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Vollständige Version anzeigen : Der Unterschied von Theorie und Philosophie



martin3
01-10-2013, 11:59
Hey, hier noch ein kleiner Artikel von mir.

Tai Chi Chuan und der Unterschied zwischen Philosophie und Theorie (http://www.taiji-europa.de/taiji-qigong-philosophie/tai-chi-chuan-unterschied-philosophie-theorie/)

Viel Spaß beim Schmökern

Gruß

Martin

Klaus
01-10-2013, 17:00
Ich weiss nicht ob ich mit der Selbstdarstellung der Philosophie an sich übereinstimme. ;)

Bei der Theorie kann es eigentlich keine 2 Meinungen geben, eine Theorie ist eine Behauptung, wie bestimmte Abläufe tatsächlich funktionieren bzw. sind. Diese lassen sich dann experimentell oder durch Gedankenspiele verifizieren oder falsifizieren, anhand von Fakten / Beweisen.

Bei der Philosophie sehe ich eigentlich öfter eine selbstgewählte "Sicht" auf Dinge die mehr oder weniger real sind. Nach dem Motto, ich habe eine Philosophie "was" etwas ist oder "wie" man etwas tun sollte, ohne dass es dafür zwingend einen Beweis gibt.

Insofern ist z.B. das was ich als "Daoismus" einer spezifischen Sekte kennengelernt habe keine Philosophie, sondern eine Theorie, die sich experimentell in vielen Dingen stützen liess. Ich tue etwas nicht weil "man" (Laozi, irgendein Buch) meinte das müsste so sein, sondern weil es sich so ergeben hat nachdem man bestimmte "Experimente" (Übungen) praktisch durchgeführt hat. Daraus ergeben sich ganz spezifische Erfahrungen und Erlebnisse, die die Theorie was passieren "sollte" stützen, und näher begreifbar machen.

martin3
01-10-2013, 18:30
Hallo Klaus,

sicherlich ein berechtigter Einwand. Laozi bietet viel Theorie. Aber er geht z.B. auch sehr stark in die Erkenntnistheorie (Fachbereich der Philosophie). Er fragt sich direkt im ersten Spruch z.B. wie es um die Benennungen steht:

Dao ke dao fei chang dao
Ming ke ming fei chang ming.

Vielleicht so:

Den Weg, den man benennen kann, ist nicht der ewige Weg.
Der Name, den man benennen kann, ist nicht der ewige Name.

Damit ist er auch Philosoph.

Ähnlich oder sogar noch stärker ist es dann bei Zhuangzi. Dort wird ständig darüber philosophiert, was wir erkennen können:

„Dschuang Dsi ging einst mit Hui Dsi spazieren am Ufer eines Flusses. Dschuang Dsi sprach: »Wie lustig die Forellen aus dem Wasser herausspringen! Das ist die Freude der Fische.« Hui Dsi sprach: »Ihr seid kein Fisch, wie wollt Ihr denn die Freude der Fische kennen?« Dschuang Dsi sprach: »Ihr seid nicht ich, wie könnt Ihr da wissen, dass ich die Freude der Fische nicht kenne?« Hui Dsi sprach: »Ich bin nicht Ihr, so kann ich Euch allerdings nicht erkennen. Nun seid Ihr aber sicher kein Fisch, und so ist es klar, dass Ihr nicht die Freude der Fische kennt.« Dschuang Dsi sprach: »Bitte laßt uns zum Ausgangspunkt zurückkehren! Ihr habt gesagt: Wie könnt Ihr denn die Freude der Fische erkennen? Dabei wußtet Ihr ganz gut, dass ich sie kenne, und fragtet mich dennoch. Ich erkenne die Freude der Fische aus meiner Freude beim Wandern am Fluß.«

Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 191-192.

Gruß

Martin

Klaus
01-10-2013, 20:04
Den Weg, den man benennen kann, ist nicht der ewige Weg.
Der Name, den man benennen kann, ist nicht der ewige Name.


Hallo Martin,

ehrlich gesagt, wenn man die Übungen ein paar Jahrzehnte praktiziert, und weiss was passiert, dann wird das eine sehr konkrete Beschreibung, und keine vage philosophische Idee. ;)
Man kann nicht beschreiben "was" das Ewige möchte, das ändert sich, bzw. man sieht nur den Ausschnitt der einem gerade präsentiert wird, und den man verstehen kann. Ich bekomme ein Gefühl, und wenn ich dem folge um es in Worte zu fassen, dann komme ich nie zu einem Ende. Es ist immer unvollständig. Nicht mal körperliche Fähigkeiten kann ich "komplett" einigermassen beschreiben, das sind immer komplexer werdende Gefühle, je länger ich überlege. Fast immer wenn ich es dann abschicken möchte, fallen mir noch Sonderfälle oder was zusätzliches ein, und am Ende weiss ich gar nicht ob das so komplett überhaupt richtig ist. Gerade im Körpergefühl, oder in Ahnungen, spielen viele Dinge hinein deren man sich nicht gewahr wird. Das ist eben keine Philosophie, das ist konkret. Selbst Mitgefühl das sich während solcher Wege manifestiert ist ein unscharfes Empfinden, ich weiss nicht wie weit es gehen "soll", wo es vielleicht mal dem Überlebensziel Platz machen darf, usw. Die Gefühle aus der Verbundenheit, die man mithilfe von meditativen, spirituellen Übungen erreichen kann, sind wandelbar. Es kommt immer wieder, aber ich möchte nie mit Absolutheit sagen "das" ist es jetzt, so muss es immer bleiben. Ich bin zeitweise brutal wütend geworden, die Fähigkeiten die ich dabei entwickelt habe, habe ich auch benutzt, und die waren durchaus "abgefahren". Am Ende mochte ich die aber nicht mehr wirklich, und es verändert sich. Was ist jetzt das Ziel ? Gewalt dosiert einsetzen zu können um dem Guten in der Welt das Überleben zu sichern, oder eigene Gewalt zu erleben, um aus dieser Erfahrung mehr Spass an Gewaltfreiheit zu bekommen ? Aber, ein bestimmtes Empfinden kommt immer wieder zurück, es ist nur schwierig das zu benennen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Gleichnis vom Zhuangzi. Es ist nicht wirklich so philosophisch (wobei, an der Stelle wird Philosophie möglicherweise endlich mal konkret ;)), sondern real, dass man eben vieles das von "da" kommt nicht komplett in seiner gesamten Konstruktion versteht. Nicht nur das, sondern auch alles mögliche andere. Wie stirbt man. Wie kommt man zurück, wie oft, immer, manchmal, wo geht man "danach" hin. Was überlebt. Es mag damit zusammenhängen dass ich als Kleinkind mal den Löffel abgegeben habe, aber es erschüttert mich dass da irgendwann auf einmal Erinnerungen an "davor" möglich gewesen sind. Unspektakulär, die waren einfach plötzlich mal da, aber "unmöglich". Die sind aber nicht schön griffig-plakativ, sondern unscharf, da, aber nicht ganz. Irgendwann mit 14 kam dann mal ein Erklär-Traum, der nur ganz wenige Bilder enthielt - eine unendliche Wendeltreppe die man hochgeht, aber man ist immer auch das was man immer ist. Das hat mich ein wenig beruhigt, aber ganz verstehen kann man sowas nicht. Man kommt immer an Grenzen von dem, was man verstehen kann. Siehe Zeit, wenn man beliebig weit zurück geht, müsste es doch irgendwann mal "nichts" gegeben haben. Wie wurde dann aus Nichts Etwas ? Was ich aber sagen kann ist dass durchaus Etwas da ist, auch wenn die Idee etwas wäre "immer" da gewesen nicht so fürchterlich logisch klingt. ;)

martin3
01-10-2013, 22:13
Hallo Klaus,

um ehrlich zu sein, verstehe ich dein Problem nicht ganz.

Du sagst mir, dass du etwas praktiziert hast und dass dir bestimmte Dinge im Leben widerfahren sind.
Dann diskutierst du, was du davon beschreiben, was du fühlen kannst.
Was du davon erklären und verstehen kannst und was nicht.
Was du dazu denkst und was es für dich und dein Leben bedeutet hat und noch bedeuten kann.

Du philosophierst also erkenntnistheoretisch. Du fragst dich, was kann ich wissen, was kann ich verstehen?
Du philosophierst auch metaphysisch. Du fragst dich, was kann ich hoffen?
Du philosophierst auch ethisch. Du fragst dich, was soll ich tun? Warum soll ich es tun?

Du bist schon in dem Moment, wo du darüber nachdenkst und es formulierst, Philosoph.

Genau das machten Laozi und Zhuangzi auch. Die gefunden Antworten zu den Fragen schrieben sie dann in ihren Bücher auf.

Das ist Philosophie.

Willkommen in der alten Tradition.

Und ja, Philosophie muss nicht immer vage sein. Sie kann auch klare Antworten und Einsichten liefern. Manchmal, siehe dein Zeit-Beispiel, bleiben die Fragen aber auch einfach unbeantwortet. Und doch stellt man sie sich immer wieder. Der Philosophie kann man nicht so leicht aus dem Wege gehen.

Gruß

Martin

Klaus
02-10-2013, 12:45
Mag sein, dass ich zuviel unangenehme Erfahrung mit faselnden, nicht logisch schlussfolgern könnenden und haltlose Thesen aus dem Ärmel schüttelnden "Philosophen" zu tun hatte. Wenn man das dann rein logisch widerlegt, kommt "Du verstehst das nicht, ...." und die These wird einfach nur widerholt. Ich schlussfolgere logisch aus Erlebtem, und akzeptiere Intuitionen, wenn das Philosophie ist, bin ich Philosoph. :)

douwa
12-10-2013, 00:26
Auf das Thema Tai Chi Chuan möchte und kann ich nicht eingehen, daher meine Äußerungen bitte nur im Zusammenhang mit den Begriffen Philosophie und Theorie sehen.
Ich weiss nicht ob ich mit der Selbstdarstellung der Philosophie an sich übereinstimme. Nur mal kurz überflogen, klang diese für mich eigentlich ganz gut, nur dass auch Philosophen durchaus Wirkweisen, also ab und zu auch mal ein "wie" versuchen darzulegen.

Das Problem, falls man es überhaupt so nennen mag, liegt meines Erachtens trotzdem in der subjektiven Wahrnehmung solch eines "wie", das anders als bei aufgestellten Theorien schwer auf eine Allgemeingültigkeit hin überprüfbar ist. Nur so kann ich mir auch erklären, dass es selbst innerhalb philosophischer Strömungen Meinungsverschiedenheiten oder wenigstens verschiedene Ansichten zur richtigen Form des Übens des Weges, also der Frage danach, wie genau der Weg zu üben sei, gegeben hat. Sehr markante Beispiele wären das reine Buchstudium im Gegensatz zum konkreten Tun im täglichen Leben.



Bei der Theorie kann es eigentlich keine 2 Meinungen geben, eine Theorie ist eine Behauptung, wie bestimmte Abläufe tatsächlich funktionieren bzw. sind. Diese lassen sich dann experimentell oder durch Gedankenspiele verifizieren oder falsifizieren, anhand von Fakten / Beweisen.Grundsätzlich finde ich das völlig richtig, wobei das bei komplexen Dingen gar nicht mal so leicht ist. Licht besteht aus Wellen, kann aber auch aus Teilchen bestehen, ganz nach Versuchsaufbau und für andere Fragen muss überhaupt erst noch ein Versuchsaufbau ermöglicht werden.

Zu Eurer Diskussion, ob Du theoretisierst oder philosophierst möchte ich lediglich anmerken, dass Du m.A.n. viel subjektives Empfinden und Erleben anführst und ich zumindest selbst es erlebte, dass im Dialog mit Leuten aus der eigenen oder ähnlichen Gruppe vermeintlich identische Abläufe individuell sehr verschieden erlebt wurden (mit möglicherweise trotzdem ähnlichen Ergebnissen am Ende oder an einer bestimmten Stelle eines Entwicklungsprozesses). Was Du schreibst und ich als Außenstehender nicht wirklich bewerten kann, klingt in meinen Ohren mehr nach Philosophie als Theorie, ohne diesen Schilderungen gewisse Theorieanteile gänzlich absprechen zu wollen.

gasts
12-10-2013, 06:51
Bei der Theorie kann es eigentlich keine 2 Meinungen geben, eine Theorie ist eine Behauptung, wie bestimmte Abläufe tatsächlich funktionieren bzw. sind. Diese lassen sich dann experimentell oder durch Gedankenspiele verifizieren oder falsifizieren, anhand von Fakten / Beweisen.

Grundsätzlich finde ich das völlig richtig, wobei das bei komplexen Dingen gar nicht mal so leicht ist. Licht besteht aus Wellen, kann aber auch aus Teilchen bestehen, ganz nach Versuchsaufbau und für andere Fragen muss überhaupt erst noch ein Versuchsaufbau ermöglicht werden.


Natürlich kann es verschiedene Theorien geben, die die gleichen vorliegenden Beobachtungen auf unterschiedliche Art beschreiben, ohne dass man durch ein Experiment entscheiden kann, welche davon richtig ist.
Sonst bräuchte z.B. niemand das Sparsamkeitsprinzip (http://de.wikipedia.org/wiki/Ockhams_Rasiermesser), um aus verschiedenen Theorien eine auszuwählen.
Natürlich verwechseln manche dieses Prinzip mit einem Beweis.

Die Theorie des Taijiquan erkärt ja Dinge auch auf eine andere Art, als Biomechanik.
Eine Theorie, die Vorhersagen machen soll, ist eine Abstraktion der Wirklichkeit, d.h. die Vielfältigkeit wird auf grundlegende Eigenschaften/Prinzipien reduziert.
Für die Erklärung nicht notwendige Eigenschaften, wie z.B. die Augenfarbe des Taijisten, werden nicht beachtet.
Eine Theorie der Schwerkraft reduziert z.B. materielle Dinge auf ihre Masse.
Es ist diesbezüglich egal, ob ich einen Apfel oder eine Birne betrachte.
Eine Theorie des Taijiquan reduziert Kampfkunstbewegungen auf bestimmte Prinzipien.
Wer diese Prinzipien kennt und versteht, der kann auch neue Bewegungen nach diesen Prinzipien ausführen.
Wer die Prinzipien nicht kennt und versteht, der muss jede Bewegung auswendig lernen.

Eine Analogie wäre jemand, der Rechnen lernt:
Wenn er die abstrakte Aussage 1+1=2 versteht, dann kann er das auf Äpfel, Birnen und Steine anwenden.
Jemand, der zu dieser Abstraktion nicht fähig ist, schafft es nicht, aus der Tatsache, dass ein Apfel und noch ein Apfel zwei Äpfel sind, darauf zu schließen, dass eine Birne und noch eine Birne zwei Birnen sind.

Die Fähigkeit zur Mustererkennung hilft, mit begrenzten geistigen Kapazitäten in einer extrem komplexen Welt zurecht zu kommen.
Es ist Teil der Theorie des Taijiquan, dass der Mensch Bewegungen auf diese Art "lernt".
Wenn der Körper ein Bewegungsprinzip anhand einer Formbewegung verinnerlicht hat, dann kann er das auch auf andere, neue Bewegungen übertragen.
Eine Kampfkunst, die diese Übertragung verneint, wird zehntausend konkrete Techniken für zehntausend konkrete Situationen lernen.

Zur Philosophie:

Nicht jeder, der "philosophiert" ist ein Philosoph, das sollte IMO schon jemand sein, der die Weisheit liebt und nicht nur sein eigenes Geschwafel.
Idealerweise beruht die Liebe dann auf Gegenseitigkeit.
Da gilt es dann eher schwierige Sachverhalte einfach und verständlich auszudrücken, als einfache Sachverhalte kompliziert und unverständlich.
Éinige Naturwissenschaften und die Mathematik gingen mal aus der Philosophie hervor.
Das Hauptwerk Isaac Newtons heißt: Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie).


Philosophische Kerngebiete sind

die Ethik,
die Metaphysik,
die Logik und
die Erkenntnistheorie.

hier sieht man schon, dass die Philosophie aus Theorien besteht.
Auch die Theorie des Taijiquan soll ja eine Anwendung einer umfassenderen Metaphysik auf den Bereich der Kampfkunst sein.
Diese Metaphysik erklärt das Weltgeschehen etwa aus dem Zusammenspiel von Yin und Yang (Taiji).
Die Theorie des Taijiquan erklärt einen Teil des Weltgeschehens, das Kämpfen (quan), aufgrund der umfassenderen Theorie.

Aus der Erkenntsnistheorie kann man lernen, dass die Bereiche Ethik und Metaphysik einigermaßen spekulativ bleiben werden.
Die Frage "Was soll ich tun?" lässt sich nur beantworten, wenn man weiß, was der Fragende erreichen will.
Natürlich meinen viele, zu wissen, was der Fragende erreichen sollte und viele Fragende sind dankbar, wenn ihnen jemand klare Handlungsanweisungen gibt, so absurd die Begründung auch sein mag (siehe Religionen).

"Ein Philosoph ist jemand, der in einem dunklen Raum eine schwarze Katze sucht, die nicht da ist.
Ein Theologe ist jemand, der in einem dunklen Raum eine schwarze Katze sucht, die nicht da ist, und plötzlich ruft: "ich hab sie gefunden""

Es gibt ja durchaus das Gerücht, dass die Benennung der Kampfkunst der Familie Yang als Taijiquan erst später von außen geschah,
dass also ein Außenstehender der Auffassung war, in dieser KK das Taiji-Prinzip verwirklicht zu sehen.
Da die KK der Familie Yang aus der KK der Familie Chen entstanden sein soll, wurde dann auch letztere Taijiquan genannt.
Falls da was dran ist, könnte einem der Gedanke kommen, dass die Theorie des Taijiquan im Nachhinein zurechtgelegt wurde, um dem Namen gerecht zu werden..

Wie dem auch sei, sobald der theoretische Überbau einer Kunst philosophische Dimensionen annimmt, sehe ich die Gefahr, dass sich ein Kampfkunstkönner zum Welterklärer/moralischen Leitfigur aufschwingt oder als ein solche(r) wahrgenommen wird.