Vollständige Version anzeigen : Ist alles ein Stil? Sind alle KK eins?
Hallo Richard,
danke von mir an dich für deine langen Beiträge - haben mich sehr zum nachdenken gebracht. Oft stimme ich dir von ganzem Herzen zu und gleichzeitig sträuben sich mir ob der Verallgemeinerungen regelmäßig die Nackenhaare.
Ich möchte das hier an einem Beispiel erläutern. Du schriebst z.B.:
"Das ist ja eben das Problem heute. KK ist universell und Taijiquan war universell - es gab ja nur eine Quelle und einen Stil."
"KK hat Regeln und Gesetzmässigkeiten - die oberste Regel lautet nicht selber getroffen zu werden. Also steht Eigenschutz an erster Stelle - wer das aber nicht übt oder vermittelt, der betreibt eben etwas anderes."
Das ist ganz sicher zu allgemein formuliert. Wie, denke ich, bekannt ist, werden Soldaten oft in den Tod geschickt, um eine Schlacht zu gewinnen. Gerade in Formation durften sich diese Soldaten nicht mehr schützen als erlaubt war, sondern mussten halt den Kopf hinhalten.
Mut und und der unbedingte Wille, sich der Gruppe zu opfern, war wichtiger, als sein eigenes Leben zu schützen. Wie sagte schon General Qi Jiguang (der auch großen Einfluss auf das Tai Chi Chuan hatte):
"Fehlt es den Schlauen an Mut, so wird man sie nicht unter den Vorderen finden. Sie suchen gerne den eigenen Vorteil. Sie denken bereits dann über einen Weg nach, selbst am Leben zu bleiben, wenn noch keine Schlachtordnung eingenommen wurde." (Filipiak, S.160)
Oder etwa in meinem Stil. Hier wurden über drei Generationen Bodygards ausgebildet. Da muss man auch mal bereit sein, einen einzustecken - eventuell auch einen Wirktreffer - ist ja das Ziel des ganzen: Lass den anderen - auch auf Kosten der eigenen Gesundheit - nicht zum eigentlichen Ziel durchbrechen.
Ich denke also schon, Eigenschutz steht nicht bei allen Ausbildungen der KK an erster Stelle - man muss hier durchaus unterscheiden und eine Unterteilung in Stile hatte durchaus seinen Sinn und Zweck. Ob sie den noch heute hat, ist tatsächlich zu diskutieren.
Gruß und noch eimal danke
Martin
Naja, die Frage ist dann eigentlich nur wie man SELBST definiert. Wenn ich mit Frau und Kind unterwegs bin ist SELBST halt drei. Und dann ist die Frage wo bei den dreien die vitale Zone ist. Wenn der andere beim Lowkick zu meinem Oberschenkel die Deckung fallen lässt nehm ich den Kick wenn ich an seinen Kopf komm in kauf.....
Aloha
Lindo
Richtig. In einem Faustkampf nimmt man alles in Kauf, was einen nicht in Gefahr bringt kampfunfähig zu sein, wenn man dadurch einen grossen Vorteil erlangt. Sprich, wenn ich an den Angreifer ran will um ins "Ringen" zu kommen, nehme ich auch leichte Treffer in Kauf. Das ist eben was anderes ob der Angreifer ein Messer in der Hand hält oder nur mit Fäusten agiert.
Aber es ist nicht alles "eins". Der eine spezialisiert sich auf Schläge, der andere auf Rammaktionen, der Dritte ist ein Virtuose in Qinna. Das sind völlig unterschiedliche Ansätze die folgen, die nur Schnittmengen gemeinsam haben.
Talisker
15-07-2013, 12:36
Naja, die Frage ist dann eigentlich nur wie man SELBST definiert. Wenn ich mit Frau und Kind unterwegs bin ist SELBST halt drei.
Nö.
Das deutsche Wort "selbst" ist eindeutig und bedarf keiner Definition. Damit ist immer nur eine Person gemeint und nicht eine ganze Familie. Wenn ich in einem Kampf mein Leben opfere, um dadurch das Leben eines anderen Menschen zu retten, dann opfere ich mich SELBST auch dann, wenn es sich bei dem anderen Menschen um mein eigenes Kind handelt.
Ja und das wäre dann ein Fall welcher die Aussage von Richard widerlegt, dass die oberste Regel immer lautet, nicht selbst getroffen zu werden. Das ist doch gerade der Knüller, worauf der TE hinweist.
Ich meinte auch Richards Selbst....
Ich mag das von Kanken gern benutzte Bild vom großen Mt. Martial. Es ist derselbe Berg mit demselben Gipfel, aber es gibt sehr viele und sich häufig auch kreuzende Pfade am Berg, und entsprechend auch viele unterschiedliche Wege nach oben.
Die Bezeichnung Stil mag ich nicht mehr besonders, weil da so schnell verlorengeht, ob nun von einem Unterrichtsstil, von einem persönlichen Kampfstil oder von einer Anpassung an taktische Erfordernisse geredet wird.
Meistens geht es doch um Unterrichtsstile. Da gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, wie eine Ausbildung aufgebaut sein kann. Sie haben ein paar gemeinsame Kernpunkte, wie Abbau und Kontrolle der Gewalthemmung, kontrollierter Aufbau von Gewalterfahrung oder Verbesserung der Körpermechanik, aber bei den dafür gewählten Methoden gibt es großen Spielraum. Der wird auch gebraucht. Einen 15-jährigen muß man ganz anders anfassen als einen 30-jährigen. Dazu kommen gesellschaftliche Rahmenbedingungen, in denen eine Schule überleben muß. Es gibt keine Schule ohne wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Hat es nie gegeben.
Beim Kampfstil ist die Flexibilität bei den meisten Menschen eigentlich kaum gegeben. Man muß einfach versuchen, mit dem durchzukommen, was man unter Streß auch einigermaßen kann. Wenn man für die gegebene Situation schon ziemlich gut ausgebildet ist, reicht das hoffentlich für ein paar taktische Entscheidungen aus. Die Legenden an der Spitze der Nahrungskette sind zwar wunderbare Vorbilder aber schlechte Beispiele. Was irgendjemand anders kann oder mal konnte, ist für einen selber in einer konkreten Situation hoffnungslos irrelevant.
Was die taktische Umgebung betrifft: Anpassen oder Sterben. Eine dichte Pikenierformation ist etwas anderes als eine lockere Gruppe, die ein Feld sperren soll. Ein Sturmangriff in engen Straßen ist etwas anderes als ein Klingenduell auf dem weiten Feld. Soll eine Einheit gegen eine Schützenlinie mit unpräzisem Streufeuer in den Nahkampf, erzwingt das ein ganz anderes Verhalten als ein Feuerkampf mit hoher Trefferdichte. Waffen, Rüstung, Umgebung, Wetter, Gegnerverhalten, Auftrag, etc. dominieren da alles. Da kann ein Fechtmeister noch so viel über die richtige Distanz für eine Klinge dozieren oder ein Schießausbilder herunterbeten, daß man mit einem Gewehr gezielt schießt und nicht zuschlägt oder ringt, schneidet und würgt. Das ist dann irrelevant. Klingen erlauben keine Nehmerqualitäten? Doch, wenn man einen guten Harnisch hat und diesen auch einzusetzen weiß. Eine dichtgepackte Formation Pikeniere im Harnisch kann und wird ganz anders in den Nahkampf reingehen, als ein einzelner "nackter" Überlebenskünstler mit 'nem Spieß. Die einen rammen sich direkt zum Ringkampf durch, der andere muß vor allem Weglaufen und Ausweichen können.
Im Kampfsport gilt das auch: Die Regeln und Konventionen erzeugen das Verhalten. MMA sieht immer aus wie MMA, Kickboxen wie Kickboxen, Ringen wie Ringen, ganz egal aus welchem "Stil" die Kontrahenten kommen. Die Kampfsituation erzwingt das Verhalten. Und dann kann man sich mit seinem Können anpassen - oder man verliert sehr fix. An dieser Stelle kommt dann das Feedback zum Unterrichtsstil. Dort kann man sich auf bestimmte Situationen spezialisieren, die man für relevanter hält als andere: Duelle, moderne zivile SV, Wettkampf, Schutzaufgaben, etc. oder man bleibt lieber allgemein und bearbeitet Grundlagen, mit denen dann nach Bedarf für "den echt konkrätte Schtriet, Alda" etwas abgeleitet werden kann.
Das dürfte aber sehr viel stärker vom Können und von den praktischen Erfahrungen des Lehrers abhängen als von den Vorgaben einer Traditionslinie.
Kamenraida
15-07-2013, 13:28
Man kann manche Dinge auch unnötig kompliziert machen.
Alle KK sind gleich.... Diese Aussage ist so sinnvoll wie: Alles Obst und Gemüse sind Lebensmittel.
Eigentlich sogar: Alle Ballsportarten sind gleich. (Okay, tritt also demnächst der BVB gegen Andy Murray an? Die einen sind zu Elft, dafür hat der einen Tennisschläger in der Hand?)
Herrgott, ja, warum gibt es denn hier im KKB die ganzen Einteilungen?
Solche Pauschalaussagen sind ENTWEDER so abstrakt, dass sie zwar richtig, aber sinnlos sind. ODER sie zeugen von der Ahnungslosigkeit dessen, der sie tätigt.
Ich wills nicht ausschließen. Wer seine Taichi-Kenntnisse offenbar nur aus Büchern bezieht, der erklärt sich seine eigene Unkenntnis halt damit, dass es vermeintlich nichts zu wissen gibt.
Natürlich findet man in vielen /den meisten KK ähnliche Elemente. So what? Das Ziel mag dasselbe sein, der Weg ist definitiv unterschiedlich, und hier tauscht man sich doch über den Weg aus, oder nicht?
Solche Pauschalaussagen sind ENTWEDER so abstrakt, dass sie zwar richtig, aber sinnlos sind. ODER sie zeugen von der Ahnungslosigkeit dessen, der sie tätigt.
Man kann solche Aussagen auch aus dem Zusammenhang reißen und dann, mit beiden Beinen solide in der Luft verankert, solche markigen Sprüche von sich geben. :o
Es gibt nicht nur ein paar wenige Ähnlichkeiten sondern sehr grundlegende Gemeinsamkeiten, wenn man sich beispielsweise die Körpermechanik guter Leute oder deren Arbeit mit Bildern anschaut.
Es ist nunmal immer dieselbe Anatomie mit demselben Gehirn.
Daß Richie überall auf der Welt die Stücke seines Lichtenauers zu finden meint, hat keine historischen sondern anatomische Ursachen.
Trotzdem ist ein Takedown mit G'n'P was anderes als ein Flying Armbar oder ein Roundhousekick, und solche Sachen aus den IMAs wie Fajin ist was sehr Spezielles was man eher selten und zufällig woanders findet. Selbst innerhalb eines einzigen Wettkampfs wie Boxen findet man diverse Stile, die nicht alle können. Siehe Philly Shell, teutonisches Dumpfboxen (Doppeldeckung und warten bis es vorbei ist), Shoulder Roll, usw.
Ich bin da ganz bei Kamenraida und Klaus. Behauptungen wie die von Rich werden nicht besser, indem man sie einfach jahrelang wiederholt. Ich lasse mich nur noch selten bei seinen Auswüchsen aus der Reserve locken, weil's nicht besser wird, wenn man ihm Futter gibt.
@Rich: So wie Martin das gemacht hat, stelle ich mir ein Quellenzitat vor:
"Fehlt es den Schlauen an Mut, so wird man sie nicht unter den Vorderen finden. Sie suchen gerne den eigenen Vorteil. Sie denken bereits dann über einen Weg nach, selbst am Leben zu bleiben, wenn noch keine Schlachtordnung eingenommen wurde." (Filipiak, S.160)
Solange Du nur Deine eigene Meinung darstellst und behauptest das stehe in den Quellen, ist das eben nicht belegt. Wenn Du beginnst zu zitieren, wie im Beispiel Martin und wir das dann auch noch nachschlagen können, fangen wir vielleicht an zu verstehen...
Hallo Peep,
genau deswegen hatte ich ja den Post bringen wollen.
Man kann natürlich Gemeinsamkeiten in den Bewegungen suchen oder in den Unterschieden schwelgen.
Aber Richard ging es ja auch um das Ziel - den Berg KK. Das Ziel sich selbst zu schützen. Und ich denke gerade hier muss man auch Unterscheiden. Es gibt halt mehrere Berge KK.
Z.B. so:
- Es gibt z.B. die militärische KK, in der das eigene Überleben gerade nicht erstes Ziel ist.
- Es gibt die wettkampforientierte KK, in der die Dominanz gegenüber dem Gegner, aber nicht des Verletzung oder Tötung das Ziel ist.
- Es gibt die Selbstverteidigung, eben mit dem Ziel sich selbst zu verteidigen.
- Und Kampfkünste um sich selbst und die eigene Wir-Gruppe (Freunde, Familie, etc.) zu verteidigen.
Halt ein Versuch zu differenzieren.
Gibt es aber diese Unterschiede, so kann man sich Fragen, warum übt man KK und wenn ja, mit welchem Ziel. Genau diese Frage kann die Philosophie beantworten - denn darum geht es halt in der Philosophie - siehe Wikipedia:
"In der Philosophie (altgriechisch φιλοσοφία philosophía, latinisiert philosophia, wörtlich „Liebe zur Weisheit“) wird versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen." (http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie)
Gruß
Martin
Und in welche der 4 genannten Sparten ordnest Du Dich selbst ein Martin?
Daß Richie überall auf der Welt die Stücke seines Lichtenauers zu finden meint, hat keine historischen sondern anatomische Ursachen.Denke, das hat vor allem seine Gründe in der Spärlichkeit und Deutungsoffenheit des Materials. Hüben wie drüben. Und Menschen sind halt ganz hervorragend darin, überall Zusammenhänge herzustellen. Manchmal zu hervorragend. So entsteht Aberglaube.
Z.B. so:
- Es gibt z.B. die militärische KK, in der das eigene Überleben gerade nicht erstes Ziel ist.
- Es gibt die wettkampforientierte KK, in der die Dominanz gegenüber dem Gegner, aber nicht des Verletzung oder Tötung das Ziel ist.
- Es gibt die Selbstverteidigung, eben mit dem Ziel sich selbst zu verteidigen.
- Und Kampfkünste um sich selbst und die eigene Wir-Gruppe (Freunde, Familie, etc.) zu verteidigen.
Halt ein Versuch zu differenzieren.Interessant eigentlich, ich habe einen ähnlichen Differenzierungsversuch (mit zwei Achsen, "militärisch vs. zivil" als Zweckachse und "feudal vs. volkstümlich" als Achse bzgl. der hauptsächlich ausübenden gesellschaftlichen Gruppe) im alten KKF vorgeschlagen. Kam damals leider nicht viel dazu.
Ich halte Deine Unterteilung aber für eine sehr moderne. Schauen wir uns mal Europa (oder auch Japan) an, dann sehen wir, dass die Grenzen, die Du da aufmachst, über die Jahrhunderte stets sehr fließend waren.
Wie es in China war, weiß ich nicht. Gerade da scheint sich mir aber die Gruppe der KK-betreibenden "Zivilisten" schon sehr frühzeitig vom eher verachteten Militär abgesondert zu haben.
Aber Richard ging es ja auch um das Ziel - den Berg KK. Das Ziel sich selbst zu schützen. Und ich denke gerade hier muss man auch Unterscheiden. Es gibt halt mehrere Berge KK.
Da liegt das Mißverständnis. Sich selbst zu schützen, ist nicht der Berg, sondern etwas, daß man ab einer gewissen Aufstiegshöhe über Null kann.
Es ist eine Verwendung von KK aber nicht die KK selbst.
Einen Stuhl zu bauen, ist auch nicht Schreinern per se, sondern etwas, daß ein Schreiner können sollte. Er könnte mit seinen Fähigkeiten auch Särge oder Schränke bauen.
Letztlich geht es beim Schreinern oder auch beim Schmieden immer um dasselbe. Da gibt es unterschiedliche Kulturen auf der Welt mit unterschiedlichen Preferenzen, Rahmenbedingungen und Gewohnheiten, aber letztlich ist der Kern beim Schmieden auf der ganzen Welt derselbe. Und Schreinern ist im Kern auf der ganzen Welt ebenfalls dasselbe Handwerk. Wer frei mit diesem Kern arbeiten kann und nicht mehr auf die Algorithmen und Anleitungen der Ausbildungsphase angewiesen ist, steht oben auf dem jeweiligen Berg. Natürlich ist das nur eine winzige Minderheit der Bergsteiger. Vielen reicht es, wenn sie über die Regenwolken kommen oder die Kuhweiden mit Bremsen und Fliegen los sind. Manche bauen sich auf der Alm eine Hütte, anderen reichen die Aussicht und die Freude am Wandern.
Manche kommen oben an und wundern sich, wen sie da treffen.
Ist ein schönes Bild, finde ich.
Z.B. so:
- Es gibt z.B. die militärische KK, in der das eigene Überleben gerade nicht erstes Ziel ist.
- Es gibt die wettkampforientierte KK, in der die Dominanz gegenüber dem Gegner, aber nicht des Verletzung oder Tötung das Ziel ist.
- Es gibt die Selbstverteidigung, eben mit dem Ziel sich selbst zu verteidigen.
- Und Kampfkünste um sich selbst und die eigene Wir-Gruppe (Freunde, Familie, etc.) zu verteidigen.
Halt ein Versuch zu differenzieren.
Das sind die verschiedenen Anwendungen bzw. taktische Rahmenbedingungen. Inwieweit eine Ausbildung auf diese jeweiligen taktischen Szenarien eingeht, hat sicher viel Einfluß darauf, wie erfolgreich man dann im Ernstfall ist, weil diese Rahmenbedingungen durch natürliche Auslese das Verhalten viel stärker beeinflussen als die Meinung des Ausbilders.
Es gibt Lehrmethoden, es gibt persönliche Fähigkeiten, es gibt Spielregeln, die man nicht ändern kann. Diese drei Dinge beeinflussen sich natürlich, und daraus entsteht dann ein ganzer Zoo aus verschiedensten Schulen. Die haben aber, jedenfalls sofern man nicht die Beschränkungen im persönlichen Können als betoniertes Lernverbot auffasst, alle einen gemeinsamen Kern, den Mt. Martial.
Was beispielsweise das Alleinstellungsmerkmal Fajin betrifft: Ich habe von meinem Vater eine Ohrfeige mit Fajin bekommen, lange bevor ich jemals diesen Begriff gehört hatte. Mein Vater nennt "Pengjin" einfach so, wie es sein Vater genannt hat: "Die Hand ist ausgerutscht."
Das ist eben ein Irrtum, zu glauben dass jede Abgabe von Kraft "fajin" ist. Bzw. die Mengen Jin sind so gering, dass es nicht ins Gewicht fällt. Beim Tysons Mike kann man schon eher davon sprechen, da passt auch das Ergebnis (Schädelbruch bei Golota). Davon findet man bei einem Felix Sturm dann so gut wie gar nichts. Ich habe 25 Jahre Wettkampfsport gemacht, und kannte keine deutlichen Jin-Effekte im Sport, bis es mit 32 dann aufkam. Und bei nicht wenigen Leuten passiert das nie. Dazu muss die emotionale Disposition passen, und man braucht entweder "Talent" (Zufall/Intuition), oder die richtigen Feedback-Übungen. Um die zu machen muss man aber nicht Chinesisch sprechen.
Bei meinem ex arbeitskollegen war da was als er bei hebeln den kuhfuss verbogen hat. Aber das mit dem fajin ist glaub ich so wie mit der physik zum hummelflug:)
Und in welche der 4 genannten Sparten ordnest Du Dich selbst ein Martin?
Hallo Lindo,
sehr gute Frage. Mit militärischer Kampfkunst habe ich kaum Berührung gehabt. Als ich jünger war, war Wettkampf interessanter (wenn ich auch nicht intensiv dabei war) - heute interessiert es mich für mich selber nicht mehr.
Selbstverteidigung für mich selbst oder andere ist immer noch interessant - steht aber nicht als eigentlicher Zweck im Vordergrund.
Warum mache ich dann noch Tai Chi Chuan? Und mache ich es noch als Kampfkunst?
Was mich schon immer und immer noch am Tai Chi Chuan begeistert hat, ist die Strategemik. Mit dem richtigen Einsatz von Technik und Geist kann man Aggression so herrlich einfach neutralisieren. Wenn es gut klappt ist selbst der Aggressor völlig überrascht. Diese Denke des Nichtwiderstandes und ihre Kultivierung auch in andere Bereiche ist etwas, das für mich nach fast 40 Jahren Kampfkunst bleibt.
Tai Chi Chuan ist hier sicherlich nur ein Beispiel. Aber ich hatte hier den überzeugendsten Lehrer gefunden und so bin ich halt hier geblieben.
So kann man vielleicht sagen, dass ich letzten Endes keine Kampfkunst mehr mache oder umgekehrt, dass ich gerade noch immer die für mich wesentliche Idee der KK Tai Chi Chuan versuche zu ergründen.
Gruß
Martin
P.S.: Aus diesem Blickwinkel gesehen kann Tai Chi Chuan, so wie es kenne - mit dem Schwerpunkt auf dem Neutralisieren von Kraft, sich auch deutlich von einigen anderen Kampfkünsten unterscheiden.
Nö.
Das deutsche Wort "selbst" ist eindeutig und bedarf keiner Definition. Damit ist immer nur eine Person gemeint und nicht eine ganze Familie.
Die deutsche Fußballnationalmannschaft kann sich also nicht bemühen, ein Tor zu schießen, ohne selbst eines zu kassieren?
Richtig. In einem Faustkampf nimmt man alles in Kauf, was einen nicht in Gefahr bringt kampfunfähig zu sein, wenn man dadurch einen grossen Vorteil erlangt. Sprich, wenn ich an den Angreifer ran will um ins "Ringen" zu kommen, nehme ich auch leichte Treffer in Kauf. Das ist eben was anderes ob der Angreifer ein Messer in der Hand hält oder nur mit Fäusten agiert.
Aber es ist nicht alles "eins". Der eine spezialisiert sich auf Schläge, der andere auf Rammaktionen, der Dritte ist ein Virtuose in Qinna. Das sind völlig unterschiedliche Ansätze die folgen, die nur Schnittmengen gemeinsam haben.
oder investiert in seinen schnellen Laufstil! Auch das kann eine gute Technik sein, usw.
@Martin
Danke für die Antwort. Was ähnliches hatte ich erwartet und erhofft. Das Ding mit den Kategorien ist m. M. n. auch nicht so leicht zu lösen. Ich denke das es ja einen Grund haben muss warum wir quasi keinen Bodenkampf haben z.B.. Es eght Dir also im Kern darum ein Prinzip, eine Haltung zu entwickeln die sich auch im ganzen Leben bewährt. Genau das ist der Punkt der Tcc für mich so interessant macht. Wenn ich nur kämpfen üben wollte wär ich woanders schneller versorgt.
Außerdem hat zumindest mir das Leben bislang bewiesen das ich sowieso getroffen werde, deshalb ist der Umgang mit Treffern für mich wichtiger als das Treffer vermeiden.
Aloha
rudongshe
16-07-2013, 15:00
Mit dem richtigen Einsatz von Technik und Geist kann man Aggression so herrlich einfach neutralisieren. Wenn es gut klappt ist selbst der Aggressor völlig überrascht.
Was ist Aggression in diesem Fall?
Was ist herrlich einfach?
Was ist völlig überrascht?
Und wie geht es dann weiter?
Ich glaube auch nicht, dass früher je ein Frontsoldat eine Ausbildung in einer langwierigen und teuren Ausbuldung in einer Kampf/Kriegskunst genossen hat.
Der bekam Drills.
Grüße
Hallo Rudongshe,
am liebsten übe ich es in unserem Pushhands. Hier kann die Aggression ein Einpunkt-, Zweipunkt oder Dreipunktangriff sein.
Einpunkt kann z.B. Druck mit einer Hand sein, der versucht einen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Zweipunkt kann doppelter Druck oder Hebeltechnik sein.
Dreipunkt kann z.B. Zweipunkt mit Fußblokade oder Feger sein.
Durch ein Neutralisieren mit z.B. lü können alle diese Formen von Aggression so aufgelöst werden, dass sie mein Zentrum nicht erreichen und ins Leere gehen.
Ist das Neutralisieren im richtigen Timing ausgeführt, hat der Aggressor eigentlich erwartet, Wirkung zu erzielen. Klappt dies nicht und die Kraft geht in die Leere, führt das oft dazu, dass er selbst den Schwerpunkt verliert. Dies kann (auch für erfahrene Kampfkünstler) sehr überraschend sein.
Wie geht es dann weiter?
Im Lied der Schlagenden Hände heißt es (Ausführlicher erläutert im Tai Chi-Klassiker Lesebuch):
Yinjin Luokong Hejiqu - Man leitet den Angriff in die Leere und schlägt dann sofort zurück. Da der andere den Schwerpunkt verloren hat, hat man kurz die Wahl - vom freundschaftlichen aus dem Gleichgewicht bringen bis zu harten Gegenstößen - etwa Schläge, Tritte und Würfe mit erheblichen Wirktreffern.
Hilft das?
Gruß
Martin
rudongshe
16-07-2013, 22:13
Hallo Martin,
okay das was Du beschreibst geht für mich eher in Richtung Bewegung- oder Kraftrichtung, hat aber weniger mit Kampf und Agression zu tun sondern mit Training.
Ich erlebe es so: Hinter Agression steckt meistens auch der Wille zu verletzen oder Gewalt einzusetzen um ein Ziel zu erreichen.
Ich muss ich diesen Willen "brechen" damit der Angriff aufhört, falls ich keine Gelegenheit habe flitzen zu gehen...
Mental brechen durch Einsicht in Chancenlosigkeit
Körperlich brechen durch Beschädigen von Gliedmaßen
Die nächste Frage ist: bin ich bereit das zu tun und wie weit bin ich bereit dafür zu gehen.
Und: kann ich wirklich abschätzen was in einer Situation passiert.
Das sind für mich Kernfragen der Kampfkunst.
Und deswegen fällt es mir schwer die KK zu unterscheiden nach Einsatzorten, denn Kämpfe sind in meinen Augen per se chaotische, gefährliche Situationen mit allerlei Konsequenzen.
Insofern glaube ich Richard schon zu verstehen.
Grüße und gute Nacht
Hallo rudongshe,
du schreibst:
"Hinter Agression steckt meistens auch der Wille zu verletzen oder Gewalt einzusetzen um ein Ziel zu erreichen."
Sehe ich genauso. Deswegen trainiert man ja die Antwort auf Aggression.
Natürlich ist die Trainingssituation niemals mit der echten Situation identisch - sonst wäre es ja kein Training.
Die Frage ist, will man sich nach dem Training bewusst der echten Situation aussetzen, um sein erlerntes Verhalten zu testen, oder will man das Training ganz nah an die reale Situation führen - mit all seinen Gefahren von ungewollten (oder auch gewollten) Verletzungen?
Warum nicht? Bringt ein großes Maß an Erfahrung.
Und yup - ich denke, genau hier hakt es manchmal beim Studium der Kampfkünste - wie simuliere ich die reale Situation?
Am Ende geht es da manchmal mehr um die mentale Einstellung, als um Technik.
Gearde hier liebe ich das Pushhands - man verliert nach meiner Erfahrung auch nach sehr langer Übungszeit immer noch sehr häufig. Ich denke, nicht schlecht als Start eine Kampfkunst zu meistern.
Gruß
Martin
Es gibt durchaus Möglichkeiten, emotional auf den Geist einzuwirken dass man Leute auch "beruhigt" ohne gleich die Knochen zu brechen. Hängt davon ab wie kaputt die sind. Aber sowas muss man halt auch erst können, da zahlen sich exzellente PH-Skills auch aus.
Richard22
17-07-2013, 13:44
Qi Jiguang schreibt selber, das waffenlose Stile alle dasselbe ausüben - was ist Kampfkunst anderes als Können in Zusammenhang mit Ringen, Fechten und Reiten?
Yu Da-You stellt alle Blankwaffen mit dem Gun und Ba (Stock und Dreizack) dar.
3327a schreibt, das es nur eine Kunst des Schwertes gibt. Das das Ringen die Grundlage des Fechtens ist.
Diese beiden zuerst genannten Quellen (Yu Da-You und sein Schüler Qi Jiguang) sind die Grundlagen zu allem China-KKs, die wir haben. Das ist trraurig, aber wahr.
Was hier im Strang versucht wird, ist sich selber das Leben schönzureden.
Taiji'ler haben in der Regel leider kein Verständnis von KK, kennen ihre eigenen "Stile" und dessen Geschichte nicht, können kein Stück daraus ringen oder fechten usw. Selbst die Stücke der zwei waffenlosen Formen (mehr gibt es nicht) sind den Leuten unbekannt. Dabei ist Taijiquan ein höchst interessante und sehr praktische KK.
Sportkämpfer sind an Regeln gebunden - KK kennt keine Regeln.
Militärische KK beginnt mit Eigenschutz - einfach einen Bundeswehrler fragen, wie oft er auch harten Böden "Stellung" üben mußte oder Schanzen mußte. Auch sollte die Leute hier im Strang sich fragen, warum heutige Soldaten sich tarnen. Oder wie der Umgang mit dem Gewehr geübt wird - hier im Forum scheint der Ungang mit Waffen eher selten zu sein - was krass ist, wenn man bedenkt das Taijiquan ein Fechtstil ist (ich weiß, daß Klaus da eine Ausnahme ist).
Waffenlose KK ist immer Ringen/ Greifen/ Schlagen und Treten (Shuai/ Na/ Da/ Ti - Fa) - es muß alles davon geübt und eingesetzt werden, weil es der Anatomie des Menschen entspricht.
Klaus's als Handballer würde wahrschein durchaus zustimmen, wenn jemand schriebe, daß es nur ein Handball gibt. Man könnte aber anfangen zu unterscheiden, Handball ohne Körperkontakt, Handball ohne Sprünge, Handball mit einem Schaumstoffball usw. Dann könnte man untersuchen, was Handball früher vor 10 Jahren oder 100 Jahren war.
Handball ist Massenkampf, Buhurt - im Handball mag man sich spezialisieren, Kreisläufer, Verteidiger, Torwart. In der KK muß man alle diese Rollen erlernen, weil KK mit dem Einzelkampf beginnt. Jeder Handballer wird alle Bereiche üben (Kreisläufer, Verteidiger, Torwart - Ringen, Greifen, Treten. Schlagen) dann sich aber auf bestimmte Rollen festlegen. Das geht aber eben nur, weil Handball Massenkampf ist. Ein Übungsleiter im Handball muß aber alle Bereiche kennen und unterrichten.
Liechtenauer erweist sich nach guten 10 Jahren Forschung mehr und mehr als Konstrukt - ich denke, aus dem 17. Jhd. - das ist aber nur meine Theorie. Lecküchner z.B. ist weit umfassender, noch rätzelhafter und unglaublich vielfältig.
Lecküchner und You Da-You sind die umfassendensten Quellen, die wir haben.
KK im historischen Kontext zu bewerten ist schwer und arbeitsintensiv - kein Historiker und Forscher tut dies heute.
Taijiquan ist so weit zum Rentnersport verkommen, das man von KK nicht mehr sprechen kann.
Jede Form von Taijiquan/ Changquan geht, mit den beiden Formen, auf Chen Wangting und Chen Changxing zurück - das mag nicht gefallen, ist aber Stand der Forschung. Bei den Waffenformen ist das etwas schwieriger, die Jian Formen scheinen neu zu sein - über die heutigen "neuen" Formen mit Schlagstöcken möchte ich lieber schweigen. Die Speerform (Qiang) - die als Grundlage galt - geht ganz klar auf den Yang Speer zurück, den Yu Da-You und Cheng Zong You, wie auch Qi Jiguang als zeitgenössisch nennen.
Historisch bleibt da nicht viel - wenn man Chen Wangting betrachtet - das schreibt er ja auch - er hat nur einige Dinge, die Allgemeingut waren, zusammengestellt.
Alleine schon der neokonfuzianische Begriff "Taiji" beantwortet schon alle Fragen, die hier im Stang über KK aufgekommen sind.
Fechtergruß
Sportkämpfer sind an Regeln gebunden - KK kennt keine Regeln.Unsinn. In jeder Form von Kampf und Krieg gab es Regeln, Konventionen, Übereinkünfte, stillschweigend geteilte Werte, kulturelle Selbstverständlichkeiten. Ja, die wurden auch oft gebrochen (zeig mir mal ein einziges Fußballspiel ohne gelbe Karte). Und ja, die haben sich teilweise fundamental von dem unterschieden, was wir heute als "Werte" akzeptieren würden. Aber es gab sie und ihren normativen Anspruch. Wer das verleugnet, wird gerade feudale Heere und das, was sie taten und nicht taten, einfach nicht verstehen.
Liechtenauer erweist sich nach guten 10 Jahren Forschung mehr und mehr als Konstrukt - ich denke, aus dem 17. Jhd. - das ist aber nur meine Theorie. Lecküchner z.B. ist weit umfassender, noch rätzelhafter und unglaublich vielfältig....und beide gleichermaßen hatten nicht das Mindeste mit dem zu tun, was zum selben Zeitpunkt auf den Schlachtfeldern passierte.
Lecküchner und You Da-You sind die umfassendensten Quellen, die wir haben. Es gibt X Quellen zur Kriegsführung vergangener Zeiten. Bloß muss man mal die "KK-Brille" abnehmen, um diese zu erkennen.
Die Bundeswehr, übrigens, ist eine schlechte.
amasbaal
17-07-2013, 14:25
teutonisches Dumpfboxen
sehr passende stilbezeichnung. merk ich mir... :)
opendoor
17-07-2013, 14:30
..Jede Form von Taijiquan/ Changquan geht, mit den beiden Formen, auf Chen Wangting und Chen Changxing zurück - das mag nicht gefallen, ist aber Stand der Forschung. Bei den Waffenformen ist das etwas schwieriger, die Jian Formen scheinen neu zu sein - über die heutigen "neuen" Formen mit Schlagstöcken möchte ich lieber schweigen. Die Speerform (Qiang) - die als Grundlage galt - geht ganz klar auf den Yang Speer zurück, den Yu Da-You und Cheng Zong You, wie auch Qi Jiguang als zeitgenössisch nennen... Auch heute ist es doch nicht anders. Nicht nur die Chens haben gesammelt was sie an Knowhow kriegen konnten, jeder hier oder sonstwo versammelte KK Lehrer hat ja auch Dinge in seinem Sortiment, die nicht alle aus der selben Quelle/Tradition stammen. Außerdem glaube ich, dass ab einem bestimmten Niveau auch äußere und innere Kampfkünste konvergieren. Bleibt noch die Frage der Didaktik und der Ausbildung zu klären. Die moderen Shaolin Kampfkunstschulen haben sicher eine extrem äußere Ausbildung. Dennoch war die Ausbildung der Yang Söhne scheinbar nicht minder rüde.
Was war denn nochmal die Frage ?
Ronny Wolf
17-07-2013, 15:04
Ich fürchte Richard gehört zu einer aussterbenden Art. Evolution kann schon ganz schön hart sein.
Taiji'ler haben in der Regel leider kein Verständnis von KK, kennen ihre eigenen "Stile" und dessen Geschichte nicht, [...] Dabei ist Taijiquan ein höchst interessante und sehr praktische KK.
Stimmt. Leider.
Allerdings ist das Suchen nach "Stücken" eher nicht die Lösung sondern nur ein weiterer Irrweg.
Kamenraida
17-07-2013, 23:32
Die Speerform (Qiang) - die als Grundlage galt - geht ganz klar auf den Yang Speer zurück
Ich kenne die 13er Speerform im Yang und die Chen STock/Speer-Form. Diese Lineage ist da eher überraschend. Von daher: Kannst du das erläutern bzw belegen?
Mein Trainingsstand limitiert mich hinsichtlicht einer wirklich umfassenden fachlichen Übersicht. Aber meine Erfahrungen mit Taijilern bestätigen Richard seine Meinung. Es ist zum Großteil ein Rentnersport.
Nur weil Richard hier immer wieder betont, dass er etwas von Kampfkunst verstehe und suggeriert, wir restlichen hier haben keine Ahnung, muss nicht heissen, dass wir anderen keine Ahnung davon haben. Es gibt auch Einige, die nicht immer betonen müssen, dass sie auch Kampfkünste betreiben. Einige wie ich sind auch einfach nur müde, immer wieder auf die gleichen Sachen zu antworten, die Richard hier seit bald zwei Jahren mantramässig wiederholt.
Zum Thema: Wenn Taijiquan kein Stil ist, würden alle das gleiche machen, unabhängig davon, ob einer innere oder äussere Kampfkunst betreibt. Wenn es keine Kampfkunst-Stile gibt, wieso unterscheiden sich dann die Bewegungen des BJJ z.B. vom Wing Chun, wieso sieht Taijiquan nicht wie Hung Kuen aus? Es ist doch Haarspalterei ob man das jetzt Stil, Ausprägung oder Variante nennt. Das Beispiel auf Seite 1 dieses Threads von Kamenraida betreffend Ballsportarten war sehr treffend. Es gibt nicht eine Kampfkunst, sondern verschiedene. Das ist ein Fakt, visuell trotz aller theoretischen Konstrukte unschwer zu erkennen.
Nur weil Richard hier immer wieder betont, dass er etwas von Kampfkunst verstehe und suggeriert, wir restlichen hier haben keine Ahnung, muss nicht heissen, dass wir anderen keine Ahnung davon haben.
Nuja... Du weißt aber genauso gut wie ich, worauf die Rentnersport-Bemerkung zielt, oder? Die Katastrophe ist nunmal flächendeckend, und nur, weil Richard oft wilde Thesen bringt, wird sein Hinweis auf diese Katastrophe nicht plötzlich unbegründet. Taijiquan ist die seltene Ausnahme, Rentner-Taichi ist die Regel.
Mir ist absolut bewusst, dass der Grossteil der Taiji-Schulen in Europa im Gesundheits-Segment tätig ist und nicht in der Kampfkunst. Ich kann da nicht für Deutschland sprechen, sondern nur für die Schweiz. Ich kenne da die eine oder andere Schule, die Taiji als Kampfkunst betreibt. Wenn es das eine gibt, heisst das eben nicht, dass es das andere nicht gibt. Nicht in dem Masse wie das wünschenswert wäre, aber es gibt sie. Das sollte man auch mal akzeptieren.
Verbrennen war wie von Dir beschrieben auch erlaubt, nur führte das bei den Betroffenen zur Lynchjustiz.
Ist das gleiche wie mit den von Kanken angesprochenen Scharfschützen.
Einem Scharfschützen ist klar, dass er sich besser nicht erwischen lässt, auch wenn es im Krieg nicht verboten ist, feindliche Kombattanten aus dem Hinterhalt zu erschießen.Ist aus meiner Sicht ein Anzeichen, dass die Kämpfenden durchaus unterschieden und quasi eigene "Regeln" aufstellten und Verstöße dagegen auch (wie im Krieg üblich) sehr direkt "ahndeten".
Bogen zum Thema: Gefragt war ja, ob alle KKs im letzten auf das Gleiche hinauslaufen. Wäre die These richtig, dass in ernsten Kämpfen, gleich welcher Art, letztlich "Zivilisation" (sagen wir, Kultur) komplett zusammenbricht, und quasi "Naturrecht" und Instinkte allein die Macht übernehmen, wäre es ja tatsächlich logisch, dass alle Arten von Kämpfen letztlich zu ähnlichem Verhalten führen. Dann würden natürlich auch alle KKs irgendwie um diesen einen Berg kreisen, und wären bloß unterschiedlich, wo die technologischen und physischen Voraussetzungen unterschiedlich sind.
Wenn aber "kulturelle" Tabus, implizite Regeln, Brauchtümer entweder in Kämpfe eingebracht werden oder sich (im Rahmen länger andauernder Konflikte) etablieren, bzw. sich auch zwischen verschiedenen Formen von Kämpfen (und, logischerweise, zwischen verschiedenen Kulturen) unterscheiden, wäre es auch nur logisch, dass sich auch Kampfkünste (z.T. gravierend) unterscheiden. Und dann ließen sie sich in ihrer spezifischen Form nicht ausschließlich aus "Effektivitätserwägungen", oder aus den technologischen Voraussetzungen herleiten.
Ich denke übrigens, beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung. Drum hat mich das Apodiktische im "Krieg ist regellos" gestört.
Alles natürlich unter der Prämisse, dass es überhaupt immer, überall und stets in allen KKs (vornehmlich) ums Kämpfen gegangen sei. Denke, den alten Leuten, die in China in Massen im Park Tai Chi in der vom Staat zusammengestellten Form trainieren, geht es darum nicht.
Was übrigens, meiner Auffassung nach, auch ok ist. So toll ist ja Kämpfen auch wieder nicht.
Bloß, wenn einen Kämpfen (in welcher Form auch immer) interessiert, hat man davon halt wenig.
Wäre die These richtig, dass in ernsten Kämpfen, gleich welcher Art, letztlich "Zivilisation" (sagen wir, Kultur) komplett zusammenbricht, und quasi "Naturrecht" und Instinkte allein die Macht übernehmen, wäre es ja tatsächlich logisch, dass alle Arten von Kämpfen letztlich zu ähnlichem Verhalten führen. Dann würden natürlich auch alle KKs irgendwie um diesen einen Berg kreisen, und wären bloß unterschiedlich, wo die technologischen und physischen Voraussetzungen unterschiedlich sind.
Es ist wohl allgemein so, dass durch bestimmte Rahmenbedingungen, also auch vorgegebene Regeln, sich bestimmte Verhaltensweisen als besser herausstellen als andere.
Manche wundern sich ja, warum man in manchen Wettkämpfen nicht mehr KK XY erkennen kann, oder zumindest schwer, sondern halt Leute, die sich so verhalten, wie man es unter dem Regelwerk und in Anbetracht der eigenen Fähigkeiten am besten macht.
Manche Taijiler wenden sich ja angeekelt von PH-Turnieren ab, weil man da kein Taijiquan sähe sondern eher Sumoringen für Arme.
Und auch da bringen die Regeln Verhaltensweisen hervor, die unter anderen Bedingungen suboptimal sind (z.B. stehen bleiben um jeden Preis)
Könnten wir ganz langsam wieder zum Thema zurück? Hab doch in Post #62 extra versucht, ne Brücke zu bauen. Für eine sachliche Diskussion zu Kriegen der Vergangenheit fehlt hier offensichtlich zu vielen die nötige Sachlichkeit, das hab ich jetzt begriffen. Werde entsprechende Posts künftig ignorieren.
T. Stoeppler
20-07-2013, 17:05
So ich habe endlich die Zeit (ist ja Wochenende...) gefunden, diesen ganzen Kriegsblödsinn aus dem Thread zu entfernen. Sorry, wenn da irgendein Kontext verloren gegangen ist, aber daraum wars auch echt nicht schade.
Ich öffne wieder, in der Hoffnung, dass das Thema im angemessenen Rahmen diskutiert werden kann.
Gruss, Thomas
Richard22
22-07-2013, 14:16
Sind hier irgendwelche Regeln bekannt, die er in früheren Zeiten in der KK gab?
Aus dem Westen kann ich klar sagen: Nein. Einer meiner Schüler hat die Geschichte von Duellen untersucht und sogar einen Fall aus Italien gefunden, bei dem der Ausbildner den jungen Mann explizit darauf schulte zum unteren vorderen Bein zu schlagen - was dieser der Auszeichnung nach tat und somit im Duell siegte.
Aus der China-KK, wie ich sie bisher betrachten konnten, ist die Antwort ebenfalls nein.
Die Stücke sind klar auf das Ableben des Gegners ausgelegt.
Wettkämpfe sind keine KK - Wettkämpfe haben nunmal Regeln und dadurch immer sozialen Konventionen unterworfen.
Schaut man sich andere Säugetiere an, dann fallen an den entsprechenen Rassen auch keine kulturellen Konventionen im Kampfverhalten auf. Ganz anders ist es, wenn diese Rassen z.B. ihre Jungen maßregeln - aber da wird nicht auf das Ableben gezielt.
Es heißt ja immer, daß KK natürlich sein sollte - es muß also ein Aggressionesverhalten unserer Rasse (als Mensch) geben.
Fechtergruß
Hallo Richard,
ich denke bezüglich der Säugetiere liegst du falsch.
Auch bei Säugetieren sind doch gerade die Kommentkämpfe zu finden.
(vgl. z.B. http://www.zhb-flensburg.de/dissert/ziehm/dissertation%20ziehm%20sebastian.pdf - sorry mal wieder eine Doktorarbeit: Verhaltensbiologische Untersuchung funktionsmorphologischer Größeneffekte in Kommentkämpfen bei Säugetieren und Sportlern):
"Die Kampfhandlung soll in erster Linie zur Unterwerfung des Gegners führen. Diese ist bei vielen Tieren in Form von Beschwichtigungsverhalten zu erkennen. Die Kampfhandlung ist daher als ein reines Kräftemessen zu verstehen, das über Privilegien wie beispielsweise ein Paarungsrecht (EIBL-EIBESFELDT 2004, KAPPELER 2009) nach dem Kampf entscheidet bzw. zur Unterstützung durch den Unterlegenen führt, wenn es zu einem weiteren Kampf um Positionen innerhalb der Rangordnung geht (FRANK 1997)."
Kommentkämpfe unterliegen Konventionen, um den Gegner nicht zu schwer verletzen. Hier ein Beispiel aus der Arbeit oben S. 35:
"Der Beginn ist das gegenseitige Anröhren (Drohen) des Platzhirsches und seines Herausforderers. Kann der Herausforderer beim Röhren die Frequenz des Platzhirsches halten, findet als nächster Schritt eine komplexere Handlung statt. Die Kontrahenten paradieren nebeneinander her. Vermutlich dient dieses minutenlang andauernde Verhalten der Einschätzung der Kampf- stärke des Gegners. Gibt der Herausforderer auch an dieser Stelle nicht auf, kommt es zur Eskalation, indem beide Hirsche mit gesenktem Kopf die Geweihe ineinander verschränken und beginnen zu kämpfen."
Tiere töten, um Nahrung zu beschaffen. Dann sollte man aber eher nicht von Kämpfen, sondern von Jagen sprechen.
Man findet bei Tieren also hauptsächlich zwei Arten der Anwendung von Gewalt:
1) Kommentkampf zum Auskämpfen von Hierarchien mit Regeln, bzw. festen Abläufen.
2) Beute machen zur Ernährung
Der Kampf auf Leben und Tod zur Selbstverteidigung gegenüber Artgenossen kann vorkommen, ist aber ein Resultat der zu starken Eskalation eines Kommentkampfes.
Gruß
Martin
Sind hier irgendwelche Regeln bekannt, die er in früheren Zeiten in der KK gab?
Wieso kommst Du darauf, daß Regeln ausgerechnet das Überleben des Gegners sichern sollen?
Es gibt haufenweise Regeln.
Traditionelle Regel No.1: Gehorche dem Lehrer.
Alle weiteren Regeln stellt dann dieser auf.
Sind hier irgendwelche Regeln bekannt, die er in früheren Zeiten in der KK gab?Kriege mal außen vor: Duelle (von denen Kämpfende offensichtlich zu allen Zeiten regelrecht besessen waren, und die sich trotz drakonischer Strafandrohungen nie wirklich verbieten ließen) folgen zwangsläufig einer Regel, die sie überhaupt erst ermöglicht: Einer gegen einen. Häufig wird das durch Mitbringen jeweils einer eigenen Partei/eines Sekundanten gesichert, der auch sonst darüber wacht, dass die Kämpfe "fair" (was auch immer man darunter zeitüblich gerade versteht) zugehen. Nicht selten dürfen die sogar eingreifen oder eine Einigung vorschlagen, wenn "es genug ist". Oder man verfrachtet die Kombattanten gleich - wie beim Holmgang - auf ein Inselchen. Bei den Wikingern gibts sogar schon sowas wie Kampfflächenbegrenzungen oder Eigenartigkeiten wie "abwechselnd zuschlagen".
Eine Fehde zwischen Sippen nach germanischem Recht hat ebenfalls klare Regeln incl. Kriegserklärung und Friedensschluss, die auch überwacht werden.
Turniere in Europa haben ebenfalls schon immer Regeln gehabt, incl. Strafen für Zuwiderhandlung. Das betrifft überhaupt erst einmal das zugelassene Teilnehmerfeld; das Nichteingreifen von Nichtzugelassenen; Nichtangriffe auf Pferde; erlaubte und verbotene Waffen; einen "Ringrichter", der allzu heftige Angriffe auf jemanden unterbrechen darf etc.pp.
Schon im Nibelungenlied kommt es fast zu einem Eklat, weil ein vorwitziger burgundischer Ritter einen Hunnen beim "friedlichen" Turnier tötet.
Das Überleben sichern sollen solche Regeln keineswegs immer, manchmal sogar im Gegenteil: "Übers Sacktuch schießen" stellt fast hundertprozentig sicher, dass einer der Kontrahenden stirbt. Aber es muss die Chance auf Überleben erhöhende Absprachen auch z.B. im mittelalterlichen Japan gegeben haben. Ich habe ja schon mal drauf hingewiesen: Schaut man sich die Geschichte der jap. Duellkämpfe an, fällt auf, dass doch erstaunlich häufig beide Kontrahenden derart unbeschadet überlebten, dass einer der Schüler des anderen werden konnte. Wie sie das genau gemacht haben, ist leider nicht mehr so recht bekannt, aber mit dem Schwert dürfte so ein Ergebnis doch höchst unwahrscheinlich sein, wenn es nicht irgendeine Art von Übereinkunft gegeben hätte, und die Leute wirklich nur "all-in mit scharfer Waffe" gekannt hätten.
Dojoregeln gibt es ohnehin schon so lange, wie es Koryu gibt.
Und dann fragt sich überhaupt, was Du alles als KK siehst. Ring-, Stock- oder Faustkämpfe folgten natürlich immer Regeln. Zumindest solchen, die andere Waffen und Eingriffe Dritter ausschlossen, meistens aber noch viel mehr. Von den alten Ägyptern bis zu den Hongkonger "rooftopfights".
T. Stoeppler
22-07-2013, 20:36
So ziemlich jede Kampftrainingsmethode entsteht in einem sozio-kulturellen UND situativen Kontext und hält sich auch im Rahmen der "Vergleiche" an die jeweils geltenden Normen. Allein dadurch gibt es RIESIGE Diskrepanzen in der Ausführung.
Traditionelle, d.h. lange bestehende Familienstile sind auch innerhalb der Familie(!) abgestuft. Es gibt den erhaltenden Teil und den Part fürs Grobe.
Die Anzahl der praktikablen Kampftechniken an sich ist ziemlich endlich, aber die Auswahlkriterien, Ausführungsvarianten, Gewichtungen und Trainingsmethodiken plus Trainingspsychologie sind enorm unterschiedlich.
Manche Leute werden gezielt ausgewählt und ausgebildet, um den Kopf hinzuhalten. In vielen militärischen Systemen dient die Kampfkunst nur zur Stärkung des Esprit du Corps.
Manche Leute werden in drei Jahren zu tauglichen Kämpfern ausgebildet, die nach einer kurzen Karriere verschlissen sind - andere werden über lange Jahre zum Lineage-Holder ausgebildet. Ganz oft gehört die Kampfkunst zur Ausbildung eines "Gentlemen" (bzw dem Äquivalent in jeweiligen Kulturen).
Man muss das einfach akzeptieren; Stile sind nicht alle gleich, Zielsetzungen sind nicht alle gleich, Menschen sind nicht alle gleich.
Es ist ziemlich belanglos, für die Historie und für den Rest der Welt, die eigene Modellvorstellung von Kampfkunst zu projizieren.
Gruss, Thomas
amasbaal
23-07-2013, 00:16
...Wäre die These richtig, dass in ernsten Kämpfen, gleich welcher Art, letztlich "Zivilisation" (sagen wir, Kultur) komplett zusammenbricht, und quasi "Naturrecht" und Instinkte allein die Macht übernehmen, wäre es ja tatsächlich logisch, dass alle Arten von Kämpfen letztlich zu ähnlichem Verhalten führen. ...
Wenn aber "kulturelle" Tabus, implizite Regeln, Brauchtümer entweder in Kämpfe eingebracht werden oder sich (im Rahmen länger andauernder Konflikte) etablieren, bzw. sich auch zwischen verschiedenen Formen von Kämpfen (und, logischerweise, zwischen verschiedenen Kulturen) unterscheiden, wäre es auch nur logisch, dass sich auch Kampfkünste (z.T. gravierend) unterscheiden.
...Alles natürlich unter der Prämisse, dass es überhaupt immer, überall und stets in allen KKs (vornehmlich) ums Kämpfen gegangen sei.
da gibt es nichts hinzu zu fügen. 100% agree :halbyeaha
Tiere töten, um Nahrung zu beschaffen. Dann sollte man aber eher nicht von Kämpfen, sondern von Jagen sprechen.
Man findet bei Tieren also hauptsächlich zwei Arten der Anwendung von Gewalt:
1) Kommentkampf zum Auskämpfen von Hierarchien mit Regeln, bzw. festen Abläufen.
2) Beute machen zur Ernährung
Der Kampf auf Leben und Tod zur Selbstverteidigung gegenüber Artgenossen kann vorkommen, ist aber ein Resultat der zu starken Eskalation eines Kommentkampfes.
wie ist dann der fakt einzuordnen, dass zb. schimpansen clans regelrechte kriege gegeneinander führen, ohne dass ein nahrungsspezifischer kontext oder eine gruppeninterne hierarchie eine rolle dabei spielt?
tatsächlich wurde zb. beobachtet, dass einer der konflikte mit einem "raubmord" an einem schimpansen aus einem anderen clan begann, der mit einem überfall auf den clan des "täters" beantwortet wurde, womit der "krieg" begann (soweit jedenfalls meine erinnerung an einen bericht von vor etwa 15 jahren). unter menschen würde man dann von einem "blutrachekonflikt" oder von einer "fehde" reden.
interessant: strategie und taktik im "militärischen" sinne, spielten bei den kämpfen eine große rolle. soweit ich weiß gab es, von der art des vorgehens und von der art des waffengebrauchs einmal abgesehen, keine "kulturellen konventionen" (die es bei schimpansen sehr wohl im alltagsleben gibt, da ist viel sozial gelerntes/enkulturiertes im spiel) im sinne einer drosselung der aggressivität, einer differenzierung in kombatant und nichtkombatant, entsprechend von alter und geschlecht oder im sinne eines ritualisierten kampfverhaltens. da aber strategisch/taktisch klar erkennbare muster da waren, gab es zumindest in diesem sinne "regeln der kriegsführung".
auch in anderer hinsicht sind menschenähnliche züge erkennbar: die toten der eigenen gruppe wurden betrauert, die des anderen clans ignoriert (in einigen fällen wurde sogar noch auf die toten eingeschlagen). eine derartige differenzierung in "wir" und "die anderen" innerhalb der selben art, inklusive der geltung sozialstrukturerhaltenen/empathischen verhaltens nur für die mitglieder der eigenen gruppe, ist schon erstaunlich und weicht vom verhalten der meisten anderen tierarten schon ziemlich ab.
regeln oder besser ritualisierungen in das konfliktverhalten gegenüber "anderen" einzubauen, ist wiederum eine spezifisch menschlich kluge art, bei allen "differenzen" noch einen "mitspieler" sehen zu können. anders ja, aber gleich, was die regeln des gegenseitig akzeptieren des "mensch-seins" angeht und damit nicht grenzenlos in der vernichtung des anderen. da es aber genügend beispiele der "entmenschlichung" im konfliktverhalten gegenüber "anderen" gibt, die sich alle auf "werte" (also kulturelles) berufen, die dies erlauben, muss man leider auch sagen: kultur ist nichts per se erhabenes. sie kann auch tödlich wirken. kommt immer drauf an, was für regeln gelten. dazu kann auch die regel der entmenschlichung des eigenen verhaltens gegenüber denen gelten, die kulturell-kognitiv als "un(ter)menschen" verortet werden.
ein thema, dass kein ende findet. alles ist möglich. nichts ist wirklich ausschließlich natürlich - zumindest nicht, wenn primaten ihre finger im spiel haben (und die haben sie ja "heutzutage" auf jedem quadratzentimeter dieser erde im spiel - auf die eine oder andere art...).
bezogen aufs thema:
Man muss das einfach akzeptieren; Stile sind nicht alle gleich, Zielsetzungen sind nicht alle gleich, Menschen sind nicht alle gleich.
auch ne antwort auf die eingangsfrage.
wie ist dann der fakt einzuordnen, dass zb. schimpansen clans regelrechte kriege gegeneinander führen, ohne dass ein nahrungsspezifischer kontext
Wie kommst Du darauf ? Das Angebot an Nahrung in einem Areal ist endlich, und wenn eine andere Gruppe derselben Spezies im Revier erscheint, geht es immer um Nahrungskonkurrenz.
Keinen Nahrungskontext annehmen könnte man dann, wenn eine Gruppe ihr eigenes Revier verlässt und über eine grössere Distanz bei einer anderen einfällt und die tötet, um dann wieder zurückzukehren. Da müsste die Distanz aber schon so gross sein, dass eine Nahrungskonkurrenz ausgeschlossen ist, einmal um den Block reicht nicht. Ich rate mal wild drauf los, sowas kommt vor, wenn einer Gruppe die Weibchen ausgehen, und man bei einer anderen die Männchen platt macht um deren Weibchen zu übernehmen.
Interessant, auch bei Schimpansen gibt es kulturelle Unterschiede in der Kampfesführung und beim Umgang mit "Gefangenen":
Taï-Schimpansen verhalten sich gegenüber ihren Gefangenen selten aggressiv, auch Junge werden geschont. Dafür kommt es häufig zur Paarung mit den Gefangenen. Zehn Prozent der Kinder einer Gruppe haben einen Vater aus einer benachbarten Sippe. In anderen Regionen Afrikas werden die gefangenen Schimpansen oft misshandelt, manchmal auch getötet; den Jungen ergeht es nicht besser. Auch werden die Gen-Pools beider Lager kaum vermischt.
Die Taï-Schimpansen sind zudem bereit, große Risiken einzugehen, um Gruppenmitgliedern in schwierigen Situationen zu helfen. Boesch hat beobachtet, wie ein mächtiges Männchen ein Weibchen seiner Gruppe aus der Gefangenschaft befreite. Er legte sich dabei mit vier gegnerischen Tieren an und riskierte sein Leben.
Boesch führt dieses Verhalten im Taï-Reservat auf die hohe Zahl der dort lebenden Leoparden zurück. Obwohl diese kleiner sind als eine ausgewachsene Schimpansin, können die Raubkatzen die Affen mit einem einzigen Biss töten. Diese Bedrohung habe bei den Taï-Schimpansen zu dem einzigartigen Sozialverhalten geführt, vermutet Boesch. Quelle: Schimpansen - Im Kampf vereint - Wissen - Sddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/wissen/schimpansen-im-kampf-vereint-1.535004)
Richard22
23-07-2013, 12:48
Wir haben eine Menge zu Zweikämpfen in D-Land und Europa geforscht - das ist recht durchwachsen. Gerichtsakten und Historien der Adelshäuser.
Einfache Definitionen - Stile usw - gibt es da nicht. Regeln vor und nach dem Kampf - sozialer Kontext - ist etwas ganz anderes als ein Regelwerk für das Gefecht.
Beim Ordal z.B. ist Waffengleichheit die Regel (Mann gegen Mann) - Töten des Gegners ist beabsichtigt, wenn es nicht zu Tode kommt wird der Unterlegene gehengt. Regeln gibt es keine.
Eine ähnliche Situation findet sich heute in der SV - Regeln sind da nicht vorhanden - auch wenn Straßenkämpfe nicht immer zum Tode führen.
Kampfkunst ist Können im Kampf - Kampf ist darauf ausgelegt den Gegner daran zu hintern einen selber zu treffen, aber selber Treffer anzubringen.
Letztlich ist KK Sozialverhalten - Kampf ist ein soziales Ereignis.
KK ist damit nicht anderes als eine soziale Fähigkeit des Menschen.
Das Menschen sich heute noch so wie die Affen aus den Beiträgen zuvor benehmen und Krieg ein normales Mittel der wirtschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Staaten ist können wir aus einer Bebachtung der heutigen Politik entnehmen.
Klar sind wir hier in D-Land heute gegen vieles Unfreundliches abgeschirmt - für den größten Teil des Planeten gilt dies aber nicht.
Fechtergruß
Beim Ordal z.B. ist Waffengleichheit die Regel (Mann gegen Mann) - Töten des Gegners ist beabsichtigt, wenn es nicht zu Tode kommt wird der Unterlegene gehengt. Regeln gibt es keine.
"Der Kampf endet mit dem Tod einer Partei" ist eine sehr eindeutige Regel.
Eine ähnliche Situation findet sich heute in der SV - Regeln sind da nicht vorhanden - auch wenn Straßenkämpfe nicht immer zum Tode führen.
Oh, doch.
Wenn Gruppen auf einen "Herausforderer" losgehen, gibt es klare soziale Hierarchien, wer wann wie weit gehen darf, welches Gruppenmitglied entscheidet, ob und wann Gnade gewährt wird, und wer sich vor den oft zuschauenden Frauen der Gruppe besonders hervorheben darf. Es geht um Herrschaft und Ehrbegriffe, und deren soziale Mechanismen sind zwar meistens nicht schriftlich fixiert, aber als ungeschriebene Verhaltensregeln durchaus präsent.
Bei Vergewaltigungen geht es üblicherweise um Unterwerfung - hier werden vom Angreifer gezielt Regeln für Bestrafung und Gnade aufgestellt.
Raubüberfälle haben eine einfache Regel: Der Räuber interessiert sch nicht für das Opfer sondern für die Beute. Deshalb führen die meisten Raubüberfälle nicht zum Raubmord - wenn das Opfer die Spielregeln kennt.
Selbst Terroranschläge (gerne als Amokläufe verbrämt) folgen impliziten Regeln von Gnade, Rache, Ruhm und Selbstdarstellung.
Serienmörder, die tatsächlich nur zum Triebabbau und scheinbar sinnlos töten, sind eher selten und deshalb ja auch so schwer zu erwischen. Allerdings folgt auch deren Handeln Mustern und impliziten Regeln.
Was man in Deutschland zu sehen verlernt hat: Gewalt ist niemals ein rechtsfreier Raum!
Im Gegenteil: Gewalt dient fast immer unmittelbar der Durchsetzung eines Rechts. Es soll eine bestehende Legitimation gebrochen und wenigstens zeitweise eine neue Legitimation etabliert werden.
"Wer schlägt hat unrecht" ist typisch für deutsche Wirklichkeitsverweigerung auf Kindergartenniveau. Das Gegenteil ist in der Realität richtig: Wer seine Gegner besiegt, setzt damit zumindestens vorrübergehend seine Rechtsauffassung durch.
Im einfachsten Falle lautet die: "Ich darf das. Du nicht."
Schonung oder Tötung, Ehrung oder Demütigung des Feindes ist dabei Mittel zum Zweck und folgt einer Abwägung aus unmittelbarer Notwendigkeit für den Sieg und anschließenden Folgen für die soziale Stabilität der durchgesetzten Rechtssituation.
Letztlich ist KK Sozialverhalten - Kampf ist ein soziales Ereignis.
KK ist damit nicht anderes als eine soziale Fähigkeit des Menschen.
Eben! Und Sozialverhalten folgt sowohl angeborenen wie erlernten Regeln. Daß man die speziell in Deutschland eher selten niedergeschrieben finden dürfte, hat viel mit übermächtigen politischen Idealen und natürlich auch ein wenig mit praktischen Problemen in der Verhaltensforschung zu tun.
Das Menschen sich heute noch so wie die Affen aus den Beiträgen zuvor benehmen und Krieg ein normales Mittel der wirtschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Staaten ist können wir aus einer Bebachtung der heutigen Politik entnehmen.
Die Beschränkung auf wirtschaftliche Auseinandersetzungen kann man streichen. Gewalt funktioniert nun einmal.
Staaten entstehen durch Kriege um Herrschaftsräume und legitimieren sich hauptsächlich durch die Fähigkeit, Kriege gegen innere und äußere Feinde zu gewinnen. Staaten, die diese Fähigkeit verlieren, können sie niemals durch Wohltaten auf irgendwelchen anderen Politikgebieten ausgleichen. Sie gehen unter und das Territorium wird neu verteilt.
Richard22
25-07-2013, 14:12
Peep - ich bin voll und ganz Deiner Meinung.
Ich unterscheide eben nur die Gewaltmittel und deren Regeln im Gefecht von der Motivation zur Gewalt und deren Regeln im Gefecht.
Wie hat das Roosevelt so schön gesagt: "In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, dann kann man sicher sein, dass es auf diese Weise geplant war."
Das jede Form von Motivation zur Gewalt (vor allem politischer Gewalt wir Terror usw) Regeln befolgt ist ganz klar und von mir unbestritten.
Die Art der Gewaltmittel unterscheiden sich aber durchaus, man kann sie grob in regellos und regelbehaftet unterscheiden.
Regellos hat immer die Zerstörung der Kampffähigkeit des Gegners und maximalen Eigenschutz zum Ziel - das ist KK.
Regelbehaftet gibt oft einen Teil, oder einen sehr großen Teil des Eigenschutzes auf, um die Zerstörung des Gegners möglichst auszuklammern - ein gutes Beispiel ist der KS (Kampfsport), die modernes Fechten oder Boxen, Karate.
Fechtergruß
MichaelII
25-07-2013, 17:01
auch in anderer hinsicht sind menschenähnliche züge erkennbar: die toten der eigenen gruppe wurden betrauert, die des anderen clans ignoriert (in einigen fällen wurde sogar noch auf die toten eingeschlagen)....
Ist mir neu daß Tiere trauern könne, soviel ich weiß wissen sie nicht was der Tot bedeutet. Ein verändertes Verhalten gegenüber Kadavern (auch Ameisen räumen tote Artgenossen weg) ist nicht mit der menschlichen Trauer zu vergleichen...
Da ist er wieder, der olle Irenäus Eibl-Eibesfeldt: "...Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung an Tieren ließen sich teilweise auf die Menschen übertragen..." Ist allerdings Schnee von gestern.
Grüße
Ist mir neu daß Tiere trauern könne, soviel ich weiß wissen sie nicht was der Tot bedeutet. Als ob WIR das wüssten. Beobachten kann man bei uns auch nur "ein verändertes Verhalten gegenüber Kadavern". Plus halt noch jede Menge schlaue Sprüche.
Tiere zu vermenschlichen ist ebenso falsch, wie sie für (reine) Überlebensmaschinen zu halten. M.E.n. gilt dieser Satz (ganz im Sinne der Ausgangsfrage) auch für Menschen... ;)
amasbaal
25-07-2013, 17:20
Ist mir neu daß Tiere trauern könne, soviel ich weiß wissen sie nicht was der Tot bedeutet.
bonobo schimpansen trauern schon. quelle: mein alter ethnologie prof, der zuvor "zoologe" gelernt hatte und seitdem gesteigertes interesse an kulturforschung bei primaten (affen, menschen) hatte, um das alte märchen, kultur sei nur menschlich endlich mal aus der welt zu schaffen und mehrere dokumentarfilme aus der forschung, die ich bei einem seiner seminare gesehen habe.
weißt du, was der tod wirklich bedeutet? ich nicht und ich spekuliere da auch nicht, weil es für mich im leben irrelevant ist.
trauern ist nicht gleichbedeutend mit wissen um die bedeutung des todes. schimpansen trauern - nachweislich. tier ist nicht gleich tier. schimpansen sind eh in vielem sehr anders, als andere tiere. wäre komisch, wenn dem nicht so wäre.
MichaelII
25-07-2013, 19:57
Als ob WIR das wüssten. Beobachten kann man bei uns auch nur "ein verändertes Verhalten gegenüber Kadavern". Plus halt noch jede Menge schlaue Sprüche.
Tiere zu vermenschlichen ist ebenso falsch, wie sie für (reine) Überlebensmaschinen zu halten. M.E.n. gilt dieser Satz (ganz im Sinne der Ausgangsfrage) auch für Menschen... ;)
Ich habe das Wort "Kadaver "benutzt, da es um tote Tiere ging. Bei Menschen heißt es noch Leiche. Der Tod bedeutet Erstmal das Ende jeglicher Existenz auf dieser Erde, unabhängig ob der tote Körper noch vorhanden ist oder nicht. Das wissen Tiere nicht, aus diesem Grunde trauern sie nicht, haben keine Bestattungsriten und keine Religion entwickelt.
Das ungewöhnliche Verhalten mancher (gerade intelligenteren) Tiere bei Leichen (laut Wiki wird dieses Wort auch bei Tieren angewandt) ist eben darauf zurückzuführen, daß das Nicht-Verhalten der Leiche Irritationen beim Tier hervorruft, solange der tote Tierkörper noch als Artgenosse erkennbar ist. Das Verhalten des Tieres wird eben nicht durch Trauer hervorgerufen, sondern durch das fehlende Wissen über den Tod.
Grüße
Jetzt machst DU aber genau den Fehler, den Du anderen vorwirfst. Du verwechselst Außen- und Innenperspektive. Wir WISSEN schlicht nicht (können es auch nicht wissen) was da in Tieren vorgeht, oder wie es sich für sie anfühlt. Wir sehen bloß die Reaktionen von außen. Daraus aber zu folgern, diese äußeren Reaktionen würden nicht mit inneren Zuständen korrespondieren, die für die Tiere eine eigene, distinktive emotionale Qualität haben, ist ein unzulässiger, zumindest aber kein zwingender Schluss. Gerade bei Tieren, die ein derart komplexes und individuelles Verhalten zeigen, wie das höhere Säugetiere, und allen voran die Schimpansen, tun.
Ich habe das Wort "Kadaver "benutzt, da es um tote Tiere ging. Bei Menschen heißt es noch Leiche.Weißt Du auch warum? Weil wir die Begriffe erfinden. Nennt sich Definitionsmacht. So gesehen, klar, kannst Du Tieren auch alles andere absprechen. Du sagst dann aber bloß was über DICH, nicht über Tiere.
T. Stoeppler
26-07-2013, 16:53
Closed.
PN an mich falls noch Interesse am Thema selbst vorhanden ist.
Gruss, Thomas
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