ursprünglicher Zweck der Haltegriffe im Judo [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Eskrima-Düsseldorf
06-09-2013, 13:35
Hallo,

kann mir jemand etwas über den ursprünglichen Zweck - also abseits des Wettkamfpgeschehens - der Haltegriffe im Judo sagen?

Grüße
Christian

Terao
06-09-2013, 13:51
Hallo,

kann mir jemand etwas über den ursprünglichen Zweck - also abseits des Wettkamfpgeschehens - der Haltegriffe im Judo sagen?

Grüße
ChristianIch vermute, dass das Fixieren/Kontrollieren am Boden zum einen aus Techniken der (Lebend-)Gefangennahme kommt (sei es, um den so Gefangenen gegen Lösegeld an seine Sippe zurückzugeben (wie es ja auch im europäischen Feudalismus verbreiteter Brauch war), sei es im Rahmen im weitesten Sinne "polizeilicher" Tätigkeit). Siehe zu beidem auch Hojojutsu (http://en.wikipedia.org/wiki/Hoj%C5%8Djutsu).

Zum anderen erwirbt man dabei Basiswissen zur Kontrolle von Personen am Boden, etwa, um im nächsten Schritt mit Hebeln, Würgegriffen oder Tertiärwaffen wie Dolchen oder Panzerstechern auch Gerüstete zu verletzen oder zu töten.

Nite
06-09-2013, 14:08
Zum anderen erwirbt man dabei Basiswissen zur Kontrolle von Personen am Boden, etwa, um im nächsten Schritt mit Hebeln, Würgegriffen oder Tertiärwaffen wie Dolchen oder Panzerstechern auch Gerüstete zu verletzen oder zu töten.
Hier kann man denke ich auch die Bruecke zum ungeruesteten Kampf der neuzeit schlagen. Vieles was man aus dem Judo/Ju Jutsu als "Haltegriffe" kennt wird auch im BJJ als Kontrollposition, aus der man weiter angreifen kann, trainiert.
Anders als im sportlichen Judo sind diese Position hier allerdings keine Endpunkte, sondern lediglich eine "Zwischenstation" auf dem Weg zur Submission.

Klaus
06-09-2013, 14:22
Denke dass es mit dem was Terao gesagt hat abschliessend beantwortet ist. Das stammt aus dem Gefangennehmen zwecks Verschleppung von interessanten Personen, oder damit ein Dritter sein Werk vollenden kann. Nix schönes jedenfalls. Da sind wir bei der tatsächlichen Herkunft dieser schönen Aikido-Dinge, dass nämlich Leute ihren Dolch oder ihr Schwert nicht ziehen sollen, und auch nicht abhauen. ;)

Schmendrik
06-09-2013, 15:25
Ich habe noch von zwei weiteren möglichen Entstehungsgründen gehört, die das Obige ergänzen:

Festhalten, um mir oder einem Kameraden die Möglichkeit zu geben, den Kontrollierten zu erdolchen, aufzuspießen, ... (Schlachtfeld-Submission ;))
Es geht gar nich so sehr um die Haltegriffe sondern um die Befreiungen; genauer der Fähigkeit, Kontrollgriffen schnell zu entkommen und der zuvor beschriebenen Tötung zu entgehen (so gesehen wäre eine Verkürzung der Haltegriffzeit eine Verschärfung der Wettkampfregeln ;) )

Leider weiß ich nicht, ob das historisch korrekt ist.

gion toji
06-09-2013, 15:33
Gibt es eine Koryu, in der Judo-ähnliche Haltegriffe ebenfalls vorkommen?

Schmendrik
06-09-2013, 15:48
Meines Wissens im Tenjin-shin'yô-ryû.

Hier auf die schnelle noch ein interessantes Kanô-Zitat aus dem Niehaus, das meinen obigen Beitrag unterstützt:

Darüber hinaus gibt es verschiedene Methoden, den Körper des Partners niederzuhalten, aber für den wirklichen Kampf haben sie keinen besonderen Wert. Wichtiger als die Fähigkeit auszubilden, den Partner niederzuhalten, ist es, Methoden zu trainieren, mit denen man in der Lage ist wieder aufzustehen, wenn man festgehalten wird. Aber weil das Training des Aufstehens und das Training des Niederhaltens zusammen gehören, wird im System des Kampfes im Kôdôkan-Jûdô auch ein wenig das Niederhalten geübt“ (NIEHAUS 2003, S. 285).

Eskrima-Düsseldorf
06-09-2013, 16:15
Sehr interessant bis jetzt, vielen Dank schon einmal.

Grüße
Christian

carstenm
06-09-2013, 16:21
Da sind wir bei der tatsächlichen Herkunft dieser schönen Aikido-Dinge, ...Zum judô kann ich nichts sagen.
Im aikidô stammen die heute geübten Haltegriffe ausrücklich u.a. von Techniken ab, die dazu gedacht waren, den Gegner mit einer Hand niederhalten zu können um mit der anderen eine Waffe ziehen und seine Kehle durchschneiden zu können.
Im daitô ryû und bei einigen aikidô Lehrern sieht man einen angedeuteten sog. "finalen Schlag" mit der Handkante als Abschluß eines Hebels. Diese stilisierte Bewegung ist sozusagen ein Zwischenschritt in dieser Entwicklung.

Nite
06-09-2013, 19:17
Es geht gar nich so sehr um die Haltegriffe sondern um die Befreiungen; genauer der Fähigkeit, Kontrollgriffen schnell zu entkommen und der zuvor beschriebenen Tötung zu entgehen (so gesehen wäre eine Verkürzung der Haltegriffzeit eine Verschärfung der Wettkampfregeln ;) )

Interessant.
Werden im Judo derartige Befreiungen (wie Escapes im BJJ) auch systematisch trainiert?

Terao
06-09-2013, 20:56
Darüber hinaus gibt es verschiedene Methoden, den Körper des Partners niederzuhalten, aber für den wirklichen Kampf haben sie keinen besonderen Wert. Wichtiger als die Fähigkeit auszubilden, den Partner niederzuhalten, ist es, Methoden zu trainieren, mit denen man in der Lage ist wieder aufzustehen, wenn man festgehalten wird. Aber weil das Training des Aufstehens und das Training des Niederhaltens zusammen gehören, wird im System des Kampfes im Kôdôkan-Jûdô auch ein wenig das Niederhalten geübt“
Versteh ich nicht. Wenn die Methoden, den Körper niederzuhalten, keinen besonderen Wert für den wirklichen Kampf gehabt hätten, wäre man wohl kaum in die Verlegenheit gekommen, in einem wirklichen Kampf niedergehalten zu werden. Und hätte demnach auch keine Befreiungen gebraucht.

Redet er da von der Moderne?


Werden im Judo derartige Befreiungen (wie Escapes im BJJ) auch systematisch trainiert?Ja. Sind aber (naja, wie ja eigentlich alles beim Kämpfen) am besten schon im Ansatz anzuwenden, oder wenn der andere kurz nicht aufpasst. Wenn ein Griff sitzt, sitzt er aber in der Regel.

Naniwonai
06-09-2013, 21:22
Ich denke diese Unverständnis könnte eher an der deutschen Übersetzung von den Begriffen "Niederhalten" und "Festhalten" liegen. Es wäre schön hier den Originaltext zu haben.

Die Newaza des Jûdô setzen sich aus Osaewaza, Shimewaza und Kansetsuwaza zusammen.

Osaewaza halte ich für das Szenario im Katchu Bujutsu ungeeignet weil man sich völlig auf den Boden begibt.

Aus meiner eigenen Erfahrung innerhalb des Jûjutsu der Kukamishin ryû werden im Katchu Bujutsu Hauptsächlich Kansetsuwaza und Shimewaza zur Kontrolle am Boden verwendet.
Der Gegner liegt dabei auf den Bauch und man selber hat mindestens immernoch ein Knie aufgestellt und könnte innerhalb nur einer Bewegung wieder stehen.

Innerhalb des Suhada Jujutsu wo man nicht gerade im Schlachtgetümmel ist um jemanden den man nicht töten darf zu kontrollieren kann ich mir den Nutzen von Osaewaza schon eher erklären.

Wenn Kano Sensei vom wirklichen Kampf redet meint er wohl "Shinken-Shôbu", Kampf auf Leben und Tod.
In diesem Paradigma pinnt man keinen Gegner zu Boden und hofft das er aufgibt, sondern chocked ihn aus oder macht ihn durch einen Hebel Kampfunfähig.
Daher sind Osaewaza als bloße abschließende Pins für "Shinken-Shôbu" eher ungeeignet, Escapes kann man aber immer gebrauchen, besonders wenn der Feind Osaewaza nicht als abschließende Waza einsetzt sondern eher als Transition nutzt.


Gruß Nani

Terao
07-09-2013, 20:16
Wenn Kano Sensei vom wirklichen Kampf redet meint er wohl "Shinken-Shôbu", Kampf auf Leben und Tod.Keine Ahnung, was Kano sich unter einem "wirklichen Kampf" vorstellte. Glaube, der hat ein eher geruhsames Leben geführt.

KAJIHEI
08-09-2013, 11:12
Viele frühe Judoka waren wahrhaftige Heißsporne deren Köpfe vor Überhitzung rot zu glühen begannen.
Damit der Übungspartner sich nicht dauernd die Finger verbrannte, bekam jeder Gi mndeststens zwei Haltegriffe verpasst.
In späteren Zeiten wo die Leute abgeklärter wurden, wandelten sich die Haltegriffe in den allseits beliebten Gürtel um.

Snakesqueezer
08-09-2013, 11:20
Daher sind Osaewaza als bloße abschließende Pins für "Shinken-Shôbu" eher ungeeignet, Escapes kann man aber immer gebrauchen, besonders wenn der Feind Osaewaza nicht als abschließende Waza einsetzt sondern eher als Transition nutzt.Gruß Nani

Übergänge vom Halten zum Hebeln und/oder Würgen sind ein wichtiges Thema im Judo, insbesondere unter Ausnutzung von Befreiungsversuchen.

Björn Friedrich
11-09-2013, 14:35
Man darf halt auch nicht vergessen, das die Position in der sich der gehaltene Gegner befindet, nämlich mit beiden Schultern auf dem Boden, extrem schlecht ist.

Da zu enden ist quasi ein No-Go, weil man seine komplette Mobilität verliert. Von daher könnte ich mir vorstellen, das im Judo, wie im Ringen auch der Schultersieg, diese Positionen besonders vermieden werden sollten und dementsprechend wurde das Halten forciert, um die Schüler daran zu gewöhnen, sich nicht flach auf dem Rücken halten zu lassen.

Tschüß
Björn Friedrich