PDA

Vollständige Version anzeigen : Die umfassende Geschichte der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō



ryoma
05-02-2018, 18:43
Das PDF mit 19 Seiten ist das zentrale Element der neugestalteten offiziellen Webseite der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō. Darin wird nun die komplette Geschichte der Schule dargelegt seit ihrer Gründung 1820 bis in die Neuzeit.
Es ist das Ergebnis von acht Jahren Forschung zum Thema. Dazu wurden eine Vielzahl von Quellen konsultiert und durchforstet, welche am Schluss aufgelistet sind. Aufgrund der Tatsache, dass die Schule im 19. Jahrhundert so berühmt und weitherum bekannt war, gibt es zu ihrer Geschichte viele Aufzeichnungen.

Das Ganze kann auch auf der Homepage gelesen werden, dort ist die Auflösung der Bilder natürlich besser (Reiter „Geschichte“). Es gibt drei Übersetzungen davon: Japanisch, Englisch und Deutsch.
http://hokushinittoryu.com/

Und nun viel Freude beim lesen!

Huangshan
05-02-2018, 20:22
Danke fürs teilen.

Werde mir die Geschichte der von Dir ausgeübten Ryu durchlesen.

Schnueffler
05-02-2018, 20:47
​Danke schön. Werde ich in Ruhe zu Gemüte führen.

Hug n' Roll
05-02-2018, 21:32
Sehr schön und sehr interessant!

Ich hätte da eine Nachfrage:
Ist etwas bekannt über etwaige Schwierigkeiten/Irritationen/Bedenken etc. hinsichtlich der örtlichen und personellen Verlagerung der Tradition ins Ausland (München)?
Ich finde das als Aussenstehender mit Blick auf das japanische Traditionsbewusstsein natürlich sehr aussergewöhnlich, daher meine Frage.

ryoma
06-02-2018, 08:19
Jeder, der mit den japanischen Verhältnissen vertraut ist oder sie vom Hörensagen kennt, kann sich vorstellen, dass die Übergabe einer Ryûha an einen Nicht-Japaner (mit gleichzeitiger Verlegung des Honbu ins Ausland) von gewissen Kreisen in Japan nicht gerne gesehen ist. Das schöne bei den Koryû ist nun aber mal, dass man überhaupt niemandem Rechenschaft schuldig ist, was mit der eigenen Schule geschieht.

Ich zitiere hier gerne Kent Sorensen, den Sôke-dairi der Toda-ha Bukô-Ryû. Er wurde vom 20. Sôke (Nakamura Yoichi) vor dessen Tod damit beauftragt, die Schule ad interim zu leiten und den nächsten Sôke auszubilden:
„After his death there have been people who have voiced their disapproval with his decision to make me Sôke-dairi; there have been even people who have encouraged me to step down and there have been people who quite underhandedly have tried to annul Nakamura sensei’s decision, but his decision will stand. Kobayashi sensei as well as Nitta sensei both said that “our business is our business and our business only” (uchi no koto wa, uchi no koto dake desu) so we won’t tolerate anyone telling us what to do.”

Natürlich stellt es eine spezielle Herausforderung dar, solch eine Tradition im Ausland aufrecht erhalten zu können.
Aber zuerst einmal geht es in einer Bujutsu-Ryûha um die Fertigkeiten im Kampf. Gleichzeitig ist es eine erhaltenswerte Kulturform. Diese beiden Aspekte müssen zwingend vermittelt werden, egal ob das nun in Japan oder sonst wo auf der Welt stattfindet.
Und auch japanischen Schülern muss man nahezu dasselbe erklären wie ausländischen Schülern, AUCH den kulturellen Aspekt. Dem japanischen Schüler mag es dann aufgrund der Sprache leichter fallen, gewisse Verbindungen schneller herstellen zu können.
Ôtsuka-Sôke verbringt meist mehrere Monate pro Jahr in Japan für Treffen und Austausch mit befreundeten Schulen, Nachforschungen und Enbu. Und viele fortgeschrittene Schüler und Lehrer der Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô sprechen fliessend Japanisch und sind aufgrund langer Aufenthalte in Japan mit Kultur und Gesellschaft bestens vertraut. Dies bildet die Garantie und Grundlage für eine originale Weitergabe auch an westliche Schüler. Inwieweit sich dann jeder einzelne Schüler darauf einlässt, kann man natürlich nur begrenzt beeinflussen.

Hug n' Roll
06-02-2018, 09:40
Danke für die -ebenfalls sehr interessante- Antwort.
So ähnlich hatte ich es mir zwar schon gedacht, aber die zusätzliche Erläuterung mit dem kulturellen Aspekt und den nahezu gleich großen Lernbedarfen der Schüler (unabhängig von ihrer Herkunft) war nochmal eine gute Ergänzung.

carstenm
06-02-2018, 11:14
Gleichzeitig ist es eine erhaltenswerte Kulturform. Diese beiden Aspekte müssen zwingend vermittelt werden, egal ob das nun in Japan oder sonst wo auf der Welt stattfindet. Und auch japanischen Schülern muss man nahezu dasselbe erklären wie ausländischen Schülern, AUCH den kulturellen Aspekt.Kannst du umreißen, worin dieser kulturelle Aspekt deiner Ansicht nach besteht?

Das interessiert mich, da es ja z.B. budô gibt, die nicht nur allgemein Lehren des shintô beinhalten, sondern auch ganz konkret mit einem bestimmten Schrein und also auch einem bestimmten shintô verbunden sind. Oder Schulen, die budô als Respekt gegenüber dem Kaiser definieren. Und derlei Dinge. Solche Aspekte ließen sich ja wahrscheinlich nur schwer außerhalb Japans leben und tradieren?

AlexAikido
06-02-2018, 11:51
Ich danke dir für dieses schönbe Stück Arbeit! Liest sich sehr schön und ist hochinteressant.

ryoma
06-02-2018, 13:04
Kannst du umreißen, worin dieser kulturelle Aspekt deiner Ansicht nach besteht?

Das interessiert mich, da es ja z.B. budô gibt, die nicht nur allgemein Lehren des shintô beinhalten, sondern auch ganz konkret mit einem bestimmten Schrein und also auch einem bestimmten shintô verbunden sind. Oder Schulen, die budô als Respekt gegenüber dem Kaiser definieren. Und derlei Dinge. Solche Aspekte ließen sich ja wahrscheinlich nur schwer außerhalb Japans leben und tradieren?

Die kulturellen Aspekte, welche in der Hokushin Ittô-Ryû gelehrt werden sind vielerlei. Das Reihô der Schule ist sehr tief und es werden viele verschiedene Formen gelehrt, abgestimmt auf das Gegenüber: Daimyô, Clan-Offiziellen oder andere Bushi (höhergestellt, gleichrangig oder untergeben).

Dazu kommt das korrekte Verhalten im altjapanischen Alltag. Beispielsweise wann legt man das Schwert aus dem Obi ab, wohin legt man dieses je nach Situation, wo gibt man es ab, wann gibt man das Daishô ab und wann darf man Wakizashi noch im Obi behalten. Wann ist selbst dieses verpönt und nur ein Tanto angebracht.

Wenn es um die Religion geht, so ist auch die Hokushin Ittô-Ryû mit verschiedenen Schreinen und Gottheiten verbunden. Die Schutzgottheit der Hokushin Ittô-Ryû ist Myôken, mit dem Hauptschrein, dem Chiba-jinja in Chiba-city. Im Honbu befindet sich ein kleiner Schrein der Gottheit aus der Edo-Periode. Außerdem sind im Shinzen des Honbu noch andere Götter mit Bedeutung für die Schule vorhanden. Diese sind: Amaterasu no o-mikami (Ise-jingu), Takemikadzuchi no o-kami (Kashima-jingu), Futsunushi no o-kami (Katori-jingu), sowie Marishiten und Fudo-Myô. Den Göttern wird regelmäßig jede Woche der Tradition nach geopfert und das Shinzen gepflegt. Die Schüler lernen die Riten hierfür genauso wie das Fechten. Es gehört einfach alles zusammen.
Dass man ab und an gemeinsam die Hauptschreine der jeweiligen Gottheiten in Japan gemeinsam besucht gehört auch mit dazu, wenn man möchte. Hier ist es aber wichtig, dass keinem eine Religion aufgezwungen wird. Es geht dabei darum,die Riten und Gebräuche zu lernen und zu respektieren. Selbst wenn das nicht die eigene Religion ist, aber die des Umfelds.
Ôtsuka Ryûnosuke-Sôke legt grossen Wert darauf, dass man sich egal wo man sich befindet an die Gepflogenheiten anpasst. Sei es in einem Schrein, Synagoge, Moschee, Tempel etc. ungeachtet der eigenen Religionszugehörigkeit. Respekt und Akzeptanz ist was hierbei im Vordergrund steht. Eigentlich ist das gesunder Menschenverstand.

Diese kulturellen Aspekte, zusammen mit vielen anderen, müssen in Japan genau wie im Ausland gelehrt werden und sind fester Bestandteil unserer Ryûha. Das physische Training ist nur eine Seite der Münze.

carstenm
06-02-2018, 13:39
Vielen Dank für die ausführliche Erläuterung.

Huangshan
06-02-2018, 14:20
Die Arbeit ist informativ,lehrreich und sie gewährt auch einen Einblick in die Geschichte Japans.

So wie beschrieben war die Ryuha schon immer offener für Neuerungen, deshalb ist der Schritt einen nicht Japaner als Soke zu wählen erklärbar.

Gast
06-02-2018, 15:41
Wer ist denn dann Shiina Kazue Sensei, "present 7th generation headmaster" of the main branch of the Hokushin Itto Ryu in Japan?

karate_Fan
06-02-2018, 15:55
Danke fürs Teilen Ryoma. Werde ich mir sofort durchlesen. Scheint ja höchst interessantes Material zu sein.

ryoma
06-02-2018, 16:38
Wer ist denn dann Shiina Kazue Sensei, "present 7th generation headmaster" of the main branch of the Hokushin Itto Ryu in Japan?

Das ist diese Person hier:
https://www.youtube.com/watch?v=FuTnpClhkDM&feature=youtu.be

In Japan weithin bekannt als Hochstapler. Shiina Kazue hat sich von einem Typen mit dem Familiennamen Chiba zum Sôke erklären lassen. Dieser Herr Chiba ist allerdings weder verwandt noch verschwägert mit der Chiba-Familie der Hokushin Ittô-Ryû. Noch war er Sôke oder Sôke-dairi der Hokushin Ittô-Ryû. Er ist ein zwielichtiger Typ der eine fake Ninja-ryûha mit dem Namen Gessei-Ryû leitet.

Shiina Kazue nennt seine Schule offiziell “Chiba-ke Seiden Hokushin Ittô-Ryû”, was übersetzt so viel bedeutet wie “einzig wahre Überlieferung der Hokushin Ittô-Ryû der Chiba-Familie”. Jemand der bei so einem Schulnamen noch nicht die Flucht ergriffen hat, dem ist auch nicht mehr zu helfen. :D

In dem Video sieht man sehr gut was für ein Mensch Shiina Kazue ist. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt mit dem Bau japanischer Gebäude und Dingen wie “Katana-Yoga, Bushido Aroma Sensation (was auch immer das sein soll)”. Den Namen Hokushin Ittô-Ryû benutzt er um potentielle Kunden anzuziehen, da er in Japan bekannt ist.

Als Ôtsuka-Sôke letzten Oktober das Tobukan der Ozawa-ha Hokushin Ittô-Ryû in Mito besucht hatte, kam das Thema Shiina Kazue auch sehr schnell zur Sprache. Nach einem herzhaften Lacher über dieses Thema und der Aussage dass keiner weiss, was der Typ da eigentlich verkauft und macht, wurde sich wieder den wichtigeren politischen Themen beider Linien gewidmet.

Wie in allen berühmten Schulen gibt es eben immer Leute, die ohne die Tradition erlernt oder gar gemeistert zu haben vorgeben diese zu unterrichten um ihren Namen aufzuwerten. Sehr schade, aber Unkraut vergeht nicht.
Die Chiba-Familie hat sich auch offiziell von Shiina Kazue und seinen Behauptungen distanziert und öffentlich dagegen in Tôkyô ausgesagt. Allerdings kann er sich nennen wie er will. Wie in jeder anderen Schule auch.
Den offiziellen Schulnamen der Schule (Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô) darf er allerdings nicht nutzen, da dieser in Japan genau wie in Europa gesetzlich geschützt ist und der Sôke-Linie gehört.

Kurzer
06-02-2018, 17:26
Vorbildlich gemacht! Gratuliere, ohne um die Einzelheiten zu wissen.

Gast
06-02-2018, 17:29
Ist ja nicht so einfach zu durchblicken.

Dann gibt es auch noch diese: Kaneko Katsuyoshi Kyoshi & Kirihara Hideo Kyoshi.

Gehören die denn zu eurer Schule?

ryoma
06-02-2018, 17:40
@Inryoku: Das sind zwei Kendôka des Tobukan, welche dort ebenfalls Ozawa-ha Hokushin Ittô-Ryû trainieren.

Gast
06-02-2018, 18:17
@Inryoku: Das sind zwei Kendôka des Tobukan, welche dort ebenfalls Ozawa-ha Hokushin Ittô-Ryû trainieren.

Alles wird klar...
Danke für die Auskunft.

ryoma
06-02-2018, 20:24
Kein Ding, Inryoku! Immer gerne bereit Auskunft zu geben (falls ich es kann... ;) ).

bugei
07-02-2018, 21:41
Hallo ryoma!
Danke fürs Teilen. Bin noch nicht zum Lesen gekommen, da eben erst online gegangen, aber das passiert heute noch.
Ist Ôtsuka-Sôke eigentlich (praktizierender) Buddhist? Und wie funktioniert das betreffs (möglicherweise stattfindender) Shinto-Rituale? Shinto ist ja nun nicht gerade eine Bekenntnisreligion, weswegen ich mir das etwas kompliziert für Ôtsuka-Sôke vorstelle.

Edit: Falls die Fragen in dem Aufsatz schon beantwortet sind, sorry

ryoma
08-02-2018, 13:03
Hallo bugei:
Prinzipiell möchte ich mich nicht über den persönlichen Glauben meines Lehrer auslassen. Gemäss dem typisch japanischen Synkretismus ist Ôtsuka-Sôke allerdings Shintô-Buddhist, ja.
Aber viel wichtiger ist die bereits erwähnte Respektierung aller Kulturkreise, ungeachtet der Religionszugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit. Darauf legt Ôtsuka-Sôke grossen Wert.
Da aber die Schule natürlich Teil einer konfuzianisch geprägten, buddhistisch-shintoistischen Kultur ist, sollen auch die Schüler lernen, was für Gepflogenheiten und Regeln dabei zu befolgen sind.

Ich hoffe, diese kurze Erklärung ist hilfreich.

Huangshan
08-02-2018, 13:29
ryoma.

Interessant.

Der Synkretismus ist in Ostasien eine gängige Praxis.(Leider nicht immer siehe z.B. die Geschichte der Buddhistenverfolgung (Haibutsu kishaku (jap. 廃仏毀釈),Christenverfolgung in Japan)

In China z.B. wird Shamanismus,Ahnenkult, Daoismus,Konfuzianismus,Buddhismus,Aberglaube miteinander vermischt. Ausgenommen sind z.B: die chin. Moslems.(Wandel nach der Kulturrevolution,Maoimus)

Religion wird nicht fanatisch,fundementalistisch.... praktiziert.

Meine chinesische Frau und ihre Familie besucht z.B. zu den jeweiligen Festen buddhistische,daoistische Tempel.
Es ist auch kein Problem für sie eine katholische Kirche,Messe zu besuchen.

Diese Toleranz würde ich mir für andere Kulturkreise wünschen.( monotheistische Religionen)

bugei
09-02-2018, 21:42
@ ryoma
Danke, Deine Antwort war hilfreich genug für meine Neugierde:beer:

FireFlea
09-02-2018, 22:25
Wenn mich nicht alles täuscht, war Sasamori Takemi vom Ono ha Itto Ryu Christ und hat in einer Kirche unterrichtet.

ryoma
10-02-2018, 00:03
Wenn mich nicht alles täuscht, war Sasamori Takemi vom Ono ha Itto Ryu Christ und hat in einer Kirche unterrichtet.

Stimmt, er war christlicher Pastor und hatte sein Dôjô in seiner Kirche in Tôkyô eingerichtet.

bugei
10-02-2018, 22:32
Wenn mich nicht alles täuscht, war Sasamori Takemi vom Ono ha Itto Ryu Christ und hat in einer Kirche unterrichtet.
Davon hatte ich auch schon gehört, aber es war irgendwo in der Ramschkiste, die ich mein Gedächtnis nenne, untergegangen. In dem Sinne, danke für die Erinnnerung