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Vollständige Version anzeigen : Die Kriegskunst der Samurai in voller Rüstung - ein Vortrag



shinken-shôbu
12-05-2019, 22:05
Nachfolgend ein von mir versprochener Erlebnisbericht zu einer Kurzreise nach München wegen eines vom Oberhaupt einer Koryû gehaltenen Vortrages....





Ein Tag (Di., 07.05.2019) in der Münchener Ausstellung

SAMURAI – Pracht des Japanischen Rittertums
Die Sammlung Ann und Gabriel Barbier-Mueller
01.02.-30.06.2019, Kunsthalle München

mit abendlichem Vortrag von Ôtsuka Ryûnosuke, Sôke (Oberhaupt) der Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô



Diese prächtige Sammlung von v.a. jap. Rüstungen und Helmen eines von der Schweiz nach Dallas in den
USA ausgewanderten Pärchens ist eine der größten und berühmtesten überhaupt weltweit. Weiß man zudem
noch, dass in der Kunsthalle München nur ein sehr kleiner Teil dieser Sammlung ausgestellt wird (inklusive
Pferderüstungen) , so ist das schon wirklich mehr als nur beeindruckend.

Es ist vielleicht sinnvoll vorauszuschicken, dass im Rahmen dieser Ausstellung die Kunsthalle München
eng mit dem Sôke der Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô zusammenarbeitet und m.A.n. alle davon profitieren,
nicht zuletzt auch die Besucher, die dieses Angebot sehr dankbar annehmen.






1.) Tagsüber in der Kunsthalle München
ein paar „echte“ Samurai inmitten der staunenden Ausstellungsbesucher

Kurzfristig als Schüler der Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô nach München fahrend und in dem festen Glauben, ich
würde dort einen Tag lang in Montsuki & Co. (im traditionellen jap. Sonntagsanzug) lediglich als Wegweiser
o.ä. fungieren, wurde ich eines Besseren belehrt. Zusammen mit Oláh Tamás-Sensei (dem Vertreter unserer
Schule für Ungarn), der eine Rüstung trug, schritt ich nach Öffnen der Ausstellung durch die Räume der
Ausstellung unter den interessierten, manchmal auch etwas scheuen oder verstohlenen Blicken der vielen
Ausstelllungsbesucher, einem internationalen Publikum.
Immer wieder beantwortete Tamás-Sensei kompetent neugierige Fragen der auf ihn zugehenden Besucher,
während ich mich dabei meist ein wenig zurücklehnen konnte. Später kam auch noch unser Sôke, Ôtsuka
Ryûnosuke, dazu und wir verteilten uns etwas, gingen auch einmal entgegengesetzt durch die Ausstellungs-
räume der Kunsthalle München.

Zumindest eine zeitlang ganz allein auf mich gestellt, wurde ich nun auch selbst öfter von Besuchern ganz
direkt angesprochen, zumal es mittlerweile zeitgleich diverse Gruppenführungen durch die Ausstellung gab.
Wie froh war ich, dass ich mich thematisch bereits ein wenig auskenne und so keine der Fragen abwiegeln
musste. Angeregt von den Führerinnen ergaben sich mit diesen selbst und natürlich auch mit begeisterten
Teilnehmern der Führungen immer wieder sehr interessante Gespräche und spätestens, wenn es dann einmal
recht kampfkunstspezifisch wurde (etwa Fragen zum Ursprung des Jûdô und dessen Gründers aufkamen),
reichten die Führerinnen die Fragen der Besucher dankbar an uns weiter.

Insgesamt kann ich (selbst im Servicebereich einer Oper tätig) dem Team der Kunsthalle München, den
Führerinnen und auch den Besuchern nur ein wirklich großes Lob aussprechen. Auf allen Seiten war ein
ernsthaftes Interesse an der Sache als solcher selbst zu spüren, größte Freundlichkeit, keinerlei bloße
Selbstdarstellung auf Kosten eines echten Informationsflusses, tolles Rahmenprogramm - einfach super.






2.) Vortrag über jap. Rüstungen am Abend
„Die Kriegskunst der Samurai in voller Rüstung“ (mit Vorführung)

Für 19:00 Uhr, im Vortragssaal Museum Fünf Kontinente, war Ôtsuka Ryûnosuke Sôkes Vortrag über die
Entwicklung der jap. Rüstung angesetzt - inklusive einer Demonstration seiner berühmten, Anfang des
19.Jhdts. gegründeten, Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô und dazu noch Kyûjutsu der Heki Ryû (Bogenschießen).

Der Saal ist ausgelegt für 300 Leute und füllte sich erst relativ spät, platzte dann aber letztlich tatsächlich
aus allen Nähten. Die Leute fanden teils keinen Sitzplatz mehr und mussten stehend dem Vortrag lauschen.

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Heki Ryû Insai ha (traditionelles jap. Bogenschießen)
Vorführung Oláh Tamás-Sensei, Shibuchô Ungarn


Unser Sôke, gekleidet in voller Yoroi, hielt seinen Vortrag völlig frei aus dem Stehgreif, was die Sache von
vornherein weniger trocken wirken ließ. Zudem forderte er das Publikum sofort auf, ruhig Fragen zu stellen,
was auch sehr dankbar angenommen wurde. Aufgrund der Begrenzung auf nur etwa eine Stunde konnte das
Thema jap. Rüstungen und deren historische Entwicklung natürlich nur relativ oberflächlich behandelt
werden. Das reicht aber völlig aus, interessierte Laien oder zumindest Personen, die in keiner traditionellen
japanischen Kampfkunst Zuhause sind, mit allerhand im Kopf umherschwirrenden Gedanken zurück zu
lassen und Lust auf mehr zu machen. Jedes Quentchen mehr an Information würde den geneigten Zuhörer
- zumindest an dieser Stelle - vielleicht schon ein wenig überfordern, weil er gar keine Zeit hat diese Flut an
neuen auf ihn hereinstürzenden Informationen erst einmal in Ruhe für sich selbst zu verarbeiten und die
eigenen Gedanken ein wenig sortieren zu können.

Durchgängig souverän und kompetent hielt Ôtsuka Ryûnosuke-Sensei seinen Vortrag und ging ebenso mit
den vielen ihm gestellten Fragen um, erklärte auch immer wieder einmal am lebendigen Beispiel Eigenarten
der japanischen Rüstungstypen und Kampfesweisen. Nun war mir selbst vieles natürlich hinlänglich bekannt
aufgrund des eigenen Werdeganges und dennoch lernte auch ich wieder einmal zwei, drei Dinge, die mir so
zuvor noch nicht bekannt gewesen sind und genau solche Details hatte ich mir selbst vom Vortrag erhofft.
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Erläuterung des Gesichtsschutzes Menpô
Ôtsuka Ryûnosuke, Oberhaupt der Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô


Einziger (allerdings nicht wirklicher) kleiner Kritikpunkt meinerseits wären die im Vortrag dann irgendwann
erwähnten zwei Kamikaze (Götterwinde) genannten Stürme, welche die gegen Japan ziehende mongolische
Flotte vernichtet haben sollen, da es mittlerweile - insbesondere bezüglich des zweiten Sturmes - neuere
geschichtliche Erkenntnisse zu diesen „Winden“ und den genauen Auswirkungen auf den Kriegsverlauf gibt.

Selbst an der Uni (Japanologie in Berlin etwa) wird dies aber allein schon zeitbedingt ebenfalls vereinfacht
dargestellt, insofern ist der Sôke in allerbester Gesellschaft und angesichts seines nur einstündigen Vortrags
in den er wirklich eine Menge an Informationen packte, ist denn mein Kritikpunkt wie gesagt auch keiner,
der den Eindruck des an sich genialen Vortrags in irgendeiner Weise auch nur ansatzweise schmälern könnte.
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Kenjutsu, Tachi Gogyo no Kata Omote, zweite Form
li.: Lyutov Dmitry-Sensei; re.: Stehli Martin-Sensei


Im übrigen riss der Ansturm an Fragen auch nach dem Vortrag einfach nicht mehr ab, nein es ging nun sogar
erst richtig los und v.a. um den Sôke herum bildete sich eine richtige Menschentraube, bis man uns dann alle
sozusagen zuckersüß „herauskomplimentieren“ musste - irgendwann haben die Leute halt auch in München
mal ihren seligen Feierabend und sich diesen redlich verdient.

Chapeau für eine wunderbare Ausstellung am Tage, einen nicht minder wunderbaren, erhellenden Vortrag am
Abend und...ach naja, das würde jetzt den Rahmen wohl endgültig sprengen und meine Begeisterung sollte ja
bereits auch so zum Leser dieses Textes problemlos durchgedrungen sein.

edit: lediglich Schreibfehler korrigiert

ryoma
20-05-2019, 12:17
Hier noch mein Take zur Veranstaltung (auf Englisch): https://schwertgedanken.com/2019/05/20/fighting-methods-in-full-yoroi-a-lecture/