PDA

Vollständige Version anzeigen : Studie zu bronzezeitlichen Fechtspuren



Affenherz
19-06-2021, 16:01
https://www.ncl.ac.uk/press/articles/latest/2020/04/bronzeageswords/

https://link.springer.com/article/10.1007/s10816-020-09451-0

Executive Summary: Die Spuren auf den Klingen weisen darauf in, daß es Fechtschulen gab, die großen Wert auf Binden und Winden sowie gezogene Schnitte legten. Es wurde also nicht auf Distanz gefochten sondern an der Waffe in Nahdistanz gerungen.

Allerdings verstehe ich die Argumentation für den Zugschnitt gegenüber hackenden Schnitten nicht. Gerade stark vorngewichtete Klingen mit breit ausgezogenem Trefferbereich eignen sich doch hervorragend dazu, ins Ziel hineingehackt und dann ziehend oder schiebend weiterbewegt zu werden.

DatOlli
20-06-2021, 08:28
Ganz herzlichen Dank dafür.

Liebe Grüße
DatOlli

Gesendet von meinem Mi MIX 3 mit Tapatalk

T. Stoeppler
20-06-2021, 19:31
Danke fürs posten - das ist eine interessante Studie.

Was Zugschnitte /drawcuts betrifft - die haben auch den fechtechnischen Vorteil der deutlich besseren Klingenkontrolle gegnüber hackenden Hieben. Allerdings sind da die technischen Übergänge fliessend; jede Klingengeometrie/Gewichtung fordert ein etwas anderes Verteilen der Bewegungsvektoren. Bei einem mit beiden Händen geführten langen Schwert kann man gut perkussiv schlagen, mit hoher Wirkung ohne die Kontrolle über die Waffe zu verlieren. Mache ich das mit einem einhändigen Schwert, ist es etwas anders, da muss man deutlich vorsichtiger agieren, da man sich sonst bloss gibt. Aus einer Bindung mit Schwert und Rundschild heraus ist ein kurzer schiebender oder ziehender Schnitt wirksam auch ohne sich zu exponieren. (am besten mal Roland Warzechas Schwert und Buckler Videos auf Youtube anschauen) Und dann noch zum Vergleich vielleicht noch die choreographisch grossartige Fechtszene Hector vs Achill aus "Troja" ;)

Ich habe schon bronzezeitliche Schwerter in der Hand gehabt, die hohe Qualität und Ergonomie hat mich damals überrascht.

Gruss, Thomas

gast
21-06-2021, 07:16
da gibt´s noch mehr Abhängigkeiten außer "style", wie Thomas anmerkt z.B. bedingt durch Schild oder Handschild,
desweiteren Klingengeometrie aber auch die Ausführung des Heftes
Bronzeschwerter haben häufig ein "Pommel" wie z.B. ein Tulwar dementsprechend führst Du das auch anders als z.B.
ein Schwert mit Nuß- oder Kugelförmigen Pommel
ich denke, die Unterscheidung in schneiden oder hacken macht wenig Sinn, das ist u.a. positionsabhängig
so wie die meisten von den Bronzeklingen aussehen, waren die auf Stich optimiert

ThomasL
22-06-2021, 07:45
Vielen Dank für den interessanten Artikel.

karate_Fan
22-06-2021, 07:55
Ja vielen Dank für den interessanten Artikel. Er bezieht sich aber primär nur auf die geraden Bronze Schwerter. Wäre cool wenn es vergleichbare Studien auch über andere mehr exotische Schwerter wie z.B das ägyptische Kopesh gäbe was ja eine doch recht einzigartige Form hatte und auch ein ziemlich gut schneiden könnte für eine Bronzewaffe.

Hier sieht man einen Nachbau in Aktion



https://www.youtube.com/watch?v=nVSb7vfra9g

Affenherz
22-06-2021, 08:14
Was Zugschnitte /drawcuts betrifft - die haben auch den fechtechnischen Vorteil der deutlich besseren Klingenkontrolle gegnüber hackenden Hieben. Allerdings sind da die technischen Übergänge fliessend; jede Klingengeometrie/Gewichtung fordert ein etwas anderes Verteilen der Bewegungsvektoren. Bei einem mit beiden Händen geführten langen Schwert kann man gut perkussiv schlagen, mit hoher Wirkung ohne die Kontrolle über die Waffe zu verlieren. Mache ich das mit einem einhändigen Schwert, ist es etwas anders, da muss man deutlich vorsichtiger agieren, da man sich sonst bloss gibt. Aus einer Bindung mit Schwert und Rundschild heraus ist ein kurzer schiebender oder ziehender Schnitt wirksam auch ohne sich zu exponieren. (am besten mal Roland Warzechas Schwert und Buckler Videos auf Youtube anschauen) Und dann noch zum Vergleich vielleicht noch die choreographisch grossartige Fechtszene Hector vs Achill aus "Troja" ;)


Das ist die Argumentation aus der Bewegung heraus. Da sehe ich das ähnlich. Was mich irritiert, ist, daß die Autoren aus der Klingenform heraus argumentieren. Und dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen.

Es ist übrigens gar nicht so leicht, mit einem Schwert im Hammergriff perkussiv zu schlagen. Erinnert sich noch jemand daran, wie schwer es war, als Kind zu lernen, Nägel ins Holz zu kriegen? Der Hammerkopf schlägt nicht von alleine im rechten Winkel auf. Dazu brauch man die richtige Technik im Handgelenk. Wenn man die letzte Etappe zum Ziel aber nicht aus dem Gelenk wirft, was mit einem Schwert ein ziemliches Risiko wäre, sondern die normale Schlagbewegung konsequent fortführt, trifft man immer im Winkel auf und bekommt einen Zugschnitt.

Tyrdal
23-06-2021, 07:26
Fasst man denn diese wirklich mit dem Hammer Grip? Ich fasse nicht mal einen Hammer mit dem Hammer Griff, weil der da keinen Sinn macht.

Affenherz
23-06-2021, 08:11
Um sicherzustellen, daß wir über dasselbe reden:

http://drupal.indes.at/node/49

gast
23-06-2021, 10:54
Fasst man denn diese wirklich mit dem Hammer Grip? Ich fasse nicht mal einen Hammer mit dem Hammer Griff, weil der da keinen Sinn macht.
definiere Hammer...
wie weiter oben angeführt, ist das sowohl Werkzeug- als auch Bewegungsabhängig
eine leichte Waffe/Werkzeug kannst Du "ohne Körperbewegung" führen, da macht Hammergriff dann null Sinn, z. B. Dekorationshammer 75gr
einen Lehmann >1,5kg führst Du ohne Körpereinsatz ganz sicher nicht, dafür knickst Du dann auch Dein Handgelenk nicht, das knickt möglicherweise, weil Du zu schwach bist :)
Hammergriff ist sowieso eine schlechte Bezeichnung, die Leute denken meist, man griffe mit der kompletten Faust fest zu, funktioniert halt für genau gar nichts, außer an ´ner Stange zu hängen

Tyrdal
23-06-2021, 15:25
Genau letzteres meinte ich. Das kenne ich als Hammergriff und ist zum Gebrauch eines Hammers unbrauchbar. Ein Talwar dagegen kann man gar nicht anders fassen.

ThomasL
23-06-2021, 16:10
Hmmm, also ich habe schon viel mit dem Hammer gearbeitet und warum dieser Griff (alle Finger um den Griff, fest aber nicht verkrampft) nicht zum hämmern geeignet sein sollte erschließt sich mir nicht.

T. Stoeppler
23-06-2021, 16:48
Das ist die Argumentation aus der Bewegung heraus. Da sehe ich das ähnlich. Was mich irritiert, ist, daß die Autoren aus der Klingenform heraus argumentieren. Und dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen.

Die Autoren beziehen sich da auf die Angaben vom Molloy (den geben sie da als Quelle an). Ich habe leider noch nie mit einem bronzezeitlichen Original etwas zerhackt oder zerschnitten (dafür waren die zu schade) aber die "Weidenblatt" Form hat einen sehr günstigen Schneidenquerschnitt der bei einer Zugbewegung noch mehr gestreckt wird, im Laufe der gesamten Hiebbahn. Das ist von der Ergonomie schon eher passend. Ich kann das also technisch nachvollziehen, habe aber de facto keine Erfahrung damit. Bei einer Waffe wie einem Khukuri allerdings schon, da passiert ähnliches in der Mechanik nur eben genau in der Gegenrichtung.

Gruss, Thomas

gast
23-06-2021, 22:43
Hmmm, also ich habe schon viel mit dem Hammer gearbeitet und warum dieser Griff (alle Finger um den Griff, fest aber nicht verkrampft) nicht zum hämmern geeignet sein sollte erschließt sich mir nicht.

wie erwähnt, halte ich die Bezeichnung für eher unbrauchbar, es geht nicht nur um den Fingergriff, sondern auch um die Benutzung des Handgelenkes
in dem link mit den verschiedenen Schwertgriffen von Affenherz siehst du halt auch verschiedene brauchbare Hammergriffe
alles abhängig von Form, Gewicht der Waffe und Deiner Position zum Gegner oder Objekt
daraus ergibt sich halt der Gebrauch des Werkzeuges

um auf Klinge zurückzukommen, Tyrdal und ich haben eine anscheinend deckungsgleiche Vorstellung des Gebrauchs einer Waffe mit Tulwarpommel
das Gerät kannst Du halt nicht wie ein Rapier, Einhandschwert, was weiß ich führen

wenn Du von binden und winden ausgehst, brauchst Du die komplette Bewegungsmöglichkeit Deines Handgelenkes
dementsprechend stichst Du auch anders als z.B mit einem Tulwar
landläufig werden Philippinische Waffen als Macheten angesehen, das ist aber so nicht korrekt, egal wie der Pommel aussieht, gibt´s da durchaus
unterschiede im Führen speziell im Stich, aber auch, ob man schneidet oder hackt
eine Klinge unter 50cm würde ich auch nicht für binden und winden benutzen wollen, RaumZeit gelle, das ist dann mächtig schnell

Roberto Laura schrieb hier mal, die Italiener sagen, der Schnitt sei die kleine Schwester vom Stich
da ist sozusagen die Variante gemeint, die mit abgewinkelten Handgelenk sich lang macht aka "lunge"

im PTK sagt man a thrust is a slash and a slash is a thrust, das ist auch tatsächlich so gemeint, sieht aber halt anders aus als HEMA Zeugs
wer´s genauer wissen will, sucht sich die 64 attack Form heraus, Stiche werden 4 gezeigt, davon sind die zentralen #5, #8, #9,
Stich#50 wäre ein langer Stich, der eben mit abgewinkelten Handgelenk lang ausgeführt wird
da das systematisch ist, steckt da also auch eine Idee dahinter, sozusagen intent, bevor irgendwer jetzt nörgelt wegen Form und so, die Form lebt, die ist nicht tot

amasbaal
24-06-2021, 00:28
sehr interessant.
so was ist immer wieder mal ein highlight im kkb einerlei.

:thx:

ThomasL
24-06-2021, 07:06
wie erwähnt, halte ich die Bezeichnung für eher unbrauchbar, es geht nicht nur um den Fingergriff, sondern auch um die Benutzung des Handgelenkes
in dem link mit den verschiedenen Schwertgriffen von Affenherz siehst du halt auch verschiedene brauchbare Hammergriffe

Ich hatte gesehen, dass du auf das Handgelenk auch eingegangen bist aber mir war nicht klar, dass du den Einsatz des Handgelenks auch für die Bezeichnung des Griffes verwendest. Würde ich jetzt nicht so machen und kenne ich bisher auch nicht so (gerade auch in englischsprachiger Literatur ist die Bezeichnung Hammer Grip für alle Fingern um den Griff Standard – zumindest in den Büchern und Artikeln die ich gelesen habe) . Aber das ist letztlich eine reine Definitionssache und kein Grund zu streiten. Im Endeffekt muss man nur Wissen, was darunter verstanden wird und vor allem wie man es jeweils anwendet.
Den Link habe ich nicht geöffnet, mache ich wenn ich mal wieder an einen anderen Gerät bin. Danke dafür und auch Danke für die interessanten restlichen Ausführungen. :halbyeaha

Viele Grüße
Thomas
Im Gedenken an meinen Schwiegervater, Zimmermann, der mir viel über den kraftsparenden Einsatz eines Hammer gelehrt hat (mit meist allen Fingern um den Griff, aber sicher nicht mit steifem Handgelenk). Wobei ich nie verstanden habe, warum nur ich immer blaue Fingernägel hatte :D

gast
24-06-2021, 07:52
kannst Du den noch befragen? dann frag´ ihn ´mal wie unterschiedlich er Daumen und Zeigefinger zu den restlichen 3 Fingern "benutzt"
wie gesagt ist alles abhängig von Position und Gewicht und natürlich der Gewalt, die man am Ziel aufwenden möchte
ich habe, glaube ich, seit ich 5 bin Hämmer in der Hand, als ich in der Lehre war, haben Altgesellen dann gesagt "der ganze Hammerstiel ist bezahlt"
das er bezahlt ist, war mir schon klar, das bedeutet aber halt nicht, daß man ganz unten anfassen muß, keine Ahnung, wer sich so´n Unsinn ausdenkt
liegt halt daran, daß selbst solche Standardwerkzeuge heute nicht mehr so viel verwendet werden
wenn Du schmiedest, willst Du ganz sicher nicht mit Deinem Handgelenk Experimente machen, deswegen ist das halt wichtig daß Dein Amboß die richtige Höhe hat,
auf einer guten Unterlage steht
eigentlich geht´s beim Umgang mit einem Hammer mehr um Rhythmus und HandAuge Koordination
die blauen Finger rühren daher, daß Du auf Deine Finger oder oben auf den Meißel guckst, mußt halt dahin gucken, wo die Klinge bzw der Nagel auf´s Material trifft

Wir sind aber weit weg vom Eingangstext, weiß halt keiner, was die Kollegen vor 3000 Jahren im Sinne hatten, als sie ihre Klingen ausgeformt haben und mit einem
recht speziellen Heft versahen, für mich sieht das nach "Messer" und nicht nach Schwert aus und ich assoziiere da eher Stich als Schnitt/Hieb als zentrale Idee,
wobei meine Vorstellung von Stich eben anders geartet ist, als die landläufige Vorstellung, die auf Europäischem Fechten beruht. Heißt ja nicht umsonst Stoßfechten.
Wobei Fechten wohl nicht isoliert als Hieb- oder Stoßfechten betrachtbar ist.

T. Stoeppler
24-06-2021, 08:47
Hier ist übrigens noch ein "Test" einer qualitativ sehr hochwertigen Bronzeschwert Replik.

https://www.youtube.com/watch?v=ngjMtzJ6xgQ

Es schneidet und hackt generell ziemlich gut.

Vom Typ kann man damit z.B. problemlos die Technik aus dem I.33 verwenden.

Gruss, Thomas

kanken
24-06-2021, 10:45
Was mich irritiert, ist, daß die Autoren aus der Klingenform heraus argumentieren. Und dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen.


Von der Klingenform auf den Gebrauch zurück zu schließen halte ich durchaus für sehr sinnvoll.
Wenn man sich anguckt wofür man einen liuyedao nutzt und den im Vergleich zu einem piandao sieht dann versteht man auch warum die Klinge anders ist.

Das Gleiche mit der Entwicklung der Säbelformen zur Ming und Qingzeit. Wenn man sich mal die alten zhibeidao anguckt und dann die Entwicklung zum yanmaodao dann wird man feststellen das die veränderte Klingenform auch zu einer anderen Art der Anwendung geführt haben wird.

Ebenso ist es wichtig sich die Griffform anzugucken. Es macht in der Handhabung und den Möglichkeiten einen Unterschied ob ich einen eckigen oder runden Stil in der Hand habe, da die Grifform die Handhabung der verschiedenen Punkte auf der Klinge beeinflusst, so wie die Klingenform die verschiedenen Nutzungen der Augentechniken beeinflusst.

Da im Nutzen der Hand (bzw. der Handfläche), in Kombination mit den Augen, der Schlüssel zum Schwertkampf liegt (jedenfalls wie ich ihn lerne), ist die Form der Klinge schon wichtig, da sie mir vorgibt welche Techniken leichter sind und welche schwerer, das wiederum ist natürlich auch abhängig davon wie meine sonstige Ausrüstung noch aussieht.

Meistens werden ja zunächst einmal nur die Anwendungssets gedrillt und, wenn man Glück hat, ein wenig Körperarbeit dazu. Wenn man noch mehr Glück hat wird Raumarbeit unterrichtet und damit dann auch die Fußarbeit, wobei letztere auch gerne zurückgehalten wird.
Wie man Handfläche und Augen nutzt wird man wahrscheinlich eher weniger öffentlich finden.
Je ausgefeilter die Klingenform, desto eher ist davon auszugehen dass das Niveau des Anwenders höher war. Einfache Soldaten brauchen einfache Waffen. Spezialisten benötigen spezialisierte Waffen, da nur sie deren Möglichkeiten ausnutzen können.

Affenherz
24-06-2021, 11:06
Von der Klingenform auf den Gebrauch zurück zu schließen halte ich durchaus für sehr sinnvoll.

Generell schon, klar. Aber in diesem speziellen Fall verstehe ich nicht, wie man von dieser Klingenform auf den zwingenden Schluß kommt. Vielleicht könnte ich es nachvollziehen, wenn ich mal eine Waffe zum Spielen in der Hand hätte.

ThomasL
24-06-2021, 12:15
@Panzerknacker: Leider nicht mehr, aber ich habe ihn sehr genau beobachtet und dabei sehr viel gelernt (kompletter Innenausbau mit Holzplanken plus diverse Außenarbeiten) – situativ nutze er nebenbei auch den Säbelgriff. Die blauen Finger kamen daher, dass zwischen „wissen“ was man tun muss und es „können“ eine gewisse Lernkurve besteht. Ich glaube wir sind aber eh auf einer Linie. Wie gesagt, ist nur die Frage danach für was man den Begriff verwendet und vor allem wie (im Escrima gab es dann auch explizite Anweisungen wie man zugreifen muss).
Aber wir sind wirklich sehr OT.