Vollständige Version anzeigen : Historische Entwicklung des Tai Chi
karate_Fan
12-12-2014, 09:16
Um den Thread, optimalen Tai Chi Unterricht nicht weiter zu stören, möchte diese Frage in einem neuen Faden nochmal neu aufrollen.
Diese Frage ist gemeint.
TC ist ja generell ein sehr spannendes Bestätigungsfeld, wobei man als Laie nur schwer den Überblick kriegen kann bei den ganzen Stilen die es da gibt, Yang Stil, und Chen Stil z.B. unterscheiden kann.
Ich hoffe ja, das ist nicht zu sehr OT, aber gibt eine TC Linie die sich mehr dem kämpferischen Tai Chi verschrieben hat, oder hängt es mehr vom Lehrer ab?
Als das die guten Lehrer quasi quer durch den Gemüsegarten zu finden sind?
Gawan war ja so freundlich mir zu antworten. Dafür möchte ich mich mal herzlich bedanken.:)
Ich würde sagen, das hängt vor allem vom Lehrer und weniger von der Linie ab. Soweit ich das mit meinem beschränkten Horizont sagen kann, ist das Taijiquan der Chen-Familie das ursprünglichste und vermutlich noch am ehesten am Kämpfen dran. Was nicht heißen soll, dass man mit einem anderen TC-Stil nicht gut kämpfen könnte.
Ich denke auch, je weiter ein Stil verbreitet ist, umso mehr geht er in tendenziell Richtung Gesundheitssport und verliert viel von den kämpferischen Aspekten. Mit echter Kampfkunst füllt man eher eine kleine Nische, und die Mehrheit derer, die sich dafür interessiert zeigt, ist tatsächlich eher an Sport/Fitness/Gesundheit/Wellness interessiert. Weil echtes Kampftraining für die Mehrheit (zu der ich mich in diesem Fall zähle) zu hart, zu anstrengend, zu zeitaufwändig und letztlich auch zu gefährlich ist (zumindest muss man gelegentlich mit Blessuren rechnen).
Wenn es in den Breitensport-Bereich geht, ist mit Kämpfen ganz schnell Schluss. Im Karate ist es auch nicht grundsätzlich anders. Obwohl Karate im Westen ursprünglich als harter Kampfsport eingeführt wurde und TC bereits in China eine Entwicklung zum Gesundheitssport durchgemacht hat, bevor es bei uns bekannt wurde.
Möchte vielleicht noch jemand etwas dazu sagen? Oder hat Gewan bereits alles gesagt was es dazu zu sagen gibt?
Naja, im Schnitt wirst du von WCTAG-Lehrern mit einiger Sicherheit das ursprünglichste und kompletteste Taichi bekommen, aber natürlich gibts überalls gute Leute. Ich bin auch der Ansicht, dass man mit jedem richtigen Taichi kampfrelevante Attribute entwickelt, zumal auch "kämpferisches" Taichi auf Säule, Seidenübungen und der Handform basiert, man also eh lange Jahre überall das selbe macht - man braucht nicht glauben, dass man im Chen Taichi seine Zeit mit Sparring und Pratzenkloppen verbringt.
Naja, im Schnitt wirst du von WCTAG-Lehrern mit einiger Sicherheit das ursprünglichste und kompletteste Taichi bekommen
Hallo Luggage
Was heißt denn für dich "ursprünglich und "komplett" etwas konkreter und genauer?
Hallo Luggage
Was heißt denn für dich "ursprünglich und "komplett" etwas konkreter und genauer?
Am besten, Du guckst Dir mal den Ausschnitt aus der Doku ca. 15 Minuten ab hier (https://www.youtube.com/watch?v=TnmPs37Otj4#t=876) an.
Der Chen-Stil ist der älteste Tai Chi-Stil, aus dem sich später die anderen (meist als Vereinfachung) entwickelt haben. Jan Silberstorff von der WCTAG, der auch in der Doku zu sehen ist, hat mehrere Jahre direkt bei der Chen-Familie in diesem Dorf gelernt. Wenn man will, kann man über die WCTAG extrem intensiv, das heißt sogar auch den ganzen Tag, jeden Tag, mit Üben verbringen. "Komplett" bedeutet, es gibt alle Formen einschließlich aller Waffenformen, sowie eben das ganze System des Chen-Stils, sowohl gesundheitsorientiert als auch als KK.
Man muß nicht so intensiv üben, wenn man nicht will, aber wenn man es will, kann man es dort.
Von dem was ich recherchieren konnte geht das Taiji von Zhang San Fengs Linienhaltern, nach Chen Xiao Guo bzw. wechselt zwischen den sich in der Nähe befinden Zhao Bao Taiji Leuten.
Später kamen Yang und die anderen Linien hinzu. Chen Stil zeigt mit der Zeit mehr und mehr einen Fokus im Shaolin Kung Fu (Taizu Chang Quan) während Yang mehr den Fokus wie Wudang hat,aber auch schon anders.
Wudang Praktizierende und andere Linien haben mit der Zeit auch ihre eigenen Taiji Versionen hervorgebracht und seit dem im Zuge der Komerzalisierung der Kulturgüter durchs Regime hat man auf Wudang auch ziehmlich deutlich allen möglichen Taiji Versionen hinzugefügt was zumindest unter Kennern zu Zweifeln an ihrer Kredibilität führt.
In China darf heute nichts mehr einen Göttlichen Ursprung haben. Im Westen würde man vielleicht denken das Läge an der Wissenschaft. So kann es nur als Legende bezeichnet werden.
Liebe Grüße,
Shin
Huangshan
14-12-2014, 08:52
shin101:
In China darf heute nichts mehr einen Göttlichen Ursprung haben. Im Westen würde man vielleicht denken das Läge an der Wissenschaft. So kann es nur als Legende bezeichnet werden.
Aus welchen Quellen hast du deine Informationen über Taijiquan?
Die Zhang San Feng,Wudang Geschichte ist eine schöne Legende mehr nicht.
Auch in Taiwan wird die Zhang San Feng Legende kritisch gesehen, hat also nichts mit der Ideologie/Politik in der VRChina zu tun.
Hier eine kurze Übersicht von einigen Stilen:
Henan Provinz:Chen-Stil (陳氏)Chen Wangting (1580–1660) ------Zhaobao Stil(趙堡) Jiang Fa (蒋法, 1574-1655) ?
Yang-Stil (楊氏) Yang Luchan (1799–1872)
Wu- oder Wu (Hao)-Stil (武氏)Wu Yuxiang (1812–1880)
Wu-Stil (吳氏)Mandschu-Hauptmann Wu Quanyou (1834–1902) und sein Sohn Wu Jianquan (1870–1942)
Sun-Stil (孫氏) Sun Fuquan/Sun Lutang (1861–1932)
Artikel:http://taipinginstitute.com/menu-styles/njqx/taiji-quan
http://www.chinafrominside.com/ma/taiji/TJQorigins.html
karate_Fan
14-12-2014, 14:46
Danke für die weiteren Antworten.
@Huangshan Danke für das Verlinken das überaus interessanten Artikels.:)
@Luggage
man braucht nicht glauben, dass man im Chen Taichi seine Zeit mit Sparring und Pratzenkloppen verbringt.
Ich persönlich habe das ja nie geglaubt, kann aber nur für mich sprechen. Ob und wie sich das kämpferische Tai Chi vom TC als Gesundheitsport unterscheidet, habe ich mich aber schon oft gefragt. Antwort habe ich auf diese Frage allerdings noch keine gefunden. Der Teufel liegt wohl im Detail. Vielleicht sind die Grundübungen die selben, und dann erst später kommt es zu mehr kämpferischen Training ? Oder vielleicht ist es auch ganz anders.. Ich weiß es nicht.. Ist auf jeden Fall eine spannende Geschichte...
Huangshan
14-12-2014, 15:41
Karate fan:
Chen Dorf und das Zhaobao Dorf beanspruchen für sich Taijiquan gegründet zu haben (Wer hat´s erfunden )?
Ja das alte Lied von Legenden,Mythen,Ausschmückungen..... :rolleyes:
Zum Kämpfen: Einige Lehrer unterrichten nur Formen, andere Anwendungen und Freikampf!
karate_Fan
14-12-2014, 16:55
Huangshan Danke für die Infos bezüglich der Trainingsmethoden.
Und ja die lieben Legenden, da bin muss ich ich wirklich besser aufpassen, das ich denen nicht dauernd zum Opfer falle.:o:o Ist bei der historischen Betrachtung der Chinesischen KK leider alles andere als einfach. Es gibt dort einfach zu viele von diesen Legenden.
T. Stoeppler
14-12-2014, 17:52
Bei den Taijiquan-Stilen, die ursprünglich vom Chen-Familiensystem stammen, ist die Historie noch halbwegs simpel. Es gibt aber auch einige Kampfkünste, die den Namen "Tai Chi" benutz(t)en, ohne etwas mit den Chens zu tun gehabt haben. Beispielsweise gibt es die Wudang-Systeme, die auch ein "Tai Chi" benutzen - einfach weil das ein gängiger kosmologischer Begriff ist.
Um das aber einzugrenzen, nimmt man aber am liebsten die Kampfkunst, die als Taijiquan bekannt wurde - und das ist im Wesentlichen das Chen-System.
Natürlich gab und gibt es da auch Anpassungsprozesse - das "alte" System zu Dorfverteidigung ist natürlich nicht mehr existent, dafür gibt es andere Schwerpunkte; wie z.B. das Taiji-Ringen, siehe hier:
https://www.youtube.com/watch?v=n1okbQD6xdA
Ganz früher war der waffenlose Kampf eher ringerisch und alles auf Distanz mit Waffen, dementsprechend ist der Schwerpunkt wenig auf Schlag- und Trittechniken zum Kampfentscheid, sondern eher zum Überbrücken und als Set-Up. Also genau wie hierzulande auch.
Es gibt mittlerweile ja auch einige Leute, die das Taijiquan als Basistraining für SanDa verwenden.
Das System selbst gibt eine Menge her, das Bodywork ist, wenns denn ernsthaft trainiert wird, auch grundsolide.
Gruss, Thomas
Ich denke Thomas hat die Sache sehr schön auf den Punkt gebracht. Der Begriff Taiji ist viel zu weitreichend, als den Chen-Stil damit als das ursprünglichste Taiji gleichzusetzen. Denn wie der Name ja schon sagt, ist der zunächst ein Familienstil, aus dem sich auch zweifelsfrei viele der heute als "Taiji" bekannten Stile entwickelt haben. Wichtig dabei finde ich aber auch hier wieder zu beachten, dass es sich sich stets um Familienstile handelt: Yang-Stil, Wu-Stil, Sun-Stil, Li-Stil usw.
Dasselbe ist meiner Meinung nach auch was die "Komplettheit" angeht. Denn ob ein Stil nur aufgrund der Menge der Formen/Waffenformen als kompletter als andere bezeichnet werden kann halte ich für sehr zweifelhaft. Dazu auch ein chinesisches Sprichwort, dass "die Waffen nur die Verlängerung der Arme sind". Man trainiert also eine formlose Grundfähigkeit, die sich dann problemlos ohne weiteres in andere Bereiche übertragen lässt. Und eben nur weil es sich um etwas Formloses, Grundlegendes handelt (eine Können, eine Fähigkeit, ein Gongfu), lässt es sich eben auch in jede Form übertragen.
Betrachtet man das PRINZIP Taiji in den KAMPFkünsten, so ist dies zunächst etwas Formloses (was sich natürlich auch in den Formen der Stile ausdrücken kann), eine Grundfertigkeit von Körperlichen Fähigkeiten, eine Art "Gongfu". Jemand der Bagua, Xingyi, Baji, Shaolin oder anderes trainiert kann genauso nach diesem Ideal des Taiji streben und diese Prinzipien verwirklichen. So verstehe ich die Taiji-Formen nicht als etwas magisches, dass man nur korrekt zu üben braucht und schon stellen sich Taiji Fähigkeiten im weiteren Sinne ein. Das hat mit der geübten Form/Choreographie finde ich nichts zu tun. Auch sind in der Philosophie die Begriffe Taiji, Fünf Wandlungsphasen (Xingyi) und Bagua durchaus im weiteren Sinne synonym zu verstehen. Allein dies macht schon deutlich, dass sich die Taiji-Stile im Prinzip von Bagua und Xingyi u.a. nicht unterscheiden sollten, obwohl sie heute durch die Choreographie verschieden sind wie Tag und Nacht.
Gruß Benjamin
Betrachtet man das PRINZIP Taiji in den KAMPFkünsten, so ist dies zunächst etwas Formloses (was sich natürlich auch in den Formen der Stile ausdrücken kann), eine Grundfertigkeit von Körperlichen Fähigkeiten, eine Art "Gongfu". Jemand der Bagua, Xingyi, Baji, Shaolin oder anderes trainiert kann genauso nach diesem Ideal des Taiji streben und diese Prinzipien verwirklichen. So verstehe ich die Taiji-Formen nicht als etwas magisches, dass man nur korrekt zu üben braucht und schon stellen sich Taiji Fähigkeiten im weiteren Sinne ein. Das hat mit der geübten Form/Choreographie finde ich nichts zu tun. Auch sind in der Philosophie die Begriffe Taiji, Fünf Wandlungsphasen (Xingyi) und Bagua durchaus im weiteren Sinne synonym zu verstehen. Allein dies macht schon deutlich, dass sich die Taiji-Stile im Prinzip von Bagua und Xingyi u.a. nicht unterscheiden sollten, obwohl sie heute durch die Choreographie verschieden sind wie Tag und Nacht.
Das ist genau der Punkt und eine sehr gute Erklärung!
karate_Fan
15-12-2014, 09:14
Thx für die weiteren Infos. Von dem Standpunkt aus, habe ich das ja noch nie betrachtet.
Da habe ich jetzt wieder viel neues über den Themenkomplex Taiji gelernt.
Möchte vielleicht noch jemand etwas dazu sagen?
Sicher gibt es noch eine ganze Menge dazu zu sagen. :)
Wenn du dich für TC oder IMA interessierst, kann ich dir das Buch von Bruce Frantzis empfehlen, das ich im anderen Thread schon genannt habe. Ich kann nicht beurteilen, ob alles korrekt ist, was er so schreibt (vermutlich nicht), aber die Grundlage der chinesischen IMA bildet das Neijing. Da geht es u.a. um solche Dinge wie Verbindungen/Zusammenschlüsse (Verbindung zwischen Ellbogen und Knie, zwischen Hand und Fuß, Schultern und Hüften) und Lösen (song).
Noch nicht einmal Chen-TC ist wirklich einheitlich. Es gibt m.W. im (verbreiteten) großen Rahmen den alten und den neuen Rahmen (Unterstile?), dann gibt es noch den (weniger verbreiteten) kleinen Rahmen. Welcher Rahmen oder welche Formen älter/originaler sind, lässt sich wahrscheinlich nicht mehr sagen. Ich gehe davon aus, dass eine TC-Form nicht unveränderlich ist und die heutigen Formen sich von denen vor 100 oder 200 Jahren unterscheiden. Wieder vergleichbar mit den Karate-Kata. ;)
karate_Fan
15-12-2014, 10:43
Gawan Danke für den Buchtipp. Da werde ich sicher zugreifen.
Kamenraida
15-12-2014, 12:43
Betrachtet man das PRINZIP Taiji in den KAMPFkünsten, so ist dies zunächst etwas Formloses (was sich natürlich auch in den Formen der Stile ausdrücken kann), eine Grundfertigkeit von Körperlichen Fähigkeiten, eine Art "Gongfu". Jemand der Bagua, Xingyi, Baji, Shaolin oder anderes trainiert kann genauso nach diesem Ideal des Taiji streben und diese Prinzipien verwirklichen. So verstehe ich die Taiji-Formen nicht als etwas magisches, dass man nur korrekt zu üben braucht und schon stellen sich Taiji Fähigkeiten im weiteren Sinne ein. Das hat mit der geübten Form/Choreographie finde ich nichts zu tun. Auch sind in der Philosophie die Begriffe Taiji, Fünf Wandlungsphasen (Xingyi) und Bagua durchaus im weiteren Sinne synonym zu verstehen. Allein dies macht schon deutlich, dass sich die Taiji-Stile im Prinzip von Bagua und Xingyi u.a. nicht unterscheiden sollten, obwohl sie heute durch die Choreographie verschieden sind wie Tag und Nacht.
Gruß Benjamin
Wie du selbst schreibst, geht es hier in deinem Post um das PRINZIP. Soweit stimme ich völlig zu, gut ausgedrückt.
Ich befürchte nur, dass das im Zusammenhang mit historischen Fragestellungen mal wieder viel zu kompliziert ist.
Soweit ich es überblicke, ist es unter KK-Historikern und auch unter Vertretern der großen Familienstile völlig unstrittig, dass das Taichi aller großen Stile auf das System der Chen-Familie zurückgeht, bei anderen höchstens noch geprägt durch Einflüsse weiterer Kampfkünste.
Ich denke, erst davor kann man legitimierweise spekulieren, über mysteriöse Mönche und andere Dörfer. Gerade in Bezug auf Wudang würde ich immer zugestehen, dass es wohl Parallelentwicklungen bei den IMA gegeben haben wird - aber das ist dann streng genommen nicht das, was man meint, wenn man über Taichi spricht, selbst wenn es so genannt wird.
Eskrima-Düsseldorf
15-12-2014, 12:59
- man braucht nicht glauben, dass man im Chen Taichi seine Zeit mit Sparring und Pratzenkloppen verbringt.
Dann wird man also auch da kein Kämpfen lernen..
Wie du selbst schreibst, geht es hier in deinem Post um das PRINZIP. Soweit stimme ich völlig zu, gut ausgedrückt.
Ich befürchte nur, dass das im Zusammenhang mit historischen Fragestellungen mal wieder viel zu kompliziert ist.
Hallo Kamenraida,
Vielleicht ist mein Post etwas aus dem Zusammenhang gefallen, aber es ging darum, dass man immer wieder unüberlegt zu einer falschen Schlussfolgerung kommt in der Diskussion um Taiji. Das wollte ich einfach mal in einen größeren Kontext stellen. Das Problem ist leider etwas komplex, da viele Ebenen immer schnell in einen Topf geschmissen werden.
Soweit ich es überblicke, ist es unter KK-Historikern und auch unter Vertretern der großen Familienstile völlig unstrittig, dass das Taichi aller großen Stile auf das System der Chen-Familie zurückgeht, bei anderen höchstens noch geprägt durch Einflüsse weiterer Kampfkünste.
Denn wie du gesagt hast sind, wenn heute in der Regel über Taiji gesprochen wird, Zweifelsohne die Stile gemeint, die auch Zweifelsfrei aus dem Chen-Stil hervorgegangen sind. Doch diese dann gleich als ursprünglichstes und komplettestes System zu bezeichnen (ich denke die Aussage geht auf J. Silbersttorf zurück, oder?) halte ich für sehr unvorsichtig und unüberlegt. Zumal es im wahrsten Sinn des Wortes wirklich Familienstile sind. Diese gleich mit dem Ursprung gleichzusetzen, nur weil historisch nichts weiter greifbar ist möchte ich schon mit einem Fragezeichen versehen.
Ich denke, erst davor kann man legitimierweise spekulieren, über mysteriöse Mönche und andere Dörfer. Gerade in Bezug auf Wudang würde ich immer zugestehen, dass es wohl Parallelentwicklungen bei den IMA gegeben haben wird - aber das ist dann streng genommen nicht das, was man meint, wenn man über Taichi spricht, selbst wenn es so genannt wird.
Ich hatte schon fast gedacht, dass bestimmt irgendwie Wudang vorgebracht wird, hatte es mir aber in meinem Kommentar doch noch verkniffen etwas darüber zu sagen. Das würde hier mit großer Sicherheit auch nur ungute Stimmung machen und den Rahmen sprengen. Nur soviel: Wudang als Ursprung und komplettestes System zu bezeichnen nur weil es viele Formen hat halte ich für genauso bedenklich wie beim Chen-Stil.
Wie gesagt wollte ich damit versuchen, die ganze Sache vielleicht mal auf verschiedenen Ebenen zu betrachten.
Eine Ebene sind die heute geläufigen Stile und Formen (vor dem plötzlichen Auftreten der Wudangwelle), die ihren Ursprung historisch Zweifelsfrei im Chen/Zhaobao Stil haben.
Doch um der Sache etwas gerechter zu werden gibt es für mich auch noch die Ebene des "Gongfu", der konkreten handwerklichen Fähigkeiten auf Grundlage von Trainings- und Bewegungsprinzipien. Denn einen Stil Taiji oder Innerlich zu nennen, nur weil er so einen Namen hat und die Fähigkeiten nur doch korrektes Nachmachen der Choreographien zu verwirklichen ist meiner Meinung nach eine sehr schwammige und mystische Angelegenheit. Und nur allzu oft kommt man im Angesicht eines reellen Kampfes oder auch nur Vollkontakt Sparrings meisten ziemlich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Es sind für mich einfach gravierende Wiedersprüche etwas "Innerlich" zu nennen, aber ständig an äußerlichen Formen und Details rumzufeilen und Stile so über äußere Choreographien zu unterscheiden. Das "Innere" ist meiner Meinung nach eben ein Gongfu, eine handwerkliche Fertigkeit, die sich JEDER äußeren Form anpassen kann; Fertigkeiten mit Kraft, Schnelligkeit, Schlagfertigkeiten und Taktik umzugehen, denen ich genauso einen "TAiji" Anstrich geben kann wie einen Bagua, Xingyi oder auch Shaolin oder Box Anstrich. Das Innere, die Fähigkeit ist nicht über die äußere Form zu definieren und lässt sich nicht auf magische Weise durch nur lang genuges üben von Choreographien verwirklichen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass das ganze Bild über chinesische Kampfkünste und vor allem der "Inneren" hier sowohl im Westen als auch in China sehr verzerrt ist, dass hier viele Vorstellungen und Sehnsüchte bedient worden sind und bedient werden, hinter deren Fassade sich aber MEISTENS (nicht immer) eine ganz andere Wirklichkeit verbirgt. Doch das will ich nur auf die Ebene von KAMPF in den traditionellen chinesischen Kampfkünsten bezogen verstanden wissen. Es soll hier keineswegs eine pauschale Abverurteilung meinerseits an diesen Künsten sein,deren ich selbst ein großer Liebhaber bin. Es haben sich in den vielen Jahren in denen ich mich mit diesen Künsten auseinandergesetzt habe ganz einfach unweigerlich Fragen aufgeworfen, denen ich heute nicht mehr aus dem Weg gehen kann, wo ich mich einfach Frage, was ist denn am Taiji wie es hier und auch in China Unterricht wird neben Namen und Choreographie denn eigentlich noch TAIJI, oder BAGUA oder XINGYI/XINYI. Denn diese Stile sind nicht zufällig zu diesen Namen gekommen.
Das ganze ist wie gesagt ein sehr komplexes Thema und man müsste sich wirklich mal die Mühe machen dieser Problematik von verschiedenen Facetten her gerecht zu werden. Ich denke ein sehr spannendes Thema und absolute Grundlagenarbeit. Bin in dieser Hinsicht immer offen für konstruktiven Austausch.
Dass dieses Thema auch nicht nur ein Problem von heute ist und "früher" in irgendeiner schönen Vergangenheit bei den alten Meistern mal ganz anderst war, zeigen uns die Beispiele Bruce Lee und noch vor ihm Wang Xiangzhai. Beide hatten sehr harsche Kritik geübt welche zu tiefen Rissen und noch heute viel Emotionen unter Kampfkünstlern führen.
Ob und wie sich das kämpferische Tai Chi vom TC als Gesundheitsport unterscheidet, habe ich mich aber schon oft gefragt. Antwort habe ich auf diese Frage allerdings noch keine gefunden. Der Teufel liegt wohl im Detail. Vielleicht sind die Grundübungen die selben, und dann erst später kommt es zu mehr kämpferischen Training ? Oder vielleicht ist es auch ganz anders..
Betrachtet man das PRINZIP Taiji in den KAMPFkünsten, so ist dies zunächst etwas Formloses ..., eine Grundfertigkeit von Körperlichen Fähigkeiten, eine Art "Gongfu". ... So verstehe ich die Taiji-Formen nicht als etwas magisches, dass man nur korrekt zu üben braucht und schon stellen sich Taiji Fähigkeiten im weiteren Sinne ein. Das hat mit der geübten Form/Choreographie finde ich nichts zu tun.
Also, ich mache einmal täglich zuhause die Yang-Form, nun schon ein paar Jahre. Das ist in erster Linie Gesundheitssport. Dennoch entwickelt es gleichzeitig körperliche Eigenschaften, die man auch für KK benötigt: Standfestigkeit, besserer Gleichgewichtssinn, etwas Kraft (die man für die Tritte braucht und bei den Tritten in der Form entwickelt), usw.. Zudem gewöhnt man sich an die Haltungen und Bewegungen, die zunächst ja recht ungewohnt sind. Wenn man in einer SV-Situation schlagen und treten wollte, wäre es nötig, solche Haltungen einzunehmen und solche (oder ähnliche) Bewegungen zu machen. Insofern, wenn man durch das Formtraining diese Bewegungen schon eingeschliffen hat, ist man im Vorteil gegenüber einem Untrainierten. Wie groß dieser Vorteil ist, also, wie gut man durch bloßes Formtraining kämpfen lernt, ist schwer zu sagen, aber einen gewissen Effekt gibt es.
Im Grunde ist es genau das Gleiche wie bei Karate-Kid (1984): Dort verlangt Mr. Miyagi "Auftragen und Polieren" (von Wachs auf alte Autos). Das ergibt zunächst keinen Sinn, doch am Ende stellt sich heraus, daß man mit den Bewegungen, die dabei gemacht werden, auch gut kämpfen kann.
Die Tai-Chi-Formen mögen für Außenstehende wie seltsame Tänze aussehen (und dazu noch so langsam!), doch nach einigem Training erkennt der Übende, daß das genau die Art von Bewegung ist, die man auch gut in einem (Faust-)Kampf einsetzen kann.
Dann wird man also auch da kein Kämpfen lernen..
Das sehe ich anders, aber das muss jeder selbst beurteilen.
Leider hatte sich der Thread hier zum Zhaobao Thread hin abgespalten, obwohl die Fragestellung sich eigentlich immer noch um die historische Seite des Taiji an sich dreht.
Jedenfalls, vielleicht mag Luggage als Senioruser und Chen-Stil Vertreter etwas dazu sagen, was er mit "ursprünglich" und "komplett" versteht….
Da ich sonst selten mit Chen Leuten zusammenkomme finde ich das schon mal Interessant, was man sonst so immer nur für sich selber denkt einfach mal offen zu diskutieren. Meine Gedanken und Meinungen sind für mich nicht endgültig und wandeln sich auch mit zunehmender Erfahrung und Austausch. Zumindest ist das was sich mir zu Beginn als Traditionelle chinesische Kampfkünste entgegengestellt hat (im Besonderen die IMA) nicht mehr unbedingt das wie ich sie heute immer mehr kennenlerne. Und vielleicht gibt es immer noch viele sehr verzerrte Vorstellungen, von denen man sich vielleicht kaum mehr lösen kann. So wie sich Verhaltensmuster immer mehr Einschleifen, schleifen sich auch Meinungen sehr hartnäckig ein. Sich gegen diese eingeschliffenen Meinungen stellend haben sich in der Geschichte auch schon einige Leute sehr unbeliebt gemacht. Meine beiden Lieblingsbeispiele sind Bruce Lee und Wang Xiangzhai.
Jedenfalls, vielleicht mag Luggage als Senioruser und Chen-Stil Vertreter etwas dazu sagen, was er mit "ursprünglich" und "komplett" versteht….
Wenn Luggage mit meiner Antwort darauf (http://www.kampfkunst-board.info/forum/f52/historische-entwicklung-tai-chi-170006/#post3297323) übereinstimmt, kann er sich auch gern auf sie beziehen.
Jedenfalls, vielleicht mag Luggage als Senioruser und Chen-Stil Vertreter etwas dazu sagen, was er mit "ursprünglich" und "komplett" versteht….
Ich bin zwar KKB- und Kampfsport-Senior, aber im Chen bin ich mit ca. 1 1/2 Jahren noch blutiger Anfänger, weswegen ich mich vornehm zurück halte. Mit komplett meine ich, dass gewusst wird, warum man was macht und der Lehrer mehr als nur eine Handform kennt - dass Taichi durchaus auch Partnerübungen und schnelle Formen kennt, weiß hierzulande kaum einer, den einen oder anderen Lehrer eingeschlossen.
wolkenhand
23-12-2014, 15:10
Hallo,
ist im Grunde weniger kompliziert als man denkt.
Der beste im Chen-Dorf war Yang Luchan, der auch genau deshalb zum Kaiserhof zitiert wurde und dort die Leibwachen ausbildete, nachdem er dort auch sein Können bewiesen hatte.
Sein bester Schüler war (Wu) Quanyou, dessen bester Schüler sein Sohn Wu Jianquan, dessen bester Schüler Ma Yuehliang und dessen bester Schüler Ma Jiangbao, der hier in Europa westliche Meisterschüler ausbildet(e).
Andere Linien sind u.U. Legenden bzw. strittig.
Ein signifikanter "Streitgrund" ist die Rolle von Jiang Fa im Chen-Dorf, wohl auch im Zhaobao-Dorf und Umgebung.
Nachdem in den 80'ern das Chendorf von der Regierung als Ursprungsort erklärt wurde , rudert man dieses Jahr wieder zurück und erklärt wohl den daoistischen Mönch Zhan Sanfeng zum Begründer des TJQ (ja... der mit der Schlange und dem Kranich).
Nach Zhan Sanfeng soll Wang Zhongyue
(sein klassisches Werk gilt als "Kernklassiker" des TJQ -in engl.: https://brennantranslation.wordpress.com/2013/05/25/the-taiji-classics/),
und danach eben Jiang Fa diese Tradition weitergeführt haben und- jetzt kommt die strittige These- wohl auch im Chendorf- Chen Chanxing trainiert haben, der wiederum Yang Luchan trainierte.
Klar, wenn man sich Filmberichte der WCTAG ansieht (....zu den Quellen... etc.) sieht die Historie schon wieder anders aus.
Insofern wünsche ich viel Spaß bei jeder persönlichen Recherche zu der ich meine o.g. auch zähle.
Nicht zu vergessen, dass ich China zwischen 1850 und heute turbulente Veränderungen, von denen man das TJQ nicht getrennt sehen kann, vor sich gingen.
Frohe Weihnachten! :D
Hey Wolkenhand,
sorry, aber das ist, denke ich, eine starke Vereinfachung.
Ich denke, dass es sehr viel mehr wichtige Meister bzw. Lehrer des Tai Chi Chuan gab und gibt.
Wer dies ist und wer wessen bester Schüler ist, führt ja immer wieder zu Streitigkeiten.
Leider gibt es hier nur wenige objektive Kriterien.
Vielleicht ist es ja spannend, einmal zu schauen, welche Meister eines Stils von Meistern eines anderen Stils als hochqualifiziert angesehen werden - muss ja nicht immer richtig sein, sagt aber doch schon etwas aus.
Gruß
Martin
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