Quellen zum Schildkampf? [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Vollständige Version anzeigen : Quellen zum Schildkampf?



Terao
21-01-2017, 11:46
Liebe Forenbewohner,
ich habe mir vor ner Weile einen Schild gebastelt, bin aber bei der Suche nach Quellen, wie man denn tatsächlich einen benutzte, bislang nicht fündig geworden. Das Einzige, was mir bekannt wäre, sind ein paar Bucklersachen und halt dieses Talhoffer-Duellschild-Ungetüm. Sogar über die Benutzung eines Umhangs gibt es mehr als über Schilde. Eigentlich doch erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Schild als die Defensivwaffe die Menschheit nun ungebrochen und weltweit seit buchstäblich Jahrtausenden, von den alten Ägyptern bis zur modernen Polizei, von Afrika bis Skandinavien, begleitet.
Kennt jemand Quellen? Zunächst mal wärs egal, ob nun in der Mitte gegriffene oder an den Arm geschnallte Schilde. Buckler sind halt klein, und das verändert sicher das Deckungs- und Angriffsverhalten erheblich im Vergleich zu einem größeren.
Und wenns tatsächlich keine Quellen gibt, woran liegt das? Und woher nehmt Ihr dann Eure Frosch-DNS? Polizei? Die dürfte ja tatsächlich praktische Erfahrung im "Schildwall" haben? Oder sind da bspw. persische Quellen ertragreich?

OliverJ
21-01-2017, 12:09
Für Schilde musst du nach Italien rüberschauen.
Such mal mit den Stichworten Rotella und Imbracciatura.

Bei den Bolognesern findest du noch die hieblastigere Anwendungen (oder auch mit Partisane) wärend du z.B. bei Capo Ferro auch noch Stücke mit einem langen Duellrapier findest.

Dunio
21-01-2017, 16:30
Leider ist mir auch nur sekundärliteratur zum Thema bekannt - die alten Meister waren wohl der Ansicht, dass es zu einfach wäre, als dass man sich groß damit beschäftigen müsste...
Für die frühen Rundschilde gibt es ein Buch in englisch, dass sich mit den Kämpfen in den isländischen Sagas beschäftigt Titel müsste ich suchen. Und Collin Richards hat eine Serie über Vikingshield veröffentlicht. - Kann Dir aber nicht sagen, ob das auf tatsächlichen Quellen beruht oder eher experimentell entwickelt wurde.
Roland von Dimicator hat schon vor einiger Zeit ein YT-Video hochgeladen - da überträgt er allgemeine Kampfprintipien auf den großen Rundschild.

panzerknacker
21-01-2017, 18:02
Dimicator/Roland Warzecha hat mit Dierk hagedorn von Hammaborg einiges in der Tube bezüglich Viking Schild.
Ansonsten macht Roland so finde ich cooles Zeug mit dem I.33 sword and buckler
https://www.youtube.com/user/warzechas
https://www.youtube.com/user/Hammaborg

gast
21-01-2017, 21:30
Viel gibt es da nicht und das meiste wurde schon gesagt.
In diesem Zusammenhang wäre noch interessant, wie sich ein Kriegsmann des 17. Jahrhunderts (Johann Jacobi Wallhausen) das römische Training mit einem eher zeitgenössischen Schild vorstellt. Frosch-DNS dürfte wohl irgendeine Form von Rapier- oder Smallswordfechten sein.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/71/Fotothek_df_tg_0002746_Kriegskunst_%5E_Ausbildung_ %5E_Kampfkunst_%5E_Schwert_%5E_Schutzschild.jpg

ThomasL
22-01-2017, 09:32
Hallo Terao,

zu Schwert- und Buckler gibt es recht viele Quellen. Zu anderen Schildtypen leider nur sehr wenige (wurde ja schon gesagt).
Was für ein Schild hast Du den gebastelt? Die Art des Griffes ist nämlich nicht ganz egal.

Roland ist auf alle Fälle eine gute Kontaktadresse, Collins Sachen sind auch gut. Wie nahe beide bei "großen Schilden" an den (kaum vorhandenen) Quellen sind, kann ich leider nicht sagen. Zumindest beim Buckler hat sich Roland sehr intensiv mit dem I33 beschäftigt.

Gruß Thomas
PS: Die Quellen die vorliegen, sind vor allem zeitgenössische Sekundärquellen (Sagen etc...).

itto_ryu
23-01-2017, 08:11
Wie schon erwähnt wurde, kann dir das Material der Bologneser zur Rotella etc. viel bringen, ebenso die experimentellen Rekonstruktionen von Roland Warzecha und Collin Richards. Ich kann dir zudem noch das Buch der Hurstwic-Gruppe empfehlen:
https://www.amazon.de/Viking-Weapons-Combat-Techniques-William/dp/1594162174/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1485158915&sr=8-3&keywords=viking+combat
Haben auch einige Einblicke auf ihrer Homepage (auch DVDs):
Hurstwic Viking Combat (http://www.hurstwic.com/)

Was noch gar nicht genannt wurde als historische Quelle, sind Highland Broadsword und Targe. Hier kannst du bei Thomas Page (1746) nachlesen und auch bisschen bei McBane (1728). Ein bisschen Hintergrund wie sich das zusammensetzt, findest du in diesem Artikel:
http://www.academyofhistoricalarts.co.uk/files/handouts/keith-farrell/Broadsword%20and%20Targe.pdf

Die ganze Quelle von Page hier: http://sawma.org.uk/files/Download/PageBroadSword.pdf

Aufbereitetes Trainingsmaterial findest du hier drin:
Broadsword Academy von Christopher Scott Thompson (Paperback) ? Lulu DE (http://www.lulu.com/shop/christopher-scott-thompson/broadsword-academy/paperback/product-21706960.html)
Und hier: https://www.amazon.de/Highland-Broadsword-Fechten-schottischen-DragonSys/dp/3925698094/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1485159202&sr=8-2&keywords=highland+broadsword

Terao
26-01-2017, 12:00
Oh, ist ja doch einiges zusammengekommen. Danke erstmal an alle! :)


Was für ein Schild hast Du den gebastelt? Die Art des Griffes ist nämlich nicht ganz egal.Natürlich so`n Wikingerteil. Basierend auf den Hurstwic-Infos. :) Gewicht und Größe kommen also ganz gut hin (die meisten gekauften sind ja doch deutlich zu klein für diesen Schildtyp).
An sich bietet sich ein sehr bewegliches Fechten mit dieser Art Griff ja an. Allerdings ist das doch erheblich kräftezehrend. Naja, für Leute, die täglich rudern, wohl eher nicht. :o
Gegen Geschosse fühlt man sich dagegen hinter dem Riesenteil schon sehr, sehr sicher.

Das Problem scheint wohl in erster Linie zu sein, dass in den Zeiten/Kulturen, in denen was andres als Buckler, Rotella & co. verwendet wurde, Fechtbücher grad nicht en vogue waren.
Was mir beim Experimentieren aufgefallen ist: Die Rückschneide eines Schwertes ist mit Schild doch um einiges wichtiger als ohne Schild. Der Schild behindert ja das Wenden der Klinge (und damit des Armes und Ellenbogens), bzw. man muss sich etwas öffnen, um wenden zu können. Mit der Rückschneide kann man quasi drumrumschlagen. Hab mich immer gefragt, wozu zweischneidig. Mit Schild ist mir das klargeworden.

itto_ryu
28-01-2017, 14:45
Natürlich so`n Wikingerteil. Basierend auf den Hurstwic-Infos. :)

Dann guck in das Buch von den Hurstwic-Typen, schau dir Roland Warzechas und Collin Richards Arbeiten an, damit bist du super bedient :)

Lowkick Loverboy
28-01-2017, 21:50
Dann guck in das Buch von den Hurstwic-Typen, schau dir Roland Warzechas und Collin Richards Arbeiten an, damit bist du super bedient :)

Hm... William Shorts (Hurstwic) Buch ist in mehrerer Hinsicht problematisch. Die direkte Ableitung von Kampftechniken aus der Sagaliteratur, wie er sie vornimmt, ist naiv und lässt sich so nicht halten. Er schreibt zwar auch kurz, dass es nötig sei, die Quellen kritisch zu hinterfragen - tut es dann aber kein bisschen. Und die technischen Umsetzung sind für trainierte Kampfkünstler zum großen Teil, äh, naja, "gewöhnungsbedürftig"...

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Rolands Ansätze sind griffig, aber auch Geschmackssache. Manche wichtigen Aspekte kommen m.M.n. deutlich zu kurz, manches finde ich zu konteranfällig. Jedenfalls steht Collin Richards ja wohl in recht scharfem Gegensatz zu ihm:

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Richards' Sachen hingegen überzeugen mich gar nicht...

Und dann gibt es ja auch noch das Buch von Antony Cummins, das ist aber wirklich unterirdisch schlecht.

Ich hab ein paar Mal Workshops unterrichtet für Schwert und Rundschild, für Reenactment-Gruppen und innerhalb unseres Systems; meine Frosch-DNA kommt, logo, aus dem PTK. Damit kann und will ich nicht behaupten, dass meine Methode "historisch authentisch" sei, aber doch praktikabel. Aber klar, andere werden das anders sehen.

Die mangelnden Quellen zum Thema sind einerseits schade, anderseits befreiend - Terao, mach doch mit dem Ding einfach, was Du willst. :D

ThomasL
29-01-2017, 09:35
Bei dem ganzen Thema muss man auch die Belastbarkeit der historischen Orginale berücksichtigen.

Zu den Saga's, die wurden auch erste eine "recht lange" Zeit später aufgeschrieben (schriftliche Fixierung, mündlich wiedergebener Erzählungen). Sie sind also vermutlich eher ein Zeugnis darüber, wie sich die Autoren einen solchen Kampf, vorgestellt haben. Allerdings basierend auf den Erfahrungen in ihrer Zeit, einer Zeit in der man noch mit Schwert und Schild kämpfte.


Die mangelnden Quellen zum Thema sind einerseits schade, anderseits befreiend
Das hängt natürlich von der Zielsetzung ab.

kanken
29-01-2017, 09:52
Thomas, hast Du zwei Schilde (oder evtl. Dein Bekannter aus dem anderen Faden)?
Wenn ja können wir ja mal ein wenig damit spielen (oder es für Deinen Bekannten als Aufhänger nehmen).

Die Techniken und Konzepte haben wir ja, nur (noch) keine Schilde zum realistischen üben. :D

Grüße

Kanken

ThomasL
29-01-2017, 09:57
Hallo Ralf,

ein Schild und einen Buckler habe ich noch. Kann ich das nächste Mal mitbringen. Ein zweites kann ich aber auch noch bauen, so grob erinnere ich mich noch wie das ging :D
Von meinem alten HF Kumpel (ich denke den meinst Du) kann ich auch noch eine zweiten Buckler ausleihen.

Große oder kleine Schilde?

Viele Grüße
Thomas

Lowkick Loverboy
29-01-2017, 10:08
Bei dem ganzen Thema muss man auch die Belastbarkeit der historischen Orginale berücksichtigen.

Zu den Saga's, die wurden auch erste eine "recht lange" Zeit später aufgeschrieben (schriftliche Fixierung, mündlich wiedergebener Erzählungen). Sie sind also vermutlich eher ein Zeugnis darüber, wie sich die Autoren einen solchen Kampf, vorgestellt haben. Allerdings basierend auf den Erfahrungen in ihrer Zeit, einer Zeit in der man noch mit Schwert und Schild kämpfte.



Die Frage nach dem Zusammenspiel von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von Erzähltradition und Imagination des einzelnen Autors ist seit Generationen ein Zankapfel der Forschung. Ansonten: Bingo. :D
Meine Doktorarbeit "Combat in Saga Literature" geht demnächst online. ;)

kanken
29-01-2017, 10:25
Große oder kleine Schilde?


Große! Am besten rund, so wie die Wickingerdinger.

Unsere Sachen sind für so etwas:

https://chinesemartialstudies.com/2013/09/30/through-a-lens-darkly-capturing-the-chinese-martial-arts-before-the-camera-1750-1850/drawing-of-a-man-with-sword-and-shield-new-york-public-library-digital-collections/

Und hier noch ein anderes Bild:

https://chinesemartialstudies.files.wordpress.com/2013/01/guangzhou-militia-2-1855-1850.jpg

Grüße

Kanken

Huangshan
29-01-2017, 11:14
Interessantes Thema.

Schilde(Timbei) werden auch im Kobudo von den Ryu Kyu Inseln/Okinawa eingesetzt.

https://www.youtube.com/watch?v=4TzWZytANno


https://www.youtube.com/watch?v=aX4sAQ6dUCQ


https://www.youtube.com/watch?v=FSC6URHdRWk


Dazu kann kanken sicherlich noch mehr sagen .

Huangshan
29-01-2017, 12:30
Natürlich wurden Schilde im Reich der Mitte in verschiedenen Grössen,Formen ,Materialien eingesetzt.


Rattan rund Schilde:
https://www.youtube.com/watch?v=jg3-bhw8VgI

https://www.youtube.com/watch?v=j3RBi0pH9U0


Speer und Schild(Historische Doku)

https://www.youtube.com/watch?v=kCJW5tXWx6o

karate_Fan
29-01-2017, 12:30
Das Thema Schilde in den CMA ist wirklich höchst interssant. Die Schilde die Kanken gepostet hat, sehen wirklich nicht schlecht aus.

Auch in Punkto HEMA könnte man da wirklich viel Forschen was die Verwendung der großen Rundschilde betrifft.

Rein praktisch gesehen finde ich aber die Verwendung von Schwert und Buckler am spannensten. Werde aber wohl nicht so schnell dazu kommen dies praktisch zu üben, da wir bei mir in der Gruppe mehr auf das Lange Schwert spezialisiert sind.

panzerknacker
29-01-2017, 12:44
Interessantes Thema.

Schilde(Timbei) werden auch im Kobudo von den Okinawa/Ryu Kyu Inseln eingesetzt.

https://www.youtube.com/watch?v=4TzWZytANno


https://www.youtube.com/watch?v=aX4sAQ6dUCQ


https://www.youtube.com/watch?v=FSC6URHdRWk


Dazu kann kanken sicherlich noch mehr sagen .

irgendwie sieht das Schild da wie ein totes Anhängsel aus, oder geht das nur mir so?
stellt sich auch die Frage, was man mit so einem Schild denn will, Duell oder Formationskampf
da gibt das dann doch erheblich Unterschiede in Größe, Form, Taktik, Technik
zumal die Hauptwaffe doch wahrscheinlich eher ein Speer als ein Schwert war, nehme ich mal an

panzerknacker
29-01-2017, 12:51
das finde ich gar nicht so abwegig, wie er das benutzt
sieht bißchen wie PTK aus, finde ich :)
ups link:
https://www.youtube.com/watch?v=-KzpTLZ_e40

itto_ryu
29-01-2017, 15:00
Ich finde, ähnlich wie mit anderen historischen Kampfweisen ohne direkte Fechtquelle, wie z.B. die Gladiatur usw. kann man in diesem Feld viel experimentieren, aber auch viel kaputt machen, wenn man es zu verkompliziert. So gesehen finde ich Ansätze in vielen Richtungen wie von Roland, Collins oder Hurstwic gut, aber ich mag auch nicht alles davon bzw. teile nicht jedes Detail, das da rekonstruiert wird. Man kann eben auf definitive Quellen zugreifen, die Schildkampf lehren, wie die schon genannten. Basierend darauf kann man nach den Grundprinzipien ruhig schon bisschen adaptieren und experimentieren auf frühere Epochen, was natürlich mit entsprechend authentischer Ausrüstung am besten geht.

Ich stimme zu, das Buch von Cummins ist definitiv schlecht. Das bisher beste dazu, bleibt das von Hurstwic. Wie auch Roland Warzecha habe ich zumindest das Vertrauen, dass hier gewissenhaft mit den vorhandenen Möglichkeiten und verfügbaren Quellen gearbeitet wird.

Hier mehr zu dem Thema, kann jeder beurteilen, wie er mag:
https://www.youtube.com/user/warzechas/videos

https://www.youtube.com/watch?v=hNeGypIkaCQ

Hier wird z.B. im Sparring experimentiert, recht deutlich mit der Basis dessen, was man von Rapier/Sidesword & Rotella weiß:
https://www.youtube.com/watch?v=966ulgwEcyc

Lowkick Loverboy
29-01-2017, 17:09
Ich stimme zu, das Buch von Cummins ist definitiv schlecht. Das bisher beste dazu, bleibt das von Hurstwic. Wie auch Roland Warzecha habe ich zumindest das Vertrauen, dass hier gewissenhaft mit den vorhandenen Möglichkeiten und verfügbaren Quellen gearbeitet wird.

Hm, Shorts (Hurstwic) Ansatz hat zwei große und ein kleineres Problem:

Erstens verkennt er (vielleicht absichtlich), dass es sich bei den Kampfszenen um erzählende Literatur handelt, nicht um Stellen aus Fechtbüchern. Die Szenen können vielfache Bedeutungen haben, die mit der möglichst realistischen Darstellung eines Kampfes gar nichts zu tun haben müssen - z.B. werden sie genutzt, um Charaktere näher zu definieren, oder über die Wiederholung von Mustern einen Text mit einem anderen zu verknüpfen. Insofern muss man erst jede einzelne Szene nach ihrem erzählerischem Gehalt befragen, bevor man irgendwelche Bewegungen aus ihr ableiten kann. Das macht Short aber nicht/fast nie.

Zweitens beträgt, wie von ThomasL bereits erwähnt, der zeitliche Abstand zwischen Niederschrift der Sagas und Wikingerzeit mehrere Jahrhunderte, dazu kommen mögliche weitere Veränderungen in den Abschriften. Es ist also ein bisschen so, als wolle man die Reit- und Bogenschießtechnik nordamerikanischer Indianer aus John-Wayne-Western der 60er Jahre rekonstruieren...

Drittens bin ich mir nicht sicher, wie gut Shorts Altisländisch ist. Wenn man mit den Texten arbeiten will, muss man sie im Original lesen können. Die gängigen Übersetzungen sind gerade in den Kampfszenen oft nicht sehr präzise. (Cummins schießt ja auch hier den Vogel ab, indem er gar nicht erst auf die Idee kommt, dass man in die Originale schauen könnte...)

Was sich aus den Sagas zeigen lässt, ist, dass die mittelalterlichen Isländer ein Verständnis dafür hatten, wie sich Menschen im Kampf bewegen, und dass sie die Fechtkunst für eine Fähigkeit hielten, die man lernen und trainieren konnte. Aber die Ableitung einzelner Techniken ist mit größter Vorsicht zu genießen, und der Übertrag auf die Wikingerzeit ist einfach nicht haltbar. Ich respektiere Shorts Engagement und die riesige Arbeit, die er in sein Projekt steckt. Aber irgendwie wäre es besser, wenn deutlich weniger "so war es damals" bei ihm mitschwingen würde.
Anders gesagt: Wer sich sein Schwert-und-Schild-System aus der italienischen Fechtkunst, den FMA oder CMA ableitet, ist damit genau so authentisch (oder eben nicht) wie z.B. Hurstwic.


Technisch gefällt mir das Video von dem Kung-Fu-Mann besser als das von der Academy. Ich versuche auch eher, den Schild als "Türöffner" zu benutzen, weniger zur reinen Deckung. Das man im Freikampf letzteres auch oft braucht, ist klar.

itto_ryu
29-01-2017, 17:53
Da stimme ich dir an vielen Stellen ja zu. Soweit ich das aber aus Shorts Buch in Erinnerung habe, wird auf viele der von dir genannten problematiken ja Bezug genommen. Ich sehe das aber auch relativ leidenschaftlos, denn aufgrund des Mangels an definitiven Quellen, also technisch gesehen, gestaltet sich die Rekonstruktion ohnehin als schwierig. Man kann nicht mehr tun, als "educated guess" vermitteln. Experimentieren und Spekulieren. Deshalb wäre für mich persönlich auch die Rekonstruktion solcher Sachen als hauptsächliche Beschäftigung eher eine Sackgasse (aus kämpferischer Sicht). In Sachen Archäologie und Rekonstruktion ist das aber höchst spannend und ich freue mich über die Arbeit derer, die sich ihr verschrieben haben.

Ich halte jedoch europäische Schild-Sachen, die eine echte Fechtquelle haben als deutlich zielführender hier "fremd zu verwenden", als Material aus Asien. Auch wenn ich einiges an den hier verlintken Videos mag, so rein von der Kampfkunst her gesprochen. Letztendlich bleibt es eine historisch angehauchte Rekonstruktions-Theorie, die in der Praxis durchaus Spaß machen kann. Interessant z.B. welche Theorien zum gebrauch des Schildes der "Wikinger-Epoche" seitens Roland Warzecha gemacht werden, dass eben möglicherweise der Schild mehr fechterisches Potential hatte, als im Schildwall zu dienen, wenn es um den Duellkampf ging. Man muss da jetzt nicht alles mögen, wie es genau umgesetzt ist, aber die Intention und Botschaft stimmt.

kanken
29-01-2017, 18:10
Ich halte jedoch europäische Schild-Sachen, die eine echte Fechtquelle haben als deutlich zielführender hier "fremd zu verwenden", als Material aus Asien.

Bücher aus Europa sind zielführender als eine lebendige Übertragungslinie, nur weil sie aus Asien kommt? Ich würde mir denken dass die Leute in Europa früher sehr ähnliche Ideen hatten wie die in Asien.

Grüße

Kanken

itto_ryu
29-01-2017, 18:19
Bücher aus Europa sind zielführender als eine lebendige Übertragungslinie, nur weil sie aus Asien kommt? Ich würde mir denken dass die Leute in Europa früher sehr ähnliche Ideen hatten wie die in Asien.

Warum in die Ferne schweifen? Selbstverständlich gibt es viele Gemeinsamkeiten, schaut man sich z.B. manche Koryu an und vergleicht sie mit der Fechtschule mit dem langen Schwert. In Sachen Säbel und Schildkampf aus Persien findet sich zu europäischen Systemen auch viel gemeinsames. Von nahezu identischen Techniken im mittelalterlichen Ringen und dem alten Jiujitsu ganz zu schweigen.

Spezifisch auf die hier verlinkten Videos sehe ich durchaus Gemeinsamkeiten, klaro, aber doch mehr Unterschiede in der Ausführung. Bei einer lebendigen Übertragungslinie darf man zudem nicht automatisch von einer durchgängig unveränderten Linie ausgehen. Zeitlich, kulturell und örtlich ist eben ein I.33 Manuskript von um 1300 dem Rundschild eines Angelsachsen oder Dänen weit näher, als die heutige Ausführung von traditionellen Schulen aus China oder Okinawa.

Siehe dieses Video: https://www.youtube.com/watch?v=aX4sAQ6dUCQ

Darin sehe ich nichts bis wenig, das mit irgendwelchen Grundprinzipien der europäischen Fechtweise mit dem Schild, wie sie bekannt ist, sei es Targe, Rotella oder Buckler gemein hat. Davon ab, dass der Schild, zumindest beim Betrachten der kata, oftmals nutzlos dort hängt, wo er dem Anwender wenig bringt, nämlich sehr weit und lange hinter der Waffe, die dann primär geführt wird. Wirkt auf mich wie panzerknacker schrieb auch wie ein "totes Anhängsel". Zumindest mit dem Highland Broadsword hat diese kata, bis auf die Anfangsstellung, eben ganz wenig gemein. Das ist nicht wertend gemeint über den Sinn der kata, aber dm Kobudo scheint es da eben grundsätzlich eine andere Herangehensweise zu geben.

Die Aussage hat in meinen Augen also druchaus ihre Berechtigung. Ohne das damit die noch existierenden Schulen Asiens abgewertet werden sollen, im Gegenteil. Obwohl ich für unseren Schwert und Schildkampf nach den Quellen des 18. Jhds. genug eigenes Material zum arbeiten habe, schaue ich immer wieder gerne und fasziniert die ähnlichen Traditionen und Kampfkünste andere Kulturen dazu an, ist doch klar. Man kann ja nur dazulernen.

kanken
29-01-2017, 18:26
als die heutige Ausführung von traditionellen Schulen aus China.


Zu welchen traditionellen Schulen in China hast du persönlichen Kontakt? Diese Leute sind in der Regel Westlern gegenüber sehr verschlossen, vor allem wenn es um ihre Waffenanwendungen geht.

Grüße

Kanken

itto_ryu
29-01-2017, 18:39
Zu welchen traditionellen Schulen in China hast du persönlichen Kontakt? Diese Leute sind in der Regel Westlern gegenüber sehr verschlossen, vor allem wenn es um ihre Waffenanwendungen geht.

Ich kann das nur anhand dessen beurteilen, was man zu sehen bekommt. Und da schrieb ich ja schon, dass man - wie oft bei koryu kata - den Zusammenhang vom ersten Anschauen her nicht erkennt. Und man diesen oft auch nur versteht, wenn man diese Schule tatsächlich trainieren kann. Aber das ist dann sogar noch eine Bestätigung meiner Sicht. Soll ich nach Asien reisen und ggf. Glück haben von einer alten Schule tatsächlich überlieferte Techniken lernen, weil mich der europäische Rundschild des 8. - 10. Jhds. interessiert? Oder schaue ich mir dann doch besser an, was ich nur Verfügung habe aus europäischen Quellen? Da bleibt die klare Antwort bestehen.

Lowkick Loverboy
30-01-2017, 08:02
Soweit ich das aber aus Shorts Buch in Erinnerung habe, wird auf viele der von dir genannten problematiken ja Bezug genommen.
Er spricht die Dinge kurz an, aber das sind Lippenbekenntnisse. Die zwingende Schlussfolgerung müsste es sonst sein, eben keine DVDs mit dem Titel "Viking Combat" rauszugeben. Als Kampfkünstler ist mir das schnuppe, aber nicht als Historiker und Museumsmann. Weil es den Leuten eine historisches Wissen suggeriert, das wir einfach nicht haben.




Zeitlich, kulturell und örtlich ist eben ein I.33 Manuskript von um 1300 dem Rundschild eines Angelsachsen oder Dänen weit näher, als die heutige Ausführung von traditionellen Schulen aus China oder Okinawa.
Näher, ja, aber deshalb nicht nahe - "The past is a foreign country: they do things differently there." Die Bedingungen einer hochmittelalterlichen Stadtkultur und einer seefahrenden, teils heidnischen Bauerngesellschaft sind deutlich unterschiedlich. Es gibt keinen Anlass, aus der geographischen Nähe eine Ähnlichkeit der Kampfweise abzuleiten. Als Gedankenexperiment: Wenn wir zwar erhaltene lange Messer aus dem Spätmittelalter hätten, aber keinerlei überlieferte Fechtmethoden dazu - dann wäre man zu deren Rekonstruktion mit manchen philippinischen Stilen deutlich besser bedient, als z.B. mit dem kreusslerschen Stoßfechten. Erstere sind den Stücken Lecküchners viel ähnlicher, obwohl sie aus einer anderen Weltgegend stammen.

Aber aus all den in der Diskussion genannten Gründen finde ich Schwert und Rundschild eben so eine schöne Spielwiese: Da kann jeder basteln, wie er mag, und es bleibt alles gleich (un-)historisch. Und solange man damit ehrlich umgeht, Spaß hat (und sich nicht weh tut), ist doch super. :)

ThomasL
30-01-2017, 08:12
Morsche,

@TE: Schwert und Buckler gibt es auf alle Fälle besser Quellen. Wobei das I33 auch extrem viel Spielraum für Interpretationen lässt. Spätere Quellen (mit einer anderen Fechtweise!) sind hier einfacher zu interpretieren.

Zur "Rundschild" Problematik anhand meiner eigenen Erfahrungen:
Mein Interesse lag anfangs auf Schwert und Rundschild ("frühes Mittelalter"). Ich beschäftige mich einige Jahre damit recht intensiv, letztlich blieb ich aber im Anfangsstadium stecken.
Gründe dafür war die schlechte Quellenlage, und die Schwierigkeiten bezüglich der Interpretation (hier hätte ich oft wissenschaflichte Hilfe benötigt, zu der ich aber nur sehr eingeschränkt Zugang hatte).
Die gegenwärtige Quellenlage macht meiner Meinung nach eine wirkliche "Rekonstruktion" von Kampftechniken für diesen Zeitraum (Europa) unmöglich. Rückschlüsse auf mögliche Fechtweisen lassen sich aber eventuell auf einem anderen Weg gewinnen. Der Ansatz den ich diesbezüglich am Schluss verfolgte, war mich dem Thema über möglichst exakte Rekonstruktion bzw. Nachbau von originalen Schilden zu nähern um damit erst einmal zu klären, was mit diesen tatsächlich machbar / praktikabel ist.
Gleichzeitig suchte ich nach Quellen aus anderen Regionen / Zeitabschnitten, mit der Hoffnung darin bessere Information zur Kampf mit vergleichbaren Schildtypen zu finden. Da ich dies aber neben Familie, Kampfsport, Beruf und Hausbau nicht stemmen konnte, wechselte ich dann auf die Rekonstruktion von Schwert und Buckler Techniken / Konzepten (I33). Das ganze ist aber auch schon wieder viele Jahre her.


@LLB: Sehr interessant, mit deiner Arbeit behandelst Du eines (mehrere) der zentralen Probleme (für alle Quellen), dass ich bei der "Rekonstruktion" hatte. Wenn sie veröffentlicht wird, wäre es nett wenn Du hier eine Bezugsquelle nennen könntest.

@Kanken: Alles klar, dann muss ich wohl doch mal wieder ein großes Rundschilde bauen. Wird aber erst etwas, wenn ich im Wald durch bin ;-). Eventuell hat ein andere Trainingspartner von früher aber auch noch ein zweites. Das ganze wäre natürlich sehr, sehr spannend, da es hier die direkte Übertragungslinie gibt, nach der ich am Schluss gesucht hatte.

@itto_ryu:
Ich glaube die Region ist für dieses Thema weniger entscheidend als die verwendeten Schildtypen und Waffen. Am Ende wird es für europäischen Raum sowieso nie mehr geben als "Rückschlüsse auf mögliche Fechtweisen". Außer es taucht doch noch ein Fechtbuch aus dieser Zeit auf.

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Nachtrag:


Hier noch kurz worauf meine Aussagen bezüglich der hier genannten Personen basieren:
Bzgl. Colin:
Ich kenne von ihm persönlich nur die Schwert- und Rundschildrekonstruktionen - von einem Lehrgang in Zürich (2005). Worauf genau seine Techniken basierten und wie gewissenhaft er mit den Quellen arbeitet, kann ich nicht sagen. Die dort gezeigten Techniken / Konzepte machten für mich aber einen soliden Eindruck (aus praktischer Sicht). Wobei es aber auch für mich die ein oder andere zweifelhafte Technik gab (ist aber ja immer so wenn sich KK/KSler treffen).
Seine S&B Sachen kenne ich nicht. Dolch und Ringen von ihm nur aus seinem Buch.

Zu Roland:
Seine Schwert und Rundschildrekonstruktionen kenne ich nicht. Als ich mit ihm in Kontakt kam, war ich schon sehr intensiv mit Schwert-und Buckler (I33) beschäftigt. Diesbezüglich haben wir uns sehr lange und teils sehr intensiv schriftlich ausgetauscht (und dabei oft heftig, aber sachlich, gestritten). Einen persönlichen Schlagabtausch ;-) (im wahrsten Sinne des Wortes), hatten wir dann bei einem Lehrgang von Hammaborg in der Nähe von Hamburg.
Beim S&B ist er definitiv jemand der sich sehr intensiv mit den Quellen beschäftigt und gleichzeitig mit ordentlichem Training und viel Sparring seine Ergebnisse vertieft und in Hinblick auf ihre Anwendbarkeit prüft.

itto_ryu
30-01-2017, 14:53
Er spricht die Dinge kurz an, aber das sind Lippenbekenntnisse. Die zwingende Schlussfolgerung müsste es sonst sein, eben keine DVDs mit dem Titel "Viking Combat" rauszugeben. Als Kampfkünstler ist mir das schnuppe, aber nicht als Historiker und Museumsmann. Weil es den Leuten eine historisches Wissen suggeriert, das wir einfach nicht haben.
Tja nun, wo ein Markt ist, ist dann eben auch eine Verdienstmöglichkeit ;) Letztendlich geht es oft auch darum. Ich sehe solche Arbeiten auch nicht als Museumsstandard an, sondern eher als Unterhaltung und Histotainment für den interessierten Laien. Da hat Mr. Short definitv sachlichere und ehrlichere Arbeit geleistet, als z.B. Anthony Cummins (nichts gegen den Mann selbst, aber sein Buch ist richtig schlecht). Wie z.B. Junkelmann zeigt, muss ja experimentelle Archäologie und wissenschaftliches Arbeiten keinen getrennten Weg gehen. Aber das ist nur meine Meinung als "Verbraucher".


"Als Gedankenexperiment:"
Dein Beispiel mit dem Kreusslerischen Stoßfechten ist allerdings nicht gut gewählt, denn die Waffentechnologie bzw. -design an sich ist schon weit, weit weg von der verglichenen Waffe (Langes Messer) in diesem Beispiel, weshalb hier die gesamte Körpermechanik doch eine andere Ausgangslage hat. Bei Wikingerschwert und Schild oder Dao und Schild und Einhandschwert und Buckler haben wir doch viel gleichartigere Waffengattungen. Roland hat mit seiner Adaptierung durch Schwert & Buckler auf den großen Rundschild schon gute Arbeit geleistet.



Aber aus all den in der Diskussion genannten Gründen finde ich Schwert und Rundschild eben so eine schöne Spielwiese: Da kann jeder basteln, wie er mag, und es bleibt alles gleich (un-)historisch. Und solange man damit ehrlich umgeht, Spaß hat (und sich nicht weh tut), ist doch super. :)
Jupp, das meine ich auch :) Und ich will ja auch niemandem verwehren sich von meinetwegen fernöstlicher Seite aus dem Thema zu nähern. Ich halte es nur nicht für den optimalen oder notwendigen Ansatz und würde es eben anders machen aus genannten Gründen. Ich habe bisher auch noch kein Argument gelesen, dass mich vom Gegenteil überzeugen würde. Es ist auch nicht brennend wichtig und wie du schreibst, es ist eine offene Spielwiese. ThomasL hat ja in seinem Post gut beschrieben, was die Sackgasse in diesem Bereich sein kann.

itto_ryu
08-02-2017, 08:09
Da die Diskussion nicht weitergeht, füttere ich den TE nochmal mit Infos. Wenn du länger Einblick in Sidesword & Rotella des 16. Jhds. erhalten möchtest, schau dir dieses Video an:

BbpDoWUNsvQ

Zu empfehlen ist auch das Buch von Alex Zalud zum Thema, wobei darin der Buckler den größeren Teil einnimmt, jedoch auch einiges zur Rotella drinsteht (die ganze Buchreihe ist empfehlenswert:
https://www.amazon.de/Die-Bologneser-Fechtkunst-Ii-Schutzwaffen/dp/1326148796/ref=pd_sim_14_1?_encoding=UTF8&psc=1****RID=R8WAS5HRWW1C05W0JSFT

Zu schottischem Broadsword & Targe:
fC5Xo_-mNq8

vpn4U6CdCaQ

Lowkick Loverboy
09-02-2017, 11:35
Tja nun, wo ein Markt ist, ist dann eben auch eine Verdienstmöglichkeit [...] Wie z.B. Junkelmann zeigt, muss ja experimentelle Archäologie und wissenschaftliches Arbeiten keinen getrennten Weg gehen.

Hm, ich denke, Short und Cummins sind eher "Überzeugungstäter" - dass sie mit ihren Büchern viel verdienen, bezweifle ich. Deinen Satz zu Junkelmann unterschreibe ich, oder würde sogar eher sagen: Wenn experimentelle Archäologie keine Wissenschaft ist, dann ist sie eben auch keine Archäologie. Sondern Hobbyistentum, wie es Short demonstriert. Man muss die Sachen nicht studiert haben, um wissenschaftlich zu arbeiten. Aber es hilft ungemein, wie sich immer wieder zeigt. Insofern würde ich Junkelmann und Short auf keinen Fall in einen Topf werfen.




Dein Beispiel mit dem Kreusslerischen Stoßfechten ist allerdings nicht gut gewählt, denn die Waffentechnologie bzw. -design an sich ist schon weit, weit weg von der verglichenen Waffe (Langes Messer) in diesem Beispiel, weshalb hier die gesamte Körpermechanik doch eine andere Ausgangslage hat. Bei Wikingerschwert und Schild oder Dao und Schild und Einhandschwert und Buckler haben wir doch viel gleichartigere Waffengattungen.


Das sehe ich nicht so - ein Buckler unterscheidet sich von einem wikingerzeitlichen Rundschild in Balance und Dynamik ebenfalls dramatisch, deshalb hatte ich den Vergleich gewählt. Dass beide einen Mittelgriff haben und rund sind, heißt nicht, dass sie sich gleich bewegen; die unterschiedliche Größe sollte sich auch in der präferierten Taktik spiegeln. Das ist zwar jedem klar, aber deshalb kann es auch genau so gewinnbringend wie gefährlich sein, seine Methoden auf dem System für eine andere Schildform aufzubauen.

Und apropos Methode: Man tut mittlerweile gerne so, als ob die heutige HEMA tatsächlich abbilden würde, was zu früheren Zeiten Sache war (dazu sei auf Eric Burkarts Artikel "Limits of Understanding in the Study of Lost Martial Arts" (https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/apd.2016.4.issue-2/apd-2016-0008/apd-2016-0008.pdf) in der letzten Acta Perdiodica Duellatorum verwiesen). Wenn man nun die Kampfweise für eine Waffe, zu der wir keine Quellen haben, anhand rekonstruierter Kampfweisen für eine deutlich andere Waffe, die größtenteils anhand einer einzelnen, verdammt komplexen Quelle erarbeitet wurden, rekonstruiert, dann merkt man schon an der Komplexität des Satzes, dass man sich echt nicht auf festem Grund bewegt. ;) Warum der fester sei als z.B. Vergleiche mit asiatischen Systemen, bleibt mir schleierhaft - erst Recht, wenn die Rekonstruierenden ursprünglich in asiatischen Systemen trainiert haben, bevor sie zur HEMA kamen. Als Motivation für solches Vorgehen unterstelle ich mal die romantische Vorstellung einer Integrität "westlicher Kampfkunst" über Völker und Zeiten hinweg, wo sich doch tatsächlich nur vereinzelte Traditionslinien belegen lassen.

ThomasL
12-02-2017, 12:39
Hallo Lowkick Loverboy,

ein hervorragender Beitrag, dem ich nur voll und ganz zustimmen kann.

Viele Grüße
Thomas

itto_ryu
12-02-2017, 14:57
Und apropos Methode: Man tut mittlerweile gerne so, als ob die heutige HEMA tatsächlich abbilden würde, was zu früheren Zeiten Sache war (dazu sei auf Eric Burkarts Artikel "Limits of Understanding in the Study of Lost Martial Arts" (https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/apd.2016.4.issue-2/apd-2016-0008/apd-2016-0008.pdf) in der letzten Acta Perdiodica Duellatorum verwiesen). Wenn man nun die Kampfweise für eine Waffe, zu der wir keine Quellen haben, anhand rekonstruierter Kampfweisen für eine deutlich andere Waffe, die größtenteils anhand einer einzelnen, verdammt komplexen Quelle erarbeitet wurden, rekonstruiert, dann merkt man schon an der Komplexität des Satzes, dass man sich echt nicht auf festem Grund bewegt. ;) Warum der fester sei als z.B. Vergleiche mit asiatischen Systemen, bleibt mir schleierhaft - erst Recht, wenn die Rekonstruierenden ursprünglich in asiatischen Systemen trainiert haben, bevor sie zur HEMA kamen. Als Motivation für solches Vorgehen unterstelle ich mal die romantische Vorstellung einer Integrität "westlicher Kampfkunst" über Völker und Zeiten hinweg, wo sich doch tatsächlich nur vereinzelte Traditionslinien belegen lassen.

Interessant, werde ich mir mal durchlesen.

Persönlich bleibe ich meiner Sicht jedoch treu. Allerdings hat das rein gar nichts mit romantischen Vorstellungen zu tun. Ich habe genug Erfahrung mit Schwert und Schild anhand einer echten Quelle, so dass mir der Ansatz von europäischer Seite das Pferd aufzuzäumen sinnvoll erscheint. Dazu habe ich bisher auch noch nichts aus asiatischen Systemen gesehen, dass mir anhand Bewegungen usw. nahe käme zu dem, was ich gaz persönlich für einen Wikingerzeitlichen Rundschild als sinnvoll erachten würde. Heißt nicht, dass man da nicht auch noch Inspiration holen könnte, von Techniken und Systemen, die man ggf. nicht kennt, ganz zu schweigen. Aber mir hat es sich bisher noch nicht eröffnet. Wäre interessant, wenn da jemand noch mehr Infos beisteuern kann, z.B. kanken hatte ja scheinbar Ahnung davon.

Lowkick Loverboy
19-02-2017, 21:54
Morsche,

@LLB: Sehr interessant, mit deiner Arbeit behandelst Du eines (mehrere) der zentralen Probleme (für alle Quellen), dass ich bei der "Rekonstruktion" hatte. Wenn sie veröffentlicht wird, wäre es nett wenn Du hier eine Bezugsquelle nennen könntest.


Sehr gerne - online zum Download hier: Combat in Saga Literature. Traces of martial arts in medieval Iceland (https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/74619)

Direkt zum Thema noch mal aus der conclusion:

"However, nothing can be said about the ‘realistic’ or historical core of the combat scenes, before their literary functions within their text are understood. To demonstrate the various, complex layers of meaning combat can acquire in a saga, the relevant scenes of Njáls saga were discussed in depth. It was shown how different protagonists move and behave differently in combat, and how this behaviour directly reflects their character (Gunnarr, Skarpheðinn, and Kári). Similar fighting styles and the use of the same weapon are devices to connect protagonists with each other (Skarpheðinn with Þorgeirr skorargeirr). A combat scene can be a dramatic reflection of a wider social and political situation (fight at the alþingi), or include supernatural features to show that forces greater than man are at work (Þangbrandr). But the scenes do not only connect elements within the text. They can also point intertextually at stock motifs of saga storytelling (the berserkr/pirate pattern), or change their ‘mode of combat’ to resemble the imagined heroic warfare of the fornǫld (Battle of Clontarf).
Once their literary functions are understood, the combat scenes can be filtered for hints to actual combat techniques." (S. 240)

itto_ryu
20-02-2017, 08:30
Danke, lese ich mir mal durch :halbyeaha

Lowkick Loverboy
20-02-2017, 11:02
Danke, lese ich mir mal durch :halbyeaha

:halbyeaha

Ist viel auf Altisländisch drin, das macht es für Nicht-Nordisten vielleicht unpraktisch zu lesen. Aber Einführung und Conclusion sind gut zu lesen, denke ich. :)

ThomasL
20-02-2017, 11:17
Super, vielen Dank für den Link!!!

Lowkick Loverboy
20-02-2017, 11:21
Gerne. :)

Terao
07-03-2017, 11:19
So, hab jetzt mal ein wenig (mit meinen Neffen) naiv experimentiert.
Ergebnisse so weit:
Wenn man den Schild seinem Gegner entgegenstreckt, hat dieser kaum eine Möglichkeit, einen zu treffen. Man führt also am besten mit dem Schild, hält das eigene Schwert eher hinten und stößt dann plötzlich hervor.
Das heißt natürlich auch, dass die Hände/Arme fast immer gut geschützt durch den Schild sind. Kein Wunder, dass man da keine ausgeprägten Handschützer brauchte.
Bestes Ziel sind die Beine, unterhalb des Schildes; streckt der andere aber rechtzeitig seinen Schild vor, ist auch dieser Schlag leicht abzuwehren.
Kommt man sehr nahe, oder versucht man, den Schild wegzuhaken/ zu drücken, geht man ein großes Risiko ein: Der eigene Schild behindert die Sicht, und man kann daher schwer abschätzen, wo der andere versucht, anzugreifen.
Obwohl man den Schild bloß in der Mitte hält, bildet er dank seiner Masse (unsre Nachbauten wiegen ca. 4 kg) eine sehr solide Deckung; selbst kraftvolle Hiebe/Stiche können ihn nicht einfach so rotieren. Notfalls kann man ihn immer mit dem speziellen Wikingerschwertgefäß unterstützen, ohne sich die Finger einzuklemmen (und ich bin ziemlich sicher, dass deswegen Knauf&Parier so geformt waren, wie sie`s historisch waren). Dann kann man auch jemanden, der mit voller Wucht dagegen anrennt, stoppen (guter Stand natürlich vorausgesetzt).
Überhaupt, ein relativ tiefer Stand hat auch den Vorteil, dass man so noch besser gedeckt ist, und die Beine kein so offensichtliches Ziel mehr sind.

karate_Fan
10-03-2017, 08:33
Das ist zwar wohl nicht ganz der Zeitraum an den TE interessiert ist und es ist auch nicht eine wirklich historische Quelle, aber

Matt Easton macht sich in dem Video hier


https://www.youtube.com/watch?v=78exRZ88cFA

Gedanken über die Verwendung eines Falchion in Verbindung mit einem Schild.

Ist vielleicht für den einen oder anderen hier von Interesse.