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Vollständige Version anzeigen : Kwon Jae Hwa TKD - Widerspruch?



KwonChagi1
06-02-2017, 08:53
Hi Leute ;-)

Ich bräuchte mal eure persönliche Meinung zu diesem Thema. Ich selbst bin inzwischen schon ca. 4 Jahre in der "Kampfkunst Szene" tätig (das ist wahrscheinlich nicht einmal halb so lang wie die meisten hier :p). Ich habe als Kind schon den Judo Unterricht besucht, verlor dann aber schell das interesse und hab dann später mit 15 Jahren "traditionelles" Kwon Jae hwa Taekwondo angefangen. Drei Jahre später hab ich dann zum Inosanto System (Kali, Silat, Jun Fan/Jeet Kune Do) gewechselt, einfach um mal einen neuen Weg auszuprobieren.

Ansich bin ich ein Typ der nicht nur "macht", sondern der sich auch mit den Hintergründen/Philosophien/Geschichten der Kampfkünste auseinandersetzt. Allein über Taekwondo habe ich sehr viel gelesen. Nicht nur über den Kwon Jae Hwa Stil sondern auch über WTF und ITF. Eines habe ich allerdings nie verstanden, darum dieser Beitrag.

Wenn man die Leute fragt was denn der Unterschied zwischen Sport und Kunst ist kommt oft zur Antwort, dass man beim Kampfsport Wettbewerbe im Ring bestreitet, während man im Kampfkunst Bereich eine alte "Kriegskunst" (Ninjitsu zb) erlernt, sowie eine jahrelang andauernde Tradition weitergibt.

Der Kwon Jae Hwa Stil zählt, anders als die Stile der WTF/ITF, als Kampfkunst. Bedeutet also, dass es in gewisser Hinsicht auch eine Kriegskunst ist/war. Nach der Spaltung des Taekwondo in WTF und ITF beschloss Großmeister Kwon der Philosophie des Wettkampfsports nicht nachzugehen.

("Nach der Gründung des zweiten Taekwondo-Weltverbandes WTF (World Taekwondo Federation) in Seoul und dem damit verbundenen Wandel der Taekwondo-Philosophie von der „Kampfkunst“ zum „Wettkampfsport“, das vor allem in der westlichen Welt zunehmend so propagiert wurde, distanzierte sich Kwon Jae-hwa davon: Dass andere mutwillig verletzt werden können, entsprach seiner Überzeugung nach nicht dem Geist des Taekwondo.") - Wikipedia

Dass es beim Kwon Stil um gesunden Geist und Körper geht ist mir klar. Trotzdem verstehe ich nicht warum es in diesem Sinne eine Kampfkunst ist wenn darin nicht wirklich gekämpft wird. Das Pencak/Maphilindo Silat ist zb eine Kriegskunst. Man erlernte hier sogar den Umgang mit Karambits und anderen Messern. Im Taekwondo ist dies nicht der Fall, denn hier darf ja niemand "mutwillig verletzt" werden. Und was ist mit den Hosinsul (Selbstverteidigung) Techniken?? Wenn ich diese in einer Notsituation anwende verletze ich meinen Angreifer ebenfalls, was bedeutet: Ich verletze "mutwillig" einen meiner Mitmenschen, was nicht der Taekwondo Philosophie entspricht.


Ich hoffe ich habe mich halbwegs richtig ausgedrückt und freue mich auf eure Antworten :D :o

Henne X
06-02-2017, 12:28
Naja, ich finde es keinen Widerspruch.

Ich denke Meister Kwon meint beim "mutwilligen Verletzen" das Verletzungsrisiko, was entsteht, wenn sich die Taekwondoin im sportlichen Wettkampf gegenüberstehen.

Hosinsul bzw. Selbstverteidigung hat ja den Zweck, das eigene Leben zu schützen. Das hat dann nichts mit mutwilligem Verletzen des Angreifers zu tun sondern es geht einfach um Eigenschutz.
Während es bei Vollkontaktkämpfen nach sportlichen Regeln ja durchaus die Möglichkeit gibt, den Kampf durch KO des Gegners zu gewinnen und dann nimmt man eine mutwillige Verletzung des Gegners in Kauf (die der Kampfgegner natürlich billigend auch selbst in Kauf genommen hat).

Ich meine Tai Chi ist auch eine Kampfkunst und kein Kampfsport, wo es darum geht den Gegner zu Verletzen.
Und Wushu / Kungfu sind ja auch Kampfkünste, die der Selbstverteidigung dienen. Nicht aber dem Angriff (jedenfalls nach meinem Verständnis von der Philosophie her)...

KwonChagi1
06-02-2017, 13:04
Hm, da ist was wahres dran :)

Was deine Aussage zu Wushu betrifft bin ich allerdings nicht ganz sicher. Sofern du das klassische "Shaolin Kung Fu" meinst das in Chinas Klostern gelehrt wird, so denke ich nicht, dass der Fokus hierbei auf SV liegt. Bei denen ist das ja so ne Sache mit Buddhismus etc. :) vielleicht irre ich mich auch. Ich trainiere heute selbst Lee Jun Fan Kung Fu, das ist aber mit dem Wushu Stil kaum bis gar nicht vergleichbar, zumindest nach meiner Einschätzung.

Die Wushu "Kämpfe" die ich gesehen habe waren alle mehr choreografiert als echt.

Ich bin allerdings auch der Meinung, dass sich die Philosophien des Shaolin Kung Fu und Kwon Jae Hwa Taekwondo ziemlich ähneln. Es geht hierbei nicht unbedingt um den Kampf gegen einen Feind sondern um innere Energie.

Nite
06-02-2017, 13:22
"Kampfsport", "Kampfkunst", "Kriegskunst" (*) sind künstliche Bezeichnungen die verwendet werden um sich abzugrenzen. Dementsprechend schwammig sind die Begriffe und egal nach welcher Definition man die Abgrenzungen vornimmt, es gibt immer sofort ein Beispiel welches genau diese oder jene Definition ad absurdum führt.
Insofern würde ich auf solche Labels nicht viel geben.

*: Besonders wenn ich in dem Zusammenhang von "Kriegskunst" muss ich je nach Stimmungslage entweder lachen oder mir zieht sich der Magen zusammen. Wer wissen will warum kann hier [Link] (https://www.clausewitz.com/readings/VomKriege1832/Book2.htm#2-3) nachlesen.

Little Green Dragon
06-02-2017, 13:41
Der Kwon Jae Hwa Stil zählt, anders als die Stile der WTF/ITF, als Kampfkunst. Bedeutet also, dass es in gewisser Hinsicht auch eine Kriegskunst ist/war.

Und hier liegt m.E. schon der erste "Denkfehler" - nur weil ein bestimmter Stil oder eine Stilrichtung ggf. auch beim Militär gelehrt wird/wurde ist deswegen dieser Stil noch lange keine "Kriegskunst".

Die Zeiten in denen bei kriegerischen Auseinandersetzungen der (unbewaffnete) Zweikampf eine wesentliche Rolle gespielt hat waren schon lange vorbei bevor TKD überhaupt das Licht der Welt erblickte.

Das man Soldaten auch eine rudimentäre Ausbildung im unbewaffneten Nahkampf gibt für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass diese dann tatsächlich mal im Gefecht ohne Gewehr, Pistole, Messer oder Spaten dastehen sollten - ok, aber mehr ist es dann auch schon nicht.

Und kaum ein General würde wohl bei seiner Kriegsführung ernsthafte Überlegungen anstellen ala "Der Feind kommt mit 100 Karateka über den Hügel, wir gehen dann also mit unseren TKDler in die Flanke und reiben sie mit Tornadokicks auf...". ;)

Selbst die Samurai haben ja (anders als im Film dargestellt) durchaus erkannt, dass man nur mit Schwert und Bogen gegen Schusswaffen allein nicht wirklich viel bestellen kann.

Es gibt sicherlich noch einige KKs bei denen (im historischen Kontext und in der damaligen Zeit) ein gewisser "kriegerischer" Anteil dabei gewesen ist, der dann aus traditionellen Gründen bis heute überlebt hat, aber spätestens mit Erfindung der Feuerwaffen (wenn nicht eher sogar noch früher) hatte sich dass Thema "Kriegskunst" dann für die KK weitestgehend erledigt.

Nite
06-02-2017, 14:10
Zu TKD und "Kriegskunst"/"Kampfkunst" als Abgrenzung zum "Kampfsport":
das mit den südkoreanischen Streitkräften verbandelte Oh Do Kwan ist in der KTA und damit dem Kukkiwon TKD aufgegangen.

Luggage
06-02-2017, 14:17
Ich gehe da mit Nite: Das sind alles nicht trennscharf definierte Begriffe und werden meist im Zusammenhang mit Profilneurosen gebraucht. Künstler nennen sich gerne so, um sich vom tumben Sportler abzugrenzen und sich gleichsam über diesen zu erheben - dumm nur, wenn der Sportler den Künstler in null-komma-nichts auf die Matte knallt (klar, mit der Todesklauenherzexplosionstechnik wäre das nicht passiert...).

Ich habe mich davon verabschiedet und nenne alles ohne Abgrenzung Kampfsport (Sport kommt deportare, se deporter = Zerstreuung, sich Vergnügen), ich sehe keinen Grund, krampfhaft Grenzen zu ziehen und damit nicht gerade zur Kommunikation beizutragen.

Da es keine taugliche, allgemeingültige Definition gibt, kann sich KJH-TKD auch solange Kampfkunst nennen, wie es beliebt.

Drax
06-02-2017, 14:18
Ich kann Nite nur zustimmen. Es sind künstlich geschaffene Begriffe (vornehmlich im deutschsprachigem Raum) um sich abzugrenzen oder ggf. sogar als "etwas besseres" oder "elitäres" darzustellen.
Es sind alles "Kampfarten" die verschiedenen Wegen folgen, nicht mehr und nicht weniger.
Und in fast allen Kampfarten ist der Philosophiegedanke erst viel später dazu gekommen.
Denn überall ging es in erster Linie ums Überleben und darum das Gegenüber möglichst wirkungsvoll nieder zu strecken (möglichst für immer).
Dies liest sich aber nicht so gut vermarkten und so packte man die ein oder andere schöne Geschichte dazu und fertig war die zugehörige Philosophie.
Wenn man mal genau hinschaut, stecken die Sachen wie Fairness, Hilf dem Schwächeren etc. in vielen Sportarten und tw. Auch im Buch der Bücher!


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TKD-Dragon
07-02-2017, 09:41
Ich selber habe auch lange Kwon, Jae Hwa Taekwon-Do trainiert und mir über die Jahre auch Gedanken zu dem Thema gemacht.

Ich sehe es eher als Trugschluss als als Widerspruch.
Im Kwon, Jae Hwa Taekwon-Do heisst es: "wir treffen uns nicht, weil wir uns nicht verletzen wollen. Weil wir keinen Sport machen, hat jede Technik einen Selbstverteidigungscharakter."
Und sie glauben, sie könnten sich besser verteidigen als jemand, der Sparring macht, weil ihre Techniken ja die "ursprünglichen Techniken" sind, die damals zur Selbstverteidigung entworfen wurden, nicht die Techniken, die fürs Sparring "entschärft" wurden.

Letztendlich ist es, wie hier schon geschrieben, Marketing. Genau wie zu behaupten, TKD sei 2000 Jahre alt.

Für mich persönlich ist alles Kampfkunst, was über sportlichen Wettkampf hinaus geht. Also wenn es zB Formenlauf, Bruchtest oder SV gibt, ist es schon Kampfkunst für mich. Dementsprechend ist sowohl WTF als auch ITF Kampfkunst.

Donnerfuß
07-02-2017, 11:29
Zu den Unterscheidungen Kampfkunst/Kampfsport etc. würde ich noch hinzufügen, dass auch in Korea durchaus zwischen verschiedenen "Ansätzen" unterschieden wird, bzw. dass ein System, je nach dem mit welcher "Motivation" es praktiziert sich auch zwischen diesen "Ansätzen" bewegen kann.

Musul - frei übersetzt etwa Kampf-Technik, Kampf-Fertigkeit

Muye - etwa Kampkunst

Mudo - Kampf-Weg

Ein interessanter Beitrag dazu findet sich hier:
Soo Shim Kwan ??????: Moosool (??), Mooye (??) and Moodo (??) (http://sooshimkwan.blogspot.de/2010/12/moosool-mooye-and-moodo.html)

Zu der Verwendung von Kampfkunst im Militär würde ich sagen, dass die Verwendung selten über eine psychologische und Fitness-steigernde hinausgeht, wobei die psychologische sicherlich die bei weitem wichtigste ist.

Gruß