Vollständige Version anzeigen : Neue Ursprungstheorie zu Shaolinquan und Taijiquan
Mit diesem Artikel verfolge ich einen neuen Ansatz zur Entstehung von Shaolinquan und Taijiquan. Ich hoffe, ihr habt Spass beim Lesen. Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion:
https://craneinthetigersshadow.wordpress.com/2021/05/24/hongquan-eine-neue-these-uber-den-ursprung-der-chinesischen-kampfkunste/
Dankeschön :)
Liebe Grüße
Alexa
Alephthau
25-05-2021, 21:42
Hi,
Ich bin ja der Meinung, man sollte aufhören irgendeinen "Ursprungsstil" in irgendetwas zu sehen/suchen! ;)
Gruß
Alef
Affenherz
25-05-2021, 23:18
Mich interessiert wie bei Sprachgeschichte nur noch die jeweilige Ursuppe zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Region.
Aus dieser Ursuppe wachsen "neue" Lehrstile, und die Ursuppe selbst speist sich aus verschiedenen älteren Lehrstilen.
Hi,
Ich bin ja der Meinung, man sollte aufhören irgendeinen "Ursprungsstil" in irgendetwas zu sehen/suchen! ;)
Gruß
Alef
Ich nicht ;)
@Alexa: gern geschehen.
@Affenherz: So gesehen handelt es sich beim Hongquan um eine Art Ursuppe.
Affenherz
26-05-2021, 09:50
@Affenherz: So gesehen handelt es sich beim Hongquan um eine Art Ursuppe.
Um eine Zutat der Suppe. Es hat nie den einen Ursprungsstil gegeben. Immer nur eine Szene von Kämpfern und Lehrern.
Um eine Zutat der Suppe. Es hat nie den einen Ursprungsstil gegeben. Immer nur eine Szene von Kämpfern und Lehrern.
Man kann natürlich bis zum Urknall zurück gehen, aber dann dürfte es irgendwann zu abstrakt werden. Es gab mal Jäger und Krieger die bastelten sich Lanzen und brauchten Stöcke, später auch Schwerter und Säbel. Viele nördliche chinesische Kampfkunststile haben sich aus den Streitkräften und deren Waffentechniken heraus entwickelt, das ist z.B. bei Hongquan der Fall, aber auch bei Xingyiquan, das Speertechniken als Ursprung hat. Ob jetzt die Waffentechniken der Streitkräfte Ursuppe oder auch nur Zutat sind, führt für mich dann in der Diskussion, die ich anstossen wollte, zu weit.
amasbaal
26-05-2021, 15:44
wenn sich etwas aus etwas anderem "entwickelt", dann ist die entscheidende frage doch die nach den grundlagen der übertragung ins neue, also nach der art und weise, wie das gemacht wird.
das ist dann der eigentliche kulturelle kern, die eigentlche "ursuppe", die die gemeinsamkeiten "asiatischer" KKs (nicht nur in china entstandene) erklären kann... und was könnte das sein? letztlich läuft es m.e. mal wieder auf welt- und körper/"energie" vorstellungen aus dem Buddhismus und Hinduismus hinaus.
in Indien sind wir in etwa um 200 n.Chr. schon bei KKs der "wander- und klostermönche" im süd-osten Indiens, konkret: Silambam und Varma Kalai und etwas später bei Kalari. aus Sumatra gibt es berichte von indischen und chinesischen (!) mönchen, die frühe formen systematisierter KK in Tempeln im Umkreis von Palembang ausgeübt haben (Sumatra und die malayische halbinsel waren kern des buddhistischen Sri Visajah reiches ca. 600-1300. "Indisierung" und in teilen sogar kolonialisierung des Malaiischen raumes und teilen von Kambodscha und des damals unter chinesischer kontrolle befindlichem Vietnam durch mitlitärische "expeditionen" und inthronisation von Rajas aus dem Chola Reich südost-Indiens in Sumatra und in einem fall sogar auf den Philippinen). formen animistisch orientierter KK, in denen die Kämpfer die "energien" und "eigenschaften" von tieren (tiger, affe, elephant, schlange, krokodil usw.) in sich hervorrufen und in mehr oder weniger entsprechende bewegungsmuster und "intentionen" umsetzen, finden sich in südostasien zur gleichen zeit und gehen wohl auf die zeit noch vor der "indisierung" zurück (auch da kann es auf frühe buddhistische/hinduistische einflüsse getroffen sein, die dort bereits ab etwa 100-300 n.Chr. wirkten).
vermutlich waren diese frühen KK-varianten recht "grob" und sehr wahrscheinlich leitete sich sehr viel. das nicht über die "tierimmitationen" lief vom waffengebrauch ab - insbesondere von schwert und stab/speer.
ich kenne mich nicht so gut mit china aus, kann deshalb nur vermuten (weil es logisch ist), dass wir ähnliches auch in China gehabt haben. spätestens mit dem tantrischen buddhismus sollte es einen großen einfluss auf die "art und weise" gegeben haben, wie man waffenanwendung auf waffenloses ummünzt und/oder die entsprechenden "moves" kategorisiert und mit dem entsprechenden welt- & menschenbild in einklang bringt. in wie weit der weit frühere Daoismus und Konfuzianismus dabei eine rolle spielten, kann ich nicht sagen. das wäre für mich als China-laie aber äußerst interessant zu wissen.
ich persönlich vermute stark, dass die erwähnte zeit um 1400 herum eine zeit der systematisierung und "verfeinerung" war (das ist um 1400-1600 auch in SOA zu beobachten, als am "hof" des Majapahit reiches auf Java und damit im zentrum der ausbildung einer adeligen kriegerkaste, die "verfeinerung" von sitten und bewegungsart in allen lebensbereichen zu einer regelrechten "obsession" wurde). in china wäre das in etwa der zeitraum der Ming dynastie, ein zeitraum der ja auch mit dem image der "verfeinerung der kultur" in China behaftet ist.
was in dem artikel steht, klingt sehr plausibel. vor allem, dass das kloster die strömungen der umgebung zusammengetragen hat und nicht umgekehrt. mönche als bewahrer, verfeinerer, "fusionierer" und "exporteure" regionaler und lokaler formen der KK. klingt für mich wirklich SEHR plausibel.
.... aber vielleicht ist das hier genau das, was Heping "zu weit" geht.
ab 1400-1700 werden die KKs, egal wo in Asien, in jedem fall auch durch mehr oder weniger verlässliche quellen greifbarer.
das, was wir heute so kennen, hat jedenfalls in dieser zeit die form angenommen, die wir als CMA/TCMA, Karate, Silat usw. identifizieren können.
wenn man so will: die trübe "ursuppe" klärt sich ab dann auf, wird transparenter, bekommt seine bis heute schmackhaften zutaten und variiert seine rezeptur, die für uns heutige in entsprechenden "kochbüchern" nachvollziehbar sind.
vielen dank für den link. man lernt ja nie aus.. spannend.
Ich finde die Überlegungen und historischen Spuren für sich alle sehr interessant und spannend zu verfolgen. Und ich bin mir sicher, dass das was da überliefert wurde in Bild und Text auch mal seine Relevanz hatte, zumindest für eine bestimmte Zielgruppe.
Die Frage die sich mir aber aufdrängt ist die, ob die Zielgruppe die diese Sachen trainiert hat und für die es bestimmt war eher eine Elitegruppe war, sozusagen mehr oder weniger ein Ausschnitt aus dem Eliteniveau von damals darstellt, oder ob das nur einen Ausschnitt darstellt für "Fussvolk" und "Kanonenfutter"? Damit meine ich jetzt einfach den Durchschnittssoldaten, ungefähr so wie man es heute noch auf alten Videoaufzeichnungen vom Grundlagentraining der Soldaten Anfang des 20. Jhdts sehen kann. --- Also in wie weit so was wirklich ernst zu nehmen ist, oder halt einfach nur historisch interessant.
Ich tu mir ehrlich gesagt noch schwer damit sich ein Bild von der Ursuppe der TCMA (damit meine ich jetzt das was Spezialisten und Elite gemacht haben) auf Grundlage solcher Materialien zu machen. Ich denke die Elite hat sich da neben ihrer professionellen Ausbildung in der Kriegsführung eher mit Ringen, Bogenschiessen, Waffen, Reiten, Jagen u.ä. beschäftigt und nicht ihre Zeit damit verbracht haben Formen zu üben, zu entwerfen, oder sich an irgendeinem Tor in einem Tempel mit anderen Gleichgesinnten über Techniken und Stile ausgetauscht zu haben und so neue Formen entstanden sind und sich vermischt haben. Das was man da sieht verorte ich eher unter Waffentechniken und Grundausbildung der Streitkräfte, des einfachen Soldaten, wie es im Text von Heping ja auch anklingt.
Eine praktische Tatsache ist meiner Meinung nach, dass im Prinzip alles was man HEUTE an traditionellen Stilen sieht, allen voran Taiji, wenn sie an irgendwelchen Wettkämpfen teilnehmen, im Kern nichts anderes ist als das traditionelle Shuijiao/Ringen und dass das Shuijiao die eigentliche "TCMA" ist aus der fast alle traditionellen Stile HEUTE irgendwie schöpfen (die Ursuppe sozusagen). Darunter fällt auch Qinna. Mehr bleibt unter der Schale der TCMA meistens nicht übrig wenn man genauer hinschaut (Ausnahmen mögen die Regel bestätigen).
Leider hat es das Shuijiao schon früh verpasst sich Marketingmäßig gut zu positionieren und zu etablieren. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass die dort der Natur ihrer Sache geschuldet halt ziemlich geerdet waren/sind.
ich kenne mich nicht so gut mit china aus, kann deshalb nur vermuten (weil es logisch ist), dass wir ähnliches auch in China gehabt haben. spätestens mit dem tantrischen buddhismus sollte es einen großen einfluss auf die "art und weise" gegeben haben, wie man waffenanwendung auf waffenloses ummünzt und/oder die entsprechenden "moves" kategorisiert und mit dem entsprechenden welt- & menschenbild in einklang bringt. in wie weit der weit frühere Daoismus und Konfuzianismus dabei eine rolle spielten, kann ich nicht sagen. das wäre für mich als China-laie aber äußerst interessant zu wissen.
Ich würde dir da mal "Shaolin Monastery" von Meir Shahar ans Herz legen, das bringt dich ne ganze Ecke weiter.
Pansapiens
26-05-2021, 18:42
Mit diesem Artikel verfolge ich einen neuen Ansatz zur Entstehung von Shaolinquan und Taijiquan. Ich hoffe, ihr habt Spass beim Lesen. Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion:
https://craneinthetigersshadow.wordpress.com/2021/05/24/hongquan-eine-neue-these-uber-den-ursprung-der-chinesischen-kampfkunste/
was ist da nun genau der neue Ansatz in Bezug auf Taijiquan?
Dass es nicht aus Shaolin stammt?
(der hier ist mein Favorit :cool::
https://www.youtube.com/watch?v=WWjMF1Et_0Y&t=125s
erinnert mich hieran:
https://youtu.be/-cVOzebgHaQ?t=23)
Es gibt mehrere Aspekte, die für einen eher neuen Ansatz sprechen. Dass der Ursprung vieler nördlichen Stile in den Waffentechniken der Streitkräfte liegt, ist nicht ganz neu. Da aber der Nabel Chinas früher eher in Shaanxi und der Guanzhong-Ebene lag, verschiebt sich auch der Ursprungsort der Kampfkünste etwas von Henan Richtung Westen. Hongquan als Ursprung der Kampfkünste in Shaolin und indirekt durch das Derivat Tongbeiquan auch von Taijiquan ist auch ein eher neuer Ansatz (kein Wudang, kein Klassiker aus dem Salzladen, Zhaobao usw.). Was ebenfalls ein eher neuer Ansatz ist, ist die Migration mit zu berücksichtigen. Es hat in China immer wieder grössere Umsiedlungen gegeben, bis in die heutige Zeit (schaut mal wie viele Han-Chinesen in den letzten 50 Jahren in die Regionen Tibet, Xinjiang und innere Mongolei angesiedelt worden sind). Zusammengenommen denke ich da schon an einen neuen Ansatz.
amasbaal
27-05-2021, 21:08
Was ebenfalls ein eher neuer Ansatz ist, ist die Migration mit zu berücksichtigen. Es hat in China immer wieder grössere Umsiedlungen gegeben, bis in die heutige Zeit (schaut mal wie viele Han-Chinesen in den letzten 50 Jahren in die Regionen Tibet, Xinjiang und innere Mongolei angesiedelt worden sind). Zusammengenommen denke ich da schon an einen neuen Ansatz.
enorm wichtiger punkt!
von meinem point of view (von SOA aus) fällt mein blick ja des öfteren auf die küstenregion Süd-Chinas, die zum größten teil die systeme lieferten, die unmittelbar auf die SOA Kuntao varianten und die Silat-Kuntao hybride einwirkten: Hokkien/Fujian und Hakka stile in erster linie, aber in geringerem maße auch weit nördlicheres (Shantung). ich habe erst vor kurzem in erfahrung gebracht, dass fast alles, was zum Hokkien Kuntao beigetragen hat von familien kommt, die ursprünglich aus dem landesinneren (also westlich und nord-westlich) kommend über zwei bis drei etappen in die entsprechende region eingewandert sind.
... und dann natürlich die migration nach SOA mit entsprechender intergration. die Malaien/Indonesier unterscheiden 2 "sorten" von Chinesen: einerseits "Chinesen aus dem land", deren familien bereits seit einiger zeit dort leben, inklusive heirat einheimischer frauen und übernahme der sprache bei beibehaltung der familiennamen. hier, und bei chinesischen frauen, die "einheimische" Holländer heirateten, ist die quelle für SOA Kuntao und Silat-Kuntao hybide. andererseits sogenannte "Totok"-Chinesen (Totok = kröte), die meist erst nach dem WK2 eingewandert sind, abgeschirmt in eigenen vierteln leben, nur chinesisch sprechen (zumindest unter sich "quaken" sie - für die ohren der Malaien - also wie kröten) und ihre kultur 1:1 in die neue heimat überführt haben - inklusive ihrer KK-stile, die sich nicht von den gleichlautenden stilen in China unterscheiden und die "rein" gehalten werden (viel Pa Kua / Bagua, Tai Kek / Tai Chi, 5 Ancestors Fist usw.)
migration ist in historischen fragen ein nie zu unterschätzender faktor.
Affenherz
27-05-2021, 21:17
Was ebenfalls ein eher neuer Ansatz ist, ist die Migration mit zu berücksichtigen. Es hat in China immer wieder grössere Umsiedlungen gegeben, bis in die heutige Zeit (schaut mal wie viele Han-Chinesen in den letzten 50 Jahren in die Regionen Tibet, Xinjiang und innere Mongolei angesiedelt worden sind). Zusammengenommen denke ich da schon an einen neuen Ansatz.
Bei den Hakka ist das schon länger ein Thema, denke ich. Generell sind Migration und Handelsrouten bei allem wichtig, was mit Kultur zu tun hat. Und in den Familiensagen der Kampfkünste tauchen auch immer wieder Migrationen zum Beginn eines neuen Stammbaumes auf, wenn man mal drauf achtet.
amasbaal
27-05-2021, 21:26
Bei den Hakka ist das schon länger ein Thema, denke ich. Generell sind Migration und Handelsrouten bei allem wichtig, was mit Kultur zu tun hat. Und in den Familiensagen der Kampfkünste tauchen auch immer wieder Migrationen zum Beginn eines neuen Stammbaumes auf, wenn man mal drauf achtet.
kann sein, dass ich oben hokkien/fujian und hakka verwechselt habe. liegt aber alles sehr nah beieinander. wird bestimmt für beide gelten ;)
Pansapiens
27-05-2021, 22:06
Da aber der Nabel Chinas früher eher in Shaanxi und der Guanzhong-Ebene lag, verschiebt sich auch der Ursprungsort der Kampfkünste etwas von Henan Richtung Westen.
Also ich kann mir schwerlich vorstellen, dass es damals bewohnte Gegenden gab, in denen nicht von dem einen oder anderen kämpfen geübt wurde.
Hongquan als Ursprung der Kampfkünste in Shaolin und indirekt durch das Derivat Tongbeiquan auch von Taijiquan ist auch ein eher neuer Ansatz (kein Wudang, kein Klassiker aus dem Salzladen, Zhaobao usw.).
mit Shaolin hab ich nix am Hut, aber dies hier steht so oder so ähnlich nach meiner Erinnerung schon in dem Buch "Chen", das im Jahr 2003 erschienen ist:
Seine [des Chenstils] historische Entstehung liegt in der Zeit nach 1644 (Fall der Ming-Dynastie) und vor 1680 (Tod Chen Wangtings). Weitere chinesische Quellen legen die genaue Entstehung in die 60er Jahre der 17. Jahrhunderts, also 20 Jahre nach dem Dynastiewechsel. Gesichert ist, dass Chen Wangting eine Form Changquan (nicht zu vergleichen mit der heutigen staatlichen Stilrichtung des modernen Wushu), fünf Routinen Taijiquan und eine Routine Paochui entwickelte. Da nach Quellen der Chen-Familie schon in den Generationen vor Chen Wangting intensiv Kampfkunst betrieben wurde, komme ich nach längerer Untersuchung zu dem Schluß, dass es sich bei der Changquan-Form vermutlich um eine Form der Tongbeiquan ("Hontongbei“ aus Hongtong, Shanxi) mit 108 Figuren handelt. Ich begründe diese Tatsachen folgendermaßen: Erstens ist Tongbeiquan bereits vor Chen Wangting in der Chen-Familie betrieben worden. Zweitens existiert heute noch in der dem Landkreis Hongtong der Provinz Shanxi eine Form „108 Bewegungen (Hong-) Tongbeiquan“, welche zwei Generationen nach Chen Wangting aus Chenjiagou dorthin getragen worden sein soll. Dies entstammt Quellen des (Hong-) Tongbeiquan. Die fünf Routinen Taijiquan und Paochui sind später in der 14.Generation von Chen Changxing (Lehrer von Yang Luchan) in der 1. Form (Taijiquan) und 2. Form (Paochui) zusammengefaßt worden.
https://www.wctag.de/taijiquan/der-ursprung-des-taijiquan-der-chenstil.html
Da ist halt die Frage, was mit "Ursprung" gemeint ist.
Natürlich gab es schon immer Vorstufen von Entwicklungen. Alles Seiende entsteht aus etwas Vorherigem. Auch gab es schon immer Formen des Kampfes (Wushu) und Techniken der Gesunderhaltung (z.B. Qigong). Wir wollen uns hier jedoch lediglich auf die Verbindung dieser beiden Aspekte, wie wir es heute als Taijiquan kennen, beziehen. Legendär ist Taijiquan daher knapp 1000 Jahre alt...historisch 350.
Hokkien ist Fujian im Fujian-Dialekt. Zu den Hakka und ihren Stilen gibt es ein interessantes Buch, welches zu einer Ausstellung in Hong Kong editiert wurde: "300 years of Hakka Kung Fu". Darin wird einerseits die Geschichte der Hakka selbst mit ihren Migrationsphasen und dann die Entwicklung der Stile selbst behandelt. Ich habe einen Ausschnitt fotografiert und hänge es hier an.
46876
@Pansapiens: Jan (und auch einige andere Autoren) hat aber nicht geschrieben, dass das Tongbeiquan vom Hongquan abstammt. Der neue Ansatz ergibt sich aus den verschiedenen Aspekten, die ich aufgeführt habe. Und der Artikel bezieht sich eben auch auf den Teil, der dich nicht interessiert.
Affenherz
28-05-2021, 00:53
Wie weit (zeitlich gemeint) liegt eigentlich die postulierte Hongquan-Migration von General Qi Jiguangs Militärhandbuch, jedenfalls vom Faustkampf-Anhang der frühen Ausgaben dieses Buches, entfernt? Er gibt ja einen kleinen Überblick über die Kampfkunstsuppe der Region, und es wäre wirklich spektakulär, wenn so völlig unterschiedliche und stark spezialisierte Schulen alle vom selben Hongquan abstammten.
Affenherz
28-05-2021, 01:26
Vielleicht findet auch jemand das passende Zitat von Qi zum Thema "flowery methods" huafa. Ich suche mir einen Wolf danach. Es wäre interessant zu wissen, wieviel Zeit vergangen wäre zwischen der Entstehung dieses Hongquan aus Militärdrills und seinem Ende als militärisch unnütze Showeinlagen (flowery methods).
In der Übersetzung von Martin Bödicker beruft sich Qi Jiguang auf die:
32 Bewegungen des langen Faustkampfes des Kaisers Taizu der Song,
den sechs Schritte Faustkampf,
den Affenfaustkampf,
den Fintenfaustkampf,
Wen-Familie 72 Formen Faustkampf,
die 36 Griffe,
die 24 Würfe des Tanma,
die 8 ausweichenden Manöver,
die 12 Techniken des kurzen Boxens,
die 8 Würfe des Lu Hong,
das kurze Boxen des Mian Zhang,
die Beintechniken des Li Biantian aus Shandong,
die Greiftechnik von Adlerklauen Wang,
die Falltechniken des Tausend-Würfe-Zhang,
die Schlagtechniken des Zhang Bojing,
die Stocktechniken der Shaolin
und des Qiantian,
die Speertechniken der Familie Yang
und Faustkampf und Stocktechniken des Bazi.
(sic! siehe Bödicker)
Und all diese völlig unterschiedlichen Beispiele der damaligen Szene sind Varianten desselben Hongquan, welches aus derselben Militärschule stammen soll.
Donnerwetter. Wenn das mal jemand dem Qi verklickert hätte. Ich glaube, dem war das überhaupt nicht bewusst.
Affenherz
28-05-2021, 01:51
Weil ich heute nicht schlafen kann, noch ein Gedanke:
2 Leute lernen kämpfen.
Als dann beide ihr Wissen anderen beibringen müssen, entscheidet sich der eine, eine oder mehrere der Formen bzw. KK, die er gelernt hat, mit den Lehrmethoden seiner Lehrer aber mit seinen persönlichen Erfahrungen angereichert weiterzugeben.
Der andere merkt, daß die Lehrmethoden seiner Lehrer zu sperrig sind für das, was er lehren will, und deshalb baut er aus Komponenten bestehender Lehrmethoden/Formen eine eigene Didaktik, die er unterrichtet.
Hat einer der beiden eine neue KK erfunden?
Ab wann ist etwas ein neuer Stil?
Affenherz
28-05-2021, 12:11
Ich weiß nicht, inwiefern man Tang Hao glauben kann. Nabil Ranné benutzt ihn in "Die Wiege des Taijiquan" ab Seite 221, um einen frühen Stand des Trainings der Chen zu dokumentieren.
Demzufolge gab es 5 durchnummerierte Hauptformen plus Langfaust und Paochui. Die 2. und 3. Form waren zum dokumentierten Zeitpunkt schon verloren, die 4. stach aus der Didaktik deutlich heraus und wurde auch Hong Quan
genannt.
Sofern die zugrundeliegenden Aufzeichnungen authentisch sind, gab es also zum ältesten dokumentierten Zeitpunk des Trainings der Chen eben keine einheitliche und in sich stimmige Schule sondern genau wie im Rest Chinas auch ein wildes Nebeneinander unterschiedlicher Schulen aus unterschiedlichen Quellen, die man nacheinander und parallel trainierte und mischte. Honq Quan war neben den auf Shaolin deutenden Paochui und Chang Quan ein Bestandteil dieser Praxis und stach wie Paochui und Chang Quan deutlich heraus, war also deutlich anders als die Trainingsbestandteile, aus denen sich später die Yilu entwickelte.
Pansapiens
28-05-2021, 22:24
@Pansapiens: Jan (und auch einige andere Autoren) hat aber nicht geschrieben, dass das Tongbeiquan vom Hongquan abstammt.
Ah, das ist der Punkt.
Wie weit (zeitlich gemeint) liegt eigentlich die postulierte Hongquan-Migration von General Qi Jiguangs Militärhandbuch, jedenfalls vom Faustkampf-Anhang der frühen Ausgaben dieses Buches, entfernt? Er gibt ja einen kleinen Überblick über die Kampfkunstsuppe der Region, und es wäre wirklich spektakulär, wenn so völlig unterschiedliche und stark spezialisierte Schulen alle vom selben Hongquan abstammten.
Die Chens sind nach meinen Informationen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert nach Henan gekommen.
Qi Jiquang hat im 16. Jahrhundert gelebt => mehr als 150 Jahre
Affenherz
02-06-2021, 11:39
Ich finde es schade, daß Hepings Artikel nicht mehr Reaktionen erzeugt. Das Thema ist sauinteressant.
Ein kleiner Informationssplitter, der genauso schnell untergeht wie die Migrationsgeschichten der Familien, ist, daß die Ming-Dynastie ein erbliches Wehrpflichtsystem hatte.
Chen Wangting war Offizier in der Garnison von Wen. Dass heißt, im Falle seines Ausscheidens aus dem Dienst hätte einer seiner männlichen Erben einen Posten als Offizier in seinem Rang antreten müssen. In diesem System mussten sich die Soldaten selbst versorgen. Sie lebten in Dörfern an der Dienststelle und betrieben (offiziell) Landwirtschaft. Falls Chen Wangting nicht am Beginn seiner Militärkarriere frisch rekrutiert wurde, hat er den Wehrdienst ebenfalls von seinem Vater geerbt.
Die Ming nahmen nicht immer Rücksicht darauf, wie weit der Dienstort und der Heimatort eines Soldaten voneinander entfernt waren. Sowohl die Auffrischung wie auch die Verlegung von Truppen führte also dazu, daß Soldaten entwurzelt und zum Aufbau einer neuen Familie in anderen Teilen des Reiches gezwungen wurden.
Das System war extrem anfällig für Desertion, Putschversuche, organisierte Kriminalität und Korruption. Große Teile der Armee existierten nur auf dem Papier.
Im Ergebnis griff der Staat gegen Ende der Ming-Dynastie immer stärker auf freiberufliche Söldner und Bauernmilizen zurück. Er hatte schlicht keine regulären Truppen in ausreichender Zahl mehr, und die, die er hatte, waren oft unfähig, demoralisiert, kriminell und korrupt.
Das System der Erbwehrpflicht wurde nach dem Fall der Ming von den Qing nur für Manchu und Mongolen fortgeführt. Die Han wurden in einer quasimodernen Berufsarmee organisiert.
So eingefroren die chinesische Gesellschaft über die Jahrhunderte aussieht, wenn ich als Anfänger da drauf schaue, war sie sicher nicht. Insbesondere das Militärwesen machte dieselben Entwicklungen durch wie in Europa.
Viele der alteingesessenen Familien um die heutige Stadt Wen dürften also die Nachkommen der Garnison von Wen sein.
Ebenso werden die Reste der Speertradition in der Gegend ziemlich direkt auf die Ausbildung von Militäreinheiten und Bauernmilizen zurückgehen.
Es ist gut möglich, daß die Geschichte der Chen in Henan mit einer Truppenverlegung oder mit der Einberufung von Chen Bu nach Wen begann.
Ein starker militärischer Einfluss auf die Entstehung des Taijiquan ist mit diesem Hintergrund offensichtlich.
Chen Wangting musste wie seine Kameraden das Handwerk lernen, fitbleiben und mindestens einen Sohn auf seine Nachfolge im Posten eines Armeeoffiziers vorbereiten.
Die Chen waren als Teil der Militärstruktur natürlich bei weitem nicht allein. Sie lebten in einer Region mit zahlreichen anderen Familien, die wegen des Militärs dort entstanden waren, und deren Erbsöhne ebenfalls darauf vorbereitet werden mussten, den Vater auszulösen.
Das war die soziale und kulturelle Ursuppe, in der das TJQ unter dem Einfluss von Militär, Hongquan, Changquan, Paochui und sicher noch anderen eher gesundheitlich orientierten Trainingsmethoden entstand.
Die Tradiierung und Weiterentwicklung von KK in der Erblinie der Familie war also nicht nur wie heute eine Frage von Identität und Gehorsam gegenüber den Ahnen sondern damals auch eine ganz praktische existentielle Notwendigkeit.
Wenn das so ist, was bringt man dem Sohn zur Vorbereitung auf die militärische Ausbildung bei? Darauf kann man sehr unterschiedliche Antworten finden.
Die militärische Grundausbildung im Speerfechten dauerte 100 Tage, es gab also eher keinen Bedarf für exzessives Speertraining in der Wehrfamilie. Für "zivile" Bauern, die im Kriegsfall mit einer Einberufung in eine Bauernmiliz rechnen mussten, sah das wieder anders aus. Ebenso hatten natürlich Banditen und militante Sekten wieder etwas andere Bedürfnisse als die militärische Wehrfamilie.
Die Ming-Dynastie endet in der Geschichtsschreibung 1644. CWT war da 64 Jahre alt. Das Erbsystem der Wehrpflicht wurde für Hanchinesen unter den Qing nicht weitergeführt, es gab aber natürlich weiterhin Kriege, Milizen, Söldner, Bandenwesen und es gab das Grüne Banner, eine reguläre Berufsarmee, die Hanchinesen offenstand.
Die Geschichte des TJQ ab dann ist also eine Anpassungsgeschichte an neue Bedingungen und neue Verdienstquellen.
Ich finde es schade, daß Hepings Artikel nicht mehr Reaktionen erzeugt. Das Thema ist sauinteressant.
...
Erst mal danke an Heping und dich für die, auch für mich interessanten, Informationen und Gedanken.
Was für Reaktionen, außer einem "Dankeschön", hast du denn erwartet?
Liebe Grüße
DatOlli
Affenherz
02-06-2021, 12:42
Was für Reaktionen, außer einem "Dankeschön", hast du denn erwartet?
Ideen, Anregungen, Informationen, Buchtips...
Ideen, Anregungen, Informationen, Buchtips...
Zu was konkret?
Wenn dir fad ist, kannst du dich noch durch die Artikel und Webseiten von Sal Canzonieri arbeiten (und ggfs. sein Buch).
Affenherz
02-06-2021, 13:06
Noch ein Gedanke zu Qi Jiguan ein Jahrhundert früher:
Er war sehr einflußreich. Sein Militärhandbuch war sicher auch CWT gut bekannt.
QJ erwähnt in seinem KK-Klassiker eine beeindruckend lange Liste von KK und behauptet, er habe seine 32 Übungen als eine Bestof dieser vielen KK zusammengestellt und dabei die Stärken und Schwächen der Stile ausgeglichen.
Woher kannte er die alle? Er hatte als Offizier sicher keine Zeit, nebenher noch durch das ganze Reich zu gurken und alle möglichen Schulen zu üben
Er kannte sie wohl aus der Truppe. Die Wehrsöhne kamen aus dem ganzen Reich, um ihr Erbe anzutreten, und brachten diese Trainingsmethoden mit.
Es war also wohl üblich, daß Wehrfamilien ihre Erbsöhne mit irgendeiner Art von KK auf das spätere Militärtraining vorzubereiten versuchten.
Die militärische Gemeinschaft, die den Wehrpflichtigen manchmal schon im Kindesalter die Familie ersetzen musste, hat sie natürlich geprägt.
QJ schreibt, alle Waffen seien nichts wert, wenn nicht mit Quan Fa vorher die körperlichen Grundlagen gelegt worden seien.
Seine 32 Übungen dienten also wohl nicht direkt dem Militärtraining (da wurden Waffen und Formationen gedrillt) sondern eher der Vorbereitung auf das militärische Waffentraining in der Familie.
Ideen, Anregungen, Informationen, Buchtips...
Ah, danke sehr. Lesetip kam ja schon von Julian.
Bei dem Rest wird es wahrscheinlich dünn bleiben. So viele, so spezifisch interessierte und qualifizierte Leute wird es hier nicht geben. Fallen mir nur eine handvoll User zu ein.
Liebe Grüße
DatOlli
Affenherz
02-06-2021, 13:10
Zu was konkret?
Wenn dir fad ist, kannst du dich noch durch die Artikel und Webseiten von Sal Canzonieri arbeiten (und ggfs. sein Buch).
Im Moment mampfe ich mich ein bißchen durch die Militärgeschichte.
Im Moment mampfe ich mich ein bißchen durch die Militärgeschichte.
Nimm dies: https://brill.com/view/journals/jcmh/jcmh-overview.xml
Affenherz
02-06-2021, 14:12
Nimm dies: https://brill.com/view/journals/jcmh/jcmh-overview.xml
Danke! Irgendwelche Ausgaben, die besonders empfehlenswert sind?
vBulletin v4.2.5, Copyright ©2000-2025, Jelsoft Enterprises Ltd.