PDA

Vollständige Version anzeigen : Chen Zhongghua über das Taijiquan-Lernen



gast
17-11-2013, 21:26
Hallo allerseits.

Bin gerade über folgenden Ausschnitt aus einem Interview gestolpert:

Difference between Chinese and foreign students - YouTube (http://www.youtube.com/watch?v=kNyIPpN8xBA)

Zu einer speziellen Stelle möchte ich gerne eure Meinung hören: Denkt ihr, es ist ein zulässiger Schluss, dass Taijiquan, zumindest am Anfang, von Chinesen schneller bzw. leichter erlernt wird, weil es von Personen mit "chinesischem Körperbau" entwickelt wurde?
Gibt es vielleicht auch Aspekte, bei denen ein Mensch mit "westlichem Körperbau" Vorteile hat?
Ganz abgesehen davon, dass ja auch die Chinesen untereinander selbstverständlich nicht alle denselben Körperbau haben?

Dass man das Ganze nicht auf die Goldwaage legen soll, sagt der Herr Chen ja selbst am Anfang, aber dennoch finde ich es ganz interessant, sich zumindest so eine Frage mal zu stellen :)

Klaus
17-11-2013, 22:45
Ich denke, er versucht, eine Beobachtung in Worte zu fassen, nämlich dass die jugendlichen Chinesen die er getroffen hat Taijiquan leichter verstanden haben als die meisten "Westler". Das liegt aber eher an deren Strickung als am Körperbau.

gast
18-11-2013, 14:06
Psychisch gestrickt meinst du? Kannst du es weiter ausführen?

Klaus
18-11-2013, 16:36
Der typische Besucher eines Kurses ist kein 18jähriger Semi-Leistungssportler aus einer Ballsportart mit einem gut entwickelten intuitiven Verständnis für kreative Lösungen in Bewegung. Die wären sicher in der Lage, schnell und umfassend gute Grundlagen zu lernen, und zu verstehen worum es eigentlich geht.

Kamenraida
18-11-2013, 19:44
Schon mal mit Chinesen gepusht? Das beantwortet die Frage doch am besten.

Meine Erfahrung: Es gibt gute und es gibt schlechte. Genau wie überall.

Und was sozusagen das eingebaute kulturelle Verständnis angeht (das die Art wie sich ein Mensch bewegt zweifellos stark beeinflusst) - das spielt in diesem Falle keine so große Rolle. Teilweise sogar im Gegenteil: Chinesen können mit inbrünstiger Überzeugung totalen Quatsch über Taichi erzählen - herrlich. Vor allem, da einige von ihnen meinen, allein WEIL sie Chinesen sind, hätten sie irgendein Verständnis für die Sache... So kann man sich herrlich selbst im Weg stehen.

Klaus
18-11-2013, 20:39
Richtig gut werden besonders die Leute, die da total unintellektuell rangehen. Geh mal Wasser holen. Koch mal Kaffee. Mach ma die Taiji-Form hier. Und solche Leute haben dann intuitiv einfach einen völlig körperlichen Zugang dazu und sind "intellektuell hervorragenden" Menschen total überlegen. Und vermutlich hat Herr Chen die öfter bei unbedarften Jugendlichen und jüngeren Leuten ohne Sch*** im Kopf in China getroffen. Leute die nichts "sind", sondern die einfach nur ihre Übungen machen und nicht gross drüber nachdenken. Leute aus dem chinesischen Kulturkreis die was darstellen sind eher gar nicht so intuitiv und erdig, und der überdrehte Jugendliche der immer irgendwas "machen" will wird auch eher nicht besonders gut, auch wenn sein Körper noch so chinesisch ist. Ein deutscher Bauer der das von einem sehr guten Lehrer lernt wird dagegen richtig übel als Gegner beim Pushen.

Eistee
19-11-2013, 00:23
Denkt ihr, es ist ein zulässiger Schluss, dass Taijiquan, zumindest am Anfang, von Chinesen schneller bzw. leichter erlernt wird, weil es von Personen mit "chinesischem Körperbau" entwickelt wurde?
Gibt es vielleicht auch Aspekte, bei denen ein Mensch mit "westlichem Körperbau" Vorteile hat?
Ganz abgesehen davon, dass ja auch die Chinesen untereinander selbstverständlich nicht alle denselben Körperbau haben?

Dass man das Ganze nicht auf die Goldwaage legen soll, sagt der Herr Chen ja selbst am Anfang, aber dennoch finde ich es ganz interessant, sich zumindest so eine Frage mal zu stellen :)
Abgesehen davon, daß ich kein Wort in dem Clip verstehe, halte ich den Körperbau für sehr wesentlich für den Erfolg in einer Kampfkunst oder auch in einer sonstigen Sportart.
Wenn sich der eigene Körperbau stark von dem desjenigen unterscheidet, der sich die Sache ausgedacht hat, wird man auf dem Gebiet nicht gut sein oder sich gar verletzen. Ich finde, das wird viel zu wenig berücksichtigt.
Ich bin relativ groß und schwer, und habe in meiner Jugend mal Judo gemacht. Jigoro Kano, der Stilbegründer, war jedoch im Verhältnis dazu winzig. Ständig versuchte er in seinem Stil, die Kraft des Gegners für sich zu nutzen, weil es ihm an der eigenen fehlte. Das brauchte ich überhaupt nicht, das war gar nicht mein Problem. Damals konnte ich das aber nicht erkennen, und in dem Verein hat auch niemand jemals darüber gesprochen. Na ja, mit dem Judo und mir hat das dann auch nicht gut funktioniert.
Ein anderer Freund war etwa ebensogroß wie ich, aber beweglicher. Er machte Taekwondo. Das Gewicht seines Beines war aber viel größer als das eines kleinen Asiaten, und so wurde das Hüftgelenk bei den hohen Tritten viel stärker belastet, als bei den Leuten, für die der Stil gemacht war (was der Freund bis heute bestreitet). Jedenfalls bekam er mit ca. 18 Jahren Arthrose im Hüftgelenk und mußte Taekwondo kurz vor dem schwarzen Gürtel ganz aufgeben.
Ich mache heute Yang-Stil: Yang Chengfu war ebenso groß und schwer wie ich, das ist für mich - endlich - der richtige Stil. Ich glaube auch, daß der Yang-Stil nach Yang Chengfu die einzige asiatische Kampfkunst ist, die für solche Leute wie mich wirklich geeignet ist.
Ich glaube auch, daß es kein Zufall ist, daß man im europäischen Boxen überhaupt keine Tritte kennt, sondern nur mit den Fäusten arbeitet. Ab einer gewissen Größe sind die Fäuste hinsichtlich der Wirkung effektiv genug, während Tritte mit zu langen Beinen zu langsam werden und die Gelenke zu stark belasten (s.o). So sehe ich das jedenfalls. Würde mich auch freuen, wenn das Sportwissenschaftler mal näher untersuchen würden.
Asiaten machen Sepak Takraw (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Game_of_Sepaktakraw_at_a_match_in_Strasbourg. jpg?uselang=de) (mit hohen Tritten), wir machen Volleyball (nur mit den Armen). Es wird schon einen Grund dafür geben ...

Kamenraida
19-11-2013, 00:47
Ich glaube auch, daß es kein Zufall ist, daß man im europäischen Boxen überhaupt keine Tritte kennt, sondern nur mit den Fäusten arbeitet. Ab einer gewissen Größe sind die Fäuste hinsichtlich der Wirkung effektiv genug, während Tritte mit ...

Dann glaub das mal.
Ich empfehle im übrigen einen besuch in china. Erstaunlich wie unterschiedlich die menschen dort sind.

Eistee
19-11-2013, 17:26
Noch ein unverdächtiges Beispiel: Wenn man im Basketball erfolgreich sein will, kommt man ab einer bestimmten Leistungsklasse um ein Größe von mehr als 1,90 Meter kaum herum.
Umgekehrt muß man als Jockey beim Pferderennen ziemlich klein sein, sonst hat man keine Chance.
Diesen Aspekt dürfte es auch in den verschiedenen Kampfkunststilen geben.
Es gibt halt Bereiche, in denen es keine Chancengleichheit gibt. Wahrscheinlich ist das besonders für Leute, die diese überall durchgesetzt sehen wollen, schwer zu ertragen.

Ansonsten fiel mir noch ein, daß es eine bemerkenswerte Neuerung gewesen sein muß, als Yang Chengfu die bisherigen Formen des Familien-Stils so veränderte, daß sie besser für ihn ausführbar waren. Immerhin hatten sie doch ein Tai Chi-Schule, lehrten das also kommerziell, oder? Eine so starke Änderung der Lehrinhalte dürfte damals einigen Wirbel verursacht haben. ;)