Entstehung der Daito Ryu [OT aus Takeda Ryu] [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Vollständige Version anzeigen : Entstehung der Daito Ryu [OT aus Takeda Ryu]



Nick_Nick
14-04-2014, 14:45
Daitô ryû, also das was, Takeda Sokaku geschaffen hat und von ihm dann Ueshiba Morihei gelernt hat, und woraus sich auch alle anderen Schulen herleiten, die üblicherweise unter dem Begriff aiki jutsu zusammengefaßt werden, geht zurück auf Takeda Kunitsugu, Sohn von Takeda Shingen. Diese shuryû, also Nebenlinie, läßt sich relativ gut durch die Geschichte verfolgen. Und zwar nicht in Form einer Linie von Erben der Schule, sondern aufgrund der Aufzeichnungen der Schulen der Provinz Aizu, wo dieses budô offiziell unterrichtet wurde.


Was heißt denn das, dass in Form von Aufzeichnungen sich das Ganze nachvollziehen lässt? Was wurde denn aufgezeichnet? Und welche Relevanz hat es, wenn es keine Übertragungslinie gibt?

Grüße

carstenm
14-04-2014, 16:39
Was wurde denn aufgezeichnet?Wenn ich es richtig weiß, wurde verzeichnet, welche ryû in bestimmten Schulen in Aizu offiziell unterrichtet wurden. Nicht aber, was in diesen ryû inhaltlich konkret gelehrt wurde.
Zudem weiß man, daß das sog. goten jutsu und das sog. oshiki uchi integriert wurden. Aber auch da ist nicht wirklich klar, was das inhaltlich konkret bedeutet.


Und welche Relevanz hat es, wenn es keine Übertragungslinie gibt?Was meinst du damit?

Nick_Nick
14-04-2014, 17:35
Wenn ich es richtig weiß, wurde verzeichnet, welche ryû in bestimmten Schulen in Aizu offiziell unterrichtet wurden. Nicht aber, was in diesen ryû inhaltlich konkret gelehrt wurde.
Zudem weiß man, daß das sog. goten jutsu und das sog. oshiki uchi integriert wurden. Aber auch da ist nicht wirklich klar, was das inhaltlich konkret bedeutet.

Was meinst du damit?

Erstmal danke.

Ich meinte, dass es - übertrieben gesagt - klingt, als gab es lediglich historisches Wissen, aber keiner hat´s ausgeübt.

Also als hätte Takeda die Daito Ryu bzw. deren Inhalte Ende des 19. Jh. auch "nur" wiederbelebt.

Grüße

Gast
14-04-2014, 21:07
Wenn ich es richtig weiß, wurde verzeichnet, welche ryû in bestimmten Schulen in Aizu offiziell unterrichtet wurden. Nicht aber, was in diesen ryû inhaltlich konkret gelehrt wurde.
Zudem weiß man, daß das sog. goten jutsu und das sog. oshiki uchi integriert wurden.
Aber auch da ist nicht wirklich klar, was das inhaltlich konkret bedeutet.
... und eben deshalb sollte man da sehr vorsichtig sein.

Zum "oshiki uchi" kann ich eventuell ein wenig Licht ins Dunkel bringen, da das putzigerweise eine "Querverbindung" zum Judo darstellt.
;)
Und zwar deshalb, weil bspw. Stevens in seinem Buch ("Kampfkunstmeister") behauptet hatte, Shiro Saigo sei in jener geheimnisvollen KK ausgebildet worden.
Steht so auch in Linds "Lexikon der KK".
:D

Scheint aber Bullshit zu sein ...
Ich zitiere dazu mal mich selbst und einige meiner Schüler aus Forenbeiträgen, die nun auch schon 6-8 Jahre alt sind:

Stevens Beschreibungen zu Kanos Leben sind bunt, lebendig, voll von berühmten Anekdoten und völlig unkritisch in Bezug auf alles, was Dinge betrifft die in der Kampfkunstgemeinde allgemein bekannt und trotzdem völliger Blödsinn sind. Als Beispiele hierfür seien hier Stevens Verweis auf das "oshiki-uchi" genannt, jene bis an die Grenze der Nichtexistenz (und darüber hinaus) geheime Kampfkunst, die Shiro Saigo angeblich bei seinem Eintritt in den Kodokan beherrschte oder aber den angeblich irrsinnig geheimen "yama arashi" Wurf Saigos, der so geheim war, dass er sich bereits in der ersten Gokyo von 1895 als Grundtechnik wiederfindet.


Zu dieser angeblichen japanischen Kampfkunst lesen wir bei Werner Lind erstaunt folgende Zeilen : „Oshikiuchi Ryu (jap.), japanisches Kampfsystem mit und ohne Waffen, basierend auf den Prinzipien des Aiki (siehe Aikijutsu).“
Tja, hier ist Werner Lind das Kunststück gelungen, eine Kampfkunst zu definieren, die niemals existiert hat. Es stellt sich die Frage, aus welchen Quellen er sein Wissen schöpft ...
Ich möchte nochmal darauf verweisen, daß weder Lind noch Stevens irgendwelche Quellen für "oshiki uchi" angeben ...


Diese (angeblich geheime) Kampfkunst, in der auch Shiro Saigo ausgebildet worden sein soll, ist laut Lind der eigentliche „Kern“ des Daito-Ryu-Aikijujutsu.

Mir schrieb dazu vor einigen Jahren jemand, dessen Wissen ich sehr schätze:

Was aber ist denn nun dieses „Oshiki Uchi“ ? Zunächst werden all jene, die der japanischen Sprache mächtig sind, zugeben müssen, daß es diesen Begriff im Japanischen gar nicht gibt. Er läßt sich nicht sinnvoll in Schriftzeichen fassen. Wenn man nämlich diesen Begriff aufschlüsselt, so erhält man die folgende kuriose Kombination : O (respektvolles Verhalten), Shiki (Zeremonie), Uchi (innen). Das aber ergibt keinen Sinn im Japanischen. Es ist, um es noch einmal ganz deutlich zu sagen, eine sinnlose Aneinanderreihung von Schriftzeichen. Als Name für eine Kampfkunst ist es zudem völlig abwegig.

Das kann man auch nicht einfach wegdiskutieren, indem man behauptet, dieses ominöse „Oshiki Uchi“ sei ein ganz besonders geheimer Kampfstil gewesen, der sozusagen einen „Decknamen“ bekam, um alle Welt irrezuführen. Genauso unsinnig ist es, den Begriff anders aufschlüsseln zu wollen. Man erhielte dann Oshi (Essenz), Ki (Geist), und Uchi (innen). Das könnte beinahe einen sinnvollen Begriff ergeben, doch leider ... die Betonung und die Aussprache stimmen nicht, und die allgemein für jenes ominöse „Oshiki Uchi“ verwendeten Schriftzeichen sind in ihrer überlieferten Form stets mit O (respektvolles Verhalten), Shiki (Zeremonie) und Uchi (innen) zu übersetzen. Um es zu wiederholen – dies ergibt keinerlei Sinn.

Es ist auch Unsinn, zu behaupten, diese Schriftzeichen würden eine besonders geheime Kampfkunst bezeichnen, deren eigentlicher Name Go Ten Jutsu / Goten Jutsu sei.
Dieses Go Ten Jutsu sei die „Selbstverteidigung innerhalb der Palastmauern“.
Das aber ist eine Legende, die sich durch nichts belegen läßt.

Es bleibt dabei, die verwendeten Schriftzeichen für „Oshiki Uchi“ haben keine sinnvolle Bedeutung im Japanischen.
Anders sieht es allerdings aus, wenn man einen Übersetzungsfehler zugesteht.
Statt „Oshiki Uchi“ müßte es dann „Oshikii Uchi“ heißen.
Wenn man dies aufschlüsselt, so ergibt sich nunmehr folgende Bedeutung : O (respektvolles Verhalten), Shikii (Schwelle), Uchi (innen).
Von dieser Übersetzung ausgehend erhält man den Begriff „Respektvolles Verhalten hinter der Schwelle“. Das wäre wohl in der Tat ein etwas seltsamer Name für eine Kampfkunst.

Doch diesen Begriff gibt es tatsächlich. Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um eine Kampfkunst, wie viele gern glauben möchten. Vielmehr ist dieses „Oshikii Uchi“ eine Anleitung zum richtigen, zeremoniellen Verhalten bei Hofe, in Gegenwart des Shogun oder des Tenno.
Es darf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß Chikanori Hoshina den jungen, aufstrebenden Sokaku Takeda in den höfischen Etiketten unterwies, die einem Samurai angemessen waren, wenn er sich bei Hofe bewegte. Um es einmal ganz schlicht auszudrücken – bei dem, was mit dem Begriff „Oshikii Uchi“ bezeichnet wird, handelte es sich um „Benimm-Regeln“, nichts anderes!

Mit irgendeiner Form von Kampfkunst hatte das nicht das Geringste zu tun.
Es ist kein einziger Meister dieser angeblichen Kampfkunst bekannt, es existieren keine Schriftrollen (Densho) über dieses angebliche Kampfsystem, und es ist nicht möglich, dieses angebliche Kampfsystem von älteren traditionellen Schulen der Koryu herzuleiten. Keine Meister, deren Namen überliefert wären, keine Schriftrollen, keine Aufzeichnungen über die Techniken und Traditionen dieses angeblichen Kampfstiles ...
Tut mir leid, wenn ich da so dazwischengehauen habe, aber ich dachte, das könnte vielleicht den einen oder andere interessieren ...
:)

Bubatz
14-04-2014, 21:33
Na ja, warum nicht erstmal den Eintrag "oshikiuchi" in Hall 2012 heranziehen. Der ist immerhin eine ganze Spalte (halbe Seite) lang. Demnach ging oshikiiuchi im Daito Ryu auf und die Techniken lassen sich dort im curriculum wiederfinden (a.a.O., 379):

"In reviewing the Daito Ryu curriculum as it exists today, it appears that the fifty-three techniques of Takeda's Aiki no jutsu were probably derived from oshikiuchi, while the thirty-six techniques of the Hiden ogu mokuroku are a synthesis of Takeda-clan jujutsu and oshikiuchi."

FireFlea
14-04-2014, 21:53
Na ja, warum nicht erstmal den Eintrag "oshikiuchi" in Hall 2012 heranziehen.

Der als Quelle auf Draeger und Pranin verweist - nur der besseren Einordnung halber. Da auch Kondo den Begriff verwendet, gehe ich davon aus, dass oshikiuchi existiert hat - zu der Saigo Verbindung kann ich nichts sagen.

“Interview with Katsuyuki Kondo (1),” by Stanley Pranin (http://blog.aikidojournal.com/2011/11/20/interview-with-katsuyuki-kondo-1-by-stanley-pranin/)


Would you describe Daito-ryu aikijujutsu?

It would be difficult to explain its entire history, so I will just summarize. About eight hundred years ago there was a man named Shinra Saburo Yoshimitsu, who resided in a mansion known as “Daito.” He is considered to be the founder of Daito-ryu. His art was then transmitted through the Minamoto family line and then to their descendants, the Takeda family in Kai [present-day Yamanashi Prefecture]. After that it was handed down through the Takeda family as a gotenjutsu [martial art for use inside the palace]. In addition to this line, during the reign of the fourth Tokugawa Shogun, Ietsuna [1641-1680; shogun 1651-1680], Masayuki Hoshina of the Aizu clan, the fourth son of Hidetada, entered Edo castle as an instructor to the shogunal family and completed development of an art that came to be known as oshikiuchi. The Daito-ryu of the Takeda family and the oshikiuchi of Lord Masayuki Hoshina were transmitted separately. Then, in the Meiji period, Sokaku Takeda Sensei perfected Daito-ryu by combining the school of the Takeda family with the tradition of the Aizu clan. Thus, Sokaku Takeda Sensei is the father of modern Daito-ryu and should not be omitted from the history of the art.

Gast
14-04-2014, 22:34
Zitat von Bubatz Beitrag anzeigen
Na ja, warum nicht erstmal den Eintrag "oshikiuchi" in Hall 2012 heranziehen.

Der als Quelle auf Draeger und Pranin verweist - nur der besseren Einordnung halber. Da auch Kondo den Begriff verwendet, gehe ich davon aus, dass oshikiuchi existiert hat - zu der Saigo Verbindung kann ich nichts sagen
Moment bitte ...
Hall verweist auf Draeger und Pranin.
Und die verweisen auf ...?
Auf gar nichts, denn soweit ich erkennen kann, geben sie keine zitierfähigen Quellen an.


Und Katsuyuki Kondo erzählt eine folkloristisch angehauchte Geschichte, die - wieder soweit ich das erkennen kann - auch bloß nicht mit Quellen belegt werden kann:

After that it was handed down through the Takeda family as a gotenjutsu [martial art for use inside the palace].
Quelle?
Namen von Lehrern dieser "martial art for use inside the place" ...?
Lehrlinien?
Densho?

Oder war das alles so ultrageheim, daß keiner etwas davon wußte?
Falls ja - wieso wußte Kondo davon?
Ich meine, es muß doch verifizierbare Quellen geben, wenn diese angebliche Kampfkunst existiert haben soll.
Gibt es aber keine Quellen außer phantasievollen Erzählungen ...

Zur Frage der Schreibweise dieses ominösen "oshiki uchi" hab ich ja obenstehend schon jemanden zitiert, der das Ganze schlüssig dargelegt hat.
Und so lange ich keine Kampf-Techniken sehe, die nachweisbar aus dieser "oshiki uchi" stammen ...

;)

Gast
14-04-2014, 22:47
Hmmm ... irgendwie überzeugt mich das nicht:

About eight hundred years ago there was a man named Shinra Saburo Yoshimitsu, who resided in a mansion known as “Daito.”
He is considered to be the founder of Daito-ryu.

His art was then transmitted through the Minamoto family line and then to their descendants, the Takeda family in Kai [present-day Yamanashi Prefecture].

After that it was handed down through the Takeda family as a gotenjutsu [martial art for use inside the palace].

In addition to this line, during the reign of the fourth Tokugawa Shogun, Ietsuna [1641-1680; shogun 1651-1680], Masayuki Hoshina of the Aizu clan, the fourth son of Hidetada, entered Edo castle as an instructor to the shogunal family and completed development of an art that came to be known as oshikiuchi.

The Daito-ryu of the Takeda family and the oshikiuchi of Lord Masayuki Hoshina were transmitted separately.
Die ersten beiden Sätze sind Vermutungen.
Und im dritten Satz wird dann eine Gewißheit konstruiert: "His art was then transmitted ..."
Für den von mir hervorgehobenen vierten Satz hätte ich gern eine Quellenangabe.
Ebenso für den (wieder hervorgehobenen) fünften Satz.
"... an art that came to be known as oshiki uchi."

Aber das ist doch gerade die Crux - diese KK war je gerade eben NICHT "bekannt"! Denn wäre sie es gewesen, dann gäbe es Densho, und wir wüßten sicher auch die Namen von Lehrern dieser KK.
Und hätten wenigstens einen groben und vor allem verifizierten Überblick über das technische Curriculum.
Gibt es all das?
Wenn ja - wo?

Und woher stammen die Erkenntisse, die Kondo im sechsten Satz verkündet?
Sorry, wenn ich frage, aber schon Ben Holmes und andere Kapazitäten haben vergeblich nach Beweisen für die Existenz einer KK namens "oshiki uchi" gesucht.
(Die noch dazu identisch gewesen sein soll mit dem ebenso geheimnisvollen "Go Ten Jutsu").

Ich sehe nach wie vor keine Belege für die Existenz einer solchen KK.
Und ich frage mich, was das eigentlich gewesen sein soll: "Kampfkunst für den Gebrauch innerhalb des Palastes" ...
Kommt da wieder der übliche Schmus, daß ja im Palast (in welchem?) "keine Waffen getragen werden durften" ...?

:D

Ich will hier niemanden anpinkeln, aber ich denke, man sollte schon kritisch an dieses "oshiki uchi" herangehen.
Bisher hat NIEMAND dessen Existenz als KK nachweisen können - das jedenfalls ist mein Kenntnisstand.

Sollte jemand eine zitierfähige Quelle zu einer Koryu namens "oshiki uchi" haben, wäre ich für einen entsprechenden Hinweis dankbar.
Und nein - Lind ist KEINE zitierfähige Quelle.
:D

Teashi
14-04-2014, 22:52
Hmmm ... irgendwie überzeugt mich das nicht:

Die ersten beiden Sätze sind Vermutungen.
Und im dritten Satz wird dann eine Gewißheit konstruiert: "His art was then transmitted ..."
Für den von mir hervorgehobenen vierten Satz hätte ich gern eine Quellenangabe.
Ebenso für den (wieder hervorgehobenen) fünften Satz.
"... an art that came to be known as oshiki uchi."

Aber das ist doch gerade die Crux - diese KK war je gerade eben NICHT "bekannt"! Denn wäre sie es gewesen, dann gäbe es Densho, und wir wüßten sicher auch die Namen von Lehrern dieser KK.
Und hätten wenigstens einen groben und vor allem verifizierten Überblick über das technische Curriculum.
Gibt es all das?
Wenn ja - wo?

Und woher stammen die Erkenntisse, die Kondo im sechsten Satz verkündet?
Sorry, wenn ich frage, aber schon Ben Holmes und andere Kapazitäten haben vergeblich nach Beweisen für die Existenz einer KK namens "oshiki uchi" gesucht.
(Die noch dazu identisch gewesen sein soll mit dem ebenso geheimnisvollen "Go Ten Jutsu").

Ich sehe nach wie vor keine Belege für die Existenz einer solchen KK.
Und ich frage mich, was das eigentlich gewesen sein soll: "Kampfkunst für den Gebrauch innerhalb des Palastes" ...
Kommt da wieder der übliche Schmus, daß ja im Palast (in welchem?) "keine Waffen getragen werden durften" ...?

:D

Ich will hier niemanden anpinkeln, aber ich denke, man sollte schon kritisch an dieses "oshiki uchi" herangehen.
Bisher hat NIEMAND dessen Existenz als KK nachweisen können - das jedenfalls ist mein Kenntnisstand.

Sollte jemand eine zitierfähige Quelle zu einer Koryu namens "oshiki uchi" haben, wäre ich für einen entsprechenden Hinweis dankbar.
Und nein - Lind ist KEINE zitierfähige Quelle.
:D
Oshiki Uchi geht auf Indra zurück. Willst du das etwa auch anzweifeln?

Gast
14-04-2014, 22:54
Na ja, warum nicht erstmal den Eintrag "oshikiuchi" in Hall 2012 heranziehen. Der ist immerhin eine ganze Spalte (halbe Seite) lang. Demnach ging oshikiiuchi im Daito Ryu auf und die Techniken lassen sich dort im curriculum wiederfinden (a.a.O., 379):

"In reviewing the Daito Ryu curriculum as it exists today, it appears that the fifty-three techniques of Takeda's Aiki no jutsu were probably derived from oshikiuchi, while the thirty-six techniques of the Hiden ogu mokuroku are a synthesis of Takeda-clan jujutsu and oshikiuchi."
Das steht da so, ja.
Und womit belegt Hall das?

Ich lese da "... it appears that ...", und das wird gewöhnlich übersetzt mit: "anscheinend".
Pardon, aber das ist eine Vermutung, eine Spekulation, mehr nicht.

Ich lese da "... were probably derived from oshikiuchi ...", und das übersetzt man doch wohl mit: "... wurden wahrscheinlich vom oshikiuchi abgeleitet ..."
Pardon, aber das ist schon wieder eine Spekulation. Mehr nicht.

Letzteres ist besonders pikant, finde ich.
Denn Hall sagt ja damit explizit, daß es gar keine originalen Techniken des ominösen "oshiki uchi" sind, sondern ... Dinge, die wahrscheinlich (heißt: keiner weiß es!) aus diesem oshiki uchi "abgeleitet" wurden.
Das ist eine Nebelkerze, mit Verlaub!

Hall schreibt weiter:
" ...while the thirty-six techniques of the Hiden ogu mokuroku are a synthesis of Takeda-clan jujutsu and oshikiuchi."

Und genau DAFÜR hätte ich dann doch gern eine Quelle.
Womit belegt Hall das?
So wie ich das sehe, belegt er es gar nicht, sondern behauptet es nur.
Wenn da eine Synthese aus Takeda Jujutsu und "oshiki uchi" postuliert wird, dann müßte derjenige, der das behauptet, das auch belegen können. Dazu müßte er wissen, wie Takeda Jujutsu ausgesehen hat (was ich shcon für fragwürdig halte) UND er müßte vor allem wissen, wie die Techniken des "oshiki uchi" ausgesehen haben (was ich für ausgeschlossen halte). UND derjenige müßte dann darlegen können, was er unter einer Synthese beider Konzepte / Techniken versteht, woran man diese erkennt ... kurz: er müßte seine Behauptung nachvollziehbar belegen können.
Davon sehe ich aber nichts ...

Leider scheidet Hall damit als Quelle aus.

Ich sehe es auch nicht als Beweis an, wenn nun jemand kommt und sich darauf beruft, daß diese 36 Techniken, die Hall da erwähnt, aus dem "oshiki uchi" stammen würden ...
Genau dafür, das sei wiederholt, hätte ich gern einen hieb- und stichfesten Beleg.
Am besten eine unzweifelhaft echte Densho jener "oshiki uchi" ...

Seht mal, wenn jemand behauptet, daß Tomoe-Nage eine Wurftechnik ist, die aus der Tenshin Shinyo Ryu stammt und von dort durch Kano ins Judo übernommen wurde ... dann geht man hin und schaut nach, ob es eine Tenshin Shinyo Ryu gegeben hat.
Kann man im Bugei Ryuha Daijiten nachschauen (lassen).
Siehe da - jawohl, es gab eine Koryu dieses Namens (gibt es übrigens immer noch).
Nun kann man versuchen rauszubekommen, ob die den Tomoe-Nage im Curriculum hatten.
Schaut man mal bei Diane und Meik Skoss rein: siehe da, Tomoe-Nage war tatsächlich Bestandteil des Curriculums der Tenshin Shinyo Ryu.
Hat Kano diese Ryu studiert?
Hat er.
Nachweisbar.
Damit wäre die Wahrscheinlichkeit, daß er Tomoe-Nage dort gelernt hat und diesen Wurf später von dort in sein Judo integrierte, sicher extrem hoch.

Und genau diese Art der Argumentation wünsche ich mir für "oshiki uchi".
Und zwar anstelle der unbewiesenen Behauptungen, die ich bei Pranin, Kondo, Draeger und Lind lesen muß.
:zwinkern:

Gast
14-04-2014, 22:55
Oshiki Uchi geht auf Indra zurück. Willst du das etwa auch anzweifeln?
Ach so.
Mensch, sag das doch gleich!
:D

Nick_Nick
14-04-2014, 23:50
About eight hundred years ago there was a man named Shinra Saburo Yoshimitsu, who resided in a mansion known as “Daito.” He is considered to be the founder of Daito-ryu. His art was then transmitted through the Minamoto family line and then to their descendants, the Takeda family in Kai [present-day Yamanashi Prefecture].


Das Fettgedruckte wird von Threadgill in das Reich der romantischen Legenden verbannt. Der Gründername ist sicher auch nicht koscher.

Grüße

Bubatz
15-04-2014, 00:43
Moment bitte ...
Hall verweist auf Draeger und Pranin.
Und die verweisen auf ...?
Auf gar nichts, denn soweit ich erkennen kann, geben sie keine zitierfähigen Quellen an.



Pranin verweist doch nicht auf gar nichts, sondern er hat Takeda Tokimune interviewt, näher dran wäre jetzt nur noch Takeda Sokaku selbst gewesen.

Aber ich vermute, selbst eine entsprechende Stellungnahme von Sokaku würdest du nicht gelten lassen. Irgendwie läuft das gerade analog wie bei der Rahn-Diskussion von neulich. Oral history lässt du nie gelten, allein Fotos, Filme und solche schriftliche Quellen, die amtlich beglaubigten Dokumenten gleichkommen.

Und wenn es das nicht gibt (oder jedenfalls hier nicht beigebracht werden kann), dann schließt du daraus leider nicht einfach nur auf den Hypothesenstatus der betreffenden Berichte/Thesen (der gern zugestanden ist, schließlich reden wir hier nicht über Mathematik), sondern immer gleich auf die Negation der Thesen: Da die "definitiv verifizierenden" Belege fehlen, handelt es sich um bloße Phantasiegespinste.

Natürlich: Man soll nicht alles unbesehen glauben, gerade nicht in der Geschichte der Kampfkünste, aber wenn man oral history überhaupt nicht gelten lässt, in absolut keinster Weise, dann schießt man übers Ziel hinaus.

Hier ist eine Kompilation von Teilen von Interviews mit Takeda Tokimune aus verschiedenen Jahren, wo es auch mal um die Ochikiuchi geht:

http://www.aikidofaq.com/interviews/daito_ryu.html

Und hier ein sehr interessanter Thread, in welchem viel zum Thema gesammelt ist und sich u.a. Leute wie Ellis Amdur zu Wort melden:

http://www.e-budo.com/forum/showthread.php?10792-Oshikiuchi-Gotenjutsu-%28Daito-ryu%29

FireFlea
15-04-2014, 06:33
Und Katsuyuki Kondo erzählt eine folkloristisch angehauchte Geschichte, die - wieder soweit ich das erkennen kann - auch bloß nicht mit Quellen belegt werden kann:

Quelle?
Namen von Lehrern dieser "martial art for use inside the place" ...?
Lehrlinien?
Densho?

Oder war das alles so ultrageheim, daß keiner etwas davon wußte?
Falls ja - wieso wußte Kondo davon?
Ich meine, es muß doch verifizierbare Quellen geben, wenn diese angebliche Kampfkunst existiert haben soll.
Gibt es aber keine Quellen außer phantasievollen Erzählungen ...


Tja dieses Problem hat man öfter in den koryu, wenn in einer densho steht die Kunst wurde vor 1000 Jahren von einem Tengu übermittelt, bedeutet es noch nicht, dass es Tengu wirklich gab. ;)
Da es hier um Daito Ryu geht, hat allerdings die mündliche Aussage von Kondo oder Takeda Tokimune schon ein gewisses Gewicht. Im Netz (wenn man die Kanji angibt) scheinen überwiegend jap. Daito Ryu oder Aikido Seiten rauszukommen. Vielleicht hat ja hier noch jemand eine der in e-budo genannten Bücher zur Hand (bspw. Mol - in Amdurs Hidden in Plain Sight scheint es auch erwähnt zu werden - grundsätzlich traue ich den genannten westlichen Autoren Draeger, Mol, Amdur, Hall auch eine gewisse Kompetenz auf dem Gebiet zu).

FireFlea
15-04-2014, 06:40
Eben noch eine Interessante Aussage von Amdur zu Saigo gefunden - so jetzt ruft aber die Arbeit :D

AikiWeb Aikido Forums - View Single Post - Shiro Saigo with Sun Yat Sen (1913) (http://www.aikiweb.com/forums/showpost.php?p=335273&postcount=2)

Gast
15-04-2014, 07:19
Pranin verweist doch nicht auf gar nichts, sondern er hat Takeda Tokimune interviewt, näher dran wäre jetzt nur noch Takeda Sokaku selbst gewesen.
Und wer sagt dir, daß Takeda Tokimune nicht einfach nur einen Gründungs-Mythos wiederholt hat?


Aber ich vermute, selbst eine entsprechende Stellungnahme von Sokaku würdest du nicht gelten lassen. Irgendwie läuft das gerade analog wie bei der Rahn-Diskussion von neulich. Oral history lässt du nie gelten, allein Fotos, Filme und solche schriftliche Quellen, die amtlich beglaubigten Dokumenten gleichkommen.
Richtig, das lasse ich nicht gelten.
Und das aus gutem Grund.
;)
Vor einigen Jahren bin ich mit genau solchen Thesen (zum Judo), die auf nichts weiter als "oral history" beruhen, im KKF und auch hier im KKB ziemlih "angeeckt".
Mir wurde sehr nachdrücklich erklärt, ich solle doch bitte zitierfähige Quellen beibringen. Könne ich das nicht, dann müsse davon ausgegangen wrden, daß die von mir zitierten Thesen keinerlei Beweiskraft hätten und nichts weiter wären als Spekulation.
Und Spekulationen sollte man nun einmal nicht in den Rang von tatsachen zu erheben versuchen.

Und weit du was?
Das ist richtig!
Ich hab seitdem versucht, mich genau daran zu halten.
:)
Und eben deshalb - und auch, weil bspw. Ben Holmes schreibt, daß er nichts zu "oshiki uchi" als KK finden konnte - möchte ich hier Spekulationen darüber, daß "oshiki uchi" eine KK war, aus der "Daito Ryu" hervorging, einfach als das bezeichnen, was sie sind: unbewiesene Behauptungen.
Und abei ist es mir egal, wer diese Behauptungen aufstellt.


Vielleicht hat ja hier noch jemand eine der in e-budo genannten Bücher zur Hand (bspw. Mol - in Amdurs Hidden in Plain Sight scheint es auch erwähnt zu werden - grundsätzlich traue ich den genannten westlichen Autoren Draeger, Mol, Amdur, Hall auch eine gewisse Kompetenz auf dem Gebiet zu).
Ja, hab ich zur Hand.
Ich schau gleich noch mal nach, kann mich aber nicht erinnern, daß in diesem Buch beweiskräftig dargelegt wurde, daß es eine KK "oshiki uchi" gab.
;)



Und wenn es das nicht gibt (oder jedenfalls hier nicht beigebracht werden kann), dann schließt du daraus leider nicht einfach nur auf den Hypothesenstatus der betreffenden Berichte/Thesen (der gern zugestanden ist, schließlich reden wir hier nicht über Mathematik), sondern immer gleich auf die Negation der Thesen: Da die "definitiv verifizierenden" Belege fehlen, handelt es sich um bloße Phantasiegespinste.
Moment, Moment ...
Wenn schon diejenigen, die sich in der Historie der Daito Ryu / Takeda Ryu auskennen sollten, nichts weiter anzubieten haben als "Thesen", die nicht belegt werden können und die stets mit Worten wie "... es könnte sein ...", "...man geht davon aus ...", "... wahrscheinlich ...", " ... möglicherweise ...", "... man sagt ..." eingeleitet werden, dann ist es doch kein Vergehen, genau darauf hinzuweisen ...?

Bisher hab ich zu "oshiki uchi" nichts als Vermutungen gelesen.
Verifizierbar ist diese angebliche Koryu nicht.
Schlimmstenfalls ist es also eine Erfindung, bestenfalls eine Verwechslung.
Na und?
Ist doch nicht schlimm.

Aber wieso dann darauf beharren, es sei eine KK?

Gast
15-04-2014, 07:38
@Bubatz:

Aus dem von dir verlinkten Thread:

Tokimune and others have written that Sokaku learned secret techniques called oshikiuchi and that it was these arts that form the essence of Daito ryu. The characters used for oshikiuchi, "O (an honorific) + shiki (ceremony) + uchi (inside)," [3 kanji provided] represent a rather curious combination, and do not convey any obvious meaning. They were probably recorded based on the oral testimony of Sokaku who was himself illiterate. One theory is that the correct Chinese characters are actually [4 kanji provided] "O (an honorific) + shikii (threshold) + uchi (inside)." According to this view, what was actually referred to as oshikiuchi were not martial techniques at all, but rather court etiquette or manners that trusted subjects of the inner circle who were allowed "inside the threshold" were expected to observe. If this is indeed the case, what Chikanori Hoshina [aka: Saigo Tanomo] taught Sokaku during the latter's visits had to do with matters of samurai etiquette."
Nichts anderes habe ich geschrieben ...
Ist auch nur eine Theorie, ich weiß.
Aber allemal sinnvoller als eine KK "oshiki uchi" zu postulieren, von dern niemand irgend etwas Konkretes weiß.
;)


This is definitely a possibility, especially if you believe that Saigo did not study martial arts, as his diaries seem to imply.
Richtig.
Anhand seiner erhalten gebliebenen Tagebüher stellte man fest, daß Saigo Tanomo aka Chikanori Hoshina (der ja dieses "oshiki uchi" an Sokaku Takeda weitergegeben haben soll) gar keine KK praktizierte.


However, as Mr. Pranin notes, the majority of direct students of Sokaku concur that oshikiuchi was - or did include - self defense techniques, and were taught to Sokaku by Saigo Tanomo.
Und genau das ist für mich eben unverständlich angesichts des obenstehend zitierten ...

Nun ist das zwar eine recht intensive und sehr interessante Diskussion, die du da verlinkt hast, aber ein BEWEIS dafür, daß "oshiki uchi" eine KK ist, wird da eher nicht geliefert ...
;)

Gast
15-04-2014, 07:55
Wir wissen anhand seiner tagebücher, daß Saigo Tanomo (aka Chikanori Hoshina) keine KK praktizierte.

Dazu lesen wir bei Ben Holmes :

„Chikanori Hoshinas Leben ist hervorragend dokumentiert, vor allem ist sein Tagebuch erhalten geblieben ... (es gibt) ... keine Hinweise darauf, daß Chikanori sich einem ausgedehnten Kampfkunsttraining unterzog oder solche Künste gar lehrte. Wäre Chikanori ein begnadeter Kampfkünstler gewesen, dann gäbe es sicher in der einen oder anderen Form noch heute Aufzeichnungen darüber.“ (Holmes 2001, Übersetzung von mir)


Wayne Muromoto, den ich mal sehr geschätzt habe, leistet sich in seinen Veröffentlichungen derbe Schnitzer in bezug auf Saigo Tanomo udn damit auf Saigo Shiro ...
:(

Dabei geht Muromoto gleich zwei Legenden auf den Leim.
Die eine Legende ist jene um Saigos angebliches Wissen und Können im Daito Ryû Aikijutsu (auch andere behaupten ja gern, Saigo sei ein "Meister" dieser Schule gewesen, was Unsinn ist, denn Saigo trat nachweisbar mit 16 Jahren in den Kôdôkan ein und trainierte ausschließlöich Kodôkan Jûdô).
Die andere Legende ist die vom "Yama-Arashi", den angeblich NUR Saigo konnte und der verlorenging, als Saigo starb.

Shiro Saigo war Mitglied des Kôdôkan und war an der Erstellung der ersten Gokyo-no-Waza von 1895 beteiligt.
In dieser aber ist Yama-Arashi nachweisbar enthalten.
Folglich ist es völlig ausgeschlossen, daß Yama-Arashi "mit Saigo starb".
Das erstmal dazu.

Weiterhin gibt es keienrlei Belege dafür, daß Shiro Saigo selbst jemals Kontakt zu Takeda Sokaku, dem Oberhaupt des Daito-Ryu-Aikijujutsu, hatte oder von diesem unterrichtet wurde ...

Also ist es eine inzwischen eindeutig widerlegte Legende, daß Shiro Saigo ein Meister des Daito-Ryu-Aikijujutsu gewesen sein soll, als er in den Kodokan eintrat.
All die Kämpfe, die Shiro Saigo angeblich für das Daito-Ryu-Aikijujutsu gewann, lassen sich nicht durch Unterlagen und Dokumente nachweisen.
Wenn wir zudem Shiro Saigos Alter berücksichtigen - er muß rein rechnerisch zum Zeitpunkt dieser angeblichen Kämpfe jünger als 16 Jahre gewesen sein, denn mit 16 Jahren trat er bekanntlich nachweislich in den Kodokan ein - dann hat er diese Kämpfe wohl auf dem Schulhof gewonnen.
Das macht ihn nicht unbedingt zu einem Meister des Daito-Ryu-Aikijujutsu ...
:D

Nur zwei von Takeda Sokakus Schülern erhielten von ihm persönlich jemals das Menkyo Kaiden im Daito-Ryu-Aikijujutsu. Der Name Shiro Saigo fällt in diesem Zusammenhang nicht. Ein so überragender Meister soll das Menkyo Kaiden seiner Schule nicht erhalten haben? Ist das glaubhaft?
Einer der Meister des Daito-Ryu-Aikijujutsu, die das Menkyo Kaiden von Takeda Sokaku persönlich erhielten, war Takuma Hisa.
Dessen engster Schüler Hakaru Mori wiederum wurde 1978 Oberhaupt des Daito-Ryu-Aikijujutsu.
Hier nun Hakaru Moris verblüffende Antwort auf die Frage nach Shiro Saigos Beziehung zum Daito-Ryu-Aikijujutsu :

„Saigo wurde adoptiert von Tanomo Saigo, von dem es heißt, daß er einer von Sokakus Ausbildern war. Das legt natürlich die Vermutung nahe, daß Shiro Saigo einige Verbindungen zum Daito-Ryu hatte. Doch Saigo studierte Jûdô im Kodokan, und er begann damit als Kind. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß er Daito-Ryu erlernte.“
Also keine "geheime Kampfkunst" namens "oshiki uchi", die Shiro Saigo von seinem Adoptivvater Tanomo Saigo lernte, bevor er (im Alter von 16 Jahren) in den Kodokan eintrat ...
:D

Ich wollte nur mal aufzeigen, wie schnell man Legenden aufsitzen kann (ist mir ja auch wiederholt passiert!) und wie hartnäckig sich solche Legenden halten.
Noch heute findet man im Netz zahlreiche Seiten, die kolportieren, Shiro Saigo sei als "Meister des Daito-Ryu-Aikijujutsu" in den Kodokan eingetreten und nur seinetwegen habe der Kodokan die vielen Kämpfe gegen andere Schulen gewinnen können - dank einer geheimnisvollen Wurftechnik namens "Yama-Arashi", die aus dem Daito-Ryu-Aikijujutsu stammen sollte. Und die außer Saigo niemand konnte. Und die nach seinem Tod vergessen wurde ... unnd die eigentlich aus einer noch viel geheimnisvolleren KK namens "oshiki uchi" stammt ... in der Shiro Saigo natürlich auch unterwiesen worden war ...
:rolleyes:

Gast
15-04-2014, 08:06
Schnell noch ein Nachtrag zu Shiro Saigo, weil ich das für wichtig halte:


Shiro Saigo wurde am 4. Februar 1866 geboren.
Er war der achte Schüler KANO Jigoros und trat im Jahre 1882 als Sechzehnjähriger in den Kodokan ein.

Obwohl dies bekannt ist und durch unzweifelhaft echte Dokumente belegt werden kann, wird immer wieder behauptet, daß Shiro Saigo bereits ein hochrangiger, sehr erfahrener und kampferprobter Meister des Daito-Ryu-Aikijujutsu war, als er Mitglied des Kodokan wurde.

Ein hochrangiger, kampferprobter, erfahrener Meister mit gerade mal 16 Jahren?
Oder, wenn er denn tatsächlich 1863 geboren sein sollte (was nachweislich nicht stimmt), ein hochrangiger, sehr erfahrener und kampferprobter Meister mit gerade mal 19 Jahren? Das ist Unsinn.
In den erhalten geblieben Unterlagen der Daito Ryu, darauf wies u.a. Ben Holmes hin, findet sich der Name Shiro Saigo übrigens nicht ...

Im „Lexikon der Kampfkünste“ allerdings lesen wir dazu erstaunt :
„Shiro Saigo ... war in jungen Jahren im Daito-Ryu-Aikijujutsu ausgebildet worden ...“
Was soll das heißen, in jungen Jahren?
Wenn er erst 16 Jahre alt war, als er Schüler des Kodokan wurde, kann er ja nur in den Jahren zuvor, als Kind, eine solche Ausbildung im Daito-Ryu-Aikijujutsu erhalten haben. Verantwortlich für diese Ausbildung soll sein Adoptivvater Tanomo Saigo gewesen sein.
Dazu lesen wir bei Lind :
„Erst nachdem Shiro 1882 von Saigo Tanomo adoptiert worden war, nahm er den Namen seines Ziehvaters Tanomo Saigo an und nannte sich Shiro Saigo.“

Also wurde Shiro Saigo erst 1882 ein Mitglied der Saigo-Familie. Folglich wäre er, wenn überhaupt, erst ab diesem Zeitpunkt in die Geheimnisse des Daito-Ryu-Aikijujutsu eingeweiht worden, vorausgesetzt, Saigo Tanomo selbst wäre tatsächlich ein Meister des Daito-Ryu-Aikijujutsu gewesen und hätte ihn tatsächlich zu seinem Erben und Nachfolger in der Kampfkunst machen wollen. Das aber kann einfach nicht stimmen.
Wir wissen, daß Saigo Tanomo aka Chikanori Hoshina keine KK praktizierte, und wir wissen das aus seinen erhalten geblieben Tagebüchern.

Wie wir wissen, trat Shiro Saigo schon 1882, mit sechzehn Jahren, in den Kodokan ein.
(Wir erinnern uns : Shiro Saigo war 1866 geboren worden.)

Nun aber lesen wir erstaunlicherweise bei Werner Lind, bezogen auf Shiro Saigos angebliches Training im Daito-Ryu-Aikijujutsu :
„ ... konzentrierte er sich wieder (?) auf sein Training und erwarb sich schnell einen solchen Ruf, daß KANO Jigoro auf ihn aufmerksam wurde. Die beiden Männer (?) begegneten sich 1881 (!) in einem Dojo des Tenshin-Shinyo-Ryu. Kano ... entwickelte gerade seinen eigenen Kampfstil, den er Jûdô nannte. ... er hatte jedoch wenig Erfolg, da sein Stil noch viele Mängel aufwies und den traditionellen Jujutsu Ryu nicht gewachsen war. In dem kampfstarken Shiro Saigo fand er jedoch den perfekten Vorkämpfer für seine Idee.“
AUTSCH!
1881 war Shiro Saigo 15 Jahre alt ...
Überdies gibt es keinerlei ernstzunehmende Hinweise darauf, daß Shiro Saigo jemals in der Tenshin Shinyo Ryu trainiert hat.

Eine ähnliche, noch abstrusere Geschichte finden wir bei J. Short und K. Hashimoto beschrieben :
„Im Jahre 1888 (!) trat der junge Mann (gemeint ist Shiro Saigo) in das Inouye Dojo ein, um Tenshin-Shinyo-Ryu zu trainieren. KANO, der das Menkyo Kaiden in diesem Ryu erhalten hatte, kämpfte mit ihm. KANO war sehr beeindruckt von Saigos Können. Kano fragte Saigo, der gerade 16 Jahre alt war, ob er ihm beim Aufbau des Kodokan helfen könne.“
AUTSCH!
Wenn Shiro Saigo im Jahre 1888 erst 16 Jahre alt gewesen wäre, und wenn Kano und er sich erst in diesem Jahr begegneten, wer um alles in der Welt war dann jener Shiro Saigo, der im Jahre 1886, also zwei (!) Jahre vorher, in jenem legendären, von der Tokioter Polizei veranstalteten Turnier für den Kodokan antrat und siegte (wenn man der Legende glauben darf)?

Wie man sieht, geht es mit der Legendbildung immer ganz schnell ...
:D

Gast
15-04-2014, 08:08
Noch etwas ...

Angeblich hatte Takeda Sokaku, das Oberhaupt des Daito-Ryu-Aikijujutsu, die Grundlagen dieser Kampfkunst von seinem Großvater Takeda Soemon erlernt und war von diesem zum Nachfolger ernannt worden.
Das aber ist nicht möglich.
Takeda Sokaku wurde im Jahre 1858 geboren, sein Großvater Takeda Soemon starb jedoch schon 1853 ...
:D

Terao
15-04-2014, 08:32
rambat hat absolut recht. Sich auf Mundpropaganda zu verlassen, reicht eben nicht, wenn man`s bzgl. der Geschichte der Kampfkünste genau wissen will. Wie hier mal wieder eindrucksvoll bewiesen wird, wuchern die Legenden gerade in diesem Gebiet, wo immer sie können. Selbst wenns gar nicht so lange her ist.

Wenn man`s nicht genau wissen will, ist das natürlich auch ok. Aber dann weiß man`s eben auch nicht genau.

ebrenndouar
15-04-2014, 08:49
Nur zwei von Takeda Sokakus Schülern erhielten von ihm persönlich jemals das Menkyo Kaiden im Daito-Ryu-Aikijujutsu. Der Name Shiro Saigo fällt in diesem Zusammenhang nicht. Ein so überragender Meister soll das Menkyo Kaiden seiner Schule nicht erhalten haben? Ist das glaubhaft?

Nicht das ich denke dass an der Geschichte mit Saigo Shiro was dran ist.
Aber auch andere überragende Meister des Daito-ryu erhielten kein Menkyo kaiden. Zum Beisipiel Ueshiba Morihei.

Wer ist eigentlich der zweite?


Dessen engster Schüler Hakaru Mori wiederum wurde 1978 Oberhaupt des Daito-Ryu-Aikijujutsu.

Nicht des Daito-Ryu-Aikijujutsu, sondern des Takumakai.


Dass Takeda von diesem Saigo Tanomo etwas gelernt hat, geht aus einer Aussage von Takeda Sokaku selbst hervor, die durch Sagawa Yukioshi bezeugt ist.
Bei einem Seminar wurde Takeda von einem Schüler gefragt, woher er seine außergewöhnlichen Fähigkeiten habe, früher hätte er doch nur so gewöhnliches Jujutsu gezeigt.
Takeda antwortete, er habe das von Hoshina-san gezeigt bekommen.
Worum es sich da gehandelt hat was er von ihm gelernt hatte, darauf ging er wohl nicht näher ein, auch der Name oshiki-uchi fiel in diesem Zusammenhang nicht.

Bubatz
15-04-2014, 09:31
Wie hier mal wieder eindrucksvoll bewiesen wird, wuchern die Legenden gerade in diesem Gebiet, wo immer sie können. Selbst wenns gar nicht so lange her ist.



Na ja, aber das ist eben auch wieder ein bischen wie bei der Rahn-Diskussion. Rambat bespricht hier in der Tat auch eine ganze Reihe von phantastischen Mythen - und auf einmal sieht es dann so aus als ob Leute hier im Thread diese als Thesen vertreten hätten. Aber ich z.B. habe hier nie was über Saigo Shiro behauptet. Dass der Mythos um "yama arashi" widerlegt ist, weiß ich selbst - das findet sich z.B. auch bei Ellis Amdur in "Hidden in Plain Sight", S.74 ff. Dasselbe gilt für andere Sachen, die Rambat gerade widerlegt. Z.B. dass Saigo Tanomo keine KK ausübte, das bestreitet doch heute niemand mehr.

Mir ging es einzig um oshikiuchi. Die Quellen dazu sind mündliche Aussagen von Kondo, Tokimune und (indirekt) geht das wiederum zurück auf Sokaku. Es gibt dazu zwei m.E. plausible Thesen: Die eine sagt, dass es sich bei dem Zeugs "innerhalb der Schwelle" nur um Etikette handelt, die andere sagt, dass da "indoor"-Techniken impliziert waren (und daher kommt dann z.B. die Hypothese, dass die hanmi-handachi waza des Daito Ryu damit zu tun haben könnten). Für letzteres sprechen immerhin die übereinstimmenden Aussagen der Schüler von Sokaku. Natürlich sind das keine Beweise, aber warum um Himmels Willen sollen wir denen denn bloß aufgrund der Mündlichkeit ein negatives Gewicht beimessen, also sie gleichsam eher als Evidenz gegen die These behandeln, dass oshikiuchi Techniken implizierte? Die reden da doch nicht über Drachen, mythische Kaiser der Vorzeit und sowas.

ebrenndouar
15-04-2014, 09:42
Z.B. dass Saigo Tanomo keine KK ausübte, das bestreitet doch heute niemand mehr.


Andererseits ist es kaum vorstellbar, dass ein hochrangiger Samurai wie Saigo Tanomo (Karo und vorsitzender des Rates der Provinz Aizu) keine exzellente Kampfkunstausbildung genossen haben soll.

Terao
15-04-2014, 09:55
Andererseits ist es kaum vorstellbar, dass ein hochrangiger Samurai wie Saigo Tanomo (Karo und vorsitzender des Rates der Provinz Aizu) keine exzellente Kampfkunstausbildung genossen haben soll.Also, in der Epoche, von der wir hier reden, scheint mir das absolut vorstellbar. Auch wenns vielleicht immer noch zum guten Ton für viele gehörte, auch mit dem Schwert umgehen zu können, war es ja doch für die allermeisten absolut nicht mehr lebensnotwendig. Warum solls da nicht so manchen gegeben haben, der aufgrund von Nichttalent oder Neigung lieber seine Zeit in Verwaltungsfragen steckte, und über eine bestenfalls ganz basale Ausbildung hinaus mit den KKs nix am Hut hatte?

Ich meine, auch mal gelesen zu haben, dass einige Koryu im 19. und frühen 20. Jh. eine ziemliche Durststrecke zu überstehen hatten, und sich nicht wenige Lehrer nur mit Vorführungen über Wasser halten konnten. Das Interesse an diesen Schulen ging wohl angesichts der beginnenden Modernisierung auch in höheren Kreisen stark zurück. Ich schlag das noch mal nach.

Bubatz
15-04-2014, 10:03
Andererseits ist es kaum vorstellbar, dass ein hochrangiger Samurai wie Saigo Tanomo (Karo und vorsitzender des Rates der Provinz Aizu) keine exzellente Kampfkunstausbildung genossen haben soll.

Warum eigentlich kaum vorstellbar? Waren die Samurai als Klasse zu dieser Zeit nicht ohnehin schon weitgehend eher sowas wie höhere Beamte denn Krieger? Wenn er eine Ausbildung gehabt hat, dann scheint ihn das jedenfalls persönlich kaum tangiert zu haben, weil sein Leben ja ziemlich gut dokumentiert ist incl. Tagebüchern. Und da geht es halt wohl in auffallender Weise nie um Kampfkunst.

Edit: Telefon kam vorm Abschicken dazwischen und deshalb war Terao dann schneller ... :p

ebrenndouar
15-04-2014, 10:56
Warum eigentlich kaum vorstellbar? Waren die Samurai als Klasse zu dieser Zeit nicht ohnehin schon weitgehend eher sowas wie höhere Beamte denn Krieger?

Saigo Tanomo wird im Zusammenhang mit der Verteidigung der Burg von Aizutakamatsu genannt, auch soll er in andere kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt gewesen sein.
Ich kenne die Tagebücher nicht, und weiß auch nicht wann sie geschrieben wurden.
Saigo Tanomo wurde ja später Shinto-Priester, und mag sein das seine Erlebnisse im Boshin Krieg dazu geführt haben, diese Dinge in den Tagebüchern nicht zu erwähnen.
Sind natürlich auch alles Spekulationen.
Tatsache ist aber wohl dass Sokaku Takeda ihn mehrfach aufgesucht hat um von ihm zu lernen, obwohl er sich gegen eine Karriere als Priester entschieden hatte. Warum sollte er als jemand, dessen Hauptinteresse im Kämpfen bestand, von einem alten Zausel der nichts mit Kampfkunst am Hut hatte, höfische Etikette lernen wollen?
Dann hätte er sicher auch lesen und schreiben von ihm gelernt, gehört das nicht auch zum guten Ton bei Hofe?

Bubatz
15-04-2014, 11:08
Warum sollte er als jemand, dessen Hauptinteresse im Kämpfen bestand, von einem alten Zausel der nichts mit Kampfkunst am Hut hatte, höfische Etikette lernen wollen?
Dann hätte er sicher auch lesen und schreiben von ihm gelernt, gehört das nicht auch zum guten Ton bei Hofe?

Ja, das finde ich in der Tat auch komisch. Amdur (S.97f) psychologisiert da irgendwie auch nur spekulativ rum, um die Beziehung zwischen den beiden zu erklären ...

Terao
15-04-2014, 11:16
Warum sollte er als jemand, dessen Hauptinteresse im Kämpfen bestand, von einem alten Zausel der nichts mit Kampfkunst am Hut hatte, höfische Etikette lernen wollen?Das ist aber jetzt SEHR spekulativ. Warum sollte der nicht auch noch andere Sachen von anderen gelernt haben als Kämpfen? Gab doch genug Kampfkünstler, die sich nebenbei auch intensiv mit Politik oder Religion beschäftigt haben (ich sag da nur Munenori. Der hat sich auch nicht mit Takuan getroffen, weil der so ein toller Kämpfer war). Oder mit Teezeremonie, Blumenstecken oder wasauchimmer. Will man sich in entsprechenden Kreisen bewegen, ist Etikette (gerade in Japan) tausendmal wichtiger als noch ein paar Kampftechniken mehr.

Ohne Hinweise, dass Sokaku wirklich ein derart eindimensionaler Mensch war, kann der sich aus tausenderlei Gründen mit Saigo getroffen haben. Er mag das, was er von dort mitnahm, sogar für den Aufbau und die Verbreitung seiner KK indirekt genutzt haben, auch wenn sichs nicht um Kampfkunst handelte.

ebrenndouar
15-04-2014, 11:27
Er mag das, was er von dort mitnahm, sogar für den Aufbau und die Verbreitung seiner KK indirekt genutzt haben, auch wenn sichs nicht um Kampfkunst handelte.

Das ist ja auch meine eigentliche Vermutung, dass er bei Hoshina-san ein Training absolviert hat, welches seine mental-körperlichen Fähigkeiten um ein vielfaches gesteigert hat.
Mag es sich um In-yo-ho, Aiki oder oshikiuchi gehandelt haben, man weiß es nicht. Aber irgendwie müssen seine Besuche zur Steigerung seiner Fähigkeiten beigetragen haben, wie er es ja selbst auch gesagt hat.
Der Begriff "hinter der Schwelle" könnte sich ja auch auf ein "inneres" Training beziehen. Ich weiß, ich weiß, ist spekulativ...

Terao
15-04-2014, 11:34
Aber irgendwie müssen seine Besuche zur Steigerung seiner Fähigkeiten beigetragen haben, wie er es ja selbst auch gesagt hat....oder er hat`s so empfunden. Oder er hat es gesagt, um den alten Mann zu ehren und seine Dankbarkeit (für was auch immer) auszudrücken. Oder er brauchte einen Gründungsmythos ("...um ein Vielfaches gesteigert" klingt für mich nach dem typischen Erweckungserleben, wie man`s oft in Gründungsmythen findet. Eine traditionelle Erzählfigur).

Deshalb ja: Ohne Handfestes bringt das alles keinen Erkenntnisgewinn für uns. Zu viele Möglichkeiten, zwischen denen wir nur willkürlich wählen können.

carstenm
15-04-2014, 11:34
Leider scheidet Hall damit als Quelle aus.Ja. Das gilt aber für Manches, was er in seinem Lexikon zu dem Bereich aikidô /daitô ryû geschrieben hat. Leider!


Und wer sagt dir, daß Takeda Tokimune nicht einfach nur einen Gründungs-Mythos wiederholt hat?Ich persönlich halte Takeda Tokimune in Bezug auf historische Fakten, die vor seinem eigenen Erleben liegen, nicht für einen verläßlichen Zeugen.


Bisher hab ich zu "oshiki uchi" nichts als Vermutungen gelesen.
Verifizierbar ist diese angebliche Koryu nicht.Ich denke nicht, daß heute noch jemand die These vertritt, es handele sich dabei dezidiert um ein budô, gar um eine regelrechte koryû.

Vermerkt ist aber in den Aufzeichnungen des Aizu-han offenbar, daß Hoshina Masayuki, einen von neo-konfuzianisch beeinflußten Verhaltenskodex vom Hof in Edo nach Aizu mitbrachte und diese Lehre in Aizu zentrale Bedeutung gewann.
Meine Spekulation (!) ist derzeit, daß diese offenbar Mischung aus religiös/philosophischen Aspekten und damit verbundener Etikette in zweierlei Hinsicht die in Aizu gelehrten budô beeinflußt hat: Zum einen durch das spezifische in-yo-ho, also die Lehre von yin und yang, zum anderen durch zeremonielle (!) Situationen "innerhalb der Schwelle" Techniken auf den Knien, die sich in koryû sonst nicht finden - und auch nicht erklären - lassen. Ich vermute (!) weiter, daß die eigentliche Bedeutung der Formulierung schlicht verlorengegangen ist und überlagert wurde durch das Produkt, daß ie hervorgebrach hat. Vielleicht. Was einer Verwchslung gleichkäme. Aber einer in der Überlieferungsgeschichte nicht unüblichen Art von Verwechslung.

Es ist jedenfalls zu bedenken, daß der Begriff ganz offensichtlich gebraucht und tradiert wurde. Was m.E. gegen eine schlichte Erfindung spricht. (Wer? Wozu? Wann? ...) Es würde daher aus meiner Sicht schlicht nicht weiterhelfen, wenn man den Begriff o shiki(i) uchi einfach aus der Geschichtsschreibung streicht und wegfallen läßt.
"Irgendwas" gibt es da, auch wenn wir es derzeit nicht mehr oder noch nicht fassen können.

Ähnliches gilt auch für das goten jutsu. Es scheint historisch ja noch einen Schritt vor dem o shiki(i) uchi zu liegen. Auch da gibt es die Erwähnungen und angeblich sogar die Verzeichnung im Aizu han, als offzielle gelehrtes budô des Clan. Aber was genau es ist, weiß auch da kein Mensch.

Was die Kampfkünste von Saigo Takamori angeht:

Daß das budô, das von Takeda Kunitsugu weitergegeben wurde, zu den offiziellen ryû des han gehörte, ist offenbar in den Aufzeichungen des Aizu han vermerkt. Daimyô von Aizu waren die Hoshina.

Ich halte die Annahme von Ellis, daß Saigo Tanomo nicht selber Lehrer eines budô war, für stichhaltig. Ich denke aber auch, daß man nicht den Fehler machen darf, ihn nur als Einzelperson zu betrachten.
Auch wenn er selber das budô der Aizu nicht in Perfektion weitergeben konnte, sind doch um ihn herum die Strukturen gewesen, die das ganz offenbar konnten.
Will sagen: Ich vermute, daß nicht der Kanzler höchstselbst sich in's dôjô gestellt hat, sondern einer der Lehrer des budô seines Clan.

Insgesamt:
Natürlich ist Geschichstschreibung ohne schriftliche Quellen witzlos.
Andererseits weiß man doch inzwischen auch das Phänomen der Oral history zu schätzen. Es sind eben auch Menschen Quellen. Wenn man sich u.a. der Subjektivität ihrer Aussagen bewußt ist.


Ohne Hinweise, dass Sokaku wirklich ein derart eindimensionaler Mensch war, ....Naja, das ist ja mal eine der wenigen verbürgten Tatsachen in dieser ganzen Diskussion.
Auch wenn ich die "Diagnose" von Ellis mehr als gewagt finde: Daß die Beschreibung "eindimensional" Takeda noch als viel zu vielfältig erscheinen läßt, bezeugen doch ja alle, die ihn erlebt haben?
Ich vermute in der Tat, daß er bei Saigo etwas gesucht hat und auch finden konnte, was wir heute als in-yo-ho kennen und üben. Und das ist ja erstmal völlig unabhängig davon, ob der ein großer Kämpfer war.

Aber ja:
Das ist Spekulation! Letztlich weiß man wohl heute weniger denn je, woher Takeda seine Fähigkeiten tatsächlich hatte.

Bubatz
15-04-2014, 11:53
Ich persönlich halte Takeda Tokimune in Bezug auf historische Fakten, die vor seinem eigenen Erleben liegen, nicht für einen verläßlichen Zeugen.



Wer nicht selbst dabei war, ist halt kein Zeuge in diesem Sinne. Aber sein eigenes Erleben schließt doch zumindest immerhin ein, was er von seinem Vater erzählt bekam. Und da wir von Takeda Sokaku selbst direkt quasi nix haben, ist er unsere direkteste Quelle in der "oral history" des Daito Ryu. (Ansonsten stimme ich Deinem Posting allerdings zu und finde auch die "Spekulation" sehr interessant.)

carstenm
15-04-2014, 12:00
Mich macht es immer wieder zickig, daß er behauptet es gäbe für "alles" schriftliche Zeugnisse, die aber im Ise-Schrein aufbewahrt werden. Die aber "niemand" einsehen dürfe, der nicht Priester sei. Nur er habe einmal eine Sondergenehmigung bekommen.
In meinen Ohren klingt diese Geschichte so obskur, daß ich nicht so richtig auf ihn bauen mag.

Bubatz
15-04-2014, 12:02
Mich macht es immer wieder zickig, daß er behauptet es gäbe für "alles" schriftliche Zeugnisse, die aber im Ise-Schrein aufbewahrt werden. Die aber "niemand" einsehen dürfe, der nicht Priester sei. Nur er habe einmal eine Sondergenehmigung bekommen.
In meinen Ohren klingt diese Geschichte so obskur, daß ich nicht so richtig auf ihn bauen mag.

Ah, ok, jetzt verstehe ich das besser. Trotzdem hoffe ich, dass es tatsächlich noch schriftliche Zeugnisse gibt, die irgendwann mal mehr Licht in die Sache bringen ...

Alephthau
15-04-2014, 13:15
Hi,

Gedankenspiel meinerseits:

Vielleicht ist dieses "O shikii Uchi" schlicht "lost in translation" und das selbst bei den Japanern! ;)


Die Frage ist halt, in wie weit ein Muttersprachler die Bezeichnung "O shikii uchi" verstehen kann, oder weiß von Euch einer, ohne zu googlen, was z.B. mit der "Morgensprache", oder dem "Fleischergang", gemeint ist? ;)

Nebenbei, ich würde das lernen und einhalten höfischer Sitten ohne weiteres auch Kampf bezeichnen! :D

Gruß

Alef

Nick_Nick
15-04-2014, 13:37
Serge Mol schreibt in seinem Buch „Classical Fighting Arts of Japan“ auf S. 50, dass „oshikiuchi“ nur eine andere Bezeichnung für „aiki“ ist.

Nebenbei:

Der Begriff „aiki“ als Bestandteil eines Schulnamens selber wurde - was wohl schon sehr lange bekannt ist - erstmals durch Takeda Sokaku um 1922 eingeführt, als dessen Daito Ryu Aikijujutsu.

Es gibt nach Threadgill keinen Beleg dafür (außer Mythen), dass es seit Jahrhunderten im Takeda-Clan eine Aiki-Art gegeben hat, mithin, dass ein traditionelles Takeda Ryu Aiki no Jujutsu je existiert hat (das Konzept "aiki" natürlich schon).

Grüße

Alephthau
15-04-2014, 13:46
Hi,

Gerade gefunden:

¼‹½”h‘å“Œ—¬‡‹C•p ŒäŽ®“à (http://www.daitouryu.com/japanese/column/gihoukousei/col_oshikiuchi01.html)

Da wird selber gesagt, dass es sich bei "O shikii uchi" um das Verhalten/die Etikette bei Hofe handelt! ;)

Gruß

Alef

carstenm
15-04-2014, 13:49
Ich empfehle zu alledem "Daito-ryu Aikijujutsu. Conversations with Daito-ryu Masters" von Stanley Pranin.

In der historischen Einführung werden sämtliche Einwände in gleicher Weise formuliert, wie sie sich auch in diesem thread finden. Sei es die Rolle von Saigo Shiro oder die Bedeutung von oshiki uchi.
Es wird dort deutlich, warum es unwahrscheinlich ist, daß Saigo Shiro sein kämpferisches Können von Saigo Takamori haben soll. Es werden dort die unterschiedlichen kanji für o shiki uchi diskutiert und deutlich gemacht, daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um ein budô sondern um ein bestimmtes reishiki handelt, das dann auch Takeda Sokaku gelernt hat.

Auch eine Darstellung der Überlieferungslinie des aiki jujutsu innerhalb der Familie Takeda findet sich dort. Unter genauer Angabe fehlender Generationen.

Dieses Buch ist von 1996. Ich habs erworben 2001.
D.h. die Einwände sind inhaltlich völlig richtig. Sie sind aber eben auch nicht neu.

Sanguinius
29-04-2014, 14:12
Hey,

hätte eine Frage zu Daito Ryu. Enthält der Unterricht eigentlich auch Waffen?
Meine nicht nur ob man Techniken hat, um sich gegen Messer, Schwert zu verteidigen sondern auch Techniken mit den Waffen.

Mfg. Sanguinius

FireFlea
29-04-2014, 18:04
Zumindest im Mainline Daito Ryu wird auch Itto Ryu unterrichtet.

angelosphere
21-07-2014, 14:43
Laut Interview mit Tokimune Takeda hier: The Aikido FAQ: Interview with Takeda Tokimune (http://www.aikidofaq.com/interviews/daito_ryu.html) ist eine KK bzw. eine Sammlung von Techniken die speziell innerhalb geschlossener Räume eingesetzt wird.
Allerdings: Oshikiuchi - Wikipedia, the free encyclopedia (http://en.wikipedia.org/wiki/Oshikiuchi)

KAJIHEI
21-07-2014, 20:21
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