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Vollständige Version anzeigen : Das Erbe der Mächtigen und Reichen ... Erbe des Kolonialismus



Michael Kann
01-07-2004, 11:09
Unter den weißen, zum Teil deutschstämmigen Farmern in Namibia macht sich Unruhe breit. Die ersten von ihnen sollen enteignet werden. Schlägt Präsident Nujoma denselben Weg ein wie sein simbabwischer Freund Mugabe?

Die Farmer sehen sich als Bauernopfer - nicht nur im wörtlichen Sinne. Die Angst vor der Enteignungen wächst!

Am Anfang war ein Gänslein. Der Vogel wurde - vermutlich durch die Unachtsamkeit eines Angestellten - auf der namibischen Farm Ongombo West in einer Tür eingeklemmt. Die Gans war tot, der Streit vom Zaun gebrochen. Am Ende mussten sechs Arbeiter mit ihren Familien die Farm verlassen, schließlich kam es regelmäßig zu Demonstrationen vor dem Hof der deutschstämmigen Farmerfamilie Wiese.

Der Arbeitskonflikt erregte im ganzen Land Aufsehen. Ein Gericht beschäftigte sich mit der Sache und gab den Klägern Recht: Die Arbeiter mussten wieder eingestellt werden. Doch dabei blieb es nicht. Im Mai erhielt Hilde Wiese, die zusammen mit ihrem 32-jährigen Sohn die Farm betreibt, einen Brief aus Windhuk. Unmissverständlich wurde sie darin aufgefordert, ihre 4.000 Hektar große Farm binnen zwei Wochen gegen eine angemessene Entschädigung der Regierung zu überlassen, andernfalls stehe ihrer Familie die Enteignung bevor. Gleichzeitig bekamen 14 weitere weiße Bauern ein ähnliches Schreiben, rund zehn folgten seither. Rassismus?!

Erinnerungen an Simbabwe werden wach. Schließlich beruhte die Landreform in Namibia bislang stets auf Freiwilligkeit. Farmer befürchten nun, dass Namibias Präsident Sam Nujoma mit der neuen Politik allzu sehr seinem Amtskollegen aus Simbabwe, Robert Mugabe, nacheifern könnte. Schließlich gilt Nujoma als einer der glühendsten Verehrer des simbabwischen Machthabers, der den gewaltsamen Vertreibungen von weißen Farmern in seinem Land massiv Vorschub leistete.

"Das Beispiel Simbabwe ist natürlich immer die Kulisse", sagt Eberhard Hofmann, bis vor wenigen Wochen Chefredakteur der deutschsprachigen "Allgemeinen Zeitung" in Windhuk. In dem Land im Südosten Afrikas begannen die Behörden auf Mugabes Anweisung im Jahr 2000 damit, weißes Farmland zu enteignen - und verursachten damit einen Kollaps der Landwirtschaft und den Verlust von Zehntausenden von Jobs.

Droht den rund 4.500 weißen Farmern in Namibia nun ein ähnliches Schicksal?

Zumindest kurzfristig sei das wenig wahrscheinlich, glauben Beobachter. Aber Journalist Hofmann warnt: "Man kann Leute aufhetzen. Wenn die Regierung sich jetzt gehen lässt..."

In der Tat stellen die neuen Drohgebärden aus Windhuk eine Abkehr von der bisherigen Regierungspolitik dar. Denn trotz aller Verehrung für Mugabe war Nujoma bislang "zu clever, um Enteignungen als politische Linie aufzunehmen", sagt Heribert Weiland vom Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung in Freiburg. Daher habe Nujoma in der Landfrage bisher einen sehr pragmatischen Kurs gefahren. "Aber jetzt ist der Funke übergesprungen."

Hinter der zunächst zurückhaltenden Landpolitik Nujomas dürfte auch die Erkenntnis stehen, dass die Landreform, an der die Regierung der South West African People's Organisation (Swapo) bereits seit der Unabhängigkeit 1990 herumlaboriert, ökonomisch weitgehend irrelevant ist. Landwirtschaft ist kein lohnendes Geschäft in Namibia. Nur vier Prozent des Landes sind ähnlich fruchtbar wie die Böden in Simbabwe, erklärt der Namibia-Experte. Rund die Hälfte ist landwirtschaftlich überhaupt nicht zu nutzen. Der Rest eignet sich gerade einmal zur Viehzucht. Und selbst dann benötigt der Farmer noch etwa 20 Hektar pro Rind. Die weißen Farmer in Namibia wirtschaften unter dementsprechend harten Bedingungen.

In der Vergangenheit ging der Prozess der Farmübergaben sehr gemächlich vor sich. Etwa 70 Prozent des Landes, das der Regierung zum Kauf angeboten wurde, lehnte diese selbst ab - weil es ihr zu unattraktiv erschien. Seit 1995 wurden gerade einmal elf Prozent der Farmen in weißem Eigentum an Schwarze übergeben. Viele dieser Farmen gingen direkt an reiche Schwarze über, etwa an Regierungsmitglieder, die aus Prestigegründen ein Stück Land besitzen wollten, dieses aber nur in der Freizeit nutzen und ansonsten einem Verwalter überlassen.

Ein großer Teil des von der Regierung aufgekauften, zerschlagenen und an schwarze Kleinbauern weitergegebenen Farmlandes dagegen, schimpfen Kritiker, sei für die Landwirtschaft kaum brauchbar und liegt daher brach.

"Rein wirtschaftlich wird die Landreform in Namibia nichts bringen", sagt Weiland. "Aber das spielt in der ganzen Diskussion auch überhaupt keine Rolle." Stattdessen geht es ausschließlich um Politik. Das Erbe des Kolonialismus ist in Namibia unübersehbar: Weiße machen heute gerade einmal sechs Prozent der 1,6 Millionen Namibier aus, besitzen aber mehr als die Hälfte des kommerziellen Farmlandes. Ende des 19. Jahrhundert war das Land von Deutschland kolonialisiert worden, das damals im Chor der imperialistischen Mächte ebenfalls einen "Platz an der Sonne" begehrte; bis 1990 lebten die Namibier dann unter der Herrschaft des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Den größten Teil der Weißen stellen Buren und Deutsche.

Die Farmer machen zwar nur einen geringen Prozentsatz der weißen Bevölkerung aus und sind bestimmt nicht die Reichsten von ihnen, aber Landbesitz ist eine symbolische Frage. Bislang wurden Forderungen nach einer "Namibianisierung" vornehmlich bei einer Minderheit der Swapo laut. Doch die Landfrage scheint sich vorzüglich zur politischen Instrumentalisierung zu eignen. Inzwischen wird auch der Tonfall der Regierung merklich schärfer. Die Wieses, sagte etwa Nujoma jüngst in der Öffentlichkeit, seien Kriminelle, denen das Handwerk gelegt werden müsse. "Manche dieser Weißen führen sich auf, als seien sie von Holland oder Deutschland mit ihrem Land im Gepäck gekommen." Sie seien Neokolonialisten, die Namibia "nach imperialistischem Muster erneut besetzen" wollten.

Die Farmer sehen das naturgemäß etwas anders. Sie betrachten sich selbst als Namibier; sie haben ihr Leben lang auf ihren Farmen gelebt, die sich zum Teil seit über hundert Jahren im Familienbesitz befinden. Dass Farmer, die hauptsächlich im Ausland leben oder die ihre Farm nicht bewirtschaften, enteignet werden, dagegen hat auch der kommerzielle Farmerverband Namibia Agricultural Union (NAU) nichts.

Doch was die Farmer sauer macht, ist die Willkür, mit der die Regierung plötzlich vorgeht. Sie wollen Klarheit gewinnen, nach welchen Kriterien künftig enteignet werden soll. NAU-Präsident Jan de Wet klagt: "80 Prozent der Farmerschaft ist verunsichert und baut ihre Betriebe nicht mehr aus. Sie halten nicht einmal ihre Infrastruktur in Stand."

Die "Allgemeine Zeitung" hat bereits in Windhuk Auswirkungen ausgemacht: So musste eine Ladenkette für Farmzubehör nach enormen Umsatzeinbußen etliche Filialen schließen und Personal entlassen. Der deutsche Industrielle Wilfried Pabst, einer der Aktivsten in der Region, stoppte nach den jüngsten Äußerungen Nujomas sämtliche Investitionen in Namibia. Auch besorgte Anfragen von Jagdtouristen habe es bereits gegeben. De Wet ist sich sicher: "Wenn nicht gehandelt wird, dann ist eine Situation wie in Simbabwe unausweichlich."

Die Behörden freilich betonen, sie handelten nur nach den Buchstaben des Gesetzes. Das Landreformgesetz von 1995 sehe immerhin eine anständige Entschädigung für die Farmer vor. Außerdem könnten sie Berufung gegen die Entscheidung einlegen. In der Tat unterscheidet sich die Situation noch sehr von der in Simbabwe. Anders als das Mugabe-Regime haben Nujomas Leute bisher stets Verfassung und Gerichtsentscheidungen geachtet. Demonstrationen auf Farmgelände löste die Polizei auf.

Für Hofmann ist das Ganze ein Ablenkungsmanöver. Die Farmer, die nun enteignet würden, seien Bauernopfer. Mit ihrer Einschüchterungspolitik wolle die Regierung nur die Aufmerksamkeit von den drängendsten Problemen des Landes lenken: Armut, Arbeitslosigkeit und Aids. Indem er die Enteignungen nun forciert, sagen Kritiker, will Hifikepunye Pohamba, der Kandidat der Swapo und wahrscheinliche Nachfolger Nujomas bei der Bevölkerungsmehrheit punkten. Schließlich stehen im November Präsidentschaftswahlen an. Es lebe die Politik!