Vollständige Version anzeigen : Training des "post-conflict"
Willi von der Heide
14-03-2015, 15:38
Wie trainiert ihr den Bereich des sog. "post-conflict"? Regelmäßig oder nur als Teil von Seminaren?
Na ja ... Training. Das sollte in Fleisch und Blut übergegangen sein.
Was außer Erster Hilfe spielt bei euch noch eine Rolle?
Da ich Ersthelfer bin, muß ich eh regelmäßig zu den Kursen. Ich empfehle übrigens diese " Erste Hilfe Plus "-Kurse. Da lernt man noch etwas mehr.
Wie sieht euer Training konkret aus?
Nach der Beendigung der Verteidigungshandlung:
1.) Abstand zum Gegner herstellen - wenigstens zwei Armlängen. Dabei eine defensive Haltung einnehmen.
2.) schneller Blick zu den Seiten ob noch irgendwo jemand ist.
3.) Abtasten des Körpers - Hals, Oberkörper, Bauch, Leisten und Oberschenkel ( innen und außen ).
4.) Kontaktaufnahme zu evtl. Zeugen. Hierbei an die defensive Haltung denken. Die geöffneten Hände wirken weniger bedrohlich als die geballte Faust. Das kann sehr wichtig werden bei einer späteren Zeugenaussage. " Der Herr Willi hat sich nur gewehrt, angegriffen hat der andere ! "
5.) Beobachtung des Gegners. Evtl. Erste-Hilfe leisten - je nach Schwere der Verletzung.
6.) Absetzen vom Tatort - wenn keine Zeugen da sind und dann einen Hilferuf absetzten.
7.) Zuhause noch einmal gründlich untersuchen auf Verletzungen.
Nachtrag:
Sollte ich einen Messerstich am Körper feststellen, ruhig die Scheibe eines parkenden Autos einschlagen und sich den Verbandskasten nehmen. Ist in dem Fall strafrechtlich nicht relevant.
Aussagen bei der Polizei können auch hinterher noch gemacht werden. Es erleichtert die Arbeit der Kollegen aber ungemein, sie sofort zu informieren. Dafür Danke ! Wichtig ist es aber 112 zu wählen - Stichwort " Garantenpflicht ". So gibt es keine rechtlichen Probleme.
Ununoctium
14-03-2015, 16:53
Man muss im Übrigen keine Erste Hilfe leisten - als Opfer gegenüber dem Täter.
Das würde ich auch keinem empfehlen!
Das eigene Recht auf Gesundheit steht deutlich vor den Rechten des Täters – oder kurz gesagt – man muss/braucht sich durch Erste Hilfe nie selbst gefährden.
Notruf muss aber abgesetzt werden – wobei 110 bei einer Straftat meiner Meinung nach die bessere Nummer ist als 112. So wie ich das kenne informiert die Polizei dann den Rettungsdienst – ob das andersrum genau so klappt?
Ansonsten wie Will schon schreibt – dazu dass man sich selbst am besten auch einen Rettungsdienst ruft – außer man hat sicher nichts abbekommen (was wohl eher selten der Fall ist).
Dazu ist es immer gut wenn man bei Befragungen einen Rechtsbeistand hat - den zuerst hat man mal eine Körperverletzung begangen - ob dieses dann durch Notwehr abgedeckt ist, ist dann ein anderes Thema.
Also direkt keine Aussage machen - nur Personendaten angeben und später eine Aussage mit Rechtsbeistand machen.
Wir sprechen das Vorgehen regelmäßig durch – nicht in jedem Training aber min. 2-3 Mal im Monat.
Viele Grüße
Heiko
Willi von der Heide
14-03-2015, 18:29
Absolviert ihr immer volle Szenarien[/B]?
Nein ... die Übergänge sind fließend.
Bei " uns " ist es ja so, daß in der Gruppe berufliche Anwender sind. Viel Szenariotraining benötigt man da nicht. Daß kommt schon alles so in der Realität ;).
Viel mehr geht es ums sensibilisieren - Alleine das abtasten nach Messerstichen. Muß man immer wieder drauf hinweisen.
Wir arbeiten ganz gerne mit versteckten Waffen, die überraschend in einem Gerangel zum Einsatz kommen.
Willi von der Heide
14-03-2015, 18:51
Noch ein Nachtrag:
Ich beschrieb oben eine Vorgehensweise für zivile Anwender.
Ich appelliere natürlich immer daran grundsätzlich die Polizei zu verständigen.
@hardtarget
Szenariotraining machen wir praktisch in jeder Einheit. Natürlich auf unsere Belange abgestimmt und unterschiedlich umgesetzt.
Halt wie wir es so brauchen :).
Little Green Dragon
14-03-2015, 19:50
Nachtrag:
Sollte ich einen Messerstich am Körper feststellen, ruhig die Scheibe eines parkenden Autos einschlagen und sich den Verbandskasten nehmen. Ist in dem Fall strafrechtlich nicht relevant.
Der Vollständigkeit halber sollte man aber auch erwähnen, dass es zivilrechtlich durchaus relevant ist und ich u.U. den Schaden selbst bezahlen muss - nicht das jetzt jemand auf die Idee kommt dem Nachbarn die Scheibe einzuschmeißen nur weil er sich beim Gemüse schneiden verletzt hat und gerade kein Pflaster im Haus ist ;)
Willi von der Heide
14-03-2015, 22:38
Der Vollständigkeit halber sollte man aber auch erwähnen, dass es zivilrechtlich durchaus relevant ist und ich u.U. den Schaden selbst bezahlen muss - nicht das jetzt jemand auf die Idee kommt dem Nachbarn die Scheibe einzuschmeißen nur weil er sich beim Gemüse schneiden verletzt hat und gerade kein Pflaster im Haus ist ;)
Geschenkt ... wenn der so besorgte Verbandskasten dafür sorgt, daß ich nicht verblute ist mein kleinstes Problem eine defekte Scheibe.
Ununoctium
16-03-2015, 18:48
@Ununoctium: wie trainiert ihr denn für den "post-conflict"?
Wichtig das wir nicht aneinander vorbei reden.
Für uns heißt „post-conflict“ – ich bin in Sicherheit – es besteht keine direkte Gefahr mehr!
Und dann ist es eigentlich das gleiche wie nach einem Autounfall.
Wir sprechen die Dinge durch und üben kurz den Körpercheck.
1. Notruf absetzen (110 in dem Fall) oder absetzen lassen - wenn Hilfe da ist.
2. Körpercheck (der Notruf ist wichtiger – es kann gut sein das man den Körpercheck nicht fertig bekommt – also z.B. einen Kreislaufzusammenbruch erleidet – immerhin hat man meist einen Schock - oder ist vielleicht wirklich schwer verletzt).
3. Sich selbst vorsorgen – wenn das noch möglich ist – dafür sollte eigentlich jeder einen Erste Hilfe Kurs gemacht haben und immer aktuell halten.
4. Wenn man dazu in der Lage ist – Zeugen am Ort halten (verbal natürlich)
Dann auf Hilfe warten und selbst wenn man sich gut fühlt – auf jeden Fall untersuchen lassen!
Rechtlich ist es schlussendlich auch das gleiche wie bei einem Autounfall – Personendaten angeben – Rest mit Rechtsbeistand.
Wie gesagt – das Beispiel Autounfall oder auch einfach so Unfall und was man danach tut – ist fast 100% das gleiche wie nach einer Selbstverteidigungssituation. Lage sichern – Notruf - …..
Wie trainiert Ihr das denn?
Viele Grüße
Heiko
PS: Lage sichern – gehört bei uns zur jeden Übung – aber das ist eben für uns nicht „post-conflict“
Ununoctium
18-03-2015, 09:26
Momentan recht ähnlich (für uns zählt allerdings alles nach der unmittelbaren physischen Auseinandersetzung zum post-conflict), wir überlegen uns aber gerade ob und wenn ja wie wir das Training in diesem bereich verändern/vertiefen wollen.
Also was das Thema Lage sichern angeht, da macht Training absolut Sinn.
Der Rest ist wie gesagt nichts anderes als nach einem Autounfall, man muss die Leute drauf vorbereiten aber das kostet nur wenige Minuten im Monat. Und mehr Zeit würde ich da auch nicht vom normalen Training opfern. Was man machen kann, einen Erste Hilfe Kurs nur für die eigenen Schüler (also 16 Stunden). Das DRK und auch die anderen kann man hier meist nicht so teuer und auch nur für z.B. die eigene Gruppe buchen.
Viele Grüße
Heiko
@Man muss im Übrigen keine Erste Hilfe leisten - als Opfer gegenüber dem Täter.
Das halte ich für eine gefährliche Pauschalaussage.
Wenn man nicht mehr in Gefahr ist und der Angreifer nicht mehr im Stande ist, sich selbst zu helfen, ist es eine Straftat, nicht Hilfe zu leisten.
Ununoctium
29-03-2015, 23:39
@Man muss im Übrigen keine Erste Hilfe leisten - als Opfer gegenüber dem Täter.
Das halte ich für eine gefährliche Pauschalaussage.
Wenn man nicht mehr in Gefahr ist und der Angreifer nicht mehr im Stande ist, sich selbst zu helfen, ist es eine Straftat, nicht Hilfe zu leisten.
Wie ich schon geschrieben habe - man muss den Notruf wählen - aber niemand kann verlangen dass man sich in Gefahr begibt.
Zuerst steht immer der Selbstschutz - egal bei welcher Erste Hilfe.
Und man kann zum einen nie sicher sein ob der Täter nun keine Gefahr mehr ist und zum anderen steht man als Opfer auch selbst unter Schock oder ist vielleicht sogar selbst verletzt.
Wie gesagt 112 oder 110 muss sein - auch für einen selbst - aber mehr für den Täter tun... je nach Art den Angriffes... aber wenn der Täter einen ernsthaft verletzen wollte - wird er kaum die Meinung ändern und jede Möglichkeit nutzen sein Ziel zu erreichen.
Oder bist Du ernsthaft der Meinung das man jemanden der einen z.B. mit einer Waffe angegriffen hat und der einen töten wollte - dann auf einmal "vertrauen" kann das er nicht, wenn man ihm hilft, weiter angreift?
Pauschal würde ich sagen, man sollte immer den Notruf wählen 112 oder besser 110!
Alles andere liegt an extrem vielen Faktoren – wie stark war der Angriff, wie stark ist man selbst verletzt, steht man unter Schock, ist man überhaupt psychisch in der Lage dem anderen zu helfen usw…
Viele Grüße
Heiko
Yogafrog
30-03-2015, 15:23
Trainiert/ thematisiert jemand von Euch einen weiter gefassten "Post Conflict", bei dem es um die eventuellen psychologischen Folgen geht? Alles, was bisher genannt wurde spielt sich ja in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe des eigentlichen Angriffs ab.
Ich denke hier an Schuldgefühle (ja, das soll es geben, nicht alle haben "better judged by 12 than carried by 6" auf Brust und Rücken tätowiert und leben in der unerschütterlichen Sicherheit, nur das Notwendige getan zu haben), Zweifel, Angst vor Rache etc., etc..
Um es gleich vorweg zu sagen, bei uns wird das im normalen Training nicht thematisiert, zu einem umfassenden Umgang mit dem Komplex Selbstverteidigung würde es meiner Meinung nach aber dazugehören. Die Frage ist halt auch immer, wie viel Zeit des wöchentlichen Trainings man wofür benutzen möchte.
Ununoctium
30-03-2015, 15:52
Trainiert/ thematisiert jemand von Euch einen weiter gefassten "Post Conflict", bei dem es um die eventuellen psychologischen Folgen geht?
JaNein – nicht direkt über die psychologischen Folgen. Sondern über das richtige Mindset zu der Notwehrhandlung. Dadurch werden die psychologischen Folgen auf jeden Fall gemildert oder kommen kaum auf.
Wobei es meiner Meinung nach eher für einen Menschen spricht – wenn er sich nicht gut fühlt wenn er jemanden Schaden zufügen musste – darüber sprechen wir auch.
Aber ganz klar – die psychologischen Folgen sind extrem individuell und gehören zuerst mal nicht in den Gruppenunterricht. Einige meiner Schüler mussten sich leider schon wehren und mit allen habe ich dazu Gespräche geführt, zuerst einzeln und dann auch (wenn sie das wollten) vor der Gruppe – für die Gruppe das die Gruppe aus den Erfahrungen profitieren kann.
Alles darüber und wenn jemand echte Probleme mit sich und seinen Handlungen hat – muss über professionelle Hilfe geschehen.
Da enden dann einfach die Möglichkeiten des Selbstverteidigungstrainings – genau wie man im regulären Training keinen Erste Hilfe Kurs machen wird, sondern dieses empfehlen kann oder auch selbst als Seminar veranstalten kann (mit Profis vom DRK usw.).
Viele Grüße
Heiko
Die Frage ist halt auch immer, wie viel Zeit des wöchentlichen Trainings man wofür benutzen möchte.
Da schließe ich mich Unonocticum an.
Nachdem was ich bisher hier im Forum sowie den beruflichen Hintergründen der hiesigen Mitglieder mitbekommen habe, wäre es für einen Lehrer im Bereich KS/KK/SV sinnvoll möglichst alles zu können oder einen Rat dafür zu haben.
Die Juristen empfehlen juristische Grundlagen und Verfahrensweisen zu kennen, die Mediziner empfehlen entsprechende Kurse als Sanitäter durchlaufen zu haben, die Psychologen...klar... man sollte Psychologie studiert haben usw. usf.
Realisierbar ist das wohl kaum für ein Leben, es sei denn man muss es hauptberuflich machen und hat einen Arbeitgeber der einen dafür bezahlt. Aber selbst die "Professionellen" die regelmäßig mit ernsthaften Fällen zu tun haben, kriegen oft bis selten keine entsprechende Ausbildung bzw. Fürsorge.
Auch aufgrund des zeitlichen Rahmens, was man den Schülern in seinem Unterricht mitgeben will, sind all die Dinge (alleine zeitlich) nicht unterzubringen. Man könnte ein Vollzeitstudium draus machen; bliebe dann nur wenig Zeit für die Praxis.
Ich denke, das muss jeder so gut er kann (ob Lehrer oder Schüler) mit den ihm/ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen auf eigene Hand bewältigen. Sollte der Lehrer (oder auch einer der Schüler) Mediziner/Psychologe/Jurist/o.ä. sein oder hat entsprechende enge Kontakte, hat man sicherlich einige Vorteile.
zeitvertreibi
30-03-2015, 16:43
Trainiert/ thematisiert jemand von Euch einen weiter gefassten "Post Conflict", bei dem es um die eventuellen psychologischen Folgen geht?
Ja, wird thematisiert. Es ist von vornherein klar das es eben nicht um die eine "böse" SV-Situation geht nach der dann alles sofort wieder gut ist(Gewalterfahrungen können langfristig den Alltag verändern).
Willi von der Heide
30-03-2015, 17:01
Aber selbst die "Professionellen" die regelmäßig mit ernsthaften Fällen zu tun haben, kriegen oft bis selten keine entsprechende Ausbildung bzw. Fürsorge.
Och ... auch da hat sich was getan. Ein guter Bekannter ist Feuerwehrmann, deren Betreuung ist sogar recht gut.
Wir sagen unseren Anwärtern in der Ausbildung ja schon, daß es Sachen gibt auf die wir sie nicht vorbereiten können. Jeder hat da seine Methode der Bewältigung. Wichtig ist halt sich rechtzeitig Hilfe zu suchen. Dabei wird man ja auch unterstützt.
Och ... auch da hat sich was getan. Ein guter Bekannter ist Feuerwehrmann, deren Betreuung ist sogar recht gut.
Wir sagen unseren Anwärtern in der Ausbildung ja schon, daß es Sachen gibt auf die wir sie nicht vorbereiten können. Jeder hat da seine Methode der Bewältigung. Wichtig ist halt sich rechtzeitig Hilfe zu suchen. Dabei wird man ja auch unterstützt.
Meines Wissens nach ist die Diskrepanz von Soll- und Ist-Zustand noch zu groß. Aber gut...wo ist das nicht so?! :D
Nachdem was mir so untergekommen ist könnte ich es pauschalisierend(!) festhalten mit dem Satz:
Je militärischer und spezieller die Tätigkeitsbereiche (bspw. Sonderbereiche) sind, umso mangelhafter die Versorgung bzw. Nachbereitung bzgl. psych. Belastungen.
Aber das geht zu sehr OT.
vBulletin v4.2.5, Copyright ©2000-2025, Jelsoft Enterprises Ltd.