PDA

Vollständige Version anzeigen : Yiquan: Die zentrale Achse des Weges der Kampfkünste (Wang Xiangzhai) (Central Pivot)



gast
08-02-2017, 21:05
Ich werde hier Stück für Stück die Übersetzung des Aufsatzes "Zentrale Achse des Weges der Kampfkünste" von Wang Xiangzhai reinstellen.

Gerne kann über den Inhalt oder die Übersetzung diskutiert werden.

Die Übersetzung ist direkt aus dem chinesischen Original von mir und kann auch gerne weiter verwendet werden. Ich bitte aber darum meine Arbeit zu respektieren und auch bei auszugsweiser Verwendung bitte Quellenangabe mit Verweis auf den Blog meiner Homepage: Yiquan Allgäu (https://www.benjamin-witt.com/yiquan/): Blog Benjamin Witt (https://www.benjamin-witt.com/blog/yiquan-übersetzungen/zentrale-achse-quandao-zhongshu/)

Vielen Dank.

Benjamin Witt

Edit:

Ein paar historische Hintergründe zum Text:

Es gibt viele Texte die Wang XIangzhai zugeschrieben werden. Von allen Texten gibt es keine Originalversionen, sondern nur Printversionen, die erst spät in den 80er Jahren anfangen hier und da Stückweise aufzutauchen. Meines Wissens ist die erste Sammlung all "seiner" Texte 2002 erschienen. Herausgegeben von einem Schüler Wang Yufangs.

Von allen Texten die Wang zugeschrieben werden, ist von einigen inzwischen klar, dass es sich um Unterschiebungen handelt. Von anderen Texten, vielleicht auch weil weniger wichtig, lässt sich nichts klares sagen. Was jedoch ohne Zweifel das Gedankengut Wang XIangzhais widerspiegelt ist das Interview.
Dann haben wir den Text von Qi Zhidu, einer der ersten Schüler Wangs, der sein Verständnis und das was er von Wang lernte aufarbeitete und niederschrieb. Auch hier gibt es leider keine Originalversion. Yang Shaogeng machte sich einmal die Mühe und sammelte alle Versionen die er finden konnte und gab sozusagen eine "kritische" Version in seinem Buch im Anhang heraus.
Bei der zentralen Achse sind sich zumindest noch alle Vertreter des Yiquan einig, dass es sich um einen Text aus der Feder von Wang Xiangzhai handelt. Die Entstehungszeit lässt sich auch ziemlich sicher auf ca. 1940 datieren. Die erste greifbare Version Version stammt von Yu Yongnian (1988), der behauptet den Text damals von Wang Xiangzhai bekommen zu haben und sich eine Kopie (natürlich nicht im Copyshop um die Ecke) angefertigt hat. Leider ist seine Version auf den ersten Blick zumindest komplett unbrauchbar, da er eine völlig andere Struktur und Anordnung der Abschnitte aufweist, Textstellen von anderen Texten hier und da eingefügt werden und andere Textstellen wiederum völlig fehlen. Ansonsten sind die Abweichungen der verschiedenen Versionen nicht sehr groß, aber alle gespickt mit chinesischen Rechtschreibfehlern, was die Übersetzungsarbeit nicht sehr einfach macht.

Beim lesen des Textes sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass es sich nicht um eine praktische Trainingsanleitung für den Yiquaneinsteiger handelt. Ohne einen gewissen Hintergrund und Grundverständnis des Yiquan wird der Text wahrscheinlich teilweise ziemlich kryptisch und kaum konkret wirken. Der Text wird jedoch nicht ohne Grund von allen direkten Schülern und auch von späteren Generationen als wichtig betrachtet, da bei genauerem hinschauen schon recht viel Gehalt drinsteckt. Doch der lässt sich leider nicht ohne weiteres als kleine Bettlektüre abends vorm Einschlafen mal kurz erschliessen. In Wang Xiangzhais eigenen Worten:


Dennoch muss gesagt werden, dass dieser Text ursprünglich eigentlich nur privat für gleichgesinnte zum besseren Studium der Kampfkünste gedacht war und nicht als Text zur Veröffentlichung vorgesehen war. Doch da ich nun schon recht alt bin und von allen sehr darauf gedrängt werde, komme ich nicht darum etwas wie Spuren einer Wildgans im Schneematsch als Wegmarkierung zu hinterlassen. So habe ich nun das was ich so im Laufe meines Lebens angesammelt habe als Referenz zusammengeschrieben. So kann in Zukunft jeder diesen Text zur Hand nehmen und so vielleicht etwas leichter zu einem richtigen Verständnis kommen.

Bei ernsthaftem Interesse kann hier gerne inhaltlich über Textstellen diskutiert werden, oder PN an mich. Es gibt auch englische Übersetzungen die man sich noch als Referenz hinzuziehen kann.

gast
08-02-2017, 21:09
AMBITIONEN/ANLIEGEN

Das Wesen (Dao) der Kampfkünste nimmt eine solch zentrale Bedeutung ein, dass es für die Bildung des Ethos eines Volkes eine Notwendigkeit darstellt; die Wurzel für das Verständnis und Erlernen von Handwerk ist; die Grundlage der Lebensphilosophie ist und das Rückgrat einer humanistischen Bildung darstellt. Das wesentliche der Bestimmung liegt darin, das Bewusstsein eines Menschen in richtiger Weise zu kultivieren; Gefühle/das Fühlen zum Ausdruck zu bringen; eine richtige Physiologie zu entwickeln; natürliche Fähigkeiten zu fördern; zu bewirken, dass der Übende geistig klar und scharfsinnig sowie körperlich gesund wird und so von Nutzen für sein Land und seine Mitmenschen ist. Daher wird nicht nur auf die kämpferischen Fähigkeiten Wert gelegt.

Wenn diese Bestimmung zur Erfüllung kommt, erst dann kann man es Kampfkunst nennen.
Ansonsten ist es etwas Entartetes.
Eine entartete Kampfkunst zu erlernen ist wie vergifteten Wein zu trinken. Der Schaden der daraus entsteht lässt sich kaum beschreiben.
Es ist mir immer ein großes Anliegen gewesen, mit dem was ich gelernt und erfahren habe auch anderen (in ihrem Leben) zu helfen und es stimmt mich traurig nur dazusitzen und nichts tun zu können.
So habe ich auf Grundlage meiner mehr als 40 jährigen Erfahrung des Kampfkunststudiums versucht, die wahre Bedeutung darin zu entdecken; diese mit wissenschaftlichen Prinzipien zu untermauern und durch das eigene Körperverständnis zu klären; Missstände zu beseitigen und verborgenes zu an’s Licht zu bringen; von Mangelhaftem zu lassen und Wert auf Stärken zu legen; verfälschtes abzulegen um das wahre zu bewahren: all dies habe ich versucht unter einem Nenner zu vereinen um es in seinem wahren Glanz erstrahlen zu lassen.
So ist daraus nun eine ganz besondere Form der Kampfkunst entstanden. Unter meinen Freunden sind viele die sich darin üben und es als äusserst angenehm und beglückend empfinden. Deswegen gaben ihr viele den Namen „Große/Wahre Vollendung“. Eigentlich wollte ich diesen Namen nicht, aber keiner hörte darauf. Deswegen habe ich es einfach dem Lauf der Dinge überlassen.

Das, worauf es bei dieser Kampfkunst nun ankommt, ist den Sinn der Sache zu begreifen; das Gefühl für eine Idee (https://www.benjamin-witt.com/yiquan/was-ist-yiquan/erklärung-des-namens/) zu entwickeln und eine natürliche Form von Kraft zu entwickeln. Allgemein gesagt geht es darum, den Körper mit den natürlichen Kräften um uns herum zu koordinieren. Im speziellen bedeutet das, auf Grundlage der Prinzipien der Kräfte des Universums, einen runden Geist mit flächiger Kraft sowie einen runden/Form mit geradliniger Kraft zu kultivieren.
Leere und Fülle sind dabei unbedingt und offen und es entwickeln sich natürliche Fähigkeiten die in einer lebendigen sensorisch-motorischen Intelligenz gründen.Theoretisch sind so alle Formen von Kraft darin enthalten. Praktisch gesehen bedeutet es, dass intuitiv das gemacht wird was die Umstände erfordern.Andere Kampfkunstrichtungen sind damit prinzipiell nicht zu vergleichen, da sie hauptsächlich wert auf Techniken, Formen und unkultivierte Kraft legen.Tatsächlich kommt es bei den meisten Kampfkunstrichtungen die hauptsächlich Wert auf Formen und Techniken legen, zur Entwicklung von ziemlich komplexen und abnormal deformierten Formen.Noch viel schlimmer sind diejenigen die nur Wert darauflegen, durch alle möglichen Formen von extremen Training nur reine Muskelkraft aufzubauen.
Sie haben es falsch beigebracht bekommen, geben es falsch weiter und sind obendrein auch noch sehr Stolz auf ihre Methoden. Dabei ist ihnen gar nicht klar wie sehr diese Form des Sports ihrem Leben schadet. Nerven, Gliedmaßen, Lunge sowie Sehnen und Muskeln werden dadurch verletzt und degenerieren. Wie kann man sich da noch der Meinung sein, den Sinn der Kampfkünste zu vollenden und sie ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen?
Auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass diese Form der Kampfkunst das höchste ist was es gibt, so bin ich angesichts dessen was es gegenwärtig gibt und in der Vergangenheit gab doch der Meinung, dass es etwas einzigartiges ist. Wissen und Fertigkeiten sollten eigentlich von Generation zu Generation immer weiter verfeinert werden. Ansonsten ist etwas falsch und man sollte sich die Frage nach dem Sinn ihrer Existenz stellen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass durch das Studium der Kampfkünste sowohl die Nervenleitbahnen als auch die Glieder trainiert werden und es erst so von Nutzen für die Intelligenz des Menschen ist. Vor allem werden Muskeln und Sehen auf sanfte Weise trainiert, das Blut wird genährt und darüber hinaus wird der Atem frei und die Lungen gekräftigt. Auf diese Weise wird die natürliche Kraft des Menschen immer mehr trainiert und man entwickelt die Fähigkeit sofort bei Berührung seine Kraft zu entladen.

Auf das wesentliche des Kampfes und Grundprinzipien des Trainings angeht werde ich dann im eigentlichen Text näher darauf eingehen und nicht an dieser Stelle.
Dennoch muss gesagt werden, dass dieser Text ursprünglich eigentlich nur privat für gleichgesinnte zum besseren Studium der Kampfkünste gedacht war und nicht als Text zur Veröffentlichung vorgesehen war. Doch da ich nun schon recht alt bin und von allen sehr darauf gedrängt werde, komme ich nicht darum etwas wie Spuren einer Wildgans im Schneematsch als Wegmarkierung zu hinterlassen. So habe ich nun das was ich so im Laufe meines Lebens angesammelt habe als Referenz zusammengeschrieben. So kann in Zukunft jeder diesen Text zur Hand nehmen und so vielleicht etwas leichter zu einem richtigen Verständnis kommen. Es ist mir schon immer wichtig gewesen für Neues offen zu sein. So wäre ich sehr dankbar darüber, wenn kompetente Leute mich auf Mängel in dieser Kampfkunst hinweisen würden, oder vielleicht sogar bereit sind mich hierin zu unterrichten. Denn Fortschritte kann man nur machen wenn man lernt seine eigenen Begrenztheiten durch die Hilfe anderer zu erkennen und so gemeinsam voranzukommen.

Es ist mir ein Anliegen an alle die von mir lernen und gelernt haben, bescheiden und offen zu sein. Einerseits bei Problemen möglichst nachzufragen und andererseits mit vollem Einsatz versuchen die Dinge umzusetzen. Und wenn man zu neuen Erkenntnissen gekommen ist, freue ich mich über diese gemeinsam zu diskutieren, um so immer weiter zu den Tiefen der Kampfkünste vorzudringen. Ich erhoffe mir auf diesem Wege einen Nutzen für die Gesellschaft beizusteuern und die Qualität der allgemeinen sportlichen Betätigungen/Breitensports zu erhöhen. Denn es wäre nutzlos, wenn die Menschen keinen Nutzen daraus ziehen könnten. Sollte es zu keiner qualitativen Verbesserung in dieser Hinsicht kommen, dann liegt das zuerst an der Einstellung Unsereins oder daran, dass die Bemühungen nicht den Erfordernissen entsprechen.

Wissen und Handwerk gehört stets der ganzen Menschheit. Wer wäre ich da einfach nur alles für mich zu behalten? So habe ich mich trotz meiner Unfähigkeit entschlossen diesen Text niederzuschreiben. Meine Schriftstellerischen Fähigkeiten sind jedoch sehr begrenzt. So ist es mir nicht möglich die Feinheiten dieser Kampfkunst im vollen Umfang hier zu erläutern, sondern es soll in erster Linie ein Grundgerüst darstellen. Es ist einfach zu komplex hier alles in voller Tiefe auszubreiten um das was mir auf dem Herzen liegt umfassend darzustellen. Es ist somit dem Leser überlassen sich aus den Ansätzen hier selbst einen Reim zu machen.

Zu guter letzt ist es für mich unausweichlich gewesen manchmal etwas scharfe Töne zu verwenden, da mir die Kampfkünste einfach zu sehr am Herzen liegen und ich deshalb vielleicht manchmal etwas emotional reagiere oder ungehalten erscheine. Doch es wird Menschen geben die mich durch diesen Text verstehen und es wird Menschen geben, die mich aufgrund dieses Textes verurteilen werden.
Möge es jeder für sich halten wie es ihm beliebt/ für richtig erscheint.

gast
08-02-2017, 21:13
WICHTIGE GRUNDLAGEN ZUM STUDIUM DER KAMPFKÜNSTE

Wenn heute Kampfkünste trainiert werden, wird meistens mit ausgeprägten, harten Muskeln vor den Menschen geprahlt und man ist der Meinung, dass dies das Merkmal eines Sportlers ist. Dabei merken sie gar nicht, dass diese extrem entwickelte Art sowohl nicht gut für die Gesundheit ist und auch sonst nichts bringt. Zudem wird von Physiologen davon abgeraten und bringt aus sportlicher Sicht überhaupt nichts.


Ich habe in den letzen Jahren mehrmals in der Zeitung diesen Irrglauben kritisiert und obwohl es ein paar verständige Leute gab, die ihre Zustimmung ausdrückten, so sind doch die meisten ziemlich unwissend und bringen es fertig allgemeine Logik zu verdrehen. Und was wirklich zu verachten ist, wenn dann noch hintenrum schlecht über andere geredet wird. Doch letztendlich lassen sich solche Abneigungen wohl nicht vermeiden. Oft ist es so, dass diejenigen die eine besonderes Wissen mit sich tragen, etwas gutes für die Menschheit tun möchten, sowie sehr treue und äusserst begabte Menschen nur selten auch Anerkennung in der Gesellschaft finden. Das zeigt, wie tief das Niveau eigentlich schon gesunken ist.

Wegen der Zukunft der Kampfkünste möchte ich mich deswegen nicht so konservativ verhalten. Möge man mir es verzeihen. Schaut man sich die historische Dimension der Kampfkünste an, so orientierte man sich ursprünglich an bestimmten Fähigkeiten von Tieren beim Kämpfen, ahmte ihre Bewegung nach, versuchte die Idee dahinter zu verstehen und entwickelte es ständig weiter, bis man verstand alles äussere durch Ideen mit den Geisteskräften zu substituieren (精神假借 jingshen jiajie, 意念诱导 yinian youdao (https://www.benjamin-witt.com/yiquan/was-ist-yiquan/zentrale-begriffe-des-yiquan/)). So wurde diese Kunst erst langsam zusammengetragen. Was soll man da noch zu den heutigen Kampfkünstlern sagen, wo nicht mal mehr die äussere Form noch stimmig ist, geschweige denn, dass es gut für die Geisteskräfte und das Körperbewusstsein ist.

Dennoch hört man auch immer wieder den Spruch, dass es ’stockt wenn man mit Kraft benutzt, aber fliest, wenn man das Bewusstsein (Yi) benutzt’. Versucht man nun aber dem Sinn dahinter auf den Grund zu gehen, dann müssen die meisten doch wieder passen. Benutzt man nur Kraft (unkoordinierte), so stockt das Muskelzusammenspiel und das ganze Skelett wird nicht lebendig und koordiniert, was ausserdem auch nicht gut für die Gesundheit ist. Das ist klar. Wenn man das Problem nun aber auf den echten Kampf anwendet, so erschöpft sich die Kraft durch Krafteinsatz und mit Techniken kommt man auch schnell an seine Grenzen. Alle Techniken sind immer etwas begrenztes und im Laufe der Zeit von Menschen (künstlich) erschaffenes. Es ist keine Wissenschaft von der ursprünglichen Fähigkeit des Menschen. Dazu kommt noch, dass Geistes- und Körperkräfte nicht geeint werden und (echte) Kraft so nicht voll entfaltet werden kann. Ganz zu schweigen davon, sich die Kräfte des Universums zu Nutze zu machen. Denn die (sinnvolle Funktion der) Nervenleitbahnen ist so sehr von diesen fixen Ideen eingeschränkt, dass es so ist, als ob einem die Füße eingebunden wären und man kaum einen Schritt nach vorne machen kann. Ausserdem ist (angestrengter) Krafteinsatz nur eine andere Form von Widerstand. Widerstand entsteht aus Angst davor vom Gegner getroffen zu werden. Das ist im Prinzip nichts anderes als den Treffer des Gegners schon zu akzeptieren (bevor er überhaupt geschlagen hat). Da kann man doch gar nicht anders als nur getroffen werden! (Unkoordinierte) Kraft zu verwenden ist wahrlich ein großes Übel!

Man muss verstehen, dass Kraft und Bewusstsein (Yi) aus einem Ursprung kommen und sich bedingen. Bewusstsein zu benutzen bedeutet Kraft zu benutzen. Bewusstsein ist nichts anderes als Kraft. Dennoch, es ist nicht die Kraft die aus der (starren) Muskelkontraktion an sich kommt die man als (echte) Kraft bezeichnet. Wenn nicht das Bewusstsein (Yi) die Wohlspannung des gesamten Körpers koordiniert wird man nie zu einer natürlich freien Bewegung des sich Weitens und Zusammenziehens kommen, sowie einer angewandten/praktischen Entladung von lebendiger Kraft. Wenn man keine natürliche, lebendige Kraft hat, dann weiss ich auch nicht wo der Nutzen für die Gesundheit sowie für die Anwendung herkommen soll?
Mann muss verstehen, dass sich das Bewusstsein durch den Körper ausdrückt: Kraft folgt dem Bewusstsein (Yi); Bewusstsein (Yi) ist der Anführer der Kraft; und Kraft ist die Armee des Bewusstseins (Yi). Man sagt, das Bewusstsein ist gespannt aber die Kraft ist entspannt; Muskeln und Sehnen sind frei und lebendig; alle Zellenhärchen fliegen nach aussen und die Kraft tritt wie spitze scharfe Klingen in Erscheinung. Wenn nicht so, wie soll man sonst zu dem schönen Gefühl kommen welches sich aus dem (richtigen Nutzen) von Bewusstsein ergibt?

Diese Kampfkunst wurde vor 20 Jahren einmal Yiquan genannt. Ich habe das Zeichen Yi als Ausdruck für die gesamten Geisteskräfte hervorgehoben. Das heisst so viel wie, dass diese Kampfkunst großen Wert auf das konkrete Gefühl von Bewusstsein und Geisteskräften legt. Es war ursprünglich meine Hoffnung Menschen auf diesem Weg wach zu rütteln. Dass sie sich Gedanken über die Bedeutung (von Yi) machen und sich ihrer Fehler bewusst werden, um dann auf schnellstem Wege dem neu ausgerichteten Ziel entgegeneilen zu können. Doch wer hätte gedacht, dass sich die meisten Kampfkünstler so schwer tun die Bürde ihrer Ansichten abzulegen und umzukehren. Die meisten sind nicht gewillt in einer ruhigen Gemütsverfassung sich über die Problematik zu unterhalten, unnützes abzulegen und brauchbares aufzunehmen. Lieber klammern sie sich an ihre Ruinen und versuchen noch die letzten vom Verfall bedrohten Türme zu bewachen. Was soll man da noch machen!
So kam es dazu, dass mein Anliegen auf keine Resonanz gestossen ist. Leider. Aber so weit es in meinem Vermögen steht werde ich bestimmt nicht mit dem Strom schwimmen und die wahre Bedeutung des Weges der Kampfkünste dem Untergang preis geben. In dem Sinne werde ich eben immer wieder Mal meine Stimme erheben und hoffen, so die betäubten und lahmen Stellen wachzurütteln. Ich kann einfach nicht anders als diesen kleinen Funken von Ehrlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

gast
08-02-2017, 21:16
ÜBER GEBOTE UND GRUNDSÄTZE

Der Weg der Kampfkünste soll nicht nur den Körper trainieren, sondern er trägt noch eine andere wichtige Bedeutung. Was die Tradition angeht so legt man als erstes grossen wert auf das entwickeln der Tugendkräfte. Es sind die klassischen Gebote wie seine Eltern ehren, Ältere achten, den Lehrer wertschätzen, treue zu Freunden, Nächstenliebe und noch andere an die man sich halten soll.
Darüber hinaus ist es von großer Wichtigkeit mit Herzlichkeit und Aufrichtigkeit ein starkes Rückgrat und weites Herz zu entwickeln, sowie die Ambition zu hegen sich für andere Einzusetzen. Wenn dies nicht gegeben ist, dann ist das nicht die beste Voraussetzung für einen Kampfkünstler.

Vor allem aber was Qualitäten wie eine starke und tiefe Ausstrahlung, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen, Empathie, sowie Scharfsinnigkeit und Mutigkeit angeht, sind dies wichtige grundlegende Anforderungen die ein Schüler mitbringen sollte. Ansonsten befürchte ich wird es schwer sein das Überlieferte zu verstehen. Selbst wenn man es so weitergibt wird es schwer sein zur eigentlichen Essenz durchzudringen. Deswegen haben unsere Vorfahren einen Anwärter immer mit sehr großer Bedachtheit ausgewählt. Das liegt wohl daran, dass wirklich talentierte Menschen nur sehr schwer zu finden sind und man niemand leichtfertig in seine Reihen aufnehmen wollte.

Was nun die Unterrichtssystematik anging, so sind die 4 Erscheinungen und 5 Anforderungen die Grundlage für alle. Das sind einmal: aufgerichteter Kopf, ausgerichtete Augen, ernsthafter Geist und ruhige Stimme.
Dann ging man weiter und erklärte die Zeichen der 5 Anforderungen: Aufrichtigkeit, Besonnenheit (shen), Sinn-Idee, Echtheit und Harmonie. Ich werde nun hier das Reimgedicht über die 5 Anforderungen niederschreiben um deren Inhalt zu verdeutlichen:

Entschliesst man sich Kampfkunst zu erlernen,
ist das wichtigste zunächst Respekt seinen Eltern und Lehrern gegenüber;
Loyalität und Aufrichtigkeit ist das wichtigste unter Freunden,
Tugendkräfte der Kampfkunst soll man bedacht folgen.

In Bewegung ist man wie Drache und Tiger,
in Ruhe strahlt man das Herz eines Buddha aus.

Gedanken soll man besonnen zum Ausdruck bringen,
so, als ob man sich mit einem wichtigen Gast austauscht.

Ist man Aufrichtig so ist der Geist auch nicht zerstreut,
Besonnen als ob man vor einem großen Abgrund steht.

Unauslotbar tiefe Ideen zur Hilfe nehmend,
füllen sie die Kräfte den ganzen Körperkräfte aus.

Im Abstrakten muss man nach konkreter Echtheit streben,
und darf dabei nicht seine harmonisch austarierte, ganzheitliche Mitte verlieren.

Das Kraftgefühl ist wie von Strom durchdrungen,
und das gelernte muss immer weiter vertieft werden.

Die Stimme kommt tief aus dem Innern,
wie der Laut eines Drachen.

Aufrichtigkeit, Besonnenheit, Sinn-Idee, Echtheit und Harmonie,
diese 5 Anforderungen sind mit diesem Gedicht dargestellt.

Wenn die Wesens-Natur zum Vorschein kommt und man das Prinzip verstanden hat,
dann muss man die Richtung ändern und ausserhalb des Körpers weitersuchen.

Man soll sich nicht von Methoden und Theorien einengen lassen,
und schon gar nicht sein Leben lang immer nur andere studieren.

gast
08-02-2017, 21:18
ÜBER EINFACHE BZW. DOPPELTE SCHWERE UND SICH NICHT AN ÄUSSERER FORM AUFZUHÄNGEN

Unter dem Aspekt der Prinzipien und Funktionsweise des Kampfkunstweges gesehen, ganz unabhängig davon ob es sich um das alltägliche Training dreht oder ob es während des Kampfes ist, muss der ganze Körper immer in einer ganzheitlichen Grundspannung sein, ohne auch nur die geringsten Ungleichheiten. Wenn es auch nur die geringste Unausgeglichenheit gibt, so bedeutet das, dass der Körper sich an der Form aufgehängt hat und Kraft sich im Körper bricht. Geist und Form, sowie Bewusstsein und Kraft dürfen sich nicht an äusserer Form aufhängen. Sobald sie sich daran aufhängen kommt es zu Einseitigkeit. Das ist einmal für die Lebenspflege nicht gut und darüber hinaus kann es vom Gegner ausgenutzt werde. Ein Schüler sollte sehr darauf achten.
Was nun diese ausgeglichene Grundspannung angeht, so ist das keineswegs etwas starres. Denn sobald man steif wird, begeht man leicht den Fehler der doppelten Schwere. Aber man darf auch nicht übermässig bewegt sein. Zu lebendig zu sein führt leicht zu Oberflächlichkeit und hat keinen praktischen Nutzen. Konkret bedeutet das sich zu bündeln und zu entladen; man speichert die Kraft in den Bögen und auch wenn man die Kraft entlädt darf die (Grundspannung) nicht abbrechen. Das ist die Bedeutung von „die Kraft darf nicht verlorengehen“. Deshalb ist doppelte Schwere nicht einfach nur auf beide Beine bezogen, sondern Kopf, Hände, Füße, Schultern, Ellbogen, Knie und Hüft-Beckenbereich, sowie alle großen und kleinen Gelenke, bis hin zum kleinsten Kraftpunkt. Alles kann unterschieden werden in einfache und doppelte Schwere; Anspannung und Entspannung; Fülle und Leere, sowie leicht und schwer.
Heute die neigen die allermeisten Kampfkünstler jedoch dazu, von einer einseitigen einfachen Schwere hin zur absoluten doppelten Schwere zu rutschen. Und noch vielmehr dann von der absoluten doppelten Schwere hin zur kompletten Steifheit. Die Wissenschaft von der einfachen und doppelten Schwere ist tatsächlich etwas von großer Komplexheit und sie geht immer weiter verloren.
Schaut man sich heute die Kampfkunstklassiker der verschieden Linien an, so stimmt da im Prinzip nichts mehr. Die (abgebildeten) Autoren hängen sich an der äusseren Form auf, verstossen gegen Grundgebote und der Körper bildet überhaupt keine Einheit. All die Stellungen sind wirklich grotesk auf’s äusserste und wirken wie eine Betäubungsspritze für die Menschen (alt.: verdrehen das Fleisch der Menschen). Je mehr man so etwas lernt, desto mehr entfernt man sich vom eigentlich Weg der Kampfkünste. Hängen sie sich nicht an der Form auf, dann werden sie total steif und sobald sie sich an der Form aufhängen, dann ist es ein komplettes Chaos. Und wenn man dann mal jemandem begegnet der von Natur aus das wunderbare der einfachen Schwere besitzt, so ist das auch nichts anderes wie doppelte Schwere, da er nicht im Stande ist zu begreifen was es bedeutet. Letztendlich bringen sie es dann immer so weit, alles unbequem und unnatürlich zu machen, so, dass die ganze Struktur des Körper seine Ordnung verliert. So kommt es dann dazu, dass man letzten Endes nicht mehr anders kann als sich auf die Abwege von schablonenhaften und starren Techniken zu begeben. Man verliert dann für immer die Fähigkeit der Situation entsprechend zu reagieren und unberechenbar zu sein. Vielmehr noch wird man nicht mehr in der Lage sein seine natürlichen Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Das ist eigentlich eine sehr traurige Situation.
Was nun Geist und Bewusstsein angeht, diese nicht an der Form aufzuhängen, so gibt es keine andere Möglichkeit als dies in der Praxis, durch lebendige Kraft der natürlichen Fähigkeit im Moment des Kontaktes, zu überprüfen. Z.B. in einem Entscheidungskampf in dem Moment wenn es um alles geht. Dann hat man keine Zeit mehr zu zögern. Sobald man in Kontakt ist, sich aber noch nicht berührt hat, dann weiss man noch nicht wie man reagiert. Sobald es erledigt ist, weiss man jedoch auch wieder nicht was man eigentlich gerade gemacht hat. Das ist die Bedeutung von „absichtslos offen sein“ und „nicht zu wissen wie etwas Zustande gekommen ist“. Man sagt auch, dass dies die äusserste Mitte und höchste Harmonie ist in der die ursprüngliche Kraft ganz von selbst aus der natürlichen Fähigkeit hervorgeht.

gast
08-02-2017, 21:20
ÜBER DIE ABSTRAKTHEIT VON FÜLLE UND LEERE, SOWIE ÜBER DIE ERFAHRUNG VON LEERHEIT UND KONKRETHEIT.

Es gibt nicht nur eine Form von Grundlagentraining durch das man sich den Kampfkünsten nähern kann, aber die Essenz davon ist etwas wunderbares, da die Funktion von Ausdruck und Form, bzw von Bewusstsein und Kraft sich letztendlich ganz und gar gegenseitig bedingen. Diese Art von Funktion ist etwas, dass man weder sehen noch hören kann und sowohl ohne Körper als auch ohne Form ist. Betrachtet man es von seiner konkreten Seite her, so ist es wie eine im Wind wehende Fahne, die ohne feste Form umherflattert und sich nur nach der Kraft des Windes richtet. Das ist die Bedeutung von „sich mit der Atmosphäre zu verbinden“. Es ist auch wie ein Fisch in den Wellen, der ohne Richtung dem Wogen der Wellen folgt, auf und ab, hin und her, vor und wieder zurück, je nachdem wie die Wellen ihn tragen. Man wird einfach nur vom Impuls der Wellen bewegt, drückt sich entsprechend des Gefühls aus und die Geisteskräfte sind in lebendiger Leere und Stille gesammelt. Der springende Punkt dabei ist in der Leere und Abstraktheit nach dem konkreten zu tasten/forschen, sowie im konkreten das auszuloten was man nicht hat. Das ist im Prinzip wirklich nichts anderes als was Daoismus, Buddhismus und Konfuzianismus zum Ausdruck bringen wenn sie sagen: „durch das Ungeschaffene zum Geschaffenen“; „alle Dharmas sind leer, das ist ihre konkrete Gestalt“ sowie „alle Wissenschaft ist sich letztendlich trotz ihrer vielen Namen doch sehr ähnlich“. Oder z. B. die Tuschmalerei, wo der Künstler es versteht mit Kraftvoll freiem Pinselstrich die weiten/Tiefen der Schöpfung zu durchschreiten. Man kann sagen, dass das im Prinzip dasselbe ist. Inspiration und Ausdruck sind vollkommen im Raum zwischen Formlosigkeit und der doch täuschend ähnlichen Form wieder zu erkennen. Indem man ihrer Idee (yi) nachsinnt, kann man sie verstehen. Deswegen die Warnung davor vor einem Spiegel zu üben. Denn es ist zu befürchten, dass indem Moment wo man zu sehr auf seine äussere Form achtet, man im Inneren leer wird und der Geist dann durcheinander gerät. Wenn man trainiert, kann man sich vorstellen, dass im Umkreis von drei bis sieben Fuss von allen Seiten starke Feinde mit großen Säbeln und breiten Äxten kommen oder wilde Tiere und giftige Schlangen sich immer weiter nähern. Dieser Situation eines Kampfes auf Leben und Tod muss man mit großer Furchtlosigkeit begegnen, um in der Leere nach dem konkreten zu streben. Denn sobald die wirklichen Feinde um einen stehen, geht man mit ihnen so um, also ob sie gar nicht existieren würden, um so im konkreten nach der Leere zu streben. Das wesentliche ist im täglichen Training dieses Körpergefühl immer weiter zu vertiefen und sich zu eigen zu machen. Zusammenfassend kann man sagen, es kommt alles aus dem Abstrakten. Das ist die Bedeutung davon wenn es heisst, dass ‚wenn Ausdruck und Idee voll ausgeprägt sind, man nicht mehr nach der äusseren Form zu suchen braucht‘.
Es ist sehr wichtig darauf zu achten, beim Üben alles langsam auszuführen, der Geist dagegen sollte aber schnell sein; die Hände gehen nicht leer nach aussen und das Bewusstsein kommt nicht leer zurück; selbst die kleinsten Bewegungen und Kraftpunkte müssen ganz konkret bis in’s feinste hinein voll ansprechen/reagieren; Innen und Aussen sind verbunden; Fülle und Leere brauchen sich gegenseitig und sind eigentlich aus einem Guss. Es ist wichtig, dass man zu jeder Zeit und an jedem Ort stets mit seinen natürlichen Fähigkeiten/auf natürliche Weise bereit ist auf einen Kampf zu reagieren. Sobald man aber nach Geschwindigkeit strebt, gleitet der ganze Prozess einer Bewegung wie im Fluge an einem vorbei. Wie soll man da noch die Wirkung einer konkreten Körpererfahrung ausbilden? Deswegen sollte man am Anfang das Stehen als Grundlagentraining machen und erst nachdem mann nach und nach beginnt mit seinem Körper zu verstehen weiter fortzuschreiten. Wie auch immer, Ausdruck und Form, Bewusstsein und Kraft müssen Eins werden. Auch die 4 Zentren müssen vereint werden (Scheitelzentrum, Wesenszentrum, Hand- und Fusszentrum); die Nervenleitbahnen müssen vereint werden; alles kommt durch die kleinste Bewegung in Gang und bis in’s feinste hinein arbeitet alles zusammen: der gesamte Mensch mit all seinen Gliedern ist darin enthalten und es gibt nichts das sich irgendwo aufhängt oder das etwas in’s Stocken gerät. Wenn man dann noch weitergeht und es versteht sich mit der ganzen Atmosphäre zu verbinden, sowie Anspannung und Entspannung sich an allen Kraftpunkten gegenseitig bedingen, dann ist man eigentlich ganz nah dran. „Ausserhalb seines Körpers gibt es nichts nachdem man streben könnte; jedoch auf seinen Körper fixiert zu sein wird man auch keine Stelle finden die einen weiter bringt.“ Wie wahr doch diese Worte sind! Wenn man nur aufmerksam darüber nachsinnieren würde, würde man eigentlich auch von ganz alleine einen Blick in die grüssen Hallen des Kampfkunstweges werfen können und Stück für Stück das wunderbar verborgene darin verstehen können.

gast
08-02-2017, 21:22
TRAININGSINHALTE: ÜBER DAS STEHEN

Das Grundlagentraining dieser Kampfkunst ist das Stehen. Der Nutzen und die Wirkung des Stehens besteht darin, dass die Nervenleitbahnen trainiert werden, die Atmung reguliert wird, das Blut frei zum fliessen kommt und Muskeln und Sehnen sich weiten können und harmonisiert werden. Es ist wahrlich eine Wissenschaft von der Pflege des Lebens, der Körperertüchtigung, der Bildung der Mentalität und es ist auch eine ganz normale sportliche Betätigung die den Grundsätzen der Gesundheitspflege entspricht.
Des weiteren wird dann mit der Kraft und mit der Stimme experimentiert (shi-li, shi-sheng) und man versucht durch die Zuhilfenahme von Ideen verschiedene Prinzipien mit dem Körper zu erfahren. Als letztes kommt dann die Selbstverteidigung.
Man versucht zu lernen mit der Kraft der Atmosphäre umzugehen, die Wellenartige Anspannung und Entspannung, natürliche/instinktive Wahrnehmung und die Wichtigkeit der gegenseitigen Bedingtheit von Fülle und Leere.
Ich werde nun auf jede Stufe, eine nach der anderen, genauer eingehen.

Das Stehen
Zu Stehen wie ein Pfeiler bedeutet ausgewogen, stabil und aufrecht zu Stehen. Am Anfang stehen grundlegende Stehübungen. Die Übung besteht darin zunächst das Gerüst des ganzen Körpers in rechter Weise auszurichten. Innerlich sollte man klar und leer werden, äusserlich alles abfallen lassen um ganz natürlich in eine Wohlspannung zu kommen. Der Kopf ist gerade, die Augen ausgerichtet, der Körper aufrecht, der Scheitel senkrecht ausgerichtet, der Ausdruck erhaben, die Kraft ausgewogen, die Gemütsverfassung ruhig, der Atem gleichmässig, das Bewusstsein in die Weite verlagern, die Behaarung ist wie aufgerichtet und der Hüftbereich ist entspannt, alle Gelenke des Körpers sind so, als ob sie sich etwas krümmen würden. Die Gedanken sind wie weggefegt und man steht in Stille der offenen Weite gegenüber. Die Gedanken folgen nicht den äusseren Reizen und die äusseren Reize rufen keine Gedanken hervor. Man nimmt den Raum über seinem Kopf war, als ob man leer von sich selbst nur ganz alleine existieren würde. Die Haare am ganzen Körper beginnen sich nach aussen zu weiten als ob sie sich kerzengerade aufstellen würden. Der ganze Körper, innen wie aussen, kommt dabei ins Schaukeln und Wogen. Man kommt sich vor wie ein edler Baum der mit seinem Wipfel bis in die Wolken hinaufreicht. Wie von oben mit einem Seil befestigt und von seinem Wurzelwerk getragen. Das Gefühl dieses rhythmischen, in sich durchdrungenen Wogens kann mit Schwimmen in der Luft verglichen werden. Es kommt sehr nah daran heran.

Dann kann man im nächsten Schritt seine Aufmerksamkeit darauf richten, den Bewegungszustand der Muskeln und Zellen zu erfahren. Wenn man nach einer gewissen Zeit des Trainings ein Gefühl dafür bekommen hat, dann wird man ganz von selbst verstehen, dass dies eine sehr gesunde Form des Sports ist. Normal und gesund bedeutet hier, dass dies der direkte Weg ist seine gesamte Physis zu verändern. Bei Blutarmut führt es dazu, dass sich das Blut vermehrt und Bluthochdruck senkt sich wieder auf ein normales Niveau. Das hängt damit zusammen, dass ganz egal wie man sich bewegt, der Herzschlag nie seinen normalen Rhythmus verliert und das Herz sich normal entwickeln kann.

Was das Bewusstsein angeht, sollte man den Körper als einen großen Schmelzofen betrachten in dem alles geschmolzen und wahrgenommen wird. Man sollte wahrnehmen, wie jede Zelle auf natürliche Weise in einer Einheit mit allem zusammen arbeitet. Nichts darf auch nur im geringsten erzwungen sein. Auch darf man sich nicht in Phantasien verlieren.

Wenn man so wie oben beschrieben trainiert, dann werden ganz konkret alle Muskeln, ohne dass man die gezielte Absicht hätte, von ganz alleine trainiert und die Nerven werden, ohne dass man die gezielte Absicht hätte, auch von ganz alleine genährt. Im ganzen Körper macht sich ein sehr angenehmes Gefühl breit und auch die Ausstrahlung beginnt sich immer mehr zu verändern. So ist es auch nicht schwierig, dass sich die ursprüngliche, natürliche Kraft langsam immer mehr von innen nach aussen entwickelt.
Doch man muss aufpassen, dass man weder mit dem Körper noch mit dem Geiste versucht etwas erzwingen zu wollen. Denn sobald sich eine gewollte Anstrengung im Körper ergiesst, so verliert man seine Wohlspannung. Verliert man seine Wohlspannung, so gerät der Atem ins Stocken, die Kraft wird steif wie ein Brett, die Wahrnehmung lässt nach und der Geist bricht ab. Dann stimmt gar nichts mehr im Körper.

Prinzipiell kann man sagen, dass egal ob man Steht, mit der Kraft experimentiert oder Sparring macht, sobald man ausser Atem gerät oder das Zwerchfell unter Spannung gerät, dann ist etwas nicht in Ordnung. Ich hoffe dass jeder Übende acht darauf gibt und es sich zu Herzen nimmt.

kanken
08-02-2017, 21:46
Wow Benjamin! Klasse. :ups:

Grüße

Kanken

karate_Fan
09-02-2017, 07:46
:verbeug:Vielen Dank fürs Teilen. Das muss ja eine Mordsarbeit gewesen sein, diesen langen Text zu übersetzen.:verbeug

Auch wenn als schulfremder Mensch bei weitem nicht alles verstanden habe, war es trotzdem ein sehr interessanter Text.

andysun
09-02-2017, 07:56
Vielen herzlichen Dank dafür!!!! Man merkt dein Herz dabei!!!
Ich hatte vor einiger Zeit gehofft (mit Yi ;)), als die ersten Übersetzungen von dir kamen, dass es noch mehr wird. Super und Respekt, Namaste!!!

Nur eine Idee.
Super wäre es, wenn deine Übersetzung auf deiner Webseite komplett auf einer Seite wäre, damit man direkt dahin verweisen kann.

gast
09-02-2017, 08:41
Nur eine Idee.
Super wäre es, wenn deine Übersetzung auf deiner Webseite komplett auf einer Seite wäre, damit man direkt dahin verweisen kann.

Das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen. Aber dadurch, dass es bis jetzt als Gesamtes noch nicht fertig ist und immer neue Abschnitte hinzukommen, dachte ich, ist es ziemlich unübersichtlich, wenn ich nur einen Text habe, in den ich immer wieder neues hinein kopiere. Man kann ja einfach den Link mit der Übersetzung (https://www.benjamin-witt.com/blog/yiquan-übersetzungen/zentrale-achse-quandao-zhongshu/) angeben, oder auf die einzelnen Abschnitte des Blogs verweisen.

Ausserdem dachte ich, dass es so auf dem Blog auch übersichtlicher ist, da man gleich erkennen kann wie der Text inhaltlich aufgebaut ist und man direkt einem bestimmten Inhalt ansteuern kann.

gast
09-02-2017, 08:43
2. ÜBER DAS EXPERIMENTIEREN MIT KRAFT

Wenn man mit den oben beschriebenen Grundlagenübungen erstmal eine gute Basis hat, dann wird sich die Entwicklung der natürlichen Fähigkeiten von Tag zu Tag immer weiter verbessern.
Dann sollte man fortfahren und beginnen mit den Kräften zu experimentieren, um so verschiedene Formen von Kraft konkret zu erfahren und wahrzunehmen, so dass man sie auch in der reellen Anwendung umsetzen kann. Diese Arbeit ist im Training der Kampfkünste der wichtigste, aber auch der schwerste Teil.
Denn durch experimentieren mit Kraft gelangt man and den Ursprung von Kraft und Kraft lernt man erst dadurch verstehen, dass man mit ihr experimentiert. Erst durch das Verständnis von Kraft gelangt man zu einem effektiven Nutzen davon.

Wenn man übt, sollte der Körper in einer gleichmäßigen Wohlspannung sein. Der ganze Muskelapparat ist wie leer und lebendig, ganz ohne Bruchstellen. Man versucht konkret wahrzunehmen, wie durch jede Pore am ganzen Körper ein Gefühl weht, wie von einer leichten warmen Brise hin und her bewegt zu werden. Dabei sollte aber das ganze Knochengerüst und alle Härchen tragend aufgespannt sein und sich gleichzeitig sammeln und weiten. Es ist ein ständiges sich bedingen von miteinander ringenden Kräften, die doch zurückgehalten werden. Je feiner die Bewegung ist, desto voller ist der Geist; Langsamkeit ist der Schnelligkeit überlegen und Gelassenheit bringt mehr als eine gedrängte Erzwungenheit: es ist so, als ob man sich in Bewegung setzt und doch stoppt, bzw. so, als ob man stoppen wollte und sich doch weiterbewegt; noch vielmehr ist es so, als ob man während der Bewegung stoppen müsste und man sich während des Stoppens weiterbewegen müsste. Auf diese Weise muss man versuchen mit seinem Körper zu erfahren und zu verstehen, ob die Idee und Wahrnehmung zusammen mit den Kräften im ganzen Körper zur vollen Entfaltung kommen oder nicht; ob die Wahrnehmung und Kräfte sich zu jeder Zeit und an jedem Ort beim kleinsten Gefühl entladen könnten oder nicht; ob die natürlichen Fähigkeiten des ganzen Körpers mit den Kräften des Universums in Verbindung stehen oder nicht und ob die Kräfte, die man sich mithilfe einer Idee versucht anzueignen, auch wirklich konkret und echt geworden sind oder nicht?

Wenn man mit den Kräften des Universums in Einklang kommen möchte, dann muss man erst ein Gefühl für die Luft/Atmossphäre (um einen herum) bekommen. Hat man dafür erst einmal ein Gefühl, dann kann man sich auch Stück für Stück immer feiner damit abstimmen. Dann kann man mit der Wirkung von wellenartiger Anspannung und Entspannung im Spiel mit der Luft und mit den Gegeneinander wirkenden Kräften der Erdanziehungskraft im Verhältnis zu einem selbst experimentieren. Wenn man das übt, dann muss man die Art der Qualität des Luftwiderstandes versuchen zu erfahren. Das heisst, ich setze genau so viel Kraft ein, wie der Widerstand auf den ich treffe. Deshalb ist die Kraft die man einsetzt immer auf ganz natürliche Weise weder zuviel noch zu wenig.
Am Anfang kann man es zunächst nur mit den Händen und Armen machen und im Laufe der Zeit immer mehr den ganzen Körper zum Einsatz bringen. Wenn man diese Art von Kraft kennen lernen kann, dann werden sich die natürlichen Fähigkeiten Stück für Stück immer weiter entwickeln. Übt man sich über eine lange Zeit beständig darin, dann wird sich ganz von alleine eine immer wunderbarere Wirkung einstellen wie man es sich kaum vorzustellen vermag und es wird nicht schwer sein ein Gefühl für die verschiedenen Arten von Kraft zu bekommen.

Was nun die ungebrochene Wahrnehmung angeht; die Lebendigkeit die sich nicht zerstreut; wie alles eine Einheit ist; wie bei der Bewegung der kleinsten Stelle der gesamte Körper in Bewegung kommt; wie man Oben und Unten, Links und Rechts und Vorne und Hinten nicht vergisst und nicht verliert: ist man nun nicht in der Verfassung, dass all das ganz entspannt und kraftvoll ist und man in die Verfassung kommt ständig neue interessante Dinge zu entdecken, dann kann man noch nicht davon reden, schon das wunderbare der Kampfkunst erfahren zu haben.

Die Kräfte mit denen man experimentiert haben sehr viele verschiedene Namen: wie z.B. ladende Kraft, schnellende Kraft, schockierende Kraft, öffnende und schliessende Kraft, sowie wiederholte Beschleunigung, die Mitte stabilisieren, seidenspulende-, aufspannende-, träge-, dreiecks-, spiralförmige-, hebel-, achs-, seilwinden- und schräglaufende Kraft. All diese Kräfte lernt man durch das experimentieren zu verstehen. Denn alle Gelenke des Körpers, bis in’s kleinste Detail hinein, sind voll geladener Spannung — und zur selben Zeit gibt es auch kein Gelenk, welches nicht in sich die Entladung und Öffnung trägt. Das ist die Bedeutung von „sammeln und entladen Bedingen sich gegenseitig“.
Deswegen gibt es keine Gelenke die nicht ein stumpfes Dreieck bilden und keine Flächen, und schon gar keine festen Dreiecke (die mechanischen Namen sind die selben, die Methode ist jedoch eine andere).

Es ist so, dass Kraft in der Kampfkunst immer von der geistigen Seite her erfahren und verstanden wird. Der Körper spielt dabei eine sehr subtile Rolle. Von aussen betrachtet sieht es so aus, als ob er sich nicht bewegen würde, wobei die Spiralen die sich aus den Dreiecken ergeben eigentlich ständig ohne Ende in allen Richtungen am Rotieren sind.
Man muss wissen, dass sich die Kräfte zerstreuen wenn die Bewegung zu grob ist. Der Geist sich aber in der Bewegungslosigkeit sammelt. Doch das kann man erst verstehen wenn man es erfahren hat. Denn die spiralförmige Kraft, wenn ich sie von meiner Erfahrung her betrachte, muss sich zwangsläufig aus der Dreieckskraft ergeben. Darüber hinaus sind jegliche Formen von Kräften alle ein gegenseitiges Bedingen von aufwallenden Muskeln und Sehnen und der Zuhilfenahme von geistigen Vorstellungen. All das hat ganz Enge Beziehungen untereinander. Wenn man es getrennt voneinander behandeln würde, dann würde man nur bei einseitigen Techniken landen. Deswegen ist es ohne die direkte mündliche und gefühlsbetonte Übertragung eigentlich kaum zu erlangen. Noch viel weniger durch eine detaillierte Beschreibung. Deswegen macht es keinen Sinn weiter detailliert darüber zu schreiben.

Zusammenfassend kann man sagen, dass alle Kräfte in ihrer Anwendung eine Konzentration des Geistes sind, Innen und Aussen auf’s Engste verbinden und alle implizit vereinigt sind. Wenn man isoliert von ihnen sprechen würde, dann würde sich formenhafte Bewegung im Körper zeigen und es würde zu einem mechanischen Kampfkunstweg führen, der nicht mehr von Geist und Bedeutung bestimmt wäre.

Aufgrund meiner über 40 jährigen Erfahrung und ununterbrochenen Bemühung, ist mir bewusst geworden, dass jegliche Form von Kraft aus einer runden, sich nach aussen weitenden Einheit und dem leer werden von sich selbst heraus entsteht. Doch diese runde Einheit und das Leer sein muss man wiederum von den kleinsten Ecken und Kanten her langsam mit seinem Körper verstehen lernen. Nur so kommt man dort hin. Deswegen ist mir auch klar geworden, dass ein jegliches Handwerk zwischen Himmel und Erde stets auf Gegensätzen beruht — die zur selben Zeit aber doch in sich vereint sind. Erst wenn man Gegensätze vereint, dann kommt alles zusammen. Erst dann kann man aus dem Nutzen von Arbeitsteilung und Kooperation profitieren. Ansonsten ist es nicht einfach zu einer gewissen Klarheit zu gelangen.

Was nun die Anwendung angeht und das wesentliche dieser runden Einheit, so hat das absolut gar nichts mit dem Aussehen der äusseren Form zu tun. Es hat auch nichts mit der Komplexität einer Haltung zu tun. Egal ob man mit einer Hand rauskommt; mit beiden zurückkommt; mit beiden herauskommt; direkt nach vorne eindringt; quer läuft oder direkt rammt; ob direktes oder schräges in gegenseitiger Spannung steht; ob ein Gelenkabschnitt des ganzen Körpers oder nur ein Punkt, eine Fläche oder Linie: alle Methoden beinhalten bis in das kleinste Detail hinein die Unterscheidung in vorher - nachher; leicht - schwer sowie Entspannung und Anspannung. Die Form (der Bewegung) darf sich jedoch äusserlich wahrnehmbar nicht zeigen und die Kraft darf nicht ihre Mitte verlieren. Es darf auch keine Unterbrechung geben und noch viel weniger darf man ein Gefühl der Richtung und von Schwere und Leichtigkeit vermitteln. Egal ob man mit der Kraft experimentiert oder ob man Kraft entlädt, man muss stets eine konkrete Wohlspannung beibehalten. Die Kräfte sind vor dem Entladen gesammelt um seine Wahrnehmung nicht zu verlieren und um auf den Moment der Berührung zu warten. Der Geist ist gesammelt und die Knochen halten ihre scharfen Kanten verborgen.
Das Wesentliche dabei ist, dass man sich vorstellt, im Abstand von einer Schwertlänge um einen herum, von einem schützenden Netz umgeben zu sein. Der Raum im Inneren ist von Klingen und Spitzen nach allen Richtungen hin erfüllt, die wie ein mit unzähligen Pfeilen gespannter Bogen jeden Moment zum Abschuss bereit stehen. Dennoch weitet und zieht sich alles zusammen und bewegt sich durch die kleinsten Härchen und Muskeln und Sehnen. Am ganzen Körper, Innen sowie Aussen, hat man bis in den feinsten Bereich hinein das Gefühl als ob sich alles in Kugellagern bewegt und scharfe Kanten entfaltet.
Über die Zuhilfenahme von Vorstellungen verschiedenster unermesslicher Kräfte zu reden wird nun ein wenig zu komplex. Daher kann ich darauf im Konkreten nicht näher eingehen. Der Lernende kann es aber durch seinen Geist verstehen lernen.

Wenn man nun die ganzen Kräfte von denen oben die Rede war mit seinem Körper umsetzen kann, dann darf aber nicht der Meinung sein, dass der Weg des Lernens Kampfkünste hier schon zu Ende sei. Man hat lediglich erst einmal nur eine gute Grundlage welche überhaupt erst die Grundvorraussetzung ist, die Kampfkunst wirklich studieren zu können.
Wenn erst einmal jede Bewegung frei wird im Spiel von Spannung und Lösung von Kraft und man dabei nicht seine Mitte verliert; wenn die zentrale Idee von Einheit in Wandel von Fülle und Leere erfasst ist, dann muss man noch viel Erfahrung sammeln im Austausch mit schweren Gegnern und praxisbezogenen Meistern ihres Faches. Ansonsten ist das alles nicht leicht umzusetzen. Dafür braucht es äusserste Begabung, eine aussergewöhnliche Vermögen und vor allem ein sehr solides Grundlagentraining. Erst dann kann man immer mehr dahin kommen nicht mehr extra überlegen zu müssen und sich nicht mehr um Vorstellungen bemühen zu müssen. Das ist die lebendige Kraft, wenn sich ein Ergebnis einstellt ohne davor eine feste Vorstellung davon gehabt zu haben; man nicht mehr weiss wie es dazu kam nachdem es dazu gekommen ist: die ursprüngliche Fähigkeit der senso-motorischen Wahrnehmung.

Was die konkrete Ausführung auch der geringsten punktuellen Kraft angeht, muss man jegliche nicht zielgerichtete Bewegung tunlichst vermeiden, d.h., „einen Pfeil ohne Ziel abzuschiessen“. Dennoch, man muss dahin gelangen, dass man was den ganzen Körper angeht kein Ziel haben darf wenn man den Pfeil abschiesst. Ansonsten ist es schwer in den Bereich des wunderbaren zu gelangen.

kloeffler
09-02-2017, 11:29
Vielen Dank!
Das ist mal ein wirklich konstruktiver Beitrag.

T. Stoeppler
09-02-2017, 15:45
Ganz ausgezeichnet, vielen Dank!!!

Gruss, Thomas

Cam67
09-02-2017, 16:11
Riesendank für Die Arbeit und das Reinstellen hier.
(ich hoffe , daß irgendwann mal das meiste verstehe (Alles wäre vermessen))

:halbyeaha

gast
09-02-2017, 16:35
Tja, das mit dem Verstehen ist immer so ein Problem. Wenn man alles verstehen würde könnte man die Übersetzungen ja einfach so mal schnell runterschreiben:cry:

Erfahrungsgemäss kann man das, was man verstanden hat auch gut mit eigenen Worten wiedergeben. Wang's Schriften sind aber deswegen so schwer zu übersetzen, da seine Ausdrucksweise teilweise ziemlich kryptisch ist und man einfach immer wieder ziemlich im Dunkeln tappt was er denn jetzt genau meint. Aber im Prozess des Übersetzens ist man dann fast gezwungen die Wörter, Sätze und Abschnitte so lange zu wälzen, bis sich eine gewisse Logik und Verständnis auftut. Dabei lernt man selbst enorm viel. Daher macht die Arbeit eigentlich auch echt Spass.

pilger
09-02-2017, 20:43
Wow benniwitt,

tiefster Respekt und Anerkennung! Nicht nur für das Übersetzen an sich, sondern auch für die Offenheit, hier alle davon profitieren zu lassen.

Verbeugung.

Pilger

Oliver 101
09-02-2017, 21:04
Sehr schön, Benni.
Interessant zu lesen.
Ich bin mal gespannt ob ich für mein Verständnis des Yiquan noch etwas Neues aus dem Text ziehen kann.
Danke für das großzügige Teilen.

gast
10-02-2017, 08:27
3. MIT DER STIMME EXPERIMENTIEREN

Mit der Stimme zu experimentieren ist eine ergänzende Übung um in die feinen Bereiche zu kommen wo das experimentieren mit der Kraft nicht hinkommt. Die Wirkung besteht darin, das ausbreiten der Schallwellen zur Hilfe zu nehmen für die Arbeit alle Zellen im ganzen Körper auf Spannung zu bringen. Der ursprüngliche Sinn hatte nichts mit einschüchtern oder erschrecken zu tun, um demjenigen gegen den es gerichtet ist ein Gefühl von plötzlicher Furcht zu geben. Es ist also etwas ganz anderes Stimme und Kraft gemeinsam zum Ausdruck zu bringen als einfach nur einen Schrei auszustossen mit der Idee jemanden zu erschrecken.

Beim experimentieren mit der Stimme darf die Luft im Mundraum nicht nach aussen gestossen werden, sondern man benutzt die Stimme um eine Wirkung im Inneren zu erzeugen. Wenn man beginnt damit zu experimentieren kann man erst noch danach streben einen Laut von sich zu geben. Jedoch sollte man mit der Zeit dahin gelangen, dass dabei kein Ton mehr entsteht. Denn obwohl jeder Mensch seine ganze eigene Stimme hat, so ist der Klang beim experimentieren mit der Stimme bei allen Menschen derselbe. Der Klang ist wie wenn man gegen eine große Glocke in einem tiefen Tal schlägt. Die Alten sagen: „mit der Stimme zu experimentieren ist wie der Ursprung der feierlichen Töne huangzhong und dalü." Doch das lässt sich mit Tusche und Pinsel kaum beschreiben. Der Lernende muss dabei seinen Geist beobachten, über die Zusammenhänge nachsinnen, den Klang dabei wahrnehmen und die Idee dahinter verstehen um dann mit dem Gefühl und dem Ausdruck zu experimentieren. Nur so kann man dorthin kommen.

gast
11-02-2017, 07:32
4. SELBSTVERTEIDIGUNG

Selbstverteidigung bedeutet nichts anderes als Kampfkunst. Man muss verstehen, dass große Bewegung schlechter ist als kleine Bewegung und kleine Bewegung schlechter ist als gar keine Bewegung. Der springende Punkt ist zu verstehen, dass in der Bewegungslosigkeit erst die immer neu entspringende Bewegung entsteht. Es ist so wie ein Maschinenrad oder ein Kreisel mit dem Kinder spielen. Wenn er sich mit äusserster Geschwindigkeit dreht hat man fast das Gefühl er würde sich gar nicht drehen. Wenn man ihn weiter beobachtet und sehen kann wie er sich dreht, ist er schon wieder an dem Punkt wo er sich bald nicht mehr drehen wird. Das ist dann schon Ausdruck der Kraftlosigkeit. Das ist die Bedeutung davon, dass die Bewegung der Bewegungslosigkeit schneller ist als Bewegung und Bewegung in äusserster Geschwindigkeit so erscheint als ob sie Bewegungslos sei. Ruhe und Bewegung: beides bedingt sich.

Der springende Punkt in der Anwendung besteht vor allem in der Kontrolle durch die Nervenleitbahnen, der leitenden Rolle der Idee und der elastischen Kraft des Atems, der Stabilität der Zentrumsachse, der Umlenkung der Wegstrecke und der Veränderung des Schwerpunktes.
Wenn man die oben genannten Grundprinzipien in der richtigen Weise zur Anwendung bringt, dann hat man schon eine gute Grundlage für die Kampfkunst.

Man muss sich aber auch die Gewohnheit aneignen, im Alltag in jedem Moment und an jedem beliebigen Ort, bei jeglicher Bewegung die man vollzieht, immer gesammelt in sich bereit zu sein um einem auslösenden Reiz mit einer Reaktion zu begegnen. Der springende Punkt dabei ist, dass im Verweilen in der lebendigen Offenheit sich eine unendliche Weite von Wahrnehmung auftut. Das ist es was es so wertvoll macht.

Was nun für den Übenden das Lernen bestimmter Anwendungstechniken angeht, obwohl es eigentlich gar nicht wert ist dem tiefergehend nachzugehen, scheint es doch so zu sein, dass es (für die meisten) eine unumgänglicher Prozess ist den man durchlaufen muss.

Ist der Gegner steif und angespannt und hat einen klar erkennbaren Bewegungsschwerpunkt, dann erübrigt es sich eigentlich darüber zu schreiben.
Wenn aber die Bewegungen sehr schnell sind und der Körper ständig in Bewegung ist wie ein flinker Affe, dann muss man noch nicht einmal darüber reden ob dieser verschiedene Kraftqualitäten zum Einsatz bringen kann, denn schon allein durch die Schnelligkeit der Bewegungen wird es für die meisten schwer sein etwas entgegensetzen zu können.
Deswegen sollte man sich im Alltag auch immer wieder Gedanken über Anwendungstechniken machen.
Beim Training dieser ist erst einmal wichtig, dass der Unterleib ausgefüllt ist und der gesamte Gesäßbereich eine solide Kraft hat. Kopf, Hände, Schultern, Ellbogen, Hüften, Knie und Füße haben alle ihre Anwendung.
Was nun das hebende Schlagen, hakende Schlagen, drückende Schlagen, aufhängende Schlagen, sägende Schlagen, bohrende Schlagen, reibende Schlagen, wischende Schlagen, überlappende Schlagen, einwickelnde Schlagen, stampfende Schlagen, abschneidende Schlagen, blockierende Schlagen, pressende Schlagen, ableitende Schlagen, rollende Schlagen, abstützende Schlagen, gleitende Schlagen, haftende Schlagen, im Kreisschritt Schlagen, einsaugend im Vorwärtsschritt Schlagen, im Vorwärtsschritt Schlagen, im Rückschritt Schlagen, selbe Hand selbes Bein Schlagen, über Kreuz Schlagen, im ganzen Schritt Schlagen, mit halbem Schritt Schlagen, von der Seite gerade Schlagen, Frontal seitlich Schlagen, mit dem ganzen Körper teilweise Schlagen, mit Teilen des Körpers ganzheitlich Schlagen, hoch oder runter einwickelnd Schlagen, links oder rechts führend Schlagen, innen oder aussen führend Schlagen, vor oder zurück kreisend Schlagen, die Kraft bricht ab die Wahrnehmung bleibt verbunden und die Wahrnehmung bricht ab aber der Geist bleibt verbunden, an der Grenze zur Bewegung zu sein und sich noch nicht bewegen und alle Formen von Antäuschung: obwohl das alles nur nur partielle (Techniken) sind, ist es auch nicht einfach umzusetzen wenn man es nicht in der konkreten Anwendung trainiert.
Dennoch, all das ist eine mindere Form des Könnens. Jemand der mit echtem Verständnis begabt ist braucht das alles nicht zu lernen.

Quitte
12-02-2017, 19:07
Viel Text, sehr wenig Gehalt. :gruebel:

gast
12-02-2017, 20:23
5. Die Methode des Stehens für die Kampfkunst

Körper und Geist sind beim Stehen für die Kampfkunst leicht verschieden vom Basisstehen. Dennoch folgen sie denselben grundlegenden Prinzipien.

Die Stellung der Beine ist wie beim Zeichen ba 八 . Sie wird auch die ding-ba 丁八 Stellung genannt, oder halb-ding halb-ba Stellung des Bogenstands. Das Gewicht ist zu 3 Teilen auf dem vorderen und zu 7 Teilen auf dem hinteren Bein. Die Kraftverteilung beim Umarmen und Aufspannen ist nach Innen 7 Teile und nach Aussen 3 Teile.
Wenn man nun Kraft entlädt, dann ist die Kraft zuerst überall gleichmässig verteilt und weitet sich dann nach allen Seiten gleichmässig und kehrt dann wieder an ihren Ursprung zurück. Es ist von der Idee her wie die Schlagfeder bei einem Gewehr oder einer Kanone die ununterbrochen gespannt und entladen wird (sich zusammenzieht und weitet). Der Abstand mit dem die Hände und Füße darauf reagieren, sollten nicht mehr als 33 cm (ein chi) und nicht weniger als 3 cm (ein cun) sein. Nach Vorne, nach Hinten, nach Links und Rechts in einem ständigen Wechsel ohne Ende. Je mehr man sich durch das Üben damit vertraut macht, desto mehr wird man erfahren wie wunderbar es ist.
Was die Verwendung von Anspannung und Entspannung, von solider Kraft, das Nachsinnen über weiches und stilles und plötzlich federndes, über kurze und lange Wege, das Ausrichten der Stellung, Fülle und Leere beim entladen der Kraft, die Kraftwellen des Universums und wie man das Timing gut einsetzt: mit all diesen handwerklichen Fragen kann man sich dann im Laufe der Zeit langsam immer mehr auseinandersetzen.
Im Alltag kann man sich immer wieder vorstellen wie Tiger und Panther vor einem sind und man sich aufspannt um mit allen Kräften auf Leben und Tod zu kämpfen. Das ist ein direkter Weg, ohne Umwege, um sich mit den Grundlagen von konkreter Kampfkunst zu beschäftigen.

Nun möchte ich im folgenden noch ein bisschen weiter auf die Rolle von Geist - Idee - und Kraft (shen - yi - li) eingehen:

panzerknacker
13-02-2017, 09:19
für mich langt das völlig mit dem Gehalt, neue Ideen, Bestätigung anderer
danke schön

gast
13-02-2017, 17:26
6. Über den Gebrauch von Geist und Bewusstsein (Idee)

Das wichtigste beim Stehen unter dem Kampfkunst Aspekt ist, in einer ganzheitlichen aber äusserst lebendigen Wohlspannung zu sein, dass die Geisteskräfte den ganzen Körper ausfüllen.
Die geistige Absicht dabei ist wie ein im Nebel verborgener Panther, während das Bewusstsein sich (mit dem Gegenüber) zu einer Einheit verbindet (wie das mythische Rhinozeros); man besitzt die Wildheit entfesselter Pferde und die Wucht eines zischenden, beissenden Drachens.
Der Scheitel bewegt sich nach oben, so dass sich der Nacken aufrichtet. Gleichzeitig zieht sich das Zentrum der Aussenstellen des Körpers (Scheitel, Handflächen und Fusssohlen) innerlich zusammen. Der ganze Körper spannt sich auf, als ob er von allen Seiten mit der Aussenwelt (durch imaginäre Seile) verbunden wäre. Die Zehen krallen den Boden und die Knie haben sowohl eine nach aussen drückende als auch eine nach innen umarmende Kraft die nach oben geht, wobei sich die Fersen leicht heben. Das ganze (fühlt sich an) ist wie ein gewaltiger Tornado, der Bäume entwurzelt; man kommt sich vor als ob man sich in einer spiralförmig schwingenden Bewegung von der Erde losreissen wollte um fortzufliegen.

Konkret bedeutet das, dass sich aufspannende und zusammenziehende, bündelnde und auseinander gehende Kräfte entfalten, so als ob sich die Haare am ganzen Körper wie Speerspitzen aufstellen. Die vertikale Achse im Körper verwindet sich nach allen Seiten (unter dieser Kraft) und die Zentrumslinie weitet sich im Quadrat (d.h. um ein vielfaches nach aussen). Das wichtige bei dieser herausreissenden Kraft ist, dass man mit Himmel und Erde darum ringt.
Der Schulterbereich und die Ellbogen spannen sich auf und weiten sich nach aussen und haben doch eine zurückkehrende bündelnde Kraft, die in einer herausreissenden unendlichen Spirale wirkt. Auf und ab, drücken und umarmen, alles bedingt sich gegenseitig und nie darf dabei die Ausgeglichenheit und Ganzheit der Kräfte verloren gehen. Egal ob man mit den Fingerspitzen in etwas hineinsticht oder links und rechts (mit seinen Fingerspitzen) etwas herausreisst; egal ob mit den Händen von innen nach aussen zu gehen oder etwas von aussen nach innen einzuwickeln, man hat immer das Gefühl die Berge mit der ganzen Erdkugel zusammen zu bewegen. Sehnen und Muskeln sind voller Kraft und die Knochen sind wie scharfe Kanten.

Konkret bedeutet das, dass wenn man sich sammelt (bündelt) schon an die Bewegung (nach aussen) denken muss; einsaugen und wieder ausspucken, egal in welcher Richtung sich die Kräfte bewegen. Die Schultern öffnen und schliessen sich ganz unabhängig davon ob es querverlaufend rollende, drückend reibende oder hebend spiralförmige Kräfte sind. Die Haare am ganzen Körper stellen sich wie ein Urwald auf; der obere Rücken richtet sich auf und der untere wird gerade; der Bauchbereich füllt sich und wird rund und der Brustbereich wird leicht zurück genommen (bzw. wölbt sich leicht).
Setzt man sich in Bewegung ist es wie ein Tiger in Rage der aus dem Wald kommt; der durch die Berge streift und kurz vor einem Sprung steht. Der ganze Körper ist wie eine äussert lebendige (wie eine mythische) Schlange die plötzlich zuckt; wie Feuer, dass plötzlich den ganzen Körper entflammt; oder auch eine Ausstrahlung wie ein schlummernder Drache der plötzlich wie vom Blitz getroffen hoch schiesst.
Dabei muss man das aufwallen der Muskeln und Sehnen spüren, so dass die Kraft wie Schiesspulver ist und die Hände wie Patronen sind. Nimmt der Geist auch nur die geringste Bewegung war kann der Vogel nicht mehr davon fliegen, fast so, als ob einem dabei eine größere Kraft zu Hilfe kommen würde. Daher, sobald einem etwas in die Quere kommt und Geist und Bewusstsein damit in Kontakt treten, ist es wie ein Netz, dass den ganzen Himmel umfasst und aus dem nichts mehr entkommen kann; wie ein Donner, der alles erschüttert oder wie wenn sich Frost wie ein Schuppenpanzer über Gras und Büsche legt und diese sich in Ehrfurcht beugen.

Die Geschwindigkeit mit der (eine Reaktion) ausgelöst wird kann dabei kaum noch mit einem Bild umschrieben werden. Deswegen habe ich diese Form von Geist- Bewustseinsbewegung als eine Bewegung bezeichnet, welche (die normale Form von) Geschwindigkeit übersteigt. Was diese Form und dieser Grad von Geschwindigkeit angeht, so übersteigt sie einfach alles was man sich an Geschwindigkeit vorstellen kann.

Alles was ich oben gesagt habe, hört sich ziemlich abstrakt an. Jedoch muss man mit seinen Geisteskräften danach streben es konkret zum Ausdruck zu bringen um zu vermeiden dass es nur reine Phantasterei ist.

gast
21-02-2017, 22:34
7. Über den Gebrauch von Kraft

Neben Geist und Idee ist vor allem der Gebrauch von Kraft von entscheidender Wichtigkeit. Doch es handelt sich um eine Kraft von ursprünglich angeborener Natürlichkeit, nicht um einseitige Kraft. Doch das muss man sich zum größten Teil durch Experimentieren mit Kraft wieder erarbeiten.

Beim Üben muss man zunächst von der Einseitigkeit einer abschnittsweise getrennten Kraft ausgehen und so nach der Ganzheitlichkeit von Kraft streben. Dann davon ausgehend, in einer ganzheitlich auf einen Punkt gerichteten Kraft, versuchen, ein Gefühl für die Verteilung von Fülle und Leere zu bekommen. Dann muss man wiederum durch das Probieren mit einseitiger Anspannung und Entspannung das richtige Gefühl für die (ganzheitliche) Entladung von Kraft bekommen. Darüber hinaus muss man durch ein richtiges Gefühl für die Entladung von Kraft lernen, wie man durch Lösen und Verbinden einer Art Ganzkörperwahrnehmung mit dem Ziel und die schneidende Wucht von wellenartiger Spannkraft benutzt, um die Fähigkeit zu erlangen, bei der kleinsten Berührung Kraft entladen zu können.
Man sollte immer bereit sein für Angriff und Verteidigung und in jedem Moment das Gefühl haben sich mit einem schweren Gegner zu messen. Vor allem muss man sehr Acht geben auf den Punkt den man schlagen möchte. Man darf auf keinen Fall schlagen ohne ein klares Ziel im Visier zu haben. Wenn man eine leere Stelle sieht sollte man nicht schlagen, sondern auf die Volle zielen, denn man muss wissen, dass genau die volle Stelle leer ist. Fülle und Leere verlagern sich wie ein Achspunkt. Wenn man das nicht erfahren hat wird man es nie begreifen.
Planlos drauflos zu schlagen hat auch seinen Vorteil. Doch es kommt darauf an wer der Gegner ist. Eine leichte Drehung aus dem Frontalen und schon ist man auf der Flügelseite. Einem direkten Schlag über die Flügelseite zu begegnen, damit kann man jemanden direkt bedrängen und sich gute Vorraussetzungen schaffen. Man muss fleissig trainieren und streben ohne Nachlass. In Ruhe und Bedacht muss man der Bedeutung von Aufrichtigkeit, Besonnenheit, Sinn/Idee und Echtheit nachsinnen.

Unter dem Aspekt auf Leben und Tod zu kämpfen, ist ein Kampf ein Entscheidungskampf. In einem Entscheidungskampf gibt es keine moralischen Grundsätze mehr. Vor allem muss man sich an 6 wichtige Leitlinien halten: Entschlossenheit, Willigkeit, Kaltblütigkeit, Vorsichtigkeit, Standhaftigkeit und Präzision. Darüber hinaus muss man die Entschlossenheit haben mit dem Gegner zusammen zu sterben.
Ist man nicht in der Lage einen Volltreffer zu landen, dann darf man auch nicht zuschlagen. Sobald man sich bewegt (schlägt), muss es zum Tode führen. Erst dann darf man zuschlagen. Wenn man diese Entschlossenheit besitzt, dann führt eigentlich jeder Kampf zum Sieg. Das betrifft den Kampf mit einem gleichwertigen und starken Gegner.
Wenn die Fähigkeiten (des Gegners) jedoch schlechter sind, dann hat man keinen Schaden dabei nachzugeben.
Wenn es sich um einen Besuch unter Gleichgesinnten handelt und es geht darum sich in seinen Fähigkeiten zu vergleichen, dann fällt das in den Bereich freundschaftlicher Vergleich. Beim freundschaftlichen Vergleich geht es um das Erforschen und Diskutieren. Das ist etwas ganz anderes als ein Entscheidungskampf. Dabei ist es wichtig auf moralische Grundsätze zu achten. Dabei muss man vor allem darauf achten wie die Fähigkeiten seines Partners sind. Wenn sie sehr weit auseinander liegen, dann muss man ihn gewähren lassen, so dass er am Ende eine gewisse Ehrfurcht und Dankbarkeit empfindet. Vor dem Vergleich ist es wichtig jemanden mit Höflichkeit den Vortritt zu lassen. In seiner Wortwahl sollte man freundlich sein und in seinem Ausdruck auf eine gewisse Etikette achten. Man darf auf keinen Fall arrogant und ungeduldig sein. Das wäre eine Verletzung der Edelmütigkeit.

Wenn man sich an diese Grundsätze hält, dann werden die Tugenden der Kampfkünste wieder langsam etabliert werden und dieser alte Weg wird noch lange weiter existieren. Das wäre auch die höchste Ehre für den Weg meiner Kampfkunst. Darin hege ich große Hoffnungen.

WulongCha
21-02-2017, 23:41
Hobbysportler & Quitte:
Möchtet ihr eure Kritik evtl. konkretisieren, denn ich finde die Arbeit und Mühe von beniwitt bemerkenswert und auch wenn mir der Text (noch) nicht allen Bereichen greifbar wird, bin ich über die Übersetzung dieses historischen Dokuments sehr dankbar, denn es lohnt immer, sich selbst und seine Praxis kritisch zu hinterfragen!
Grüße,
WLC

Quitte
22-02-2017, 06:26
Danke für die Übersetzung.
Ich kann mit dem text einfach nicht viel anfangen und erinnert mich an eine aussage eines wich chun lehrers dessen name mir gerade entfallen ist. Ging irgendwie so: ist man hungrig, will man reis. Dazu brauchst du aber noch eine schüssel. Nachdem man gegessen hat schmeisst man die schüssel weg und fragt sich wozu man die schüssel braucht. Diese nannte er dann betrüger.
(Schüssel = grundschule, anwendungstraining, formtraining, drills - so wie ich das versanden habe.)
Hier hat ein meister aus verschiedenen schüsseln sehr viel reis gegessen und schmeisst dann alle weg.

T. Stoeppler
22-02-2017, 06:44
Wertlose Beiträge wurden und werden entsorgt. Bitte erst nachdenken, dann schreiben.

Gruss, Thomas

gast
22-02-2017, 08:02
Habe bei meinem Eingangspost eine kleine historische Einordnung eingefügt. Vielleicht hilft es dem ein oder anderen zu verstehen warum er mit dem Text nicht viel anfangen kann.

Wer z.B. das Yijing kennt wird ziemlich schnell verstehen, dass man ohne ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Werk erstmal praktisch nichts verstehen kann. Bei genauerem hinsehen hat es jedoch schon recht viel Gehalt. Doch das lässt sich nur mit einem gewissen Interesse und Arbeitsaufwand langsam erschliessen.

Wundert mich ehrlich gesagt schon manchmal, wie scheinbar doch immer wieder die Erwartung an eine Eier-legende-Wollmilchsau im Unterbewusstsein vieler umhergeht. Wer hier einen Text erwartet, der kurz, knapp und bündig noch die letzten Geheimnisse des Yiquan oder der Kampfkunst ausleuchtet und am besten Abends vorm Einschlafen gelesen, die Inhalte dann in der Traumphase noch ins senso-motorische Bewusstsein übergehen und man am nächsten Tag beim Aufwachen schon alles gelesene komplett gemeistert hat, der sollte sich vielleicht doch besser mit anderer Lektüre beschäftigen.
Historische Texte haben ganz einfach das Problem an sich, dass sie aus einer anderen Zeit stammen und manchmal eine etwas andere Sprache sprechen. Noch viel mehr bei Kampfkunsttexten, wo es sich um eine äusserst praktische Angelegenheit handelt, über die in einer äusserst unpraktischen Form etwas überliefert ist.

T. Stoeppler
22-02-2017, 16:13
Das ist bei historischen Manuskripten eben so - man braucht eine gewisse Basis, um sie erst sprachlich und dann inhaltlich interpretieren zu können.

@beniwitt
Du hast Dir jetzt viel Mühe gegeben, um den kniffeligen (und sicher nicht aus primär didaktischen Gründen verfassten) Text zu übersetzen. Konntest Du denn seither einige Elemente Deines Trainings überdenken oder vielleicht gerade mal anders priorisieren?

Ich denke, sowas ist eine gute (und hier produktive) Fragestellung - in meinem Fall war es eben auch eine grösser angelegte Übersetzung einer mittelalterlichen Fechthandschrift, die meinem Training doch ganz massive Impulse gegeben hat.

Gruss, Thomas

gast
22-02-2017, 18:07
Ich hatte die Texte eigentlich auch recht lange beiseite gelegt weil sie mich ziemlich chaotisch anmuteten. Einfach ziemliche viele verdrehte Zeichen und dann die uneinheitliche Überlieferung.... Dazu kam noch dass viele Redewendungen oder auch Ausdrucksweisen auf den ersten Blick eigentlich ziemlich vertraut wirkten und man meinte eigentlich schon den Sinn dahinter verstanden zu haben.

Erst in der Diskussion hier im KK Board von verschiedenen Stellen merkte ich dann immer mehr, wie teilweise unvollständig oder vereinfacht viele Sachen in den Übersetzungen auf Englisch dargestellt wurden. Als ich mich dann daran machte selbst zu übersetzen konnte ich tatsächliche vieles ganz neu und anders lesen. Das hatte mir eigentlich den Anstoss gegeben weiter dran zu bleiben.

Beim übersetzen ist man halt wirklich gezwungen Zeichen für Zeichen, Satz für Satz und Abschnitt für Abschnitt sich zu erarbeiten und zu verstehen. Auch wenn es nicht immer 100% klappt, so taucht man in diesem Prozess doch in einer ganz anderen Weise in die Texte ein, als wenn man sie nur so liest. Was man beim Lesen meint zu verstehen, muss man beim übersetzen halt klar ausformulieren. Das fördert einen ganz anderen Verständnisprozess zutage.

Der größte Nutzen ist für mich eigentlich vor allem darin, plötzlich immer mehr das ganze Gerüst, wie ich es selbst gelernt habe in den Texten immer mehr zu entdecken. Vieles bleibt bei Andeutungen, die jedoch sehr konkret sein können, wenn man einen gewissen Hintergrund mitbringt. Diese inhaltliche Übereinstimmung mit den eigenen gelernten Inhalten immer mehr zu entdecken ist für mich eigentlich so weit die größte Bereicherung in diesem ganzen Prozess. Jedenfalls hat es mich für mein Training und den Weg sehr bestärkt und man geht mit einer ganz anderen Freiheit noch mal damit um

gast
22-02-2017, 20:31
Über feste Formen und Techniken

Kampfkunst ist von einer Tiefe, die kein Ende kennt. Selbst wenn jemand von ausserordentlicher Begabung ist, so muss er von seiner Einstellung auch einen unerschütterlichen Glauben und viel Fleiss mitbringen und ein Leben lang praktizieren. Selbst dann ist es kaum möglich die Kampfkunst bis ins Äusserste auszuloten.
Dagegen sind feste Formen und Techniken nichts anderes als von Menschen entwickelte Kampfkunstgerüste. Diese wurden in den 300 Jahren seit der mandschurischen Qing-Dynastie vor allem von durchschnittlichen Laien für einfache Aufgaben und Vorführungen gebraucht. Es war nichts anderes als ein Mittel zum Lebensunterhalt von Kurpfuschern im Bereich der Kampfkunst. Ist man wirklich bestrebt dem Sinn der Kampfkunst auf den Grund zu gehen, dann würde man gar keine Zeit finden sich mit so etwas auseinanderzusetzen. Es würde sogar nicht nur nichts bringen, sondern würde nur jede Menge Blockaden für die Funktion von Nerven, der Gliedmassen und der mentalen Kräfte darstellen und würde jegliche Form spezifischer, ursprünglich angeborener Fähigkeiten zerstören.
Daher, wer so etwas praktiziert, dem mangelt es in gewisser Weise an Verständnis. Denn was die konkrete Anwendung betrifft, ist es eigentlich ziemlich unpassend und bringt nur extrem viel Nachteile mit sich. Das würde sich schriftlich kaum zu Blatt bringen lassen. Was die Bestimmung der Kampfkunst und die Grundsätze von Gesundheitspflege angeht, ist es meilenweit davon entfernt. Darüber braucht man sich gar nicht zu unterhalten. Wenn man sich mit jemandem in einem Vergleichskampf messen würde und würde einfach nur ohne jegliche Formen und Techniken wild und Planlos draufeinschlagen, würde man noch nicht einmal unbedingt verlieren. Würde man aber versuchen seine Formen und Techniken anwenden zu wollen, würde das ohne Zweifel zu einer Niederlage führen.

Auch die Theorie der 5 Wandlungsphasen, die sich gegenseitig hervorbringen und besiegen, ist etwas völlig absurdes. Wie kann man bei einem Entscheidungskampf im Moment der über Sieg und Niederlage entscheidet sich noch Gedanken über so etwas machen!? Wenn man sich auf das was die Augen sehen können verlässt und sich dann auch noch immer wieder Gedanken dazu machen muss um dann entsprechend eine Anwendung anzubringen, das kann eigentlich nur zur Niederlage führen. Ich befürchte, dass der Theorie über das Hervorbringen und Besiegen nicht einmal ein drei Fuß großes Kind glauben schenken würde (wer soll dann noch daran glauben?/wer glaubt denn wirklich daran?) Mann muss einfach nur jemanden fragen der schon einmal an einem Entscheidungskampf teilgenommen hat und es wird ihm klar werden, dass meine Worte nicht an den Haaren herbeigezogen sind.
Schaut man sich die Aufzeichnungen über die 5 Wandlungsphasen im Kapitel Hongfan des Hanshu an, dann hat man die Wandlungsphasen Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde aus einem gewissen Bedarf heraus entwickelt und auf die Politik und das Volk angewendet. In späteren Generationen wurde dieses Konzept dann von einfachen Leuten aus dem Volk mit schlechter Bildung missbraucht und immer weiter verfälscht, bis es sich zu dem entwickelt hat, was heute allgemein als Theorie über das gegenseitige Hervorbringen und Besiegen bekannt ist. Das ist nichts anderes als Gerede von Vagabunden und Scharlatanen. Wie kann man als Gebildeter auf die Idee kommen so etwas zu studieren?

Was nun die Sache mit den festen Kampfkunstformen angeht, sind diese alle mehr oder weniger künstlich vom Menschen entwickelt. So verhält es sich auch mit einzelnen Techniken und Methoden, die nichts anderes als von Menschen entwickeltes sind. Es ist alles keine Wissenschaft von Grundsätzen der Kampfkunst, wie man wieder seine natürlich angeborenen Fähigkeiten entwickeln kann. Selbst wenn jemand äusserst solide Fertigkeiten besitzt und daran glaubt, mit stoischer Geduld und Willenskraft alles erreichen zu können, lässt er doch letztendlich die eigentlich Essenz unberührt liegen und widmet sich Äusserlichkeiten zu.

Man muss sich klar sein, dass die Kampfkunst überhaupt keine Techniken kennt. Oder andersherum gesagt könnte man auch sagen, dass es nichts gibt, woran sich die Kampfkunst nicht orientieren würde. Doch sobald es Techniken gibt, ist die Geist-Körper Verbindung nicht mehr eine Einheit, die Kraft nicht solide, die Bewegungen werden uneinheitlich und langsam und sind nicht mehr entschlossen und schnell. Es wirkt einfach nicht mehr alles als eine Einheit zusammen und widerspricht den ursprünglich angeborenen Fähigkeiten, die jeder Mensch besitzt.

Wenn man schon von Techniken oder Methoden spricht, dann sind es grundlegende Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien und keine oberflächlichen, bruchstückhaften und steifen Techniken. Wer oberflächliche Techniken und Methoden lernt, der ist wie ein schlechter Arzt, der seine fest gelernten Rezepte bereit hält und auf Patienten wartet. Die Patienten müssen dann Krankheiten entsprechend seiner Rezepte haben, da er sonst seine Fähigkeiten nicht zur Anwendung bringen kann.
Wer auch immer feste Formen und Techniken als Kampfkunst bezeichnet, der vermengt nicht nur den eigentlichen Sinn der Kampfkünste mit phantastischen Geschichten und bringt alles durcheinander, sondern der sondert sich geradezu von diesem Sinn ab.

Es ist immer wieder schade mit anzusehen, wie viele heute Kampfkünste erlernen wollen, aber selbst wenn sie voller Ambitionen sind sich darin zu vertiefen, doch kein Tor finden, das einem einen Weg dorthin eröffnet. Deswegen habe ich mich über alles hinweggesetzt und habe mir geschworen all diese Missstände aufzudecken.

Wie kommt es nun, dass obwohl es klar ist, dass all die festen Formen und Techniken rein gar nichts bringen und obendrein sogar noch schädlich sind, dass sie von so vielen unterrichtet und geübt werden?
Es liegt wohl daran, dass kein wirkliches Verständnis vorliegt und man neugierig auf Aussergewöhnliches ist. Sagt man nun die Wahrheit, ist sie meistens nur schwer zu verstehen und selbst wenn man sie verstanden hat, ist sie immer noch schwer in die Realität umzusetzen. Denn die meisten der Übenden wollen mit dem Erlernen von Formen andere Beeindrucken und sich vor den Menschen damit brüsten. Diejenigen die solche Sachen weitergeben benutzen feste Formen und Techniken um ihre Schüler unten zu halten. Ausserdem ist es ein gutes Mittel sich die Zeit zu vertreiben und es eignet sich sehr gut Geld damit zu verdienen. Dabei wissen sie nichtmal was Kampfkunst überhaupt ist. So führen sie sich auf einer endlosen Spirale selbst und gegenseitig an der Nase herum in die Irre. Das ist wirklich sehr bedauernswert und zum Heulen und kann einen ziemlich ärgerlich stimmen.

Es ist aber leider nicht nur was den Sinn der Kampfkünste angeht so, sondern ich habe das Gefühl, dass jegliche Form von Wissenschaft und Handwerk sich immer mehr in einer abnormalen Art und Weise entwickelt. Ich bringe es einfach nicht übers Herz dabei zuzuschauen, wie Menschen auf demselben Weg wie man selber immer mehr auf Abwege geraten und keiner dabei eine rettende Hand ausstreckt. Deswegen ist mir all das was ich über die Jahre an praktischer Erkenntnis und konkreter Erfahrung angesammelt habe, alles das was ich bekommen und verstanden habe, nicht zu schade immer wieder zu erklären, um all das absurde offenzulegen und zu hoffen Gleichgesinnte damit wachrufen zu können nicht mehr weiter an den Verirrungen festzuhalten.

Vom Prinzip her ist eigentlich alles was es an hoher Kunst von Wissenschaft und Handwerk zwischen Himmel und Erde gibt immer so angelegt, dass es von der Form her einfach ist, aber von der Idee her komplex. Komplizierten Formen kommt eigentlich so gut wie nie eine essentielle Bedeutung zu. Das trifft nicht nur auf den Sinn der Kampfkünste zu. Es ist etwas das sich Gleichgesinnte bedacht zu Herzen nehmen sollten.

andysun
23-02-2017, 08:54
Wundervoll geschrieben und wundervoll übersetzt! Herzliches Danke an Wang und Benjamin!

gast
23-02-2017, 13:01
Über das Verhältnis von waffenlosem Training und Waffen

Es gibt ein altes Sprichwort: „Wenn das waffenlose Training gemeistert ist, dann sind damit auch die Kriegswaffen vollendet. Säbel und Speer müssen nicht noch extra trainiert werden.“

Wenn man die wahre Bedeutung der waffenlosen Kunst begriffen hat; die Funktionsweise von verschiedenen Formen von Kraft und das abwinkeln und winden verschiedener Abschnitte und Flächen; Fülle und Leere in jedem Winkel und und auf jeder Distanz; die Funktion und Anwendung der 3 Abschnitte und 9 Teile; verschiedene Richtungen in verschiedenen Höhen und das Timing im Moment des Auftreffens: wenn man all das von der Idee her verstanden und internalisiert hat, dann ist es völlig egal ob man ein Säbel, Speer, Schwert, Stock oder irgend eine andere Waffe zur Hand nimmt. Selbst wenn man eine Waffe nimmt und sich mit einem Spezialisten darin duelliert, wird einen dieser nicht besiegen können. Wie kommt es dazu? Das ist so wie wenn man einen Ingenieur mit einem kleinen Handwerker vergleichen würde, oder einen Doktor der Medizin mit einer Krankenschwester. Es ist nicht die gleiche Ebene.

gast
26-02-2017, 19:56
Über das penetrieren von Akupunkturpunkten


In der Allgemeinheit wird die Theorie über das penetrieren von Akupunkturpunkten für etwas sehr aussergewöhnliches gehalten. Man redet vom penetrieren von bestimmten Punkten auf Leitbahnen und auch von entsprechenden Zeiten dazu. Doch darüber gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen. Man entwickelt geradezu eine gewisse Allergie bei der man sich übergeben muss wenn man diese Geschichten hört. Alles worum es dabei geht ist falsch.

Denn sobald sich in einem Vergleichskampf zwei gegenüberstehen, die von entsprechender Statur und Kräftigkeit sind, muss man noch nicht mal von bestimmten Akupunkturpunkten reden, die schon schwer genug sind zu treffen, sondern allein schon irgendeinen x-beliebigen Punkt zu treffen ist ziemlich schwer. Wenn nur einige ganz bestimmte Punkte in Frage kommen die es zu treffen gilt, wo dann noch die entsprechende Zeit dazu kommt die dem Punkt entspricht, dann wäre man längst schon selbst schwer getroffen.

Kurz gesagt: wenn man keine wirklichen grundlegenden Fähigkeiten besitzt was den Sinn der Kampfkünste angeht, selbst wenn man jemanden beliebig auf irgendwelche Punkte mit Findern stechen lassen würde, würden seine Fähigkeiten keine Wirkung zeigen. Selbst wenn er durch Zufall wirklich so einen Punkt penetrieren würde, würde es auch keinerlei Wirkung zeigen.
Wenn man aber eine wirkliche Kraft in den Kampfkünsten entwickelt hat, dann ist es völlig egal welche Punkte man auf der Brust oder den Rippen trifft. Denn sobald man getroffen wird hat das den sofortigen Tod zur Folge. Das ist nicht so weil man etwa absichtlich einen Punkt penetrieren wollte, sondern jeder Punkt den man trifft wird zu so einem Punkt. Wenn man nur lernt, dass irgendein bestimmter Ort so ein Punkt ist, der ein bestimmtes Zeitfenster hat, dann entfernt man sich nur immer weiter vom Sinn des Ganzen.

gast
05-03-2017, 20:32
Über den Unterschied von angeborener Voraussetzung und Handwerk

Man hört oft so etwas wie, dass jemand unschlagbar ist, weil er von sehr großer, kräftiger Statur ist und über 500kg heben kann. Doch man muss sich klar sein, dass eine große kräftige Statur und Kraft von über 500kg nichts weiter ist als eine besondere, angeborene Voraussetzung. Es sollte nicht mit der Wissenschaft von Kampfkunst verwechselt werden.
Man hört auch davon, wie jemand große Mühlsteine mit einem Faustschlag zerschlagen kann und 8 Ziegelsteine mit einem Handflächenschlag zertrümmern kann. Oder dass jemand einen großen Sprung nach vorne und wieder zurück machen kann.
Auch wenn jemand das wirklich kann, so sind es nicht viel mehr als einseitige Fähigkeiten von unwissenden Menschen, die nur dazu führen seinen Körper immer weiter zu verunstalten.

Doch darauf möchte ich jetzt nicht im Detail eingehen. So etwas kann nicht als Sinn der Kampfkunst betrachtet werden. Von der Allgemeinheit werden solche Menschen aber meistens für besonders Begabt gehalten. Wenn aber so jemand auf einen wirklichen Meister seines Handwerks trifft, dann kann er nichts mehr ausrichten.

Das Fliegen von Dächern zu Dächern und springen über hohe Klippen und andere Geschichten aus Kungfu-Romanen sind nichts anderes als Phantasievorstellungen und Erfindungen von Romanschriftstellern, über die man nur schmunzeln kann.

Spalten von Steinen und die Unverletzlichkeit gegenüber Säbel und Speer sind dagegen nichts anderes als Schaustellervorführungen von reisenden Scharlatanen. Das ist sogar noch unter dem untersten Niveau. Darüber zu reden macht keinen Sinn.


Auflösen des Geheimnisvollen

Immer wieder gibt es untalentierte Menschen mit wenig Erfahrung und oberflächlichem Wissen. Sie sind treu und aufrichtig und lernen alles genau so wie es der Lehrer sagt und bringen es auch zu gewissen Fertigkeiten in bestimmten Bereichen. Obwohl die meisten Fertigkeiten die nur mit Fleiss erworben sind recht einseitig sind, scheint es für viele unerreichbar. Wenn man ihnen dann bei ihren wunderbar geheimnisvollen Erklärungen zuhört und den Effekt ihrer Fertigkeiten sieht, dann kommen Leute mit weniger stark ausgebildetem Unterscheidungsvermögen zu dem Schluss, dass es einzigartig begabte Menschen seien und sehen etwas geheimnisvolles dahinter.

Den meisten ist dabei jedoch gar nicht klar, dass solch geheimnisvolles Gerede geradezu absurd ist. Es kommt wohl daher, dass Wissen und Erkenntnis nur schwach ausgebildet sind und das Unterscheidungsvermögen und die Erfahrung noch sehr oberflächlich und nicht geläutert sind.

Wenn dann mal jemand zufällig das Glück hat und die wahre Bedeutung von Kampfkunst zu hören bekommt, dann ist es oft so, dass sie die wahre Bedeutung nicht begreifen können und es einfach an ihnen vorbeigeht. Deshalb kommt es immer wieder vor, dass wenn etwas vom philosophischen Anspruch her eine gewisse Tiefe hat, daraus immer gleich etwas geheimnisvolles gemacht.

Doch jemand der durch Praxis in eine Materie tief eintaucht und eine gewisse Weite an Erfahrung und Kenntnissen mitbringt, dem wird, wenn er auf etwas stösst, mit einem Mal alles klar werden und keine Zweifel mehr haben, dass es einfach genau so ist.
So ist es eigentlich mit allem. Nicht nur mit der Wissenschaft von den Kampfkünsten.

gast
05-03-2017, 22:41
Erläuterungen zu Praxis und Theorie

Der wesentliche Sinn von Wissenschaft und Handwerk besteht darin, Theorie in die Praxis umzusetzen und seine Praxis auch theoretisch zu verstehen. Ansonsten führt es dazu, dass man am Ende sich selbst und seine Mitmenschen betrügt und sich nur in einem endlosen Schwall von absurdem Gerede ergiesst.

Obwohl die beiden Worte Theorie und Praxis vom Namen her eigentlich sehr einfach zu verstehen sind, ist es in der Realität doch ziemlich komplex.
Es gibt welche die sagen, dass die Theorie schwer zu begreifen ist, es aber relativ einfach ist dann in die Praxis umzusetzen. Dann gibt es aber auch welche die auf dem Standpunkt sind, dass die Theorie einfach zu verstehen ist, aber die praktische Umsetzung sehr schwer ist. Dann gibt es noch die, die behaupten dass das theoretische Verständnis schwer zu begreifen ist und die praktische Umsetzung sogar noch schwerer ist und zuletzt noch welche die behaupten Praxis und Theorie gehen Hand in Hand.
Doch im Grunde gibt es nichts das an sich schwer oder einfach wäre. Die Standpunkte die gerade erwähnt wurden sind alle auf ihre Weise richtig. Dennoch ist es sehr pauschal und einseitig und bringt einen nicht dahin etwas von Grund auf zu verstehen.
Ich bin der Meinung, dass man allgemein sagen kann, dass wenn man in einem Bereich von Handwerk oder Wissenschaft es zu bestimmten Fertigkeiten gebracht hat, es auch zu entsprechenden Resultaten kommt. Wenn es aber am Verständnis mangelt und man nicht in der Lage ist zu Beschreiben wie man dazu kam, dann kann man durchwegs sagen, dass die Theorie schwer und Praxis relativ einfach ist. Wenn nun jemand ein reiches theoretisches Verständnis mit sich bringt und dieses entsprechend gut in Fertigkeiten umsetzen kann, dann sind sowohl Theorie als auch Praxis recht einfach. Wenn es jemand zu keinen Fertigkeiten gebracht hat und es auch noch an Verständnis mangelt, dann braucht man gleich gar nicht erst Anfangen über die beiden Begriffe Theorie und Praxis zu reden.

Wissenschaft und Handwerk sind an sich eigentlich etwas das keine Grenzen kennt. Wie viel Theorie und wie viel Praxis man angesammelt hat und bis zu welchem Grad sich Theorie und Praxis entwickeln müssen bis man von wahrer Theorie und wahrer Praxis reden kann, darüber lässt sich meiner Meinung nach kein Standpunkt festlegen. Dennoch sollte es so sein, dass das was man theoretisch durchdrungen hat, dann auch in die Praxis umgesetzt werden sollte und das was man in der Praxis kann auch theoretisch durchdringen werden sollte. Erst dann kann man behaupten, dass Theorie und Praxis Hand in Hand gehen. Es gibt einfach kein wahres Wissen das sich nicht praktisch umsetzen lassen würde, sowie es keine wahre Praxis gibt, die sich nicht theoretisch durchdringen lassen würde. Es ist wirklich so, dass sich in der Wahrheit immer beides gegenseitig bedingt und vollendet. Bei Wissenschaft und Handwerk ist das der Fall und in den Kampfkünsten trifft das noch um so mehr zu. Denn dieser Weg macht nur Sinn, wenn man den Worten auch stets Taten folgen lässt. Beides muss sich ergänzen. Da hat man keine Musse mehr noch viel darüber nachzudenken. Noch viel weniger darf man hier mit irgendwelchen Klischees und Binsenwahrheiten daherkommen.

Der Sinn von Wissenschaft und Handwerk besteht zu allererst darin ein klares Verständnis von der Materie zu bekommen. Darüber hinaus muss man sich dann vor allem mit vollem Einsatz der Sache hingeben. Wenn man aber nicht zuerst zu einem klaren Verständnis gekommen ist wo der Weg langgeht für den man sich einsetzt, dann kann es leicht passieren, dass man auf Abwege gerät. Je tiefer sich dann die Fertigkeiten einschleifen, desto heftiger wird der Schaden sein.

Egal ob man studiert, Kalligraphie lernt oder ob es sich sonst um irgendeine Form der Kunst handelt, meistens meint man, dass man ein Kind in jungen Jahren gut ausbilden kann. Doch wer hätte gedacht, dass wenn es dann erwachsen ist, die Fertigkeiten voll ausgebildet sind und es sehr berühmt geworden ist, es dann plötzlich kein Entwicklungspotential mehr hat. Dieses Phänomen kann man überall beobachten. Das Problem liegt meistens an der mangelnden Didaktik des Lehrers, dass man nicht aufmerksam und achtsam genug ist und man beim Streben nach Verständnis meistens einfach nur andere kopiert und nachahmt. Im Grunde ist es nichts anderes als einfach nur blind nachzufolgen.
Wenn man aber etwas übt und es zu keinem wirklichen Ergebnis führt, dann kann man auch niemals von einem wirklichem Körperverständnis reden. Das ganze Leben lang bleibt man planlos und es wird überhaupt nicht konkret. Ausserdem führt es leicht zu Geheimniskrämerei und man wird niemals das eigentliche Tor zu Gesicht bekommen. So ist man dann am Ende mit seinem Latein und ist doch zu keinerlei echter Körpererfahrung gekommen. Das kann einem wirklich Leid tun!

Man darf nicht vergessen, dass Geschicklichkeit nur eine Eingangspforte ist durch die der Übende eintritt. In den Schriften heisst es: „Selbst wenn Kinder und Enkel dumm sind, so darf das Studium nicht vernachlässigt werden." Es ist wichtig etwas zu verstehen, aber noch viel wichtiger ist es, es auch praktisch umzusetzen. Oberfläche und Inhalt; Innen und Aussen: alles bedingt sich gegenseitig. Ansonsten wird man ein Leben lang nur schwer in die richtigen Gleise kommen.

gast
10-03-2017, 22:13
Der Grund warum der Sinn der Kampfkünste verlorengegangen ist

Es gibt drei wichtige Grundprinzipien im Training der Kampfkünste. Das sind Körperertüchtigung, dann Selbstverteidigung und es sollte von Nutzen für die Allgemeinheit sein. Der Nutzen für die Allgemeinheit ist das was mir sehr am Herzen liegt und es ist gleichzeitig auch eine wichtige Grundlage an sich.

Dennoch, alles entsteht aus und baut ganz und gar auf einem gesunden Körper und Geist auf. Wo keine Gesundheit ist, da kommen auch die Geisteskräfte nicht zu voller Entfaltung. Und wo es an Geisteskräften mangelt dort gibt es auch keine großen Taten die besungen oder beweint werden könnten. Man brauch gleich gar nicht darüber zu reden, dass man bereit sei für eine gute Sache zu töten, oder sein Leben für Gerechtigkeit zu lassen. Ich fürchte, dass wenn so jemand sähe wie jemand am ertrinken wäre oder dabei sich zu erhängen, nur zurückschrecken würde und nichts tun könnte. Noch viel weniger würde so einer wohl seinen Säbel ziehen wenn er unterwegs Zeuge von Ungerechtigkeit werden würde.
Oft fehlt es auch körperlich schwachen Menschen an einer gewissen Toleranz und sie kommen leicht in eine schlechte Gemütsverfassung. Dennoch sind Toleranz und natürliche Heiterkeit nicht ausschliesslich durch einen gesunden Körper bedingt.

Körperliche Ertüchtigung ist die Grundlage des Lebens und Kampfkunst ist die Basis der körperlichen Ertüchtigung. Jegliche Form von Unternehmung kann auf verschiedenste Weise davon profitieren. Wenn nun die Rolle der Kampfkunst von solch großer Bedeutung ist, wie kann man es da zulassen, dass echtes durch falsches verwässert wird und die ganze Welt für Generationen betrogen wird ohne es zur Diskussion zu stellen?

Der Sinn in der Kampfkunst wahr ursprünglich eigentlich sehr einfach und wurde später erst immer komplexer und überladener. Denn eigentlich ist der Sinn der Kampfkunst der, ein gutes Werkzeug zu sein um seine Physis zu verbessern und essentiell dafür die im Menschen angelegten Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Vom einfachen zum komplexen vorzudringen macht dabei noch Sinn. Aber vom komplexen zur Einfachheit gelangen zu wollen geht nicht. Das widerspricht der biologischen Veranlagung und den Prinzipien des Menschen.

Xingyiquan hatte ursprünglich „drei Fäuste“, die eine Bewegung waren. Das waren „Schritt“, „Eindringen“ und „Einwickeln“ (jian, zuan, guo), Es waren drei Kräfte die als eine ganzheitliche Wirkung zum Ausdruck gebracht wurden. Wie ein Pferd dass in einer unendlichen Bewegung galoppiert. Die 5 Wandlungsphasen und die 12 Formen waren alle darin enthalten. Denn die 5 Wandlungsphasen waren ursprünglich nichts anderes als eine stellvertretende Bezeichnungen für 5 verschiedene Formen von Kraft. Was die 12 Formen anging, so bedeutete es nichts anderes als 12 Tiere die jeweils ihre besonderen Stärken hatten die man sich im weitesten Sinne zu eigen machen sollte. Es gab aber nicht extra 12 einzelne Formen und verschiedene andere komplexe Choreographien.
Beim Bagua ist es genau dasselbe. Ursprünglich gab es nur die einfache und die doppelte Wechselhand. Später gab es dann welche die nur ein sehr oberflächliches Verständnis hatten, die wahre Bedeutung darin nicht mehr verstanden und plötzlich so absurde und künstliche Sachen entwickelten wie 64 Handformen und 72 Beinformen. Man hat nicht nur keinerlei Nutzen davon, sondern es schadet sogar noch obendrein.
Beim Taiji sind die Entstellungen sogar noch schlimmer. Das einzigste ist, dass der Schaden dabei nicht ganz so schlimm ist, da es nicht ganz so schlimm gegen die natürliche Physis des Menschen geht. Dennoch machen all die vielen Stellungen keinen Sinn. Wenn man sich jedoch die Klassiker anschaut, so sind sie in einer sehr guten, gehobenen Sprache geschrieben. Leider gibt es kaum essentielle Inhalte und zuviel oberflächliches. Es bleibt alles viel zu vage und unkonkret.

Zusammenfassend kann man sagen, dass man unter den ganzen modernen Kampfkünsten heute eigentlich nicht mehr von einer vernünftigen Gesundheitspflege und Kampfanwendung reden kann. Ausserdem ist kaum noch eine Methode wirklich mit den Gesetzen der menschlichen Physis vereinbar.

In mehr als über 40 Jahren bin ich durch das ganze Land gereist, habe unzählige Kampfkünstler getroffen und habe keine Form gesehen die in sich ausgewogen wäre, geschweige denn wirklich in die Tiefe ginge. Denn mit der Kampfkunst ist es so, dass sie eigentlich von ihrer Erscheinung her sehr einfach ist, die Ideen die darin stecken aber komplex sind. Es kann sein, dass sich jemand ein Leben lang damit auseinandersetzt und trainiert ohne wirklich den eigentlichen Sinn darin zu verstehen. In den Bereich wirklicher Vollendung gelangen dann nur noch die aller wenigsten. Das liegt eigentlich nicht daran, dass der Sinn der Kampfkünste schwer zu begreifen wäre, sondern den meisten Menschen ermangelt es an einer einfachen, unspektakulären Gesinnung und einem starken Willem.
Heute ist es so, dass immer mehr Schulen entstehen und es schon so viele Techniken und Bewegungen gibt, dass man sie gar nicht mehr alle aufzählen kann. Der Grund dafür liegt ganz einfach darin, dass man nach schönen Bewegungen sucht die sich für Aufführungen eignen. Doch wenn man Kampfkunst nur betreibt um andere damit zu unterhalten, warum lässt man dann nicht einfach davon ab und wendet sich dem Theater zu? Zumal es in der Theaterausbildung noch sehr viele sinnvolle und gute Grundlagen gibt. Im Vergleich zu den meisten Kampfkünstlern steckt da wirklich sehr viel mehr drin.

Mann hört immer wieder von irgendwelchen Kampfkünstlern die voller Stolz vor anderen damit angeben wie viele Formen und Techniken sie beherrschen und dabei gar nicht merken, wie der ein oder andere Kenner der daneben steht schon längst bei sich im Stillen darüber lacht und wahrscheinlich noch viel mehr voller Mitleid für sie ist.
Dennoch sind es wohl gerade die ganzen festen Formen und Techniken die den Weg für den Untergang vom Sinn der Kampfkünste bereitet haben. Über mehrere Jahrhunderte hindurch praktiziert und weitergegeben ist es nun zu einer Gewohnheit geworden die sich so sehr eingeschliffen hat, dass man kaum mehr davon los kommt. Die schlimmsten unter ihnen schwimmen ganz oben auf der Welle mit und haben ein ganzes System von Theorien aus 4 Erscheinungen (sixiang) und 5 Wandlungsphasen, 9 Palästen (jiugong) und 8 Trigrammen, sowie Flusskarte und Nebenflussaufzeichnung (hetu und luoshu) entwickelt. Alles was es an absurden und aussergewöhnlichen Ausdrücken und Konzepten gibt wird benutzt und den Kampfkünsten untergeschoben, so dass jemand der sie lernen möchte gar nicht mehr verstehen kann wie sie eigentlich wirklich sind und geblendet von den ganzen Geschichten rennen sie alle diesen Sachen hinterher. So wird der ursprünglichen Sinn und die ursprüngliche Funktionsweise der Kampfkünste immer mehr dem Untergang geweiht sein.
Davon abgesehen gibt es auch welche die einfach ein paar Säbel- Speer- Schwert und Stockformen gelernt haben um damit versuchen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Meistens haben sie sogar noch Glück und treffen auf die entsprechenden Leute denen sie ihre Sachen verkaufen können. Da das Streben danach sich seinen Lebensunterhalt irgendwie zu verdienen groß ist, sehen viele eine Chance darin und wollen auch mit auf den Zug aufspringen. So macht es einer dem anderen nach und es verbreitet sich immer mehr in der ganzen Gesellschaft. Solche absurden Verhaltensweisen haben nicht nur den Sinn der Kampfkünste völlig entstellt, sondern es hat auch dazu geführt, dass sich ein gewisser ritterlicher Ehrenkodex im Zuge davon ganz und gar aufgelöst hat.
Dennoch gibt es immer wieder besonders begabte Leute die einen gewissen Einblick in die tiefere und feinere Funktionsweise der Kampfkunst haben. Leider sind solche Menschen wiederum oft von traditionellen Gewohnheiten und Vorurteilen gefangen und sind nicht gewillt ihre essentiellen Erkenntnisse anderen Menschen klar und offen zu zeigen. Ihnen ist einfach nicht klar, dass Fluss und Ozean keinen Schaden nehmen wenn ihnen Wasser entnommen wird. Was sind es nur für Gründe, dass solche Menschen so engstirnig sind?
Wissenschaft und Handwerk sind eigentlich etwas das der Menschheit als Gemeingut gehört. Wenn man bestimmte Entdeckungen macht, dann sollten diese auch der Gesellschaft öffentlich zugänglich gemacht werden. Wie kann man so etwas als sein privates Geheimnis hüten, so dass es letztlich niemandem zu Ohren kommt?

In letzter Zeit habe ich mitbekommen, dass sich Leute auf die buddhistische Lehre stützen und über Geister und Teufel reden und absurdes Zeug von sich geben wie man das Dao kultiviert und wie man Unsterblichen begegnen kann. Es ist alles so an den Haaren herbeigezogen und teilweise noch schlimmer als die chaotischen Verdrehung was das Dao angeht. Man kann einfach nur einen tiefen Seufzer darüber ausstoßen. Wo wir doch heute in einer aufgeklärten und blühenden Zeit der Wissenschaft leben, trauen sie sich trotzdem noch solch ein absurdes Gerede von sich zu geben, unter die Menschen zu bringen und in der Zeitung zu annoncieren. Diese Menschen sind von so unterdurchschnittlicher Dummheit und wirrköpfiger Taubheit und haben sogar noch das letzte Gefühl dafür verloren, dass es unter Menschen auch so etwas wie Peinlichkeit oder Schamgefühl gibt. Was Buddha wohl von diesen absurden Leuten halten würde wenn er das mitbekommen würde? Es gibt so viele verschieden Wege auf dieser Welt wie man sein Auskommen verdienen kann. Warum muss man denn eine gewisse vorübergehende Schwäche in der Gesellschaft ausnutzen um sich selbst und andere zu betrügen? Wenn ich darüber rede kann ich einfach nicht anders als mit einer gewissen Traurigkeit an den Sinn der Kampfkünste zu denken und mache mir noch mehr Sorgen über die Gesinnung der Menschen.

Dass der Sinn der Kampfkünste immer mehr verkommen ist, ist eigentlich hauptsächlich auf die zwei Regierungsperioden von Kangxi und Yongzheng zurückzuführen, da während ihrer Zeit die Kampfkünste nicht entsprechend ihrem Sinn gefördert wurden. Dennoch muss man auch den Kampfkunstvertretern eine gewisse Schuld zukommen lassen, da ihre Bildung mangelhaft war und sie ihre Veranlagungen nicht gut ausbilden konnten, so dass auch sie irregeführt wurden. Bis heute werden Missverständnisse weiter missverstanden und weitergegeben und keiner kann den Sinn mehr wirklich erfassen und unterscheiden. Und selbst wenn man mal von Menschen hört die den Sinn ganz durchdrungen haben, sind sie oft so sehr in ihren konservativen Meinungen festgefahren, dass ihnen nichts daran gelegen ist die Menschen aufzuklären, die sich immer tiefer in ihrer Abwärtsspirale bewegen.

Dieser Weg der Kampfkünste ist, wenn auf die richtige Weise ausgeübt, von großem Nutzen für Körper und Geist. Ausserdem kann er für Unternehmungen aller Art dort von unterstützender Hilfe sein, wo diese einen gewissen Mangel aufweisen. Wenn aber nicht in richtiger Weise ausgeübt, so führt er dazu, dass Charakter, Nervenfunktionen, Glieder und Rumpf sowie die Gemütsverfassung ihre normale Funktionsweise verlieren. Es kann so weit kommen, dass es die ganzen Lebensfunktionen beeinträchtigt und man lebenslange Schäden davonträgt. Wer das nicht glaubt, der braucht sich nur berühmte Meister von früher anzuschauen, deren Beine gelähmt oder schwer beschädigt sind weil die harmonische Funktion von Muskeln und Sehnen stark beeinträchtigt wurde. Davon gibt es unzählige Beispiele. Kampfkunsttraining sollte ursprünglich eigentlich gut für die Gesundheit sein, führt nun aber zur Zerstörung der Gesundheit. Das Ergebnis ist wirklich bedauernswert.

Der Kampfkunstweg wird von vielen heute als nationales Vermächtnis bezeichnet. Doch so ein Vermächtnis ist doch nichts anderes als ein Werkzeug um Krüppel zu erzeugen oder?
In den folgenden Jahren nach 1926 wurden an verschiedensten Orten nationale Kampfkunstschulen gegründet um zu zeigen, dass alle diese Künste den Namen national verdienen. Dennoch scheint diese beschämende, deprimierende und völlig wertlose Nationalkunst ein Phänomen zu sein das es nur bei uns gibt. Mir ist auch gar nicht klar, was für eine aussergewöhnliche Person auf diese geniale Idee kam einen solch hochtrabenden Namen dafür zu erfinden? Ich verstehe nicht was sich jemand dabei gedacht hat so dreist zu sein?
Und den gehobenen Herren, die sich mit vollem Einsatz ständig für eine Verbreitung von Sport einsetzen, denen ist gar nicht klar, dass die großen Vertreter ihrer Sportarten alles Anführer auf dem Weg zu einem vorzeitigen Tod sind. Wie kann man all dem nur so blindlings nachfolgen?

Es ist mein einzigster Wunsch, dass sich die Menschen einfach mal in einer ruhigen Nacht hinsetzen und sich sorgfältig Gedanken darüber machen. Man muss lernen klar zu Unterscheiden.
Es gibt nichts im Leben das wertvoller ist als die Gesundheit. Wie kann man sich da von irgendwelchen planlosen Menschen herumkommandieren lassen und sich einfach so verkrüppeln lassen? Die Wahl des Lehrers und das Lernen einer Kunst ist wirklich etwas was man sehr bedacht und sorgfältig wählen sollte. In meinem Prozess des Lernens der Kampfkunst kannte ich dabei nur den Unterschied zwischen Sinnvoll und nicht Sinnvoll. Für mich gab es keine Schulen und Stile. Um die Kampfkunst zum erblühen zu bringen, möchte ich alles was ich weiss und gelernt habe an die nächste Generation weitergeben und ich wünsche mir, dass jeder davon Kenntnis nehmen möchte. Deswegen unterrichte ich jeden der kommt. Ich habe schon immer alle als meine engsten Freunde gesehen und habe die Lehrer Schüler Bezeichnung noch nie sehr gemocht. Es ist meine Hoffnung, dass der Sinn und Weg der Kampfkünste wieder neu erblühen wird, wenn die Vorstellung von Schulen und Stilen wieder langsam abgebaut wird. Das wäre mein Wunsch.

discipula
10-03-2017, 23:01
Danke, das sind sehr interessante Texte!

gast
15-03-2017, 05:43
Das Auflösen des Lehrer-Schüler Systems zur Debatte stellen

Das Lehrer-Schüler System wurde immer als eine sehr schöne Tugend gepriesen. Dennoch kommen aus den schönsten Dingen in unserem Land immer nur alle möglichen Korrumpierungen und unmöglichsten Dinge hervor. Das trifft vor allem auf die Kampfkunstwelt im großen Stil zu. Deswegen wird das Studium der Kampfkünste von den meisten in der Gesellschaft verachtet. Oder man ist der Meinung, dass wenn man sich nicht in einer offiziellen Zeremonie seinem Lehrer unterwirft, man auch nicht seine geheime Lehre anvertraut bekommen würde. Anders herum ist man der Meinung, dass wenn sich ein Schüler nicht unterwirft, er auch nicht das Vertrauen verdient die eigentlich relevanten Dinge beigebracht zu bekommen. So wird es immer eifriger nachgemacht und die Gewohnheit verfestigt sich immer mehr. Leider ist das heute zu einer richtigen Unsitte geworden.

Nun möchte ich die ganzen Leute die eigentlich nur sehr oberflächliches Verständnis haben hier gar nicht zur Debatte stellen. Denn sie haben eigentlich gar nichts was man verheimlichen könnte.
Wenn dann jemand vielleicht etwas hat, dann führt dieses Verhalten mit absoluter Sicherheit früher oder später dazu, dass der wahre Sinn der Kampfkunst sich irgendwann nur noch im Wunschtraum versteckt.
Sogar im inneren Zirkel einer Schule gibt es immer noch Dinge, die als Geheimnis gesehen werden und nicht weitergegeben werden. Ich kann das beim bestem Willen nicht verstehen. Das ist wirklich das unterste vom untersten Niveau. Es ist nicht ohne Grund, dass der Sinn der Kampfkunst nicht mehr bekannt ist.
Bis zum heutigen Tage haben sich so alle möglichen abnormalen Formen von Kampfkunst und absurden Theorien überall verbreitet und diejenigen die solch einen Unsinn anzetteln nehmen immer mehr zu. Darüber kann man sich nur Sorgen machen.

Die wahre Bedeutung vom Sinn der Kampfkunst kann man sagen, ist eigentlich etwas so normales wie der Sinn des alltäglichen Lebens. Man kann aber auch sagen, dass sie genauso tief und unauslotbar sind wie das feinste und verborgene von Himmel und Erde. Wenn man den Sinn nicht klar bekommt, dann kann man sie ein Leben lang praktizieren und doch nichts erreichen. Hat man aber ihren Sinn verstanden, so kommt man auch durch Lebenslange Praxis nicht an ihr Ende. Wo macht es da noch Sinn etwas zu verheimlichen? Alles was zur Menschheit gehört, sollte sich auch seinen Mitmenschen zu Herzen nehmen und sich selbst in die Lage von Menschen in Not versetzen. Erst wenn es wirklich dazu kommt, wird sich der Sinn wirklich festigen können. Ansonsten, was bringt es, wenn die ganze Menschheit auf der Welt ausstirbt und nur man selbst übrig bleibt? Das ist einfach nur noch der Gipfel von Egoismus. Ich fürchte, dass damit das Wohl der Menschheit zu einem jähen Ende kommen würde.

Die Bevölkerung wird immer schwächlicher und vieles entwickelt sich nicht sehr im Sinne der Menschen. Hier liegt das eigentliche Problem begraben. Dazu kommt noch, dass Handwerk und Wissenschaft eigentlich gemeinsames Erbe aller Menschen ist. Es sollte eigentlich keine Einteilung in abgetrennte Gebiete geben und schon gar nicht sollte es innerhalb der eigenen Bevölkerung zu Ausgrenzung kommen. Auch gegenüber anderen Ländern und Rassen sollte man stets nach dem Grundsatz einer großen Einheit handeln und Handwerk und Wissenschaft nicht durch Landesgrenzen einschränken. Alles wächst und gedeiht unter demselben Himmel und derselben Sonne. Wo gibt es da etwas zu verheimlichen? Diese Auswirkungen sind so kleinkariert, dass sie eigentlich gar nicht wert wären darüber zu schreiben.

Deswegen habe ich es im Kampfkunstunterricht immer so gehalten, dass ich nie jemanden abgewiesen habe. Wer immer auch kommt und dieselbe Leidenschaft teilt, den unterrichte ich. Und wenn ich unterrichte, dann unterrichte ich auch mit vollem Einsatz. Wer fragt, dem erkläre ich und ich bemühe mich alles zu erklären. Ich fürchte eher schon fast panisch, dass es jemand nicht begreifen könnte, oder dass es nicht weitergegeben werden könnte.
So kommt es beim Unterrichten immer wieder vor, dass jemand zuhört, es aber nicht verstehen kann, oder dass es jemand klar wird, es aber nicht in die Praxis umsetzt. Das ruft in mir immer ein tiefes Bedauern hervor. Doch sobald ich sehe, dass es jemand versteht und in die Praxis umsetzt und einen Gewinn davon hat, lässt das eine grosse Freude in mir aufsteigen. Es ist einfach nur meine Absicht und löst eine Zufriedenheit in mir aus, zu sehen, wie Menschen auch zufrieden sind. Niemals würde ich mich als Lehrer hervortuen wollen. Denn wenn Menschen sich untereinander etwas geben, dann ist der Geist dabei das wertvollste und das wichtigste dabei ist das Gefühl. Die äussere Form, wie man sich formal nennt, ist dabei nicht wichtig. Denn wenn es zu einer wirklichen Weitergabe von Handwerk und Wissenschaft kommt, dann habe ich in diesem Vorgang trotzdem alles positive erfahren auch wenn ich nicht die Stellung eines Lehrers vereinnahme. Denn wer würde so jemanden denn nicht aus einem Tugendgefühl und Gerechtigkeitssinn heraus als Lehrer behandeln? So wäre die Bezeichnung Lehrer nicht mehr vorhanden, aber im Verhalten doch zum Ausdruck gebracht. Man hätte also
nichtmal einen Verlust dabei.
Wenn man aber als Lehrer die ganze Welt mit abnormalen Formen von Kampfkunst und absurden Theorien täuscht, man sich einer Schule unterwirft und sich untereinander Bruder nennt, aber sobald einer einen klaren Durchblick bekommt und die Absurdität erkennt, wird dieser dann in Zukunft bis auf alle Ewigkeit verhasst sein. Was hat das noch mit Lehrer sein zu tun? Vom Namen her ist der Lehrer zwar existent, aber es ist kein Lehrer mehr im eigentlichen Sinne.

Sobald die Hierarchien von Schüler und Lehrer definiert sind, entsteht auch die Vorstellung von Übergeordnet und Untergeordnet. Sobald ein Schüler dann etwas zum Lehrer sagen möchte, aber das Gefühl hat es sei unangebracht, entsteht dann meistens eine Angst davor die Autorität des Lehrers zu verletzen und er wagt es nicht ihm zuwiderzuhandeln. Wenn er ihm aber zuwiderhandelt, dann muss der Lehrer, um seine Autorität aufrechtzuerhalten, ihn lautstark zurechtweisen und hat so auch keine Möglichkeit mehr sich selbst zu prüfen. Wie kann man bei so einer Mode noch von Handwerk, Wissenschaft und sinnvollen Prinzipien reden? Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet kann man allgemein sehen, dass das Lehrer-Schüler System dem Sinn der Kampfkunst keinerlei Nutzen bringt.

Ausserdem kommt noch dazu, dass der Streit zwischen Schulen und Stilen durch das in Mode gekommene Lehrer-Schüler System oft noch viel mehr angeheizt wird. Jeder möchte sich behaupten und den anderen unterwerfen; hält sich für das Beste und zieht das andere in den Dreck. In einem ständigen Herumgezanke wird aus einer Genealogie eine Schule und aus einer Schule ein Stil. Die Differenzen unter Stilen führen dann zu einem kaum mehr zu überschaubaren Dschungel an Theorien und Ansichten. Auf diese Weise wird die wahre Bedeutung der Kampfkunst in Zukunft nie mehr einen blühenden Tag erleben. Das ist doch eigentlich das schlimmste daran!

Ganz davon abgesehen ist ein Lehrer natürlich wichtig für das Lernen. Aber wenn jemand auch tausende von Kotaus macht und ständig immer nur Lehrer ruft, aber was Handwerk und Wissenschaft angeht total verplant ist, für den macht ein Lehrer letzen Endes auch keinen Sinn mehr.

Man muss sich klar darüber werden, dass Wissenschaft und Handwerk das höchste ist was es im Kosmos gibt. Dieser ist unser gemeinsamer Lehrer. Deswegen setze ich mich so sehr dafür ein, dass das Lehrer-Schüler System aufgehoben wird.
Obwohl mir klar ist, dass das nur meine persönliche Ansicht ist und das Lehrer-Schüler System eine lange und eingeschliffene Tradition in der Kampfkunstwelt hat, wird es nicht auf einmal abgeschafft werden können. Aus einer gewissen Vorsicht heraus — und um blinde Nachfolge und Unstimmigkeiten zu vermeiden — sollte man sich aber schon auf beiden Seiten eine gewisse Zeit geben, bis man vom Charakter und Bildungsgrad ein wirkliches Bild bekommen hat und dann erst mit der eigentlichen Ausbildung beginnen. Das erscheint mir schon relativ angebracht zu sein.

gast
15-03-2017, 15:44
Schlusswort

Beim Kampfkunsttraining kommt es nicht nur auf die Trainingsjahre an sich an, die athletischen Fähigkeiten und das Alter, noch viel weniger auf die Anzahl der Techniken, die Geschwindigkeit der Bewegungen und den Platz in der Schülerhierarchie an, sondern darauf, ob man die handwerklichen und wissenschaftlichen Prinzipien und Grundsätze verstanden hat oder nicht. Vor allem muss man schauen, wie jemand seine naturgegebenen Körper-Geist Kräfte einsetzt und ob man echte Kraft entwickeln kann oder nicht. Im weiteren kann man schauen wie es um dasTalent und den Willen steht. Erst dann kann man etwas zu über das Entwicklungspotential sagen und wie weit es jemand evtl. einmal bringen könnte.

Das allerwichtigste beim Kampfkunsttraining ist den Sinn des Trainings zu verstehen und die Körper-Geist Kräfte zu entwickeln. Oder anders herum gesagt, ob jemand echte, solide Kräfte animalischer Natur besitzt. Wenn die Kräfte wirklich entsprechend solide und echt sind, dann können sie weiter kultiviert und zu einem großen Potential von geistiger Klarheit und Leichtigkeit ausgebildet werden. So ist es nicht mehr schwer in die Tiefe der Kampfkunst vorzudringen, das wesentliche zu verstehen und bis in die höchsten Hallen der Meisterschaft vorzudringen.
Echte Meisterschaft bedeutet, dass man nicht nur ein tiefes Verständnis auf einem Gebiet hat, sondern auf jedem Gebiet von Handwerk und Wissenschaft sofort einordnen kann wie weit jemand seine Materie durchdrungen hat, ob er auf dem richtigen Weg ist und ob er realistisch ist. Schon an seiner Handlungsweise kann man auf den ersten Blick die Tiefe seiner Fähigkeiten erkennen: ob sie ganzheitlich oder nur partiell sind; ob sie ganzheitlich sind und auch bis in die Feinheiten vorgedrungen sind; wie man eventuelle Schwächen ausgleichen kann? Man wird von ganz alleine mit einem Wort direkt ins Schwarze treffen. Das ist die Bedeutung von Zentrum und Mitte, aus dem heraus man auf alles reagieren kann.

In der Position des Unterrichtenden zu sein bedeutet, jemanden über Ordnung und Zusammenhänge aufzuklären und nicht jemandem irgendwelche Tricks zu zeigen. Noch viel weniger darf man irgendwelche künstlichen Sachen machen. Es ist wichtig, dass der Lernende sich aufmerksam ein Beispiel (am Lehrer) nimmt und danach strebt, das Gelernte über seinen Körper zu verstehen und zu festigen. Dann kann man beobachten, wie sich seine Fertigkeiten entwickeln und wie ausgefeilt das Körper-Geist Zusammenspiel funktioniert.

Alles das was im Text angesprochen wurde hat mit dem Sinn der Kampfkunst zu tun. Kampfkunst ist dabei nichts anderes als das was man in seiner Brust trägt. Man kann auch sagen, man muss es mit Herz und Verstand erfassen und mit seinem Körper verstehen und festigen. Kampfkunst hat in diesem Sinne nichts mit dem allgemeinen Verständnis in der Gesellschaft davon zu tun.

gast
15-03-2017, 15:49
So, das wars jetzt von meiner Seite. Die Übersetzung ist im ersten Durchgang abgeschlossen. Wenn ich die Zeit und Musse finde werde ich noch irgendwann einen Kommentar und Erläuterungen zur Übersetzung, sowie eine Beschreibung der chin. Schlüsselbegriffe hinzufügen. Dann wäre mal eine gute Diskussionsgrundlage für das Yiquan geschaffen.

Diskussion, Fragen, Feedback oder Verbesserungsvorschläge immer herzlich willkommen.

Grüße

Beni

Nagare
16-03-2017, 23:26
Hey beni!

Nun habe ich alles lesen können und möchte Dir herzlich für die Veröffentlichung Deiner Übersetzung danken!

:thx:

Sehr interessante und wertvolle Einblicke in die Gedankenwelt von Wang.
Genug Diskussionsstoff und Fragen für einen eigenständigen Arbeitskreis ist damit definitiv vorhanden.

Bin auf die Kommentare und Erläuterungen zu den chinesischen Schlüsselbegriffen gespannt - das wäre sicher eine wichtige Ergänzung.

Vorschlag von mir: Wenn Du alles durchgesehen, korrigiert und redigiert hast, könntest Du den Text eventuell als Download pdf-Datei erstellen. Somit könnte man die Übersetzung (mit Deinem Namen versehen) problemlos weiterreichen und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Thread bzw. dieser Text irgendwann in Vergessenheit gerät, wäre geringer.

kanken
17-03-2017, 07:49
Auch von mir noch einmal vielen Dank.
Gibt es eigentlich einen Grund warum du die traditionellen Lehrverse nicht mit reingenommen hast?

Grüße

Kanken

gast
17-03-2017, 14:01
Ahh... Ne, gibt es eigentlich nicht:gruebel:
Hatte sie mir nur für den Schluss aufgehoben und dann komplett vergessen. Setz mich gleich nochmal hin.

kanken
17-03-2017, 14:28
Wird das Alter sein :D

Freue mich auf deine Übersetzungen.

Grüße

Kanken

gast
31-03-2021, 22:09
Ok, danke. Mit Anmerkungen hätte bestimmt was. Vielleicht kommt da ja noch was, würde mich freuen.


Wer Lust und Interesse hat kann gerne hier Fragen und Anregungen für die Übersetzung posten. Werde es zum Anlass nehmen und mich in der kommenden Zeit nochmal dran setzen und überarbeiten.

Der Text von Qi Zhidu "Neue Abhandlung über das Studium der Boxkunst" (Quanxue Xinbian) ist übrigens auch schon fertig und wartet darauf nochmal überarbeitet zu werden.

Gruß, Beni

Bücherwurm
31-03-2021, 22:19
Wer Lust und Interesse hat kann gerne hier Fragen und Anregungen für die Übersetzung posten.

Ist eine Achse nicht immer zentral?

Nassem
31-03-2021, 22:29
Wer Lust und Interesse hat kann gerne hier Fragen und Anregungen für die Übersetzung posten. Werde es zum Anlass nehmen und mich in der kommenden Zeit nochmal dran setzen und überarbeiten.

Der Text von Qi Zhidu "Neue Abhandlung über das Studium der Boxkunst" (Quanxue Xinbian) ist übrigens auch schon fertig und wartet darauf nochmal überarbeitet zu werden.

Gruß, Beni

Der Autor scheint Yiquan nicht verstanden zu haben ... keine Messer keine CMA

Nassem
31-03-2021, 22:31
Ist eine Achse nicht immer zentral?

Kommt auf den Blickwinkel an. Danach orientiert sich die zentrale Achse

Bücherwurm
31-03-2021, 22:39
Der Autor scheint Yiquan nicht verstanden zu haben ... keine Messer keine CMA

:biglaugh:

ETARAK
02-04-2021, 07:17
@beniwitt Hast Du die angesprochenen Lehrverse inzwischen noch irgendwo veröffentlicht?

Ebenfalls danke für den Text.

Eigentlich kaum zu glauben, dass der Text um 1940 endstanden sein sollte. Seine Kritik könnte aus der Gegenwart kommen.

Hab ich das richtig gelesen, es gab auch bei ihm den Ansatz des Ikken hissatsu? Wunderbare Details, insgesamt.

Wo wurde der Text eigentlich inhaltlich zerrissen? Dieser Faden scheint mir doch so überhaupt nicht in die Landschaft des KKB zu passen.
Einfach zu friedlich.

Kann mich jemand auf das Schlachtfeld führen, resp. einen Link auf den dazugehörigen "Diskussionsfaden" geben?

gast
02-04-2021, 08:29
Hallo Etarak: wie ich gerade sehe habe ich die Lehrverse sogar nicht mal auf meiner Homepage veröffentlich. Obwohl ich sie noch übersetzt hatte. Sie sind immer eine recht harte Nuss und wenn ich jetzt nochmal drüberlese sind viele Stellen die definitiv einer Überarbeitung bedürfen. Vor allem die Lehrverse werden ohne Anmerkungen nicht auskommen. Ich werd sie aber einfach hier der Vollständigkeit halber nochmal veröffentlichen.

Ikken hissatsu? Das sagt mir nichts. Ich könnte googeln, aber besser ist es wenn du vielleicht kurz sagst was du meinst.

Inhaltlich zerrissen?? Was diesen Text angeht soweit ich mich erinnern kann eigentlich nicht. Vielleicht erinnert sich ja jemand? Das müssen andere Diskussionen gewesen sein wo es wahrscheinlich auch irgendwie um Yiquan und ähnliches ging. Der Thread wo es mal ziemlich gefunkt hatte und die Ursache vieler Tastaturkleinkriege hier im chin. Unterforum geworden ist wird wohl der hier (https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?182144-Theorie-Hintergründe&highlight=Tudi%2C+Linie%2C) gewesen sein.

gast
02-04-2021, 08:51
Ich denke es ist klar, dass hier nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden sollte. Einmal, wegen der Übersetzung an sich, zum anderen weil sich das Yiquan nach 1940 auch stetig weiterentwickelt hat. Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass kein Originaltext sondern nur Abschriften die unter Schülern gemacht wurden erhalten sind. Letztendlich weiss man nicht ob Wang, wenn er diesen Text heute lesen würde überhaupt alles gutheißen würde. Mit seinen eigenen Worten aus dem Vorwort:

Das, worauf es bei dieser Kampfkunst nun ankommt, ist den Sinn der Sache zu begreifen; das Gefühl für eine Idee zu entwickeln und eine natürliche Form von Kraft zu entwickeln.

Dennoch muss gesagt werden, dass dieser Text ursprünglich eigentlich nur privat für gleichgesinnte zum besseren Studium der Kampfkünste gedacht war und nicht als Text zur Veröffentlichung vorgesehen war.
Doch da ich nun schon recht alt bin und von allen sehr darauf gedrängt werde, komme ich nicht darum etwas wie Spuren einer Wildgans im Schneematsch als Wegmarkierung zu hinterlassen.

So ist es mir nicht möglich die Feinheiten dieser Kampfkunst im vollen Umfang hier zu erläutern, sondern es soll in erster Linie ein Grundgerüst darstellen.
Es ist einfach zu komplex hier alles in voller Tiefe auszubreiten um das was mir auf dem Herzen liegt umfassend darzustellen.
Es ist somit dem Leser überlassen sich aus den Ansätzen hier selbst einen Reim zu machen.


Lehrverse

Früher wurden oft Lehrverse als didaktische Methode verwendet um sein Wissen weiterzugeben. In diesem Sinne habe ich in etwas freierer Form die folgenden Lehrverse für Studierende gedichtet.

Der Sinn der Kampfkunst ist von tiefster Subtilität
und sollte nicht nur als kleiner Nebenpfad betrachtet werden.

Im Anfang lag der Schwerpunkt auf dem militärischen,
auch Handwerk und Wissenschaft sind daraus hervorgegangen.

Heute ist es zum größten Teil verloren gegangen,
und zu etwas total absurdem geworden.

Diese Kampfkunst wird im Herzen getragen,
es gibt nichts was nicht in ihr enthalten wäre.

Meine innigste Absicht ist die Kampfkunst zu fördern,
wieder zurück an ihren Ursprung zu gehen.

Sein Wesen verstehen und logische Prinzipien erforschen,
Kampfanwendung kommt an zweiter Stelle.

Versteht! Die eigentliche Essenz der Kampfkunst,
entspringt zu aller erst aus dem Stehen.

Die Wahrnehmung verweilt im leeren Raum,
mit seinem Körper lernt man durch experimentieren die Kraft kennen.

Der ganze Körper ist aufgespannt in Wohlspannung,
gebogen, gewunden, entstehend mit Flächen.

Es ist so als ob man bis in die Wolken reicht,
der Atem ist ruhig, fein und lang.

Ganz gemütlich lässt man sich treiben und schaukeln,
als ob man total von Sinnen wäre.

Man löst sich von wirren Gedanken und äusseren Reize,
sammelt den Geist und lauscht dem Nieselregen.

Der ganze Körper ist wie voll von lebendiger Leere,
nicht einmal der geringste Federflaum kann sich darauf absetzen.

In der Form ist es wie Wasser,
formlos wie die Atmosphäre.

Der Geist ist weich und ungebrochen, wie im Rausch,
ganz entspannt, als ob man im Wasser verweilt.

In Stille schaut man in den Himmel,
in lebendiger Leere muss man seine Wahrnehmung festigen.

Der Körper ist wie ein großer Schmelzofen,
alles wird darin geschmolzen, gewandelt und geläutert.

Das geistige Sinnen wandelt sich von innen heraus,
den Atem regulieren und der Stille lauschen.

In Ruhe verweilen wie eine Jungfrau,
und in Bewegung wie ein schlummernder Drache der sich plötzlich erhebt.

Die Kraft ist entspannt, während die Wahrnehmung gespannt ist,
alle Härchen am Körper stehen ab wie Speerspitzen.

Muskeln und Sehnen sind kräftig und bereit zum entladen,
am Auflagepunkt ist die Kraft wie Gewinderollen.

Als Spirale ist die Kraft ohne Form,
der ganze Körper ist wie eine Feder.

Die Gelenke sind wie Rotationskörper,
man muss die Kraft durch Wahrnehmung ergründen.

Muskeln und Sehen sind wie eine aufgeschreckte Schlange,
die Schritte wie ein Wirbelwind.

Nach allen Seiten entstehen riesige Wellen,
wie ein Wal, der beim Schwimmen alles in Bewegung bringt.

Die Kraft über dem Scheitel ist wie lebendig und nicht zu fassen,
der ganze Körper wie an einem Faden aufgehängt.

Der Blick beider Augen ist gesammelt,
man lauscht nach Innen und die Ohren sind für das Äussere geschlossen.

Der Bauchraum ist stets rund,
und der Brustraum leicht gewölbt.

Die Fingerspitzen sind wie von Strom durchströmt,
an Knochen und Gelenken entstehen scharfe Schneiden.

egonolsen
02-04-2021, 09:19
Lehrverse
...


Danke!

FireFlea
02-04-2021, 10:34
@beniwitt - ikken hissatsu ist das 'one hit, one kill' Prinzip. Wird in einigen Karaterichtungen propagiert und kommt vermeintlich aus dem Schwertkampf.

gast
02-04-2021, 11:39
:halbyeaha
Wäre interessant wo Etarak beim Lesen des Textes diese Assoziation kam.

DatOlli
02-04-2021, 11:43
Danke!Da hänge ich mich mal dran.

Liebe Grüße
DatOlli

Gesendet von meinem Mi MIX 3 mit Tapatalk

Cam67
02-04-2021, 12:56
Danke Beni ! Und schöne Ostern dir

ETARAK
02-04-2021, 14:03
Hallo Etarak: wie ich gerade sehe habe ich die Lehrverse sogar nicht mal auf meiner Homepage veröffentlich. Obwohl ich sie noch übersetzt hatte. Sie sind immer eine recht harte Nuss und wenn ich jetzt nochmal drüberlese sind viele Stellen die definitiv einer Überarbeitung bedürfen. Vor allem die Lehrverse werden ohne Anmerkungen nicht auskommen. Ich werd sie aber einfach hier der Vollständigkeit halber nochmal veröffentlichen.

Vielen Dank, ein weiteres Mal! Der gute Mann hatte eine gewisse Intelligenz, die ich sehr zu schätzen weiß. Ich werde dem nicht mehr möglichen Plausch mit ihm ein paar Tage hinterhertrauern. Dennoch wertvoll.


Inhaltlich zerrissen?? Was diesen Text angeht soweit ich mich erinnern kann eigentlich nicht. Vielleicht erinnert sich ja jemand? Das müssen andere Diskussionen gewesen sein wo es wahrscheinlich auch irgendwie um Yiquan und ähnliches ging. Der Thread wo es mal ziemlich gefunkt hatte und die Ursache vieler Tastaturkleinkriege hier im chin. Unterforum geworden ist wird wohl der hier (https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?182144-Theorie-Hintergründe&highlight=Tudi%2C+Linie%2C) gewesen sein.

Der verlinkte Strang hatte mit seinem Text, resp. der darin steckenden Einsicht, nicht wirklich etwas zu tun. Ganz im Gegenteil. Der war eher ein gutes Bespiel für seine Kritikpunkte.


:halbyeaha
Wäre interessant wo Etarak beim Lesen des Textes diese Assoziation kam.

Daher ;)


7. Über den Gebrauch von Kraft

...

...

Unter dem Aspekt auf Leben und Tod zu kämpfen, ist ein Kampf ein Entscheidungskampf. In einem Entscheidungskampf gibt es keine moralischen Grundsätze mehr. Vor allem muss man sich an 6 wichtige Leitlinien halten: Entschlossenheit, Willigkeit, Kaltblütigkeit, Vorsichtigkeit, Standhaftigkeit und Präzision. Darüber hinaus muss man die Entschlossenheit haben mit dem Gegner zusammen zu sterben.
Ist man nicht in der Lage einen Volltreffer zu landen, dann darf man auch nicht zuschlagen. Sobald man sich bewegt (schlägt), muss es zum Tode führen. Erst dann darf man zuschlagen. Wenn man diese Entschlossenheit besitzt, dann führt eigentlich jeder Kampf zum Sieg. Das betrifft den Kampf mit einem gleichwertigen und starken Gegner.
Wenn die Fähigkeiten (des Gegners) jedoch schlechter sind, dann hat man keinen Schaden dabei nachzugeben.
Wenn es sich um einen Besuch unter Gleichgesinnten handelt und es geht darum sich in seinen Fähigkeiten zu vergleichen, dann fällt das in den Bereich freundschaftlicher Vergleich. Beim freundschaftlichen Vergleich geht es um das Erforschen und Diskutieren. Das ist etwas ganz anderes als ein Entscheidungskampf. Dabei ist es wichtig auf moralische Grundsätze zu achten. Dabei muss man vor allem darauf achten wie die Fähigkeiten seines Partners sind. Wenn sie sehr weit auseinander liegen, dann muss man ihn gewähren lassen, so dass er am Ende eine gewisse Ehrfurcht und Dankbarkeit empfindet. Vor dem Vergleich ist es wichtig jemanden mit Höflichkeit den Vortritt zu lassen. In seiner Wortwahl sollte man freundlich sein und in seinem Ausdruck auf eine gewisse Etikette achten. Man darf auf keinen Fall arrogant und ungeduldig sein. Das wäre eine Verletzung der Edelmütigkeit.

...

Das ist ikken hissatsu! Wobei das natürlich noch viel mehr beinhaltet, was in seinem Text nicht behandelt wurde und auch gar nicht musste. Er adressierte da ein ganz anderes Problem.

Einfach ein heftig wertvolles Dokument!

Nochmals, Danke!

gast
02-04-2021, 14:38
Ja, an der Stelle tatsächlich. Wie gesagt kenne ich den Begriff nicht und mir würde spontan auch kein feststehender chin. Begriff einfallen, aber inhaltlich scheint es genau das wiederzugeben. Vor allem im Kontext eines Duelles/Kampfes wo keiner sich was schenkt und es auf Leben und Tod gehen kann.

Mal andersherum gefragt, wäre das in solch einem Kontext nicht sowieso immer der Fall?
Dabei muss ich spontan an die chin. Kungfu Romane und Filme denken. Dort ist es tatsächlich so, dass der Kampf immer über unzählige Runden geht..... Interessanterweise ganz anders in den alten jap. Filmen. Dort ist der Kampf immer in ein paar sek. vorbei. Meistens stehen sich die Duellierenden eine gefühlte Ewigkeit gegenüber, dann ist es meistens ein Angriff, und fertig.
An dieser Gegenüberstellung find ich sieht man sehr schön, wie sich die jap. "Ästhetik" dann doch sehr an der Realität orientiert, während das chin. ganz im Fantasy ist.

Gast
02-04-2021, 15:35
Dabei muss ich spontan an die chin. Kungfu Romane und Filme denken. Dort ist es tatsächlich so, dass der Kampf immer über unzählige Runden geht..... Interessanterweise ganz anders in den alten jap. Filmen. Dort ist der Kampf immer in ein paar sek. vorbei. Meistens stehen sich die Duellierenden eine gefühlte Ewigkeit gegenüber, dann ist es meistens ein Angriff, und fertig.
An dieser Gegenüberstellung find ich sieht man sehr schön, wie sich die jap. "Ästhetik" dann doch sehr an der Realität orientiert, während das chin. ganz im Fantasy ist.

So in der Art?
https://www.youtube.com/watch?v=GF5U83UIX1o

Ist halt die Frage, inwieweit das so die Realität war.

gast
02-04-2021, 15:48
Vielleicht hätte ich Realität in Anführungszeichen setzen sollen. Es war relativ zu den Kampfszenen in den chin. Kungfu Filmen gemeint. Und auch einfach im Kontext zu der Idee von Ikken hissatsu. Film bleibt natürlich Film. Aber die jap. sind da der "Realität" doch eher treu geblieben würde ich sagen.

Nagare
02-04-2021, 18:20
Beni, ein herzliches Danke für die Arbeit und die Übersetzung!
Wertvoll, solche Texte auch für nicht-muttersprachler lebendig zu halten!

Pansapiens
02-04-2021, 18:48
So in der Art?
https://www.youtube.com/watch?v=GF5U83UIX1o


Die Übertragung in die US-Kultur setzt noch einen drauf, in Sachen Coolness:

https://www.youtube.com/watch?v=w3Um2WrTMyc

(noch cooler wäre es gewesen, wenn er sein Messer mitgenommen hätte)

bezieht sich Wang bei der in
https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?181809-Yiquan-Die-zentrale-Achse-des-Weges-der-Kampfk%C3%BCnste-%28Wang-Xiangzhai%29-%28Central-Pivot%29&p=3791801#post3791801 zitierten Aussage auf einen bewaffneten Kampf, oder ist da ein unbewaffneter Kampf mit gemeint?

gast
02-04-2021, 19:03
Es ist eigentlich offen vom chin. Text her. Ich denke einmal beschreibt es vor allem die Einstellung, den Willen, wenn man jemandem in einem wirklichen Kampf gegenübersteht unabhängig davon ob bewaffnet oder unbewaffnet; dann wird das chin. Zeichen 擊 aber sowohl im unbewaffneten Kontext als auch im Kontext von mit einer Waffe stechen, zustechen, verwendet.

T. Stoeppler
02-04-2021, 20:00
@beniwitt
Danke fürs posten der Übersetzung der (Lehr)Verse. :)

Auch wenn die Verse jetzt vielleicht nicht direkt oder direkt wörtlich vom Wang sind - welche davon findest Du denn für Dein Üben besonders wichtig?

Gruss, Thomas

ETARAK
02-04-2021, 20:16
Ja, an der Stelle tatsächlich. Wie gesagt kenne ich den Begriff nicht und mir würde spontan auch kein feststehender chin. Begriff einfallen, aber inhaltlich scheint es genau das wiederzugeben. Vor allem im Kontext eines Duelles/Kampfes wo keiner sich was schenkt und es auf Leben und Tod gehen kann.

Mal andersherum gefragt, wäre das in solch einem Kontext nicht sowieso immer der Fall?

Da fehlt heute wohl den meisten die Vorstellungskraft.
Einerseits wird (aus eigener Erfahrung?) angenommen, dass man selber nicht in der Lage wäre einen Kampf, mit einer einzelnen Aktion zu beenden und andererseits das eigene Vermögen dahingehend überschätzt, dass man in einem längeren Zeitverlauf eines Kampfes durchaus überleben und sogar gewinnen könnte. Rückkopplung: ich kann nicht, er kann nicht? Das ist mit Sicherheit auch aufgrund von Sport- und Filmdarstellungen, aber auch durch andere unrealistische Setups, in den man mehr als eine Chance bekommt. Meist wird aber im Kopf nicht gegen den Tod und Verstümmelung, sondern gegen Kraft, Geschick, Kondition und Härte gekämpft.


Dabei muss ich spontan an die chin. Kungfu Romane und Filme denken. Dort ist es tatsächlich so, dass der Kampf immer über unzählige Runden geht..... Interessanterweise ganz anders in den alten jap. Filmen. Dort ist der Kampf immer in ein paar sek. vorbei. Meistens stehen sich die Duellierenden eine gefühlte Ewigkeit gegenüber, dann ist es meistens ein Angriff, und fertig.
An dieser Gegenüberstellung find ich sieht man sehr schön, wie sich die jap. "Ästhetik" dann doch sehr an der Realität orientiert, während das chin. ganz im Fantasy ist.

Die japanischen Darstellungen sind da sicher näher dran, aber meist zu sauber dargestellt. Verstehe gar nicht, wieso das so schwer zu fantasieren ist - man stelle sich nur mal vor gegen ein wirklich reales Schwert anzutreten. Wieviel Selbstüberschätzung braucht man da eigentlich, um sich gute oder überhaupt eine Chance auszurechnen. Eine Faust, am rechten Arm kann ebenso das Leben beenden. Letzteres passiert noch ab und zu, geht aber irgendwie unter.

Um damals freiwillig ein solches Duell einzugehen braucht es schon eine gehörige Menge an Testosteron oder Dummheit (also auch meist Testosteron) oder enormen gesellschaftlichen Druck.

Heute muss man dazu nur einfach kurz die Augen schließen...

gast
02-04-2021, 20:28
@beniwitt
Danke fürs posten der Übersetzung der (Lehr)Verse. :)

Auch wenn die Verse jetzt vielleicht nicht direkt oder direkt wörtlich vom Wang sind - welche davon findest Du denn für Dein Üben besonders wichtig?

Gruss, Thomas

Ehrlich gesagt haben wir das Yiquan nicht mit solchen oder ähnlichen Versen gelernt, sondern die ganze Struktur baut sich anhand von Ideen auf, mit denen ein bestimmtes Gefühl im Körper, im Raum, gesucht wird. Meistens wird es im Gespräch, aufgrund von Problemen, in Frage und Antwort, über die Zeit hinweg erarbeitet. Aber beim Lesen der Verse taucht natürlich überall bekanntes, vertrautes auf. Letztendlich sind es aber ganz einfache Sachen, die sich mit wenigen Worten beschreiben lassen. Das Problem ist vielmehr die Bedeutung des wenigen Einfachen in seiner vollen Tiefe zu erfassen.
Nachtrag:
Das braucht aber Zeit, hat nichts mit Geheimnissen zu tun, sondern ist mit einer Entwicklung verbunden. Daher ist der Vers der vor meinem heutigen Verständnis am meisten bei mir resoniert der hier:
Diese Kampfkunst wird im Herzen getragen,
es gibt nichts was nicht in ihr enthalten wäre.

KK hat sekundär natürlich auch was mit Technik, mit Handwerk zu tun, aber letztendlich ist es einfach eine Fähigkeit (ein Gongfu) die man bei sich trägt.

T. Stoeppler
02-04-2021, 20:40
Ich hatte es mir fast gedacht - ich frage mich, ob das für manche Yiquan Linien Lehrkanon ist oder eben nur ein "nett mal gelesen zu haben".

Gruss, Thomas

gast
02-04-2021, 20:52
Doch da ich nun schon recht alt bin und von allen sehr darauf gedrängt werde, komme ich nicht darum etwas wie Spuren einer Wildgans im Schneematsch als Wegmarkierung zu hinterlassen. (aus dem Vorwort)

Als Lehrkanon ist wohl etwas übertrieben. Da steht dann schon eher der Unterricht des Lehrers im Vordergrund, aber es gibt viele die sich steif und fest auf diese Texte berufen. Ich habe sogar jemand gekannt der sie auswendig gelernt hat. Von meiner Erfahrung her verfängt man sich leicht darin und sieht den Wald dann vor lauter Bäumen nicht mehr. Aber so im Nachhinein sich die Texte immer wieder zur Hand zu nehmen, vor allem beim Übersetzen, da kamen schon auch hier und da wirklich bereichernde Einsichten -- wie Spuren einer Wildgans im Schneematsch eben.