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Vollständige Version anzeigen : Soju in England



Soju
05-11-2013, 13:27
Im Jahr 2003 war ich fuer 3 Monate als Trainee von DaimlerChrysler in England by MacLaren Composites. Das sind die, die fuer den Mercedes Benz SLR McLaren das Kohlefaserchassis gebaut haben.

Der Text den ich damals geschrieben habe ist teilweise ein wenig technisch, weil ich recht viel von den Prozessen erklaert habe.

Zur Arbeit
Es ist viel, es ist herrscht hier ein vollkommenes Chaos, und es macht Spaß. Das Hauptproblem hier ist, dass McLaren zwar sehr viel darüber weiß, wie man EIN schnelles Autos baut, aber absolut gar nichts darüber wie man viele davon baut. Wobei viele in diesem Fall 3 Stück am Tag sind. Als sie damals den McLaren F1 gebaut haben (die Autofans unter euch wissen welcher das ist, der Rest informiere sich im Internet oder wo auch immer) haben sie ungefähr einen pro Monat gebaut, was nicht wirklich eine Produktionsplanung braucht, da man an jedem einzelnen Fahrzeug so lange rumeiern kann bis es fertig ist.

Da sie aber sehr lange glaubten und sagten sie könnten die geforderte Stückzahl leisten und DC (DaimlerChrysler) das entweder geglaubt hat oder aus politischen Gründen nichts unternommen hat ist die Situation im Moment so, dass eine Menge Leute von DC hier sind um zu helfen und ein wenig Struktur in das ganze zu bringen. Ein kleines Rädchen am Wagen bin dann ich. Bisher war die Planung, eine niedrige einstellige Anzahl pro Woche zu bauen. Seit kurzem ist die Forderung, dass es 50% mehr sein sollen. Meine Aufgabe ist es herauszufinden, wo im Bereich Rohbau die Probleme sind die dies verhindern, warum sie da sind und was man aus meiner Sicht dagegen tun kann. Mein direkter „Vorgesetzter“ von DC ist der Assi vom Projektleiter von DC. Dieter ist ein unglaublich guter Mann von dem ich wirklich was lernen kann. Immer wenn ich etwas mache stellt er hinterher genau die Fragen, an die ich nicht gedacht habe, wobei ich mir dann im ersten Moment recht blöd vorkomme und was mich am Anfang auch ernsthaft genervt hat, was aber gleichzeitig eine Chance ist zu lernen wie ich strukturierter arbeiten kann.

Außerdem habe ich vor kurzem zusätzlich die Aufgabe bekommen den ersten Prozesschritt so zu strukturieren, dass sie einen Satz Teile (das heißt Kohlefaserteile für ein Fahrzeug) pro Tag herstellen können. Zurzeit wird dort wie überall in der Produktion sehr zufällig gearbeitet, das heißt man macht die Teile für die gerade intaktes Material da ist. Intakt deshalb, da es hier und da noch Optimierungspotential bei den Zulieferern gibt (im Klartext: Die liefern zum großen Teil einfach nur Scheiß!).

Es gibt hier keinerlei Produktionsplanungsprogramm, so dass ich alles (also die Durchsatzanalyse für die gesamte Produktion als auch die Produktionsplanung für das Preforming) in Excel mache, was zwar nicht optimal ist, aber auch funktioniert. Vor allem, weil so gut wie keine Datenbasis da ist mit der man ein Produktionsplanungsprogramm füttern könnte. Ein Teil der Aufgabe besteht also darin, erstmal raus zu finden was sie machen, warum sie es machen und wie lange es dauert.

Eine große Hilfe bei der Planung des Prozesses sind die beiden Teamleiter Nikki Honey und Mark Wield, die mich hervorragend unterstützen und wirklich versuchen das umzusetzen, was ich mir in meinem Schlipsträgerhirn so ausdenke. Vielleicht hat es auch ein wenig geholfen, dass ich am Anfang als ich die Pläne fertig hatte einmal alle Arbeiter in den Besprechungsraum geholt habe und ihnen erklärt habe was ich mir vorstelle. Generell ist es hier so, dass wir deutschen bei den Arbeitern wesentlich höher angesehen sind als bei den Ingenieuren. Ich auch nicht so merkwürdig, da unsere Aufgabe im Grunde ist, nachzuweisen wo die Entwicklung und Produktionsplanung geschlampt hat. Und da es bisher immer die Arbeiter waren, die unter dieser Schlamperei gelitten haben hoffen die natürlich, dass jetzt ein wenig deutsche Ordnung da rein kommt (wer Ironie findet darf sie behalten)….

Der Plan ist, dass ich das ganze danach auch für die naechsten Teilprozesse machen soll.

Soju
05-11-2013, 13:34
Crossover hat recht, ist nicht so schlau was ueber die Prozesse zu schreiben.

Also geloescht.

Soju
05-11-2013, 13:43
Unterkunft
Die ersten 6 Wochen habe ich in Portchester bei John, dem "Hausmeister" aus der Firma gewohnt. Ein ausgesprochen netter Mensch. Er ist so gut wie jedes WE entweder jagen oder fischen. Ich hatte in seinem Haus ein Zimmer für den Schnäppchenpreis von 225 € pro Woche gemietet. Er wohnt alleine nachdem er 2 mal verheiratet war und ihn die Frauen bei der Scheidung jedes mal komplett ausgenommen haben. Seitdem kommen ihm keine Frauen mehr in die Hütte, er geht lieber Tiere töten. Mit ihm habe ich mich ausgesprochen gut verstanden. Allerdings war die Situation in seinem Haus zu leben natürlich nicht ideal, von wegen Privatleben und so. Außerdem ist John der einzige Mensch den ich kenne, der Stundenlang vor dem Fernseher sitzen kann und Sendungen über das Angeln oder Jagen ansehen konnte. Er hat eigens für den Zweck die englische Version von Premiere, weil es da Sender gibt, wo ausschließlich Sendungen übers Angeln und Jagen laufen.

Seit diesem Montag hat die Firma es dann endlich geschafft, ein Haus zu mieten in dem ich mit zwei anderen deutschen aus der Messtechnik und aus der Endabnahme (ja, wir infiltrieren das hier vollkommen) wohne. Der eine kann auch sehr gut kochen und außerdem fliegen die jedes WE nach hause, es ist also recht gut. Da das Haus in Horndean, etwa 15 km von der Firma entfernt liegt, habe ich einen Mietwagen gestellt bekommen, leider einen Fiat Punto. Es ist zwar schön einen Wagen zu haben, aber diese Gurke ist so etwas von uninspirierend, das ist schon nicht mehr feierlich. Aber immerhin zahle ich für Haus und Auto soviel wie vorher für das Zimmer.

Horndean hat eine eigene Brauerei, welche eine ganze Menge unterschiedlicher Ales, Stouts und Lagers macht. Der an die Brauerei angeschlossen Pub hat alle Sorten da. Ich hab es in meinem Uebermut mal versucht ein pint (bzw. eine Flasche von den Sorten die es nur als Flaschenbier gibt) von jeder Sorte zu trinken - an einem Abend. Hat geklappt und ich bin die Zapfhahnreihe sogar wieder die halbe Strecke zurueck gekommen. War aber Geldverschwendung, weil mir auf dem Weg nach hause alles wieder aus dem Gesicht gefallen ist.

Wochenendausflug
Damit ich von England noch etwas mehr sehe als die Firma, die Pubs in Portchester und Horndean und John habe ich einige Wochenendausflüge gemacht, wenn ich am Samstag nicht gearbeitet habe. Da ich beim ersten noch bei John wohnte und kein Auto hatte habe ich eins der Poolcars bekommen. Beim ersten Ausflug ging es von Portsmouth aus nach Nordwesten.

Erste Station war Stonehenge. Es war weit weniger spektakulär als ich gedacht hatte. Und kleiner! OK, es sind recht große Klötze die sie da übereinander gestapelt haben, aber der ganze Kreis ist deutlich kleiner als ich dachte. Und leider kann man nicht sehr dicht ran. Was ganz interessant war, war die Audiotour die man mitmachen konnte. Da kriegt man dann eine Art Telefonhörer und kann sich was über Stonehenge erzählen lassen. Das ganze Ding steht also seit 5000 Jahren da und keiner weiß warum. Ja, an die unter euch, die an Druidenzauber oder ähnlichen okkulten Quatsch glauben: MAN WEISS ES NICHT!!! Es gibt unzählige Theorien aber keine einzige ist beweisbar. Irgendeinen Zweck wird das sicher gehabt haben, sonst schleppt man keine 25t schweren Steine auf Flössen und Schlitten 400 km weit. Vielleicht hatten die damals aber auch einfach nur eine skurrile Art von Humor und haben sich totgelacht bei dem Gedanken, dass in 5000 Jahren ein Haufen Leute beträchtliche Ressourcen freimachen würden um herauszufinden warum.

Nächste Station war dann Avebury, ein kleines Dorf, dass in und um Steinkreise gebaut wurde. Die Steinkreise haben einen Durchmesser von ein paar hundert Metern und bestehen aus Hinkelsteinen wie Obelix sie mit sich rumschleppt. Auch hier weiß man nicht warum die da stehen. Ist aber ein nettes Dorf.

Danach wollte ich mir dann in Bristol eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. War nix. Die hatten da Balloon Festival und die Stadt war ausgebucht. Total, inkl. Jugendherbergen und 5 Sterne Hotels. Ich bin also weiter nach Cardiff in Wales gefahren. War auch nix. Manchester United hat gegen Arsenal London in Cardiff gespielt (warum in Cardiff weiß ich auch nicht, die Polizisten mit denen ich mich unterhalten hab sahen das auf jeden Fall nicht als Hauptgewinn an, dass ihre Stadt von Fans überrannt wurde) und die Stadt war mit etwa 50.000 - 80.000 besoffenen Fußballfans überfüllt. Da hab ich auch gleich gesehen wie die walisische Polizei (die da "Heddlu" heisst und die äusserst präsent war) mit Hools umgeht. Irgendein besoffener, kleiner Tätowierter Idiot wollte einen Passanten zum Zweikampf fordern. Polizei hin zu dem Kampfzwerg, vier Mann auf den drauf und rumsdi bumsdi ab in den Streifenwagen. Kein Fußball für Mr. Dumpfbacke.

Da Cardiff wie gesagt überfüllt war bin ich nach Newport gefahren, das auf dem Weg zurück nach England liegt. War auch nix. Die Fans, die keine Unterkunft in Cardiff gefunden hatten haben eine in Newport gefunden. Ich hatte irgendwann ein Angebot für ein Zimmer, das ich mir mit 4 Fußballfans hätte teilen dürfen. Hab dann aber abgelehnt. Ich nehme einfach zu gerne feste Nahrung mit zwei nicht gebrochenen Händen zu mir. Langsam hat mich das ganze genervt, also habe ich beschlossen gebrauch von Johns Schlafsack zu machen, den ich geliehen hatte und mich ins Auto zu legen. Damit ich die nötige Bettschwere kriege habe ich einen Haufen Guinnes in mich geschüttet, mich mit einem Haufen besoffener Engländer unterhalten und dann eine mehr oder weniger bequeme Nacht in einem Ford Focus verbracht. Die sind übrigens nicht zum drin Schlafen gebaut, sofern man größer als 1,60 m ist, lasst es euch gesagt sein.

Etwas worauf ich alles andere als Stolz bin ist, dass ich den besagten Focus in meinem Brausebrand etwa 30 km ausserhalb von Newport geparkt habe. Tolle Leistung, als Deutscher in England im Suff auf der verkehrten Seite der Strasse in einem Firmenwagen. Don’t try this at home. Nein, ich bin wirklich nicht stolz drauf.

Was übrigens ganz nett war in Newport ist, dass jeder Pub mindestens 2 Türsteher hat und Fußballtrikots nicht erlaubt sind (warum müsst ihr euch selber ausmalen). Hab mich dadurch deutlich sicherer gefühlt.

Am nächsten Tag, nach einem ausgiebigen McDonalds Frühstück bin ich dann weiter nach Bath gefahren. Bath enthält die einzigen warmen Quellen in England, was die Römer vor 2000 Jahren dazu ausgenutzt haben eine Badeanstalt zu bauen (daher der Name). Außerdem ist es eine sehr nette kleine Stadt. Man konnte auch das Wasser aus der Quelle probieren, das angeblich sehr gesund sein soll. Muss es auch, weil wegen dem Geschmack trinkt das garantiert keiner. Die Bäder habe ich mir nicht angeguckt. Ich fand 9£ fuer ein 2000 Jahre altes italienisches Planschbecken ein wenig happig.

Nächste Station auf meiner Reise war die Cheddar Gorge. das ist eine Schlucht durch die eine sehr kleine Strasse führt die auf das Dorf Cheddar (das Dorf wo die Scheibletten herkommen) zuführt. Ist einfach wunderschöne Natur. Leider kann man da nicht ordentlich gucken, weil die Strasse wirklich sehr eng ist. So dass gerade zwei Autos aneinander vorbeipassen. Man kann da aber Bustouren mitmachen, in Bussen ohne Dach, damit man schön nach oben gucken kann. Da ich aber nicht der einzige war, der an einem schönen Tag eine Touristenattraktion genießen wollte und meine Vorliebe für Chaos einfach nicht ausgeprägt genug ist habe ich das gelassen.

Als ich durch die Gorge wieder Richtung Heimat gefahren bin habe ich noch einen kurzen Einblick in das Totenreich gekriegt. Ich fuhr auf dieser engen Strasse nach oben und in einer engen Rechtskurve kam mir auf einmal ein Traktor entgegen, recht zügig. Es war aber nicht einfach nur ein Traktor, sondern ein Über-Traktor, mit Zwillingsreifen hinten, die auf die andere Fahrbahn ragten. Ich hatte in dem Moment Glück, dass ich an einer der Stellen war, wo die Fahrbahn nur von Büschen begrenzt war und nicht von Felsen. Sonst hätte ich mein Dasein in dem mächtigen profil einer Englischen Ackermaschine ausgehaucht.


Das war es aus England. Der naechste Text den ich habe ist aus Kambodscha 2007.

cross-over
05-11-2013, 14:01
Hallo Soju,
ist ja ganz amüsant zu lesen.
ICH an Deiner Stelle würde mir aber SEHR genau überlegen was ich über meine Arbeit in einem öffentlichen Forum schreibe (auch wenn es schon 10 Jahre her ist). Was Du hier alles mitgeteilt hast kann ganz schnell arbeitsrechtliche Konsequenzen nachsich ziehen.
Ich komme selber aus der Fahrzeugentwicklung und was wie die Leute das sehen.

Durakier
07-11-2013, 12:04
Hallo Soju,

netter Bericht über UK. Trifft alles so ziemlich zu oder besser gesagt, ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Nur mit Newport muss ich dir wehemenst widersprechen. Newport is a shithole :D Niemand will eigentlich dort sein und wenn du von 2 Türstehern sprichst, so waren es bis 2010 um die 4. In Cardiff hättest du die Nacht deines Lebens verbringen können. Das ist/war Party pur. Ich zumindest hatte die beste Zeit meines Lebens in Cardiff und bin auch heute noch mehrmals im Jahr dort bei meinen Freunden zu besuch. Dem Fußball kann ich nichts abgewinnen, aber Rugby liebe ich über alles. Ist für mich schon fast ein Grund wieder rüberzugehen.

Der nächste Tipp wäre Schottland. Einfach nur beeindruckend. Und wer Lust auf Whisky hat, der sollte den Malt Whisky Trail befahren.

Ist das schön in alten Erinnerungen zu schwelgen :)

Soju
07-11-2013, 12:35
Hallo Soju,

netter Bericht über UK. Trifft alles so ziemlich zu oder besser gesagt, ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Nur mit Newport muss ich dir wehemenst widersprechen. Newport is a shithole :D Niemand will eigentlich dort sein und wenn du von 2 Türstehern sprichst, so waren es bis 2010 um die 4. In Cardiff hättest du die Nacht deines Lebens verbringen können. Das ist/war Party pur. Ich zumindest hatte die beste Zeit meines Lebens in Cardiff und bin auch heute noch mehrmals im Jahr dort bei meinen Freunden zu besuch. Dem Fußball kann ich nichts abgewinnen, aber Rugby liebe ich über alles. Ist für mich schon fast ein Grund wieder rüberzugehen.

Ist das schön in alten Erinnerungen zu schwelgen :)

Ich wollte ja in Cardiff bleiben, aber egal wo ich gefragt habe, es war einfach NICHTS mehr frei, weil von Fussballfans belegt. Ich war in 20 B&B und Hotels, vom billigsten das ich finden konnte bis zum Sheraton.

Schottland war ich bisher nur einmal fuer eine Woche (Glasgow). Fand ich toll und will ich unbedingt wieder mal hin.
Der nächste Tipp wäre Schottland. Einfach nur beeindruckend. Und wer Lust auf Whisky hat, der sollte den Malt Whisky Trail befahren.

Durakier
07-11-2013, 12:51
Ich wollte ja in Cardiff bleiben, aber egal wo ich gefragt habe, es war einfach NICHTS mehr frei, weil von Fussballfans belegt. Ich war in 20 B&B und Hotels, vom billigsten das ich finden konnte bis zum Sheraton.
Tja, es ist nicht jedem vergönnt :D



Schottland war ich bisher nur einmal fuer eine Woche (Glasgow). Fand ich toll und will ich unbedingt wieder mal hin.

Wenn dir Glasgow schon so gut gefallen hat, dann wirst du von Edinburgh begeistert sein. Noch eine klare Empfehlung ist die Isle of Skye.