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Vollständige Version anzeigen : Zhuangzi - Das höchste Glück



ErSunWukong
03-05-2014, 14:35
Insel (broschiert/2005)
Übersetzer: Hans O.H. Stange
ISBN 3-458-34815-8
114 Seiten

Neben dem „Tao-Te-King“ gilt vielen Leuten das Werk Zhuangzis als eine der beiden grund-legenden Schriften des Daoismus und damit auch als eine der definitorischen Grundlagen des chinesischen Ch’an-Buddhismus aus dem sich dann der japanische Zen-Buddhismus entwi-ckelt hat. Insofern ist das Zhuangzi sicherlich eine der einflussreichsten philosophischen Schriften der östlichen Welt, auch wenn sie nicht so verbreitet und bekannt ist wie die Schrif-ten Laozis und Konfuzius’. Tatsächlich werden Zhuangzis Gleichnisse zum Glück und wie man es erlangt von manchen als eine Weiterentwicklung des „Tao-Te-King“ gesehen und als philosophisch individualisierender Gegenentwurf zu Konfuzius’ „Analekten“, die den Staat als „Menschenformer“ vorsehen und den Menschen immer als innerhalb der Gesellschaft lo-kalisiert empfindet. Dies dürfte auch erklären, warum Zhuangzis Werk gerne auch in China klein gehalten wird, da es den normalen politischen Strömungen der letzten zweieinhalb Jahr-tausende zuwider läuft.

Die vorliegende von Ursula Gräfe kommentierte Ausgabe fasst 33 der 52 Gleichnisse zusam-men, die Zhuangzis Nanhua Zhenjing („Das wahre Buch vom Südlichen Blütenland“) bein-haltet, wie es seit der Überarbeitung in der Tang-Zeit heißt, in der sich der Buddhismus mehr und mehr gegen den Daoismus abgrenzte. Diese 33 Kapitel sind diejenigen, die man heutzu-tage zweifelsfrei Zhuangzis Autorenschaft zuordnen kann, während die anderen Kapi-tel/Gleichnisse durchaus auch später hinzugekommen sein können.

Ähnliche wie Miyamoto Musashi in Japan sieht auch Zhuangzi den Menschen in erster Linie als ein Individuum, das sich seiner natürlichen Umgebung anzupassen hat. Wie auch andere europäische Strömungen der Philosophie geht er dabei davon aus, dass es einen Idealzustand des menschlichen Lebens gegeben haben muss, der irgendwo zwischen dem „edlen Wilden“ Rousseaus und den frühen Sesshaften gelegen haben soll und erst durch die weitere Zivilisie-rung und Kultivierung kam das Unglück in die menschliche Existenz, da dadurch viele falsche Bedürfnisse und Leidenschaften entstanden. Die Parallelen zum Buddhismus sind hier unübersehbar, auch wenn Zhuangzi einige Jahrhundert vor dem indischen Prinzen geschrieben hat.

Die Gleichnisse sind zum Teil in sich sehr widersprüchlich, wie man das auch von Koans kennt, die ja durch ihre inneren Widersprüche und Tautologien in erster Linie dazu dienen sollen, die Verkrustungen im Denken und Fühlen von Lernenden und Suchenden aufzubre-chen um neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Hierbei lehnt Zhuangzi aber auf jeden Fall deut-lich gängige Unterscheidungen von Gut und Böse ab, widerspricht der Prioritäsierung homo-zentrischer Denkweisen und Perspektiven und predigt immer wieder eine Rückkehr zum be-dürfnisfreien und absichtslosen Naturzustand des Menschen. Das liest sich nicht unbedingt leicht, ist aber als Grundlage späterer daoistischer und buddhistischer Schriften relativ erhel-lend. Wer von diesen schon Einiges gelesen hat, der wird hier eine wichtige Quelle grundle-gender Gedanken finden.

Man muss beim Lesen berücksichtigen, dass Zhuangzi in einer Zeit lebte, in der sich die Zivi-lisation und Kultur Chinas gerade in einem sehr gewaltsamen Aufbruch befand und in der ein angenommener vorhergehender geradezu paradiesischer Idealzustand des Menschen für einige Philosophen Teil des Protestes gewesen ist, wie dies so oft in der Geschichte der Menschheit der Fall gewesen ist. Das es diese ideale „Urrotte“ wahrscheinlich nicht gegeben hat – und das sie im Idealzustand von den tierischen Gemeinschaften nicht zu unterscheiden gewesen wäre – macht er schon indirekt deutlich, widerspricht sich dabei aber in seinen Darstellungen gelegentlich selbst.

So ist dieses Buch ideengeschichtlich interessant und einzelne Gedanken sind in ihrer Ur-sprünglichkeit überraschend und selbst nach 2.200 Jahren immer noch originell. Aber es han-delt sich eben um ein Werkzeug, das das Denken befördern soll und darum muss man – wie Zhuangzi bereits zu Beginn bemerkt – die „bloßen Worte“ richtig verarbeiten. Und man muss bedenken, dass es heutzutage – und wohl auch schon damals – mindestens zwei Strömungen des Daoismus gibt und die mehr weltliche und verbreiterte Form des heutigen Daoismus eini-gen grundlegenden Gedanken Zhuangzis wohl eher widersprechen würde. Wie viele religiös-philosophische Schriften sollte man auch Zhuangzi nicht isoliert lesen, da man sonst in Gefahr läuft nach allzu einfachen Lösungen zu suchen – was der Mann aus Huanghe sicherlich auch abgelehnt hätte.



K.-G. Beck-Ewerhardy