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Vollständige Version anzeigen : GM Zhen Zhenglei über Taiji- Training, Ergebnisse und Prinzip



scarabe
21-11-2013, 11:16
Ein sehr interessantes Interview mit GM Chen Zhenglei.

Diese und andere Textstellen sind zwar nicht für jeden erfreulich, aber umso lesens- und nachdenkenswerter:

"So many people today are doing aimless moving, shaking and twisting. Then 20, 30 years later they still don't even know what is qi. Taijiquan is an internal martial art. By "internal" this means we are training the qi. If there is no sense of qi, then we cannot call it an internal martial art. It is [then] not Taiji "Quan" [fist]; it is Taiji "cao" [cal*isthenics]. It is no different from the usual physical exercises, lots of move*ments, looks good and flowery"

oder:

"They can practice for or 20 years and still not get the feel of qi. Some people think that Taijiqui entirely light and flowing, something an old man or old woman would do. The other idea people have is that Taijiquan is a neijia (internal) martial art. "Wow, gongfu is very good, can beat up people," but how to hit some*one without strength? So he trains in a very stiff and hard manner. These are the two common, inaccurate precon*ceptions."


...oder auch die Aussage, daß das Taiji-Symbol älter ist als der Taoismus und somit das Taiji gar nicht von den Taoisten erfunden werden konnte..... "For some people, once "Taiji" is mentioned, they will immediately think of Wudang and Zhang Sanfeng.

Actually, Taiji and Bag have nothing to do with Wudang Mountains. Some people mistake that, becauseTaoists use the Taiji diagram and Taijiquan also uses the Taiji diagram, therefore Taijiquan came from the Taoists.
Just think, the Taiji diagram and Taiji culture, for how many years have they existed? They have been around for 5,000 to 6,000 years. They are our cultural heritage; anyone can use them. You can use them, I can use them; anyone can use them."

An Interview with Chen Zheng Lei by Alex Yao (http://www.nickgudge.ie/5.c.ii.-interview-with-czl-yao.html)

Kamenraida
21-11-2013, 12:08
Wieso sollte das für jemanden nicht erfreulich sein? Das Problem besteht doch darin, dass 100% aller Taichi-Praktizierenden diese Worte unterschreiben und für sich in Anspruch nehmen würden.
Aber es sind halt nur Worte...

scarabe
21-11-2013, 12:22
naja, mit was sonst sollte man ein Interview führen, als mit Worten?
aber ja, umso besser, wenn es für jeden einfach nur eine positive Bereicherung ist.

Ich erinnere mich noch daran, als ich meine ersten Qi-Phänomene fühlte und wie verwundert ich über dieses Neue war, was zum Glück angenehm und somit wie ein Geschenk bei mir ankam- heute könnte ich mir Training ohne diesen inneren Qi-Aspekt nicht mehr vorstellen, auch wenn ich noch lange nicht alles, was GM CZL hier beschreibt, selbst erfahren habe- was ich übrigens den (allermeisten) anderen Lesern hier auch unterstelle ;)

Und schön zu beobachten waren beim diesjährigen Seminar mit CB auch die erfreut- verwunderten Reaktionen einiger Schüler/Teilnehmer, als sich ihre Arme plötzlich verselbständigten und von alleine hoch oder in die "Kurven" gingen....

Es ist schon toll, was es alles gibt, bzw., was man alles entwickeln kann, wenn man sich genug Zeit und Ruhe dafür gönnt. Das tatsächliche menschliche Potenzial scheint mir jedenfalls weit größer zu sein als das, was erforscht und täglich in Gebrauch ist :)

Eistee
21-11-2013, 16:34
Es gibt sicher Leute wie Chen Zhenglei, die dem Tai Chi einen Großteil ihrer gesamten Lebenszeit einräumen und dabei die tiefen Stellungen im Chen-Stil über so lange Zeit auch durchhalten. Ich bin aber nicht dafür, das von allen zu fordern. Wenn man sich täglich für Tai Chi eine Stunde inklusive Duschen nimmt, das heißt für die eigentlichen Übungen also nur ca. 40 Minuten, dann ist das schon mehr, als die meisten Berufstätigen mit eigener Familie aufbringen können. Es gibt im Leben ja auch noch andere "Potentiale" zu entwickeln, und die meisten werden vom Arbeitgeber vorgegeben.
Bei einem solchen Training erreicht man wahrscheinlich aber nicht das Niveau, bei dem man sein Qi fühlt und gezielt entwickeln kann. Es kommt dann vielmehr das dabei heraus, was Chen Zhenglei beschreibt. Ich finde, er sollte aber auf dieses Ergebnis nicht so despektierlich herabschauen, sondern sich darüber freuen, wenn Leute es überhaupt schaffen, sich täglich Zeit für Tai Chi zu nehmen und dann versuchen, das Beste daraus zu machen. Denn auch ein solches eingeschränktes Ergebnis hat durchaus schon positive gesundheitliche Wirkungen.

carstenm
23-11-2013, 12:11
... Ich finde, er sollte aber ... sich darüber freuen, wenn Leute es überhaupt schaffen, sich täglich Zeit für Tai Chi zu nehmen ... . Denn auch ein solches eingeschränktes Ergebnis hat durchaus schon positive gesundheitliche Wirkungen.
Aber vielleicht ist die positive gesundheitliche Wirkung nicht das, worum es ihm in erster Linie geht?
Und vielleicht ist darüber hinaus bewußt, daß die gesundheitliche Wirkung, die sich eigentlich erzielen ließe, wenn man anders üben würde, ungleich größer ist?

Ich bin in den chinesischen Künsten ja nur sehr marginal bewandert, aber mir stellt sich dieselbe Frage wie sie hier angesprochen ist, im nei gong wie auch im aikidô:
Warum denkst du, daß man sich freuen sollte, wenn Leute es überhaupt schaffen, ein wenig zu üben, wenn einem doch bewußt ist, daß sie das, worum es vielleicht eigentlicht geht, durch diese Übungsweise gar nicht berühren?

Eistee
24-11-2013, 18:06
Warum denkst du, daß man sich freuen sollte, wenn Leute es überhaupt schaffen, ein wenig zu üben, wenn einem doch bewußt ist, daß sie das, worum es vielleicht eigentlicht geht, durch diese Übungsweise gar nicht berühren?
Na ja, weil das auch schon ein bißchen was bringt.

Von Chen Zhenglei selbst (http://taijiyang.wordpress.com/2007/09/02/ten-essentials-of-tai-chi-chuan/) stammt auch das Zitat:

If you practice for one day you get one day’s benefit, with daily practice you can steadily improve. If you don’t practice for one day you lose ten days of development. So practice everyday without stopping! Western students must understand this clearly. Practice everyday!
Wie hat er das gemeint? Jeden Tag den ganzen Tag (wie im Tempelpark, für die meisten wohl völlig unrealistisch) oder jeden Tag ein bißchen?
Ich denke, der Chen-Stil ist eine Kunst, die sehr viel Übung erfordert. Ich kann schon verstehen, wenn die Meister dieser Kunst nicht damit zufrieden sind, wenn viele, die es machen wollen, nicht bereit oder imstande sind, die für diese Kunst nötige Zeit aufzubringen. Umgekehrt kann ich diese Leute aber auch verstehen.
Das Problem dürfte ja auch der Grund gewesen sein, warum Yang Chengfu schließlich (um ca. 1920) seine Form entwickelt hat, die doch eine erhebliche Vereinfachung gegenüber den älteren Chen-Formen darstellt und dann aber auch eine sehr viel weitere Verbreitung gefunden hat.
Vielleicht muß da jeder selbst das für ihn geeignete wählen. Ich persönlich bin mit der Yang Chengfu-Form ganz glücklich und bewundere zwar den Chen-Stil, finde ihn aber für mich leider zu aufwendig und zu schwierig. (Aber schön für die, die es schaffen, die hohen Anforderungen zu erfüllen).
Mir ist auch klar, daß ich mit meinen Übungen nicht zu Bruce Lee werde. ;)
Umgekehrt finde ich die noch weiteren Verkürzungen der Yang Chengfu-Form, also insbesondere die Peking-Form und die Form von Cheng Manching dann doch etwas zu sehr verkürzt (noch weiter vereinfacht sind sie ja nicht unbedingt).
(Über den Schwierigkeitsgrad der beiden Wu-Stile, des Sun-Stils und des Wudang-Stils kann ich noch nicht mal was sagen.)

carstenm
24-11-2013, 20:59
Na ja, weil das auch schon ein bißchen was bringt.
Was aber "bringt" es? Deine Antwort wirkt, als wenn du meine Frage gar nicht bis zum Ende gelesen hättest? Obwohl du sie ja zitierst.

Wenn das, was es bringt gar nicht das ist, worum es dem Lehrenden eigentlich geht: Was nützt das Üben denn dann aus der Sicht des Lehrenden betrachtet? Es geht doch dann an dem, was er eigentlich vermitteln möchte, vorbei. Es bringt also - aus dieser Perspektive betrachtet - nichts. Nicht mal ein "bißchen".
Ganz unabhängig davon, was die Übenden ihrer Ansicht nach aus ihrem Üben gewinnen. Nach meiner Erfahrung ist das ein Problem, das immer wieder auftaucht im Unterrichten innerer Künste.

Klaus
25-11-2013, 13:25
Jeden Tag ein bischen. Wobei das mit dem einen Tag aussetzen und 10 verlieren Unsinn ist, aber wenn man immer einen Tag viel macht und dann 3 Tage nichts, dann geht es viel langsamer mit Fortschritten, oder stagniert. Wenn man länger dabei ist und jeden Tag ein bischen tut, dann verliert man nichts wenn man mal 3 Tage Pause macht. Was man bei sowas eher sieht ist, wenn man was überzogen hat, und der Körper sich erstmal anfängt zu regenerieren wenn man dann mal 3 Tage nichts tut. Dann kann es sein dass man sich danach komisch fühlt, dann war aber vorher was nicht in Ordnung.

gasts
25-11-2013, 13:58
Wenn das, was es bringt gar nicht das ist, worum es dem Lehrenden eigentlich geht: Was nützt das Üben denn dann aus der Sicht des Lehrenden betrachtet?

Der verdient damit Geld.



Wenn das, was es bringt gar nicht das ist, worum es dem Lehrenden eigentlich geht: Was nützt das Üben denn dann aus der Sicht des Lehrenden betrachtet? Es geht doch dann an dem, was er eigentlich vermitteln möchte, vorbei. Es bringt also - aus dieser Perspektive betrachtet - nichts. Nicht mal ein "bißchen".

Du bist also der Ansicht, dass die Fähigkeiten, die man durch Taijiquantraining erwerben kann, nicht graduell aufbaubar sind, sondern sich nach etwa 10 Jahren 6 Stunden Training am Tag plötzlich einstellen?
Das unterscheidet sich dann von so ziemlich jeder anderen Kunst.

Was für Fähigkeiten sind das denn, die ein Meister voll entwickelt hat, die aber bei einem Schüler der "nur" 45min am Tag trainiert, überhaupt nicht vorhanden sind, nicht mal in Ansätzen?

Yangshuo
25-11-2013, 14:45
.

carstenm
25-11-2013, 17:04
Du bist also der Ansicht, ...Nein. Der Ansicht bin ich nicht.

Eistee
25-11-2013, 18:46
Was aber "bringt" es? Deine Antwort wirkt, als wenn du meine Frage gar nicht bis zum Ende gelesen hättest? Obwohl du sie ja zitierst.

Wenn das, was es bringt gar nicht das ist, worum es dem Lehrenden eigentlich geht: Was nützt das Üben denn dann aus der Sicht des Lehrenden betrachtet? Es geht doch dann an dem, was er eigentlich vermitteln möchte, vorbei. Es bringt also - aus dieser Perspektive betrachtet - nichts. Nicht mal ein "bißchen".
Ganz unabhängig davon, was die Übenden ihrer Ansicht nach aus ihrem Üben gewinnen. Nach meiner Erfahrung ist das ein Problem, das immer wieder auftaucht im Unterrichten innerer Künste.
Wahrscheinlich hab' ich mich bloß nicht deutlich genug ausgedrückt.

Ich meinte das so: Ein Lehrer, der das echte, innere Tai Chi samt vollen Kampfkunst-Möglichkeiten unterrichtet (so ein Lehrer ist schonmal relativ selten, höchstens hier im Forum anzutreffen ;) ), legt erstmal Wert auf die Korrektheit der Bewegungen, dann auf das Aufrechterhalten der Struktur, dann auf die Energiearbeit (so hab' ich das in dem Video "Das Taiji-Prinzip (http://www.youtube.com/watch?v=_AtppvGM4XM)" von Jan Silberstorff gesehen). Es wird also die Struktur in der Stehenden Säule herausgearbeitet, und dann versucht man zu erreichen, daß die Struktur auch in Bewegungen (Seidenübungen) und schließlich auch in der Form beibehalten werden kann. Wenn das gelingt, klappt auch das berühmte "Abprallen" von Gegnern. Es ist aber ein sehr weiter Weg dahin. Hinzu kommt Tuishou (Push-Hands, Partnerübung), außerdem dynamischere Formen (Pao Chui ("Kanonenfaust")) und Waffenformen. Und wie gesagt die Energiearbeit. Man beschreitet die "5 Level des Taijiquan (http://www.amazon.de/Die-Level-Taijiquan-Gro%C3%9Fmeister-Silberstorff-ebook/dp/B00FMJ8J02/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1385403943&sr=8-1)". Ein sehr weiter Weg. Wenn man dahin will, macht man das am besten, zumindest zeitweilig, in Vollzeit und traditionell natürlich unter der Aufsicht eines Meisters, der selbst die Kunst vollständig beherrscht und einen dauerhaft als Schüler angenommen hat.

Guckt man sich andererseits nur die Bewegungen der Form ab (die Yang Chengfu-Form ist wie gesagt leichter und für die allermeisten Leute geeignet), versucht zu verstehen, wie sie als KK-Bewegungen gemeint sind und macht dann nur einfach einmal täglich diese Form (netto ca. 40 Minuten, manchmal macht man aber auch langsamer, so daß es dann länger dauert), erreicht man wahrscheinlich nicht die höheren Level. Dennoch gibt es positive Wirkungen, so daß es besser ist, als gar nichts zu machen: Man schwitzt, hat sich also schon ein bißchen angestrengt. Die Beinmuskeln werden gekräftigt, insbesondere durch die (acht) Tritte (http://fc06.deviantart.net/fs70/f/2012/048/3/1/obama_kicks_door__fake__by_harrieradam123-d4q00js.gif). Der Gleichgewichtssinn wird verbessert, ebenso die Standfestigkeit (was vor allem von Senioren geschätzt wird, das Risiko von Stürzen im Alter ist sonst relativ groß). Die Atmung wird ruhiger und koordiniert sich mit der Zeit mit den Bewegungen. Die Nerven beruhigen sich ebenfalls. Wenn es gut läuft, fühlt man, daß Bewegungen und Atmung harmonisch sind, und dieses Gefühl von Harmonie breitet sich durch die Bewegung im Körper aus.
Es mag sein, daß man so nicht das Niveau erreicht, einen Angreifer in einem Kampf von sich abprallen zu lassen, aber es ist auch so für einen selbst eine tolle Sache.
Es hat also, auch wenn es nicht die reine Lehre ist, ein bißchen was gebracht.

carstenm
26-11-2013, 08:56
... aber es ist auch so für einen selbst eine tolle Sache.
Es hat also, auch wenn es nicht die reine Lehre ist, ein bißchen was gebracht.
Danke für die ausführlichen Erläuterungen!
Sie treffen aber - glaube ich -meine Anfrage nicht wirklich.

Schwitzen, etwas für den Körper tun - kann man durch viele, viele andere Betätigungen doch auch.
Die Beinmuskeln - kann man ebenfalls durch vielfältige andere Tätigkeiten stärken.
Der Gleichgewichtssinn - läßt sich schulen und verbessern durch vielerlei Übungen. Auch besonders im Hinblick auf Sturzprävention: Gerade dazu gibt es Übungen, die sehr schnell sehr effektiv wirken. Sogar wenn man erst im Alter damit beginnt.
Um die Atmung zu harmonisieren und mit den Bewegungen in Einklang zu bringen, gibt es ebenfalls schöne Methoden.
Und zur Beruhigung der Nerven sowieso.

Alle diese Effekte sind ausgesprochen positiv! Und ich selber empfinde diese Wirkungen in meinem eigenen Üben ebenfalls als sehr wertvoll! Der Nutzen ist ganz sicher sehr hoch, darin stimme ich dir völlig zu.

Ich ganz persönlich aus meiner Perspektive verbinde sie aber nicht mit dem, worauf das Üben einer inneren Kunst abzielt. Sondern verstehe diese Aspekte eher als notwendige Grundlegungen der körperlichen Arbeit, eher als Voraussetzung und nicht so sehr als eigentlichen Inhalt der inneren Arbeit.
Aber: Ich selber übe wie gesagt kein taiji quan, sondern lediglich nei gong und - damit eng vebunden - aikidô.
Von daher kann ich mir letzlich kein Urteil über Inhalte und Zwecke des Übens von taiji quan erlauben.

Ich habe mich lediglich in dem Gedanken wiedergefunden, daß Übende für sich selber - aus welchen Gründen auch immer - nicht in einer Weise üben, die ihnen die inneren Aspekte aufschließt. Sondern mit dem äußeren Üben zufrieden sind. Ich selber unterrichte aus diesem Grund seit Längerem innere Aspekte nicht mehr.

pilger
26-11-2013, 10:07
Hallo zusammen, hallo Carsten, hallo Eistee,

mir ist gerade danach, etwas zu euren interessanten Standpunkten zu schreiben. Ich kann beide sehr gut nachvollziehen.

Ich persönlich habe den Anspruch an mich, mit dem Taijiquan und Qigong nicht nur äußerliche Arbeit zu tun wie Verbesserung des Allgemeinbefindens, mehr Entspannung und die vielen anderen Dinge mehr, von denen man sagt, dass sich sich einstellen, sofern man wenigstens täglich seine 30 - 40 Minuten übt, zu bekommen. Für den ein oder anderen reicht hier sogar weniger, um sein Wohlbefinden zu steigern.

Ich entwickele für mich über die tollen Sachen wie mehr Entspannung und Gesundheit, die sich mit der Zeit eingestellt haben (fast keine Kopfschmerzen mehr, keine Verspannungsschmerzen mehr, wesentlich bessere Flexibilität in den Muskeln usw) spürbar eine innere Kraft, die sich mit der Zeit immer etwas mehr einstellt. ABER, und jetzt kommt der Haken, auch ich habe keine Zeit, täglich 4-5 Stunden zu üben. Aber es sind immerhin meist 1-2 Stunden. Selten mal nur ein knappes Stündchen.

Zwar bin ich nicht in der Lage, Gegner mit kaum einer Berührung regelmäßig und vor allem reproduzierbar über Meter durch die Luft zu schleudern. Allerdings stellen sich manchmal schon einige "Zufallstreffer" ein, wo man sich fragt, wieso jetzt der Partner plötzlich abgehoben hat, obwohl man eben gefühlt gar keine Muskelkraft angewandt hat. Und es kommt oft vor, dass man gefühlt einfach und völlig mühelos den anderen zu Fall bringt, so als ob das jetzt gar nichts wäre. Und oft spürt man trotz geschlossener Augen, wo die Kraft des Partners hingeht und man kann ihn wunderbar in die Leere leiten.
ABER all dies geschieht bei mir nicht auf dem Niveau eines der "Großen", von dem man ja immer wieder mal liest.

Und trotzdem entwickelt sich da in mir etwas, was ich vor einigen Jahren so noch nicht "drauf hatte".
Einhergehend fühle ich bei dem Üben im Körper Dinge, die ich früher nicht kannte. Ob das jetzt ein Gefühl von Wasser ist, was durch die Arme und Beine läuft oder das Gefühl wie heißes Feuer, das durch die Muskulatur schießt oder das Kribbeln, das sich vom Rücken kommend bis in die Arme ausbreitet. Klar, all diese Phänomene sind da. Nicht immer, aber regelmäßig. Kennen vermutlich fast alle, die hier unterwegs sind. Die einen mehr, die anderen vielleicht weniger...
Von dem, was man teils während der stillen Übungen erlebt, vor allem im Geist, möchte ich jetzt gar nicht erst schreiben. Das ist viel zu persönlich.

Für mich sind diese ganzen Dinge aber nicht Selbstzweck, sondern einfach ein Zeichen, dass ich mich weiter entwickele. Innen und außen.

Für mich ist Taijiquan, verbunden mit Daoyin und stillen Übungen also sehr wohl beides. Innere und äußere Arbeit. Auch wenn ich vielleicht nie auf das Level eines CXW oder XYZ oder wem auch immer komme, weil mir dafür einfach die Zeit fehlt.
Aber ich behaupte, dass sich bei jedem, der regelmäßig und korrekt übt, körperliche und auch geistige Phänomene einstellen, die er vorher so noch nicht kannte.

Von daher Carsten, denke ich, dass beides möglich ist. Und ich glaube, dass wenn man Menschen Übungen auf korrekte Weise zeigt und diese das dann regelmäßig Üben, sich automatisch auch "innere" Effekte einstellen.
Jeder hat es selbst in der Hand, das "Werkzeug" Taijiquan" oder "Qigong" auf seine eigene Weise zu nutzen.

Es lebe die Vielfalt :)

Viele Grüße
Pilger

carstenm
26-11-2013, 10:26
:)
Danke.

GilesTCC
26-11-2013, 11:19
Ich sage auch 'danke', Pilger. Schöner Beitrag, den ich in den meisten Punkten voll unterschreiben kann. :)

pilger
26-11-2013, 12:36
Und das Schöne ist, diese Erfahrungen gelten wohl wirklich stilübergreifend :)

Scheinbar wird bei den Erfahrungen, die wir alle für uns einzeln und in Partnerübungen zusammen machen, wieder das zusammengeführt, was oft zuvor in der Theorie auseinander diskutiert wurde...wie schön :)

Eistee
26-11-2013, 23:53
Zwar bin ich nicht in der Lage, Gegner mit kaum einer Berührung regelmäßig und vor allem reproduzierbar über Meter durch die Luft zu schleudern. Allerdings stellen sich manchmal schon einige "Zufallstreffer" ein, wo man sich fragt, wieso jetzt der Partner plötzlich abgehoben hat, obwohl man eben gefühlt gar keine Muskelkraft angewandt hat.
Oh ja, das habe ich auch schonmal erlebt! (Konkret war die Übung so, daß man in der Stehenden Säule, aber mit vor dem Brustkorb gekreuzten Armen, im Grunde also so (http://www.yangchengfu.org/pics/ycf_cross_hands.jpg), sehr entspannt und korrekt steht und ein Partner gegen die Mitte der Arme drückt: Wenn es klappt, kann der Gegner einen nicht (bzw. kaum) wegdrücken, sondern stößt sich eher selbst weg. Gleichzeitig spürt man, wie die Kraft die er aufwendet, irgendwie (keine Ahnung, wie) "durch einen durch" und "in den Boden" fließt. Man spürt also, daß die Fußsohlen stärker auf den Boden drücken, obwohl er ja horizontal oben gegen die Arme drückt, was recht weit von den Fußsohlen entfernt ist. *) Es war dann aber sehr frustrierend, daß es beim nächsten Mal dann wieder nicht geklappt hat. Man dachte, man hätte es, und dann war es wieder weg. Nur ein kurzer Zufallstreffer, nicht reproduzierbar. Ohne daß man erklären konnte, warum es bei dem einen Mal geklappt hat. Wahrscheinlich ist das ein ganz typisches Phänomen auf dem Weg.

Ich habe mich lediglich in dem Gedanken wiedergefunden, daß Übende für sich selber - aus welchen Gründen auch immer - nicht in einer Weise üben, die ihnen die inneren Aspekte aufschließt. Sondern mit dem äußeren Üben zufrieden sind. Ich selber unterrichte aus diesem Grund seit Längerem innere Aspekte nicht mehr.
Das ist natürlich schade, wenn Du innere Techniken unterrichten könntest, aber es nicht tust. Ich glaube wie gesagt, daß nicht jeder die Energie aufbringen kann, sie zu lernen. Aber der eine oder andere vielleicht dann doch. Ich würde mir in einer solchen Lage vielleicht einen Meisterschüler suchen, jemanden, der wirklich Talent dafür hat und auch dauerhaft dabeibleibt. Vielleicht gibt es ja doch so jemanden in den allgemeinen Übungsgruppen.
Soweit ich weiß, war es auch bei den Yangs so, daß die inneren Techniken nur an besonders ausgewählte Schüler weitergegeben wurden.
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* Eine Übung, die man dagegen relativ leicht machen kann, hatte ich noch entdeckt: Am Ende von jedem der drei Teile der Yang Chengfu-Form kommt ein Fauststoß, so (http://www.yangchengfu.org/pics/ycf_deflect_parry_punch.jpg). In der Form öffnet man aus dieser Position die Fausthand und bewegt die andere (= linke) Hand unter den rechten Arm. Dann zieht man den rechten Arm zurück, indem man das Gewicht auf den rechten Fuß zurückbewegt. Soweit die Form.
Wenn man jetzt noch einmal in die Position des Bildes (Fauststoß) zurückkehrt und dann aber mit der Fausthand etwas greift, etwa das Handgelenk, bzw. den Unterarm eines Partners, und dann wieder das Zurückziehen mit Hilfe des Gewichts genau wie oben beschrieben macht, wird man vielleicht überrascht sein, wie stark die Zugwirkung auf den Partner ist. Als ich das mal mit jemandem probiert hab', ist der förmlich nach vorne geflogen und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
Kann man ja mal (vorsichtig!) ausprobieren (wie gesagt wird der Partner dabei relativ kräftig am Arm gezogen, man will ihm den Arm ja nicht auskugeln, also Vorsicht).
Interessanterweise ist die Zugwirkung am stärksten, wenn man das Zurückziehen genau so entspannt macht wie in der Form. Wenn man sich sagt, "Da hängt jetzt ja einer mit seinem ganzen Gewicht dran, also muß ich stärker ziehen", verkrampft man, und es klappt nicht so gut.
Das scheint mir eine der Anwendungen zu sein. Ich wünschte, ich würde alle Anwendungen der Yang Chengfu-Form kennen und hätte Gelegenheit, sie auch mit Partner zu trainieren. Ist bei mir (in meiner Stadt) leider nicht der Fall.

rudongshe
27-11-2013, 06:56
Wahrscheinlich hab' ich mich bloß nicht deutlich genug ausgedrückt.

Ich meinte das so: Ein Lehrer, der das echte, innere Tai Chi samt vollen Kampfkunst-Möglichkeiten unterrichtet (so ein Lehrer ist schonmal relativ selten, höchstens hier im Forum anzutreffen ;) ), legt erstmal Wert auf die Korrektheit der Bewegungen, dann auf das Aufrechterhalten der Struktur, dann auf die Energiearbeit (so hab' ich das in dem Video "Das Taiji-Prinzip (http://www.youtube.com/watch?v=_AtppvGM4XM)" von Jan Silberstorff gesehen). Es wird also die Struktur in der Stehenden Säule herausgearbeitet, und dann versucht man zu erreichen, daß die Struktur auch in Bewegungen (Seidenübungen) und schließlich auch in der Form beibehalten werden kann. Wenn das gelingt, klappt auch das berühmte "Abprallen" von Gegnern. Es ist aber ein sehr weiter Weg dahin. Hinzu kommt Tuishou (Push-Hands, Partnerübung), außerdem dynamischere Formen (Pao Chui ("Kanonenfaust")) und Waffenformen. Und wie gesagt die Energiearbeit. Man beschreitet die "5 Level des Taijiquan (http://www.amazon.de/Die-Level-Taijiquan-Gro%C3%9Fmeister-Silberstorff-ebook/dp/B00FMJ8J02/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1385403943&sr=8-1)". Ein sehr weiter Weg. Wenn man dahin will, macht man das am besten, zumindest zeitweilig, in Vollzeit und traditionell natürlich unter der Aufsicht eines Meisters, der selbst die Kunst vollständig beherrscht und einen dauerhaft als Schüler angenommen hat.

Guckt man sich andererseits nur die Bewegungen der Form ab (die Yang Chengfu-Form ist wie gesagt leichter und für die allermeisten Leute geeignet), versucht zu verstehen, wie sie als KK-Bewegungen gemeint sind und macht dann nur einfach einmal täglich diese Form (netto ca. 40 Minuten, manchmal macht man aber auch langsamer, so daß es dann länger dauert), erreicht man wahrscheinlich nicht die höheren Level. Dennoch gibt es positive Wirkungen, so daß es besser ist, als gar nichts zu machen: Man schwitzt, hat sich also schon ein bißchen angestrengt. Die Beinmuskeln werden gekräftigt, insbesondere durch die (acht) Tritte (http://fc06.deviantart.net/fs70/f/2012/048/3/1/obama_kicks_door__fake__by_harrieradam123-d4q00js.gif). Der Gleichgewichtssinn wird verbessert, ebenso die Standfestigkeit (was vor allem von Senioren geschätzt wird, das Risiko von Stürzen im Alter ist sonst relativ groß). Die Atmung wird ruhiger und koordiniert sich mit der Zeit mit den Bewegungen. Die Nerven beruhigen sich ebenfalls. Wenn es gut läuft, fühlt man, daß Bewegungen und Atmung harmonisch sind, und dieses Gefühl von Harmonie breitet sich durch die Bewegung im Körper aus.
Es mag sein, daß man so nicht das Niveau erreicht, einen Angreifer in einem Kampf von sich abprallen zu lassen, aber es ist auch so für einen selbst eine tolle Sache.
Es hat also, auch wenn es nicht die reine Lehre ist, ein bißchen was gebracht.

Ich empfehle einfach mal ruhiges, experimentelles, geleitetes oder selbstreflexives Partnertraining an den Anfang zu stellen; OHNE Pushhand-Wettberwerb und Testosteron Ego.

Die Prinzipien lassen sich dann ganz einfach mit Beispiel und feedback erklären und nachvollziehen.

Sie werden simpel und logisch.

Und wenn Taichi Chuan eine KK ist, die sich an den "Gegner" anpasst, wie kann es dann immer DIE richtige Haltung geben, DEN richtigen Tonus?

(Reden wir wir überhaupt von Haltung, oder von Bewegungen?)

Dieses erweiterte Körpergefühl kann dann in die Trockenübungen einfließen, wenn keine Partner da sind.

Und von dort mag alles nach und nach nach Innen wandern und energetisch werden (ja, hab ich auch schon erlebt, sogar bei ner Bedrohungssituation, supi was?).

müden Gruß rudi

scarabe
27-11-2013, 13:45
nur mit ruhigem Partnertraining gehen aber keine Kanäle auf und de Wirkung auf den Körper ist gering. Auch die Scheitel-Verbindung nach oben bei gleichzeitigem Erhalt der Wurzel, durch die sich die Spirakraft "zuschalten" lässt, lässt sich nur schwer entwickeln, wenn der relative Anfänger auch noch auf den Partner achten muss und darauf, weich und locker zu bleiben, die Gelenke geöffnet zu lassen etc. Zu viel Multitasking auf einmal.
Die typische Taiji- (Tiefen-)Muskulatur wird dabei dann nur teilweise gestärkt und wichtige Feinheiten in der Basis nicht achtsam genug gelernt, die somit auch nur schwer in die Partnerarbeit übertragbar sind.
Man sieht ja sehr oft beim pushen Leute, die vorgeneigt mit angespannten oder hochgezogenen Schultern oder zu hohem Schwerpunkt unterwegs sind, Kopf geneigt, Scheitel nicht verbunden (auf die Verwurzelung wird geachtet, auf die gleichzeitige Aufrichtung meist nicht) die Hüfte zu weit eindrehen und somit immer wieder schliessen uva..... all das kann man durch gründliches Grundlagen- und Formentraining verhindern.
Es hat schon seinen Grund, warum die ganzen erfahrenen Meister so auf dem Formentraining herumreiten.

Generell erinnert mich einiges an der erwähnten Motivation in diesem thread an zwei Gegensätze:
GM Chen Zhenglei, der wie ein Michaelangelo große Kunst verbreiten will und gerne wenigstens den ein- oder anderen talentierten und wirklich angehenden Adepten sehen würde (neben dem finanziellen Aspekt, ohne den er sich sicher nicht unseren westlichen "Zumutungen" wie anderer Mentalität, merkwürdigem Essen, Jetlags etc aussetzen würde)-
und die Gruppe mit "Malen nach Zahlen", die darauf verweist, daß das auch so gesund ist und Spaß macht und viele bunte Farben gibts da schliesslich auch.... Späßle....

rudongshe
27-11-2013, 14:25
wenn der relative Anfänger auch noch auf den Partner achten muss

Ich rede vom kompletten Anfänger ...
Ich gebe zu meine Sicht ist eine sehr einfache ...

Günther
01-12-2013, 08:28
Wahre Kampfkunst bedarf jahrelanges regelmäßiges und intensives Training - ständige Arbeit mit & an sich selbst.
Dann ist es möglich Effekte zulassen zu können, von denen man vorher nicht geglaubt hätte, dass es sie gibt.
Niemand muss diesen Weg gehen - auch ein "hobbymäßiges" trainieren ab und zu ist besser als gar nichts - nur sollte man dann eben auch seine "Erwartungen" herunterschrauben.
Genau da liegt glaub ich einer der Knackpunkte - je weniger man trainiert, desto wichtiger ist einem "was dabei rauskommt" - je länger man es macht, desto mehr freut man sich einfach wenn mal was "passiert".
Eine Weglehre (wie sie ja auch - zumindest nach meinem Verständnis - Taijijuan sein kann (nicht muss) - bringt einen dazu "bescheiden" zu werden und in sich zu ruhen).
Ich kann heute nach fast 20 Jahren (recht intensiv) Kampfkunst vieles, was ich nach 10 Jahren noch nicht konnte - in 10 Jahren wird es nochmal anders sein. Aber darum geht es nicht - es ist einfach ein faszinierender Weg, den es zu beschreiten lohnt - in der einen, oder in der anderen Richtung. Beides hat seine Vor- und Nachteile.

Und zum Thema "so lange trainieren und plötzlich klappt etwas" - genau so ist es: es bedarf tausendfache Wiederholungen einer Bewegung, bis sie Teil von einem wird;
Bist du nun (natürlich plakativ gesprochen) 1 Wiederholungszahl drüber funktionierts, 1 drunter eben noch noch nicht (automatisch)

Kung Fu heißt nicht umsonst harte Arbeit ;-)

rudongshe
04-12-2013, 06:36
Das Trainingsdauer entscheidend ist, ist wohl keine Frage.
Mir ging es nur um den Verstehensweg der Grundlagen, dass ich durch angeleitetes Partnertraining mehr Informationen vermitteln konnte als durch pures stehen und Formlaufen.

(Ich rede nicht von den körperlichen EFFEKTEN sondern vom VERSTÄNDNIS).

Die Prinzipien werden gefühlt, angewandt kennengelernt, als relevant für das eigene Handeln und dazu meist mit positivem "AHA!" abgespeichert.

Diese Erinnerung fließt dann in die Trockenübungen ein und kann helfen, sich besser selber zu korrigieren.
Und von dort sickert das das Äußere langsam ins Innere.


Ich fand nur den "Qilängenvergleich" hier ... naja.
Ich wurde angegriffen und aus meinem Dantian schoss eine Energiewelle samt Absicht in die Hände.

Erhebt mich das jetzt über andere?
Nein.

va+an
04-12-2013, 10:03
@scarabe
Nur Solo Training verhindert die Kampfkunst. Es bleibt Bewegungskunst. Meinst du etwa, dass bei anderen kk, wo viel Partner Training stattfindet, fließt nix??

Cxw soll gesagt haben, um mal bei chen zu bleiben, "Meridiane öffnen? Denk nicht drüber nach, wenn es passiert, passiert es. Macht aber die Kampfkunst nicht besser"

Tägliches üben schleift das Körpergedächtnis ein. Daher trainieren die Chinesen ihre Sachen auch immer mit dem Grundsatz 100 Tage üben. Es soll sich iwann mal wuwei einstellen, damit man vom machen und tun weg kommt. 1x / woche Training ist wie 100km wandern, für die man 50jahre benötigt und nicht 10 Tage.

Wie zz es aber meint kann weiter spekuliert werden, es sei denn er wird mal gefragt.

scarabe
08-01-2014, 19:12
Das ist natürlich schade, wenn Du innere Techniken unterrichten könntest, aber es nicht tust. Ich glaube wie gesagt, daß nicht jeder die Energie aufbringen kann, sie zu lernen. Aber der eine oder andere vielleicht dann doch. Ich würde mir in einer solchen Lage vielleicht einen Meisterschüler suchen, jemanden, der wirklich Talent dafür hat und auch dauerhaft dabeibleibt. Vielleicht gibt es ja doch so jemanden in den allgemeinen Übungsgruppen.
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Was das Energie aufbringen betrifft: Das lässt sich durch die inneren Übungen trainieren. Die fangen mit Struktur und Gelöstheit an, Verwurzelung und- meist vernachlässigt- Anbindung durch den Scheitel nach oben (darum nicht dauernd nach unten gucken, sondern Kinn horizontal und Nacken öffnen); wenn die Gelenke geöffnet sind, gehts an die Kanäle, dann wird gelernt, Energie ins Dantian zu holen, zu speichern, auszusenden, dadurch werden die Kanäle stärker, mit der Zeit kann dann so mehr Energie ins Dantian gesogen und komprimiert werden, die dann entsprechend heftig auch wieder zielgerichtet ausgesendet werden kann. Irgendwann auf dem Weg wird u.a. die "Kundalini" (ich benutze bewusst diesen bekannten Ausdruck aus der indischen Tradition) geweckt, bzw. der Meister hilft ggf. nach, indem er dem Schüler hilft, den Körper oben und unten zu öffnen. Dasselbe gilt für das Stirnzentrum.
(Wer z.B. die tiefen kristallinen Lösungsprozesse im Körper und deren mögliche "Erstverschlimmerungen" schon mal kennengelernt hat, weiss, was dieser Weg bedeutet und wie anstrengend es sein kann.)

Dieser umfassende innere Aspekt ist etwas, was die meisten Chinesen als Perle ihrer Kampfkunst nur ungern an Fremde weitergeben, denn dadurch wird die Kampfkunst erst effektiv, gehaltvoll. So bekommt der Ausdruck "eine leere Bewegung" (= ohne inneres Gehalt, nicht zu verwechseln mit Leere= Blockadenfreiheit im Körper!) erst richtig ihre Bedeutung!
Lieber hält man die Ausbildung Fremder seicht und an der Oberfläche und verdient viel Geld mit Mainstream und diversen Ablenkungen im Gesundheitstaiji- was den meisten Übenden sowieso viel angenehmer ist.
Zumal man den Schülern (abgesehen von der ohnehin nötigen Zeit für Entwicklung und Wachstum) sowieso nicht zu schnell zu viel beibringen möchte, denn je länger man den Schüler an sich binden kann, desto besser verdient man an ihm!

Das Ganze geht Hand in Hand mit der Entwicklung von Körper und korrekter äusserer Bewegung, denn das eine ohne das andere wäre unvollständig und würde nicht zum gewünschten Ergebnis führen.
Und- unbequem in heutiger Zeit: Es dauert ziemlich lange und erfordert langes, geduldiges Training und u.a. das Überwinden der Grenze, in Meditation zu gehen und sich den "inneren Gespenstern" zu stellen....

Leider gibt es inzwischen viele Meister, die vor allem in den Westen kommen, um Geld zu verdienen und kein Interesse haben, ihre Schüler wirklich gut werden zu lassen und sie auch in die wirklichen Tiefen der jeweiligen Kampfkunst einzulassen.
(damit meine ich jetzt nicht CXW, denn er differenziert durchaus, wen er vor sich hat und freut sich über die wenigen, die mit Fleiss und Talent genug Zeit und Hartnäckigkeit gesegnet sind- aber es gibt genug andere, für die wir einfach nur Langnasen und Menschen "zweiter Klasse" sind)
Die Kriterien, wonach enge Schüler ausgewählt werden, sind oft nicht mehr die Klassischen (10 Jahre kennenlernen, den Schüler auf Ernsthaftigkeit, Fähigkeit in der Kampfkunst und Charakter prüfen etc), sondern orientieren sich eher an der Möglichkeit, welche geschäftlichen Erfolge mit welchem (möglichst ergebenem/bequemen) Schüler zu erzielen sind u.a......

(Der neueste Trend ist, die eigenen chinesischen (jungen) Schüler in den Westen zu schicken, die dann im Westen für ihren Meister Schulen aufbauen und für gutbesuchte Seminare sorgen sollen. Oftmals sind diese jungen, gut zu führenden Leute Studenten, noch relativ unerfahren im Taiji und wurden schon nach kurzer Kennenlernzeit zum Tudi gemacht. :-/ )

Ein ernsthaft interessierter Schüler, der die ernsthafte Ausübung der Kampfkunst vor den Kommerz stellt und diesen hinterfragt, ist für einige Meister nach wie vor ein Glücksfall, für viele Meister aber auch eher unbequem und hinderlich- je nachdem, welche Ziele der Meister verfolgt, bzw. in welcher prozentualer Gewichtung sich Gewinnorientierung und Achtung der Kampfkunst gegenüberstehen.
Auch ich habe einige Jahre gebraucht, diese feinen Unterschiede zu erkennen und hinter die schönen Worte und großzügig verteilten angenehmen Energien zu blicken (die einen in Wohlgefühl hüllen und glauben lassen, alles wäre gut/ bzw. die auch als Gegenteil zur Erziehung/Bestrafung eingesetzt werden können) aber mit der Zeit bemerkt man eben auch diesen Aspekt.

Und es wird nicht leichter, eine Kampfkunst wirklich bis in gewisse Tiefen zu erfahren und zu lernen, aber zum Glück ist es- zugegeben auf recht mühsame Weise und nur mit entsprechender Hartnäckigkeit- noch immer möglich. Auch für Nicht-Verwandte, auch für Langnasen und manchmal sogar für Frauen ;)

Yangshuo
09-01-2014, 11:56
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scarabe
21-02-2014, 13:17
mhh, drücken wirs einfacher aus-
ohne inneres Gehalt reduzieren wir einfach auf irgendeine sinnentleerte Bewegung, weil diese nicht verstanden wird oder weil fehlende Körperstruktur jegliche Effektivität im Falle einer Anwendung verhindern würde.

Blockadenfreiheit kannst Du vergleichen mit einer freien Benzinleitung- je gelöster und unverkrampfter der Körper ist- sowohl muskulär, als auch in Bezug auf Kanäle etc, desto geschmeidiger und effektiver kann sich der Kampfkünstler bewegen und im Kampf durchsetzen. Und desto besser wird diese Muskelkraft eben auch durch innere Kraft- hier würde ich es eher als Energie(fluss) bezeichnen- untertützt werden, was die Effektivität erhöht.
Egal, ob in "Trockenübungen" wie ZZ dadurch die Arme anstrengungslos längere Zeit oben bleiben oder ob die Brücke/der Bogen durch die Beine tiefe Stelungen unterstützt.
Das kann als zusätzliche Kraft- kann man sie erst gezielt einschalten- im Kampf sehr nützlich sein. Vgl. beim Auto das Zuschalten des "Tubo". (aja passt nur z.T.).

Diese Phänomene sind faszinierend und abgesehen davon, daß sie sich gut anfühlen und auch positiv auf die Vitalität auswirken, sind sie im Kampf auch sehr nützlich. Das Problem ist nur, wie schon angesprochen:
Es kostet enorm viel Zeit und Übung- und vom ersten Auftreten bis zur sicheren, jederzeit abrufbaren Anwendbarkeit dauert es recht lange. Auch bei mir klappts erst manchmal, an anderen Tagen wieder weniger gut. Immerhin, es entwickelt sich.

Bei den meisten Leuten wird es mangels Trainingsintensität (und entsprechender Anleitung, denn gewisse Übungen und Eingriffe der Meister können diese Entwicklung fördern) aber kaum dazu kommen-
dennoch ist es allemal gesünder, ein bisschen Taiji zu machen, als am Schreibtisch oder auf dem Sofa zu verkümmern.

Als Lehrer freut man sich natürlich über die ernsthaften Schüler, die mit Fleiss und Talent Fortschritte zeigen. Für die arbeite ich auch gerne mal umsonst oder verbilligt, denn das macht einfach Spaß.
Bei den anderen ist es eher eine Mischung aus existenzieller Notwendigkeit und "Karmaarbeit": Man möchte sich zwar manchmal die Haare raufen, andererseits sieht man aber auch, wie gut es ihnen tut, wenn sie plötzlich doch beweglicher werden, weniger Schmerzen haben oder nicht mehr so leicht stürzen, weil die Balance und Erdung besser wurde.
So gesehen tut man durchaus auch diesen Leuten etwas Gutes-
auch wenn das mit solider Kampfkunst oft recht wenig zu tun hat.

Was solls, auch ein Taiji-Lehrer bekommt im Supermarkt sein Essen nicht umsonst.... und die Zeit, die man für andere aufwendet, darf man sich ruhig auch bezahlen lassen, wie jeder Dienstleister.