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Vollständige Version anzeigen : The Heart of Aikido



Gast
14-07-2017, 07:46
Moin

Ich lese gerade "The Heart of Aikido". Finde es durchaus interessant, aber schon auch recht speziell...

Daher die Frage an die Aikido-Cracks:

Gibt es bezüglich speziell dieses Buches was zu beachten? (Übersetzungsprobleme, Entstehungszeitraum etc.?)
Gibt es so was wie "gesammelte Schriften" von Ueshiba? (Hat er eigentlich selbst viel geschrieben?)
Wie ist dieses doch sehr stark religiös-philosophisches Denken in die Breite des Aikido-Trainings eingeflossen? (Oder ist es das überhaupt?)
Und: was lohnt sich dazu sonst noch zu wissen oder mal reinzuschauen?


Merci!

Gast
14-07-2017, 08:44
Moin

Ich lese gerade "The Heart of Aikido". Finde es durchaus interessant, aber schon auch recht speziell...

Daher die Frage an die Aikido-Cracks:

Gibt es bezüglich speziell dieses Buches was zu beachten? (Übersetzungsprobleme, Entstehungszeitraum etc.?)
Gibt es so was wie "gesammelte Schriften" von Ueshiba? (Hat er eigentlich selbst viel geschrieben?)
Wie ist dieses doch sehr stark religiös-philosophisches Denken in die Breite des Aikido-Trainings eingeflossen? (Oder ist es das überhaupt?)
Und: was lohnt sich dazu sonst noch zu wissen oder mal reinzuschauen?


Merci!
Ich selber habe das Buch noch nicht erworben oder gelesen, aber Stanley Pranin hatte es wohl sehr geschätzt (allerdings das japanische Original):

It is my opinion that there is only one published text that faithfully preserves the content and flavor of O-Sensei’s actual speech. The book is titled “Takemusu Aiki,” edited by Hideo Takahashi of the Byakko Shin Kokai. This Japanese-language book consists of transcriptions of a series of lectures given by Morihei before members of this religious group. Mr. Takahashi was very diligent in transcribing Morihei’s speech and visited the founder periodically in Iwama for help in determining the correct meaning of O-Sensei’s words.

Quelle: Stanley Pranin in Aikido Journal, O'Sensei's Spiritual Writings (https://web.archive.org/web/20110901034150/http://www.aikidojournal.com/article?articleID=715)

Einige übersetzte Lesungen sind bzw. waren auf Aikido-Journal erhältlich:

Takemusu Aiki – Lesungen von Morihei Ueshiba, Begründer des Aikido (1), Aikido Journal #116 (1999) (https://web.archive.org/web/20110911135340/http://www.aikidojournal.com:80/article?articleID=636&lang=de)

Gast
14-07-2017, 12:52
Und: was lohnt sich dazu sonst noch zu wissen oder mal reinzuschauen?


Auf dieser und anderer Seiten dieses Blogs findest du einiges an Informationen:

Aiki is Love, isn't it? Aiki isn't Love, is it? - Aikido Sangenkai (http://www.aikidosangenkai.org/blog/aiki-is-love-isnt-it/)

Gast
14-07-2017, 14:34
Aiki50+, Inryoku: merci.

Inryoku: Hast du das Büchlein gelesen?

aikibunny
14-07-2017, 14:45
Zu den allgemeineren Frage: Gewöhnlich werden an dieser Stelle der Diskussion die Beiträge von Peter Goldsbury im aikiweb erwähnt, also mache ich das mal :-) Laufen alle unter "Transmission, Inheritance, Emulation". Ich persönlich finde die ersten etwas zielgerichteter als die letzten...

Für mich sind auch Ellis Amdur's "Hidden in Plain Sight" und Duelling with O-Sensei" sehr wichtig.
https://edgeworkbooks.com/martial-arts/

Gast
14-07-2017, 16:00
Also was mich natürlich auch interessieren würde: Welche Bedeutung haben denn dieser und dergleichen Texte für die lange und intensiv Aikido-Praktizierenden hier an Bord?

(Carsten, Inryoku, Aiki50+, AikiBunny etc.)

aikibunny
14-07-2017, 18:30
Da könnte ich lange, und auch gern, mit Dir beim Bier drüber reden, früher war ich auch oft zum Aikido in Augsburg, jetzt kaum noch :-)

Gute und berechtigte Frage, aber für mich für eine Forendebatte erst mal zu breit und zu persönlich. Aber ich denke nochmal drüber nach, ob einzelne Aspekte sich eignen ...

Gast
14-07-2017, 19:15
Da könnte ich lange, und auch gern, mit Dir beim Bier drüber reden, früher war ich auch oft zum Aikido in Augsburg, jetzt kaum noch :-)

Gute und berechtigte Frage, aber für mich für eine Forendebatte erst mal zu breit und zu persönlich. Aber ich denke nochmal drüber nach, ob einzelne Aspekte sich eignen ...

Danke. Ja, das glaube ich sofort dass sich das nicht so leicht veräußern lässt... Aber wenn es dich doch noch mal nach Augsburg verschlägt, kannst du dich ja melden!

Gast
15-07-2017, 14:05
Ich lese gerade "The Heart of Aikido". Finde es durchaus interessant, aber schon auch recht speziell...

Daher die Frage an die Aikido-Cracks:

Gibt es bezüglich speziell dieses Buches was zu beachten? (Übersetzungsprobleme, Entstehungszeitraum etc.?)
Vorsichtshalber noch ein Hinweis: es gibt mehrere Bücher mit dem Titel "Heart of Aikido" von verschiedenen Autoren. Hier ist die Rede von
"The Heart of Aikido: The Philosophy of Takemusu Aiki", Hardcover – June 7, 2013 by Morihei Ueshiba (Author), Hideo Takahashi (Editor), Kodansha Verlag, ISBN=4770031149


Gibt es so was wie "gesammelte Schriften" von Ueshiba? (Hat er eigentlich selbst viel geschrieben?)
Meines Wissens hat Morihei Ueshiba selber keine Bücher verfasst. Alle ihm zugeschriebenen Bücher wurden wohl von seinen Schülern oder Anhängern geschrieben, selbst "Budo Renshu" wurde von Kenji Tomiki editiert (Quelle: Aikijujutsu Densho - AKA Budo Renshu, by Moritaka Ueshiba (http://www.aikidosangenkai.org/blog/aikijujutsu-densho-budo-renshu-moritaka-ueshiba/) )

Wie ist dieses doch sehr stark religiös-philosophisches Denken in die Breite des Aikido-Trainings eingeflossen? (Oder ist es das überhaupt?)
Weder jetzt noch zu meiner Studentenzeit vor 25-30 Jahren hatte es einen direkten Einfluss auf den Unterricht. Grob vereinfacht, wurde die spirituell-religiöse Basis ja von Kisshomaru Ueshiba (und anderen) auf eine rationalere Grundlage gestellt. Deswegen sind ja nicht wenige Aikidoka die Meinung, dass das heutige Aikikai-Aikido eine stark verwässerte Version von Morihei Uehibas Aikido sei: "Is O-Sensei Really the Father of Modern Aikido?" by Stanley Pranin (http://aikidojournal.com/2016/01/14/is-o-sensei-really-the-father-of-modern-aikido-by-stanley-pranin-2/)


Also was mich natürlich auch interessieren würde: Welche Bedeutung haben denn dieser und dergleichen Texte für die lange und intensiv Aikido-Praktizierenden hier an Bord?
Wenn schon die meisten Japaner Ueshibas Reden und Texte nicht verstehen, dann ist es für mich ohne Hintegrundwissen in Japanisch, Shinto, Daoismus, Omoto erst recht aussichtslos. Die mir bekannte Sekundärliteratur beinhaltet so gegensätzliche Meinungen, dass ich daraus keine eigene Philosophie (oder was auch immer) ableiten könnte. Man ist sich ja noch nicht mal über die Bedeutung der Begriffe wie Liebe, Harmonie, Frieden einig.

Warum ich Aikido ausübe, habe ich in anderen Threads geschrieben. Dafür brauche ich keine philosophischen Schriften.

carstenm
16-07-2017, 18:17
"The Heart of Aikido".

Gibt es bezüglich speziell dieses Buches was zu beachten? (Übersetzungsprobleme, Entstehungszeitraum etc.?)Die Übersetzungen von John Stevens gelten als stark persönlich gefärbt.
John Stevens gilt nicht als Kenner der den Texten zugrunde liegenden daoistischen Gedanken.
Es werden keine Kriterien genannt für die Auswahl der Texte aus dem Original.
Es werden keine Kriterien genannt für die Zusammenstellung bzw. Neugruppierung der übersetzten Texte.

Aus meiner Sicht handelt es sich bei diesem Buch eher um eine Arte "Devotionalie", nicht dagegen um ein Werk, das einen profunden Zugang zu den Gedanken Ueshibas ermöglicht.

(Bei meinem Lehrer stand "The Heart of Aikido" eine Zeitlang auf dem kamidana im dôjô. Nicht im Regal der wissenschaftlichen Werke zu budô ...)


Gibt es so was wie "gesammelte Schriften" von Ueshiba? (Hat er eigentlich selbst viel geschrieben?)Als "kanonisch" gelten wohl vor allem aiki shinzui 合気神髄 und takemusu aiki . Beides transkribierte Reden bzw. Vorträge Ueshibas.

Peter Goldsbury hat mir gegenüber einmal geäußert, daß auch die Worte in aiki shinzui nicht unmittelbar von Ueshiba Morihhei selbst niedergeschrieben worden seien. Nach seiner damaligen Ansicht gebe es keinen Text, den Ueshiba tatsächlich selbst verfaßt habe. Die Texte in sseinen Büchern budô renshû und budô stammen nach Peters Aussage beide nicht von ihm sondern sind im lediglich "zur Abnahme" vorgelegt worden. Dazu gibt es allerdings auch andere Meinungen.


Wie ist dieses doch sehr stark religiös-philosophisches Denken in die Breite des Aikido-Trainings eingeflossen? (Oder ist es das überhaupt?)Nach meiner Wahrnehmung ist es in die die Breite des Aikido Trainings überhaupt gar nicht eingeflossen.
Es gibt - nach meiner Wahrnehmung - nur sehr wenige Lehrer, die diese Aspekte unterrichten. Endô Seishiro sensei hat viel mit aiki shinzui gearbeitet. Und das Schlußkapitel seines Buches "Vibration and Connection" besteht ausschließlich aus Zitaten daraus.
Ich selber habe das Glück, bei einem Lehrer zu üben, der auf diese Aspekte ansprechbar ist.


Und: was lohnt sich dazu sonst noch zu wissen oder mal reinzuschauen?
Takemusu Aiki : Volume 1 -3 (https://www.amazon.de/Takemusu-Aiki-1-Morihei-Ueshiba/dp/2916537007/ref=sr_1_1?s=books-intl-de&ie=UTF8&qid=1500225320&sr=1-1&keywords=Takemusu+A%C3%AFki+%3A+Volume+1)(Französi sch) von Morihei Ueshiba, transkribiert und redigiert durch Hideo Takahashi, überstetzt von Seiichi Kurihara und Pierre Régnier

aiki shinzui (http://www.aikidosangenkai.org/blog/tsuneo-ando-part-2/aiki-shinzui-kisshomaru-ueshiba/), Hakujusha 1990

Secrets of Aikido by John Stevens (https://www.amazon.de/Secrets-Aikido-John-Stevens-1997-02-11/dp/B01FKTIHIW/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1500225195&sr=1-1&keywords=the+secrets+of+aikido). Ebenfalls eine Zusammenstellung von Texten aus takemusu aiki. Aber sehr viel stärker inhaltlich orientiert und aussagekräftiger als The Heart of Aikido.

Gast
16-07-2017, 19:07
Danke für die weiteren Antworten, Anregungen und Links!

Gast
17-07-2017, 13:51
Inryoku: Hast du das Büchlein gelesen?

Ja, habe ich. Nach dem Lesen habe ich es verschenkt.
Man sollte daraus nicht schließen, das es für mich eine geringe Bedeutung hatte, eher das Gegenteil.

Ich will es aber nicht wie eine "Bibel" auf dem Tisch liegen haben, für mich ist es eher wichtig praktisch zu üben, und auf diese Weise den Inhalten näher zu kommen.
Die Texte Ueshibas sind in Bedeutung und Symbolismus auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, daoistisch, buddhistisch, shintoistisch, gesellschaftspolitsch, wobei sich Ebenen natürlich überschneiden. z.B. unterlag der Shinto der Omoto-kyo daoistischen Einflüssen, u.s.w.
Zudem sind Ueshibas Gedanken und Texte nicht nur stark beeinflusst durch omoto-kyo und Shingon-Buddhismus, sondern auch durch des world peace prayer movement (Byakko Shinko Kai),was oft außer Acht gelassen wird, wenn es darum geht Ueshibas Friedensbotschaft richtig zu deuten, die nach Meinung mancher nur im doistischen Kontext zu deuten, und daher immer falsch verstanden worden sei.

Ueshiba sagte mal, das Masahisa Goi, der Begründer diese Bewegung der einzige sei, der wirklich verstehen würde was sein Herz bewegt.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Textsammlung einzuordnen, es sind soweit ich weiß, alles Vorträge, die vor Mitgliedern des Byakko Shinko Kai gehalten wurden.
Das Problem ist, diese verschiedenen Ebenen richtig einzuordnen, das ist meiner Ansicht nach bisher niemandem wirklich gelungen.

Gast
17-07-2017, 14:33
@Inryoku
Merci.

@All
Mir ist natürlich bewusst, dass sich die von mir gestellten Fragen hier nicht einfach klären lassen.
Ich habe nur bislang wirklich kaum etwas von oder über Ueshiba gelesen, daher fand ich diesen ersten längeren Ausflug in seine Gedankenwelt recht interessant. (Mit vielen der Einzelbausteine wie Shinto, Daoismus, Shingon etc. bin ich natürlich schon etwas vertraut.)

Beim Stöbern bin ich auf diesen kurzen Artikel von Klaus Antoni (der ja auch das Kojiki für den "Verlag der Weltreligionen" neu übersetzt hat und eine der Größen für Shinto- und Kokutai-Denken ist) zu kotodama gestoßen, vielleicht ist er auch für den einen oder die andere hier interessant.

https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/47042/pdf/Antoni_2012.pdf?sequence=1

Gast
18-07-2017, 16:36
Beim Stöbern bin ich auf diesen kurzen Artikel von Klaus Antoni (der ja auch das Kojiki für den "Verlag der Weltreligionen" neu übersetzt hat und eine der Größen für Shinto- und Kokutai-Denken ist) zu kotodama gestoßen, vielleicht ist er auch für den einen oder die andere hier interessant.

https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/47042/pdf/Antoni_2012.pdf?sequence=1
Falls noch nicht bekannt: Peter Goldsbury hat sich in seinen Kolumnen "Transmission, Inheritance, Emulation" 13 (http://www.aikiweb.com/forums/showthread.php?t=16299), 14 (http://www.aikiweb.com/forums/showthread.php?t=16472) bis 15 (http://www.aikiweb.com/forums/showthread.php?page=3&t=16546) intensiv mit Kotodama beschäftigt.

Gast
19-07-2017, 06:16
@Aiki50+
Merci.

@All
Weil wir gerade dabei sind. Wer sie noch nicht kennt, die "Encyclopedia of Shinto" (in neuem Gewande) ist auch sehr informativ.

????????????? (http://k-amc.kokugakuin.ac.jp/DM/dbTop.do?class_name=col_eos)

Gast
08-08-2017, 19:52
So, habe mich jetzt endlich mal in einige der Kolumnen des AikiWeb von Peter Goldsbury eingelesen und manche durchgelesen (AikiWeb Aikido Information: Columns (http://www.aikiweb.com/columns/)).

Gefällt mir alles sehr gut. Spannend finde ich gerade, dass sie so eine Art Blaupause für viele Fragestellungen darstellen, wie sie sich ja auch in den chinesischen und anderen japanischen KK stellen. Also z.B.


Was wissen wir über die genauen Umstände der Begründung der Kunst?
Wie hat sich der Begründer geäußert?
Welche Veränderungen gab es zu Lebzeiten des Begründers in seinen Ansichten?
Wie haben die Nachfolger und Schüler die Kunst verstanden, verändert, weitergegeben?
Welchen Einfluss hat die Sprache auf die Kunst und innerhalb der Kunst?
Wie steht es mit den religiös-philosophischen Anteilen?


Und vieles mehr.
Ich denke mir aber, wenn schon gerade bei Aikido und Ueshiba so viele, teils fundamentale Fragen letztlich unbeantwortet bleiben müssen (wo die Quellenlage ja doch gut ist, viele Zeitzeugen noch befragt wurden, viel Forschung betrieben wird), wie ernüchternd es dann bei anderen und älteren Traditionen ist... Viele der ganzen Fragen stellen sich z.B. ja auch bezüglich der Entstehung und Entwicklung des Taijiquan, oder natürlich auch des Xingyiquan.
Jedenfalls kann ich die Kolumnen nur empfehlen.

Gast
17-08-2017, 12:20
Ich denke mir aber, wenn schon gerade bei Aikido und Ueshiba so viele, teils fundamentale Fragen letztlich unbeantwortet bleiben müssen

Letztendlich ist doch alles was er gemacht hat, ziemlich offen, und zu allem womit er in Berührung gekommen ist gibt es jede Menge Informationen.
Welche Bedeutung für ihn persönlich bestimmte Dinge hatten ist natürlich nicht immer nachvollziehbar, aber welche fundamentalen Fragen sind unbeantwortet?

aikibunny
17-08-2017, 16:01
PS
Spannend finde ich gerade, dass sie so eine Art Blaupause für viele Fragestellungen darstellen, wie sie sich ja auch in den chinesischen und anderen japanischen KK stellen. Also z.B.


Was wissen wir über die genauen Umstände der Begründung der Kunst?
Wie hat sich der Begründer geäußert?
Welche Veränderungen gab es zu Lebzeiten des Begründers in seinen Ansichten?
Wie haben die Nachfolger und Schüler die Kunst verstanden, verändert, weitergegeben?
Welchen Einfluss hat die Sprache auf die Kunst und innerhalb der Kunst?
Wie steht es mit den religiös-philosophischen Anteilen?


Und vieles mehr.
Ich denke mir aber, wenn schon gerade bei Aikido und Ueshiba so viele, teils fundamentale Fragen letztlich unbeantwortet bleiben müssen (wo die Quellenlage ja doch gut ist, viele Zeitzeugen noch befragt wurden, viel Forschung betrieben wird), wie ernüchternd es dann bei anderen und älteren Traditionen ist... Viele der ganzen Fragen stellen sich z.B. ja auch bezüglich der Entstehung und Entwicklung des Taijiquan, oder natürlich auch des Xingyiquan.
Jedenfalls kann ich die Kolumnen nur empfehlen.

Julian, ich sehe das auch so, vieles wird offenbleiben, aber vielleicht ist das gerade gut so, weil es uns auf unsere eigenen Absichten und Praxen zurückwirft.

Ich finde auch sehr spannend, dass die Arbeit von Goldsbury und anderen es inzwischen ermöglicht, an Wissensbestände und Theorien der Geschichtswissenschaft und Kulturanthropologie anzuschließen, zum Beispiel Ranger&Hobsbawm zu erfundenen Traditionen, aber auch Sachen zu Ritual, Religiosität und Erinnerung.

In den ersten 100 Jahren der Rezeption von asiatischen KK im Westen wurde glaube ich sehr stark versucht, Wahrheiten (historisch, inhaltlich) zu fixieren, ich sehe eine Chance daran, dass man die Dinge jetzt viel mehr als veränderlich sehen kann und muss.

PS: Als ich vor kurzer Zeit angefangen habe, mich mit CKK zu beschäftigen, fand ich es amüsant, dass EXAKT die gleichen Streitereien in der Geschichte der Linien vorkommen wie im Aikido, man hätte teilweise einfach nur die Namen der Kunst und Protagonisten gegen Aikido tauschen müssen. Bei so Fragen wie "Was ist der Stellenwert von Waffen", "Wer war der wichtigste Schüler", "Zu welchem Zeitpunkt war Meister X auf der Höhe seines Könnens", "Wann ist die Kunst entstanden" usw.

Gast
17-08-2017, 17:51
Letztendlich ist doch alles was er gemacht hat, ziemlich offen, und zu allem womit er in Berührung gekommen ist gibt es jede Menge Informationen.
Welche Bedeutung für ihn persönlich bestimmte Dinge hatten ist natürlich nicht immer nachvollziehbar, aber welche fundamentalen Fragen sind unbeantwortet?

Das ist natürlich nur mein laienhafter Eindruck nach ein wenig Einlesen in die Thematik. Aber, wo ich bislang nicht das Gefühl habe, dass es so wirklich klar wäre, wie es zu verorten ist betrifft z.B.


Die Bedeutung der Waffen, des Waffentrainings, und welcher Form bzw. Herkunft. Ist es gleichwertig, unverzichtbar, ein Add-On? Von Beginn an beides, oder später dazu?
Wie steht es um das Solo-Training? Welchen Stellenwert nimmt es ein, sollte es einnehmen? Und was für Solo-Übungen genau, und mit welchem Zweck?
Und schließlich: wie ist die spirituelle Seite (misogi, chinkon etc.) zu sehen? Notwendig, oder doch eher Privatsache?


Mein Eindruck ist einfach der, dass "Aikido" ein ziemlich großes Spektrum von Deutungen zulässt (noch verstärkt seit Kisshomaru und der weltweiten Verbreitung). Aber das meine ich alles gar nicht negativ! Und auf jeden Fall finde ich hat das gesamte Aikido (was ich bisher so gesehen habe) ein eindeutig charakteristisches Flair.

Aber gerade da über Ueshiba so viel bekannt ist und eigentlich zeitlich ja noch so nahe, finde ich es irgendwie unbefriedigend, dass (zumindest für mich) obige Aspekte so schwer zu entscheiden sind.

aikibunny
18-08-2017, 08:24
Julian,
würde Dir auch noch mal das Buch von Ellis Amdur "Hidden in Plain Sight" wärmstens ans Herz legen. Nicht nur, weil es einige Deiner Punkte diskutiert, sondern auch, weil es für mich über die JKK hinaus ein exzellentes Beispiel ist, wie ein hochrangiger KK Lehrer intelligente Nachfragen an die KK Geschichte zu einer spannenden Textgattung vebindet, ohne daraus akademische Geschichtsschreibung machen zu müssen. Die Herangehensweise ist für die IMA generell interessant, finde ich.

Gast
18-08-2017, 12:44
Julian,
würde Dir auch noch mal das Buch von Ellis Amdur "Hidden in Plain Sight" wärmstens ans Herz legen. Nicht nur, weil es einige Deiner Punkte diskutiert, sondern auch, weil es für mich über die JKK hinaus ein exzellentes Beispiel ist, wie ein hochrangiger KK Lehrer intelligente Nachfragen an die KK Geschichte zu einer spannenden Textgattung vebindet, ohne daraus akademische Geschichtsschreibung machen zu müssen. Die Herangehensweise ist für die IMA generell interessant, finde ich.

Hi,
merci :-)
Das Buch habe ich schon lange auf meiner Liste stehen, ist nur leider schwer zu bekommen. Aber kommt bestimmt noch.

Gast
18-08-2017, 14:31
Die Bedeutung der Waffen, des Waffentrainings, und welcher Form bzw. Herkunft. Ist es gleichwertig, unverzichtbar, ein Add-On? Von Beginn an beides, oder später dazu?


Die Entwicklung der Waffentechniken ist sicher ein interessantes Thema.
Für diejenigen die mit Ueshiba trainiert haben, seine Ukes in zahlreichen Vorführungen bei denen er mit dem Schwert demonstriert hat, gehörte es natürlich dazu. Michio Hikitsuchi sagte mal, man erlernte Ueshibas Schwert in dem man ihn Angriff.
In der als Film auf Youtube (auch in real Speed: https://www.youtube.com/watch?v=qtSBuW7nqBE) verfügbaren Vorführung von 1935 im Asahi Dojo sieht man ebenfalls Waffentechniken, damals sogar noch mit Juken, was später keine Bedeutung mehr hatte.
Zu dieser Zeit gab es den Namen Aikido für Ueshibas Kampfkunst allerdings noch nicht, sondern Daito ryu, oder Aiki Budo.
Die Waffenübungen resultieren also aus einer Zeit vor dem Krieg, und Schüler wie Rinjiro Shirata oder Michio Mochitsuki oder später Morihiro Saito betonten stets die Wichtigkeit der Waffentechniken.
Hikistsuchi hatte eine Schriftrolle in der ihm von Ueshiba die Lehrerlaubnis für Masakatsu Bo Jutsu erteilt wurde, und in der Schwertmethode Sho chhiko bai no ken erhilet er ebenfalls von Ueshiba Unterricht.
Dann gibt es Lehrer wie Yamada (Aikikai New York), der überhaupt keine Waffen unterrichtet, einfach weil Ueshiba selbst in Tokyo keine Waffen regulär unterrichtet hat. Ganz anders dagegen Tamura Sensei, der sehr häufig sein Schwert-Uke war.



Wie steht es um das Solo-Training? Welchen Stellenwert nimmt es ein, sollte es einnehmen? Und was für Solo-Übungen genau, und mit welchem Zweck?
Dazu gibt es einen interessantes Interview mit Hiroshi Tada auf aikidosangenakai.org.
Tada Sensei ist dafür bekannt dass er viele Stunden am Tag Soloübungen macht, und die Wichtigkeit auch stets betont.
Er zeigt z.B. eine Übung und sagt dann, man solle das jeden Tag mind. 1 Stunde üben, oder diese und jene Übung 1000 mal.
Viele Schüler Ueshibas haben eigene Systeme für Soloübungen entwickelt, Shioda (Kihon Dosa Renzoku) , Shirata (Tandoku Dosa) und andere.
Bestimmte Grundübungen werden in jedem Aikidotraining gemacht, es ist nur für die meisten Leute eine Frage der Zeit.
Tada Senseis Traininigsanweisungen z.B. werden wohl von den wenigsten Leuten beherzigt.


Und schließlich: wie ist die spirituelle Seite (misogi, chinkon etc.) zu sehen? Notwendig, oder doch eher Privatsache?


Auch hier ist es so, dass bestimmte Elemente ins Aikidotraining integriert wurden, aber auch eher unsystematisch, so dass es über die Zeit wieder in der Breite verloren gegangen ist.
Die "rites of spring" z.B. werden aber noch in einigen Dojos geübt, zumindest Teile davon.
Darüberhinaus hat Ueshiba ja öfter betont, dass Aikidotraining schon Misogi ist, und darüber hinaus eigentlich keine Notwendigkeit besteht.



Aber gerade da über Ueshiba so viel bekannt ist und eigentlich zeitlich ja noch so nahe, finde ich es irgendwie unbefriedigend, dass (zumindest für mich) obige Aspekte so schwer zu entscheiden sind.

Je mehr Information man bekommt, desto runder wird das Bild.
Berichte aus erster Hand sind natürlich, wenn auch Subjektiv, immer was anderes als Erzählungen aus zweiter oder dritter Hand.

Gast
18-08-2017, 14:33
Das Buch habe ich schon lange auf meiner Liste stehen, ist nur leider schwer zu bekommen. Aber kommt bestimmt noch.

Gibt wohl bald eine Neuauflage...

Gast
18-08-2017, 15:53
@Inryoku

Danke für deine Ausführungen.

Was ich vielleicht meine: beim "Aikido" entsteht bei mir stärker als bei anderen Kampfkünsten der Eindruck, dass es ein großes Spektrum an Zugängen gibt, und zwar nicht erst in der Art wie die Kunst dann von den Schülern weitergeführt wurde, sondern schon vom Gründer selbst. Sprich, es wirkt auf mich so, als ob das Tun von Ueshiba sich während seiner Lebenszeit und Lebensphasen stärker als bei anderen entwickelt und verändert hat.

Kann sein dass ich mich da täusche, da bin ich aus dem Stegreif nicht so firm: aber z.B. bei Kanô und Funakoshi würde ich jetzt spontan vermuten, dass sie deutlich früher und schneller einen einigermaßen gleichbleibenden Rahmen für ihr Tun und vor allem auch ihr Lehren gefunden haben.

Gast
18-08-2017, 16:41
Sprich, es wirkt auf mich so, als ob das Tun von Ueshiba sich während seiner Lebenszeit und Lebensphasen stärker als bei anderen entwickelt und verändert hat.

Vielleicht ist das so, es gibt aber auch Hinweise dass er doch über die ganze Zeit nicht so eine starke Veränderung gegeben hat wie man oft vermutet.
Es gibt Videovergliche der Techniken, die eine sehr große Ähnlichkeit versuchen zu beweisen, wobei man natürlich aus der älteren Zeit nur Fotos zur Verfügung hat und nicht sieht wie die gesamte Bewegung aussieht.
Nach Aussage meines Lehrers, der ihn ja über 10 Jahre erlebt hat sind die Bewegungen allerdings im Laufe der Zeit immer fließender und runder geworden, und die Intention die er hatte kann man natürlich auf einem Foto auch nicht sehen.
Gerade da liegt aber wohl die größte Veränderung, die Änderung der Ausrichtung des Tuns von militärischen Zwecken auf eher spirituelle Ziele.
Wobei das militärische vielleicht auch schon irgendwie einem "höheren" Zweck diente. Nur dass die Militärs das was er eigentlich wollte nicht verstanden haben und ihn und seine Kunst für ihre niederen Zwecke missbraucht haben.