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Vollständige Version anzeigen : Dàomíng Xióng - Yàn Chí Gōng



ErSunWukong
02-10-2014, 18:24
Palisander (broschiert/2014)
ISBN 978-3-938305-75-1
251 Seiten
€ 19.90

Maik Albrecht ist seit über 20 Jahren Kampfkünstler und ging 2001 nach China um dort traditionelles Kungfu zu trainieren. Seine Erlebnisse und Erfahrungen dabei hat er bereits zusammen mit Frank Rudolf in seinem Buch „Wu – Ein Deutscher bei den Meistern in China“ dargestellt, in dem er auch einige Aussagen zum traditionellen Training gemacht hat. 2014 sind er und sein Mitautor sehr aktiv und bringen direkt drei neue Bücher heraus, von denen das Vorliegende ein Weiteres ist.

2001 begann Li Zhènhuá Maik Albrecht im System des Yàn Chí Gōng auszubilden, das er selbst von Xióng gelernt hat. Yàn Chí Gōng bedeutet in etwa „Tuschestein-Entspannungsbemühung“ bei der gewissermaßen versucht wird, das „Runde in das Eckige“ zu bekommen. Xióng hat zu seinen Lebzeiten (bis 1986) die Grundlagen der Kunst in 19 Tafeln niedergelegt, die er dann von einem großen zeitgenössischen Kalligraphen in Reinschrift bringen ließ. Ein Abdruck dieser Tafeln mit einer Übersetzung findet sich im Anhang des Buchs.

Das Buch selbst geht im Praxisteil weitestgehend von der Übersetzung des Texts durch Maik Albrecht aus und baut die Übungserklärungen daran auf – wobei die Darstellungen der einzelnen Übungen selbst sehr anschaulich sind – besonders mit den begleitenden Photoserien. Für einen mehr oder minder geübten Menschen lassen sich zumindest die Übungen des ersten Sets sehr gut nachvollziehen, die Albrecht auch als gute Grundlage zur Aufrechterhaltung der Gesundheit sieht. Für die anderen beiden Teile – von denen der dritte nach Maßgabe seines Lehrers unvollständig dargestellt ist -, gilt die Nachvollziehbarkeit in rein intellektueller Hinsicht auch, aber man muss schon den ersten Teil sehr flüssig beherrschen, bevor man sich an diese Übungen macht. Tatsächlich sind die Übungen des dritten Teils scheinbar einfacher, verlangen aber von dem Praktizierenden eine überaus hohe Disziplin.

Normalerweise heißt es in Bezug auf Übungsreihen dieser Art immer, man könne sie nicht wirklich aus Büchern lernen und solle sich, auch zum Schutz der Gesundheit, einen qualifizierten Trainer dazu holen. Nun gibt es aber weltweit nach Aussage des Autoren und Übersetzers Albrecht nur drei Personen, die Yàn Chí Gōng unterrichten könnten, weswegen eine solche Aussage kontraproduktiv wäre. Es stellt sich also die Frage, ob dieses Übungssystem im Reigen dieser Systeme da eine Ausnahme darstellt, oder hier nur dem Diktat der Logistik – sprich, der geringen Ausbilderzahl und ihrer Verteilung – gefolgt wird. Damit kommen wir gleich zu einem anderen Problem dieses Buchs, das man bei systemvorstellenden Büchern im Bereich der Kampfkünste oft vorfindet. „Dies ist das einzig wahre System für die Aufrechterhaltung des Körpers, ein langes Leben und das Erreichen überlegener Kampfkraft. Es ist über Jahrtausende gewachsen, wissenschaftlich abgesichert und unverfälscht. Alle anderen Systeme, die im Moment unterrichtet werden sind billige Kopien anderer Systeme, wirkungslos, schädlich und das Werk von Scharlatanen.“

Die Feststellung, dass durch das Entdecken der internationalen Kommerzialisierbarkeit der Kampf-künste eine Menge Schlitzohren auf den Zug aufgesprungen sind um vergleichsweise schnell und einfach ihr Geld zu verdienen ist nicht neu. Rund um der Shaolin-Kloster in Henan, in den Wudang-bergen und an ihrem Fuß, sowie in Wuhan, wo Mark Albrecht lebt, gibt es etliche dieser „geschäfts-tüchtigen“ Menschen und kein Tag scheint zu vergehen, an dem nicht ein neues oder neu entdecktes System auf den Markt geschmissen wird. Das Problem ist, dass bei der laufenden Anklage an all die anderen Systeme und der Betonung des Alleinstellungsanspruchs des eigenen Systems man einfach sehr schnell wie einer dieser Scharlatane klingt.

Und das ist eigentlich schade. Die Chen-Familie hat dieses Jahr eine große Diskussion ausgelöst, als sie offiziell erklären ließ, dass richtiges Tai Chi eigentlich nur aus ihrer Linie heraus kommen kann und trotzdem haben sich danach wieder andere Stimmen mit eigenen Traditionslinien gemeldet. Es tut diesem Buch nicht unbedingt gut, diesen klassischen Ton chinesischer Kampfkunstliteratur zu imitieren. Und auch das Kapitel zur daoistischen Sexualkunde – einen Einschub, den man ja auch von Bruce Kumar Frantzis kennt – erscheint ein wenig unpassend und für die eigentliche Aussage des Buchs eher irrelevant.

Denn andere Teile des Buchs, wie die Darstellungen zu den inneren Kampfkünsten, zur chinesischen Medizin, zur Meditation und den daoistischen und buddhistischen Verknüpfungen des Yàn Chí Gōng sind durchaus interessant, zum Thema passend und können einen absoluten Neuling dieser Thematiken gut in diese einführen. Hierbei wäre im Übrigen bei einer Neuauflage eine Bibliographie ganz nett, damit die Einsteiger auch leichter selbst weiterstudieren können.

Die Übungen, die ich während des Lesens zum Teil nachvollzogen habe sind in der Tat ziemlich wirk-sam und ich bin gespannt, wie sie sich langfristig auswirken. Albrecht selbst sagt, dass natürlich das Üben des kompletten Systems das ideale Vorgehen wäre, aber gerade die Übungen des ersten und zweiten Teils auch gut in andere Übungsfolgen integriert werden können.

Unter den entsprechenden Caveats ein ganz nutzbringendes Kampfkunstbuch, das zumindest einige neue Aspekte bei altgewohnten Übungen aufbringen kann – oder auch einen Einstieg in das klassische chinesische Kampfkunsttraining darstellen kann. Wie schon bei „Tigersturz und Ringerbücke“, gibt es auch hier ein Videolink, unter dem man sich die gesamte Übungsfolge anschauen kann (bis auf die drei „geheimen“ Übungen am Ende).


K.-G. Beck-Ewerhardy

pilger
27-10-2014, 11:29
Hallo ErSunWugkong,

vielen Dank für diese ausführliche Buchbeschreibung. Habe mir das Buch daraufhin gerade eben bestellt. Bin selbst leidenschaftlicher Praktiziernender von verschiendenen Qigong Übungen und auf dieses Buch nun sehr gespannt.

Habe bisher Qigong immer von Lehrern gelernt und einige Jahre an Erfahrung. Mals sehen, wie sich zumindest das erste Set anhand des Buches in die Praxis umsetzen lässt.

Vielleicht sieht man sich ja mal wieder - wir haben vor ca 3 oder 4 Jahren mal in Sigburg auf dem Neujahrspushen die Hände gekreuzt, mit ein paar netten Schlag- und Tritteinlagen :)

Viele Grüße

Pilger

ErSunWukong
27-10-2014, 21:57
Moin, Pilger,

uuh, nichts wird vergessen. Nein, ich erinnere mich auch noch mit Spaß an diesen Tag. Pushen ist bei mir in letzter Zeit ein wenig in den Hintergrund getreten, aber es soll wieder aufgenommen werden.

Schöne Grüße,

Klaus

pilger
28-10-2014, 15:11
Yep, bei mir ist es auch sehr in den Hintergrund gerückt...mit dem Alter kommt die Weisheit und der innere Friede oder wie war das ;) :D

Jedenfalls werde ich nach meinem Training das Buch auspacken und ein wenig schmökern!

Bis dann mal :)
Pilger