt, ist auch ein Rondartschier.

Inwiefern? Die Originale, die ich bisher in der Hand hatte, unterschieden sich sowohl in Gewicht als auch Bauweise auf die genannte Art voneinander.

Kurze Zwischenfrage: Arbeitet Fior della Spada denn schon an praktischer Umsetzung von Marozzos Rotella, da wäre ich nämlich äußerst interessiert dran :)

Althalus
08-05-2013, 12:09
Haben wir schon getan und wird auch wieder auf dem Plan stehen. ;)
Ist halt wieder mal eine Frage von Trainingszeit, Interesse (bzw. dessen Splittung zwischen verschiedenen Waffen) und in dem Fall auch der Frage, ob man einen 1,5 - 3 kg schweren Schild durch die Öffis schleppen will. Wir rotieren durch die Waffen immer wieder mal durch, sind einfach soviele ...

itto_ryu
08-05-2013, 12:17
Ah verstehe, danke. :) Gibt es dazu auch schon praktische Erkenntnisse?

Althalus
08-05-2013, 12:49
In welcher Hinsicht? Präzisiere er seine Frage. ;)
Ansonsten gibts die Antwort: Rotella schwer, macht Arm müde, ist aber mühsam anzugreifen, weil soviel Körper gedeckt. ;)

itto_ryu
08-05-2013, 13:15
Ja so in etwa, also ich meine was genau ist deine Ansicht und Erfahrung zum Einsatz der Rotella? Ist sie verstärkt defensiv zu nutzen, mehr im Formationskampf, kann man damit gut binden usw.? :) Teils hast du ja schon erläutert :D

Althalus
08-05-2013, 14:53
Die Rotella macht fast die ganze linke Körperhälfte "zu" - einzig das Bein ist sinnvoll anzugreifen und auch das nur mit Vorarbeit.
Die große Krux ist, die Struktur kompakt zu halten - also Schwert und Schild nicht bei jedem Angriff oder Abwehr unnötig weit voneinander zu trennen. Ansonsten kommt der Gegner nämlich sofort in der Mitte durch.

Das Gewicht und die "Montage" der Rotella macht es nötig, die Körperstruktur dementsprechend anzupassen. Mit den Armmuskeln hält man den Schild nicht lange, daher müssen größere Muskel und Muskelschlingen ran. Hat man das aber mal intus (und die entsprechenden Muskeln auch angemessen trainiert), merkt man das Gewicht am Arm gar nicht mehr so stark.

Die Fechtweise ist mehrheitlich defensiv (was vernünftig ist, handelt man doch aus einer extrem gedeckten Position heraus), was es nötig macht, mit Provokationen und Finten zu arbeiten.

Formationskampf haben wir nicht versucht (zu wenig Leute dafür), ich würde aber dafür eher andere Schildtypen bevorzugen. Die runde Form ist da nicht unbedingt die beste.

Bindungen kommen maximal durch Pressen zustande. Normale Versatzungen mit dem Schild prellen IMHO zu stark, um einen halbwegs fähigen Gegner zu binden (dafür wäre Holz als Material wohl besser).

mrx085
08-05-2013, 15:32
Da sind ja noch einige Postings dazu gekommen. Thx für die neuen Infos.:)

itto_ryu
08-05-2013, 16:20
Sehr interessant, vielen Dank, Althalus.