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Vollständige Version anzeigen : Clemens Nimscholz und Ralf Schoetzau - Dolchfechten



ErSunWukong
05-01-2015, 17:17
Wieland (gebunden/2012)
ISBN 978-3-938711-51-4
192 Seiten

Auch wenn das Schwert die Waffe ist, die man rein gefühlsmäßig am Ehesten mit dem Mittelalter und der frühen Neuzeit verbindet, so ist es doch sicherlich nicht die gebräuchlichste gewesen. Zum Einen war sie ziemlich teuer – und gute Schwerter waren noch teurer – und dann wollte man etwas so langes nicht unbedingt die ganze Zeit mit sich herumtragen. Ein Dolch war das praktischer und ließ sich daneben auch gerne mal als kurzer Grillspieß oder als ein anderes Werkzeug einsetzen, was die Kosten-Nutzen-überlegung stark beeinflusst haben dürfte. Besonders in Gegenden, wo das „gemeine“ Volk keine Schwerter oder andere Waffen tragen durfte, waren dolchähnliche Werkezuge sehr gefragt und wurden auch gut gepflegt.

Wie bei jeder Waffe macht einen der bloße Besitz allerdings nicht auch zu einem Kämpfer – manche hatten das Glück, ihren Dolch ein Leben lang nur als Werkzeug benutzen zu müssen und dann eines für damalige Verhältnisse natürlichen Todes zu sterben. Wenn man dann mal zum Kriegswerk eingezogen wurde – oder in einen Gerichtskampf verwickelt wurde -, dann war es meistens ganz gut, wenn man auch kämpferische Erfahrung mit seinem „Werkzeug“ hatte, bzw. wenn man sich einen ansässigen Kampflehrer leisten konnte. Einer dieser Lehrer speziell für den Gerichtskampf ist Hans Thalhoffer gewesen, der zum Teil auch an adligen Höfen unterrichtet hat und der ein für damalige Verhältnisse geradezu biblisches Alter erreichte.

Seine Aufzeichnungen zu den verschiedenen Waffen – aber auch zu Rüstungselementen und sogar einem frühen Taucheranzug -, sind eines der umfassendsten Werke zur Kampfkunst des Mittelalters in Mitteleuropa, neben Joachim Meyers Fechtschule und der von Paulus Hector Mair. Das vorliegende Buch stützt sich in erster Linie auf Thalhoffers Werk, ergänzt dies aber auch durch Bezüge auf Elemente der beiden anderen genannten Werke. Hierbei geht es in erster Linie um das Kämpfen mit dem Scheiben- oder dem Nieren/Hodendolch mit sehr kurzer oder ohne Schneide und einer Spitze – wohl auch um das Verletzungsrisiko in Training und Freikampf so gering wie möglich zu halten. Ein- oder mehrseitig durchgeschliffene Dolche ließen sich bei vielen der hier dargestellten Techniken eher weniger verwenden, bzw. nur einmal, denn dann mangelt es einen an den Fingern um sie noch einmal zu versuchen.

Ausgehend von den nicht durchgängig beschreibenden mittelalterlichen Quellen (die Leute sollten ja einen Grund haben, den Fechtmeistern Geld zu bezahlen) haben die beiden Autoren zusammen mit einigen Freunden versucht, Bewegungsabläufe zu rekonstruieren und auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen. Die vorgelegten Serienphotographien sind die Ergebnisse dieser Bemühungen, die nach einigen Vorüberlegungen zur Überlieferungslage, zu Konventionen, Übungsdolchen und zu Meister Thalhoffer demonstriert werden.

Begonnen wird logischerweise mit den Huten, Versätzen und Stichen, direkt gefolgt von den Konterstichen. Das nächste Kapitel beschäftigt sich dann mit dem Kampf eines Unbewaffneten gegen einen Dolchträger, worauf dann Angriff –Konter-Gegenkonter-Folgen mit abschließenden Hebeln, Würfen oder auch Stichen gezeigt werden. Dabei wird jeder Photoserie eines der Bilder aus den Quellen vorangestellt, auf den sich das jeweils Folgende bezieht.

An dieser Stelle ist eine kleine Kritik angebracht, denn nicht immer scheinen sich die gezeigten Dinge logisch aus der Thalhoffer-Vorlage abzuleiten und zumindest andere, näher an der Vorlage liegende Techniken erscheinen da als zielführender. Aber das wäre im Training zu überprüfen. Allerdings ist auffällig, dass Thalhoffer sehr spezifische Ellbogenstellungen in seinen Bildern zeigt, die in den Photoserien keinen Niederschlag finden. Zumindest vom Faustkampf und dem Arbeiten mit Anderthalb- und Zweihändern her betrachtet erscheint das ein wenig irritierend, denn der Einsatz der Ellbogen in den historischen Vorlagen wirkt doch sehr dezidiert und ein Verzicht darauf sollte zumindest kommentiert werden.

Ausgehend von den drei Quellautoren werden dann allgemeine taktische Grundprinzipien betrach-tet, bevor im Anhang erfreulich hilfreiche Informationen zur Erstellung von Übungsplänen, zu Schutzkleidung und zum Bau eines Übungsdolchs für den Freikampf gegeben werden – letzteres mit sehr hilfreichen Illustrationen durch Photographien. Glossar und Danksagungen schließen das Buch ab.

Bis auf die bemängelten Ausführungen zu bestimmten – beileibe nicht zu allen – Abläufen ist dieses Buch eine hilfreiche Anleitung zum Arbeiten mit der hier vorgestellten Form des Dolchs, mit deren Hilfe sich sicherlich gut arbeiten lässt. Man beachte dabei aber, dass es sich nur auf eine bestimmte Form des Dolchs bezieht. Andere Dolche und auch Messer bedürfen zum Teil anderer Techniken und einige der hier gezeigten Techniken würden sich bei anderen Waffen eher gegen den Träger als gegen den Gegner richten. Aber im Rahmen dieser Einschränkungen wie geschrieben, ist dieses Buch sehr hilfreich.


K.-G. Beck-Ewerhardy