Vollständige Version anzeigen : Iaido ohne Happy End
Chondropython
18-07-2016, 21:58
Um mal ein wenig kitschig zu werden. In "The Last Samurai" erklärt Katsumoto mal diese Suche nach der perfekten Kirschblüte, mit der man sein ganzes Leben verbringen könne. "Und es wäre kein verschwendetes Leben!"
Trotz langen Jahren und Geduld geht es mir im Iaido genauso. Ich erreiche keinen Grad der Perfektion. Bei keiner Kata. Es ist nie perfekt. Es ist nie so gut, dass ich danach kurz innehalte und befriedigt wäre. Nein, es ist immer etwas das mich stört. Chiburi mit falschem Winkel beendet, Fuß im falschen Winkel, Schnitt unsauber, Blick in falsche Richtung,... Irgendwas fehlt immer.
Beim JJ oder beim Judo, BJJ, Karate... Überall hatte ich schon Momente in denen ich mich innerlich gelobt habe und dachte "das war nicht schlecht! Der hat gepasst!"
In der Musik gibt es etwas das man den Flow nennt. Man spielt vor sich hin z.b. Am Klavier und singt dazu und plötzlich ist es nicht mehr nötig nachzudenken. Die Finger spielen, der Mund singt und man schwebt ein bisschen außerhalb und hört sich selbst zu. Man muss sich kurz nicht mehr konzentrieren und auf Fehler achten... Es ist (kurzzeitig) perfekt.
Gibt es den Flow im Iaido nicht? Oder bin ich zu schlecht, zu verkrampft, "zu viel Bedenken"...? Oder geht es vielleicht gerade darum beim Iaido? "Es wäre kein verschwendetes Leben..."
Billy die Kampfkugel
18-07-2016, 22:05
Das Perfekte ist der Feind des Guten. Das Perfekte ist göttlich, also haben Künstler zu früheren Zeiten extra einen Fehler in ihre Werke gemacht. Es ist üblich in Italien, dass die Gastgeberin als erste einen Fleck in die Tischdecke macht.
Also baue absichtlich einen Fehler in die Kata ein, den vielleicht nur du bemerkst, dann wird der Rest perfekt sein.
Gibt es den Flow im Iaido nicht?
Das Problem im Iai ist da man keinen realen Partner hat und so leicht die Konzentration zu stark auf sich selbst richtet.
Wie oft trainierst du Kumitachi?
Vielleicht würde das helfen ein klareres Bild von Kaso Teki zu bekommen.
Chondropython
18-07-2016, 22:18
Das mit der Tischdecke ist ja geil! :D
Ich versuche mal einen Fehler einzubauen. Auch wenn sich mir bei dem Gedanken gerade die Zehennägel aufrollen... Danke für den Tipp!
Kumitachi mache ich selten, da ich meistens alleine Zuhause Iaido mache. Im Dojo alle paar Wochen. Das könnte natürlich auch ein Problem sein, das Wesentliche nicht mehr so richtig vor Augen zu haben!
FireFlea
18-07-2016, 22:44
Also ich finde es ja schon ein Erfolgserlebnis, den Hakama richtig zu binden. :D
Das moderne Iaidô ist natürlich auch darauf ausgerichtet, dass man kaum je "perfekt" werden kann. Die Lehrer ändern und verändern die Kata in so grossem Masse und in immer kürzeren Abständen, dass man kaum mal etwas richtig machen kann. Beim nächsten Lehrgang ist vieles schon wieder "falsch".
Das moderne Iaidô ist natürlich auch darauf ausgerichtet, dass man kaum je "perfekt" werden kann. Die Lehrer ändern und verändern die Kata in so grossem Masse und in immer kürzeren Abständen, dass man kaum mal etwas richtig machen kann. Beim nächsten Lehrgang ist vieles schon wieder "falsch".
Sind die Kata dann wirklich "falsch" oder warden die Bewegungen nur anders ausgeführt aus Gründen von xyz?
Falsch hiesse ja das es eine Entwicklung gibt die auch aufzeigt WARUM etwas jetzt richtig ist und warum das "alte" nun falsch ist. Interessiert mich zu wissen.
Gleiches kenne ich aus dem WT von zb Martin Dragos, der immer wieder seine Abläufe änderte und seine Schuler immer wieder nachlenrnen mussten.
Trotz langen Jahren und Geduld geht es mir im Iaido genauso. Ich erreiche keinen Grad der Perfektion. Bei keiner Kata. Es ist nie perfekt. Es ist nie so gut, dass ich danach kurz innehalte und befriedigt wäre. Nein, es ist immer etwas das mich stört. Chiburi mit falschem Winkel beendet, Fuß im falschen Winkel, Schnitt unsauber, Blick in falsche Richtung,... Irgendwas fehlt immer.Diagnose: Du bist einfach zu deutsch :)
* Silverback
19-07-2016, 07:24
Um mal ein wenig kitschig zu werden. In "The Last Samurai" erklärt Katsumoto mal diese Suche nach der perfekten Kirschblüte, mit der man sein ganzes Leben verbringen könne. "Und es wäre kein verschwendetes Leben!"
...
In der Musik gibt es etwas das man den Flow nennt. Man spielt vor sich hin z.b. Am Klavier und singt dazu und plötzlich ist es nicht mehr nötig nachzudenken. Die Finger spielen, der Mund singt und man schwebt ein bisschen außerhalb und hört sich selbst zu. Man muss sich kurz nicht mehr konzentrieren und auf Fehler achten... Es ist (kurzzeitig) perfekt.
Gibt es den Flow im Iaido nicht? Oder bin ich zu schlecht, zu verkrampft, "zu viel Bedenken"...? Oder geht es vielleicht gerade darum beim Iaido? "Es wäre kein verschwendetes Leben..."
Interessanter Thread! Vom Iaido versteh ich leider nichts, vom Flow schon ein wenig. Daher mal 2 Gedanken dazu:
1. "Flow", dieser Ansatz der durch M.C. bekannt geworden ist, heisst NICHT, dass etwas/ jemand frei ist von Fehlern! Sondern nur, dass man sich in einem Zustand befindet von "Fließen". Es läuft einfach (und auch durchaus (sehr) gut) ... aber: nicht unbedingt fehlerfrei. Nur (und das ist IMHO dabei wichtig): Der Fokus liegt nicht mehr auf Fehlern (oder auf sonst irgendetwas); der Fokus liegt einfach auf dem "Einssein mit der Tätigkeit", darin aufgehen (ohne sich darüber Gedanken zu machen).
Aus meiner Zeit beim Freeclimbing kenne ich den Flow sehr gut. Es fluppt einfach - und doch bin ich mir ziemlich sicher: Wenn jemand unten gestanden und das ganze analytisch betrachtet hätte, ooops, wären ihm ne Menge Fehler aufgefallen :rolleyes:.
2. Ich kannte mal einen Trainer aus den Staaten, dessen Maxime ging wie folgt: "There's a difference between being perfect and being brillant. If you try to be perfect, you try to make everything (!) right. Hence you try to avoid mistakes (since any mistake would show you, that you ain't perfect, right). Yet, if you try to avoid mistakes, you might end up to make anything new ... or: You even might end up to make anything at all. Since everything COULD be wrong (and be not perfect). So, to be a master you might wanna be not trying to be perfect, but brillant!"
Fand ich persönlich schlüssig.
P.S. @ Katsumoto: Ich persönlich glaube auch, wie schon erwähnt, dass das Konzept "Flow" auch ein wenig kulturabhängig geprägt ist. Und wir Deutschen (ich auch) sind nun mal ein wenig analytisch geprägt. In meiner Zeit in Brasilien habe ich den "life Flow" bei ganz vielen Menschen erleben dürfen. Einfach so; bei ganz banalen, alltäglichen Dingen. 'n Unding für Deutsche (mal etwas pauschalisierend formuliert :cool:).
Ok, aber zu unserer Ehrenrettung: Manche Deutsche haben schon einen Flow ... beim Analysieren von Dingen :D.
Chondropython
19-07-2016, 07:51
Ich schätze auch das diese Suche nach Perfektion dafür sorgt dass ich in keinen befriedigenden Zustand gelange.
"zu viel Bedenken" =/= Flow
Stimmt schon @Silverback, in anderen Dingen muss es durchaus auch nicht perfekt sein... Beim rollen im Grappling habe ich schon auch ab und zu den Flow.
Vielleicht liegt das an dem unmittelbaren Erfolg durch das tappen? Ich arbeite mich in Position x, setz den Kimura an, der Gegner tappt. Wenn das schön flüssig läuft im Sparring, bin ich zufrieden. Auch wenn die Techniken bestimmt nicht "perfekt" waren, haben sie zum erreichen eines Ziels geführt. Aber auch die Zwischenziele sind sehr befriedigend. Wie escapes oder Sweeps. Wenns butterweich läuft und man kaum Kraft braucht um den Gegenüber zu dominieren...
Im Iaido bin ich wohl tatsächlich zu deutsch! :D
Flow und Perfektion ist für mich ein Widerspruch in sich.
In einen flow kommt man, wenn man mit der Umgebung harmoniert, sich darauf einstellt und der Situation entsprechend instinktiv seine Handlung abstimmt oder anpasst, das muss aber nicht nach formalen Kriterien Perfekt sein.
Iaido-Kata sind in allen Einzelheiten festgelegt, ähnlich wie auch im Karate, das war wohl früher auch mal etwas freier interpretierbar.
Erst wenn man den Drang nach Pefektion aufgibt, kann sich sowas wie flow einstellen, obwohl der Begriff da nicht so ganz passt, es ist eher so eine Art innere Ruhe die im Iaido zu einer guten Bewegung führt.
Ich denke was es mit der Kirschblüte auf sich hat, ist die Erkenntnis dass es keine Perfektion gibt, aber trotzdem jede Blüte einzigartig (und somit auch wieder irgendwie perfekt) ist, und man in jeder das Potential erkennen kann.
Wann ist es denn perfekt?
Wenn du deinen Meister perfekt imitierst? Dann kann es für deinen Körper nur falsch sein, weil sein Körper anders ist.
Wenn jeder Winkel auf das 10tel Grad genau ist? Dann ist es modernes Tanzen, für mich ist das innerlich tot.
Oder wenn es sich für dich wie eine natürliche Bewegung anfühlt? Vieleicht muß ja, damit es in dem Moment für dich perfekt ist dein Fuß anders stehen oder dein Blick woanders sein. Die Kata ist ja nur dadurch entstanden, dass irgendwer mal gesagt hat, so fühlt sich das jetzt für mich richtig an.
Für mich wars übrigens perfekt, als ich die Tsuka-ate schnell gemacht habe, dabei den Stich quer durch den Ärmel meines Gis gestochen habe und dann gemerkt habe, dass ich den Arm darunter nicht verletzt hatte ;) Das war ein perfekt guter Moment, einer perfekt versauten Kata.
Für das Üben des Flows mache ich die Jigen Ryu Form, die hier bei 3.31 kommt. Die besteht eigentlich nur aus Flow.
PzuRjRliWwM
* Silverback
19-07-2016, 10:09
...
... Beim rollen im Grappling habe ich schon auch ab und zu den Flow.
Vielleicht liegt das an dem unmittelbaren Erfolg durch das tappen? Ich arbeite mich in Position x, setz den Kimura an, der Gegner tappt. Wenn das schön flüssig läuft im Sparring, bin ich zufrieden.
Vielleicht noch als Ergänzung: Flow stellt sich meist dann ein, wenn man sich auf das Tun konzentriert - nicht auf das Ergebnis.
Genau diese Essenz steht ja IMHO auch schon in Deinem Satz oben: "Wenn es schön flüssig läuft...".
Ergänzung: Viele der in dem Standardwerk "Flow" von M.C. befragten Personen haben gesagt, dass sich das Ergebnis schon "irgendwie" eingestellt hat ... aber nicht das Entscheidende war.
Möglicherweise kommt daher auch der Satz (der ja auch jeglicher Perfektion entgegensteht): "Go with the flow!" Oder anders ausgedrückt: "Just be in the moment".
Sind die Kata dann wirklich "falsch" oder warden die Bewegungen nur anders ausgeführt aus Gründen von xyz?
Falsch hiesse ja das es eine Entwicklung gibt die auch aufzeigt WARUM etwas jetzt richtig ist und warum das "alte" nun falsch ist. Interessiert mich zu wissen.
Gleiches kenne ich aus dem WT von zb Martin Dragos, der immer wieder seine Abläufe änderte und seine Schuler immer wieder nachlenrnen mussten.
Also so wie ich es während meinen letzten Jahren im Iaidô erleben musste, war es tatsächlich so, dass nur das "Neue" auch richtig war. Welches dann ein Jahr später wiederum falsch war...
Und nein, im modernen Verbands-Iaidô geht es schon lange nicht mehr darum, dem Schüler eine Entwicklung aufzuzeigen.
Definition von Perfektion ist natürlich vielfältig. Der erwähnte "Flow" ist aber durchaus etwas, was man in den Koryû vorfinden kann.
Auf Iai (bzw. Battô) bezogen gibt es eigentlich eine sehr simple Kontrolle ob es nun "perfekt" war oder nicht: Hasuji.
Und natürlich nicht nur einmal und zufällig sondern fortwährend und gewollt. Aber ob das Hasuji nun richtig war lässt sich mit Sicherheit nur beim Tameshigiri feststellen.
Womit wir beim nächsten Problem wären: Tameshigiri ist im modernen Iaidô mehr und mehr verpönt. So wie der Gebrauch eines Shinken.
Und mit einem Iaitô kann man natürlich keine Schnitttests durchführen.
FireFlea
19-07-2016, 17:53
Also so wie ich es während meinen letzten Jahren im Iaidô erleben musste, war es tatsächlich so, dass nur das "Neue" auch richtig war. Welches dann ein Jahr später wiederum falsch war...
Und nein, im modernen Verbands-Iaidô geht es schon lange nicht mehr darum, dem Schüler eine Entwicklung aufzuzeigen.
Also bei mir wurden schon Varianten gezeigt ala Sagawa Sensei hat es so gemacht, Soejima so und auf dem letzten Lehrgang haben sie es soundso gezeigt.
In der Musik gibt es etwas das man den Flow nennt. Man spielt vor sich hin z.b. Am Klavier und singt dazu und plötzlich ist es nicht mehr nötig nachzudenken. Die Finger spielen, der Mund singt und man schwebt ein bisschen außerhalb und hört sich selbst zu. Man muss sich kurz nicht mehr konzentrieren und auf Fehler achten... Es ist (kurzzeitig) perfekt.
verfolgst du auch diesen mindsmashtyp bei youtube?
Dieses "Happy End" im Treadtitel bringt mich jedes Mal zum grinsen ... aber sei's drum. Wenn etwas perfekt wäre, warum sollte man dann noch trainieren?
Ich würde es auch so praktizieren, dass man sich ein Lehrvideo besorgt mit jemandem dessen Vorführung man als Maßstab nimmt. Das sieht man sich vorher an (!), lässt sich inspirieren (ohne "boah ich muss unbedingt ..."), und macht dann seine eigene Übung. Nur machen, wenn man "merkt" etwas war möglicherweise nicht ok, einfach weitermachen. Einfach noch mal wiederholen, immer wieder.
Nach einiger Zeit (also einmal die Woche oder so, später seltener) nimmt man sich dann nochmal auf Video auf und sieht sich das Ergebnis an. Wiederum nur ansehen, keine Kasteiung "Nein, der Winkel im Fuss ist ...". Nur sehen.
Das wiederholt man dann schlicht mehrere Monate.
Oder man macht es wie die großen Meister vor einem, man trainiert einfach so lange weiter bis man der Älteste ist und dann ist man selbst die Referenz und alles richtig was man macht. ;P
Aber wenn ich das so höre bin ich froh das wir so viel Bunkai im Iaido machen. Denn wenn mein Schnitt den Gegner da schön trifft und ich gleichzeitig von ihm nicht getroffen werde dann ist die Technik (ja, ich sehe die einzelnen Formen hier eher mit den Augen der Waza wie im Jiujitsu und nicht wie der Kata im Karate) wohl in Ordnung.
Die Kata/Waza sind strategische Leitfäden die die sagen wenn dein Gegner dies und das macht, versuche damit zu antworten. Wer im Iaido anfängt Winkel und Zentimeter zu messen macht imho etwas verkehrt.
Um mal ein wenig kitschig zu werden. In "The Last Samurai" erklärt Katsumoto mal diese Suche nach der perfekten Kirschblüte, mit der man sein ganzes Leben verbringen könne. "Und es wäre kein verschwendetes Leben!"
Trotz langen Jahren und Geduld geht es mir im Iaido genauso. Ich erreiche keinen Grad der Perfektion. Bei keiner Kata. Es ist nie perfekt. Es ist nie so gut, dass ich danach kurz innehalte und befriedigt wäre. Nein, es ist immer etwas das mich stört. Chiburi mit falschem Winkel beendet, Fuß im falschen Winkel, Schnitt unsauber, Blick in falsche Richtung,... Irgendwas fehlt immer.
Beim JJ oder beim Judo, BJJ, Karate... Überall hatte ich schon Momente in denen ich mich innerlich gelobt habe und dachte "das war nicht schlecht! Der hat gepasst!"
In der Musik gibt es etwas das man den Flow nennt. Man spielt vor sich hin z.b. Am Klavier und singt dazu und plötzlich ist es nicht mehr nötig nachzudenken. Die Finger spielen, der Mund singt und man schwebt ein bisschen außerhalb und hört sich selbst zu. Man muss sich kurz nicht mehr konzentrieren und auf Fehler achten... Es ist (kurzzeitig) perfekt.
Gibt es den Flow im Iaido nicht? Oder bin ich zu schlecht, zu verkrampft, "zu viel Bedenken"...? Oder geht es vielleicht gerade darum beim Iaido? "Es wäre kein verschwendetes Leben..."
outsider:
ich würde einfach ganz stumpf weitermachen.
und wenn es mir wirklich nicht mehr paßt, damit erstmal konsequent aufhören.
"verschwendet" ist doch so oder so gar nichts.
man hatte oder hat so oder so seine ganz eigenen momente, die nur einem selbst gehören.
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