Michael Kann
23-06-2004, 13:45
Kommentar:
Kaukasische Katastrophe
Tschetscheniens Dauertragödie und die Folgen
Bewusstes, zynisches Kalkül tschetschenischer Rebellen oder nur das zufällige Zusammentreffen eines Datums? Am gestrigen 22. Juni, als ihre Hundertschaften die Metropole Inguschetiens und einige kleinere Städte überfielen, begingen die Russen, wie jedes Jahr, offiziell den Gedenktag für den von Hitler befohlenen Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941, der bis heute das tiefste Trauma der Nation blieb.
Jedenfalls sollte die Blutnacht von Nasran der Regierung Wladimir Putins und der Öffentlichkeit erneut vor Augen führen, dass die Propaganda-These, der KaukasusKonflikt sei erfolgreich „erledigt“, nun gehe es bloß noch um vereinzelte Polizeiaktionen gegen versprengte „Terroristen“ und „Banditen“, schlicht nicht stimmt. Demonstriert wurde da, in krimineller Manier, wie falsch die Behauptungen sind, der Widerstand sei aufgerieben, ja zusammengebrochen.
Und wenn auch das übliche martialische Getöse von Amts wegen glauben machen möchte, „ein Großteil“ der flüchtigen Täter sei bei der Verfolgung ins Nirgendwo der heimatlichen Berge „vernichtet“ worden, so melden sich mittlerweile doch auch skeptischere Stimmen zu Wort. Stellvertretend für zahlreiche Bürger dämmert dem Vize-Parlamentsvorsitzenden Oleg Morosow: „Wir wiegen uns in trügerischer Sicherheit, der Krieg sei vorüber.“
Jederzeit und überall
In Wahrheit können die Aufständischen nach wie vor jederzeit und überall zuschlagen. Nahezu unbehelligt, trotz eines gewaltigen Aufgebots an Sicherheitskräften in der gesamten Krisenregion, mit starken Trupps schwer bewaffneter Kämpfer in der Nachbarrepublik des geschundenen Tschetschenien. Im noch weit schärfer „geschützten“ Herzen des russischen Riesenreiches selbst, wie die Massen-Geiselnahme durch Selbstmordattentäter in einem Musical an der Moskwa ebenso belegte wie immer neue Sprengstoffanschläge in der Metro.
Zudem zeigte schon jene Bombenexplosion im Mai, der Moskaus Marionette in Grosny, Achmed Kadyrow, zum Opfer fiel: Putins Kurs zur vermeintlichen Befriedung der kaukasischen Unruheherde ist zum Scheitern verurteilt. Das untaugliche Kreml-Konzept, der Versuch, zwecks Täuschung der darum flehentlich bittenden westlichen Freunde wenigstens den Anschein einer politischen Lösung zu wecken, ging nicht auf.
Sie hielten ein Referendum ab über eine neue Verfassung, dem die meisten Überlebenden in der verwüsteten Provinz fernblieben. Und verkündeten dann ein Traumergebnis allgemeiner Zustimmung in lichter, geradezu kommunistisch-totalitärer Höhe. Man ließ daraufhin Kadyrow zu Tschetscheniens Präsidenten küren, dem die Wahlbehörde ebenfalls ein glänzendes Resultat zusprach. Jetzt ist er tot. Nun terrorisiert sein missratener, von Putin protegierter Sohn Ramsan mit seinen Milizen die Zivilbevölkerung grausamer denn je zuvor. Überdies favorisiert Moskau einen Kandidaten des korrupten Kadyrow-Clans als Nachfolger beim Urnengang im August.
Zu viele Profiteure
Das verheißt keine Wende zum Besseren. Ohnehin wird inzwischen immer deutlicher, dass der Feldzug in Russlands südlichen, in der Zaren-Zeit unterworfenen Kolonien längst zu einem Selbstläufer wurde, der so leicht gar nicht beendet werden kann. Weil nämlich zu viele interessierte Kreise davon profitieren.
Staatliche Öl-Förderung und strategisch wichtige Pipelines auf der einen Seite, illegale Ausbeutung des schwarzen Goldes auf der andern durch russische wie einheimische Mafia-Firmen, abkassierende Militärs und ihre raubenden, vergewaltigenden, folternden und tötenden Soldaten, versickerte Milliardensummen an Wiederaufbaugeldern - skrupellosen Kriegsgewinnlern geht es da um alles andere als ein gedeihlich blühendes Gemeinwesen.
Düstere Aspekte, die in Putins „Kampf gegen den Terror“ nicht vorkommen. Aber islamistische Extremisten, das wissen wir aus den Erfahrungen vom Nahen Osten bis zum Irak, nisten sich dort ein, wo sie Nährboden für ihre hasserfüllten, mörderischen Umtriebe vorfinden.
CHRISTIAN S. KREBS
Kaukasische Katastrophe
Tschetscheniens Dauertragödie und die Folgen
Bewusstes, zynisches Kalkül tschetschenischer Rebellen oder nur das zufällige Zusammentreffen eines Datums? Am gestrigen 22. Juni, als ihre Hundertschaften die Metropole Inguschetiens und einige kleinere Städte überfielen, begingen die Russen, wie jedes Jahr, offiziell den Gedenktag für den von Hitler befohlenen Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941, der bis heute das tiefste Trauma der Nation blieb.
Jedenfalls sollte die Blutnacht von Nasran der Regierung Wladimir Putins und der Öffentlichkeit erneut vor Augen führen, dass die Propaganda-These, der KaukasusKonflikt sei erfolgreich „erledigt“, nun gehe es bloß noch um vereinzelte Polizeiaktionen gegen versprengte „Terroristen“ und „Banditen“, schlicht nicht stimmt. Demonstriert wurde da, in krimineller Manier, wie falsch die Behauptungen sind, der Widerstand sei aufgerieben, ja zusammengebrochen.
Und wenn auch das übliche martialische Getöse von Amts wegen glauben machen möchte, „ein Großteil“ der flüchtigen Täter sei bei der Verfolgung ins Nirgendwo der heimatlichen Berge „vernichtet“ worden, so melden sich mittlerweile doch auch skeptischere Stimmen zu Wort. Stellvertretend für zahlreiche Bürger dämmert dem Vize-Parlamentsvorsitzenden Oleg Morosow: „Wir wiegen uns in trügerischer Sicherheit, der Krieg sei vorüber.“
Jederzeit und überall
In Wahrheit können die Aufständischen nach wie vor jederzeit und überall zuschlagen. Nahezu unbehelligt, trotz eines gewaltigen Aufgebots an Sicherheitskräften in der gesamten Krisenregion, mit starken Trupps schwer bewaffneter Kämpfer in der Nachbarrepublik des geschundenen Tschetschenien. Im noch weit schärfer „geschützten“ Herzen des russischen Riesenreiches selbst, wie die Massen-Geiselnahme durch Selbstmordattentäter in einem Musical an der Moskwa ebenso belegte wie immer neue Sprengstoffanschläge in der Metro.
Zudem zeigte schon jene Bombenexplosion im Mai, der Moskaus Marionette in Grosny, Achmed Kadyrow, zum Opfer fiel: Putins Kurs zur vermeintlichen Befriedung der kaukasischen Unruheherde ist zum Scheitern verurteilt. Das untaugliche Kreml-Konzept, der Versuch, zwecks Täuschung der darum flehentlich bittenden westlichen Freunde wenigstens den Anschein einer politischen Lösung zu wecken, ging nicht auf.
Sie hielten ein Referendum ab über eine neue Verfassung, dem die meisten Überlebenden in der verwüsteten Provinz fernblieben. Und verkündeten dann ein Traumergebnis allgemeiner Zustimmung in lichter, geradezu kommunistisch-totalitärer Höhe. Man ließ daraufhin Kadyrow zu Tschetscheniens Präsidenten küren, dem die Wahlbehörde ebenfalls ein glänzendes Resultat zusprach. Jetzt ist er tot. Nun terrorisiert sein missratener, von Putin protegierter Sohn Ramsan mit seinen Milizen die Zivilbevölkerung grausamer denn je zuvor. Überdies favorisiert Moskau einen Kandidaten des korrupten Kadyrow-Clans als Nachfolger beim Urnengang im August.
Zu viele Profiteure
Das verheißt keine Wende zum Besseren. Ohnehin wird inzwischen immer deutlicher, dass der Feldzug in Russlands südlichen, in der Zaren-Zeit unterworfenen Kolonien längst zu einem Selbstläufer wurde, der so leicht gar nicht beendet werden kann. Weil nämlich zu viele interessierte Kreise davon profitieren.
Staatliche Öl-Förderung und strategisch wichtige Pipelines auf der einen Seite, illegale Ausbeutung des schwarzen Goldes auf der andern durch russische wie einheimische Mafia-Firmen, abkassierende Militärs und ihre raubenden, vergewaltigenden, folternden und tötenden Soldaten, versickerte Milliardensummen an Wiederaufbaugeldern - skrupellosen Kriegsgewinnlern geht es da um alles andere als ein gedeihlich blühendes Gemeinwesen.
Düstere Aspekte, die in Putins „Kampf gegen den Terror“ nicht vorkommen. Aber islamistische Extremisten, das wissen wir aus den Erfahrungen vom Nahen Osten bis zum Irak, nisten sich dort ein, wo sie Nährboden für ihre hasserfüllten, mörderischen Umtriebe vorfinden.
CHRISTIAN S. KREBS