Vollständige Version anzeigen : "Kickboxen" - 1863 - Die Boxkunst von Jacob Happel.
chuckybabe
19-04-2014, 10:33
Ich bin vor ein paar Monaten auf folgendes Buch von Jacob Happel, einem Turn- und Fechtlehrer aus Antwerpen gestoßen, das 1863 publiziert wurde:
Die Boxkunst - Anleitung zur selbstständigen Erlernung des Hand- und Fußboxens. (http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/titleinfo/2461557) (Man findet unter dem Link die Downloadmöglichkeit des entsprechenden PDF)
Viele hier werden das Büchlein wahrscheinlich kennen, ich kannte es bis vor ein paar Monaten nicht. Ich finde es sehr interessant, dass es zu der damaligen Zeit, also bereits vor rund einhundertfünfzig Jahren, ein "Kickboxsystem" im deutschsprachigen Raum gegeben hat und in welchem Gesamtkontext es zum "Freifechten" (im Buch die Kombination aus Boxen und Ringen) und zur allgemeinen Wehrertüchtigung gesehen wurde und auch die Abgrenzung zum englischen Boxen.
Was mich z.B. interessieren würde, inwieweit dieses "Hand- und Fußboxen" mit dem Savate in Verbindung stand. Hat hier im Forum irgendjemand dazu weiterführende Informationen, welcher Art auch immer, die hilfreich wären diese Boxkunst einzusortieren?
Interessant :): Der Fechtreigen, zum "Jägerlied".
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Die Abbildungen ähneln der damaligen Methode Leboucher des Savate. http://alphae.files.wordpress.com/2010/06/1885-manual-of-savate-and-english-boxing-the-leboucher-method.pdf
Ich bin kein Historiker, aber zumindest der Vosszeitung von 1864 (http://books.google.de/books?id=irFAAAAAcAAJ&pg=PA88&dq=chausson+savate&hl=de&sa=X&ei=2cNSU9esDMXuswbYhoCADA&ved=0CEQQ6AEwAg#v=onepage&q=chausson%20savate&f=false) zufolge, gab es Befürworter, die das französische "Fußfechten" im deutschen Turnsport einführen wollten.
itto_ryu
20-04-2014, 07:22
Interessant, kannte ich tatsächlich noch nicht. Ich vermute aber auch mal, dass hier eine Verbindung zum Savate knüpfbar ist.
chuckybabe
20-04-2014, 10:44
Die Abbildungen ähneln der damaligen Methode Leboucher des Savate. http://alphae.files.wordpress.com/2010/06/1885-manual-of-savate-and-english-boxing-the-leboucher-method.pdf
Ich bin kein Historiker, aber zumindest der Vosszeitung von 1864 (http://books.google.de/books?id=irFAAAAAcAAJ&pg=PA88&dq=chausson+savate&hl=de&sa=X&ei=2cNSU9esDMXuswbYhoCADA&ved=0CEQQ6AEwAg#v=onepage&q=chausson%20savate&f=false) zufolge, gab es Befürworter, die das französische "Fußfechten" im deutschen Turnsport einführen wollten.
Danke für den Link. Ich habe jetzt mal den ganzen Abschnitt über die französischen Turnübungen gelesen und auch ein paar andere Abschnitte. Wirklich sehr interessant!
Es ist wohl keine zu weit hergeholte Vermutung, dass anscheinend eine große Verbindung zum Savate bestanden hat. Nun gut, die napoleonische Besatzung hat ja in vielen Lebensbereichen ihre Spuren hinterlassen. Außerdem erscheint es nur natürlich und logisch, dass es zum Austausch zwischen den Deutschen und Franzosen (als unseren direkten Nachbarn) gekommen ist und Nützliches gegenseitig übernommen wurde (wie im Text beschrieben - Stichwort: deutsche Turnschule). Und dieses Hand- und Fußboxen wurde dann anscheinend noch im deutschsprachigen Raum um Ringertechniken erweitert ("Freifechten"). Leider konnte ich aus dieser Epoche kein explizites Material zu den damalig gebräuchlichen Ringertechniken auf französischem und deutschen Boden finden.
Ich vermute (Achtung: wilde Spekulation!), dass Ringen im 19ten Jahrhundert schon stark versportlicht war und in seiner alten Form als komplette (Nah-)Kampfkunst nur noch von extrem wenigen Lehrern/Meistern unterrichtet wurde, wenn überhaupt.
Wie dem auch sei, zeigt das Buch "Die Boxkunst" von J. Happel sehr schön, dass die Kampfkünste in Europa zu allen Zeiten ein Thema waren und das die Menschen diese anscheinend mal mehr, mal weniger trainiert haben.
KeineRegeln
20-04-2014, 13:25
Das klingt sehr spannend. Die Kombi aus Savate und Ringen hatte sicher was für sich.
Schade, dass davon nichts mehr bekannt ist.
Gruß
KeineRegeln
Althalus
20-04-2014, 16:16
Ich vermute (Achtung: wilde Spekulation!), dass Ringen im 19ten Jahrhundert schon stark versportlicht war und in seiner alten Form als komplette (Nah-)Kampfkunst nur noch von extrem wenigen Lehrern/Meistern unterrichtet wurde, wenn überhaupt.
Ja und nein. Das sportliche Ringen gibt es schon im Mittelalter - gleichzeitig aber das "Kampfringen". Ähnlich ist es im 19. Jhdt - was unter die "Turner" fällt, ist Sport, aber es gibt immer noch einiges an Techniken, die im sportlichen Zweikampf verboten sind.
Im Boxe francaise savate vor dem 2. WK gibt es z.B. einige Techniken aus dem Lutte parisienne, dem Pariser Ringen, die ganz und gar nicht freundlich sind.
Was bei der deutschen Quelle interessant ist, ist das Erscheinungsjahr. 1863 ist zwanzig Jahre vor Leboucher - und damit offenbar recht frisch auf Lecours Arbeit fußend. Das bedeutet, dass hier jemand direkt beim Begründer des Boxe francaise savate gelernt hat und dieses Wissen dann wiederum nach Deutschland transportieren wollte.
Sehr spannender Fund - hatte ich bisher nicht auf dem Radar.
Was bei der deutschen Quelle interessant ist, ist das Erscheinungsjahr. 1863 ist zwanzig Jahre vor Leboucher - und damit offenbar recht frisch auf Lecours Arbeit fußend. Das bedeutet, dass hier jemand direkt beim Begründer des Boxe francaise savate gelernt hat und dieses Wissen dann wiederum nach Deutschland transportieren wollte.
Hatte ich zuerst auch gedacht. Allerdings ist das Manual von Leboucher, das ich verlinkt habe, bereits die dritte Ausgabe. Die Methode Leboucher stammt schon aus den 40er Jahren des 19. Jahrhundert. Leboucher veröffentlichte sein erstes Manual bereits 1844. (Quelle (http://books.google.de/books?id=P-Nv_LUi6KgC&pg=PA219&lpg=PA219&dq=savate+louis+leboucher&source=bl&ots=I5OGHZnRUN&sig=YbP4aW5VNQfuXyj9XWm1Se6X2PA&hl=de&sa=X&ei=4gBUU_uiF7HesATM5YKAAg&ved=0CHoQ6AEwDA#v=onepage&q=savate%20louis%20leboucher&f=false))
Es ist durchaus möglich, dass Happel sich auf Lecour bezog, aber genau so gut kann er sich auch auf Leboucher bezogen haben, der zum Zeitpunkt des Erscheinens von Happels Buch auch noch gelebt hat.
itto_ryu
20-04-2014, 19:56
Ich vermute (Achtung: wilde Spekulation!), dass Ringen im 19ten Jahrhundert schon stark versportlicht war und in seiner alten Form als komplette (Nah-)Kampfkunst nur noch von extrem wenigen Lehrern/Meistern unterrichtet wurde, wenn überhaupt.
Wie shcon gesagt wurde, Ringen als sportliche Übung sowie Ernstkampf gab es schon im Mittelalter. Holen wir noch weiter aus, dann schon in der Antike. Sportlicher Zweikampf war und ist eine Vorbereitung für den Ernst, damit man überhaupt eine Basis sowie eine sichere Übungsmethode hat. Außerdem wenn man "Sport" nimmt, dann muss man sich nur das alte Lancashire-Wrestling in Gedanken bringen, das u.a. Vorfahre des späteren Catch-as-catch-can war, das war ziemlich brutal mit vielen Techniken, die heute verboten sind. Sport ist also immer relativ, für die Griechen war Pankration auch Sport, ebenso wie für die Römer Boxen mit caestus oder die Gladiatur.
chuckybabe
20-04-2014, 19:59
...
Es ist durchaus möglich, dass Happel sich auf Lecour bezog, aber genau so gut kann er sich auch auf Leboucher bezogen haben, der zum Zeitpunkt des Erscheinens von Happels Buch auch noch gelebt hat.
Es wäre wirklich interessant mehr über Happel und seinen Hintergrund in den Kampfkünsten zu erfahren und was wodurch beeinflusst wurde.
1865 hat er wohl noch ein weiteres Werk veröffentlicht:
"Das Freifechten - Anleitung zur selbstständigen Erlernung der Ring-, Box- und Rutzkunst."
Althalus
21-04-2014, 16:54
Leboucher veröffentlichte sein erstes Manual bereits 1844.
Das ist korrekt - es ist aber fraglich, ob dieses bereits dem Boxe francaise savate entspricht. Lecours Verdienst war es, das franz. und das englische Boxen zu einem Ganzen zu formen - und da er erst 1830 zu unterrichten begann, ist ohne Einsicht in das betreffende Buch (es behandelt ja nur 25 Lektionen zur SV und Gymnastik - also kein Wort von einer "Methode") nicht wirklich zu sagen, ob der Inhalt schon etwas damit zu tun hat.
Die Methode Leboucher unterscheidet sich ja in nicht unwesentlichen Details von der späteren und verbreiteteren Methode Charlemont (u.a. die Armhaltung und die Ausführung einiger Tritte). Renaud bezeichnet sie in seinem Buch zur SV als die "straßentauglichere", während die Charlemont-Methode die ästhethisch ansprechendere war.
Das ist richtig; die spätere Charlemont-Methode galt als die "akademischere".
Ich kenne leider das erste Manual von Leboucher nicht. Ich hatte angenommen, dass es quasi den 1. Teil seines späteren Manuals abdeckt, also ohne das englische Boxen. Ist aber meine Spekulation. Hast du zufällig übersetzte Quellen von Lecour und Leboucher aus der Zeit oder Zusammenfassungen? Würde mich sehr interessieren. Ich weiß nur von den Büchern, die es auf dem französischen Markt gibt. Dummerweise verstehe ich kein Wort französisch.
Andreasmeier
21-04-2014, 22:17
Hallo zusammen,
der Happel hat einige Bücher verfasst. Soweit ich mich erinnere fußt das Freifechten auf dem Savate, wie Ihr schon geschrieben habt.
In seinem Buch über das Gerätefechten behandelt er den Umgang mit Waffen. Wobei der Stock auch aus den frz. stammt.
Seiner Zeit entsprechend (Turnvater jahn und co) hat er alles sehr stark reglementiert und die Übenden sollten auf Kommando die einzelnen Bewegungen ausführen. In einem seiner Bücher läßt er sich Seitenlang über die Kommandos aus. Liest sich teils unfreiwillig komisch.
Sein Hauptanliegen war die Reform des Wehrsystems. Er wollte das jeder Wehrtüchtige Mann sich schon vor dem Militärdienst ausbildet und das eben auch im Zweikampf mit und ohne Waffen. Der Militärdienst sollte ihm dann den letzten Schliff geben. Das ganze sollte freilich ständig weitergeübt werden bis ins hohe Alter.
Besonders gefallen mir ja seine Anzüge. Schaut sehr Gentleman like aus :-)
Grüße
Andreas
Hi Andreas,
gibts das Buch über das Gerätefechten auch irgendwo online?
hab jetzt auf die Schnelle nichts gefunden.
würde mich schwer interessieren, besonders zu Stock und Stab aber auch was er als "Schwert" bezeichnet :)
Andreasmeier
21-04-2014, 23:31
Hallo Oliver,
soweit ich weiß gibt es das nicht online. Hatte vor ein paar Jahren Gelegenheit das Buch bei einem befreundeten Sammler (von Fechtbüchern) zu lesen. Es ist wohl recht selten da es mir sonst nirgents untergekommen ist.
Grüße
Andreas
chuckybabe
22-04-2014, 06:17
...
"Das Freifechten - Anleitung zur selbstständigen Erlernung der Ring-, Box- und Rutzkunst."
Habe mal versucht die "Rutzkunst" zu googeln, konnte aber partout nichts finden. Hat hier jemand einen Verdacht oder eine Quelle, die Licht ins Dunkel bringen könnte?
Althalus
22-04-2014, 07:07
Ich weiß nur von den Büchern, die es auf dem französischen Markt gibt.
Ich kenne auch nur franz. Bücher zu dem Thema - da Savate im deutschsprachigen Raum ja eher wenig verbreitet ist, wundert mich das aber nicht. Vor allem die historischen Sachen interessieren die moderne Wettkampfgemeinde eher weniger.
Technikmäßig hat das moderne Savate ja auch nur noch rudimentär mit dem Boxe francaise vor dem 2. WK zu tun.
Ich kann dir aber empfehlen, mal in die engl. Übersetzung von Renaulds "Défense dans la Rue" zu sehen - er beschreibt da recht genau die Unterschiede zwischen den beiden Methoden bei jedem Tritt.
KeineRegeln
22-04-2014, 16:59
Die Boxkunst - Anleitung zur selbstständigen Erlernung des Hand- und Fußboxens. (http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/titleinfo/2461557) (Man findet unter dem Link die Downloadmöglichkeit des entsprechenden PDF)
Bin zu blöd... Wo muss ich drauf drücken um dass ganze Buch auf einmal runter zu laden? :o
Gruß + Dank
KeineRegeln
Althalus
22-04-2014, 17:21
Drunter steht "Links" und da drunter"Download". ;)
KeineRegeln
22-04-2014, 19:11
Ich bin so blöd.. :rolleyes:
ich meine, aus diesem buch waren eine oder mehrere abbildungen in sifu kernspechts "vom zweikampf" zu sehen.
gruss
war fleissig,hab´s nachgeschaut:
" vom zweikampf", 1. auflage, seiten 85 und 287.
gruss
Willi von der Heide
26-04-2014, 17:02
Kann es sein, daß es eine Spielart namens " Amsterdam Vechten " davon gab ?
Die räumliche Nähe wäre ja gegeben.
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