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Vollständige Version anzeigen : Tai Chi eine Reaktion auf Kung-Fu?



Eistee
27-10-2013, 11:30
Hallo,

neulich hab' ich 'ne Doku gesehen "National Geographic - Myths and Logic of Shaolin Kung Fu":

Myths and Logic of Shaolin Kung-Fu part 4/5 - YouTube (http://www.youtube.com/watch?v=6LYJPXii4vI)

Das Abhärtungstraining, ab 3:30, ist kein Spaß.

Vor allem, wenn sie sich ab 5:14 "zur Stärkung der Halzwirbelsäule" aufhängen. "Aufhängen" wie in "Verbrecher aufhängen". Tut mir leid, aber da hört's bei mir echt auf (ebenso bei dem sog. "harten Qigong").

Außerdem dachte ich, vielleicht muß man auch Tai Chi so sehen: Es ist ja relativ jung, Chen Wangting, Mitte des 17. Jahrhunderts. Vielleicht war Shaolin-Kungfu bekannt, und man sagte sich, so kann man nicht trainieren, da gibt es zu viele Ausfälle, das ist zu schädlich. Also machte man ein Übungssystem, das gesünder war und dann auch mehr auf die Gesundheit des Übenden Wert legte.
Natürlich bringt es was, sich mit dem Kopf zwei Stunden gegen Sandsäcke stoßen zu lassen (4:29) oder die Fingerspitzen so schmerzunempfindlich zu machen, daß man darin auch sonst überhaupt nichts mehr spürt. Wenn man darauf verzichtet (ebenso wie auf die Akrobatik, usw.), ist man wahrscheinlich ein weniger effektiver Kämpfer. Aber na und? Dafür verletzt man sich auch nicht.
Könnte so gewesen sein.
Fazit der Doku war für mich jedenfalls, Shaolin-Kungfu ist nichts für mich, und ich bin auch bezüglich des radikalen Leistungsdenkens, das ihm zugrundeliegt, anderer Meinung. Anders höchstens, wenn mein Kloster oder mein Land akut bedroht würde.

Klaus
27-10-2013, 12:35
Das hat nur mit dem Shaolin aus dem Kloster relativ wenig zu tun, das ist "Volkskungfu" aus der Opern- und Kirmeszeit, dem man den Sticker "Shaolin" gegeben hat. So mit glühende Eisenstangen lecken und dergleichen. Von Han Lei, der tatsächlich vor 1928 im Kloster war, weiss ich dass die "komischen Kram" hatten ala Steine am Seil mit dem Unterleib heben, und andere Konzentrationsübungen für die Gegend. Aber nix mit Kopf "abhärten", oder gar Fingerspitzen (supi wenn man nicht mehr schreiben kann, ach so, konnten die "Volks-Kungfuler" ja eh nicht), zumindest nicht so.

Und damit ist auch Taijiquan keine Antwort darauf, nur ein vernünftiges Training aus einer dem ursprünglichen Shaolin ähnlichen Richtung. Die hatten das mit dem Zeitlupentraining nämlich auch, das war der Cornerstone des Trainings von Han Lei, in extrem langsam.

Schnitzelsekt
27-10-2013, 13:13
ich bin auch bezüglich des radikalen Leistungsdenkens, das ihm zugrundeliegt, anderer Meinung. Anders höchstens, wenn mein Kloster oder mein Land akut bedroht würde.

Echtem Zeug aus Shaolin liegt absolut kein Leistungsdenken zugrunde.
"Save yourself, save others" hat nichts damit zu tun, dass man besser oder mehr oder wasauchimmer als andere sein soll. Es gibt traditionellerweise genug Skills, die endlos Zeit und Aufwand benötigen und man hat schon genug um die Ohren, wenn man sich damit beschäftigt, als sich dauernd mit anderen zu vergleichen (Ausnahme natürlich Applications etc.).

Und ausserdem wäre das Tai Chi von heute nicht dasselbe, wenn es kein Kloster in Henan (und auch andere) gegeben hätte.

T. Stoeppler
27-10-2013, 14:51
Klarer Fall von Export-Shaolin in der Doku.

Gruss, Thomas

gasts
27-10-2013, 19:33
Natürlich bringt es was, sich mit dem Kopf zwei Stunden gegen Sandsäcke stoßen zu lassen (4:29) oder die Fingerspitzen so schmerzunempfindlich zu machen, daß man darin auch sonst überhaupt nichts mehr spürt. Wenn man darauf verzichtet (ebenso wie auf die Akrobatik, usw.), ist man wahrscheinlich ein weniger effektiver Kämpfer. Aber na und? Dafür verletzt man sich auch nicht.


Abhärtungstraining dient gerade dazu, dass man sich nicht verletzt.

Felix Kroll
27-10-2013, 19:37
Abhärtungstraining dient gerade dazu, dass man sich nicht verletzt.

wie das?

Klaus
27-10-2013, 21:37
Durch ein sinnvolles Maß an Knochenstress wird der Knochen dicker, die Haut stärker, und der Körper lernt sich gegen Last zu schützen. Wenn man übertreibt, geht der Schuss aber nach hinten los. Darum fängt das auch mit Qigong und leichtem Schlagen Knochen gegen Knochen oder in den Körper an, nicht volle Kanne. Oder mit statischer Belastung (mit dem Kopf gegen eine Wand lehne, Kopfstand), Stampfen usw. Dieses übertriebene wie aus schlechten Shaw-Filmen ist ein Kennzeichen von Bühnenkungfu und verballhorntem Stille-Post-Effekt-Training aufgrund bescheuerter Anleitungen von Münchhausens ("wir haben früher, also sowas von hacht, ich sach euch"), "Onkel Shaolin" und so weiter.

Leute die sich mit Eisenstangen und dergleichen "abhärten" entwickeln gerne mal schwerwiegende Erkrankungen in ihren 50ern.

va+an
28-10-2013, 09:01
Man muss auch mal bitteres essen können.

Das aktuelle shaolin und was gerne dem Westen verkauft wird, hat nichts mit dem ursprünglichen zu tun. Wenn es etwas vom shaolin erhalten hat, dann sicherlich in unterschiedlichen Stilen ausserhalb des shaolin.
Letztlich versuchen die Chinesen ja eben das wissen wieder ins Land und ins Kloster zu holen.
Die Shaolin waren ebenso heiler, Kräuterkundige usw. Das Bild vom Ultimate Fighter eines Shaolin ist von TV geprägt.

Was das abhärten angeht, sollte man es in jungen Jahren beginnen (nicht im Kindesalter!) später und unter falscher Anleitung, kann man sich mehr kaputt machen als das man sich damit etwas Gutes tut.
Shaolin hat auch was mit Lebenspflege zu tun und nicht Lebens-zerstörung.

(Selbe Geschichte läuft auch mit der tcm ab, die nicht mehr traditionell ist eigentlich.)

Eistee
28-10-2013, 23:13
Klarer Fall von Export-Shaolin in der Doku.
Deshalb hatte ich mich auch gewundert. Nach der Doku hatte ich den Eindruck, daß es beim Shaolin-Kungfu gar nicht auf die Schönheit der Bewegungen, auf diese buddhistische Grundhaltung, auf Lebenspflege, spirituelle Betätigung, auf das Qi, usw. ankommt.
Sondern daß es sich schlicht um eine Elite-Soldaten-Ausbildung handelt, ähnlich dem, was die Bundeswehr (oder z.B. die Fremdenlegion) bei Kampfschwimmern oder sonstigen Eingreiftruppen macht. Nur, daß es sich um eine überlieferte Ausbildung aus früheren Zeiten handelt, die deswegen aber nicht minder hart ist (sondern in manchen Bereichen vielleicht sogar noch härter). So hatte ich das bisher noch gar nicht gesehen. Vielleicht stimmt es aber auch gar nicht.
Jedenfalls hätte so eine militärische Ausbildung eigentlich auch wenig mit dem Hobbytraining zu tun, wie es bei uns in Vereinen und Schulen angeboten wird. Oder mit dem, was man vom Kungfu in Filmen sieht. Na ja, andererseits gibt's auch Krav Maga, das ja auch direkt vom (israelischen) Militär kommt. ;)

T. Stoeppler
29-10-2013, 06:23
Ein Elite-Soldaten Training fängt genau da an: bei der ELITE, also bei der Auswahl der Leute. Dann wird denen das beigebracht, was sie unbedingt brauchen und einfach tierisch oft geübt. Mit dem Kopf gegen einen Sandsack gerammt zu werden ist einfach nur dämlich aus Sicht eines möglichen Einsatzes, aber eben ein Showelement. Genau wie ein Hangmans Drop (also das "Aufhängen"). Das ist übrigens ein alter Strongman Trick, bekannt auch von dem Catch-Wrestler "Farmer" Burns. Das unsinnige einkloppen auf die Wand... also die Schlagtechnik ist dermassen übel, das bringt überhaupt nichts. Das ist alles reine Show, vorgeführt von Profi-Athleten um einfach ein bischen "krass" rüberzukommen.

Gruss, Thomas

gasts
29-10-2013, 08:54
Deshalb hatte ich mich auch gewundert. Nach der Doku hatte ich den Eindruck, daß es beim Shaolin-Kungfu gar nicht auf die Schönheit der Bewegungen, auf diese buddhistische Grundhaltung, auf Lebenspflege, spirituelle Betätigung, auf das Qi, usw. ankommt.


was ist denn "diese buddhistische Grundhaltung"?
Buddhistische Grundhaltung ist u.a. Leidenschaftslosigkeit.
Dergleichen ist auch bei Kampfschwimmern erwünscht.

bzlg. Lebenspflege:
Von Yang Lu Chans zwei Söhnen wollte sich einer der Überlieferung nach aufhängen, der andere in's Kloster flüchten, weil das Training so angenehm war.
Ich glaube, Yang Sau Chung berichtete, dass sie von ihrem Vater bei kalten Wetter aus dem Haus geworfen wurden, so dass ihnen nix anderes übrig blieb, als zu traineren, bis sie wieder reindurften.
Chen Xiaowang ist nach eigenen Angaben in seiner intensiven Trainingsphase teilweise so angeschwollen, dass er kaum aufstehen konnte, hat aber dennoch die vorgenommene Anzahl Formen am Tag durchgezogen.

Chen Wangting war übrigens je nach Quelle General oder Hauptmann.

Klaus
29-10-2013, 10:56
Wenn es kein Trick mit einem Sicherungsseil ist, dann ist der "Hangmans Drop" aber lebensgefährlich, und kann nur von Leuten gemacht werden die wirklich seit zig Jahren extrem ihren Hals trainieren, und mit demselben ein Pferd aus den Hufen ziehen könnten.

gasts
29-10-2013, 11:28
Wenn es kein Trick mit einem Sicherungsseil ist, dann ist der "Hangmans Drop" aber lebensgefährlich, und kann nur von Leuten gemacht werden die wirklich seit zig Jahren extrem ihren Hals trainieren, und mit demselben ein Pferd aus den Hufen ziehen könnten.

Die lassen sich ja nicht fallen, sondern hängen sich nur auf, ohne Ruck.

Eistee
29-10-2013, 21:06
was ist denn "diese buddhistische Grundhaltung"?
Buddhistische Grundhaltung ist u.a. Leidenschaftslosigkeit.
Dergleichen ist auch bei Kampfschwimmern erwünscht.
Na ja, ich meinte halt diese Form von Weisheit, die ein wahrer Kung-Fu-Meister ausstrahlt. Schwer zu beschreiben ...

bzlg. Lebenspflege:
Von Yang Lu Chans zwei Söhnen wollte sich einer der Überlieferung nach aufhängen, der andere in's Kloster flüchten, weil das Training so angenehm war.
Ich glaube, Yang Sau Chung berichtete, dass sie von ihrem Vater bei kalten Wetter aus dem Haus geworfen wurden, so dass ihnen nix anderes übrig blieb, als zu traineren, bis sie wieder reindurften.
Chen Xiaowang ist nach eigenen Angaben in seiner intensiven Trainingsphase teilweise so angeschwollen, dass er kaum aufstehen konnte, hat aber dennoch die vorgenommene Anzahl Formen am Tag durchgezogen.
Von solchen Sachen habe ich auch gelesen, insbesondere in diesem (völlig ungesicherten, aber interessanten) Text (http://web.archive.org/web/20100608085513/http://www.kung-fu-berlin.de/tai_chi.html), den ich nur noch im Webarchive finde, weil er von der ursprünglichen Seite gelöscht worden war.
Die Konsequenz aus dem Verhalten dieser Meister (wenn es denn so gewesen sein sollte) scheint mir aber zu sein, daß sie sich für mich nur bedingt als Vorbilder eignen und daß sie sich in manchen Punkten durchaus auch kritisch hinterfragen lassen müssen.
Sollte es tatsächlich nur mit Gewalt gehen, zur Meisterschaft zu gelangen, wäre es für mich sehr fraglich, ob ich eine solche Meisterschaft überhaupt anstreben sollte.

AkushonWasi
29-10-2013, 22:00
Nochmal zur "Schönheit" des Shaolin-Kung Fu. So wie ich gelesen habe soll das authentische Shaolinquan ziemlich "dreckig" (im Sinne der Ausführung) sein und gar nicht schön anzusehen

va+an
29-10-2013, 22:03
Na ja, ich meinte halt diese Form von Weisheit, die ein wahrer Kung-Fu-Meister ausstrahlt. Schwer zu beschreiben ...

Von solchen Sachen habe ich auch gelesen, insbesondere in diesem (völlig ungesicherten, aber interessanten) Text (http://web.archive.org/web/20100608085513/http://www.kung-fu-berlin.de/tai_chi.html), den ich nur noch im Webarchive finde, weil er von der ursprünglichen Seite gelöscht worden war.
Die Konsequenz aus dem Verhalten dieser Meister (wenn es denn so gewesen sein sollte) scheint mir aber zu sein, daß sie sich für mich nur bedingt als Vorbilder eignen und daß sie sich in manchen Punkten durchaus auch kritisch hinterfragen lassen müssen.
Sollte es tatsächlich nur mit Gewalt gehen, zur Meisterschaft zu gelangen, wäre es für mich sehr fraglich, ob ich eine solche Meisterschaft überhaupt anstreben sollte.

Die Guten, die ich bisher kennengelernt habe, haben alle hart gearbeitet und wirklich bitter gegessen.
Schönwetter Meister taugen oftmals nix.

Gesendet von meinem Nexus 7 mit Tapatalk 4

gasts
30-10-2013, 02:51
Na ja, ich meinte halt diese Form von Weisheit, die ein wahrer Kung-Fu-Meister ausstrahlt. Schwer zu beschreiben ...


dann ist mir wohl noch kein wahrer "Kung-Fu-Meister" begegnet.
Allerdings schon welche, die das Klischee bedienen und sich entsprechend inszenieren.



Die Konsequenz aus dem Verhalten dieser Meister (wenn es denn so gewesen sein sollte) scheint mir aber zu sein, daß sie sich für mich nur bedingt als Vorbilder eignen und daß sie sich in manchen Punkten durchaus auch kritisch hinterfragen lassen müssen.


Das ist eine gute Idee und sollte IMO für alle Menschen gelten, die man so trifft.



Sollte es tatsächlich nur mit Gewalt gehen, zur Meisterschaft zu gelangen, wäre es für mich sehr fraglich, ob ich eine solche Meisterschaft überhaupt anstreben sollte.

Ich nehme an, Du weißt, was "Kung Fu" bedeutet?

Eistee
31-10-2013, 16:45
Ich nehme an, Du weißt, was "Kung Fu" bedeutet?
Interessanter Punkt! Wenn ich einmal täglich meine Tai Chi-Form mache, würde ich nicht sagen, daß das wirklich schon "harte Arbeit" wäre (durch die ich besondere Fähigkeiten erwerben würde; na ja, ein bißchen vielleicht, bzgl. Standfestigkeit, Gleichgewicht). Für "Kung Fu" müßte man also schon noch länger trainieren.
Machen ja auch viele, meist wohl die Chen-Leute. Kostet aber viel Zeit, die ja nun auch nicht jeder hat.
Oder man macht eine halbe Stunde täglich Stehende Säule. Das ist ziemlich hart (kann man nicht sofort, muß man sich erst heranarbeiten; übrigens recht gut beschrieben in dem Buch "The Way of Power" von Lam Kam Chuen, mit Übungsplan, usw.), und kostet dann nicht so viel Zeit. Möchte aber ehrlich gesagt meine relativ bequeme Form nicht dagegen eintauschen. Also lieber kein Kungfu für mich. ;)

Schnitzelsekt
01-11-2013, 01:42
So ein Quatsch.
Tai Chi ist genauso Kung Fu wie Bak Mei oder Xing Yi.
Die Tai Chi Leute (Yang), die ich kenne bezeichnen ihr Training als sehr anstrengend (nicht verwechseln mit hart - es gibt auch andere Arten von anstrengend als muskuläre Anspannung).

Felix Kroll
01-11-2013, 08:36
tai chi ist kung fu?

T. Stoeppler
01-11-2013, 09:16
Damit es zumindest an den Begrifflichkeiten nicht scheitert:

"Gongfu/Kung Fu" heisst "erarbeitete Fertigkeit" ist aber auch heutzutage gleichbedeutend mit Kampfkunst(Methode)
"Taijiquan/Tai Chi Chuan" ist ein Kung-Fu Stil, bzw eine
"Quan Fa" (Kampfmethode).
"Taiji/Tai Chi" ist ein kosmologisches Konzept und hat nichts mit Kampfkunst zu tun.

Gruss, Thomas