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Vollständige Version anzeigen : alte Techniken, wo man sie auf den ersten Blick nicht vermutet



Dunio
26-10-2014, 10:47
Seit ich vorhin in einem anderen Forenteil eher als Witz etwas gepostet hatte, überlege ich grad ernsthaft, ob es sich in diesem Video
9C7SEfxH9R0

um die hier (http://diglib.hab.de/show_image.php?dir=mss/83-4-aug-8f&image=00267) abgebildete Technik handeln könnte oder der Wurf eher über den Rücken hätte ausgeführt werden sollen?

Fisherman's Friend
26-10-2014, 10:57
Seit ich vorhin in einem anderen Forenteil eher als Witz etwas gepostet hatte, überlege ich grad ernsthaft, ob es sich in diesem Video
9C7SEfxH9R0

um die hier (http://diglib.hab.de/show_image.php?dir=mss/83-4-aug-8f&image=00267) abgebildete Technik handeln könnte oder der Wurf eher über den Rücken hätte ausgeführt werden sollen?

Möglich ist es. Könnte eine Version dieser Technik sein.
Das Gesicht des geworfenen hat Bände gesprochen.
Auf jeden Fall gefällt mur die Technik

Breschdleng
26-10-2014, 10:58
"[...] und wirfft Ihn zurück uber sich" das würde für mich jetzt eher für einen Wurf über den Rücken sprechen und nicht für eine Aktion vor dem Körper.

Dunio
26-10-2014, 11:10
Der Wurf über den Rücken bietet dem Geworfenen doch die Möglichkeit sich an der Hüfte des Werfers zu halten und vielleicht sogar einen Bruch anzusetzen.
Wenn man "über sich" so versteht, dass man den Oberkörper beim Wurf tief beugen soll, dass der Gegner sich nicht halten kann, würde mir da logisch erscheinen... Immerhin hat man den anderen dabei im Sichtfeld und kann ihm weiter ansetzen.

Schnueffler
26-10-2014, 11:15
Man kann einmal nach vorn slammen oder auch über seinen Rücken werfen.

Fisherman's Friend
26-10-2014, 11:16
Der Wurf über den Rücken bietet dem Geworfenen doch die Möglichkeit sich an der Hüfte des Werfers zu halten und vielleicht sogar einen Bruch anzusetzen.
Wenn man "über sich" so versteht, dass man den Oberkörper beim Wurf tief beugen soll, dass der Gegner sich nicht halten kann, würde mir da logisch erscheinen... Immerhin hat man den anderen dabei im Sichtfeld und kann ihm weiter ansetzen.

Es kann auch ein Schutz für den Werfenden sein: klammert sich der Geworfene an die Hüften des Werfenden und fällt dieser, resultierend aus Beschleunigung und Gewichtsverlagerung, nach hinten, hat der Werfende den Geworfenen als "Matte" unter sich. Der Geworfene verschlimmert seine Lage, egal was er probiert.
Das ist nur eine von vielen Sichtweisen und Möglichkeiten.

Dunio
26-10-2014, 11:28
Meine erste Interpretation war ja auch der Wurf nach hinten - aber bei weiteren Überlegungen scheint mir das nach vorn mehr Sinn zu machen - der Geworfene, so er sich denn hält, landet im für ihn idealsten Fall auf den Füßen und kann eine Menge Energie abfangen - der Werfer landet schlimmstenfalls mit der Wirbelsäule auf dem Kopf des Gegners.
Bei dem Wurf nach vorn zerschlägt es dem anderen halt eher die Knie oder wie gesehen die Sprunggelenke...

Dunio
26-10-2014, 11:31
Man kann einmal nach vorn slammen oder auch über seinen Rücken werfen.

Es geht ja nicht um die Möglichkeiten, die man hat - eher darum, wie es damals wohl gemeint wurde...

period
26-10-2014, 11:35
Ringerisch betrachtet eine ganz andere Technik meiner Meinung nach. In dem Video sieht man eine Variante des verkehrten Aushebers oder reverse lift im Stand (aufgrund des erfolgreichsten Vertreters gelegentlich aus als "Karelin" bezeichnet) - zu erkennen daran, das der Kopf des Geworfenen zu den Füßen des Ausführenden zeigt - gefolgt von einem Slam statt dem üblichen Wurf nach seitlich hinten über die Brücke. Eine Variante des verkehrten Hebers (ähnlich dem ursprünglichen Sukui Nage) findet sich tatsächlich auch in den historischen Quellen, nämlich bei Talhoffer 1469. Dabei greift man aber aus seitlicher Stellung vorne und hinten um beide Beine und hebt aus. Wenn ich mich recht entsinne ist der Kommentar "ein verkehrtes Ringen - ist aber schwer zu heben."

In dem verlinkten Dokument sieht man dagegen eine Variante des Doppelbeinangriffs, bei dem der Kopf des Ausführenden entweder zwischen die Beine oder seitlich an die Hüfte des Geworfenen geführt wird; dieser wird anschließend ausgehoben und nach hinten abgeworfen. Interessant finde ich dabei der Griff an beiden Hosenbeinen, was eine Verbindung zum "Hosenrecken" herstellt, einer meines Wissens im Alpenraum verbreiteten altertümlichen Variante des Gürtelringens, bei dem die abgebildete Technik ziemlich häufig vorgekommen sein soll.

Um den Unterschied nochmal zu verdeutlichen: beim verkehrten Heber steht der Ausführende höher als der Geworfene, umfasst ihn aus abgebeugter Position vom Rücken her um den Rumpf und hebt dann durch Hüftstreckung und Armzug aus. Beim abgebildeten Doppelbeinangriff muss man unter den Schwerpunkt des Gegners abtauchen, ihn auf die Schultern laden und dann durch Bein- und Hüfstreckung ausheben.

Um ehrlich zu sein würde ich bei dem Video eher auf Pro Wrestling als Quelle tippen...

Beste Grüße
Period.

Breschdleng
26-10-2014, 11:43
"Wan sich der ander mit denn Armen hoch in die hohe gebt setzt man Ihm den Kopf fürs Gemechte und ergreifft Ihn bei den Schenkeln und wirfft Ihn zurück über sich."
Mal der ganze Begleittext.
Wenn man Auerswalds Fechtbuch zum vergleich mit hinzu nimmt lässt die Zeichnung durchaus den Schluss zu dass der wurf über den Rücken beabsichtigt ist und man vorher weit in die Knie geht und mit der eigenen Schulter unter der Hüfte des Angreifers endet.
File:Albrecht Duerer's Fechtbuch.pdf - Wiktenauer - Insquequo omnes gratuiti sint (http://wiktenauer.com/index.php?title=File:Albrecht_Duerer%27s_Fechtbuch .pdf&page=25) Nummer 45

Edit: Ich kann mich da period nur anschließen. Was muss das Quellensuchen auch immer so lange dauern :)

gast
26-10-2014, 11:52
In dem verlinkten Dokument sieht man dagegen eine Variante des Doppelbeinangriffs, bei dem der Kopf des Ausführenden entweder zwischen die Beine oder seitlich an die Hüfte des Geworfenen geführt wird; dieser wird anschließend ausgehoben und nach hinten abgeworfen. Interessant finde ich dabei der Griff an beiden Hosenbeinen, was eine Verbindung zum "Hosenrecken" herstellt, einer meines Wissens im Alpenraum verbreiteten altertümlichen Variante des Gürtelringens, bei dem die abgebildete Technik ziemlich häufig vorgekommen sein soll.
Jup, das dürfte wohl ein Heben aus dem Einbrechen (Double Leg) sein. Wird ganz häufig auch als Widerbruch beschrieben, falls die erste Technik nicht klappt, wechselt man die quasi die Richtung und wirft nach hinten aus.

Wobei ich das Greifen in die Hose einfach ganz simpel als gute Griffart sehen würde und nicht unbedingt als irgendeine Tradition. ;)


"ein verkehrtes Ringen - ist aber schwer zu heben.
Der Karelin sah ja nicht umsonst so aus, wie er aussah....:D



(Übrigens: starkes Buch! :halbyeaha )



Der Wurf über den Rücken bietet dem Geworfenen doch die Möglichkeit sich an der Hüfte des Werfers zu halten und vielleicht sogar einen Bruch anzusetzen.
Bei langsamer oder vielleicht hakeliger Ausführung (oder muss die Intention frühzeitig erkennen) kann da ein athletischer Ringer durchaus noch was machen.
Wenn man aber sauber und schwungvoll die Beine übern Rücken werfen kann, hält man da nicht viel.

Dunio
26-10-2014, 11:55
Ringerisch betrachtet eine ganz andere Technik meiner Meinung nach....

In dem verlinkten Dokument sieht man dagegen eine Variante des Doppelbeinangriffs, bei dem der Kopf des Ausführenden entweder zwischen die Beine oder seitlich an die Hüfte des Geworfenen geführt wird...
.
.

Wie konnte ich das nur übersehen?
Stimmt wohl, dass der Link die andere Seitenansicht der Tafel 206 sein könnte, wobei ich da eher den linken Arm des Werfenden eher so um die Hüfte sehen würde, dass er ihn sich quasi "unter den Arm geklemmt" hat...
Mal schauen, ob ich zum Video doch noch die passende historische vorlage finde...

edit: oder eher Talhoffer 221 entsprechend dem Link

period
26-10-2014, 14:33
Wobei ich das Greifen in die Hose einfach ganz simpel als gute Griffart sehen würde und nicht unbedingt als irgendeine Tradition. ;)


Muss es natürlich nicht sein, kann es aber unter Umständen schon. Es scheint halt schon so zu sein, als ob das Gürtelringen die insgesamt ältere Form des Ringen darstellt und das Ringen mit Griff am Gürtel (Glima, Schwingen) oder der Kleidung speziell im bäuerlichen Kontext schon sehr lange gehalten hat. Der Beinangriff mit Ausheben auf die Schulter ist halt schon was, wofür man viel Praxis braucht, damits nicht zu kraftlastig wird, und solche Techniken kommen häufig schon „fertig“ aus anderen Ringkampfsystemen – so wie sich das Judo verändert hat, als damals in den 1960ern die Russen in der internationalen Wettkampfszene aufgetaucht sind.
Die Quelle speziell zum Hosenrecken ist übrigens Ilka Peter, Das Ranggeln im Pinzgau und verwandte Kampfformen in anderen Alpenländern. In: Schriftenreihe der Salzburger Heimatpflege. Band 3 (Salzburg 1981) 21-22; 121-134. Wobei auf S. 131 genau das verlinkte Stück 45 von Dürer als Beispiel für das Hosenrecken gelistet wird... war also wenn nicht nur meine Interpretation ;)



Der Karelin sah ja nicht umsonst so aus, wie er aussah....:D


Oh ja :D Man sollte aber anfügen, dass der Griff in den leichten und mittleren Gewichtsklassen gar nicht so selten ist - nur im Superschwergewicht war Karelin damals so ziemlich der Einzige, der ihn hinbekommen hat.



(Übrigens: starkes Buch! :halbyeaha )


Man dankt ;)



Bei langsamer oder vielleicht hakeliger Ausführung (oder muss die Intention frühzeitig erkennen) kann da ein athletischer Ringer durchaus noch was machen.
Wenn man aber sauber und schwungvoll die Beine übern Rücken werfen kann, hält man da nicht viel.

Wenn wir jetzt vom Doppelbeinangriff sprechen, da ist die erste Wahl immer ein Sprawl. Wenn der Gegner schon weit genug gekommen ist, dass er einen ausheben könnte, dann ein Sprawlansatz + Griff über den Rücken, entweder in den Schritt (Spaltgriff), um ihn auf Konter zu überstürzen, oder aber ein Griff an den Knöchel um das Ausheben zu verhindern, wenn er tief angreift. In dem Fall wird bestenfalls ein Stillstand draus. Hat man bereits keinen Bodenkontakt mehr, kann man nur noch versuchen, die Flugbahn zu beeinflussen, hauptsächlich durch Körperdrehungen, aber auch durch ein Abfangen des Sturzes mit den Armen (was ins Auge gehen kann – Ellen-Luxation ist eine nicht seltene Verletzung bei Ringern, allerdings meist entstanden durch Abfangversuche des Suplex). Hin und wieder gibt es Ringer, die sich darauf spezialisieren, dem Werfer die Landung zu vermiesen – das bekannteste Beispiel dafür war wohl Pasquale Passarelli (Olympia-Gold 1984)... herausragende turnerische Fähigkeiten sind da aber Pflicht für (Spezialisierung auf Sprawl + Fortführung und / oder Spaltgriff ist deutlich häufiger; in dem Fall wird ein Beinangrif manchmal geradezu herausgefordert, um die eigene Kontertechnik setzen zu können). Ein Greifen um den Rücken des Werfenden ist beim Drehen in der Luft eher tunlichst zu vermeiden, denn die Technik kann verschärft werden, indem man einen Unterarm des Geworfenen nach dem Ausheben von hinten durch die eigene Achsel führt und für den Wurf abklemmt - ich hab bisher noch nie gesehen, wie jemand da wieder rausgekommen wäre.

Beste Grüße
Period.

itto_ryu
26-10-2014, 15:38
cj_DlVIH8S0

:)

Dass man insbesondere im Ringen althergebrachte Begriffe (und auch Techniken) findet, ist für sich genommen schon spannend. Im Iran finden wir diese persischen Bezeichnungen zur Technik auch in historischen Manuskripten, ebenso wie in den traditionellen Ringstilen und bis ins olympsiche Ringen wieder.

Dunio
26-10-2014, 21:15
...ist für sich genommen schon spannend...

Das ist wohl leider wahr - da fängt man an, sich mit alten Quellen zu beschäftigen und stößt auf so viele interessante Aspekte. Und dabei hat man sich eigentlich vorgenommen, erstmal einen Punkt intensiver zu betrachten und steht dabei wie in meinem Fall noch ganz am Anfang... :(