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Vollständige Version anzeigen : Katchû-Bujutsu (Kriegskunst in Rüstung) - ein interaktiver Vortrag



ryoma
04-05-2020, 20:09
Um dieser Corona-Krise auch etwas positives abzugewinnen, hatte sich die Hokushin Ittô-ryû Hyôhô schon Mitte März entschlossen, wöchentliche Skype-Calls durchzuführen für alle Schüler weltweit.

Da es aber nicht einfach ein "Hey, wie gehts euch"-Ding sein soll, sondern vorallem Substanz vermitteln soll, gibt es wöchentliche Vorträge zu spezifischen Themen. Meist sind sie zwischen zwei und drei Stunden lang und selbstverständlich interaktiv um Fragen beantworten zu können.
Die wöchentlichen schulinternen Fragestunden und Vorträge zu den Lehren der Schule durch Ôtsuka-sôke sind den Schülern unserer Ryūha vorbehalten. Allerdings haben wir auch regelmässig Calls an denen auch Gäste von anderen Ryūha teilnehmen können, wenn Interesse besteht und die Kapazität da ist.
Unter anderem gab es bereits Vorträge zur Geschichte und Pflege verschiedener Klingen und Koshirae, also Schwertmontierungen (durch unseren Ryûha-internen Koshirae-shi, Fachmann und Kaichô unserer ungarischen Shibu) und zum Thema "Die politische Situation rund um die berühmten Machi-Dôjô der Bakumatsu-Zeit" durch mich.

Gestern abend hielt der 7. Sôke der Schule, Ôtsuka Ryûnosuke, einen Vortrag direkt aus dem Honbu-Dôjô zum Thema "Katchû-bujutsu (Kriegskunst in Rüstung)" und allgemein zur Entwicklung der japanischen Rüstungen durch die verschiedenen Epochen hindurch.

Der dreistündige Video-Skype wurde von Schülern und Gästen anderer Ryûha aus elf Ländern verfolgt. Ôtsuka-sôke gab zuerst eine historische Gesamtschau von den Anfängen jap. Rüstungen im Altertum bis ins 19. Jahrhundert und wie sich die Wechselwirkung von Waffentechnologie, Kriegsführung und Rüstungen gestaltete.
Der Hauptteil legte den Fokus darauf, wie man eine Rüstung korrekt anlegt, so dass sie einsatzfähig ist und bleibt und wie man sich darin zu bewegen und zu kämpfen hat. Die Erklärungen wurden anhand der persönlichen Rüstung von Ôtsuka-sôke gemacht, einer Tôsei-Gusoku. Dieser Rüstungstyp stammt aus der Sengoku-Zeit und zeichnet sich durch eine einfachere Herstellungsweise aus, die der Beweglichkeit zu Gute kommt.

Einige der typischen Irrtümer in Bezug auf Samurairüstungen wurde ebenfalls ausgeräumt. Z.B. das ein besonders tiefer Stand des Rüstungsträgers wegen des "Gleichgewichts" nötig sei. Ganz im Gegenteil: wird die Rüstung korrekt getragen, schützt ein eher enger Stand die besonders verletzlichen Partien wesentlich besser. Außerdem wurde die Beweglichkeit an verschiedenen Waffen demonstriert um sämtliche Mythen auszuräumen.
Ein Punkt, den die Teilnehmer äusserst interessant und spannend fanden: Der Kabuto (Helm) ist zwar gut und fest verschnürt, auch mit der Menpô (Gesichtsschutz) zusammen. Trotzdem kann und muss er aber innerhalb von ca. drei Sekunden vollständig zu entfernen sein! Dies aus dem naheliegenden Grund, dass wenn der Träger eine Verletzung an der Halsseite davonträgt, er die Wunde sofort mit Druck verschliessen muss. Bei fixiertem Helm ist das aber nicht möglich... Hochinteressant!

Es gäbe noch sehr viel zu erzählen, schliesslich dauerte der Vortrag drei Stunden. Trotzdem hoffe ich, hier einen kleinen Einblick gegeben zu haben, was auch eine klassische japanische Ryûha alles machen kann, um die Schüler optimal zu unterrichten. Ausserdem ist es eine gute Sache um die Schule international weiter zu verbinden.

Tyrdal
05-05-2020, 08:51
Hm, sowas hätte ich gerne gesehen. Rüstungskampf interessiert mich besonders.

Nick_Nick
05-05-2020, 11:18
Sehr interessant :halbyeaha. Gerne mehr.

ryoma
05-05-2020, 11:25
Was ich vergass zu erwähnen in meinem Eingangspost: Ôtsuka Ryûnosuke wird dieses Thema auch in einem Youtube-Video behandeln in naher Zukunft.
Als: Stay tuned!

Huangshan
06-05-2020, 15:26
Interessant!


Außerdem wurde die Beweglichkeit an verschiedenen Waffen demonstriert um sämtliche Mythen auszuräumen.

Ähnliche Mythen kursieren um europäische Vollrüstungen im Spätmittelalter.


https://youtu.be/5hlIUrd7d1Q?t=85

ryoma
08-05-2020, 13:45
Vielen Dank für das Video. Sehr schön sieht man auch hier die Schwachstellen europ. Rüstungen (aufgrund der menschlichen Anatomie sind es ja praktisch dieselben wie bei Yoroi, der jap. Rüstung).
Es ist wirklich faszinierend, wie sich solche Mythen halten können ("wenn ein Ritter umfiel, war er so wehrlos wie eine Schildkröte auf dem Rücken".... etc.).

Und da es um Rüstungskampf geht: Hier ein Video eines Enbu in Japan (37 min.). Das Dargebotene variiert qualitativ leider sehr stark.

Einer der Tiefpunkte ist sicherlich das Enbu der Shinkage-ryû Hyôhô (04:56 – 07:40). Abgesehen von kleineren technischen Unzulänglichkeiten wie Gleichgewichtsverlust, ist das eigentlich Fatale ab 05:38 zu sehen, wo sich bei dem einen die Schnürung seiner Yoroi (Rüstung) verabschiedet. Bei 07:18 dann der Höhepunkt: Derselbe Mann verliert tatsächlich seine rechte Sode (Schulterplatte), sprich die Rüstung fällt ihm vom Leib! Erschwerend kommt hinzu, dass es sich dabei um den Uchitachi handelt. Also derjenige, der in klassischen Ryûha typischerweise die höhere Position (z.B. Lehrer) innehat.

Ja, das Video enthält zahlreiche Schnitte, woraus man schliessen kann, dass das Enbu wohl etwas länger war als knapp drei Minuten. Aber selbst wenn dieses Enbu fünfzehn Minuten gedauert hätte (was es sicherlich nicht tat), ist das ein unverzeihlicher Fehler.
Es zeigt eine massive Vernachlässigung des sogenannten "Kitsuke", die Kunst des korrekten Ankleidens. Heute findet der Begriff hauptsächlich Verwendung in der Welt des Kimono-Anziehens. Tätsächlich ist damit aber jegliches Ankleiden gemeint, welches technische Finesse benötigt.

Nicht zu vergessen: Das sind offizielle Repräsentanten ihrer Schule (bzw. Lehrlinie) an einem öffentlichen Enbu. Man kann wirklich nur enttäuscht sein über diesen Mangel an Ernsthaftigkeit, welcher hier zur Schau gestellt wurde.


https://www.youtube.com/watch?v=DvoVYTzrsvI&t=461s

karate_Fan
08-05-2020, 22:11
Sehr interssant. Zum Thema japanische Rüstungen gibt es im Netz ja Verhältnismäßig wenig zu lesen an hochwertigen Inhalt. Sehrh nett, dass uns ein wenig daüber erzählt hast Ryoma.

ryoma
08-05-2020, 23:40
Naja, schreibe ja nicht das erste Mal darüber.... ;)
Dezember 2017: https://schwertgedanken.com/2017/12/03/ueber-yoroi/

gunk
09-05-2020, 12:56
Sehr schön. Das geplante youtube-Video Wird sich auf jeden Fall zum Anschauen lohnen, denke ich. Die Kompetenz und das Wissen von Ôtsuka Ryûnosuke fand ich bei der Führung durch die Samurai-Ausstellung in der Kunsthalle sehr beeindruckend.

shinken-shôbu
13-05-2020, 01:07
Ein Punkt, den die Teilnehmer äusserst interessant und spannend fanden: Der Kabuto (Helm) ist zwar gut und fest verschnürt, auch mit der Menpô (Gesichtsschutz) zusammen. Trotzdem kann und muss er aber innerhalb von ca. drei Sekunden vollständig zu entfernen sein! Dies aus dem naheliegenden Grund, dass wenn der Träger eine Verletzung an der Halsseite davonträgt, er die Wunde sofort mit Druck verschliessen muss. Bei fixiertem Helm ist das aber nicht möglich... Hochinteressant!Dieser Punkt leuchtet vollkommen ein, wenn man darüber nachdenkt, war mir bis dato allerdings auch noch nicht bekannt. Ich finde, genau das ist auch das Schöne an diesen Skype-Einheiten: egal ob für Anfänger oder Fortschrittene, es ist für jeden immer irgendetwas dabei, was man noch nicht auf dem Schirm hatte.




Hm, sowas hätte ich gerne gesehen. Rüstungskampf interessiert mich besonders.
Hm, vielleicht verstehe ich Dich gerade nur falsch aber imgrunde ist Rüstungskampf wie rüstungsloser Kampf, es ändern sich nur Kleinigkeiten. Es macht ja auch schon allein aus Zeitgründen Sinn, ausbildungstechnisch neben den verschiedenen Waffen nicht auch noch zwei verschiedene Systeme für rüstungslosen Kampf und Rüstungskampf lehren und lernen zu müssen. Ryoma hat das im von ihm in Post #8 verlinkten Blogbeitrag sehr schön im Hinblick auf die Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô erklärt.




Ähnliche Mythen kursieren um europäische Vollrüstungen im Spätmittelalter.
Pah, also das im Video, DAS ist ja auch nichts Besonderes aber wenn die dann erstmal ohne Hebekran auf den Gaul müssen, DANN sehen sie aber ganz alt aus. :rofl:




Einer der Tiefpunkte [des verlinkten Enbu] ist sicherlich das Enbu der Shinkage-ryû Hyôhô (04:56 – 07:40). Abgesehen von kleineren technischen Unzulänglichkeiten wie Gleichgewichtsverlust, ist das eigentlich Fatale ab 05:38 zu sehen, wo sich bei dem einen die Schnürung seiner Yoroi (Rüstung) verabschiedet. Bei 07:18 dann der Höhepunkt: Derselbe Mann verliert tatsächlich seine rechte Sode (Schulterplatte), sprich die Rüstung fällt ihm vom Leib! Erschwerend kommt hinzu, dass es sich dabei um den Uchitachi handelt. Also derjenige, der in klassischen Ryûha typischerweise die höhere Position (z.B. Lehrer) innehat.
Ehrlich gesagt verstehe ich gar nicht, wie der gute Mann (oder die Person die ihm möglichweise beim Umziehen half) das hinbekommen hat und ich finde es sehr bedauerlich. Ausgerechnet ein Enbu ist doch ein Ereignis, bei dem man seine Schule im besten Licht erscheinen lassen möchte und nun bleibt in erster Linie bei nicht wenigen Leuten hängen, dass es Koryû gibt, wo es offenbar schon an den Grundlagen hapert oder diesen zumindest nicht die verdiente (über)lebenswichtige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Man kann für diese Schule nur hoffen, dass es im Nachhinein eine entprechende Manöverkritik gab, es ein ganz blöder "Ausrutscher" gewesen ist und künftig dann besonders streng auf das richtige Anlegen einer Rüstung geachtet werden wird.

karate_Fan
13-05-2020, 10:18
Hm, vielleicht verstehe ich Dich gerade nur falsch aber imgrunde ist Rüstungskampf wie rüstungsloser Kampf, es ändern sich nur Kleinigkeiten. Es macht ja auch schon allein aus Zeitgründen Sinn, ausbildungstechnisch neben den verschiedenen Waffen nicht auch noch zwei verschiedene Systeme für rüstungslosen Kampf und Rüstungskampf lehren und lernen zu müssen. Ryoma hat das im von ihm in Post #8 verlinkten Blogbeitrag sehr schön im Hinblick auf die Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô erklärt.






Das ist ein interssanter Aspekt der japanischen Schwertkunst, dass sich dort wenig ändert. Macht natürlich auch Sinn.

in Europa aber könnte das anders gewesen sein. Bei uns in den HEMA gibt es Bloßfechten mit dem langen Schwert auf viele Schnitte während man im Harnisch Kampf nur auf Grappling und auf Stiche setzt.



https://www.youtube.com/watch?v=G4k-vjdeZO4&list=FLslj--zGsf8DbkipD6eWqMg&index=23&t=0s

Rüstung ist nicht gleich Rüstung. Verschiedene Rüstungen erfordern verschiedene Lösungen.

Man kann daher leicht zum Schluss das sich Fechten in Rüstung vom Fechten ohne Rüstung unterscheidet.

Manchmal ist diese Schlussfolgerung eben falsch (Japan Kontext) and manchmal kann auch stimmen wie beim Harnisch und Bloßfechten in Europa des 15 Jahrhundert.

@Ryoma Danke für das Verlinken des alten Artikels von 2017. Der ist mir entweder entgegangen oder ich habe in den 3 Jahren vergessen das ich ihn gelesen habe..:o

Huangshan
13-05-2020, 11:07
Nicht zu vergessen: Das sind offizielle Repräsentanten ihrer Schule (bzw. Lehrlinie) an einem öffentlichen Enbu. Man kann wirklich nur enttäuscht sein über diesen Mangel an Ernsthaftigkeit, welcher hier zur Schau gestellt wurde.


Meine Beobachtungen seit Jahrzehnten.

Einige trad. Kampfkunstarten,Schulen haben sich zu HAMA(historical asian martial arts) entwickelt.

Das heißt es wird Kabuki Theater, Peking/ Kanton Oper etc. gespielt.

Realistische Anwendungen wie sie einst üblich waren, wurden vergessen,korrekte Überlieferungen gehen verloren und es werden stattdessen Showstücke präsentiert .(Samuraitheater)

Das geht einher mit der immer grösseren Verwestlichung in Asien und dem Desinteresse der jungen Generationen an traditionellen Kampfkünsten,Traditionen etc...

PS: Einst hätte solche Schlampigkeit einen Gesichtsverlust bedeutet und hätte Konsequenzen zufolge.

ryoma
14-05-2020, 12:54
Meine Beobachtungen seit Jahrzehnten.

Einige trad. Kampfkunstarten,Schulen haben sich zu HAMA(historical asian martial arts) entwickelt.

Das heißt es wird Kabuki Theater, Peking/ Kanton Oper etc. gespielt.

Realistische Anwendungen wie sie einst üblich waren, wurden vergessen,korrekte Überlieferungen gehen verloren und es werden stattdessen Showstücke präsentiert .(Samuraitheater)

Das geht einher mit der immer grösseren Verwestlichung in Asien und dem Desinteresse der jungen Generationen an traditionellen Kampfkünsten,Traditionen etc...

PS: Einst hätte solche Schlampigkeit einen Gesichtsverlust bedeutet und hätte Konsequenzen zufolge.

Interessant! Habe für mich selbst diesen Begriff HAMA auch schon konzipiert. Vielleicht schreibe ich da mal einen Artikel zu. ;)

Inwiefern diese Darbietung einer spezifischen Linie der Shinkage-ryû einen Gesichtsverlust nachzieht, wird man wohl nie so ganz erfahren. Auf jeden Fall ist die Möglichkeit dafür mit der Video-Veröffentlichung sicher nicht kleiner geworden! :D

Huangshan
14-05-2020, 13:54
Vielleicht schreibe ich da mal einen Artikel zu.

Es wäre interessant deine Sichtweise dieses Phänomens, dass in Asien und im Westen zu beobachten ist zu lesen.

Es gibt viele Leute die nicht zwischen authentischen Traditionen und HAMA,Rollenspielen etc. unterscheiden können.
Dies machen sich einige pseudo Samurai, Shinobi(Ninja) etc. zu nutzte , die ihre Showkünste als uralte Traditionen verkaufen.

Ein Artikel könnte vielleicht einigen die Augen öffnen?


PS: Habe nichts gegen gut rekonstruierte Kampfarten(experimentelle Archäologie) , es sollte aber von Anfang an signalisiert werden, dass dies Rekonstruktionen aus schriftlichen,bildlichen,archäologischen Quellen sind!

Tyrdal
14-05-2020, 17:00
Hm, vielleicht verstehe ich Dich gerade nur falsch aber imgrunde ist Rüstungskampf wie rüstungsloser Kampf, es ändern sich nur Kleinigkeiten. Es macht ja auch schon allein aus Zeitgründen Sinn, ausbildungstechnisch neben den verschiedenen Waffen nicht auch noch zwei verschiedene Systeme für rüstungslosen Kampf und Rüstungskampf lehren und lernen zu müssen. Ryoma hat das im von ihm in Post #8 verlinkten Blogbeitrag sehr schön im Hinblick auf die Hokushin Ittô-Ryû Hyôhô erklärt.Das sehe ich nun grundlegend anders. Erstens um mal bei dem Beispiel hier zu bleiben: Ohne Rüstung muss man nicht in der Lage sein, die Rüstung korrekt anzulegen. Desweiter kann man je nach Rüstung verschiedene Dinge tun, die ohne Rüstung nicht möglich sind. Genauso andersrum, ich kann dem Gegner in Rüstung verschiedene Dinge eben nicht antun, die ohne möglich wären. Nicht umsonst gibt es spezielle Waffen für das Überwinden der Rüstung.

shinken-shôbu
14-05-2020, 20:02
Das sehe ich nun grundlegend anders. Erstens um mal bei dem Beispiel hier zu bleiben: Ohne Rüstung muss man nicht in der Lage sein, die Rüstung korrekt anzulegen. Desweiter kann man je nach Rüstung verschiedene Dinge tun, die ohne Rüstung nicht möglich sind. Genauso andersrum, ich kann dem Gegner in Rüstung verschiedene Dinge eben nicht antun, die ohne möglich wären. Nicht umsonst gibt es spezielle Waffen für das Überwinden der Rüstung.
Ja ohne Rüstung natürlich kein Rüstungskampf aber ich dachte, soooo weit müssten wir jetzt nicht ausholen. :D

Ansonsten ja, wie gesagt ändern sich die Dinge durchaus aber wahrscheinlich weit webiger als man es vielerorts hört. Die Yagyu Shingan Ryu hat ja bspw. Würfe im Programm, die manch Einer von uns nicht mal in Unterwäsche hinbekommebn würde, da regelrecht schon als akrobatisch zu bezeichnen. Auch werde ich nicht unbedingt mit einem Fingerstich den Dô des Gegners attackieren wollen aber im Großen und Ganzen ändern sich Dinge m.A.n. nicht wesentlich stärker, als wenn Jemand z.b. statt T-Shirt einen dicken Wintermantel trägt oder statt Jeans nur eine Badehose. Das ALLES hat einen Einfluss darauf, wie wir uns am besten verhalten in einer körperlichen Auseinandersetzung, allein schon Arbeitsschuh und Sommerschuh oder -sandalen (um barfuß hier mal bewusst zu vermeiden) obwohl es in beiden Fällen ein Schuh ist.

Hast du einmal ein Beispiel (am besten mehrere Beispiele) um Deine Ansicht etwas plastischer darzulegen? Ich weiß nämlich nicht, worauf Du wirklich hinaus willst.

ryoma
14-05-2020, 20:10
Das sehe ich nun grundlegend anders. Erstens um mal bei dem Beispiel hier zu bleiben: Ohne Rüstung muss man nicht in der Lage sein, die Rüstung korrekt anzulegen.
Natürlich musste jeder Bushi in der Lage sein, eine Rüstung anzulegen. D.h. diese Frage stellt sich erst gar nicht.


Desweiter kann man je nach Rüstung verschiedene Dinge tun, die ohne Rüstung nicht möglich sind.
Was genau meinst du damit? Sich gedankenlos auf den Gegner stürzen, weil man ja "geschützt" ist? Tricky....


Genauso andersrum, ich kann dem Gegner in Rüstung verschiedene Dinge eben nicht antun, die ohne möglich wären.
Dazu verweise ich nochmals auf meinen Blog-Artikel vom Dez. 2017. Geringfügige Winkeländerungen (welche z.B. ein Zuschauer gar nicht erkennen kann) bewirken extrem viel. Aber dazu benötigt man eben die Kuden einer Schule, falls noch vorhanden. Ganz kleines Beispiel: Ein Tsuki geht dann eben nicht in die Kehle, sondern drei Zentimeter höher in den Mund (der Menpô). Dazu bedarf es keines anderen Kamae noch einer anderen Stichtechnik.


Nicht umsonst gibt es spezielle Waffen für das Überwinden der Rüstung.
An was denkst du da? Yoroidoshi?

Tyrdal
15-05-2020, 09:30
Natürlich musste jeder Bushi in der Lage sein, eine Rüstung anzulegen. D.h. diese Frage stellt sich erst gar nicht.
Doch sie stellt sich, da nicht jede Kampfkunst Rüstungen beinhaltet. Das heißt nur da wo es verwendet wird lerne ich es auch.



Was genau meinst du damit? Sich gedankenlos auf den Gegner stürzen, weil man ja "geschützt" ist? Tricky....
Nein, natürlich nicht gedankenlos. Aber eine Rüstung schützt nunmal. Das ist ihr Sinn. Das heißt, einige Angriffe kommen gar nicht durch andere werden abgeschwächt. Beispiel: Ein Kettenhemd schützt gut gegen Schnitte, aber nicht so dolle gegen stumpfen Impakt oder Stiche. Soclche Tatsachen können von beiden Kontrahenten gezielt ausgenutzt werden.

Desweiteren kann die Rüstung selber gegen den Träger ausgenutzt werden indem man diese manipuliert, zum Beispiel am Helm oder den Sode.

Und wie jemand weiter oben angeführt hat, liegt der Fokus nun auf Grappling, da bei vielen Rüstungen es eben keinen Sinn macht mit der Faust draufzuhauen. Das kann ich bei mir im Bujinkan sehr gut beobachten wie sich die Strategien der einzelnen Schulen unterscheiden. Im Kukishinden Ryu wird die Hand bspw. immer so gehalten, dass die Finger auch vom Handschutz bedeckt sind. Das heißt da kommt eine andere Faustform zum Einsatz als sagen wir in der Gyokko Ryu.




An was denkst du da? Yoroidoshi?Zum Beispiel. Oder die europäische Varianten wie Rondell Dagger. Die sind im rüstungslosen Kontext zwar nicht nutzlos, aber doch irgendwie fehl am Platz. Außerdem kommen bei der Waffenwahl weniger Schnnittwaffen in Frage und stattdessen mehr Äxte, Streitkolben, Estoc o.ä.

karate_Fan
15-05-2020, 10:23
Wobei man aber auch sagen muss, dass Rüstung nicht gleich Rüstung ist. Im Hema Kontext ist Bloßfechten bei einem Plattenharnisch nutzlos, da man mit Schnitten niemals durchkommen würde. Daher nützt man Stichtechniken und Grappling und die Schwachstellen der Rüstung zu knacken.

In Japan macht man das auch so. Wobei eine japanische Rüstung wiederum was anderes ist als ein Plattenharnisch. Und japanische Rüstung ist nicht gleich japanische Rüstung. Auch da gib es Unterschiede.

Wenn man mit den klassischen Techniken die auch im unbewaffneten Kampf in einer Kenjutsu Ryuha lernt mit einer leichten Veränderung des Ziels auch gegen gerüste Gegner einsetzen kann, so wie Ryoma das schon beschrieben hat, ergibt das natürlich Sinn und ist auch sehr clever gelöst.

ryoma
15-05-2020, 11:38
Doch sie stellt sich, da nicht jede Kampfkunst Rüstungen beinhaltet. Das heißt nur da wo es verwendet wird lerne ich es auch.

Wenn du alleine aus Schulsicht argumentierst, OK (somewhat).
Nur war das nie der Punkt. Ein Bushi konnte nicht kommen und sagen: "sorry, bin Mitglied der xyz-ryû und somit muss ich nicht wissen wie man ne Rüstung trägt.".

Will heissen: Wie eine Rüstung zu tragen ist, war ganz einfach Teil der "job description", völlig unabhängig ob das nun gelehrt wurde in der Schule in der man zufälligerweise Mitglied war.

Tyrdal
15-05-2020, 12:08
Damals schon. Heutzutage merke ich aber, daß es nötig ist sich mal eingehend damit zu beschäftigen. Es ist für viele eben nicht mehr Alltag. Und dann kommt man eben auf Dinge, die man ohne Rüstung anders machen würde.

Ist jetzt aber echt nicht mein Hauptargument.

Tai_Eule
15-05-2020, 12:49
Damals schon. Heutzutage merke ich aber, daß es nötig ist sich mal eingehend damit zu beschäftigen. Es ist für viele eben nicht mehr Alltag. Und dann kommt man eben auf Dinge, die man ohne Rüstung anders machen würde.


Heutzutage trägt hoffentlich niemand mehr alt-japanische Rüstungen...

Es gibt koryu ryuha, die zwischen Rüstungstechniken und Techniken des "Bloßfechten" unterscheiden. Macht für mich keinen Sinn, da alles, was an Waffentechnik gegen eine Rüstung funktioniert, auch gegen Ungeschützte funktioniert. Kleinere Anpassungen, wie von Ryoma beschrieben, sehe ich dabei nicht als Technik-Unterschied.

Soweit mir bekannt, kam in Japan erst das Grappling auf, danach wurden Tritte und Schläge hinzugefügt, eben mit dem Argument, dass auf eine Rüstung schlagen wenig bringt. Und auch im Grappling sehe ich eher kleinere Variationen als groß neue Techniken: Ob ich nun jemandem den Halsschutz in die Kehle drücke oder meine Hand ist jetzt nicht der große Unterschied. Jemanden zu Boden werfen ist auch mit und ohne Rüstung gleich. Danach kommt wahrscheinlich sowieso eine Waffe zum Einsatz.

Man muss immer sehen, dass in einem echten Kampf viel Stress besteht. Es macht daher aus meiner Sicht Sinn, einen eher kleinen, in möglichst vielen Situationen wirkungsvollen Technik-Katalog zu erlernen, als "Spezialtechniken" für jeden Einzelfall.

ryoma
15-05-2020, 12:51
... Wenn man mit den klassischen Techniken die auch im unbewaffneten Kampf in einer Kenjutsu Ryuha lernt mit einer leichten Veränderung des Ziels auch gegen gerüste Gegner einsetzen kann, so wie Ryoma das schon beschrieben hat, ergibt das natürlich Sinn und ist auch sehr clever gelöst.

Das ist eben der springende Punkt.
Diese knallharte Unterscheidung zwischen Katchû-bujutu und Suhada-bujutsu ist eine moderne Sache und hat keinerlei historische Relevanz.
Das eine Schule sozusagen zwei Sets an Prinzipien hat (1x für Rüstungskampf, 1x für Zivilkleidung), entbehrt jeder Grundlage.

Huangshan
15-05-2020, 12:55
Nur war das nie der Punkt. Ein Bushi konnte nicht kommen und sagen: "sorry, bin Mitglied der xyz-ryû und somit muss ich nicht wissen wie man ne Rüstung trägt.".

Will heissen: Wie eine Rüstung zu tragen ist, war ganz einfach Teil der "job description", völlig unabhängig ob das nun gelehrt wurde in der Schule in der man zufälligerweise Mitglied war.

Am Ende der Edo Epoche waren doch einige Samurai Bauern,Kaufleute,Beamte... und hatten wenig,garnichts mehr mit dem Kampf in Rüstung am Hut.

Ging da bereits nicht viel Wissen verloren? (Papiertieger)

Tyrdal
15-05-2020, 12:59
Heutzutage trägt hoffentlich niemand mehr alt-japanische Rüstungen...

Es gibt koryu ryuha, die zwischen Rüstungstechniken und Techniken des "Bloßfechten" unterscheiden. Macht für mich keinen Sinn, da alles, was an Waffentechnik gegen eine Rüstung funktioniert, auch gegen Ungeschützte funktioniert. Kleinere Anpassungen, wie von Ryoma beschrieben, sehe ich dabei nicht als Technik-Unterschied.
Und das sehe ich anders. Klar kann man Details anpassen, aber es gibt schon Spezialisierungen, die in bestimmten Kontexten einfach effektiver sind. Und manche Dinge sind wie gesagt nur durch Rüstung überhaupt erst möglich.

Tyrdal
15-05-2020, 13:02
Das ist eben der springende Punkt.
Diese knallharte Unterscheidung zwischen Katchû-bujutu und Suhada-bujutsu ist eine moderne Sache und hat keinerlei historische Relevanz.
Das eine Schule sozusagen zwei Sets an Prinzipien hat (1x für Rüstungskampf, 1x für Zivilkleidung), entbehrt jeder Grundlage.

Das beobachte ich wie gesagt anders. Zum Beispiel beim bekannten Aufeinandertreffen von Kukishinden Ruy und Takagi Yoshin Ruy. Beide waren für unterschiedliche Dinge konzipiert und haben daher auf den entsprechenden Gebieten brilliert. Und beide haben dadurch jeweils was vom anderen übernommen.

ryoma
15-05-2020, 13:07
Am Ende der Edo Epoche waren doch einige Samurai Bauern,Kaufleute,Beamte... und hatten wenig,garnichts mit dem Kampf in Rüstung am Hut.
Ging da nicht viel Wissen verloren!

Vorallem war nicht alles schwarz/weiss.
Ja, Bürgerschichten hatten ab ca. Beginn des 18. Jhds. die Möglichkeit, in den Samuraistand zu gelangen. Das Ganze ist hochkomplex und ich kann hier nicht alle Eventualitäten aufzählen. Es war meist eine Mischung aus finanziellen, beruflichen und gesellschaftlichen Gründen dafür verantwortlich. Nicht zu vergessen auch regionale und lokale Gegebenheiten.
Gerade die Bakumatsu-Zeit sah nach einer 200-jährigen Friedensperiode wieder den Bedarf an kämpferischer Ausbildung. Und dazu zählte natürlich auch der Rüstungskampf. Wobei in dieser Zeit eine Vielzahl an möglichen Rüstungskombinationen möglich waren (z.B. auch versteckte Rüstungsteile). Darum war es ja eben so essentiell, dass man nach Prinzipien vorging und sich nicht darauf verliess, dass das Gegenüber einfach einen hübschen Montsuki und modischen Hakama trug...

Huangshan
15-05-2020, 13:35
ryoma: Danke für die Antwort.


Ja, Bürgerschichten hatten ab ca. Beginn des 18. Jhds. die Möglichkeit, in den Samuraistand zu gelangen.


Ich meinte , dass umgekehrt einige Samurai das Kriegshandwerk einschlafen ließen und eher als Beamte, Kaufleute,Bauern ... tätig waren und sie das Kriegshandwerk in Rüstung verlernten oder nur in Kata vortanzten.

Ging Damals (Edo-Epoche) nicht bereits Wissen verloren, wie man Rüstungen anlegt,in ihnen Kämpft etc.?

D.h. geschah nicht was Ähnliches wie z.B. in Europa im Spätmittelalter wo der Ritterstand seine Aufgabe(Kriegshandwerk) verlor und zu Landgutsverwaltern,Beamten,Kaufleuten etc. transformiert wurde.

Siehe Reformen unter Kaiser Maximilian I . (Ritterheere wurden zu Landsknecht Heeren umgeformt nach Vorbild der Schweizer Reisläufer)

Tai_Eule
15-05-2020, 13:52
Und das sehe ich anders. Klar kann man Details anpassen, aber es gibt schon Spezialisierungen, die in bestimmten Kontexten einfach effektiver sind. Und manche Dinge sind wie gesagt nur durch Rüstung überhaupt erst möglich.

Welche Waffentechnik ist gegen Gerüstete effektiver als gegen Ungerüstete? Was ist absolut NUR aufgrund einer Rüstung möglich? Bitte dabei im Kontext Koryu bleiben, da wir hier lebendige Traditionen haben, auf deren Wissen wir zurückgreifen können.

ryoma
15-05-2020, 13:56
ryoma: Danke für die Antwort.

Ich meine , dass umgekehrt einige Samurai das Kriegshandwerk einschlafen ließen und eher als Beamte, Kaufleute,Bauern ... tätig waren und sie das Kriegshandwerk in Rüstung verlernten oder nur in Kata vortanzten.

Ging Damals nicht bereits Wissen verloren, wie man Rüstungen anlegt,in ihnen Kämpft etc.?

Uups, das hatte ich falsch rum gelesen. :D
Ja, das war ein Problem. Spätestens ab Mitte des 18. Jhds. gab es immer mehr Kritik an zahlreichen Ryûha, welche nur noch über tänzerische Qualitäten verfügten.
Wissen ging und geht immer verloren, wenn man nicht stetig daran arbeitet. Insbesondere wenn es um anwendungsbezogenes Wissen geht.

Aber wie gesagt gab es auf der anderen Seite in der Bakumatsu-Zeit auch wieder ein (notwendiges) Revival. Und interessanterweise gab es dann auch genügend Bauern, Handwerker und Kaufleute, die besser kämpfen konnten als Samurai. Das wiederum hat Bestrebungen Auftrieb gegeben, nicht zu sehr auf die Abstammung zu schauen.

Huangshan
15-05-2020, 15:07
ryoma Sei bedankt!

Endlich mal wieder ein interessantes Thema! ;)

karate_Fan
15-05-2020, 15:50
Das ist eben der springende Punkt.
Diese knallharte Unterscheidung zwischen Katchû-bujutu und Suhada-bujutsu ist eine moderne Sache und hat keinerlei historische Relevanz.
Das eine Schule sozusagen zwei Sets an Prinzipien hat (1x für Rüstungskampf, 1x für Zivilkleidung), entbehrt jeder Grundlage.


Vielen Dank für deine Antwort. Und du hast natürlich vollkommen recht. Diese Trennung macht praktisch gesehen auch wirklich keinen Sinn. Die Bewegungsprinzipien sollten universell anwendbar sein. Ganz egal was der Gegner für eine Kleidung trägt.

Leider findet man ja die strikte Trennung zwischen Katchû-bujutu und Suhada-bujutsu ja oft in Abhandlungen zum Thema so das man als Laie vielleicht zu falschen Schlüssen kommen kann.

Tai_Eule
15-05-2020, 16:13
Leider findet man ja die strikte Trennung zwischen Katchû-bujutu und Suhada-bujutsu ja oft in Abhandlungen zum Thema so das man als Laie vielleicht zu falschen Schlüssen kommen kann.

Problematisch wird es halt, wenn sowas auch von koryu ryuha verbreitet wird. Wenn selbst die "Experten" da anderes zu lehren, kann der Laie ja nur durcheinander kommen.

Tyrdal
15-05-2020, 16:20
Welche Waffentechnik ist gegen Gerüstete effektiver als gegen Ungerüstete? Falschrum. Es gibt Waffentechniken, die super gegen ungerüstet funktionieren, aber nicht so einfach gegen gerüstet. Dafür ist die Rüstung ja da. Daneben gibt's auch schwerfälligere Waffen mit denen man wirklich jeden umhauen kann, nur ist gegen ungerüstete was schnelleres, handlicheres trotzdem besser.


Was ist absolut NUR aufgrund einer Rüstung möglich? Zum Beipiel das bewusste blockieren/annehmen von Klingen. Die können ja schließlich nicht so einfach durch ne Rüstung schneiden. Sprich es gibt dank Rüstung auch "Nehmerqualitäten" gegen Waffen.
Desweiteren hab ich da so eine Kata im Kopf, da geht man (Schnitt gerade von oben nach unten) unter dem Schwert durch. Perfekt ausgeführt geht das auch ohne Helm. Mit wär mir aber lieber.

Tai_Eule
15-05-2020, 16:50
Falschrum. Es gibt Waffentechniken, die super gegen ungerüstet funktionieren, aber nicht so einfach gegen gerüstet. Dafür ist die Rüstung ja da. Daneben gibt's auch schwerfälligere Waffen mit denen man wirklich jeden umhauen kann, nur ist gegen ungerüstete was schnelleres, handlicheres trotzdem besser.
Das erste ist doch Quark. Kern meines Arguments ist ja, dass es keinen Sinn macht, spezielle Techniken gegen Ungerüstete zu lernen: Stich in den Mund oder Hals ist beides tödlich. Innenseite der Kote ist mit und ohne Rüstung Kampf beendend, etc.- Wieso sollte ich mich eine "spezielle gegen einfachere Ziele"-Technik überlegen, wenn das, was ich bis dahin gelernt habe, reicht? Schwerfällige Waffen? 'nen Kriegshammer/Tetsubo erschlägt Dich mit und ohne Rüstung. Eine Rüstung macht Dich jetzt nicht so viel langsamer oder unbeweglicher... das wäre ja auch dämlich. Rennt der sonst im Kreis um Dich herum und sticht Dich von hinten ab. Jede Waffe und Technik gegen Rüstung wirkt mit leichter Variation auch gegen Ungerüstete. Es Bedarf keiner speziellen Technik gegen "Nicht-Rüstung"...



Zum Beipiel das bewusste blockieren/annehmen von Klingen. Die können ja schließlich nicht so einfach durch ne Rüstung schneiden. Sprich es gibt dank Rüstung auch "Nehmerqualitäten" gegen Waffen.
Uff, viel Glück damit. So ist zumindest die japanische Rüstung nicht gedacht gewesen. Und je nach Körperteil, den Du da reinhalten willst, wird das ganz schön hässlich für Dich. Zumal Du, wenn Du nah genug dran bist, auch gleich den Gegner packen könntest... Und bewusstest annehmen/blockieren kannst Du auch mit der Waffe machen, die Du ja auch bei Dir haben solltest in so einem Fall...

Desweiteren hab ich da so eine Kata im Kopf, da geht man (Schnitt gerade von oben nach unten) unter dem Schwert durch. Perfekt ausgeführt geht das auch ohne Helm. Mit wär mir aber lieber.
Ja, makogiri mit 'nem uke nagashi abzuwehren ist gruselig, kenn ich selber. Du brauchst den Helm in der Situation eben nicht, gerade weil Du ausweichst oder 'ne Klinge dazwischen hast. Nur weil Du Dich mit Helm wohler fühlen würdest (was ich gut verstehen kann), macht es das nicht notwendig noch nennenswert anders.

ryoma
15-05-2020, 20:46
Das beobachte ich wie gesagt anders. Zum Beispiel beim bekannten Aufeinandertreffen von Kukishinden Ruy und Takagi Yoshin Ruy. Beide waren für unterschiedliche Dinge konzipiert und haben daher auf den entsprechenden Gebieten brilliert. Und beide haben dadurch jeweils was vom anderen übernommen.

Wenn ich das recht beisammen habe, ging es bei den genannten Schulen aber um das bekannte Bôjutsu der einen und das bekannte Jûjutsu der anderen. Nicht um Katchû-bujutsu und Suhada-bujutsu.

Im übrigen würde ich noch einen Unterschied machen zwischen der eigentlichen "Kukishin-ryû Tenshin Hyôhô" und dem "Kuki Shinden-ryû Happô Biken" wie es im Bujinkan verbreitet wird.

FireFlea
15-05-2020, 23:32
Ansonsten ja, wie gesagt ändern sich die Dinge durchaus aber wahrscheinlich weit webiger als man es vielerorts hört. Die Yagyu Shingan Ryu hat ja bspw. Würfe im Programm, die manch Einer von uns nicht mal in Unterwäsche hinbekommebn würde, da regelrecht schon als akrobatisch zu bezeichnen..

Meinst Du den "Salto"? Der wird aber soweit ich weiß nur beim üben gemacht, in "echt" lässt man den Gegner dann auf den Rücken fallen, oder?

Dragodan
16-05-2020, 06:59
Nein, in „echt“ würde man Gegner auf seinen Kopf fallen lassen, bzw „in den Boden hämmern“.

FireFlea
16-05-2020, 09:43
Nein, in „echt“ würde man Gegner auf seinen Kopf fallen lassen, bzw „in den Boden hämmern“.

Ah danke, einige Schulen machen ja den Salto, andere heben nur an, daher bin ich vermutlich auf den Rücken gekommen. Jedenfalls ist es dann nicht akobatisch :D

Aber generell ganz interessantes Thema - es wurde ja schon geschrieben zur Zielregion von Angriffern, was ist mit einer Veränderung der Ausführung aufgrund der eigenen Rüstung? Bspw. habe ich mal gehört oder gelesen, dass man sich mit einem größeren Helm auf dem Kopf schwertut, mit dem Schwert über dem Kopf auszuholen und es daher bspw. dieses 'seitliche Ausholen' beim Katori gibt. Stimmt das bszw. ändert sich das ohne Helm?

ryoma
16-05-2020, 10:35
Kabuto sind meist etwa gleich gross. Das sollte nicht das Problem sein.
Das was ein Jôdan-no-kamae eigentlich behindert ist ein mehr oder weniger grosses Maedate (die vordere Helmzier).

Sehr grosse Maedate sind eh nur zu Repräsentationszwecken gedacht und auch sehr leicht abzumontieren. Sprich: in den Kampf zog man mit kleinen Maedate, oder auch gar keinen.
Auch sollte man das Ganze nicht nur aus der Schwertperspektive betrachten. Natürlich behindern grosse Maedate auch den Einsatz von Langwaffen erheblich.

Dragodan
16-05-2020, 11:57
Ah danke, einige Schulen machen ja den Salto, andere heben nur an, daher bin ich vermutlich auf den Rücken gekommen. Jedenfalls ist es dann nicht akobatisch :D

Aber generell ganz interessantes Thema - es wurde ja schon geschrieben zur Zielregion von Angriffern, was ist mit einer Veränderung der Ausführung aufgrund der eigenen Rüstung? Bspw. habe ich mal gehört oder gelesen, dass man sich mit einem größeren Helm auf dem Kopf schwertut, mit dem Schwert über dem Kopf auszuholen und es daher bspw. dieses 'seitliche Ausholen' beim Katori gibt. Stimmt das bszw. ändert sich das ohne Helm?

Ja, solch Ansätze gibt es. Aber sehen wir es doch mal ganz pragmatisch: Ziel im Rüstungskampf ist es so kompakt wie möglich zu sein. Darum würde ein Jodan hier wenig Sinn geben - da ich mich ja öffnen würde. Ein Jodan würde dann zum Beispiel eher abgewandelt werden, zu einer eher Hasso-ähnlichen Kamae. Generell ist es doch so, dass eine Rüstung zunächst einmal hinderlich ist. Sie ist schwer, hat Einfluss auf die Balance und den Schwerpunkt und weicht von dem ab was (jedenfalls heutzutage) im normalem Training geübt wird. Daher heißt hier die Devise: Keep it small and simple. Lass den Gegner kommen. Er muss arbeiten, nicht ich. Ich grounde mich so weit dass mein Speer oder meine Naginata optimal auf meine Kamae abgestimmt ist. Für mich heißt Kampf in Rüstund daher zunächst auch einmal Kampf mit Langwaffen. Und die (historische) Basis in der Shinto-ryu sind nunmal die Langwaffen.

shinken-shôbu
17-05-2020, 16:56
Sorry, dass ich jjetzt erst antworte aber neben viel Arbeit usw. be-/überarbeite ich gerade noch meinen allerersten Blogartikel (nach dem heutigen "usw." werde ich auch gleich wieder mit beginnen, verschiebe das aber mal eben um hier wenigstens einmal zu antworten, wenn man mich schon befragt:)).




Ein Bushi konnte nicht kommen und sagen: "sorry, bin Mitglied der xyz-ryû und somit muss ich nicht wissen wie man ne Rüstung trägt.".
Ja und er konnte auch dem Gegner nicht mal eben sagen "Äh, Du sorry aber leg' mal bitte Deine Rüstung/Teilrüstung ab! Das steht bei unserer Schule nicht auf dem Lehrplan." Wie Du schon schiebst, ist Rüstung ein Teil der "job description", zumal ab einem gewissen Zeitpunkt über die Zeitalter hinweg in Japan IMMER auch Rüstungen/Teilrüstungen zum Einsatz kamen und GERADE die "Ninja"-Nachfahren kommen doch immer mit den von Dir genannten verdeckt getragenen Rüstungen an in Form von bspw. Katabira - auch da ist es gut, wenn man von vornherein dort angreift, wo auch solch eine Rüstung den Körper nicht evtl. schützt.




Und das sehe ich anders. Klar kann man Details anpassen, aber es gibt schon Spezialisierungen, die in bestimmten Kontexten einfach effektiver sind. Und manche Dinge sind wie gesagt nur durch Rüstung überhaupt erst möglich.
Welche Koryû genau (außer dem bereits sehr unglücklich gewählten Beispiel von Dir) mit zwei verschiedenen Lehrplänen für jeweils rüsungsfreien Kampf und Rüstungskampf kommen Dir denn in den Sinn?




Im übrigen würde ich noch einen Unterschied machen zwischen der eigentlichen "Kukishin-ryû Tenshin Hyôhô" und dem "Kuki Shinden-ryû Happô Biken" wie es im Bujinkan verbreitet wird.
Danke, DEN und RYÛ im Namen ein- und derselben Schule gibt es diesbezüglich nur im Bujinkan und ähnlichen Organisationen.
Kukishinden Tenshin Hyôhô, Kukishin-ryû (Tenshin Hyôhô), Kukamishinden Tenshin Hyôhô, Kukamishin-ryû (Tenshin Hyôhô) = die ursprüngliche Koryû
Kukishinden-ryû / Kukishinden Happô-biken(jutsu) / Kukishinden-ryû Happô-biken(jutsu) = im Bujinkan gelehrter Ableger
Leider wird das im Bujinkan bis heute viel zu selten sauber getrennt oder überhaupt gewusst.





Ansonsten ja, wie gesagt ändern sich die Dinge durchaus aber wahrscheinlich weit webiger als man es vielerorts hört. Die Yagyu Shingan Ryu hat ja bspw. Würfe im Programm, die manch Einer von uns nicht mal in Unterwäsche hinbekommebn würde, da regelrecht schon als akrobatisch zu bezeichnen..
Meinst Du den "Salto"? Der wird aber soweit ich weiß nur beim üben gemacht, in "echt" lässt man den Gegner dann auf den Rücken fallen, oder?
Wie Dragodan schon schrieb - und das ist definitiv in mehreren Koryû so - lässt man den Gegner recht unelegant auf seinen Kopf fallen.




Ja, solch Ansätze gibt es. Aber sehen wir es doch mal ganz pragmatisch: Ziel im Rüstungskampf ist es so kompakt wie möglich zu sein. Darum würde ein Jodan hier wenig Sinn geben - da ich mich ja öffnen würde. Ein Jodan würde dann zum Beispiel eher abgewandelt werden, zu einer eher Hasso-ähnlichen Kamae. Generell ist es doch so, dass eine Rüstung zunächst einmal hinderlich ist. Sie ist schwer, hat Einfluss auf die Balance und den Schwerpunkt und weicht von dem ab was (jedenfalls heutzutage) im normalem Training geübt wird. Daher heißt hier die Devise: Keep it small and simple. Lass den Gegner kommen. Er muss arbeiten, nicht ich. Ich grounde mich so weit dass mein Speer oder meine Naginata optimal auf meine Kamae abgestimmt ist. Für mich heißt Kampf in Rüstund daher zunächst auch einmal Kampf mit Langwaffen. Und die (historische) Basis in der Shinto-ryu sind nunmal die Langwaffen.
Du schreibst im letzten Satz von der Shintô-ryû und so würde ich persönlich den ganzen Text einstufen wollen, denn ich sehe hier durchaus Unterschiede von Schule zu Schule.

Ein Jôdan kann oft völlig problemlos ein Jôdan bleiben, auch im Rüstungskampf. Es gibt eben Gründe die für und auch Gründe die gegen ein Jôdan sprechen (was ich an dieser Stelle aber nicht weiter ausführen möchte). Auch ist eine Rüstung m.A.n. nur bedingt hinderlich (mag bei einer alten Tanko anders gewesen sein:D). Von daher möchte ich Dir nicht einfach widersprechen aber ich nehme Deinen Text in erster Linie als Aussage zur von Dir trainierten Schule und den dort vertretenen Auffassungen wahr.

Tyrdal
19-05-2020, 10:27
Wenn ich das recht beisammen habe, ging es bei den genannten Schulen aber um das bekannte Bôjutsu der einen und das bekannte Jûjutsu der anderen. Nicht um Katchû-bujutsu und Suhada-bujutsu.

Im übrigen würde ich noch einen Unterschied machen zwischen der eigentlichen "Kukishin-ryû Tenshin Hyôhô" und dem "Kuki Shinden-ryû Happô Biken" wie es im Bujinkan verbreitet wird.

Da aber, das Kuki auf Rüstungskampf ausgelegt ist und Takagi nicht, schnitt Takagi bei dem Jujutsu Teil besser ab. Kuki beim Bojutsu. Beide haben anschließend entsprechendes vom snedren übernommen.



Im übrigen würde ich noch einen Unterschied machen zwischen der eigentlichen "Kukishin-ryû Tenshin Hyôhô" und dem "Kuki Shinden-ryû Happô Biken" wie es im Bujinkan verbreitet wird. Warum? Das ganze passierte lange vor Takamatsus Geburt, hat also mit den heutigen Unterschieden nicht viel zu tun.

Tyrdal
19-05-2020, 10:30
Das erste ist doch Quark.Nö.


Uff, viel Glück damit. So ist zumindest die japanische Rüstung nicht gedacht gewesenSeh ich anders. Eine Rüstung ist nunmal zum Schutz da, und den kann man nutzen!


Ja, makogiri mit 'nem uke nagashi abzuwehren ist gruselig, kenn ich selber. Du brauchst den Helm in der Situation eben nicht, gerade weil Du ausweichst oder 'ne Klinge dazwischen hast. Nur weil Du Dich mit Helm wohler fühlen würdest (was ich gut verstehen kann), macht es das nicht notwendig noch nennenswert anders.Du bist bei ner anderen Kata. Aber ich schrieb ja, perfekt ausgeführt geht es auch ohne Helm. Aber wer ist unter Adrenalin schon perfekt?

Tyrdal
19-05-2020, 10:35
Welche Koryû genau (außer dem bereits sehr unglücklich gewählten Beispiel von Dir) mit zwei verschiedenen Lehrplänen für jeweils rüsungsfreien Kampf und Rüstungskampf kommen Dir denn in den Sinn?
Warum ungflücklich? Und natürlich keine. Aber die Schulen haben nen Schwerpunkt und sind dort stark in anderen Punkten eben schwächer.

Tai_Eule
19-05-2020, 10:48
Seh ich anders. Eine Rüstung ist nunmal zum Schutz da, und den kann man nutzen!

Rüstung ist nicht gleich Rüstung. Die üblichen Kote einer Yoroi haben hauptsächlich Kettenglieder und mehr oder minder große Metallplatten auf einem Stoffuntergrund fixiert. Diese Rüstungsart verhindert lediglich, dass Du geschnitten wirst, nimmt aber kaum Wucht aus einem Angriff. Es erschliesst sich mir daher nicht, warum ich meinen Arm riskieren sollte, wenn ich stattdessen mit meiner Waffe agieren könnte. Eine Rüstung ist schließlich kein Schild. Ich habe bisher keine Koryu Kata gesehen, die einen Schlag/Schnitt lediglich mit der Rüstung blockt.


Aber die Schulen haben nen Schwerpunkt und sind dort stark in anderen Punkten eben schwächer.

Das ist so pauschal nicht richtig. Gibt ja genug sogo bujutsu ryuha, die heute noch existieren. Die haben (oder sollten zumindest) keinen Schwerpunkt in dem Sinne, dass sie in einem anderen Punkt "schwächer" sind.


Du bist bei ner anderen Kata. Aber ich schrieb ja, perfekt ausgeführt geht es auch ohne Helm. Aber wer ist unter Adrenalin schon perfekt?

Ggf. ist das ja der Grund, warum man solche Abläufe trainiert, bis man sie im Schlaf kann: Damit man auch unter Stress und Adrenalin zumindest 'ne Chance hat, das korrekt abzurufen.

Huangshan
19-05-2020, 11:33
Rüstung ist nicht gleich Rüstung

Hier sind Tests, die z.B. an verschiedenen chin. Rüstungsarten vorgenommen wurden.


https://youtu.be/gAoMBrfX62A?t=74

PS: Habe keine Tests aus Nippon gefunden die an jap. Rüstungen vorgenommen wurden ?

Tyrdal
19-05-2020, 12:05
Rüstung ist nicht gleich Rüstung. Die üblichen Kote einer Yoroi haben hauptsächlich Kettenglieder und mehr oder minder große Metallplatten auf einem Stoffuntergrund fixiert. Diese Rüstungsart verhindert lediglich, dass Du geschnitten wirst, nimmt aber kaum Wucht aus einem Angriff. Es erschliesst sich mir daher nicht, warum ich meinen Arm riskieren sollte, wenn ich stattdessen mit meiner Waffe agieren könnte. Eine Rüstung ist schließlich kein Schild. Ich habe bisher keine Koryu Kata gesehen, die einen Schlag/Schnitt lediglich mit der Rüstung blockt.

Das ist so pauschal nicht richtig. Gibt ja genug sogo bujutsu ryuha, die heute noch existieren. Die haben (oder sollten zumindest) keinen Schwerpunkt in dem Sinne, dass sie in einem anderen Punkt "schwächer" sind.

Ggf. ist das ja der Grund, warum man solche Abläufe trainiert, bis man sie im Schlaf kann: Damit man auch unter Stress und Adrenalin zumindest 'ne Chance hat, das korrekt abzurufen.

Ich glaube wir reden aneinander vorbei. Persönlich liesse sich das leichter ausdiskutieren, da demonstrierbar. Bis dahin agree to disagree.

period
19-05-2020, 13:16
Rüstung ist nicht gleich Rüstung. Die üblichen Kote einer Yoroi haben hauptsächlich Kettenglieder und mehr oder minder große Metallplatten auf einem Stoffuntergrund fixiert. Diese Rüstungsart verhindert lediglich, dass Du geschnitten wirst, nimmt aber kaum Wucht aus einem Angriff. Es erschliesst sich mir daher nicht, warum ich meinen Arm riskieren sollte, wenn ich stattdessen mit meiner Waffe agieren könnte. Eine Rüstung ist schließlich kein Schild. Ich habe bisher keine Koryu Kata gesehen, die einen Schlag/Schnitt lediglich mit der Rüstung blockt.


Langsam beginnt mich die Diskussion aus einer kulturübergreifenden Perspektive dann doch zu interessieren. Gibt es denn verlässliche, wissenschaftliche Tests an japanischen Rüstungen, und wenn ja, wo finde ich die? Auf die Schnelle bin ich nur hierauf gestossen:
https://www.youtube.com/watch?v=D9OvaL2W6BA

Keine Ahnung, wie repräsentativ das ist (Rüstung, Schwert, Können des Ausführenden...). Die Schutzwirkung scheint mir aber doch recht beträchtlich zu sein, ich für meinen Teil würde mir ggf. überlegen, ob ich da wirklich lieber mit der Waffe "blocken" will ("parieren" schon eher), nachdem eine Waffe noch viel weniger ein Schild ist (und, ohne jetzt die Diskussion zu sehr aufwärmen zu wollen, nach dem, was ich bisher an Vergleichen gesehen habe, würde ich anehmen, dass die Differentialhärtung japanischer Klingen hierfür eher sogar einen Nachteil gegenüber der durchgehenden Federhärte europäischer Klingen darstellen würde). Im europäischen Mittelalter wurde die Rüstung ja tatsächlich als Schild eingesetzt, bzw. der Schild kam durch die Fortschritte in der Rüstungsproduktion ausser Gebrauch. Ich habe zwar ganz vereinzelt Abbildungen gesehen, die als "japanische Schilde" bezeichnet wurden, aber über deren Häufigkeit und Verwendung weiss ich einfach zu wenig.

Zu oben angesprochenen Themen der "Nicht-Notwendigkeit" von spezialisierten Techniken ohne Rüstung: Na ja, da könnte man jetzt anfangen zu argumentieren. In Europa entwickelt sich das Blossfechten ja innerhalb sehr kurzer Zeit als eigenständige Disziplin, die das Harnischfechten bei weitem überlebt und in verschiedene Kontexte Eingang findet. Sicher hätte man auch so tun können, also ob man weiter Harnisch trägt, aber Harnischfechten im europäischen Raum ist primär Ringen am Schwert. Ungerüstet hat man dann doch eine ganze Reihe von sinnvollen Optionen, die umso mehr interessant werden, wenn man nun mal nicht so (pzw. nur im wortwörtlichen Sinn) der Überflieger im Ringen ist. Wenn jetzt das Szenario, von dem ich primär ausgehe, ein ungerüstetes Duell sein sollte - und die gab es ja durchaus auch in Japan im 16. Jh. - dann erscheint es mir doch sinnvoll, mich auch gezielt darauf vorzubereiten. Je nach sozialem Kontext ist es unter Umständen sinnvoll, weiter den Hauptfokus auf dem gerüstetenen Kampf zu belassen oder aber diesen zu verschieben oder sogar umzukehren. Das gilt natürlich primär, wenn es um eine reelle praktische Anwendbarkeit geht - wenn ich primär Traditionen am Leben erhalten möchte, sieht die Sache anders aus. Um das zu analysieren, würde könnte man z.B. beginnen zu vergleichen, ob bzw. inwieweit sich die Schulen und Schriften von bekannten Duellkämpfern - für die eben dieser Aspekt sicher auch eine Marketingstrategie gewesen sein dürfte - interschieden.

So weit aus meiner westlichen Logik heraus argumentiert (noch dazu von jemand, bei dem nach dem Buch der Fünf Ringe und ein paar Büchern über die Judo/Jiu Jitsu Szene Anfang des 20. Jh. bald mal Schluss ist mit Kenntnissen über die Koryu). Wenn das in Japan nachweislich anders war und niemand Bedarf an einem spezialisierten System fürs Blossfechten gehabt hätte, würde es mich interessieren, warum das so war.

Beste Grüsse
Period.

karate_Fan
19-05-2020, 15:37
Gibt es eigentlich gute Literatur über die Samurai Rüstungen auf Englisch? Obwohl ich ein ziemicher Japan Nerd bin, habe ich das Thema Rüstungen bisher nur gestreift abgesehen von ein paar Videos vom Youtuber Metatron die ich schon vor Jahren gesehen habe, habe ich mich nicht wirklich mit dem Thema beschäftigt. Die Diskussion hat mich aber dazu ermutigt so tief wie möglich in das Thema einzutauchen, falls es entsprechende Fachliteratur geben sollte.

Tai_Eule
19-05-2020, 16:00
Schönes Video, danke dafür.
Ich sehe mich allerdings in meinem Punkt bestätigt: Jeder Schlag mit dem Schwert verbeult die Rüstung deutlich. Stumpfe Verletzung des Menschen darunter sind wahrscheinlich. Der Kämpfer hätte diese sehr wahrscheinlich überlebt, sonst wäre die Rüstung ja auch nicht für ihren Zweck geeignet, aber ob er noch ungehindert weiterkämpfen kann, ist zumindest nach einigen der gezeigten Treffer mehr als fraglich. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei Angriffen mit den japanischen Schwertern gerne um beidhändige Angriffe mit einem eher kopflastigen 1-1,5kg schweren Stahlstück handelt. Es erscheint mir daher nicht sinnvoll, gezielt darauf zu trainieren, den Arm als Schutz in den Weg der Klinge zu halten, wenn es eine handvoll sicherere Methoden gibt. Von anderen Körperteilen mal ganz abgesehen. Ich zweifle nicht daran, dass in einem Kampf auch anders gehandelt wurde, es wurde jedoch meines Wissens nach nicht so trainiert.

Zur Stabilität japanischer Waffen schreibe ich jetzt erstmal nichts weiter, das geht am Thema dann doch sehr vorbei. Nur so viel: Die Dinger waren nicht aus Glas, die hielten einiges aus. Und ein Kämpfer hatte in Japan in der Regel ein ganzes Arsenal dabei, zumindest auf dem Schlachtfeld: Primärwaffe (Bogen oder Stangenwaffe), ein bis zwei Schwerter, ein Dolch (o.ä). Auch spielt die Technik mit der geblockt/pariert wird eine Rolle.

Hier mal ein Video zu Kata in Rüstungen.

https://www.youtube.com/watch?v=62oH4Os4oXQ

Zum Bloßfechten: Wie man in dem Katavideo sehen kann, ist es weit weniger "Ringen-lastig" als man vielleicht glauben könnte, sodass der Unterschied nicht so groß zwischen suhada und katchu Kampf ist. Ich weiß allerdings nicht, welche Rüstung im Harnischfechten getragen wurde. Je nach Typ ist das ja deutlich unterschiedlich zur japanischen Rüstung. Es darf der kulturelle/geschichtliche Hintergrund nicht vergessen werden: Japan ist in seiner Waffen und Rüstungsentwicklung in der Edo-Zeit, verglichen mit Europa, quasi stehen geblieben. Noch zum Ende des 19. Jhd. wurde auf den Schlachtfeldern der Meijirestauration (und ihrer Nachwehen) Yoroi getragen. Der zweite Aspekt ist vielleicht der, dass die hier Diskutierenden unterschiedliche Vorstellungen davon haben, ab wann eine Technik "angepasst" wurde. Aus meiner Sicht ist es egal, ob ein Stich zur Brust (suhada) oder unter den Halsschutz (katchu) versucht wird. Beides ist eine Stichtechnik, die auf den oberen Torso zielt, offensichtlich nach einer Öffnung des Gegners. Ob ich bei einem Schnitt zum Unterarm versuche, diesen zu schneiden oder zu brechen, ist für mich jetzt auch kein großer Unterschied.

Tai_Eule
19-05-2020, 16:04
Gibt es eigentlich gute Literatur über die Samurai Rüstungen auf Englisch? Obwohl ich ein ziemicher Japan Nerd bin, habe ich das Thema Rüstungen bisher nur gestreift abgesehen von ein paar Videos vom Youtuber Metatron die ich schon vor Jahren gesehen habe, habe ich mich nicht wirklich mit dem Thema beschäftigt. Die Diskussion hat mich aber dazu ermutigt so tief wie möglich in das Thema einzutauchen, falls es entsprechende Fachliteratur geben sollte.

Sogar eines auf Deutsch: Katchu von Markus Sesko kann ich sehr empfehlen! Liefert zu jedem Abschnitt einen kleineren historischen Abriss, der einen Einblick gibt, warum sich gewisse Teile der Rüstung geändert haben. Viele Abbildungen (Zeichnungen, sowie Originale), Fachbegriffe werden eingeführt und gut erklärt.

period
19-05-2020, 18:10
Schönes Video, danke dafür.
Ich sehe mich allerdings in meinem Punkt bestätigt: Jeder Schlag mit dem Schwert verbeult die Rüstung deutlich. Stumpfe Verletzung des Menschen darunter sind wahrscheinlich. Der Kämpfer hätte diese sehr wahrscheinlich überlebt, sonst wäre die Rüstung ja auch nicht für ihren Zweck geeignet, aber ob er noch ungehindert weiterkämpfen kann, ist zumindest nach einigen der gezeigten Treffer mehr als fraglich. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei Angriffen mit den japanischen Schwertern gerne um beidhändige Angriffe mit einem eher kopflastigen 1-1,5kg schweren Stahlstück handelt. Es erscheint mir daher nicht sinnvoll, gezielt darauf zu trainieren, den Arm als Schutz in den Weg der Klinge zu halten, wenn es eine handvoll sicherere Methoden gibt. Von anderen Körperteilen mal ganz abgesehen. Ich zweifle nicht daran, dass in einem Kampf auch anders gehandelt wurde, es wurde jedoch meines Wissens nach nicht so trainiert.
Vielen Dank für den konstruktiven Diskussionsbeitrag. Was ich an dem Video zu erkennen glaube ist, dass zumindest die Schienen am Unterarm nicht oder zumindest nicht federhart gehärtet sind, sonst würden die sich nicht so ohne weiteres dauerhaft verformen. Ist halt die Frage, ob das immer bzw. intentionell so ist. So würde ich zustimmen, dass das primär ein Schnittschutz ist.



Zur Stabilität japanischer Waffen schreibe ich jetzt erstmal nichts weiter, das geht am Thema dann doch sehr vorbei. Nur so viel: Die Dinger waren nicht aus Glas, die hielten einiges aus. Und ein Kämpfer hatte in Japan in der Regel ein ganzes Arsenal dabei, zumindest auf dem Schlachtfeld: Primärwaffe (Bogen oder Stangenwaffe), ein bis zwei Schwerter, ein Dolch (o.ä). Auch spielt die Technik mit der geblockt/pariert wird eine Rolle.
Natürlich, darauf wollte ich mit der Unterscheidung Block und Parade hinaus. So, wie ich die Terminologie gelernt habe, ist ein eher Block statisch (Kraft gegen Kraft), eine Parade dagegen dynamisch (mehr ein «Umleiten» als ein «Stoppen»), wobei es natürlich Zwischenformen geben kann. Ich möchte das auch nicht zu einer absoluten Definition erheben, sondern führe es lediglich zwecks Findung einer gemeinsamen Diskussionsbasis an.



Zum Bloßfechten: Wie man in dem Katavideo sehen kann, ist es weit weniger "Ringen-lastig" als man vielleicht glauben könnte, sodass der Unterschied nicht so groß zwischen suhada und katchu Kampf ist. Ich weiß allerdings nicht, welche Rüstung im Harnischfechten getragen wurde. Je nach Typ ist das ja deutlich unterschiedlich zur japanischen Rüstung. Es darf der kulturelle/geschichtliche Hintergrund nicht vergessen werden: Japan ist in seiner Waffen und Rüstungsentwicklung in der Edo-Zeit, verglichen mit Europa, quasi stehen geblieben. Noch zum Ende des 19. Jhd. wurde auf den Schlachtfeldern der Meijirestauration (und ihrer Nachwehen) Yoroi getragen. Der zweite Aspekt ist vielleicht der, dass die hier Diskutierenden unterschiedliche Vorstellungen davon haben, ab wann eine Technik "angepasst" wurde. Aus meiner Sicht ist es egal, ob ein Stich zur Brust (suhada) oder unter den Halsschutz (katchu) versucht wird. Beides ist eine Stichtechnik, die auf den oberen Torso zielt, offensichtlich nach einer Öffnung des Gegners. Ob ich bei einem Schnitt zum Unterarm versuche, diesen zu schneiden oder zu brechen, ist für mich jetzt auch kein großer Unterschied.

Das wird jetzt ein kleines bisschen off-topic, aber ich hoffe, man nimmt es mir nicht allzu übel ;) Im europäischen Harnischfechten zu Fuss trägt man in der Regel Vollplatte über einem gepolsterten Gambeson. Das sieht man sehr gut zu Beginn des Königsegger Codex aus den 1450ern (https://wiktenauer.com/wiki/Hans_Talhoffer/K%C3%B6nigsegg unter «armored fencing», übrigens eine sehr spannende Quelle, da sie neben den Ausbildungsszenen nach Art einer graphic novel auch den faktischen Verlauf eines konkreten Duells Technik für Technik wiedergibt). Die Harnischplatten sind ausreichend stark dimensioniert und gehärtet, da kommt man mit der Schneide faktisch nicht durch (allenfalls mit der Spitze im Bereich der Überlappungen), auch stumpfe Verletzungen sind an den meisten Zonen wie den Unterarmen oder der Brust praktisch ausgeschlossen. Daher wird im Harnischfechten das Schwert in der Regel in der Klinge für Halbschwerttechniken gefasst, um gezielt mit der Spitze arbeiten und besser am Schwert ringen zu können, oder sogar mit beiden Händen in der Klinge gefasst und ähnlich wie eine Mordaxt geschwungen, wobei die Parierstange sowohl für impact als auch wiederum als hakenförmige Ringhilfe zum Einsatz kommt. Teilweise hat auch der Knauf dornenförmige Fortsätze (sieht man im Abschnitt "Armored fencing" beim unten verlinkten Paulus Hector Mair, es gibt auch erhaltene Exemplare). Die Klinge ist zu einer sehr stabilen Schneide ausgeschliffen, sodass man damit zwar schneiden kann, aber eben auch problemlos in die eigene Klinge greifen kann (einige Schwerter haben noch speziell stumpfe «Griffzonen» in der Klinge, aber bei weitem nicht alle). Der Unterschied zum Blossfechten im 15. und 16. Jh. – klassisch zu sehen etwa bei Paulus Hector Mair in den 1540ern (https://wiktenauer.com/wiki/Paulus_Hector_Mair unter «long sword») ist enorm, die Mehrheit der Blossfecht-Techniken hat praktisch keine Analogie im Harnischfechten. Die von Dir verlinkte Partnerkata in Rüstung ist da aus meiner Sicht tatsächlich entschieden näher am europäischen Blossfechten als am Harnischfechten. Ich würde z.B. weitestgehend analoge Techniken z.B. im Codex Wallerstein (https://wiktenauer.com/wiki/Codex_Wallerstein_(Cod.I.6.4%C2%BA.2)) sehen, dessen jüngere Teile A und B (wohl 1470er) vermutlich für ein nicht-ritterliches Zielpublikum geschrieben wurden (mein persönlicher Favorit ist da ja die Anleitung auf fol. 74v «wie man einen Bauern ausraubt» ;) ) Allerdings wird im europäischen Fechten generell sehr stark aus der Bindung gearbeitet (eine Tendenz, die ich im japanischen Fechten so weniger gesehen habe, was aber nichts heissen muss), und Halbschwerttechniken finden sich auch im Blossfechten z.T. am Langen Schwert und noch mehr am Langen Messer. Einen Rüstungstyp mit kleinen Metallplatten, die zwischen mehrere Textilschichten genietet sind, gibt es im europäischen Mittelalter auch, nennt sich in der Regel Brigantine. Ist aber in der Regel nur eine ärmellose Panzerjacke und eher Marke "kugelsichere Weste", verwendet u.a. bei Hofe (z.B. vermutlich für Wachpersonal). Es gibt einige gut erhaltene Beispiele, u.a. im Londoner Tower, ich kann aber aktuell aus Gedächtnis nicht sagen, ob da eine Trageweise mit oder ohne Gambeson vorgeschlagen wird.

Beste Grüsse
Period.

ryoma
19-05-2020, 20:17
...Es darf der kulturelle/geschichtliche Hintergrund nicht vergessen werden: Japan ist in seiner Waffen und Rüstungsentwicklung in der Edo-Zeit, verglichen mit Europa, quasi stehen geblieben. Noch zum Ende des 19. Jhd. wurde auf den Schlachtfeldern der Meijirestauration (und ihrer Nachwehen) Yoroi getragen.

Amerikaner, Briten, Franzosen und Niederländer waren doch sehr überrascht, als in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhds. auf ihre Kriegsschiffe mit wirklich antiquierter Artillerie geschossen wurde. Einige der Kanonen explodierten sogar, da sie ja seit Jahrzehnten (oder länger) nicht mehr benutzt wurden.

Tai_Eule
19-05-2020, 22:58
Vielen Dank für den konstruktiven Diskussionsbeitrag. Was ich an dem Video zu erkennen glaube ist, dass zumindest die Schienen am Unterarm nicht oder zumindest nicht federhart gehärtet sind, sonst würden die sich nicht so ohne weiteres dauerhaft verformen. Ist halt die Frage, ob das immer bzw. intentionell so ist. So würde ich zustimmen, dass das primär ein Schnittschutz ist.

Metallurgie ist sehr weit von meinem Feld entfernt, aber hier mal ein Link zu einem Blogartikel zum Thema Material japanischer Rüstungen (auf Englisch). Der Autor verweist auch auf seine Quellen im Artikel http://gunbai-militaryhistory.blogspot.com/2019/03/iron-and-steel-technology-in-japanese.html (Link zum gunbai Blog) Soweit ich das verstehe gibt es nur sehr wenige Stahlrüstungen die aus gehärtetem Stahl bestanden (nur in einem Rüstungsteil hat man bisher Martensit gefunden). Ouyoroi wurden unter anderem auch aus Rohleder-Lamellen, die verschnürt und lackiert wurden, hergestellt. Gunbai beschreibt da einiges zur Herstellung und Bauart in den weiteren Blogartikeln. Auch die Kommentare sind (zum Teil) sehr lesenswert.



Natürlich, darauf wollte ich mit der Unterscheidung Block und Parade hinaus. So, wie ich die Terminologie gelernt habe, ist ein eher Block statisch (Kraft gegen Kraft), eine Parade dagegen dynamisch (mehr ein «Umleiten» als ein «Stoppen»), wobei es natürlich Zwischenformen geben kann. Ich möchte das auch nicht zu einer absoluten Definition erheben, sondern führe es lediglich zwecks Findung einer gemeinsamen Diskussionsbasis an.

Deine Definitionen finde ich soweit in Ordnung. Wie man in dem Katavideo sehen kann, gibt es deutlich mehr Ausweichen und Parieren. Ein Block wird gerne direkt am angreifenden Körperteil angebracht, statt an der Waffe. Hier gibt es aber von Schule zu Schule Unterschiede, wie genau Parade und Block gelehrt werden. Auch ist generell bei Katavideos das Problem, dass einem die kuden (mündliche Überlieferung) dazu fehlt, sodass manches ggf. keinen Sinn macht. So wird man in manchen Schulen einen Block finden, der eigentlich nur eine statische "Momentaufnahme" einer an sich dynamischen Parade darstellt.



[...]Die von Dir verlinkte Partnerkata in Rüstung ist da aus meiner Sicht tatsächlich entschieden näher am europäischen Blossfechten als am Harnischfechten. Ich würde z.B. weitestgehend analoge Techniken z.B. im Codex Wallerstein (https://wiktenauer.com/wiki/Codex_Wallerstein_(Cod.I.6.4%C2%BA.2)) sehen, dessen jüngere Teile A und B (wohl 1470er) vermutlich für ein nicht-ritterliches Zielpublikum geschrieben wurden (mein persönlicher Favorit ist da ja die Anleitung auf fol. 74v «wie man einen Bauern ausraubt» ;) ) Allerdings wird im europäischen Fechten generell sehr stark aus der Bindung gearbeitet (eine Tendenz, die ich im japanischen Fechten so weniger gesehen habe, was aber nichts heissen muss), und Halbschwerttechniken finden sich auch im Blossfechten z.T. am Langen Schwert und noch mehr am Langen Messer. Einen Rüstungstyp mit kleinen Metallplatten, die zwischen mehrere Textilschichten genietet sind, gibt es im europäischen Mittelalter auch, nennt sich in der Regel Brigantine. Ist aber in der Regel nur eine ärmellose Panzerjacke und eher Marke "kugelsichere Weste", verwendet u.a. bei Hofe (z.B. vermutlich für Wachpersonal). Es gibt einige gut erhaltene Beispiele, u.a. im Londoner Tower, ich kann aber aktuell aus Gedächtnis nicht sagen, ob da eine Trageweise mit oder ohne Gambeson vorgeschlagen wird.

Beste Grüsse
Period.
Danke für die Erläuterungen zum Harnisch! Soweit mir bekannt ist die japanische Rüstung nie zu diesem Grad an "Verpanzerung" gelangt; auch wenn es durchaus sehr schwere und stark schützende Konfigurationen gab, bestanden diese meist aus mehreren Ketten-/Lamellenrüstungslagen, die dann auch die üblichen Schwachstellen bedeckten, z.B. unter den Achseln oder die Innenseite der Beine und Arme. Lediglich der Do (Brustpanzer) und Kabuto (Helm) wurden auch aus Platten gefertigt.

Hier ein anderes Katavideo, diesmal mit Stangenwaffen:

https://www.youtube.com/watch?v=Dyb239dTFas
Beim ersten Abtausch sieht man gut, das Shidachi (in schwarz) am Ende die Innenseite der Kote schneidet. Der Angriff von Uchidachi (rot) zielte vorher auf den sarashi-obi (der weiße Gürtel, den beide tragen), da darunter keine Rüstung ist (oder auf die Innenseite des Oberschenkels, ist aufgrund der Abwehr nicht so eindeutig).

FireFlea
20-05-2020, 07:36
Das ist so pauschal nicht richtig. Gibt ja genug sogo bujutsu ryuha, die heute noch existieren. Die haben (oder sollten zumindest) keinen Schwerpunkt in dem Sinne, dass sie in einem anderen Punkt "schwächer" sind.


Aber auch sogo bujutsu Schulen haben doch oft genug einen Schwerpunkt, oder nicht? Bpsw.die Tatsumi Ryu - ich zitiere mal aus Wiki (die eigentliche Quelle ist aber Liam Keeley, also seriös):


Tatsumi-ryū is a martial art (総合武術, sōgō bujutsu), encompassing many of the classical martial and strategic skills of the martial artist (武芸者, bugeisha). The central weapon of Tatsumi-ryū is the katana, and training to use the sword in combat constitutes the largest part of the curriculum. The use of other weapons, such as the spear (yari), glaive (naginata), long staff (rokushaku-bō), and short staff (hanbō), is undertaken with the aim of enabling the swordsman to defeat such weapons. Indeed, the studies of naginata, rokushaku-bō, and hanbō are classified as part of the swordsmanship (kenjutsu) curriculum and are not considered as separate areas of study. Therefore, in the practice of pre-determined exercises with partners (kata) these weapons always "lose" to the sword.

ryoma
20-05-2020, 08:28
Es hat nie jemand bestritten, dass Schulen einen Schwerpunkt haben. Jedoch darf der Schwerpunkt nicht dazu führen, dass andere Teile dadurch "schwach" werden. Sofern man natürlich über wahre Sôgô-bujutsu spricht.

Es gibt durchaus Schulen, welche ihren Curriculum so verändert haben, dass sie eben nicht mehr als "allumfassend" gelten können. Und ab der Genroku-Epoche bis tief ins 18. Jahrhundert hinein, entstanden etliche Schulen, welche nur noch einen ganz spezifischen Teil lehrten und deswegen bereits damals von Zeitgenossen kritisiert wurden (Stichwort Kahô-kenpô).

Was die Beschreibung zur Tatsumi-ryû angeht: Es wird erklärt, dass das Langschwert die zentrale Waffe ist (wie bei vielen Sôgô-bujutsu, auch bei uns z.B.). Und um andere Waffen zu besiegen, muss man diese zwingend ebenfalls studieren. Und natürlich die Prinzipien des Schwertes auf diese Waffen übertragen.
Wenn ich das lese, ergibt sich für mich daraus nicht automatisch, dass andere Teile vernachlässigt werden.

karate_Fan
20-05-2020, 08:56
Danke für den Buchtipp Tail Eule. Der Herr Sesko schreibt gute Bücher. Habe bereits 2 Schwertbücher von ihm und die waren sehr interssant. Werde mir sein Buch zu den Rüstungen sofort kaufen.

Und echt nett von Peroid, dass er sich noch näher zum Theme Harnisch geäußert hat.

Wie bereits von mir vermutet war das Harnisch Fechten sehr spezial aufgrund der Eigenschaften der Rüstungen wo man mit dem Ansatz des Bloßfechten Taktiken nicht weit kommen würde.

Während man in den meisten Kenjutsu Ryuha wohl mehr universell arbeitet und das alle Techniken vielleicht mit einer minimalen Änderung des Zielbereichsin jeder Kampfsituation (mit und ohne Rüstung) awendbar sind.

Ein sehr interssantes Thema.

period
20-05-2020, 12:43
Metallurgie ist sehr weit von meinem Feld entfernt, aber hier mal ein Link zu einem Blogartikel zum Thema Material japanischer Rüstungen (auf Englisch). Der Autor verweist auch auf seine Quellen im Artikel http://gunbai-militaryhistory.blogspot.com/2019/03/iron-and-steel-technology-in-japanese.html (Link zum gunbai Blog) Soweit ich das verstehe gibt es nur sehr wenige Stahlrüstungen die aus gehärtetem Stahl bestanden (nur in einem Rüstungsteil hat man bisher Martensit gefunden). Ouyoroi wurden unter anderem auch aus Rohleder-Lamellen, die verschnürt und lackiert wurden, hergestellt. Gunbai beschreibt da einiges zur Herstellung und Bauart in den weiteren Blogartikeln. Auch die Kommentare sind (zum Teil) sehr lesenswert.


Spannend, vielen Dank! Ich werde mir das später nochmal in aller Ruhe ein zweites Mal durchlesen. Meine Metallurgiekenntnisse sind ebenfalls nur begrenzt, was ich eben beruflich so nebenbei mal brauche. 322 Vickers entsprechen in etwa grad mal 34 HRC (im Kontext Klingenstähle die gebräuchlichere Einheit) - zum Vergleich: ein Schweizer Messer hat ca. 54-55 HRC, ein japanisches Küchenmesser typischerweise eher 60-64 HRC. Mit anderen Worten, das ist tatsächlich ziemlich weich (wenn überhaupt gehärtet, dann nur absolut minimal), und die meisten Tests liegen da ja noch wesentlich drunter. Sprich, es scheint so zu sein, dass ungehärteter Stahl tatsächlich der Standardwerkstoff war. Mir erschliesst sich zwar nicht ganz, warum man denn dann den ganzen Aufwand mit den komplizierten Schweissverbundstoffen aus kohlenstoffarmem und kohlenstoffreichem Stahl treibt, wenn man nicht wirklich härten will (auch bei den Spitzenprodukten nicht); aber vermutlich übersehe ich da gerade irgendwas - spezifische Materialverfügbarkeit usw. Dazu kommt, dass es auch sowas wie einen Härteverlust im Laufe der Zeit gibt, Schwerter aus Bodenfunden werden z.T. X-fach beprobt und nur kleine Zonen haben z.T. noch die ursprüngliche Härte. Ich könnte mir vorstellen, dass das Ganze halt im Kontext der Rüstung als ganzheitliches Konzept gesehen werden muss, grad wenn man nichts gepolstertes drunterträgt möchte man ja eine gewisse Absorptionswirkung erreichen, und dass sich das Konzept gehalten hat, zeigt ja, dass es im Kontext der Kampfesweise etc. erfolgreich gewesen sein muss. Die Werte erscheinen mir trotzdem noch ziemlich niedrig, ich hätte eher was in Richtung 45-47 HRC erwartet. Interessant fand ich noch den Verweis, dass europäische Panzerungen ab dem 16. vermehrt nicht bzw. nur mehr schwach gehärtet wurden; das war mir so aus dem Stehgreif nicht bewusst, ergibt aber bei näherer Betrachtung Sinn, nachdem wir ja auch Brustpanzer mit Beschusstest-Marken haben, an denen eindeutig eine dauerhafte plastische Verformung feststellbar ist.

Beste Grüsse
Period.

shinken-shôbu
21-05-2020, 05:09
Hhhmmm, manchmal habe ich fast den Eindruck, ich bin der einzige der noch arbeiten geht und danach einfach nur müde ins Bett fällt. :D:D:D




Wenn ich das recht beisammen habe, ging es bei den genannten Schulen aber um das bekannte Bôjutsu der einen und das bekannte Jûjutsu der anderen. Nicht um Katchû-bujutsu und Suhada-bujutsu. [...]
Da aber, das Kuki auf Rüstungskampf ausgelegt ist und Takagi nicht, schnitt Takagi bei dem Jujutsu Teil besser ab. Kuki beim Bojutsu. Beide haben anschließend entsprechendes vom snedren übernommen.Hier wird jetzt eine Kausalität impliziert, die es überhaupt nicht geben muss (und m.A.n. auch nicht gibt).
Erstens wären wir hier wieder bei der Problematik, dass es historisch betrachtet jenseits des Kahô-kenpô keine allzu strikte Trennung zwischen Katchû-bujutsu und Suhada-bujutsu gegeben haben dürfte.
Zweitens selbst wenn könnte man dann auch nur lediglich mutmaßen, dass ein "Rüstungsstil" halt in Rüstung sehr gut funktioniert und ein "rüstungsfreier" Stil ohne Rüstung.
Drittens ist - meine rein persönliche Meinung - auch das reine Taijutsu der Kukishin-ryû (also der Koryû) recht interessant und keinesfalls zu unterschätzen, da braucht's auch keine Rüstung.





Im übrigen würde ich noch einen Unterschied machen zwischen der eigentlichen "Kukishin-ryû Tenshin Hyôhô" und dem "Kuki Shinden-ryû Happô Biken" wie es im Bujinkan verbreitet wird.
Warum? Das ganze passierte lange vor Takamatsus Geburt, hat also mit den heutigen Unterschieden nicht viel zu tun.
Ja, genau deshalb, weil die Koryû Kukamishinden Tenshin Hyôhô (in die ich ein paar kurze Einblicke unter deren Shihanke haben durfte) eben einfach etwas VÖLLIG anderes ist als die Kukishinden-ryû des Bujinkan, die mir ja auch nicht ganz unbekannt ist. Von daher ist es ein ganz großer Unterschied, ob ich mich zur der einen oder der anderen Stilrichtung äußere.





Uff, viel Glück damit. So ist zumindest die japanische Rüstung nicht gedacht gewesen
Nö.

Seh ich anders. Eine Rüstung ist nunmal zum Schutz da, und den kann man nutzen!
Ja und trotzdem gibt es bei Schutzgrad usw. eben auch Unterschiede, so wie ich in einem Käfer u.U. weniger geschützt als in einem Panzer, obwohl ich in beiden Fällen von Metall umgeben bin und so, wie wiederum ein Panzer i.d.R. wiederum weniger schnell fahren kann als mein neuer Ferrari obwohl beide von einem Motor angetrieben werden.





Aber die Schulen haben nen Schwerpunkt und sind dort stark in anderen Punkten eben schwächer.Das ist so pauschal nicht richtig. Gibt ja genug sogo bujutsu ryuha, die heute noch existieren. Die haben (oder sollten zumindest) keinen Schwerpunkt in dem Sinne, dass sie in einem anderen Punkt "schwächer" sind.
Genau, jede Schule sollte - v.a. historisch betrachtet - wohl in der Lage sein, einfach gute Kämpfer hervorzubringen und nicht reine Spezialisten, die dann beschämenderweise Kämpfe absagen müssen, weil für den kusarigamabewaffneten Herausforder dann leider "der Kollege aus der anderen Abteilung" zuständig ist.:D




Hier sind Tests, die z.B. an verschiedenen chin. Rüstungsarten vorgenommen wurden.
Danke, war kurz, knackig und interessant. Der Clip unterstreicht (obwohl eben nicht japanbezogen) imgrunde unser Argument, dass alleine die Wucht - auch ohne ein Durchdringen der Rüstung - ein nicht zu unterschätzender, mitunter recht zertörerischer, Faktor ist.





Aber auch sogo bujutsu Schulen haben doch oft genug einen Schwerpunkt, oder nicht? Bpsw.die Tatsumi Ryu - ich zitiere mal aus Wiki (die eigentliche Quelle ist aber Liam Keeley, also seriös):

Tatsumi-ryū is a martial art (総合武術, sōgō bujutsu), encompassing many of the classical martial and strategic skills of the martial artist (武芸者, bugeisha). The central weapon of Tatsumi-ryū is the katana, and training to use the sword in combat constitutes the largest part of the curriculum. The use of other weapons, such as the spear (yari), glaive (naginata), long staff (rokushaku-bō), and short staff (hanbō), is undertaken with the aim of enabling the swordsman to defeat such weapons. Indeed, the studies of naginata, rokushaku-bō, and hanbō are classified as part of the swordsmanship (kenjutsu) curriculum and are not considered as separate areas of study. Therefore, in the practice of pre-determined exercises with partners (kata) these weapons always "lose" to the sword.
und desweiteren noch

Was die Beschreibung zur Tatsumi-ryû angeht: Es wird erklärt, dass das Langschwert die zentrale Waffe ist (wie bei vielen Sôgô-bujutsu, auch bei uns z.B.). Und um andere Waffen zu besiegen, muss man diese zwingend ebenfalls studieren. Und natürlich die Prinzipien des Schwertes auf diese Waffen übertragen.
Wenn ich das lese, ergibt sich für mich daraus nicht automatisch, dass andere Teile vernachlässigt werden.
Man könnte die Aussagen v.a. wegen des Textes zur Tatsumi Ryû m.A.n. als Nicht-Koryûka(:D) evtl. missverstehen. Die Hauptwaffe bspw. das Schwert ist in den Kata irgendeiner bestimmten Schule Hauptwaffe und beim Ablaufen einer Form ist der Partner mit der anderen Waffe (der Uchitachi, egal ob nun mit Stock, Lanze, Kurzschwert, Sichel oder was auch immer bestückt) per definiertem Ablauf der Verlierende.

Das heißt aber natürlich nicht grundsätzlich, dass die Person mit dem Schwert gewinnt, weil das Schwert das Steckenpferd der jeweiligen Schule ist und die anderen Waffen infolgedessen schwach sind (bzw. in dieser Schule schwach, da stiefmütterlich behandelt), sondern einfach nur, dass aus irgendwelchen Gründen das Verlieren des Einen und das Gewinnen des anderen VORAB bestimmt worden ist. Egal ob ich mit meiner Waffe verliere oder gewinne, ich sollte sie durchaus beherrschen lernen, zumal es auch nur dann Sinn macht Uchitachi zu spielen (oder je nach Stil meinetwegen auch Shitachi), denn was soll es dem Schwertschwinger bringen, sich einfach nur einem Uchitachi-Fallobst entgegen zu stellen?

FireFlea
21-05-2020, 10:27
Man könnte die Aussagen v.a. wegen des Textes zur Tatsumi Ryû m.A.n. als Nicht-Koryûka(:D) evtl. missverstehen. Die Hauptwaffe bspw. das Schwert ist in den Kata irgendeiner bestimmten Schule Hauptwaffe und beim Ablaufen einer Form ist der Partner mit der anderen Waffe (der Uchitachi, egal ob nun mit Stock, Lanze, Kurzschwert, Sichel oder was auch immer bestückt) per definiertem Ablauf der Verlierende.

Das heißt aber natürlich nicht grundsätzlich, dass die Person mit dem Schwert gewinnt, weil das Schwert das Steckenpferd der jeweiligen Schule ist und die anderen Waffen infolgedessen schwach sind (bzw. in dieser Schule schwach, da stiefmütterlich behandelt), sondern einfach nur, dass aus irgendwelchen Gründen das Verlieren des Einen und das Gewinnen des anderen VORAB bestimmt worden ist. Egal ob ich mit meiner Waffe verliere oder gewinne, ich sollte sie durchaus beherrschen lernen, zumal es auch nur dann Sinn macht Uchitachi zu spielen (oder je nach Stil meinetwegen auch Shitachi), denn was soll es dem Schwertschwinger bringen, sich einfach nur einem Uchitachi-Fallobst entgegen zu stellen?

Das eine grundlegende Beherrschung gegeben sein muss ist eine Sache. Ich würde aber von einer Schule, die bspw. erfolgreich den Kampf mit Speer oder Naginata schulen will erwarten, dass sie auch "Gewinnerstrategien" in ihren Kata für diese Waffen schult. Tatsumi Ryu tut dies scheinbar nicht.

ryoma
21-05-2020, 12:09
Das eine grundlegende Beherrschung gegeben sein muss ist eine Sache. Ich würde aber von einer Schule, die bspw. erfolgreich den Kampf mit Speer oder Naginata schulen will erwarten, dass sie auch "Gewinnerstrategien" in ihren Kata für diese Waffen schult. Tatsumi Ryu tut dies scheinbar nicht.

Schwierig zu sagen. Was da wohl erklärt wird, ist sicher Omote-Inhalt. Was die Schule in ihrem Ura-Inhalt schult, kann dann auch erheblich davon abweichen (natürlich ist das nicht auf die Prinzipien bezogen).

shinken-shôbu
21-05-2020, 13:15
Das eine grundlegende Beherrschung gegeben sein muss ist eine Sache. Ich würde aber von einer Schule, die bspw. erfolgreich den Kampf mit Speer oder Naginata schulen will erwarten, dass sie auch "Gewinnerstrategien" in ihren Kata für diese Waffen schult. Tatsumi Ryu tut dies scheinbar nicht.
Ich habe mit "nicht grundsätzlich" explizit nicht insbesondere über direkt schulspezifische Eigenheiten - und somit nicht automatisch schulübergreifend gültige Verhältnisse - wie etwa denen der Tatsumi Ryû reden wollen, zumal ich auch keinen Einblick in diese Schule habe, mur um das nochmal ganz klar herauszustellen. :)

Ich wäre allerdings sowieso ganz vorsichtig wenn es darum geht, aus einem Wikipeia-Eintrag tiefergehende INHALTLICHE Aussagen über eine bestimmte Schule machen zu wollen. Nur weil etwas (das mitunter evtl. nicht einmal Schüler der eigenen Schule wissen, sofern sie noch nicht das entsprechende Level in der Schule erreicht haben) nicht bei Wikipedia explizit erwähnt wird, heißt das nicht, dass es das dann einfach nicht gibt. Insbesondere werden Ura-Inhalte nicht unbedingt öffentlich thematisiert werden - aus der Schule selbst heraus sowieso nicht und von Außenstehenden mangels Einsicht in die Ura-Inhalte auch eher nicht bzw. nicht in ernstzunehmender Weise.

Auf das Problem, dass bei Wikipedia zunächst einmal offenbar Jeder Alles schreiben kann, was er möchte (so wurde schon über diverse Koryû von Externen(!) auch ein bisschen grober Unfug geschrieben) möchte ich gar nicht erst weiter eingehen. Wir können für diese Diskussion hier auch gerne einmal annehmen, dass es sich mit der Tatsumi Ryû möglicherweise genau so verhält, wie bei Wikipedua zu lesen ist. Wie gesagt wäre das dann aber zunächst einmal sowieso nichts weiter als eine schulspezifische Eigenart.
.

In einer Kata zu verlieren hat ja auch erst einmal überhaupt nichts damit zu tun, dass dem "Gewinner" gute Techniken und dem "Verlierer" halt schlechtere Techniken aufgedrückt werden. In unserer Schule (ganz stark vereinfacht, also bitte keinen Nebenstrang daraus zaubern) ist es meines Beobachtens nach so, dass man ab einem gewissen Level überproportional oft die Uchitachi-Seite einnimmt, man also nach der Logik des Wikipedia-Artikels ausgerechnet als besonders Fortgeschrittener verstärkt irgendwelche "Losertechniken" trainiert und dem ist definitiv nicht so. Ich persönlich denke, dass ganz im Gegenteil der Uchitachi die wesentlich größere Kontrolle über den ordnungsgemäßen Ablauf der Kata ausübt (es wird dann auch u.U. die Rolle gewechselt, auch mit dem evtl. weniger fortgeschrittenen aktuellen Trainingspartner, berührt meinen Punkt aber nicht wirklich allzu sehr). Bedenken wir auch, dass Kata überwiegend aus mehr als einfach nur zwei, drei Bewegungen insgesamt bestehen und der tödliche Abschluss dann auch einfach "nur" ein irgendwann im Ablauf der Kata gesetztes Ende ist.

edit: sorry ryoma, mache mal wieder fünf Sachen gleichzeitig, daher ein kleines Crossposting

ryoma
21-05-2020, 14:20
Überhaupt ist die Tatsumi-ryû in diesem Zusammenhang auch ein äusserst interessantes Beispiel.

Gegründet irgendwann zwischen dem zweiten und dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Das wird heissen, der Fokus der Schule lag garantiert nicht seit jeher auf dem Schwert. Das wird dann wohl irgendwann in der Edo-Periode geschehen sein.

Auch weiss man nichts dazu, welche Systeme der Gründer studierte, bevor er Tatsumi-ryû formulierte.

FireFlea
21-05-2020, 15:54
Auf das Problem, dass bei Wikipedia zunächst einmal offenbar Jeder Alles schreiben kann, was er möchte (so wurde schon über diverse Koryû von Externen(!) auch ein bisschen grober Unfug geschrieben) möchte ich gar nicht erst weiter eingehen.


Daher habe habe ich doch geschrieben die Quelle ist Liam Keely (der eine Lehrlizenz für Tatsumi Ryu innehat). Du findest den gleichen Text auch in einem der Skoss Bücher (aus dem sich aber nicht so gut copy&pasten lässt). ;)

Edit: Ich würde aber eine kata aber doch schon so verstehen, dass u.a. eine Kampfessenz enhalten ist, die bestimmte Prinzipien/Anwendungen/Inhalte schult, um erfolgreich damit zu agieren. Inwiefern werden solche Inhalte sagen wir für die Naginata geschult, wenn ihr in den kata einer Schule nie "Erfolg" beschieden ist? Wäre es dazu nicht sinnvoller auch kata zu üben, die erfolgreiche Strategien und Anwendungen für eben diese Waffe vermitteln?

ryoma
21-05-2020, 16:24
Daher habe habe ich doch geschrieben die Quelle ist Liam Keely (der eine Lehrlizenz für Tatsumi Ryu innehat). Du findest den gleichen Text auch in einem der Skoss Bücher (aus dem sich aber nicht so gut copy&pasten lässt). ;)

Gerade nachgeschaut. Also der Text in Wiki stammt genauso von Keely.


Edit: Ich würde aber eine kata aber doch schon so verstehen, dass u.a. eine Kampfessenz enhalten ist, die bestimmte Prinzipien/Anwendungen/Inhalte schult, um erfolgreich damit zu agieren. Inwiefern werden solche Inhalte sagen wir für die Naginata geschult, wenn ihr in den kata einer Schule nie "Erfolg" beschieden ist? Wäre es dazu nicht sinnvoller auch kata zu üben, die erfolgreiche Strategien und Anwendungen für eben diese Waffe vermitteln?

Wie weiter oben schon erwähnt: Vielleicht tut sie (Tatsumi-ryû) das ja auch. Einfach erst in den Ura-Inhalten.
Keine Schule des Koryû-bujutsu ist schliesslich dazu verpflichtet, alles öffentlich zu machen.

Wir (Hokushin Ittô-ryû Hyôhô) sind eine Schule die sehr offen ist und eine der wohl umfangreichsten Webseiten überhaupt zur eigenen Ryûha unterhält.
Und trotzdem gibt es eine Vielzahl an Ura-Inhalten und Kuden, welche nie veröffentlicht werden.

Nun kann man sich ausmalen, wie das bei Schulen ist, die nicht so einen offenen Approach haben.
OK, es gibt sicher auch genügend Schulen, welche kaum bis gar keine Ura-Inhalte mehr haben. Bei denen ist dann einfach das, was sie nach aussen zeigen, schon fast alles was sie zu bieten haben.

shinken-shôbu
21-05-2020, 18:11
Daher habe habe ich doch geschrieben die Quelle ist Liam Keely (der eine Lehrlizenz für Tatsumi Ryu innehat). Du findest den gleichen Text auch in einem der Skoss Bücher (aus dem sich aber nicht so gut copy&pasten lässt). ;)
Ich wollte einfach nur mal sehen ob Du auch richtig aufpasst. :D

Nein, sorry hatte das jetzt vor lauter Konzentration auf Wikipedia zwar gelesen aber nicht so richtig aktiv wahrgenommen. Dann nehmen wir natürlich für diese Diskussion hier nicht nur an, dass es in der Tatsumi Ryû so läuft wie bei Wikipedia beschrieben, sondern glauben dem Herrn Keeley natürlich , dass es dort definitiv so läuft. :) Ryomas und mein Einwand bezüglich Omote und Ura bleibt aber natürlich dennoch ein wichtiger Punkt.




Edit: Ich würde aber eine kata aber doch schon so verstehen, dass u.a. eine Kampfessenz enhalten ist, die bestimmte Prinzipien/Anwendungen/Inhalte schult, um erfolgreich damit zu agieren. Inwiefern werden solche Inhalte sagen wir für die Naginata geschult, wenn ihr in den kata einer Schule nie "Erfolg" beschieden ist? Wäre es dazu nicht sinnvoller auch kata zu üben, die erfolgreiche Strategien und Anwendungen für eben diese Waffe vermitteln?
Naja also dem Gewinner ist doch auch erstmal kein Erfolg beschieden, der stellt sich meist ja erst am Ende der Kata ein (okay, im Bujinkan habe ich es unzählige Male gesehen, dass das Stück Torte, dass man sich zügig auf den Teller gepacklt hat erst noch unzählige abgeschleckt wird, bevor man dann wirklich mal hineinbeißt aber in den Koryû habe ich soetwas eigentlich eher selten gesehen). :D

Insofern könnte man sich natürlich auch fragen, warum man die Kata einer Schule nicht einfach immer nur auf die letzten zwei, drei Bewegungen verkürzt, wenn die Bewegungen davor doch nicht gleich zum gewünschten Erfolg führen, man also auch als Shitachi scheinbar v.a. unterlegene Techniken probt. Ich denke dass wir nicht das Trainieren um des Trainierens willen vergessen sollten und zudem ist eine Technik, die in einer bestimmten Situation nicht klappt (bzw. nicht klappen soll, weil die entsprechende Kata sonst bereits zuende wäre) in einer anderen Situation ja vielleicht voll "der Bringer" ist. Man lernt ja nicht eine komplette Kata, um sie genau so dann im Ernstfall runterzuspulen. Das dürfte ja auch schon daran scheitern, dass der echte Gegner nicht wüsste, was von ihm erwartet wird, geschweige denn, dass er es dem Anderen überhaupt dermaßen leicht machen wollen würde. Kata sind - ryoma mag mich gerne berichtigen - v.a. ein Vehikel, um Prinzipien usw. zu lehren bzw. zu verinnerlichen, ein zwar absolut wichtiges (kontextbezogen würde ich sogar sagen ein unverzichtbares) Vehikel aber eben nur ein Vehikel.

FireFlea
21-05-2020, 19:05
Insofern könnte man sich natürlich auch fragen, warum man die Kata einer Schule nicht einfach immer nur auf die letzten zwei, drei Bewegungen verkürzt, wenn die Bewegungen davor doch nicht gleich zum gewünschten Erfolg führen, man also auch als Shitachi scheinbar v.a. unterlegene Techniken probt. Ich denke dass wir nicht das Trainieren um des Trainierens willen vergessen sollten und zudem ist eine Technik, die in einer bestimmten Situation nicht klappt (bzw. nicht klappen soll, weil die entsprechende Kata sonst bereits zuende wäre) in einer anderen Situation ja vielleicht voll "der Bringer" ist. Man lernt ja nicht eine komplette Kata, um sie genau so dann im Ernstfall runterzuspulen. Das dürfte ja auch schon daran scheitern, dass der echte Gegner nicht wüsste, was von ihm erwartet wird, geschweige denn, dass er es dem Anderen überhaupt dermaßen leicht machen wollen würde. Kata sind - ryoma mag mich gerne berichtigen - v.a. ein Vehikel, um Prinzipien usw. zu lehren bzw. zu verinnerlichen, ein zwar absolut wichtiges (kontextbezogen würde ich sogar sagen ein unverzichtbares) Vehikel aber eben nur ein Vehikel.

Lies doch nochmal, was Keely schreibt:

"The use of other weapons, such as the spear (yari), glaive (naginata), long staff (rokushaku-bō), and short staff (hanbō), is undertaken with the aim of enabling the swordsman to defeat such weapons. Indeed, the studies of naginata, rokushaku-bō, and hanbō are classified as part of the swordsmanship (kenjutsu) curriculum and are not considered as separate areas of study. Therefore, in the practice of pre-determined exercises with partners (kata) these weapons always "lose" to the sword."

Eine Schule, die Naginata oder Yari stärker im Fokus hat, wird diese Waffen denke ich nicht nur als Hilfsmittel sehen, um vor allem eine andere Waffe zu stärken. Hintergrund des Ganzen war ja, dass auch sogo-bujutsu Schwächen haben können. "Schwäche" ist dann vielleicht nicht der ganz der optimale Begriff aber ich denke Du weißt, was ausgesagt werden soll.

shinken-shôbu
21-05-2020, 21:12
Ich habe schon verstanden, was bei Keeley/Wikipedia da so steht aber das ist und bleibt halt erst einmal nicht mehr als eine Aussage, die sich auf eine einzige ganz konkrete Schule bezieht, sich möglicherweise darüber hinaus selbst diesbezüglich vielleicht allein auf das bezieht, was überhaupt publik gemacht werden darf (da müsste man nachhaken, wenn einen die Tatsumi Ryû besonders interessieren sollte) und ändert nichts an meiner Ansicht, die ich in meinem letzten Post dargelegt habe.

Selbst Keeley sagt nicht, dass das Schwert die schlechteren Techniken überwindet/überwinden soll, sondern lediglich, dass (am Ende der Kata vermutlich) die anderen Waffen in den Kata dem Schwert unterliegen. Vielleicht hat das rein emotionale, didaktische o.ä. Gründe etwa den dass der Schwertkämpfer (der später halt eher mit dem Schwert und nicht dem Speer oder oder kämpfen soll) bereits im Training das wohlige Gefühl verspürt mit dem Schwert stets zu siegen - egal wie sehr konstruiert dieser Sieg dann eigentlich sein mag.

In den Kata verschiedener Koryû kann der "Kampf" oft an jedem beliebigen Zeitpunkt der Kata mehr oder weniger beendet sein, ließe ein Partner - egal ob es der Shitachi oder Uchitachi ist - einfach nur zu, dass der Andere ihn zu diesem Zeitpunkt trifft. Genauso gut könnte man das Ende der Kata problemlos hinauszögern, indem man einfach den finalen Angriff abwehrt statt sich rollengemäß in sein trauriges Schicksal zu ergeben. Das ließe sich dann auch noch ewig hin und her durchspielen bis dann irgendwann einer der Partner einfach keine Lust mehr hat weiterzumachen und sich "töten" lässt.

Der einzige Grund eine bestimmte Waffe besser zu beherrschen als eine bestimmte andere wäre - zumindest für mich - lediglich die längere Gesamtzeit, die ich mit ersterer in der Hand trainierend verbringe im Vergleich zur letzteren. Natürlich bin ich wahrscheinlich besser mit dem Schwert als mit dem Hanbô, wenn ich dreimal so lange mit dem Schwert trainere als ich es mit dem Hanbô tue. Je nach Schule kann es dann natürlich sein, das mein Schwert dem Hanbô eines sogar erfahreneren Mitschülers überlegen ist aber das liegt dann nicht an den Techniken/Prinzipien selbst, davon bin ich hinsichtlich möglichst optimal überlieferter Koryû ganz fest überzeugt.

Nagonomori
21-05-2020, 21:39
Ich würde aber eine kata aber doch schon so verstehen, dass u.a. eine Kampfessenz enhalten ist, die bestimmte Prinzipien/Anwendungen/Inhalte schult, um erfolgreich damit zu agieren. Inwiefern werden solche Inhalte sagen wir für die Naginata geschult, wenn ihr in den kata einer Schule nie "Erfolg" beschieden ist? Wäre es dazu nicht sinnvoller auch kata zu üben, die erfolgreiche Strategien und Anwendungen für eben diese Waffe vermitteln?

Wenn ich einen kleinen Einwurf machen darf: ich habe die ein oder andere Erfahrung mit Katori Shinto Ryu. Etwas was vielen Leuten bei den Kata dieser Schule nicht ins Auge sticht, ist das jede Kata die ich bisher üben durfte in einer Patt Situation endet. Egal ob Schwert vs. Schwert, Bo vs. Schwert, Naginata vs Schwert. Wenn die Kata recht schnell ausgeführt werden übersieht man das oft.

Nur weil in der Kata niemand gewinnt oder verliert heißt es noch lange nicht das keine Erfolgreichen Strategien geübt werden. Wenn man das richtige Setup lernt ist die eigentliche Submission zweitrankig.

lg

ryoma
21-05-2020, 22:03
Lies doch nochmal, was Keely schreibt:

"The use of other weapons, such as the spear (yari), glaive (naginata), long staff (rokushaku-bō), and short staff (hanbō), is undertaken with the aim of enabling the swordsman to defeat such weapons. Indeed, the studies of naginata, rokushaku-bō, and hanbō are classified as part of the swordsmanship (kenjutsu) curriculum and are not considered as separate areas of study. Therefore, in the practice of pre-determined exercises with partners (kata) these weapons always "lose" to the sword."

Eine Schule, die Naginata oder Yari stärker im Fokus hat, wird diese Waffen denke ich nicht nur als Hilfsmittel sehen, um vor allem eine andere Waffe zu stärken. Hintergrund des Ganzen war ja, dass auch sogo-bujutsu Schwächen haben können. "Schwäche" ist dann vielleicht nicht der ganz der optimale Begriff aber ich denke Du weißt, was ausgesagt werden soll.

Hierbei müsste definiert sein, gegenüber was die "Schwäche" bestehen soll.
Mag zwar überheblich klingen, aber der eigentliche Punkt von authentischem Sôgô-bujutsu ist ja, dass es keine "Schwäche" haben soll. Nur Stärken in unterschiedlichen Ausprägungen. :D

shinken-shôbu
22-05-2020, 08:00
Nur weil in der Kata niemand gewinnt oder verliert heißt es noch lange nicht das keine Erfolgreichen Strategien geübt werden. Wenn man das richtige Setup lernt ist die eigentliche Submission zweitrankig.
Strategien zu trainieren, die einem maximal ein Patt bringen, das passt natürlich sehr gut zu einer eher friedlich gestimmten Koryû wie der Katori Shintô Ryû.
Man kann den Gegner zwar nicht bezwingen aber er einen selbst im Optimalfall auch nicht und so können beide Kontrahenten am Ende wieder friedlich ihrer Wege gehen - geiler Schei_ _. :D

Mal im Ernst: Wie das Gewinnen oder Verlieren ist auch das resultierende Patt am Ende einer Kata halt ein sozusagen "willkürlich" vorgeschriebenes Ende, das selbstverständlich nicht darüber entscheidet, ob das, was an Techniken und Prinzipien auf dem Weg bis zum Ende der Kata geübt wurde bezüglich Shitachi- bzw. Uchitachipart nun eher erfolgversprechend oder Murks ist. Es ergäbe ja auch gar keinen Sinn etwas zu trainieren, das GENAU SO wie trainiert dann in der Realität des nicht reglementierten Kampfes sowieso wohl niemals vorkommen dürfte (vielleicht mal von einigen "ein Angriff, genau eine Antwort auf diesen"-Kata abgesehn).

Nagonomori
24-05-2020, 12:51
und so können beide Kontrahenten am Ende wieder friedlich ihrer Wege gehen - geiler Schei_ _.

Friedlich und unverletzt bitt ja? ;)

Ansonsten glaube ich das viele Kenshi die Situation kennen wenn der Senpai oder Sensei zu didaktischen Zwecken auch mal die Kata brechen und "gewinnen". Das sind die Situationen die bei Enbu nicht gezeigt werden, wo aber auch das meiste Wissen übermittelt wird. Ganz abseits davon ob man jetzt gewinnen, verlieren oder friedlich seiner Wege gehen sollte laut Kata.