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Vollständige Version anzeigen : Defendu heute? Sinnvoll?



Salle
17-01-2023, 16:23
Hi, weiß jemand, was aus Defendu geworden ist? Und für wie sinnvoll haltet ihr es, es ist, denke ich-auf jeden fall in den Büchern Mega Combatives-ähnlich. Es gibt auch keine Schlagabwehr in den Büchern. MMh, ein paar Aufnahmen gibst, aber mich würde auch interessieren, ob ihr denkt, ob das, was William E. Fairbairn macht Aikido ist, es haben nämlich manche schon versucht ihm ihre Kampfsportart/kunst unterzuschieben.

amasbaal
17-01-2023, 17:53
warum sollte jemand Defendu trainieren wollen, wenn es doch zig andere combatives gibt. kochen alle die gleiche suppe und alle kennen Fairbairn, der übrigens aus dem Bagua kommt, also aus einer traditionellen Chinesischen KK. dazu passend: er war seit 1907 in der städtischen polizei Shanghais tätig, wo er zum chef-instructor der einheit für aufstandsbekämpfung wurde. Fairbairns "ursprünglicher" kk-stil ist Yin Baguazhang:


Fairbairn studied and became proficient in Baguazhang under the instruction of Tsai Ching Tung (Cui Zhendong, Bagua student of Yin Fu), who was employed at the Imperial Palace, Beijing, as the instructor to the Retainers of the late Empress Dowager.

und nein, sein system für die militärische ausbildung im waffenlosen CQC ist KEIN Bagua (und erst recht kein Aikido!) es ist eben schlicht ne form der combatives, wie es sie eben in den armeen dieser welt zu hauf gibt.

period
17-01-2023, 17:54
Defendu war de facto eine Form von Combatives. Es gibt einige Leute, die sich noch mit dem Fairbairn-Zeug befassen, Tommy Moore zum Beispiel (findet man auf Youtube).
Meine Meinung zu dem Thema: Das Ganze hat damals nicht funktioniert, weil die Technikauswahl so einmalig clever war - es hätte viele genauso sinnvolle Alternativen gegeben - sondern weil da Techniken in Form von erbarmungslosem Drill unterrichtet wurden von Leuten, die sie verstanden haben (und die entweder selbst aus dem Vollkontakt kamen - Lichtenfeld, Dempsey, Cosneck, Brown... - oder sich massiv bei diversen Kampfsportarten bedient haben - Bibby, Sykes, Fairbairn, Nelson...) an junge, fitte Leute, denen laufend eingebläut wurde, dass ihr Leben davon abhängen kann ob sie aufpassen. Wenn die Parameter stimmen, funktioniert fast alles, wenn die Parameter nicht stimmen, funktioniert auch unmodifiziertes Combatives in der Regel nicht mehr so, wie es soll. Ergo gehen die meines Erachtens besseren Combatives-Verfechter nach wie vor zum Boxen, ins Judo usw. und setzen den Rest oben drauf.

Spud Bencer
17-01-2023, 18:34
1. Fairbairns Bagua-Hintergrund ist fragwürdig. Im Defendu sieht man kein Bagua, weder technisch noch taktisch. Den Chin Jab z.B. sieht man schon 1919 in Billy Sandows "Self Defense for the Individual", wo er sein Nahkampfsystem für den 1. Weltkrieg beschrieben hat. Das ist reines Catch Wrestling, kein Kung Fu.

2. Defendu ist kein Selbstverteidigungssystem, sondern ein Mordsystem für den Fall, dass ein Geheimagent/Spion/Spezialkräfte-Soldat mit runtergelassenen Hosen erwischt wird und sich eines oder mehrerer Gegner entledigen muss, die ihn töten wollen - kill or get killed. Es basiert auf Aggression und überfallartigen Techniken, die den Kampf so schnell wie möglich beenden sollen deswegen findet man auch wenig Verteidigungstechniken. Ob das jetzt das ist, was der durchschnittliche Bürger für die Selbstwehr nachts um 3 auf den Rückweg von der Kneipe braucht, muss man sich reiflich überlegen, schon alleine der Gesetzeslage wegen.

3. Das Defendu der Bücher ist nicht unbedingt das Defendu, das in Camp X gelehrt wurde. Erstens gab es dort neben Fairbairn noch andere Lehrer (De Relwyskov z.B., ein erfolgreicher Ringer), zweitens wurde das System immer wieder aufgrund von Erfahrungsberichten von der Front modifiziert. Gegen Ende wurden z.B. auch Boxschläge gelehrt, die in Fairbairns Büchern nicht vorkommen. Also sollte man auch überlegen, was man da jetzt eigentlich trainiert.

amasbaal
17-01-2023, 20:06
Wenn die Parameter stimmen, funktioniert fast alles,

:halbyeaha

99% zustimmung. das eine prozent käme noch dazu, wenn das "fast" noch stärker betont wäre ;)

period
17-01-2023, 20:36
:halbyeaha

99% zustimmung. das eine prozent käme noch dazu, wenn das "fast" noch stärker betont wäre ;)

Danke für die Blumen ;) Eventuell erklärt sich die Betonung des "fast" aus dem Verständnis des "Techniken verstehen" - wo ich herkomme, heisst eine Technik zu verstehen nicht nur ein praktisches Verständnis, wie und in welchen Szenarien sie funktioniert, sondern auch, DASS sie funktioniert - und das schliesst dann a priori sehr vieles aus.

ThomasL
18-01-2023, 09:08
@Period: 1+ Ich lese dazu gerade wieder einen ganz interessanten Blogbeitrag. Kann ich Dir gerne mal schicken – wenn du möchtest.

Es gibt schon einen Grund warum Beschreibungen nahezu identischer Techniken über Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Kontinenten zu finden sind. Gerade auch aus „unruhigen“ Zeiten.

period
18-01-2023, 09:10
@Period: 1+ Ich lese dazu gerade wieder einen ganz interessanten Blockbeitrag. Kann ich Dir gerne mal schicken – wenn du möchtest.

Es gibt schon einen Grund warum Beschreibungen nahezu identischer Techniken über Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Kontinenten zu finden sind. Gerade auch aus „unruhigen“ Zeiten.

Gerne, immer her mit dem "Block" ;)

ThomasL
18-01-2023, 09:13
Autsch, ich sollte echt hinterher nochmal lesen was ich so schreibe.

Bücherwurm
18-01-2023, 12:55
Gerne, immer her mit dem "Block" ;)

Ist wahrscheinlich Geheimwissen.

ThomasL
19-01-2023, 10:02
Ja, ist es. Die geheimen Tagebücher des ThomasL, geschrieben auf DIN A4 Block.

Kann Dir leider keine PM schicken, dein Eingang ist voll.

Willi von der Heide
22-01-2023, 16:26
Hi, weiß jemand, was aus Defendu geworden ist? Und für wie sinnvoll haltet ihr es, es ist, denke ich-auf jeden fall in den Büchern Mega Combatives-ähnlich. Es gibt auch keine Schlagabwehr in den Büchern. MMh, ein paar Aufnahmen gibst, aber mich würde auch interessieren, ob ihr denkt, ob das, was William E. Fairbairn macht Aikido ist, es haben nämlich manche schon versucht ihm ihre Kampfsportart/kunst unterzuschieben.

Wenn man sich mit Defendu beschäftigt, ist man in der sog. goldenen Ära der sog. " WW II Combatives ". Eine Zeit in der viele Systeme entstanden und auch wieder verschwanden. Defendu ist sicherlich das bekannteste. Was eben der Tatsache geschuldet ist, daß sich der Herr Fairbairn nach dem Krieg noch etwas vermarkten mußte. Die treibende Kraft hinter F&S war ja immer der Eric Sykes. Der hat aber das Kriegsende nicht mehr erlebt. Fairbarin hat in seiner Nachkriegszeit auf Zypern z.Bsp. noch 5 weitere Bücher geschrieben - alles in Sammlerhänden und praktisch kein rankommen. Viele Schriften aus der Zeit des WK II sind noch unter Verschluß. Welches System trainierte z.Bsp. " No. 10th Group " oder auch " The british Group " ? Nur Auszüge sind bekannt, so wie dieser hier:

" Thema Messer und Messerabwehr:

Es gibt keine funktionierende Messerabwehr. Benutzen sie daher ihren Revolver. Zögern sie nicht ihren Gegner zu töten, er würde mit ihnen das gleiche tun. "

Ein ganzes Themengebiet in einem Satz behandelt. Die Bücher von Fairbairn waren auch nie komplett, sie unterscheiden sich auch je nach Datum der Veröffentlichung. Wer jetzt hinter was stand, läßt sich heute nicht mehr im ganzen nachvollziehen. Warum trainierten z.Bsp. die Norweger in Achnacarry ( Schottland ) mehr Würfe ? Sie lernten ja das gleiche System ? Darauf gibt es keine schlüßige Antwort.

Aber wie lief das Training überhaupt ab ? Es bestand im wesentlichen aus drei Phasen:

Phase 1):

Da alle Bewerber auf die Kommando-Ausbildung einen soliden Hintergrund im Boxen hatten ( wenn es sich um Briten handelte ), lief dieses Training natürlich parallel weiter. Es folgten zusätzliche die Grundlagen im H2H, sowie einige Sachen aus dem Jiu-Jitsu Programm der Shanghai Police. Außerdem gab es Training im sog. Bacon Wrestling.
Der Herr Bacon hatte ein neues Fitneßtrainingskonzept entwickelt, welches er mit " Catch-as-Catch-can " kombinierte. Außerdem gab es hier auch immer wieder das sog. " Milling ". Was sich ja bis heute in der britischen Armee gehalten hat und vor allem von Paras praktiziert wird.

Phase 2):

Hier erfolgte das eigentliche Training des Fairbairn-Sykes Systems, aber es gab weiterhin zusätzliches Training im Boxen und Bacon Wrestling.
Außerdem wurde zunehmend auf einer Art Hindernisparcour trainiert, dieser enthielt auch die praktische Anwendung des bisher gelernten.

Phase 3):

Hier erfolgte die praktische Erprobung ! Hier wurde an Dummys geübt, es gab sog. " Kampfkreise " wo die Leute attackiert wurden - die sog. " Mad Minutes " und immer wieder Sparring. Man kann es durchaus mit dem Training in " modernen " Hybrid-Systemen vergleichen.

Außerdem darf man es nicht getrennt von der Schießausbildung betrachten. Die war immer mit dabei.

Willi von der Heide
22-01-2023, 16:35
Defendu heute:

Ja, es gibt nach wie vor Gruppen, die nah am Original trainieren oder das von sich behaupten. Defendu hat ja auch recht lange " überlebt ". Sei es im Militär Skandinaviens, in Südkorea oder bei den Franzosen im Indochina-Krieg. Immer wieder wurde das Wissen recycelt und wiederverwendet.
Macht ein Training heute noch Sinn ? Diese Frage muß jeder für sich selbst beantworten. Als Einstieg ... Ja. Aus historischem Interesse ... Ja. Aber die Zeiten haben sich geändert und so muß man sich ihnen eben anpassen. Traditionelle " Cpmbatives " sofern es daß geben sollte, passen nicht mehr ins heute. Ihre Zeit ist vorüber. Der Kern jedoch ist geblieben und daß Rad muß nicht immer wieder neu erfunden werden. Was bleibt ist der Respekt vor Leuten, die in einer völlig anderen Zeit gelebt haben und Pionierarbeit leisten mußten.

FireFlea
04-03-2023, 10:24
Kennt jemand die Bücher von Moore? Sehen ja von der Aufmachung schonmal recht ansprechend aus:

https://www.amazon.de/Shanghai-School-Streetfighting-Defendu-combatives/dp/B091DYRB68

https://www.amazon.de/Modern-Bartitsu-Tommy-Joe-Moore/dp/B08SNV3H34