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Vollständige Version anzeigen : War Taijiquan eine Kampfkunst?



Richard22
19-07-2013, 16:19
Nachdem die Frage, ob Kampfkunst allgemeine Verhaltensmerkmale beschreibt, oder ob Kampfkunst an sich universal ist, ins Nirvana des Moderators abglitt, möchte ich mal einfach die Frage anders herum aufziehen:

"War Taijiquan eine Kampfkunst"?

Wenn nein - was war es dann?

Wenn ja - woraus bestand es?

Im letzten Strang wurde bezweifelt, daß das Studium der Stücke aus dem Formen zielführend ist - was mich erstaunte. Das führt aber sogleich zur Frage, woraus Taijiquan bestand, wenn es denn eine Kampfkunst war.

Fechtergruß

PS: Kamen, im letzten Strang hatte ich die Chen Qiang Form mit dem Yang Speer des 16. und 17. Jhds. verglichen - das ist lange vor dem Aufkommen des Yang Stil Taiji im 19. Jhd. und hat mit Yang Luchan nichts zu tun.

martin3
19-07-2013, 17:02
Hallo Richard,

schöne Frage. Ich sehe da gleich einige Probleme mit den Begriffen, die dazu führen könnten, dass man aneinander vorbei redet.

Vielleicht sollte man zuerst Taijiquan eingrenzen oder definieren, den je nach dem was man unter Taijiquan versteht, wird man doch zu recht unterschiedlichen Anschauungen kommen.

Daraus folgt dann der zeitliche Rahmen, der betrachtet wird.

Ich möchte hier also einfach mal damit beginnen:

Für das Taijiquan der Familien Yang, Wu und Wu(Hao) in der Zeit von ca. 1850 - 1930 war das Taijiquan sicherlich eine Kampfkunst, die auch im Kampf angewendet wurde. Dies ist durch die allgemeine Literatur dazu beschrieben und kann, glaube ich, als gesichert gelten.

Gruß

Martin

Vagabund
19-07-2013, 21:24
Für das Taijiquan der Familien Yang, Wu und Wu(Hao) in der Zeit von ca. 1850 - 1930 war das Taijiquan sicherlich eine Kampfkunst, die auch im Kampf angewendet wurde. Dies ist durch die allgemeine Literatur dazu beschrieben und kann, glaube ich, als gesichert gelten.



In welcher Art von Kämpfen? Verteidigung von Haus und Hof gegen Räuber? Oder militärisch? Oder...?

Klaus
19-07-2013, 21:57
Die Yangs waren Militärtrainer, aber ich bezweifle dass die Soldaten im Schnellverfahren Taijiquan beigebracht haben. Gesichert dürfte sein, dass die von ihnen trainierten Leibwächter am Kaiserhof für Bodyguardzwecke in einem speziellen Kontext, nämlich da wo keine oder nur sehr kleine Waffen im Spiel waren, ausgebildet wurden. Die Leute aus Chenjiagou waren andererseits Bauern, die haben das als Tradition, zum Zeitvertreib, und für stinknormale Prügeleien gelernt. Ich frage mich, wie man immer noch ernsthaft fragen kann ob Taijiquan eine Kampfkunst oder doch das Boccia des Fernen Ostens war.

peep
19-07-2013, 22:49
Im letzten Strang wurde bezweifelt, daß das Studium der Stücke aus dem Formen zielführend ist - was mich erstaunte. Das führt aber sogleich zur Frage, woraus Taijiquan bestand, wenn es denn eine Kampfkunst war.


Studium der Form ist etwas anderes als das Suchen nach bekannten Techniken. Der Beinteil einer Bewegung kann als Schritt, als Tritt oder als Wurf benutzt werden. Der dazugehörige Armteil kann ein Schlag, ein Stich, ein Wurf, ein Würger und einiges mehr sein.
Letztlich lernt man in der Ilu nützliche Kombinationen der immer selben wenigen (und prinzipiell sehr simplen) Ganzkörperbewegungen und baut diese möglichst gut auf.
Was man dann damit macht, gehört ins PH und muß von einem Lehrer unterrichtet werden, der tatsächlich kämpfen kann.
Und wer im PH nicht irgendwann anfängt, in hartes Vollkontaktsparring überzugehen, wird es auch nicht tun, wenn man ihm kürbisgroße Boxhandschuhe gibt und ihn Techniken auswendiglernen läßt.

martin3
19-07-2013, 23:24
@Vagabund

Mitglieder dieser drei Familien waren in diesem Zeitraum oder in einem Teil dieses Zeitraumes im Militär aktiv und haben gleichzeitig Tai Chi Chuan trainiert und unterrichtet. Es gab unter ihren Schülern hohe Militärs. Der Zusammenhang Militär und Tai Chi Chuan war also relativ eng. Dies betraf auch sicher Sun Lutang - es gibt es noch ein tolles Foto von ihm in Majors-Uniform (A Study of Taijiquan by Sun Lutang, North Atlantic Books, S. 28).

Daneben oder auch eng verbunden waren die Bodygard-Tätigkeiten und Ausbildungen für die Kaiser- und Präsidentenfamilien - die auch sicherlich in engen Kontakt mit dem Militär stattfanden.

Daneben sicherlich auch Kampfkunst als Selbstverteidigung - es war zu der Zeit wie auch fast immer davor - üblich, dass ehemalige Instrukteure des Militärs Schulen der Kampfkunst zum Zwecke der Broterwerbs gründeten.

Wen dieses Thema interessiert sollte sich dieses Buch besorgen:

Chinese Martial Arts Training Manuals - A Historical Survey

Brian Kennedy and Elitabeth Guo

Gruß

Martin

martin3
20-07-2013, 00:04
Hier noch ein Zitat von Yang Chengfu zu dem Thema Sinn des Taijiquan (1933 - eben zu jener Zeit, als das Tai Chi Chuan populär in China wurde):

"In meiner Jugend pflegte ich zuzusehen, wie mein inzwischen verstorbener Großvater Yang Luchan meine Onkel väterlicherseits und andere Schüler in der täglichen Praxis des Taijiquan anleitete. Sie trainierten Tag und Nacht ohne Pause, sowohl einzeln als auch paarweise. Ich war allerdings skeptisch und glaubte, dass die Selbstverteidigung gegen einen einzelnen nicht des Studiums wert sei und dass ich zukünftig die Verteidigung gegen zehntausend studieren würde.

Als ich etwas älter geworden war, forderte mich mein verstorbener Onkel Yang Banhou auf, bei ihm zu lernen. Da ich meine Zweifel nicht länger verbergen konnte, erzählte ich sie ihm ganz direkt. Mein inzwischen verstorbener Vater Jianhou wurde ärgerlich und sagte: ´Wie, was sind das für Worte? Dein Großvater hat dies der Familie vermacht. Willst du etwa das Familienerbe aufgeben?´.

Mein Großvater Luchan beruhigte ihn mit den Worten. ´Kinder sollte man nicht zwingen.´ Er knuffte mich sanft und fuhr fort: ´Warte einen Moment und laß mich es dir erklären. Der Grund dafür, dass ich die Kunst praktiziere und unterrichte, ist nicht, andere anzugreifen, sondern sie dient der Selbstverteidigung. Nicht um die Welt herauszufordern, sondern um die Nation zu retten. Die Edlen heutzutage kennen nur die Armut der Nation, wissen aber nichts von ihrer Schwäche. Darum suchen unsere Führer eifrig politische Rezepte zu formulieren, um die Armut zu verringern, aber ich habe noch nie von Plänen gehört, die die Schwachen und Siechen wieder stark machen sollen. Wenn eine Nation aus kranken Leuten besteht, wer ist dann dieser Aufgabe gewachsen?

Wir sind arm, weil wir schwach sind; tatsächlich ist Schwäche die Ursache der Armut. Wenn wir das Wachsen der Nationen untersuchen, finden wir, dass allesamt mit der Stärkung ihrer Völker beginnen. Die Männlichkeit und Kraft der Europäer und Amerikaner versteht sich von selbst, aber die zwergenhaften Japaner sind diszipliniert und entschlossen, wenngleich sie auch klein von Statur sind. Wenn die hageren und ausgemergelten Mitglieder unseres Volkes ihnen gegenüber stehen, braucht man kein Wahrsager zu sein, um das Ergebnis vorherzusehen. Daher ist die beste Methode, die Nation zu retten die, die Hilfe für die Schwachen zu unserem höchsten Ziel macht. Wer das mißachtet, setzt sich dem Mißerfolg aus.´"

Bödicker/Sievers, China im Wandel, S. 35

Gruß

Martin

Kamenraida
20-07-2013, 12:21
Hi Rich,

du musst jetzt ganz tapfer sein, aber ich kann es dir nicht ersparen: Taichi WAR nicht nur eine Kampfkunst, sondern IST es immer noch.

Aber netter Versuch.

Du bist anderer Meinung? Dann beantrage doch, dass Taichi künftig hier im KKB unter Akrobatik verhandelt wird. Oder unter Ausdruckstanz. Obwohl nein, eigentlich hat es im KAMPFKUNSTboard ja gar nichts verloren.

steffen13
20-07-2013, 15:24
Hi Rich,

du musst jetzt ganz tapfer sein, aber ich kann es dir nicht ersparen: Taichi WAR nicht nur eine Kampfkunst, sondern IST es immer noch.

Aber netter Versuch.

Du bist anderer Meinung? Dann beantrage doch, dass Taichi künftig hier im KKB unter Akrobatik verhandelt wird. Oder unter Ausdruckstanz. Obwohl nein, eigentlich hat es im KAMPFKUNSTboard ja gar nichts verloren.

Was soll denn das?

Zum Thema:

Zhao Fenglin, ein Wushu-Meister, welcher in regelmäßigen Abständen in unserer Schule Seminare in inneren Kampfkünsten hält, behauptet immer und sehr vehement, das alle Bewegungen (z.B. auch die Eröffnung in der Ilu) als Kampfanwendung verstanden werden müssen und so trainiert werden sollen. Er sagt, dass man nur so authentisch und in ihren historischen Kontext die inneren KK`s trainiert. Auch das eigene Qigongtraining soll sich dem unterordnen, d.h. soll der Vervollkommnung der KK dienen.
Gut, das ist jetzt keine historisch belegbare Quelle. Aber wenn Taijiquan mit dieser Intention lebendig trainiert und entwickelt wird, stellt sich vielleicht irgendwann die Frage nicht mehr ob es vor 400 Jahren oder so mal eine Kampfkunst war. Dann ist es halt jetzt eine oder wird vielmehr zu einer.

Kamenraida
20-07-2013, 15:40
Was soll denn das?



Kann ich dir gerne sagen: Hier ist das KKB, und ich gehe davon aus, dass viele derjenigen, die hier posten, sich intensiv mit Taiji als Kampfkunst beschäftigen. Sicherlich in Abstufungen von sanftem PH bis hin zu hartem Sparring. Aber zweifellos KK.

Richards permanente unsachliche Abqualifizierung von Taichi insgesamt, aber auch seine arroganten Bashings gegenüber denjenigen, die sich damit befassen, ist nervig - neben einigen durchaus interessanten Aspekten, die er bringt.

Jetzt also: "War Taichi eine Kampfkunst?"

Die Frage zeugt entweder von niederschmetternder historischer Unwissenheit oder ist einfach eine Unverschämtheit - möglicherweise auch beides.

steffen13
20-07-2013, 15:51
Alles klar, jetzt verstehe ich es besser was du gemeint hast. Sehe ich nicht so, aber mir ist einsichtig das man Richards Aussagen so interpretieren kann.

Terao
20-07-2013, 16:02
Hier noch ein Zitat von Yang Chengfu zu dem Thema Sinn des Taijiquan (1933 - eben zu jener Zeit, als das Tai Chi Chuan populär in China wurde):

"In meiner Jugend pflegte ich zuzusehen, wie mein inzwischen verstorbener Großvater Yang Luchan meine Onkel väterlicherseits und andere Schüler in der täglichen Praxis des Taijiquan anleitete. Sie trainierten Tag und Nacht ohne Pause, sowohl einzeln als auch paarweise. Ich war allerdings skeptisch und glaubte, dass die Selbstverteidigung gegen einen einzelnen nicht des Studiums wert sei und dass ich zukünftig die Verteidigung gegen zehntausend studieren würde.

Als ich etwas älter geworden war, forderte mich mein verstorbener Onkel Yang Banhou auf, bei ihm zu lernen. Da ich meine Zweifel nicht länger verbergen konnte, erzählte ich sie ihm ganz direkt. Mein inzwischen verstorbener Vater Jianhou wurde ärgerlich und sagte: ´Wie, was sind das für Worte? Dein Großvater hat dies der Familie vermacht. Willst du etwa das Familienerbe aufgeben?´.

Mein Großvater Luchan beruhigte ihn mit den Worten. ´Kinder sollte man nicht zwingen.´ Er knuffte mich sanft und fuhr fort: ´Warte einen Moment und laß mich es dir erklären. Der Grund dafür, dass ich die Kunst praktiziere und unterrichte, ist nicht, andere anzugreifen, sondern sie dient der Selbstverteidigung. Nicht um die Welt herauszufordern, sondern um die Nation zu retten. Die Edlen heutzutage kennen nur die Armut der Nation, wissen aber nichts von ihrer Schwäche. Darum suchen unsere Führer eifrig politische Rezepte zu formulieren, um die Armut zu verringern, aber ich habe noch nie von Plänen gehört, die die Schwachen und Siechen wieder stark machen sollen. Wenn eine Nation aus kranken Leuten besteht, wer ist dann dieser Aufgabe gewachsen?

Wir sind arm, weil wir schwach sind; tatsächlich ist Schwäche die Ursache der Armut. Wenn wir das Wachsen der Nationen untersuchen, finden wir, dass allesamt mit der Stärkung ihrer Völker beginnen. Die Männlichkeit und Kraft der Europäer und Amerikaner versteht sich von selbst, aber die zwergenhaften Japaner sind diszipliniert und entschlossen, wenngleich sie auch klein von Statur sind. Wenn die hageren und ausgemergelten Mitglieder unseres Volkes ihnen gegenüber stehen, braucht man kein Wahrsager zu sein, um das Ergebnis vorherzusehen. Daher ist die beste Methode, die Nation zu retten die, die Hilfe für die Schwachen zu unserem höchsten Ziel macht. Wer das mißachtet, setzt sich dem Mißerfolg aus.´"

Bödicker/Sievers, China im Wandel, S. 35

Gruß

MartinSehr schöner Text! Zeigt finde ich, wie vielschichtig und keineswegs nur einem einzigen Zweck dienend auch "damals" schon Kampfkünste gesehen wurden. Hier klingt neben SV auch Gesundheit, Stärkung des Körpers und des Willens, Erhalt und Verbesserung der Arbeitskraft, Nationalismus, Ideologie und uns heute doch sehr fremde Gedankengänge (wie der "von Natur aus männliche Europäer") an, bzw. ist offenbar für den Jungen sogar das überzeugendere Argument, ein Training aufzunehmen und die KK weiterzutragen und zu verbreiten.

T. Stoeppler
20-07-2013, 16:56
Okay, bevor das hier wieder zum hoffnungslosen Spam-Contest wird:

Die Eingangsfrage ist... bedingt diskutierbar. Ich würde jeden, der sich hier beteiligt, bitten, sachlich zu bleiben und für jedwede historische Behauptung eine Quelle zu liefern, die hier jeder nachvollziehen kann.

Wenn das entgleist, wird geschlossen.

Gruss, Thomas

martin3
20-07-2013, 17:01
Hallo Terao,

ja, ich finde das auch sehr spannend. Schließlich hat Yang Chengfu unter anderem aus dieser Motivation heraus sein modernes Tai Chi Chuan entwickelt und er und seine Schüler haben mit der dazugehörigen langsamen Form damit die letzten 100 Jahre des Tai Chi Chuan sehr stark geprägt. Der Text unten ist ja das Vorwort zu dem chin. Buch der langsamen Form von Yang Chengfu.

Wie man schön sieht, stand die Gesundheit als solche bei der Verbreitung der langsamen Form für Yang Chengfu nicht unbedingt im Vordergrund.

Vielmehr sind es nationalistische Motive der Selbststärkung gegenüber Japan und dem Westen gewesen. Damit ist er ganz in Übereinstimmung vieler Intellektueller Chinas zu eben jener Zeit. Stärkung der Bevölkerung zum Zwecke der Landesverteidigung. (siehe auch Bödicker/Sievers - China im Wandel - Die Zeit der großen Tai Chi-Meister)

Und wie schön, dass viele Menschen im Westen genau dieses Tai Chi Chuan heute üben.

Gruß

Martin

Zhen Wu Germany
20-07-2013, 20:02
Hallo Terao,


Und wie schön, dass viele Menschen im Westen genau dieses Tai Chi Chuan heute üben.



Infiltration auf chinesisch. :D Ich finde es bemerkenswert, wie viel Arbeit Du in diese Sache gesteckt hast und wie umsichtig du mit diesem Wissen umgehst.
Weiter so, Martin.

Terao
20-07-2013, 20:41
Wie man schön sieht, stand die Gesundheit als solche bei der Verbreitung der langsamen Form für Yang Chengfu nicht unbedingt im Vordergrund.Irgendwie klingts aber doch stark nach Volkssport-, -fitness- und -gesundheitsprogramm. Schließlich sinds ja die "Schwachen, Kranken, Ausgemergelten, Hageren und Siechen", die wieder "stark" gemacht werden sollen, damit sie ihrerseits die Nation stärken können. Soweit könnte das auch 1:1 von Turnvater Jahn stammen.
Aber dazu müsste man wohl die verwendeten Wörter im Original kennen.

martin3
20-07-2013, 21:29
Hallo Terao,

Turnvater Jahn ist hier sicherlich ein wichtiges Stichwort. Indirekt hat er ja wohl Japan beeinflusst (die sich damals sehr an Preußen orientiert haben) - was wieder nach China gekommen ist.

Sorry, habe gerade keine Quelle dafür - ist ja auch ein etwas anderes Thema - vielleicht forscht da ja mal jemand dran - gibt glaube ich auch etwas engl. Literatur dazu. Schaun wir mal, vielleicht weiß jemand anderes ja mehr.

Gruß

Martin

WingChun77
21-07-2013, 13:44
Hallo!

TJQ war eine Kampfkunst!? IMO ein klares JA, ABER dies waren Karate et al auch. Die Quellen sind mehr als verwaschen oder werden unter falschen (meist kommerziellen) Gründen partiell und damit unvollständig reaktiviert.

Wir, die wenigen Suchenden (zumindest geht es mir so) verrennen uns gerne in Geschichten et al (was auch Spaß macht - ich liebe das), aber glauben wir denn wirklich, dass wir noch einen Zipfel von dem damaligen TJQ erhaschen? Wir stützen uns auf Verschriftlichungen und partielle Kontakte zu vermeindlichen "Veteranen" und reimen uns den Rest irgendwie (mit westlicher Logik?) zusammen.

Wenn eine Kampfkunst auf den drei Säulen Gesundheit, Philosophie/Meditation und Kampf aufgebaut ist, dann kommt das TJQ dem schon recht nahe.
Doch wer von uns hat denn den Anspruch auf eine vollständige Entschlüsselung der Form...ups, da war noch was: Ach ja die verschiedenen Stile und deren Formen, so ein Mist! Und irgendwie (auch wenn stehts proklamiert, dass allen Stilen die Prinzipien gemein sind), machen die doch alle ihr Ding. So gesehen gebe ich auf Gesundheit (wir bewegen uns halt, aber das mache ich beim leichten Laufen auch) und Meditation bzw. Philosophie meinen Segen, aber spätestens beim Kampf geht das heutige TJQ IMO den Bach runter und erreicht die Klasse von "damals" nicht mehr.

Ist aber auch nicht schlimm. Vielleicht sollte man einmal weniger diesem Traum von "ich bekomme es doch noch" nachhängen und sich auf Aspekte der heutigen Zeit besinnen. Was mir immer hilft: Sparring mit meinen Freunden und Bekannten aus den nahe gelegenen Arnis-Verein. Die bringen mich immer wieder ganz schnell auf den Boden der Tatsachen, wenn ich mich wieder mal im "wegstoßen" und "weichem nachgeben" verliere.

LG

Günther

Vagabund
21-07-2013, 21:16
Wen dieses Thema interessiert sollte sich dieses Buch besorgen:

Chinese Martial Arts Training Manuals - A Historical Survey

Brian Kennedy and Elitabeth Guo



Das hab ich sogar gelesen :) Kann es auch nur wärmstens empfehlen, alleine schon wegen des Kaptitels über Formen (Taolu).

Danke @alle für die Antworten!

Hongmen
21-07-2013, 22:27
Egal ob Tai Chi eine Kampfkunst war oder ist. Die Prinzipien funktionieren jedoch höchst effektiv.

A0cK7SXia5c&list=TLy3WqcSHTvbs

Die Frage, " War Tai Chi so theoretisch wie in heutigen Foren?" wäre vielleicht angebrachter.

Gruß
Hongmen

martin3
22-07-2013, 06:55
Hallo Hongmen,

deine Frage (wenn es von dir vielleicht auch nur eine rhetorische war) lässt sich ja nur schwer beantworten.

Aber sie ist trotzdem sinnvoll, denn wenn man etwas genauer hinschaut, findet man in den Foren doch eigentlich recht wenig Theorie des Tai Chi China.

Man findet meistens Diskussionen über Geschichte, Sinn, Jammern über die Qualität des heutigen Tai chi Chuan, Kommentare zu Clips und allgemeine Anfängerfragen usw.

Dies sind alles vernünftige Themen für ein Diskussionsforum, haben aber mit einer Theorie des TCC oft recht wenig zu tun.

Daher kann man deine Frage vielleicht auch so stellen:

"Hatte TCC früher mehr Theorie, als wie man es heute oft in Foren findet?"

Gruß

Martin

WingChun77
22-07-2013, 10:12
Egal ob Tai Chi eine Kampfkunst war oder ist. Die Prinzipien funktionieren jedoch höchst effektiv.

A0cK7SXia5c&list=TLy3WqcSHTvbs

Die Frage, " War Tai Chi so theoretisch wie in heutigen Foren?" wäre vielleicht angebrachter.

Gruß
Hongmen

Hallo, Hongmen!

Ich gebe dir vollkommen recht, was die Theoretisierung des TJQ und auch den anderen Kampfkünsten angeht. Wohl aber muss man sich auch die Frage gefallen lassen, wie viele Anwender wirklich den Mut haben und abstrakte Anwendungen aus den Formen in eine konkrete Situation fließen zu lassen (also kein Eastern-Gedöns).

Nehmen wir mal deinen Clip: Einwandfrei - jetzt mal vollkommen unabhängig davon, wie subjektiv ein Anwender hier interpretiert. Aber WER macht die denn? Die sehen doch in erster Linie das Geld, welches hinter vermeindlichen Wellness-Schiene steckt und das war es dann mit der Kampfkunst. Den Aspekt Kampf (der ist weder im Training noch auf der Straße ästhetisch) wird von einer Mehrzahl der Anwender nur sehr ungern wahrgenommen.

Antektode:
VHS-Kursus Bad Kreuzach zum TJQ. Der Referent demonstriert das "ich lass mich nicht schieben" Spiel. Klar, wenn die "Novizen" nur parallel zum Boden oder in diesen hinein drücken. Ich habe ihm einen Kraftvektor im 45° Winkel nach oben gegeben und weg war die Balance. Nach dem Training wurde ich dann zur Rede gestellt und nachdem ich immer wieder Fragen zu den Anwendungen hinter den Formfiguren gestellt habe, hat er mir nachgelegt, die Gruppe doch zu verlassen, ich würde "negative Energie verstreuen".

Was lernen wir daraus?
Nur die allerwenigsten machen sich Gedanken darüber, WOZU zum Beispiel die Wolkenhände et al eigentlich gedacht sind.

Mein Fazit:
Die wenigen Anwender/innen, die sich einen Reim darauf gemacht haben (unabhängig vom subjektiven Individuum und dabei ist mir persönlich auch egal, ob der/die eine "hockende Peitsche" als offensiven Angriff gegen einen Schläger proklamiert), die halten sich meist zurück, meiden die Masse und agieren im privaten Bereich. Welch einem Fehlschluss sitzt man eigentlich auf, zu glauben, dass in einer Massenabfertigung (siehe die gängigen Verbände durch die verschiedenen Kampfkünste) die tieferen Konzepte einer Kampfkunst offenbart werden?


LG

Günther

Kamenraida
22-07-2013, 10:51
Egal ob Tai Chi eine Kampfkunst war oder ist. Die Prinzipien funktionieren jedoch höchst effektiv.

Die Frage, " War Tai Chi so theoretisch wie in heutigen Foren?" wäre vielleicht angebrachter.

Gruß
Hongmen

Hallo Hong,
danke für den Clip - in der Tat die bisher beste und knappste Antwort auf die Eingangsfrage!

Die Frage, die du dann stellst, finde ich auch besser. Wobei die Antwort nicht einfach ist.
Einerseits: Die Alten haben ihr Taichi vermutlich einfach gemacht - die Wirkung im Kampf hat alle Fragen beantwortet.
Andererseits: Es gibt ja durchaus klassische Schriften - und seien es auch nur zB die 13 Prinzipien des Yang Cheng Fu - die das Taichi mit Theorie unterfüttern.
Ich finde es auch durchaus sehr sinnvoll, sich mit dieser Theorie zu beschäftigen, und sie zu diskutieren. Die Praxis darf halt nicht drunter leiden.

Im übrigen kenne ich (inzwischen) mehr Leute, die sich für Anwendung interessieren, als solche die reines Blümchen-Taichi machen. Nur das letzteres eben durchaus auch eine feine Sache ist, die den Praktizierenden Glück und Wohlbefinden spendet.

Klaus
22-07-2013, 11:45
Ich glaube nicht, dass in einem Training für eine tatsächlich durch Leibwächter eingesetzte Kampftechnik besonders stark Theorie "unterrichtet" wurde. Die Theorie ist eher ein nachträglicher Versuch, das was sich bei den Leuten im Laufe vieler Jahre intuitiv ergeben hat einigermassen gut zu erklären. Es gibt sicher wirklich einiges, was da abläuft, und im Laufe des praktischen Trainings muss da auch einiges vermittelt werden, was die guten Leute im Laufe ihres Lebens durch "Spielen" gefunden haben was gut klappt, und wichtig ist. Aber wenig im Sinne von "wenn der Dings-Kanal mit dem Bums in Einklang steht, dann öffnet sich gut der Tüdelü-Kanal und man kann ...". Das passiert, aber sowas über "Theorie" lernen zu versuchen ist ein Witz. Man lernt es a) indem es einer mit einem macht beim Ringkampftraining, und b) indem der eigene Körper das ausbaldowert, so wie das auch Ballsportler durch Zusehen, Ausprobieren oder Erfinden tun. In den 60ern hat keiner Dreher beim Handball gemacht, jetzt können es alle die mit Harz spielen dürfen.

Richard22
22-07-2013, 14:05
Danke für die super Antworten soweit.

Die Yang Texte zum Taijiquan (Yang Chengfu) passen zu 100% zu Turnvater Jans Idee des Wehrsports, und die in seinen Augen schwachen deutschen jungen Männer für den fälligen Kampf gegen die Franzosen zu stärken. Gleiches tönen die Japaner in dem 1930'ern über das Budo (Kendo, Judo und Sumo) - die Stärkung der jungen Männer für den Krieg.

Diese Motive sind (Yang Chengfu, Jan) politischer Natur, genauer gesagt nationalistsich-politisch (es werden gleich Feindbilder mitgeliefert). Das ist eine recht moderne Angelengenheit, grob im 19. Jhd. zu finden. Und das muß vor allem keine KK sein, Wehrsport ist zumeist eine Vorbereitung auf die KK.

Taijiquan sollte sich aus dem Chen Changquan entwickelt haben, wenn man der Überlieferung Glauben schenken kann. Also müßte es älter sein als der beginnende Nationalismus.

Die Theorie des Tajiquan findet man vollständig z.B. bei Yu Da-You, also gute 100 Jahre von Cheng Wangting. Das ist eher die allgemeine KK-Theoroe Chinas im 16. und 17. Jhd.

Was am Taijiquan/Changquan vor allem interessant für die Forschung wäre, das sind die Stücke. Waffenlos, Qiang, Dao und Da-Dao. Die Stücke sind mehr als nur Auswendiglernen von festen Bewegungen - ich halte sie mehr für allgmeine Fragen und Antworten auf die gängen Probleme in Gefechten - wie die Stücke bei uns im Westen.

Und, mit Klaus, die Theorie ist vor allem praktisch - sie dient nur der Lösungsfindung im Gefecht, also die Ableitung der einfachsten und wirksamsten Lösungen für Probleme, die sich im Gefecht stellen.

Hong hat das klasse formuliert - die Prinzipen müssen arbeiten. Prinzipien kann man nur über Stücke vermitteln - wenn es Praxis sein soll.

Fechtergruß

Terao
26-07-2013, 17:17
Die Yang Texte zum Taijiquan (Yang Chengfu) passen zu 100% zu Turnvater Jans Idee des Wehrsports, und die in seinen Augen schwachen deutschen jungen Männer für den fälligen Kampf gegen die Franzosen zu stärken. Gleiches tönen die Japaner in dem 1930'ern über das Budo (Kendo, Judo und Sumo) - die Stärkung der jungen Männer für den Krieg.

Diese Motive sind (Yang Chengfu, Jan) politischer Natur, genauer gesagt nationalistsich-politisch (es werden gleich Feindbilder mitgeliefert). Das ist eine recht moderne Angelengenheit, grob im 19. Jhd. zu finden. Und das muß vor allem keine KK sein, Wehrsport ist zumeist eine Vorbereitung auf die KK.
Muss nicht, kann aber. Prinzipiell sehe ich bei der Suche nach "nationalistisch" genutzten, sagen wir, Bewegungsübungen (der Begriff "Kampfkunst" ist m.E.n. ein außerordentlich vielschichtiger, und daher hier wenig geeignet), drei Möglichkeiten: Man nimmt etwas, das man bereits vorfindet, und nutzt es zu "neuem" Zweck, man nimmt Vorgefundenes und ändert es mal mehr, mal weniger für diesen Zweck ab, oder man erfindet komplett Neues (und gibt ihm dann, typisch für Nationalismus ist ja die Rückdatierung in legendäre Zeiten, eine alte Geschichte).
Da wird man in der Tat nicht umhinkommen, Vergleiche zu (nachweislich) älteren Formen zu ziehen. Soweit solche noch vorhanden, bzw. genauer bekannt sind.

gasts
27-07-2013, 01:30
Da wird man in der Tat nicht umhinkommen, Vergleiche zu (nachweislich) älteren Formen zu ziehen. Soweit solche noch vorhanden, bzw. genauer bekannt sind.

"Die Form ist wie ein Netz um Fische zu fangen. Hat man den Fisch, braucht man das Netz nicht mehr"

Terao
27-07-2013, 01:40
"Die Form ist wie ein Netz um Fische zu fangen. Hat man den Fisch, braucht man das Netz nicht mehr"
...es sei denn, man will noch einen zweiten fangen. Oder anderen zeigen, wie man Fische fängt. :cool:

Versteh den Spruch in diesem Zusammenhang ehrlich gesagt nicht. Eine Kampfkunst entsteht doch erst dann, wenn sie weitergegeben wird. Sonst bleibt es eine persönliche Fähigkeit.

gasts
27-07-2013, 04:08
.
Versteh den Spruch in diesem Zusammenhang ehrlich gesagt nicht. Eine Kampfkunst entsteht doch erst dann, wenn sie weitergegeben wird. Sonst bleibt es eine persönliche Fähigkeit.

mir scheint, einige sind eher an der Historie von Netzen interessiert, als an Fischen.

rudongshe
27-07-2013, 09:28
flasch zitiert

rudongshe
27-07-2013, 09:29
Eine Kampfkunst entsteht doch erst dann, wenn sie weitergegeben wird. Sonst bleibt es eine persönliche Fähigkeit.

Super Satz :halbyeaha

WingChun77
27-07-2013, 10:16
Hierzu eine Ergänzung:

Eine Kampfkunst entsteht doch erst dann, so sie sich bewährt (hat) und wenn sie weitergegeben wird. Sonst bleibt es eine persönliche Fähigkeit.

Terao
27-07-2013, 10:29
mir scheint, einige sind eher an der Historie von Netzen interessiert, als an Fischen.Ein guter Fischer ist ein Experte für Netze und für Fische. Sonst besteht die Gefahr, dass er mit dem falschen Netz die falschen Fische zu fangen versucht. Zumindest muss er den Beifang aussortieren.
Warum muss ich gerade an "Der alte Mann und das Meer" denken?
Obwohl, der hat geangelt. ;)

OK, genug im Trüben gefischt, back to topic.

Richard22
27-07-2013, 15:45
Am heutigen Kampfsport - auch am Taijiquan - kann man ja beobachten, das es einen krassen Unterschied zwischen der KK gibt, die und Überliefert wurde und dem, was heute als Produkt verkauft wird.

Taijiquan ist heute Rentnersport - früher war es vor allem ein Fechtstil.

Niemand wird mit dem heutigen Karate z.B. kämpfen können - weil jede Form von KK aus dem Karate entfernt wurde und es jetzt eher als Kindersport bekannt ist.

Kampfkunst an sich hat nichts mit Überlieferung zu tun. Die Überlieferung ist ein eigenständiger Teil- Man denke an Musashi, dessen KK mit ihm gestorben ist, obschon er sich am Ende seines Lebens darin versuchte, seine KK weiterzugeben.

Das ist ja gerade das Spannende - Taijiquan als KK zu erforschen. Das beginnt eben mit der Frage, ob Taijiquan eine KK war - und dann, wann sie aufgehört hat als KK zu bestehen.

Ein Fischer muß sich in erster Linie mit dem Meer auskennen, dann mit den Fischen und dann erst mit den Netzen. Ohne die Kenntnis des Meeres kann der Fischer an Land zwar eine Menge Theorie über Fische und Netze ansammeln, diese aber letztlich aber nicht mehr erproben - er ist auf Hörensagen angewiesen.

Fechtergruß

shin101
27-07-2013, 19:35
...

shin101
27-07-2013, 19:40
Aus meiner persöhnlichen Sicht war Taiji eine Kampfkunst und zur selben Zeit eine Kultivierungsmethode mit der die Unsterblichkeit wie sie innerhalb der Daoistischen Schule beschrieben wird, erreicht zu werden suchte.
Außerdem hatte sie eine Besonderheit in Vergleich zu vielen anderen Kampfkünsten zu der Zeit in der sie erschien.Ihre Bewegungen waren immer sehr langsam während man sie übte, aber im Kampf konnte sie sehr schnell werden.

Auch denke ich das es mehre Methoden gab wie Taiji in der Anwendung gelaufen wurde und das was man heute sieht eigentlich nur noch eine Methode und einen Teil dessen zeigt. Bzw. was spätere Generationen aus diesem Teil "weiterentwickelt" haben.


Liebe Grüße,
Shin

peep
27-07-2013, 23:55
-

shin101
28-07-2013, 00:03
.

peep
28-07-2013, 02:07
Aus meiner persöhnlichen Sicht war Taiji eine Kampfkunst und zur selben Zeit eine Kultivierungsmethode mit der die Unsterblichkeit wie sie innerhalb der Daoistischen Schule beschrieben wird, erreicht zu werden suchte.


Da bin ich mir nicht so sicher. Alle heute lebendigen Taijiquan-Linien gehen auf die Sippe der Chen zurück.
Und die sind buddhistisch, haben also in dieser Richtung einen anderen Weg.
Ich glaube eher, daß man für die Kanonisierung der Lehre des TJQ daoistische Konzepte (statt des im spirituellen Bereich vorherrschenden boddhidharma ) benutzt hat, weil sie im Bezug auf Körperarbeit und Gewalt viel einfacher und urchinesisch sind.
Die Anforderungen an den Bildungsstand in Sachen Theorie und Dogmatik waren wohl schlicht geringer als beim ausländischen Buddhismus mit seinen vielen Dogmen, Körben und Interpretationen.



Außerdem hatte sie eine Besonderheit in Vergleich zu vielen anderen Kampfkünsten zu der Zeit in der sie erschien.Ihre Bewegungen waren immer sehr langsam während man sie übte, aber im Kampf konnte sie sehr schnell werden.


Immer sehr langsam? Das ist Quatsch. Damit kann man weder Fajins noch Apps oder praxistaugliches PH üben.
Langsame und superlangsame Übungsmodi sind wichtig und im TJQ sicher unersetzlich. Aber sie sind nicht alles. Eine Explosion, noch nichtmal eine Anfängerzuckung, kann man nicht in Superzeitlupe üben.
Bei Partnerübungen ist eh Schluß mit lustig, wenn man KK trainiert. Würfe gehen nicht in Zeitlupe, wenn man keine Zeitmaschine hat oder die Erdschwerkraft kontrolliert.
Und dann gibt es da noch ein bitterböses Geheimnis:
Den Umgang mit dem Gefühl, daß Dich auf einmal jemand wirklich umbringen oder wenigstens kaputtmachen will. Nicht die Gefahr. Die auf Dich gerichtete Aggression. Daß Dich jemand haßt und vernichtet, obwohl Du nix falsches gemacht hast.
Wer nicht lernt, diesen echten und sehr tief einschlagenden psychologischen Schock zu verdauen und sofort (halbwegs intelligent) zu handeln, lernt de facto keine Kampfkunst.

Das ist bitter, wenn man sich anschaut, wie das meiste KK-Training, insbesondere im Gongfu, aussieht. Aber es ist leider die Wahrheit.
Und diese Gewöhnung an die tatsächliche und nicht theoretische Wahrnehmung von echter Feindschaft, kann es natürlich auch nicht in Zeitlupe geben. Man muß sich einfach dran gewöhnen, daß da einer ist, der der einen quälen, demütigen und auslöschen will.
Denn, wenn man diese Wahrnehmung nicht verkraftet, ist man kampfunfähig. Ganz egal, was man alles vorher geübt hat.
Ja, persönliche Erfahrung. Unbegründeter Haß ist ein ekelhafter Weckruf. Und wenn man nicht gelernt hat, bei diesem Weckruf aufzuwachen, ist man in Lebensgefahr und hilflos.




Auch denke ich das es mehre Methoden gab wie Taiji in der Anwendung gelaufen wurde und das was man heute sieht eigentlich nur noch eine Methode und einen Teil dessen zeigt. Bzw. was spätere Generationen aus diesem Teil "weiterentwickelt" haben.


TJQ ist eine Sammlung von Prinzipien, Figuren und didaktischen Methoden. Wobei ich ziemliche Schwierigkeiten hätte, Grenzlinien zwischen diesen drei Sachen oder zu anderen KK-Traditionen zu ziehen.
Aber dieser Kern ist so abstrakt, daß er zeitgemäß interpretiert und unterrichtet werden kann.
Was die grob mit CXW assoziierten Chen unterrichten, ist bereits etwas anderes, als das, was abseits der Touristenströme und Fernsehkameras in Xian und Chen Jiagou betrieben wird.
Jede Familie, jeder Lehrer versucht eine gute Lehre hinzukriegen und paßt sich notfalls an.
Und das sind nur die Chen, von denen manche zu glauben scheinen, es wäre eine straff als Firma organisierte Kleinfamilie.
Die vielen Seitenlinien des TJQ mit ihren vielen eigenen Einflüssen aus anderen Lehrlinien machen aus dem Stammbaum eine Art Delta oder Marschland.
Es gibt nicht die eine richtige Methode, eine Ilu zu laufen.
Jeder Schüler muß seinem tagesaktuellen Stand entsprechend die Form so laufen, daß er genau das Training bekommt, das er gerade benötigt.
Dasselbe gilt für Partnerübungen. Es gibt nicht das eine universelle Dogma. Es kommt drauf an, was die Partner üben wollen.

"Wollen" ist das Stichwort. Es ist alles da. Es gibt keine Lücken im "Lehrplan" des Taijiquan. Was eine Familie vielleicht nicht mehr hat, hat die Nachbarfamilie. Aber wer sich partout nicht an Aggression und Gewalt gewöhnen will, kann im Taijiquan leichter als woanders alles auslassen, was ihn mit der Wirklichkeit und mit seiner eigenen Angst und Wut konfrontieren könnte.
Das Ergebnis? Er lernt dann weder "TJQ als Kampfkunst" noch die so oft erhofften "spirituellen" oder "philosophischen" Inhalte kennen.

Harmonie von Körper und Geist hört man immer...
Harmonie von Körper und Geist im Taijiquan heißt schlicht, daß man in der Lage ist, mit dem ganzen Körper in eine "Zuckung" zu explodieren, die dem Gegenüber faustvermittelt eine Rippe bricht oder seinen Kopf so heranreißt, daß seine Nasenwurzel durch Kopfstoß eingedroschen wird. Dazu muß man mit sich selbst und dem gegenwärtigen Ziel der Aktion im reinen sein. Sonst passieren diese Explosionen einfach nicht.
Will man lernen, diese Sachen zu machen, muß man auch psychisch an sich arbeiten. Die Arbeit an der Fähigkeit zum Töten, denn darum geht es letztlich, zwingt aus ganz praktischen Gründen zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst, den eigenen Ängsten und Grenzen. Weil man ohne diese sehr bitteren Blicke in den Spiegel die Explosionen durch Loslassen nicht hinkriegt.

TJQ ist eine Sammlung von Konzepten, die mit den westlichen Übersetzungen auf Kriegsfuß stehen.
Entspannung heißt nicht Wellness, im Gegenteil. Sie ist schmerzhaftes Krafttraining. Ja, schmerzhaft. Richtig korrigiert tut ZZ höllisch weh. Deshalb will ja auch keiner diese Korrekturen haben...

Einheit von Körper und Geist, Herz und Wille, und so weiter, ... ist keine luftige Metapher für Religionsneuerfinder sondern eine nüchterne Beschreibung wirklich bitterer und unangenehmer Selbsterkenntnis, die das ganze erzieherische, modische und zivilisatorische Porzellan zertrümmert, mit dem wir uns alle vor dem verstecken, der wir wirklich sind und sein können.
Ich glaube, nirgendwo (vielleicht mit Ausnahme der Aiki-Schulen) ist dieser schwere und schmerzhafte Blick nach innen so wichtig wie im TJQ. Und ich glaube auch, nirgendwo (mit Ausnahme der Aiki-Schulen) gibt es sowenige Ausübende, die auch nur ansatzweise bereit sind, diesen Blick auf die schonungslose Wirklichkeit zu wagen.

gasts
28-07-2013, 04:05
Die Arbeit an der Fähigkeit zum Töten, denn darum geht es letztlich, zwingt aus ganz praktischen Gründen zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst, den eigenen Ängsten und Grenzen


Wie wird das denn bei Deinem geheimen Meister geübt?
Geht ihr nachts Obdachlose zusammenschlagen oder anzünden?
Oder arbeitest Du im medizinischen Bereich?

Klaus
28-07-2013, 11:26
Ich würde eher sagen, es geht um die Fähigkeit, nicht zu töten. Ohne sich auf die Omme geben zu lassen. Töten kann ich mit Waffen viel besser, da brauche ich kaum Ringen bei. Ganz nebenbei sind die praktischen Fähigkeiten und Attribute auch bei allem möglichen hilfreich, ob beim Treppen steigen, Sachen transportieren, oder auch meinethalben in einer kriegerischen Auseinandersetzung.

peep
28-07-2013, 13:00
Ich würde eher sagen, es geht um die Fähigkeit, nicht zu töten. Ohne sich auf die Omme geben zu lassen.


Ist aber deutlich schwieriger. Leute mit dem Kopf voran schön senkrecht in den Boden pflanzen, ist unsportliches Benehmen, aber eine sehr naheliegende und natürliche Anwendung einer Figur.
Übt man so eine Figur, übt man auch Köpfe brechen.



Töten kann ich mit Waffen viel besser, da brauche ich kaum Ringen bei.

Jian, Dao, Gundao - Ich hab den Verdacht, die Bewegungen, die man da trainiert, sind auch sehr unsportlich. Da übt man das Töten von Menschen.
Dessen sollte man sich bewußt sein, sonst betrügt man sich selbst.

Wenn sich das Innere dagegen sperrt, sowas mit Fajin zu machen, ist das eigentlich sehr beruhigend, oder?
Unangenehm ist die Frage nach den echten eigenen Grenzen und Sicherungen, auf die man da stößt. Nicht die Ethik und Rechtsauffassung, die man normal mit sich rumträgt und vernünftig und gut findet, sondern das, was wirklich da innen drin verbaut ist, und was man im Gegensatz zum normalen Selbstbild nicht ändern oder kontrollieren kann.

Richard22
29-07-2013, 13:21
Peep hat interessante Argumente gebracht - ich denke aber, daß Klaus damit recht hat - Kontrolle über tödliche Gewalt ist nötig, oder man wird sozial unverträglich.

Man muß sich nur vor Augen halten, daß alle Taijiquan/Changquan Waffenformen auf das Töten von Menschen ausgerichtet sind - und da hat Klaus auch recht, Waffen sind immer die erste Wahl um einen Menschen vom Leben zum Tode zu befördern. Sport gibt es in den Waffen nicht. Nur Leben und Sterben.

Das Jian scheint recht spät zu den Chens gekommen zu sein - es ist nicht von Chen Wangting und wahrscheinlich auch nicht von Chen Changxing - Speer/Qiang, Dao/Hausäbel und Da-Dao/Hellebarde waren Militärwaffen.

Die Eso-Welle im Taijiquan scheint im 19. Jhd unter chinesischen Intelektuellen mit nationalistischen Hintergrund zu entstehen. Davor sind die Texte zum Taijiquan eher handfest - danach ergeht man sich in Chi-Allmachtsphantasien. Das ist die psychologische Kompensation einer zutiefst verletzten Volksseele, denke ich. Danach fangen Chinas Intelektuelle an sich mit westlichem Heereswesen zu beschäftigen, vor allem in der frühen KP.

Die Chens haben ihre Hände in einer Menge Geschäften - Taijiquan ist da sicher nicht das wichtigste.

Eine Grundidee des Taiji - sozusagen eine Art eingebaute Sicherung, ist der Gedanke, nur die Aktionen des Gegners zu zerstören, also alles was er macht zu zerbrechen - den Gegner eingeschlossen - aber selber dabei nicht zu handeln. Das schließt in der Anwendung eigentlich den Mißbrauch aus.

Fechtergruß