Poon Sao statt Dap Sao [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Vollständige Version anzeigen : Poon Sao statt Dap Sao



Locke
14-08-2020, 19:21
Da es hier so viele Erfahrene 詠春 und auch andere Kung Fu Experten gibt wollte ich mal die Frage in die Runde werfen weshalb ihr glaubt, dass sich das Poon Sao gegenüber dem Dap Sao als Grundzycklus in der Yip Man Line also im VT, WC und WT (hoffe das ist so ok AngHell ;) ) durchgesezt hat?
So ganz offensichtlich ist das ja nicht, da es mehr Kooperation erfordert und das "Fassen der Zentrallinie" (ich weiss, ist für jeden was anderes, aber, ich meine die Zentrallinie auf der der Massenschwerpunkt liegt und die durch die Körperachse im aufrechten Stand verläuft) des Gegners erschwert. Nun scheint die EWTO, (wahrscheinlich durch den Einfluss von I Liq Chuan) sich ja auch auf Dap Sao zu besinnen; aber irgendwann hatte sich ja mal Poon Sao (sicher mit einem Grund, der in irgend einem Kontext auch Sinn gemacht hat) gegenüber Dap Sao durchgesetzt. Man könnte anführen dass die Bewgung von Bong in Tan, und dadurch sozusagen eine Art Spirale mit Energie nach vorne besser geübt würde, aber man könnte auch gegenargumentieren dass man Dap Sao ja auch auf jeder Seite quasi mit und gegen den Uhrzeigersinn machen kann. In meiner WT Schule ergab sich übrigens zu der damaligen Zeit irgendwann im freien Chi Sao automatisch eine Art Dap Sao Zyklus durch das ständige "Wechseln", ohne dass wir gewusst hätten dass dies in anderen Stilen quasi der eigentliche Grundrhythmus ist ... automatisches Zurückkheren zur Natürlichkeit wenn die Propriozeption bis zu einem gewissen Grad geschult ist?)

Was haltet Ihr denn für die Vorteile des Poon Sao's? Weiss jemand wie und mit welcher Idee dieser spezifische Zyklus entstand?
Kennt jemande andere Kung Fu Stile ausser dem 詠春, die einen Poon Sao Zyklus ähnlich der Yip Man Linie ( VT, WC und WT) haben?

Ich weiss, sehr theorielastig, aber schliesslich sind wir auch im Internet und nicht beim Training ;)
Beste Grüsse an Alle und schönes Wochenende

Michael Kurth (M.K.)
14-08-2020, 19:39
Was ist Dap-Sao?
Und Poon-Sao ist auch höchst relativ: Innerhalb des VTs (aus Sicht des VTlers meiner Generation) wird es schon inzwischen anders gemacht, aber mit der Übung des WTs hat es z.B- geradezu nichts bis überhauptnichts zu tun.
Ausführung und das dahinterstehende Konzept sind vollkommen verschieden.

Locke
14-08-2020, 20:10
Was ist Dap-Sao?
Und Poon-Sao ist auch höchst relativ: Innerhalb des VTs (aus Sicht des VTlers meiner Generation) wird es schon inzwischen anders gemacht, aber mit der Übung des WTs hat es z.B- geradezu nichts bis überhauptnichts zu tun.
Ausführung und das dahinterstehende Konzept sind vollkommen verschieden.

Mit Dap Sau meine ich einen Zyklus bei dem die Unterarme stetig Innen- und Aussenposition wechseln und dieses Umeinanderzirkeln quasi der Grundzyklus ist.

Ich habe schon begriffen dass der Unterschied zur Leung Ting Linie von PhB Leuten stark betont wird, aber auf irgend eine Prämisse werden wir beide uns bestimmt einigen können; zB dass Chi Sao Training ein irgend wie gearteten Training der Proprioception ist (bitte Propriozeption im eigentlichen Sinne; bitte nicht auf Sensibilität oder ein reduziertes Konzept festnageln). Aber sag Mal wie Du es machst, was Dein Konzept dahinter ist und weshalb speziell Poon Sao so aussieht wie es aussieht und ja auch Yip Man (wie ich verstehe gibt es bei PhB da anscheinend eine besondere Nähe) praktiziert hat.

Paradiso
14-08-2020, 21:26
Mit Dap Sau meine ich einen Zyklus bei dem die Unterarme stetig Innen- und Aussenposition wechseln und dieses Umeinanderzirkeln quasi der Grundzyklus ist.



Zuerst einmal, Poon Sao ist nichts anderes als Dan Chi . Sinnvollerweise übt man mit beiden Armen den Gegner KO schlagen zu können.

Wenn ich den Gegner KO schlagen will, warum soll ich sinnlos Übungszeit für das Wechseln von Innen nach Außen und "Umeinanderzirkeln"verschwenden. Im Dan Chi üben beide die Kraftkette vom Boden zu den Armen, der eine schlägt der andere hält dagegen und beide bekommen das Feedback der Kraftkette, derjenige der dagegenhält als verhinderten Faustschlag seinerseits.

Da man das im Poon Sao mit beiden Armen macht, ist die Übungszeit doppelt wertvoll.


Unterrangig lässt sich so auch das Fintieren üben oder mit dem Wechseln von Innen nach Außen dem "Umeinanderzirkeln", aber damit verlässt man auch schon den Fokus der Prämisse Faust / Gesicht, also kontraproduktiv.




.. dass Chi Sao Training ein irgend wie gearteten Training der Proprioception ist (bitte Propriozeption im eigentlichen Sinne; bitte nicht auf Sensibilität oder ein reduziertes Konzept festnageln).

Du kannst diese einfache Zielsetzung, den waffenlosen Kampf mit Hilfe des Faustschlages zu gewinnen mit noch so vielen
Fremdwörtern und Nebenübungen verwässern, bis du dann beim unbesiegbaren Zeitlupen drücken der KRK bist und das auch noch Kampf nennst.

Wing Chun wirst du eh nur verstehen wenn dir klar wird, dass die Waffenformen der wichtigste Teil sind, das ganze Rumgekurbele und die endlosen pseudowissenschaftlichen Erklärungen...........der waffenlose Teil ist Faust/Gesicht und das immer wieder üben, üben, üben.

Alexa91
15-08-2020, 03:50
...
Kennt jemande andere Kung Fu Stile ausser dem 詠春, die einen Poon Sao Zyklus ähnlich der Yip Man Linie ( VT, WC und WT) haben?

...
Beantwortet nicht deine Frage - weiß ich.
Aber der Poon Sao Zyklus (den gibt es häufiger als nur in der Yip Man Linie) SOLL über die Yuen Kay Shan Linie des 詠春 in die Yip Man Linie gelangt sein.
Halte ich persönlich für wenig realistisch. Ich glaube eher, dass es eine Übungsart ist, die sich unter der Führung eines der älteren 詠春 Mitglieder in Foshan etabliert hat.
Vielleicht Ng Jung So.

Nebenbei...
Du kannst doch beim Poon Sao stetig Innen- und Aussenposition wechseln und dies längere Zeit als Grundzyklus benutzen.
Das ist eine ganz normale Chi Sao/Poon Sao Übung. Habt ihr das in der EWTO nicht gelernt?

discipula
15-08-2020, 08:20
Du kannst diese einfache Zielsetzung, den waffenlosen Kampf mit Hilfe des Faustschlages zu gewinnen....

Warum sollte es ein Ziel sein, einen Kampf mit einem Faustschlag zu gewinnen?

Es gibt ja noch haufenweise andere Techniken, und gerade im Wing Chun ist ein Faustschlag eher selten die gute Wahl.

Michael Kurth (M.K.)
15-08-2020, 08:49
@Locke:
Poon-Sao ist eine Übung, bei der 2 Arten und Konzepte von Fausstößen, mehrerlei Arten von Gleichgewicht, Ausrichtung, Distanz und Timing, Energiefluß (zum Zentrum und nicht gegen die Arme), Energiegerzeugung, Energierableitung und strategisches Konzeptz geübt wird.

dass der Unterschied zur Leung Ting Linie von PhB Leuten stark betont wird
Es geht ncht darum, irgendetwas zu betonen, sondern es ist eine objektive Feststellung. Äußerlich en solo isoliert betrachtet, gibt es Ähnlichkeiten, klar, aber der Inhalt ist deutlich anders. Ich spreche da aus 30 Jahren praktischer Erfahrung und diese auch mit allen möglichen Graden (also auch lizensierte Meistergrade).

Proprioception
Na, da hat aber wieder einer Fremdwörter zum Abendessen gehabt. Was ist das?OK, hab's gegoogelt...

weshalb speziell Poon Sao so aussieht wie es aussieht
Hm, einer der Fallstricke: Übersetzt mit 'rollende Arme' gibt es eine (äußerliche) Sinnestäuschung wieder. Fakt ist eigentlich, daß es sich um den Wechsel 3/4 geradliniger Bewegungen handelt. Aussehen ist da auch recht relativ, hängt es doch davon ab, auf welche Art und Weise und mit welchem Fokus man die Übung macht.
Aber wie gesagt: Das Aussehen wird durch das Machen und die Bewegungen erzeugt. Insofern: Komische Frage.

Locke
15-08-2020, 08:54
Ich dachte mir schon, dass, wenn da jemand kompetent Stellung zu nehmen kann, Du das bist Alexa. ;)
Darf ich fragen wie Du zu Deiner Vermutung betreffend dieser Entwicklungsgeschichte kommst? Gibt es da Hinweise?

Ad Nebenbei: hatte ja geschrieben dass auch schon vor Ewigkeiten in der Leung Ting Linie so geübt wurde, allerdings mit der Mechanik und Idee des Poon Sao. Leung Ting Leute konnten meiner bescheidenen Meinung nach noch nie so richtig gut mit Haken umgehen und das können sie meiner Meinung nach auch heute nicht so richtig. Erstaunlicherweise habe ich dieses Defizit auch bei EWTO Leuten bemerkt die sich mit dem I Liq Chuan befasst haben, was mich eigentlich etwas erstaunt, aber das hängt vielleicht auch stark von der Gewichtung der Muster im Kleinhirn ab.

P.S. Natürlich behaupten fast alle 詠春'ler sie könnten gut mit Haken umgehen; das war schon immer so und wird wahrscheinlich immer so bleiben, sonst wäre es kein 詠春 mehr :rotfltota

Schönes WE



Beantwortet nicht deine Frage - weiß ich.
Aber der Poon Sao Zyklus (den gibt es häufiger als nur in der Yip Man Linie) SOLL über die Yuen Kay Shan Linie des 詠春 in die Yip Man Linie gelangt sein.
Halte ich persönlich für wenig realistisch. Ich glaube eher, dass es eine Übungsart ist, die sich unter der Führung eines der älteren 詠春 Mitglieder in Foshan etabliert hat.
Vielleicht Ng Jung So.

Nebenbei...
Du kannst doch beim Poon Sao stetig Innen- und Aussenposition wechseln und dies längere Zeit als Grundzyklus benutzen.
Das ist eine ganz normale Chi Sao/Poon Sao Übung. Habt ihr das in der EWTO nicht gelernt?

Locke
15-08-2020, 09:26
@Locke:
Poon-Sao ist eine Übung, bei der 2 Arten und Konzepte von Fausstößen, mehrerlei Arten von Gleichgewicht, Ausrichtung, Distanz und Timing, Energiefluß (zum Zentrum und nicht gegen die Arme), Energiegerzeugung, Energierableitung und strategisches Konzeptz geübt wird.

Es geht ncht darum, irgendetwas zu betonen, sondern es ist eine objektive Feststellung. Äußerlich en solo isoliert betrachtet, gibt es Ähnlichkeiten, klar, aber der Inhalt ist deutlich anders. Ich spreche da aus 30 Jahren praktischer Erfahrung und diese auch mit allen möglichen Graden (also auch lizensierte Meistergrade).

Na, da hat aber wieder einer Fremdwörter zum Abendessen gehabt. Was ist das?OK, hab's gegoogelt...

Hm, einer der Fallstricke: Übersetzt mit 'rollende Arme' gibt es eine (äußerliche) Sinnestäuschung wieder. Fakt ist eigentlich, daß es sich um den Wechsel 3/4 geradliniger Bewegungen handelt. Aussehen ist da auch recht relativ, hängt es doch davon ab, auf welche Art und Weise und mit welchem Fokus man die Übung macht.
Aber wie gesagt: Das Aussehen wird durch das Machen und die Bewegungen erzeugt. Insofern: Komische Frage.

Dank Dir Michael für die adäquate Antwort!
Du brauchst mir gar nicht zu beweisen welches "Level" Du hast; ich habe schon sehr gefährliche Anfänger gesehen mit klugem Verständnis. Und Meistern ... naja, Meister sind mir bis jetzt wenige begegnet. Ich denke Du hast Dich da ganz gut und diplomatisch ausgedrückt!

Bezüglich "Propriozeption" wollte ich jetzt nicht wild mit Fremdworten um mich schmeissen: das Konzept davon ist im Sport immens wichtig; man könnte auch sagen dass von den propriozeptiven Fähigkeiten das abhängig ist was wir im Sport allgemein als "Talent" bezeichnet wird; egal ob im Kampfsport, beim Schwimmen oder Motorsport oder was auch immer. Das Ziel vieler Übungen im Sport und in der Kampfkunst im Speziellen ist es eigentlich (jetzt wissenschaftlich betrachtet) die Propriozeption zu verbessern. Manche Übungen sind dazu geeigneter als Andere. Erstaunlicherweise tut Chi Sao das meiner Meinung nach auf einem besonders hohen Level; insofern ist Chi Sao einer der eigentlichen Schätze des Kung Fu. Also, wenn man sich als Kampfkünstler mit einem wissenschaftlichen Konzept befassen möchte, dann würde ich sagen, wäre "Propriozeption" das aller erste! Wie gesagt, das soll keine Schlaumeierei sein: das ist einfach ein ganz zentrales Element wenn man die Sache sportwissenschaftlich betrachtet!

Naja natürlich meine ich, wenn ich schreibe "so aussieht wie es aussieht" nicht den optischen Eindruck sondern ich meine mit der Frage wesalb die Essenz der Übung so ist wie sie ist und nicht wie sie (wahrscheinlich) früher einmal war; nämlich Dap Sao? Vielleicht klingt es komisch, aber so offensichtlich ist die Antwort doch nicht! weshalb kommt denn der Wechsel vom Bon zum Tan zustande? Das muss der Übungspartner ja erstmal in seiner Grosszügigkeit zulassen! Wenn er das zig tausend mal zulässt, welches Muster schleift er sich denn dann zig tausen mal ein? ... ich könnte da noch tiefer und kritischer rangehen, aber ich fange mal oberflächlich an. Ganz so einfach wie "Hau druff und schluss" ist die Sache halt doch nicht würde ich sagen.

Und so unsinnig ist Dap Sao höchstens bei oberflächlier Betrachtung; das mit "sinnlosem Wechsel von aussen nach innen" abzutun ist so ähnlich wie BJJ mit sinnlosem Wälzen am Boden abzutun; natürlich wälzt man sich am Boden, aber das ist nicht die Essenz des BJJ! Natürlich ist der Wechsel nicht die Essenz des Dap Sao sondern eine rein optische Beschreibung

Alexa91
15-08-2020, 09:33
...
Darf ich fragen wie Du zu Deiner Vermutung betreffend dieser Entwicklungsgeschichte kommst? Gibt es da Hinweise?

...
Yuen Kay Shan als Quelle für das Poon Sao ist gängige Ansicht der 詠春 Geschichte Forscher.
Meiner Meinung nach durch "technischen" Vergleich der Familenstile recht gut nachvollziehbar.
Ng Chung So als quasi "Urvater" wird nicht so häufig genannt, macht aber total viel Sinn da er, eigentlich allen bekannte Quellen nach, Yip Man, Yuen Kay San und Yiu Choi unterrichtet hat bzw. sich diese drei in seinem Umfeld mindestens zum Austausch trafen.
Daraus ergibt sich für mich mit hoher Sicherheit die Ähnlichkeit dieser 3 Familienstile. Wobei jeder dieser drei späteren Linienbegründer immer noch Material weiterer Lehrer eingebracht hat und Schwerpunkte anders setzte.
Aber für 詠春 Geschichte ist Jesper Lundqvist (auch Board-User) ein besserer Ansprechpartner als ich.

Michael Kurth (M.K.)
15-08-2020, 10:13
@Locke:
Ich mache im September fast genau zu dem Thema hier in Bieleleld einen Lehrgang. Oder wenn Du da keine Zeit hast, können wir auch gerne mal einen anderen Termin ausmachen. Aber dann wäre mal die Möglichkeit, Dir ausführlich zu erklären, was man da wie und warum macht. Manchmal muß man fühlen, erfahren, ist halt mitunter sehr schwierig, extrem zeitaufwenidig und dann immer noch mißverständlich, Sachen in Worte zu fassen. Und 'nen Tee oder Kaffee gibt es noch dazu.

Jesper Lundqvist
15-08-2020, 10:53
Locke,

Wenn man sich ein bisschen auskennt, kann man sehen woher bestimmte Terminologie - und auch bestimmte Ideen - kommen, d.h. ob sie einem bestimmten Stil/einer bestimmten Schule eigen sind oder "importiert".

Ein einfaches Beispiel:

In Fatsaan wurde nie der Begriff "Poon Sau" benutzt, das ist ein Begriff, der in Hong Kong gepraegt wurde. "Luk Sau" ist der historisch "korrekte" Terminus technikus fuer diese Uebung.

Das Kreisen der Haende, als spezifische Wing Chun Uebung wird in weder Fatsaan, Gongjaau, Seundak oder Hoksaan "Dap Sau" genannt, egal in welcher Schule, Yiu Choi, Yuen Kei Saan/Sum Nung, oder sogar Gulo Wing Chun - alle nennen diese Uebung "Huen Sau".

"Dap Sau" wird woanders benutzt, fuer eine entsprechende Uebung, und wurde deshalb ins Wing Chun "importiert".

Wenn Du also in Fatsaan die Generation der aelteren Wing Chun-Meister nach "Poon Sau" oder "Dap Sau" fragst, werden sie oft keine Ahnung haben, worueber Du sprichst, es sei denn sie sind mit der Wing Chun-Szene in Hong Kong bekannt oder noch andere Stile praktiziert haben.

Welche Stile in Fatsaan praktizieren Luk Sau?

Yip Man Wing Chun, Yuen Kei Saan/Sum Nung Wing Chun, Yiu Choi Wing Chun, Pan Nam Wing Chun, etc. Dass heisst, das "Fatsaan Wing Chun" grundsaetzlich diese Uebung macht - das heisst, die Linien, die sich auf Leung Jan beziehen.

Aber wieso dann auch die Yuen Kei Saan/Sum Nung-Linie, die sich ja nicht auf Leung Jan bezieht?

Die Antwort ist sehr einfach, aber die Anhaenger dieser Linie haben damit ein sehr grosses Problem...

Wenn diese Antwort kennt, ist es auch ziemlich absurd zu behaupten Yip Man haette von Yuen Kei Saan gelernt, auch wenn es nur ein bisschen Luk Sau waere.

Sollte man der Behauptung, die von einigen Leuten aus der Yuen Kei Saan-Linie kommt, als plausibel empfindet, sollte man sich unbedingt fragen, wie es denn sein kann, dass andere Schueler/Nachkommen von Chan Wah Shun Schulern, oder Leuten die bei Ng Chun So trainiert hatten, das Luk Sau haben. Yuen Kei Saan war bestimmt nicht der geheime Lehrer all dieser Leute...

:D

Interessanterweise, gibt es das "Luk Sau" offensichtlich (urspruenglich) das Luk Sau nicht im Wing Chun nach Yuen Chai Wan, und auch im Gulo Wing Chun (zumindest in der Wong Wah Saam-Linie) nicht. ABER alle Sifus dieser Linien, die ich persoenlich getroffen habe konnten es auf ihre Art und Weise sehr gut.

Einer diese Sifus meinte, es waere eine ganz normale situation, in der man sich manchmal befinden wuerde, wenn man Chi Sau praktiziert, also das man "rollen" (Luk) muss.


Ich denke mal, dass diese Uebung sehr bekannt wurde, und deshalb von vielen Leuten, die sie urspruenglich nicht hatten, in ihr System aufgenommen wurde. So wie es zum Beispiel in einigen Linien mit der Holzpuppe der fall war (im Yiu Choi und Gulo Wing Chun (Wong Wah Saam-Linie) gab es urspruenglich keine solche).


Viele Wing Chun Schulen praktizieren beides, also Luk Sau und Huen Sau - zu verschiedenen Zwecken.

MK erwaehnte eine interessante Tatsache, dass die heutige Generation (zumindest einige davon) Poon Sau anders praktizieren als seine Generation. Das ist sehr wichtig, wenn man verstehen moechte, was denn der urspruengliche Sinn des Poon Sau war, und wo es denn herkam.

Das jede Generation Dinge anders praktiziert, oder sogar verschiedene Lehrer derselben Generation auch, hat viele Ursachen und ist ein ganz normales Phaenomen. Wir mussen uns deshalb fragen, ob das Poon Sau, welches wir gelernt haben nun wirklich der urspruenglichen Idee entspricht, oder ob es eher eine bestimmte Auffassung davon ist, die von unserem Lehrer oder dessen Lehrer stammt.

Das fundamentale Problem hier ist dass jeder meint, die Version er/sie lernt und praktiziert sei die Original-Version. Ist das aber wirklich so?

Viele Unterschiede in den verschiedenen Versionen von Wing Chun (und Gung Fu ueberhaupt) ruehren daher, dass jeder Schueler - auch wenn sie alle die exakt selben Sachen lernen, exakt lange trainieren, usw. - verschiedene Auffassungen haben von dem gelernten, und je nach Character, Vorlieben usw. sich auf verschiedene Dinge spezialisieren und fuer sich weiter entwickeln.

Das heisst, wir koennen davon ausgehen, dass es irgendwan eine "Original-Idee" oder ein "Original-Konzept" des Luk Sau gab, das aber mit der Zeit und ueber die Generationen hinweg auf verschiedene Weise interpretiert wurde.

Was jetzt dieses Original-Konzept war ist muessig zu ueberlegen - das Wichtigste ist, dass die Uebung im Rahmen des Gesamtkonzeptes der jeweiligen Schule sinnvoll ist.

Wenn man untersucht, welche Stile denn jetzt urspruenglich Luk Sau hatten und welche nicht, ergibt sich folgendes Bild: Nur die Schulen, die irgendwie in Bezug auf Ng Chun So (Chan Wah Shun) stehen, hatten diese Uebung.

Obwohl, in Hong Kong habe ich etwas entsprechendes im Pao Fa Lien Wing Chun und Tang Yik Wing Chun gesehen...

:D

Welche Schulen haben denn Huen Sau, oder zumindest eine Art davon?

In Fatsaan und Gongjaau sind es:

Yiu Choi Wing Chun
Yuen Kei Saan Wing Chun
Sum Nung Wing Chun
Gulo Wing Chun (Sam Gau und Fung Lim-Linie, etc.)
Cho Ga Wing Chun

u.a.


Das Huen Sau, welches in den verschiedenen Schulen praktiziert wird, ist auch nicht ganz dasselbe. Verschiedene Schulen habe etwas verschiedene Theorien und Arten es zu praktizieren, in einigen ist es eine relativ einfach Uebung, in anderen komplexer und auch umfassender. Genau so wie es beim Luk Sau der Fall ist...

:)

Im Yip Man Wing Chun - auch in Fatsaan - wird kein Huen Sau als solches geuebt. Aber - und es ist dass, was Du erwaehnst, aber es gibt "Woon"/"Wun" Sau, also das "Wechseln der Haende", was man durchaus als eine (vereinfachte) Version des Huen Saus sehen kann.

Wir koennen also sagen, dass es im Yip Man Wing Chun durchaus das Potenzial/die Elemente gibt, ein Huen Sau zu praktizieren, aber das eine andere Form des Traininings, eben das Luk Sau, vorgezogen wurde.

Egal welche Schule, fundamentale Qualitaeten, die man im Luk Sau lernen soll, ist "Ga Lek", was heutzutage gerne "Struktur" genannt wird, "Vorwaertsdruck"/Angriffsintention, "Loi Lau Heui Sung - Lat Sau Jik Chung", etc. - auch im Leung Ting Wing Tsun!

Allerdings all das soll man auch im Huen Sau lernen...

Es ist also grundsaetzlich ein Fehler, wenn man einfach die Arme kreisen laesst, wie man es oft sieht.

Zur Frage wieso denn das Luk Sau von irgend jemandem als Grunduebung fuer Chi Sau prioritert wurde, so kann man nur mutmassen.

Ich persoenlich denke mal, es haengt mit dem setzten eines Bestimmten Fokus, das man dann entwickeln moechte. Im Yip Man Wing Chun, besonders in HK, wird immer davon gesprochen, dass alles immer nach vorne gehen muss, aber in anderen Linien spricht man davon dass Kraft zwar nach vorne geht, aber auch andere Komponenten beinhaltet. Der Schwerpunkt liegt also auf der Geraden als der Kurve.

(Sehr) vereinfacht dargestellt...

:)


MfG

Jesper Lundqvist
15-08-2020, 10:59
Alexa,

wenn man als Wing Chun-Geschichte-"Forscher" behauptet, Yuen Kei Saan waere der geheime Lehrer von Yip Man gewesen, ist man ein sehr, sehr schlechter Forscher, der ernsthaft an seiner "Due Dilligence" arbeiten muss, bevor er definitive Aussagen macht...

:D

MfG

Bücherwurm
15-08-2020, 11:57
Locke,

Wenn man sich ein bisschen auskennt, kann man sehen woher bestimmte Terminologie - und auch

(Sehr) vereinfacht dargestellt...

:)


MfG

:halbyeaha

:biglaugh:

Locke
15-08-2020, 12:52
Locke,Wenn man sich ein bisschen auskennt... (Sehr) vereinfacht dargestellt... MfG

Das nenne ich mal eine Aussage!
Ich habe auf ein paar Ideen und vielleicht auch Infos gehofft, aber habe ein Teaching bekommen.

Vielen Dank dass Du Dir die Zeit genommen hast Jesper Lundqvist


45703

Jesper Lundqvist
15-08-2020, 14:09
Locke,

es freut mich, dass ich Dir helfen konnte.

:)

MfG

Locke
15-08-2020, 17:31
Locke,

es freut mich, dass ich Dir helfen konnte.

:)

MfG

Gestatte mir bitte noch die Frage ob es geeignete Literatur gib um auf adäquatem Nivea tiefer in die Geschichtsforschung einzutauchen?

So ganz ist die Frage nach der Ursprünglichen Idee des Luk Sao für mich allerdings -leider- noch nicht vom Tisch. In einem Kontext in dem die Enthusiasten der damaligen Zeit auch "Griffkampf" praktizierten und das Chi Sao im allgemeinen bogiger war - also man im Training auch mit "hackenförmigen Problemen" umgehen musste ist für mein bescheidenes Verständnis Level die Faorisierung des Luk Sao nicht so ganz naheliegend. Allerdings bin ich mir sicher dass es für einen spezifischen Kontext Sinn gemacht haben muss. Die bisherigen Antworten befriedigen mich leider nicht... Du brauchst dazu natürlich nicht Stellung zu nehmen wenn das zu müssig ist Jesper, aber vielleicht kann ja jemand anderes etwas tiefer hierauf eingehen.

Du erwähnst auch folgendes: "Im Yip Man Wing Chun, besonders in HK, wird immer davon gesprochen, dass alles immer nach vorne gehen muss, aber in anderen Linien spricht man davon dass Kraft zwar nach vorne geht, aber auch andere Komponenten beinhaltet". Ausser im Kernspecht- System wurde (soweit ich weiss auch im Europäischen Karate vor der Jahrtausendwende) fast nirgends ein Fauststoss als echte Gerade favorisiert; weder im westlichen Boxen, den thailändischen oder philippinischen Stilen und Adam Hsu schreibt in "The Sword Polisher's Record" dass es das Wesen des Kung Fu sei dass es keine gerade Bewegung gäbe; und genau Betrachtet führen auch die alten Meister des Karate den Chuku Zuki bogenförmig aus. Liegt der Idee des geraden Fauststosses eher eine "frühe" westliche Fehlinterprätation zugrunde oder wurzelt diese Vorstellung in Hong Kong - da habe ich Dich nicht ganz eindeutig verstanden?

Beste Grüsse aus der Schweiz
Locke

Locke
15-08-2020, 17:36
@Locke:
Ich mache im September fast genau zu dem Thema hier in Bieleleld einen Lehrgang. Oder wenn Du da keine Zeit hast, können wir auch gerne mal einen anderen Termin ausmachen. Aber dann wäre mal die Möglichkeit, Dir ausführlich zu erklären, was man da wie und warum macht. Manchmal muß man fühlen, erfahren, ist halt mitunter sehr schwierig, extrem zeitaufwenidig und dann immer noch mißverständlich, Sachen in Worte zu fassen. Und 'nen Tee oder Kaffee gibt es noch dazu.

Das freut mich, dass Du mich einlädst Michael Kurth! Unter Umständen würde ich auch vielleicht die Einladung zu Deinem Lehrgang annehmen, aber mein Handgelenk ist kaputt (deshalb wurde ich überhaupt online aktiv!). Wenn die Sache ausgeheilt ist, werde ich aber wahrscheinlich mal eine kleine Tour machen, bei welcher Gelegenheit ich dann auch Deine Einladung dankend annehmen werde! ;)

Bis dahin beste Grüsse aus der Schweiz

Jesper Lundqvist
15-08-2020, 21:36
Locke,

woher stammt diese Idee:

"In einem Kontext in dem die Enthusiasten der damaligen Zeit auch "Griffkampf" praktizierten und das Chi Sao im allgemeinen bogiger war - also man im Training auch mit "hackenförmigen Problemen" umgehen musste"

Ich muss dazu sagen, dass es eine etwas falsche Vorstellung ist davon, wie Wing Chun - zumindest vom Ende des 20. Jahrhunderts und bis jetzt in China praktiziert wurde. Was das Vorlaeufer-Gung Fu, aus dem das Wing Chun entstand, angeht - so wie es fuer mich derzeit aussieht - ist diese Aussage auch unzutreffend.

Das praktizieren von einer Art "Griffkampf" ist und war nie ein Merkmal des suedchinesischen Gung Fus - gewiss, jeder Stil beinhaltet Tek Da Sat La, aber im Vergleich zu Stilen, die sich auf den Griff- und Wurfkampf spezialisieren wie z.B. "Suht Gau" besteht schon ein grosser Unterschied.

"Chi Sau" wurde nur von Wing Chun-praktiziert, allerdings gibt es in fast jedem Stil, egal ob noerdlich oder suedlich, Trainingsmethoden wo man mit und aus dem Kontakt arbeitet, aber das genaue wie und warum variiert(e) von Schule zu Schule.

Interessanterweise geht es bei vielen Lam Siulam-Stilen bei dieser Art von Training ueberhaupt nicht um das "Chi" - also das Kleben an sich. Es geht bei diesen Stilen darum, dass man mit Widerstand arbeitet, dabei ist Kontakt notwendig. Beispiele dafuer gibt es im Lam Tong Long, Choi Mok, etc.

Diese Uebungen sind nicht im besonderen masse "bogenfoermig", sondern sind einfach Kombinationen/Zyklen, wo man mit den Techniken des Stils arbeitet.

Im Wing Chun Chi Sau, sprich Luk Sau/Poon Sau und Huen Sau verhaelt es sich genau so.

Ich bin mir nicht sicher, was genau Du mit "hakenfoermigen Problemen" meinst...

Solltest Du damit Angriffe meinen, die einen zirkulaeren oder kreisfoermigen Angriffsvektor haben, dann musst Du nochmals bedenken was denn genau der Sinn des Luk Sau ist - ist es eine Trainingsmethode die dazu dient bestimmte Qualitaeten zu kultivieren oder ist es eine Art Uebung, wo man lernen soll sich gegen alle moeglichen Attacken zu verteidigen? Entsprechendes gilt fuer Huen Sau, so wie es im Wing Chun praktiziert wird...

Ueberhaupt, Huen Sau ist nicht besser dazu geeignet mit kreisfoermigen Angriffen umzugehen als Luk Sau es ist - und wie gesagt...

Ich habe seit Anfang der 1980er Jahre bis 1992 Karate in Europa praktiziert, gerade Angriffe waren da sehr normal, kurvige Angriffe, die man im (heutigen) Sportkarate sieht wurden damals als unsaubere und "sloppy" technische Ausfuehrung betrachtet. Im westlichen Boxen wurden - laut Lehrbuechern aus der Zeit - gerade Fauststoesse als Mass der Dinge angesehen, kurvige und runde Angriffe (bestimmte Arten) waren etwas, das Leute, die von der Kunst des Boxens keine Ahnung hatten, also untrainierte Schlaeger praktizierten. Ich habe Muay Boran in Bangkok gesehen, gerade Techniken waren da... Ich wurde den Choku Tsuki der Okinawa Karate-Meister jetzt nicht unbedingt als bogenfoermig beschreiben, aber die "historisch" korrekte Ausfuehrung des Fauststosses wird in der Karate-Szene diskutiert. Wobei, es gibt in Okinawa viele verschiedene Arten einen Fauststoss zu machen. Schau Dir mal die (auch die alten) Meister des traditionellen Karates in Japan an, da gibt es kaum etwas kreisfoermiges - T. Asai Sensei mal ausgenommen. Ich persoenlich hatte die Ehre auf Lehrgaengen von Kapazitaeten wie Morio Higaonna (Goju Ryu) und Shingo Ohgami (Wado Ryu) und anderen Meistern unterrichtet zu werden.

Das das Wesen des chinesischen Gung Fus sein solle, dass es keine geraden Bewegungen geben solle, halte ich persoenlich fuer Unsinn, eine Idee, die wohl eher philosophisch als praktisch begruendet ist - einfach zu beweisen: im Waffenkampf, aus dem sich die meisten der noerdlichen Stile ableiten, ist es tatsaechlich so, dsass bei vielen davon die wichtigste Angriffsmethode eine gerade ist, denke an einen Speer oder Langstock.

Der gerade Fauststoss im Wing Chun hat nichts mit einer Fehlinterpraetation oder so etwas zu tun, sondern ist eine logische Konsequenz dass eine gerade Linie zwischen zwei Punkten, die kuerzeste ist und - unter bestimmten Vorraussetzungen die bewegungsoekonomischte Moeglichkeit darstellt, den Gegner zu schlagen. Im Wing Chun ist die Begwegungsoekonomie schliesslich eines der Grundpfeiler des Systems. Deswegen ist der gerade Angriff egal von welcher Wing Chun Schule wir sprechen, die Hauptwaffe - das war schon immer so. Dazu koennte man noch viel mehr sagen, aber ich denke mal fuer eine Internetdiskussion reicht es.

Was ich meinte ist, das man in den meisten Wing Chun Stilen einen Punkt Angreift - das heisst dass die Kraft auf diesen Punkt ausgerichtet wird. Aber wenn die Kraft nur auf einen Punkt geht ist sie auch einfacher abzuwehren, deshalb sprechen einige Wing Chun Stile davon - nun einer zumindest, der mir bekannt ist - , das man nicht von einem Punkt, sondern einer Linie ausgeht. Stelle Dir folgendes vor: Jemand versucht Dich mit einem Speer zu treffen, um das zu verhindern must Du lediglich der Spitze, einem kleinen Punkt ausweichen. Wenn der Angriff nicht zu schnell ist, ist es relativ einfach diesem Punkt zu entgehen, mit einer Wendung oder Drehung des Koerpers, z.B. Aber wenn der Gegner Dich nicht mit der Spitze angreift, sondern mit dem ganzen Speer auf horizontaler Ebene, ist es nahezu unmoeglich dem Angriff auszuweichen, es sei denn man kann sich schnell genug aus der "Breite" des Angriffs entfernen oder weit genug nach hinten zuruckziehen. Um so eine Linie zu schaffen, braucht man zwei Punkte.

Es gibt - auch im Wing Chun, zumindest bei einigen Lehrern - den Spruch: "In jeder geraden Linie steckt ein Kreis, in jedem Kreis steckt eine (mehrere) gerade Linie(n)". Dieser wird haeufigst so umgesetzt, das jede Bewegung ein Mass an Rotation um ein Laengsachse beinhaltet, von manchen Lehrern "Che Lek", "Se Lek" oder einfach "Shuen Juen" genannt, jede Linie beinhaltet dieses Element, allerdings einige (viel) mehr als andere. Yip Man Wing Chun gehoert zu Gruppe derer, die dieses Konzept weniger nutzen. In der Yip Man-Linie gibt es dann auch noch verschiedene Schulen, die wiederum mehr oder weniger darauf Wert legen.

Ich vermute mal es kommt einfach daher, in welchem Umfang Yip Man beim Unterricht seiner verschiedenen Schueler wert darauf gelegt hat, und diese dann bei deren Schuelern.

Bedeutet nicht, das eines jetzt besser als das andere ist, sonder einfach dass es anders ist - gute Leute gibt es in jeder Schule, jedem Stil.


MfG

angHell
15-08-2020, 22:42
Danke mal wieder an Jesper für de infos:

Locke: Lies Dir doch mal diese threads durch, da hatte Jesper auch schon einiges geschrieben:

https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?163505-Why-we-chi-sau

https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?163434-Obasi-Schisau

Die alten Videos kannst Du Dir wenn es kurze Beiträge sind über die Suche ("youtube") oder über den Seitenquelltext raussuchen.
Um die ging es (in der Reihenfolge, falls es interessiert):
https://www.youtube.com/watch?v=EOG7SFLOoi4
https://www.youtube.com/watch?v=QoRpsV6RpPw
https://www.youtube.com/watch?v=UnehZy1sJSc

Alexa91
16-08-2020, 03:20
Alexa,

wenn man als Wing Chun-Geschichte-"Forscher" behauptet, Yuen Kei Saan waere der geheime Lehrer von Yip Man gewesen, ist man ein sehr, sehr schlechter Forscher, der ernsthaft an seiner "Due Dilligence" arbeiten muss, bevor er definitive Aussagen macht...

:D

MfG
Hallo Jesper,
das sehe ich auch so.
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.
Zeigt sie mir, dass ich mit meinen Gedanken gar nicht so falsch liege.
Liebe Grüße
Alexa

Locke
16-08-2020, 15:07
Locke ...

MfG

Hallo Jasper,
vielen Dank nochmal für die sehr ausführliche Antwort und dass Du Dir soviel Zeit hierfür nimmst.

Als aller erstes muss ich mich für ein falsches Zitat entschuldigen. Selbstverständlich hat Adam Hsu nicht geschrieben dass es das Wesen des Kung Fu sei dass es keine gerade Bewegung gäbe, sondern sinngemäss, dass es im Wesen des Kung Fu läge dass es keine Gerade gäbe. Ich gebe mir meistens Mühe schon recht präziese zu sein, aber anscheinend kann mir - besonders wenn mich das Thema interessiert - leider ist dann doch so eine Dummheit rausrutschen. Mein Wissen im Kung Fu ist im Allgemeinen recht bescheiden und was die nördlichen Stile angeht quasi nicht existent, aber zumindest bei Tan Yik (da kann ich mich leider nur auf Yutube Videos beziehen) kann ich in der Langstockarbeit keine eindimensionale Bewegung erkennen; bewegt sich der Stock eindimensional, dann bewegt sich der Körper so, dass die Bewegung als gesamtes wieder mehrdimensional wird.
Vielleicht wollte ich da ins Karate mehr Chan Si Jing reininterprätieren als letzten Endes da ist - wenn man sich ein rotes Auto kaufen will sieht man ja plötzlich auch nur noch rote Autos. Im Speziellen hatte ich an Masao Kawazoe gedacht; auf Youtube habe ich dann gesehen dass es so ist wie Du sagst, dass Morio Higaonna kerzengerade stösst; bei Shingo Ohgami bin ich mir da jetzt allerdings nicht so sicher, aber ich habe da wie gesagt nur Versatzstücke auf Youtube gesehen und keinen dieser Karategrössen jeh life erleben dürfen; zumal ich selbst ja auch nur Tae Kwon Do, und kein Karate praktiziert habe. ... "Nie" ist natürlich immer falsch! ;) ich hatte ja, glaube, ich davon gesprochen dass die Gerade im Boxen nicht fovorisiert wird; natürlich habe ich mich da wieder auf die wenigen Boxer bezogen die ich kenne und deren Stil mir gefällt wo ich glaube in jeder Geraden eine kleine Kurve erkennen zu können; vielleicht ist meine Sichtweise da auch etwas eingeschränkt.

Ich muss vielleicht zum Gesamtkontext erwähnen dass ich zwar ein 詠春- Fan bin, den 詠春- Stil allerdings nur sozusagen auf der Poon Sao Distanz favorisieren würde, wo er exzellent dazu geignet ist "durchzukommen", wobei dann allerdings gerade in dieser Stärke; der ausgeprägten Vorwärtsorientierung (wenn man es so sieht und sich auf das Durchkommen spezialisiert) gleichzeitig eine der grössten Schwächen des Stils liegt: die Anfälligkeit für Haken. Der Knackpunkt ist meiner Meinung ja gerade die Bewegung Bong zu Tan (wenn man es durch das Poon Sao betrachten möchte). Bei Leuten die sehr gut mit Hacken umgehen können verhält es sich mit dem Energiefluss häufig so wie mit einer Art Airbag der dreidimensional expandiert und dann aufnimmt; unabhängig davon wie die Technik letzten endes aussieht. Vielleicht befinde ich mich da auf dem Holzweg und das eigentliche Problem ist mein Erfahrungsschatz ;)

Aber auf einer philosophischen Ebene ist das worauf meine Frage eigentlich abzielte beantwortet! ;)

Im übrigen würde ich einem Satz von Dir besondere Bedeutungsschwere beimessen und ihn deshalb nochmal zitieren und ein dickes Ausrufezeichen dahinter setzen: "Bedeutet nicht, das eines jetzt besser als das andere ist, sonder einfach dass es anders ist - gute Leute gibt es in jeder Schule, jedem Stil"!


beste Grüsse und nochmals Danke aus der Schweiz
Marc

Locke
16-08-2020, 15:37
Danke mal wieder an Jesper für de infos:

Locke: Lies Dir doch mal diese threads durch, da hatte Jesper auch schon einiges geschrieben: ...


Danke für die Links angHell

Jesper Lundqvist
16-08-2020, 18:03
Hallo, Marc

Masao Kawasoe ist - soweit ich mich entsinne - ein Meister des (ehemaligen) Nihon Karate Do Kyokai (Japan Karate Association), bevor dem Nachfolgerstreit, der dem Tod von Masatoshi Nakayama. Eckiger und gerader geht es fast gar nicht...

Shingo Ohgami war ein excellenter Meister des Wado Ryu, ist allerdings leider vor ein paar Jahren verstorben.

In jedem Karatestil gibt es selbstverstaendlich "runde" Bewegungen, aber auch eben viele gerade Techniken, am haeufigst sehen wir den Tsuki (ob in der Choku, Guaku, Kizami, etc.), Technijen wie Nukite, Boshiken, etc. sind auch geradlinig.
Ich habe die Luk Dim Buhn Gwan Form von Tang Yik vor einigen Jahren in Hong gelernt, von Tang Chun Bak Sifu.

Ich habe die Forme von anderen Tang Suen Schuelern, bzw. Enkelschuelern hier in Fatsaan gesehen.

Tang Yik beherrschte den Langstock auf einem sehr hohem Niveau, allerdings ist die Form - und interessanter, die Prinzipien - was man typischen, oder "standard" suedchinesichen Langstock erkennen koennte, mit ein paar Eigenheiten. Die "Form" als solches ist nicht wirklich etwas besonderes, nur sehr lang und "umfassend".

In der Tang Yik Langstock-Form ist die primaere "Angriffsmethode" das "Cheung", also das "speeren" - ein gerader Angriff.

Das sich der Koerper bewegt usw. hat nichts damit zu tun, dass der Angriff auf einmal irgendwie "rund" wird, oder dass die Energie zu verschiedenen Punkten Gleichzeitig geht. Beim Langstock geht es genau um "einen" Punkt, aber dass ist hier schlecht zu besprechen.

Das man, wenn man eine Bewegung machen muss, die verschiedenen Segmente des Koerpers in eine passende Relation zueinander bringen muss, um diese Bewegung zu generieren, ist immer zutreffend - das hat an sich nichts mit einer multi-dimensionalen Bewegung oder Energie zu tun. Eben diese Koordination erzeugt eine gerade - oder auch kurvige - Bewegung und Energie auf einen Punkt konzentriert.

Wenn wir ueber Karate und auch Wing Chun sprechen, sollten wir uns nicht auf etwas, was eigentlich in dieser Form nur dem Chen Taijiquan zuzuordnen ist, orientrieren...

Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, zu verbinden und zusammenzubringen schaffen nur Verwirrung und falsche Vorstellungen.

Was das Zitat von Adam Hsu angeht, so spielt es keine Rolle, ob Du ihn wirklich falsch zitiert hast, oder auch nicht. Die Idee, dass gerade Bewegungen im Wesen vom chinesichen Gung Fu sind, ist immer noch - meiner Meinung nach - falsch.

Was sich anhand von unzaehligen Beispielen demonstrieren laesst.

Wenn Haken fuer Wing Chun Leute ein Problem sind, dann liegt das bestimmt nicht am Stil, sondern daran, wie er angewendet wird. Und dass es sich besonders im Luk Sau oder auf dieser Distanz, oder beim Wechsel von Bong zu Taan ein besonderes Problem sein sollte, so muss ich mich doch sehr wundern.

Expandierender Airbag und so...

Es klingt fuer mich als ob Du bestimmte Ideen, die mit Wing Chun (im klassischen Sinn) nicht wirklich etwas zu suchen haben, damit verbindest - oder auch die Anwendung bestimmter traditioneller Wing Chun Prinizpien nicht kennst oder sie zumindest nicht so interpretierst, dass sie dieses Problem loesen (koennen).

Aus meiner Warte, selbstverstaendlich.

MfG

Locke
16-08-2020, 19:17
Hallo, Marc

Masao Kawasoe ist - soweit ich mich entsinne - ein Meister des (ehemaligen) Nihon Karate Do Kyokai (Japan Karate Association), bevor dem Nachfolgerstreit, der dem Tod von Masatoshi Nakayama. Eckiger und gerader geht es fast gar nicht...

Hallo Jasper,
danke nochmals für die kluge Antwort.


https://youtu.be/4CNWuocVCJo

vielleicht irre ich mich da, aber mir schien es zumindest so als würde die "Energie" hier bei Kawasoe sozusagen über den Rücken, die Schulter und Ellenbogen Faust bogenförmig nach Vorne prozeziert. Vielleicht bin ich da zu detailverliebt oder hänge mich an Nebensächlichem auf. Ich muss auch einräumen dass ich auch andere Varianten auf Youtube finden kann wo der Fauststoss wirklich kerzengrade als Stoss zu sehen ist; vor allem bei langsamer Ausführung; vielleicht bin ich da auch etwas selektiv in meiner Wahrnehmung




Wenn wir ueber Karate und auch Wing Chun sprechen, sollten wir uns nicht auf etwas, was eigentlich in dieser Form nur dem Chen Taijiquan zuzuordnen ist, orientrieren...

Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, zu verbinden und zusammenzubringen schaffen nur Verwirrung und falsche Vorstellungen.

Ja, da magst Du recht haben. Ich gehe da bei meinen Überlegungen halt leider noch viel weiter und schaue mir an welche Konzepte (die Begriffe im Sinne von Worten sind da für mich unerheblich) Erfolg haben und im besten Fall weshalb sie sich durchgesetzt haben; im besten Fall, was die ursprüngliche Idee dahinter war. Dabei versuche ich halt gerade dieses Stildenken zu überwinden. Aber Du hast vollkommen Recht dass das für Verwirrung sorgen kann; im Allgemeinen sind 詠春 Leute aber in ihrer Sicht so gefestigt dass ich so etwas nicht befürchte!




Was das Zitat von Adam Hsu angeht, so spielt es keine Rolle, ob Du ihn wirklich falsch zitiert hast, oder auch nicht. Die Idee, dass gerade Bewegungen im Wesen vom chinesichen Gung Fu sind, ist immer noch - meiner Meinung nach - falsch.

Wie schon gesagt: "immer" ist sowieso nie richtig.



Wenn Haken fuer Wing Chun Leute ein Problem sind, dann liegt das bestimmt nicht am Stil, sondern daran, wie er angewendet wird. Und dass es sich besonders im Luk Sau oder auf dieser Distanz, oder beim Wechsel von Bong zu Taan ein besonderes Problem sein sollte, so muss ich mich doch sehr wundern.

Keinesfalls will ich den Stil an sich angreifen. Aber dass das so ist, das zeigen halt meine Beobachtungen. In einem Boxclub, beim JKD ober im Muy Thai Gym sind Leute mit moderatem Trainingsaufwand nach einigen Monaten oder wenigen Jahren in der Lage einigermassen adäquat (ist natürlich immer relativ) mit Haken umgehen können. ... die besten 詠春- Leute können das natürlich auch.



Expandierender Airbag und so...

Es klingt fuer mich als ob Du bestimmte Ideen, die mit Wing Chun (im klassischen Sinn) nicht wirklich etwas zu suchen haben, damit verbindest - oder auch die Anwendung bestimmter traditioneller Wing Chun Prinizpien nicht kennst oder sie zumindest nicht so interpretierst, dass sie dieses Problem loesen (koennen).

Aus meiner Warte, selbstverstaendlich.

MfG

Ja, das ist ganz genau so wie Du sagst! :)

Beste Grüsse nach China

45714

Jesper Lundqvist
17-08-2020, 09:03
Hi Marc,

Wie gesagt es geht bei Bogenfoermig um die "Trajectory" und damit die Energie und deren Richtung, nicht so sehr darum wie die verschiedenen Segmente des Koerpers - ausser das das Zusammenspiel dieser verschiedenen Segmente und deren Gelenke eben die Kraftrichtung bestimmen.

Wenn z.B. der Ellbogen bei einem geraden Fauststoss "herausfliegt" - auch bei Meistern wie Kawasoe Sensei - so ist das eben nicht ganz grundschulmaessig, sagen wir mal. Du sagst es ja selber, dass es wenn es langsam geht, etwas anders aussieht als bei einer schnellen Ausfuehrung.

:)

Allerdings, so etwas hat nichts mit "multi-dimensional" zu tun, wie ich es meine.


Stildenken und alles auf eine Art Meta-Ebene sehen zu wollen wird grundsaetzlich zu "falschen" Ergebnissen fuehren. Warum nach Gemeinsamkeiten suchen und darauf zu fokusieren, wenn sich die Essenz der jeweiligen Stile, sprich Interpretationen der Kampfkunst, eben gerade in den verschiedenen, Stil-spezifischen Auffassungen findet?

Um einen Stil und dessen Ideen zu verstehen, muss man auf das spezifische, was eben genau diesen Stil, diese Interpraetation zu dem macht, was er ist.

Eben wenn man Stildenken aufgibt wird alles eine graue Masse in der alles alles und eben auch nichts ist...

Wing Chun ist nicht Chen Taijiquan, es ist auch kein Weisser Kranich aus Fujian, etc. Um den Stil besser zu verstehen, sollte man ihn trainieren und analysieren anstatt auf potentielle Gemeinsamkeiten, die womoeglich eher zufaellig, im Rahmen von einer "Parallel-Entwicklung", etnstanden sind, zu fokusieren und alles moegliche in verschiedene Dinge hineininterpraetieren (zu wollen).

Ich denke, Du liegst leider ein bisschen falsch mit Deiner Einschaetzung.

Wing Chun hat sich - besonders im Westen - innerhalb der letzten 10 Jahre dramatisch veraendert. Eben wegen, behaupte ich mal, einem missverstandenen "Konzeptdenken", imaginaere Verbindungen und Zusammenhaenge, die gaenzlich unrealistisch sind, wenn man sie auch nur ein bisschen naeher untersucht, etc.

So sehen wir, das Wing Chun auf einmal "Chinesisches Boxen" und weil man halt "Prinzipien" anwendet, es genau so aussieht und angewendet wird wie... westliches Boxen!

Oder auf einmal sprechen Wing Chun Leute davon, das Wing Chun eine innere Kampfkunst sei, und dass der Sinn von Chi Sau das Kontrollieren des Gegners ist, etc. wobei Ideen des Taijiquan Tushou wie z.B. Hua Jin, Na Jin, Ting Jin, Nian Jin, und so weiter die wahre Essenz des Wing Chun Chi Saus sein soll.

Welches historisch gesehen, und auch aus einer Wing Chun phylogenetischen Perspektive, grotesker Unsinn ist.

Nur weil einige ueber Loi/Noi Gung zu sprechen, oder dass begeisterte Wing Chun "Forscher" in einigen der Kuen Kuit, von denen man faelschlicherweise annimmt, sie seien "original" oder urspruenglich, die aber in Wirklichkeit nicht wirklich dies sind, begriffe finden, wie sie auch in der Litteratur und Praxis der noerdlichen inneren Stile existieren, heisst das noch lange nicht, dass dasselbe gemeint ist.

Leider sind sehr viele Wing Chun Enthusiasten viel zu leicht von Unsinn zu ueberzeugen, und so Buergern sich fremde Begriffe und Ideen ins Wing Chun ein - wie "Dap Sau", z.B.

Und auf einmal ist Wing Chun alles andere als Wing Chun...

Deine Beobachtungen...

Was siehst Du denn genau, was Dich davon ueberzeugt, das Wing Chun Leute nicht mit runden Angriffen umgehen koennen?

Wing Chun Leute, die im sportlichen Wettkampf oder Boxmaessigen Sparring von kurvigen Angriffen KO gehen?

Dann must Du Dich grundsaetzlich Folgendes fragen:

Was ist der grundsaetzliche Unterschied zwischen westlichem Boxen/Sportkampf und das, was man im Wing Chun erreichen moechte?

Und wie genau will man das umsetzen?

Was wir so oft auf Youtube sehen, sind Leute, die versuchen mit Wing Chun zu Boxen...

Es ist schade, dass offensichtlich so viele Leute, auch solche, die Wing Chun praktizieren, dies leider nichts zu verstehen scheinen. Anstatt zu ueberlegen, ob sie ihr Wing Chun nicht falsch anwenden, konkludieren sie, dass man es "adaptieren" muss, so dass es auch im Sparring klappt - und Voila! Wing Chun ist auf einmal westliches Boxen.

:/

Es ist auch schade, dass so viele Leute ein basales Wing Chun Konzept anscheinend nicht verstehen - man kuemmert sich nicht um Techniken, die der Gegner anwenden koennte, sondern um den Gegner als ganzes.

Daher ist es aus Wing Chun-Sicht sehr merkwuerdig darueber zu diskutieren, ob man mit einer bestimmten Technik umgehen kann oder nicht.

Und ueberhaupt, koenne Boxer, JKD Leute, etc. wirklich besser mit runden Angriffen umgehen? Werden sie nicht von solchen Angriffen ausgeknockt?

Ich behaupte mal, das auch Wing Chun Leute, wenn sie denn wirklich den Stil anwenden (koennen) wie und wozu er gedacht ist, nach relativ kurzer Zeit mit ihrem Gegner adaequat umgehen koennen.

Ein haeufiger Denkfehler bei sowohl Leuten, die Wing Chun praktizieren, und auch solchen, die es nicht tun, ist, dass es anscheinend vergessen wird, dass Wing Chun kein ultimatives Mittel ist. Es ist einfach eine Methode, ein Ansatz, der funktioneren kann oder auch nicht - je nach der Faehigkeit des Ausuebenden ihn anzuwenden und der Faehigkeit des Gegners seine Methode anzuwenden.

Es gibt keine Garantien...

Leider...

:D

MfG

Locke
17-08-2020, 19:11
Hallo Jasper

nochmal Danke dass Du es ermöglichst dass ich sozusagen Gedanken hier in den öffentlichen Raum projeziere, die Du dann korrigiert zurückspiegelst. Ich schätze dass für manch andere User dieser Thread nützlich ist; ich habe schon Rückmeldung von Leuten erhalten die mitlesen und sich freuen. Wenn es Dir zuviel wird, einfach Bescheid geben und ich würde es in dem Fall dann auch dabei bewenden lassen.
Dass Du recht breite und tiefe Kenntnis des 詠春 hast, daran zweifele ich nicht, wenn Du ein Enthusiast bist und in China lebst. Ich bin selbst jedes Jahr für ein paar Monate auf den Philis und kenne den Unterschied zwischen Ost und West in Sachen Kampfkunst und Lehre; zu China ist der Kontrast wahrscheinlich nochmals deutlich grösser.

Ich bin wieder ein Stück zurückgegangen, zu dem Punkt wo Du über die Gerade und die Bewegungsökonomie geschrieben hast. Das Prinzip ist das gleiche, wie es mir vermittelt wurde als ich begann 詠春 vor über 30 Jahren zu lernen. Da Du speziell Taijiquan und Weisser Kranich erwähnst, denke ich dass Du auf einen der grossen Player auf dem 詠春 "Markt" anspielst, und Du hast: ich hole mir von vielen Seiten Anregungen, aber ich bin weder Mitglied in der IWKA, noch in der EWTO. Auf die Fährte die Du beschreibst kann man einerseits leicht gelockt werden, da ja die beiden grossen Player mit ähnlichen Strategien auf dem Markt agieren. Allerdings muss man beiden zugute halten, dass sie im Prinzip zugeben Hybrid- Stile zu sein (auch wenn sie gleichzeitig ein paar Nebelkerzen werfen). Quellenforschung ist von Europa aus schwer! Du hast absolut recht; die Mutationsgeschwindigkeit des 詠春 im Westen ist (in dem Zeitraum in dem ich es beobachte) schwindelerregend; das gilt aber auch für andere Stile. Ich frage mich allerdings ernsthaft wie die Mutationsgeschwindigkeit früher war. Sowieso bin ich auf keinen Fall bestrebt den heiligen Gral des "authentischen" Wing Chun zu finden; ich interessiere mich für die Fähigkeiten der Meister und 詠春 Meister - keine konservative Betrachtungsweise, aber auch nicht unbedingt so jung. ... ach so; daneben bin ich halt eben auch ein Nerd und wüsste wirklich mehr über die Geschichte, soweit sie bekannt ist ;)

Bezüglich der Youtube Beispiele sind wir einer Meinung; und falls sich gesagt habe das Wing Chun Leute nicht mit runden Angriffen umgehen können, dann tut mir das Leid; was ich meinte ist dass Wing Chun Leute in der Regel viel schlechter mit runden Angriffen umgehen können viele andere Stile. Meine Beobachtungen dazu, nach denen Du fragtest rühren weniger von Youtube her, sondern von ein oder zwei Gelegenheiten bei denen ich mich mit Vertretern unterschiedlicher Stile; auch Wing Chun austauschen konnte. Letzten Endes hast Du aber recht; man sollte den Gegner als Ganzes sehen und nicht eine bestimmte Technik, aber die Technik "Haken" ist ja auch irgendwie pars pro toto für rundes Arbeiten, oder nicht?

Dein letzter Post habe leider mal wieder eine Frage aufgeworfen die letztens hier diskutiert wurde: nämlich dem Konzept von internal vs external. Der Konsens am Ende der Diskussion war - wenn ich mich recht erinnere - dass das Konzept dieser Unterscheidung sozusagen ein Fehler sei. Du hast den Begriff internal ja auch verwendet, jedoch um eine "Fehlinterprätation" aufzuzeigen. Gibt es für Dich eine Unterscheidung in "Internal" und "external"; ohne dass mit diesen Begriffen eine Wertung verbunden wäre. Siehst Du Komponenten dessen, was man im Westen oft unter internal versteht auch im Wing Chun?

Wie schon so oft, ist Dein letztes Statement wieder eine Quelle der Weisheit!

Beste Grüsse
Locke

kanken
17-08-2020, 22:43
Und so unsinnig ist Dap Sao höchstens bei oberflächlier Betrachtung; das mit "sinnlosem Wechsel von aussen nach innen" abzutun ist so ähnlich wie BJJ mit sinnlosem Wälzen am Boden abzutun; natürlich wälzt man sich am Boden, aber das ist nicht die Essenz des BJJ! Natürlich ist der Wechsel nicht die Essenz des Dap Sao sondern eine rein optische Beschreibung

Ich weiß, es ist wieder kein WC, aber wir haben heute mal ein kleines Video gemacht um zu verdeutlichen wozu der Wechsel der Hände von Innen nach Außen bei den Schwertanwendungen gebraucht wird.

Ist lediglich eine einzige Basisanwendung aus dem Lion in ein paar Variationen (tief-hoch-nah-Seitenwechsel-Schritt zurück), aber das Grundprinzip der linken Hand ist immer ein Wechsel von Innen nach Außen.


https://youtu.be/vDyQAW6wjEk

Das kann man natürlich dann auch unbewaffnet über und nutzen.

Michael Kurth (M.K.)
18-08-2020, 08:01
Mit und ohne Waffen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Schwer, damit diesbezüglich etwas zu be- oder widerlegen.
Ist Eure Stand- Fußarbeit so eigentlich in Prozeß oder schon abgeschlossen?

Alephthau
18-08-2020, 08:32
Hi,


Selbstverständlich hat Adam Hsu nicht geschrieben dass es das Wesen des Kung Fu sei dass es keine gerade Bewegung gäbe, sondern sinngemäss, dass es im Wesen des Kung Fu läge dass es keine Gerade gäbe.

Ich denke mal Du meinst die Stelle wo es um Chan Si Jin geht! ;)

Das hat mit "Geraden" und "Kurven" nichts zu tun, sondern geht um eines der vielen "Jin" (Kraftentwicklungen/quellen), in diesem Fall spiralförmige Bewegungen durch den ganzen Körper.

Mit Chan Si Jin nutzt man mehr Muskeln bei einer Bewegung und verlängert so förmlich den Weg, man könnte auch ganz platt sagen "Man holt mit dem ganzen Körper aus!".

Ich hoffe ich habe halbwegs verständlich erklärt! :)

Gruß

Alef

P.S.

Speer und Langstock sind prädestiniert für die Entwicklung von Chan Si Jin

kanken
18-08-2020, 08:33
Ist Eure Stand- Fußarbeit so eigentlich in Prozeß oder schon abgeschlossen?

In dem Video ist keine spezielle Stand-, oder Fußarbeit zu sehen. Der Schritt rückwärts ist auch weder Stand, noch Fußarbeit, sondern lediglich Raumarbeit.

Es ging lediglich darum den Einsatz der Hand von Innen nach Außen zu veranschaulichen. Was man an Schrittarbeit macht, bzw. vor allem wofür man sie nutzt ist da nicht ersichtlich.

Jesper Lundqvist
18-08-2020, 08:49
Marc,

was die Mutationsgeschwindigkeit im Wing Chun angeht, wuerde ich Folgendes sagen:

In Fatsaan, Gongjaau und Hoksaan habe ich Leute gesehen, die in 1930ern, 40ern 50ern, 60ern, 70ern, 80ern, etc. Wing Chun gelernt haben.

Letztes Jahr hatte der Dachverband des Wing Chun in Fatsaan im Rahmen einer grossen Wettbewerbsveranstaltung die aeltesten der Wing Chun-Praktizierenden eingeladen, etwas von ihrem Gung Fu zu zeigen. Dies war der Startschuss fuer ein Projekt, welches das Ziel hat die Geschichte und Entwicklung des Wing Chun hier zu dokumentiere n, die aeltesten werden interviewt, gefilmt, usw.

Wenn man die Schueler von z.B. Gwok Fu, die in den 1950ern und 1960ern mit denenen, die von seinem Sohn in den 80ern und 90ern unterrichtet wurden - und ach heute, ist es nahezu das gleiche.

Pan Chau Sifu hat 1946 angefangen, von Sum Nung Wing Chun zu lernen und ist der einizge noch lebende Schueler aus dieser Zeit, sein Sohn, und dessen Schueler praktizieren auch heute noch genau dasselbe Wing Chun, was Pan Sifu damals von Sum Nung gelernt hatte.

Es gibt natuerlich innerhalb der verschiedenen Linien unterschiede, die sich mit der Zeit entwickelt haben, z.B. haben einige Meister in der Yiu Choi-Linie eine Holzpuppenform entwickelt, oder von anderen Stilen importiert, da es urspruenglich in dieser Linie keine Holzpuppenform gab.

Aber!

Die Unterschiede sind nicht so gross, wie es vielleicht auf den ersten Blick aussieht.

Besonders in den fruehen Jahren, war Wing Chun in Fatsaan ein sehr homogener Stil.

Die Mutationsgeschwindigkeit war also recht langsam.

:)

Ich hatte nicht wirklich einen bestimmten Verband oder verschieden Meister im Sinn, es war einfach eine allgemeine Beobachtung. Es gibt viele, die auf den "Bandwagon" gesprungen sind...

Und es gibt auch viele, die im Wing Chun - was fuer mich zu sehr nach "Confirmation Bias" aussieht - Bak Hok Kuen sehen (wollen).

Aber das ist eine andere Geschichte.

:)

Was "innere" und "aussere" Kampfkunst angeht, so bin ich der Meinung, dass es unsinnig ist, Kamfpkunst so kategorisieren zu wollen. Es gibt viel Vorstellungen davon, was genau damit gemeint ist...

Ich bin nicht ein Fan von schwammiger Theorie, die Dinge, die im Kern sehr einfach Sinn, zu etwas kompliziertem und damit letzten Endes praktisch unbrauchbar machen.

Theorie und Philosophie ist gut, solange sie Sinn machen und dem Praktizierenden helfen, praktische Faehigkeiten zu entwickeln.

Es gibt zu viele, auch "Experten", die sich auf Theorien und Philosophie beziehen, die sie - meiner Meinung nach - nicht wirklich verstehen.

Wie ich es sehe, ist das, was von vielen Leuten als "inneres" und "aeusseres" Bezeichnet wird, einfach eine Art des Trainings, in der modernen Sportwissenschaft wuerden wir es Training mit einem "inneren" und "aeusseren" Fokus nennen.

Im Wing Chun gab es keine Tradition, "inneres" Training, wie es zum Beispiel in Taijiquan, etc. praktiziert wird. SLT war nie so etwas wie das Training von Jaam Jong, oder solches.

Einfach gesagt.

:D

MfG

Michael Kurth (M.K.)
18-08-2020, 14:02
In dem Video ist keine spezielle Stand-, oder Fußarbeit zu sehen. Der Schritt rückwärts ist auch weder Stand, noch Fußarbeit, sondern lediglich Raumarbeit.

Es ging lediglich darum den Einsatz der Hand von Innen nach Außen zu veranschaulichen. Was man an Schrittarbeit macht, bzw. vor allem wofür man sie nutzt ist da nicht ersichtlich.

Kann man das denn trennen? Also Hand und Fuß?

kanken
18-08-2020, 14:07
Natürlich. Fußarbeit ist etwas anderes als Beinarbeit und beides ist etwas anderes als die Arbeit mit den Händen. Körperarbeit ist dann nocheinmal etwas anderes.
Letztlich kommt natürlich alles zusammen, aber man sollte schon wissen was man, warum, wie und wo nutzt.
Zum Üben kann/muss man das natürlich separieren und einzeln üben. Später nimmt man es mehr und mehr zusammen. Ist halt Teil des didaktischen Konzeptes.

Was man sagen kann ist dass die Handarbeit und die Fuß- /Beinarbeit über die Körperarbeit miteinander verbunden sind. Dennoch kann man es natürlich einzeln üben, da man die Körperarbeit eh nicht wirklich von außen sehen kann.

Michael Kurth (M.K.)
18-08-2020, 16:29
Hm, da hab ich wohl ein anderes diesbezügliches Verständnis.

Locke
18-08-2020, 20:00
Hi,



Ich denke mal Du meinst die Stelle wo es um Chan Si Jin geht! ;)

Das hat mit "Geraden" und "Kurven" nichts zu tun, sondern geht um eines der vielen "Jin" (Kraftentwicklungen/quellen), in diesem Fall spiralförmige Bewegungen durch den ganzen Körper.

Mit Chan Si Jin nutzt man mehr Muskeln bei einer Bewegung und verlängert so förmlich den Weg, man könnte auch ganz platt sagen "Man holt mit dem ganzen Körper aus!".

Ich hoffe ich habe halbwegs verständlich erklärt! :)

Gruß

Alef

P.S.

Speer und Langstock sind prädestiniert für die Entwicklung von Chan Si Jin

Danke Alef,

Ich denke dass ich mir lieber sehr zurückhaltend damit bin zu versuchen Adam Hsu auszulegen; er ist ja nicht hier um mich zu korrigieren. Wenn ich mich recht erinnere hat er diesen Punkt neben dem Chan Si Jin gesondert aufgelistet (ich habe es leider im Moment nicht vor mir). Naja, für mein Verständnis sind ja Spiralbewegungen auch kleine Kreise. Tatsäch hatte ich bei meiner Frage auch die etwas weitergefassten konzeptionellen Unterschiede im Hinterkopf (daher auch das Karate Beispiel, welches weit hergeholt scheint), aber ich wollte keinesfalls eine philosophische Debatte über einen epischen Gerade - Kreis - Kontrast provozieren.

Eigentlich hatte ich den wahren Nutzen der Langstockarbeit in unserer Zeit tatsächlich auch schon darin gesehen die Körperarbeit zu verbessern, wovon ich Chan Si Jin ein Teilgebiet ist; meiner Meinung nach drängt sich die Ganzkörperarbeit geradezu auf, wenn man mit dem Langstock trainiert . Daher ist das sehr interessant dass Du das nochmals hier explizit schreibst. Ich vermute mal dass die Wing Chun Langstockexperten auch ihre Körperarbeit durch den Langstock trainieren, aber nochmal eine recht spezifisches Konzept davon haben. Liege ich da richtig Jasper.

Locke
18-08-2020, 21:54
Mit und ohne Waffen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Schwer, damit diesbezüglich etwas zu be- oder widerlegen.
Ist Eure Stand- Fußarbeit so eigentlich in Prozeß oder schon abgeschlossen?

Be- oder wiederlegen lässt sich damit vielleicht nichts; vor Allem wenn es um Wing Chun im Speziellen geht, ich denke aber dass man in dem Video zerkennen kann dass es im Klingenkamf des Bagua ein Konzept gibt, welches in unser Thema passt, und welches sich sowohl im Europäischen, als auch im Philippinischen Klingenkampf genau so wiederfindet - also sozusagen ein Erfolgsrezept darstellt.

Locke
18-08-2020, 22:05
Und es gibt auch viele, die im Wing Chun - was fuer mich zu sehr nach "Confirmation Bias" aussieht - Bak Hok Kuen sehen (wollen)

Hallo Jasper, wie geht's?

Naja, es gab da ja mal so eine "Schöpfungsgeschichte". Vielleicht als Metapher, vielleicht aus einer Sektlaune heraus, aber den Reiz der Ursprungsforschung kann ich sehr gut nachempfinden. Verwandschaften wird es sicher geben: Enthusiasten hatten sich immer verglichen und ausgetauscht; das ist unsere Natur. Du scheinst ja recht eloquent; spielst Du denn mit dem Gedanken vielleicht etwas strukturierte Abhandlungen zu veröffentlichen? Der grosse Wing Chun Markt gäbe das her, vermute ich und ich würde Dich wahrscheinlich auch mit dem Kauf eines Exemplars unterstützen! ;)

schöne Grüsse

Michael Kurth (M.K.)
19-08-2020, 07:25
Be- oder wiederlegen lässt sich damit vielleicht nichts; vor Allem wenn es um Wing Chun im Speziellen geht, ich denke aber dass man in dem Video zerkennen kann dass es im Klingenkamf des Bagua ein Konzept gibt, welches in unser Thema passt, und welches sich sowohl im Europäischen, als auch im Philippinischen Klingenkampf genau so wiederfindet - also sozusagen ein Erfolgsrezept darstellt.
Verstehe Deine Aussage nicht. Was läßt sich da nicht nicht be- oder widerlegen? Daß Kämpfen mit Waffen etwas anderes ist, als ohne Waffe?? Dann krieg mal nur einen Streifer von einer Faust (leeren Hand) und dann von einer Waffe ab. Da ist Dir der Unterschied dann ganz schnell klar.
Allein dadurch ergeben sich schon garvierende Unterschiede in der Sinnhaftigkeit oder Unsinnhaftigkeit bestimmter Fußarbeitskonzepte.
Und zum Theme 'paßt zum Thema'....stecke ich die Parameter nur weit genug, paßt irgendwie alles.
Chinesisches KungFu, jap.KK, europäische KK, philippinische KK....wow, Du kommst ja viel rum.

Jesper Lundqvist
19-08-2020, 09:03
Hi Marc,

Zur Arbeit mit dem Langstock:

Warum haben Wing Chun-Leute den Langstock praktiziert? Warum haben andere Stilisten es getan?

War der Langstock ueberhaupt - soweit wir es sagen koennen - ein originales Element im Wing Chun-Stil?

Was hat der Langstock - und das Trainieren damit - wirklich mit dem Waffenlosen-stil zu tun?

Ist es wirklich so, dass das arbeiten mit einer Waffe eine bestimmte Koerpermechanik entwickelt, die sich dann so auf das waffenlose System uebertragen laesst?

Ist das wirklich das, obwohl es eine beliebte und weit-verbreitete Idee ist, die schon seit Generationen so propagiert wird, so?

Meine Fragen, sollten Dir genug Hinweis sein, in welche Richtung ich denke.

:)

Und...

Langstock-Experten im Wing Chun, nun da habe ich wirklich sehr, sehr wenige gesehen, denn dazu traineren sie fuer gewoehnlich viel zu wenig damit.

Die absolut besten (Lang) Stock-Praktiker, die ich gesehen habe waren nicht (nur) Wing Chun-Praktizierende. Hier schliesse ich die "Weng Chun" Leute mit ein.

Es gibt noch Doerfer hier, wo die Kinder seit einem sehr fruehen Alter lernen mit dem Langstock zu kaempfen, und die es dann, so lange sie im Dorf bleiben bis zum Tag ihres Todes trainieren.

Diese Leute trainierten nie mit Waffen, um eine besondere Koerperarbeit zu entwickeln, sonder einfach, um den Stock als effektive Waffe im Kampf, zur Verteidigung des Dorfes, des Klans, der Familie, des Geschaefts, einsetzen zu koennen.

Ich habe ein paar solcher sollte darauf hingehend gefragt...

Schon interessant zu hoeren, was Leute, die noch ihre alten Traditionen am Leben erhalten, ueber "modernere" Ideen denken.

:)

Zur "Legende des Wing Chun":

Eben diese Legende - und deren weitverbreitetheit und das Akzept, das sie bei vielen Wing Chun-Anhaengern, geniesst, ist ein grosses Problem und die Wurzel dieser von mir angesprochenen "Confirmation Bias".

Lustigerweise wuerde niemand die Idee bekommen, dass der Wing Chun-Stil von einem Weissen Kranich und Schlangen-Stil kommen sollte, wenn sie die Geschichte nicht kennen wuerden.

Ich habe da einige Experimente gemacht...

:)

Das sich Leute ausgetauscht haben, und - noch wichtiger - in den alten Tagen immer mehr als nur einen Stil trainierten bedarf keiner Frage.

Aber, wieso muss es denn ubedingt der Weisse Kranich (den es eh in Gott weiss wie vielen Versionen gibt, vielen mehr als den bekannten fuenf oder sechs Stilen, die man in Fujian, Taiwan und auch im gewissen Umfang in HK finden kann?

Die Kraftgenerierung, die Formen, etc. so viel anders als das Wing Chun - ein paar Aehnlichkeiten in den Techniken, oder ein paar aehnliche/gleiche Namen, bedeuten da nun wirklich gar nichts.

Vom Schlangen-Stil gar nicht zu sprechen...

Die Leute, die dieser Theorie froehnen, scheinen zu vergessen, nicht zu wissen, oder zu ignorieren, dass es schon in Guandong Kranich und Schlangenstile gab, solche aus Fujian sind also gar nicht notwending.

Interessanterweise gibt es im Wing Chun absolut nichts, was man nicht schon im Hung Kuen (Lo Hung Kuen/Fa Hung Kuen/Siu Hung Kuen - nicht das von Wong Fei Hung/Lam Sai wing) hatte.

Ist es plausibel, dass man einen Stil aus "fremden" Elementen schafft, der dann im Prinizp und auch im Aussehen nichts anderes ist, als etwas, das es schon in existierenden lokalen Stilen gibt, oder sich daraus ableiten laesst?

Oder ist es nicht doch plausibler, dass er so aussieht, solche Elemente enthaelt eben weil er aus den schon vorhandenen Stilen entstanden ist?

Wenn man solche Dinge nicht weiss, oder kennt, ist es natuerlich kein Wunder, dass man die Geschichte von einem Mix aus einem Kranich-Stil und etwas anderem als Ursprung des Wing Chun sehen moechte.

Eine ganz entscheidende Frage ist, wann denn genau die Geschichte, dass Ng Mui (oder in manchen Versionen auch Yim Wing Chun) einen Kampf zwischen einem Kranich und einer Schlange sah und daraufhin den Stil, der spaeter als Wing Chun bekannt wurde kreierte.

Ist das eine Geschichte, die schon am Anfang des 20en Jahrhunderts so erzaehlt , wurde, oder ist es erst etwas, das spaeter beliebt und dann von vielen Leuten einfach als ihre Geschichte akzeptiert wurden, weil sie keine hatten?

In den 1950ern wurde in einer Hong Konger Zeitung verschiedene Artikel ueber Wing Chun gedruckt, in einigen davon wurde die Geschichte der Nonne, etc. geschrieben, in anderen eine etwas andere Version - naemlich die, die von den "Weng Chun Leuten erzaehlt wird, d.h. der Stil kommt aus dem "Wi(e)ng Chun Dim" des suedlichen Siulam-Klosters kommen soll.

Interessanterweise wird eben genau diese Version der Geschichte des Original-Dokuments des Sae Hok Wing Chun (Schlangen/Kranich Wing Chun)s, dass von einem gewissen Law Tai (Tiu) Wan irgendwann in den 1890ern niedergeschrieben wurde genannt.

Dies bedeutet bei weitem nicht, dass dies die authenthische Geschichte des Wing Chun-Stils ist, sondern nur dass es dokumentiert ist, dass zumindest eine der damaligen Wing Chun-Linien sich nicht auf Ng Mui und Yim Wing Chun berief, keinen Konflikt zwischen einem Kranich und einer Schlange, etc.


Ich denke mal, dass es ein sehr grosser Fehler ist, den Ursprung in mehr oder wenig phantastischen Maerchen, die nichtmals mit grosser Sicherheit als urspruengliche/spezifische Wing Chun-Maerchen identifiziert werden koennen, suchen zu wollen, auch wenn es nur eine spezifische Elemente sind, die dann re-interpraetiert werden, um die Theorie plausibel zu machen.


MfG

Locke
19-08-2020, 11:59
Verstehe Deine Aussage nicht. Was läßt sich da nicht nicht be- oder widerlegen? Daß Kämpfen mit Waffen etwas anderes ist, als ohne Waffe?? Dann krieg mal nur einen Streifer von einer Faust (leeren Hand) und dann von einer Waffe ab. Da ist Dir der Unterschied dann ganz schnell klar.
Allein dadurch ergeben sich schon garvierende Unterschiede in der Sinnhaftigkeit oder Unsinnhaftigkeit bestimmter Fußarbeitskonzepte.

Naja, wenn Du das "Kämpfen" im Allgemeinen betrachtest, da sind der Waffenkampf und der waffenlose Kampf natürlich nicht getrennt, sondern ineinanderfliessend; das kann man überall dort beobachten wo "Kämpfen" eine gewisse Relevanz hat. Das wird einem auch sehr schnell klar wenn man sich selbst mal in einem sozialen Kontext bewegt hat, in welchem ein echter Kampf eine realistische Möglichkeit ist. Die Fussarbeit (das Konzept "Raumarbeit" mit den Füssen muss mir Kanken erst noch erklären) würde ich jetzt auch deutlich anders machen als in dem Video, aber für mich war jetzt primär die linke Hand von Interesse.


Und zum Theme 'paßt zum Thema'....stecke ich die Parameter nur weit genug, paßt irgendwie alles.
Chinesisches KungFu, jap.KK, europäische KK, philippinische KK....wow, Du kommst ja viel rum.

Ja, das stimmt genau!
Ein sehr Erfahrener hat mir mal gesagt: "one's secret is another one's basic" und ein anderer soll mal gesagt haben "Absorb what is useful, discard what is useless and add what is specifically your own" aber wer weiss schon ob die wussten wovon sie reden.

Michael Kurth (M.K.)
19-08-2020, 12:43
Naja, wenn Du das "Kämpfen" im Allgemeinen betrachtest, da sind der Waffenkampf und der waffenlose Kampf natürlich nicht getrennt, sondern ineinanderfliessend;
Klar, so gesehen hast Du natürlich recht. Aber in Bezug auf Konzept und dadurch Didaktik, gibt es klare Unterschiede.

aber für mich war jetzt primär die linke Hand von Interesse.
Hm, ok. Ist mir dann offen gesagt irgendwann zu isoliert theoretisiert.

Ein sehr Erfahrener hat mir mal gesagt: "one's secret is another one's basic" und ein anderer soll mal gesagt haben "Absorb what is useful, discard what is useless and add what is specifically your own" aber wer weiss schon ob die wussten wovon sie reden.
Jau, aber manchmal ist Reden und Denken nichts und Handeln alles.

Locke
19-08-2020, 22:33
Klar, so gesehen hast Du natürlich recht. Aber in Bezug auf Konzept und dadurch Didaktik, gibt es klare Unterschiede

Ja, natürlich gibt es die, aber ich hatte mich halt eher auf die Gemeinsamkeiten bezogen, die es halt auch gibt; in manchen Stilen vielleicht mehr als in anderen



Hm, ok. Ist mir dann offen gesagt irgendwann zu isoliert theoretisiert

Na gut, aber das war ja das eigentliche Thema, oder? Wobei sich der Thread inzwischen auch ziemlich interessant weiterentwickelt hat


Jau, aber manchmal ist Reden und Denken nichts und Handeln alles.

Manchmal? Sehr sehr oft zählt Handeln mehr als Reden. Aber der These dass Denken nichts sein soll; kann ich mich beim besten Willen nicht anschliessen ;)

Locke
19-08-2020, 23:19
Naja, dass Waffen im Allgemeinen zu Kämpfen benutzt wurden, liegt auf der Hand; das ist die Essenz dessen, was eine Waffe ist. Dass sich Körpermechanik und auch Konzepte durch das Üben mit Waffen verändern und verbessern können, das halte ich jedoch für genau so offensichtlich. Dass der Nutzen des Langstocks für eine Verbesserung der Körperarbeit im Wing Chun recht begrenzt ist, glaube ich jedoch auch gerne. Wenn ich Dich allerdings recht verstehe gibt im traditionellen Wing Chun dieses Konzept überhaupt nicht. Kann man im Wing Chun überhaupt von Körperarbeit sprechen? Vielleicht eine sehr spezielle Körperarbeit; ich meine, auch wenn Wing Chun kein Chan Si Jin hat, so ist Wing Chun ohne einen stabilen Rumpf und starke Beine undenkbar.

Ja, die Sichtweisen der Traditionalisten, und derer, die einen Bezug zum Kämpfen haben klaffen oft massiv auseinander im Vergleich zu den modernen und "Hobby"- Kampfkünstlern. Ein Fehlender Selektionsdruck in einer friedlichen Epoche und Region ist ja ein Faktor der für eine hohe "Mutationsrate" einer Kampfkunst gegeben sein muss. Ich bin aber etwas erstaunt, zugleich aber auch erfreut zu hören dass es Dörfer gibt in denen Kinder noch an traditionellem Kung Fu interessiert sind. Das ist in Asien doch recht selten, wobei mir scheint dass es einen zarten neuen Trend gibt, in welchem junge Leute in der Phase der Identitätsfindung sich zum Teil auch wieder auf traditionelle Werte und auch Kampfkunst zurückbesinnen.

In welchen Stilen trainierst Du eigentlich selbst?

Gruss
Locke

Michael Kurth (M.K.)
20-08-2020, 06:33
Ja, natürlich gibt es die, aber ich hatte mich halt eher auf die Gemeinsamkeiten bezogen, die es halt auch gibt; in manchen Stilen vielleicht mehr als in anderen
Läuft dann irgendwann auf das absolute Egalisieren raus. Keine Ahnung, wofür das gut sein soll. Aber ich muß ja auch nicht alles verstehen.

Na gut, aber das war ja das eigentliche Thema, oder? Wobei sich der Thread inzwischen auch ziemlich interessant weiterentwickelt hat
Bin mir oft nicht sicher, was so das Thema im jeweiligen Thread ist. Aber Sachen eben immer so isoliert zu betrachten, halte ich für oft wenig sinnvoll, da dadurch der eigentliche Zweck aus den Aufgen verloren wird. Chi-Sao ist das m.E.n. eines der Paradebeispiele überhaupt.
Interessant. Hm, alles ist relativ.

Aber der These dass Denken nichts sein soll; kann ich mich beim besten Willen nicht anschliessen
Lesen hilft: Manchmal. D.h. an der richtigen Stelle (im richtigen Moment). Dann kann man sich nämlich ganz auf das einlassen, was man gerade tut und durch bewußtes Erfahren erledigt sich mitunter auch das ein oder andere Gedankenspiel.