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Vollständige Version anzeigen : Was ist eigentlich ein "Stil"?



Bücherwurm
25-02-2023, 14:11
In Anknüpfung an diese (https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?190767-Hikite&p=3877233#post3877233) Diskussion stelle ich die Frage: Was ist eigentlich ein "Stil", und was ist dazu unter besonderer Berücksichtigung von Sportverbänden und deren Funktionären zu bemerken?

Meine Definition ginge etwa in diese Richtung: Ein Stil (in der Kampfkunst - noch einmal zu unterscheiden von Kampfsport) ist eine Auswahl an Techniken und Übungen, die nach bestimmten Kriterien in einer bestimmten Art und Weise trainiert werden.

Es ist also in jedem Fall ein eingeschränktes Üben. Bestimmte Inhalte werden nicht geübt, bestimmte Arten des Übens auch nicht, weil sie "nicht zum Stil" gehören. Es erfolgt also eine mehr oder weniger große Einschränkung des natürlichen Spektrums.

Das ist m.E. ein Nachteil, nicht nur dann, wenn ich Kampfkunst unter dem Aspekt der Selbstverteidigung sehe - ggf. sind die stilrichtungskonformen Angriffsformen in reality überhaupt nicht zu erwarten - , sondern auch im Hinblick auf etwaige Vorschriften des Stils, die einer möglichst gesunden Ausführung der Bewegungen widersprechen.

Bin ich demzufolge als "Fortgeschrittener" nicht sogar gezwungen, den Stil zu verlassen bzw. seine Vorschriften zu übertreten?

na, binich gespannt. :)

MGuzzi
25-02-2023, 14:27
Meine Definition ginge etwa in diese Richtung: Ein Stil (in der Kampfkunst - noch einmal zu unterscheiden von Kampfsport) ist eine Auswahl an Techniken und Übungen, die nach bestimmten Kriterien in einer bestimmten Art und Weise trainiert werden.


Das wäre für mich ein System.
Ein Stil ist dann eine bestimmte Ausprägung eines Systems, entweder gibt es rein äußerliche Unterschiede ( Kunstformen), oder die Unterschiede finden sich in der Art der Ausführung der Systemelemente.
Das System kann natürlich mehr oder weniger vollständig sein.

amasbaal
25-02-2023, 14:57
Das wäre für mich ein System.
Ein Stil ist dann eine bestimmte Ausprägung eines Systems, entweder gibt es rein äußerliche Unterschiede ( Kunstformen), oder die Unterschiede finden sich in der Art der Ausführung der Systemelemente.
Das System kann natürlich mehr oder weniger vollständig sein.

sehe das ähnlich. stil ist die art und weise in der ein system umgesetzt wird. dementsprechend gibt es ja auch zb. unterschiedliche stile selbst im "englischen" (westlichen) boxen. kk oder ks... alle haben ihre stile innerhalb der systeme bzw. ks-arten. es ist das system, das die "prinzipien" und die technische zusammensetzung vorgibt. der stil ist die art der anwendung der systemvorgaben.

edit: in der kk/ks alltagsspprache wird das aber sehr schwammig. wenn ein bestimmter trainer, der aus einem bestimmten system kommt auf basis seines persönlichen stils nun eine eigene linie gründet, in der er so unterrichtet, wie er das ursprüngliche system ganz persönlich interpretiert und umsetzt und durch andere/neue elemente ergänzt... ist das dann ein neues system, oder "sein stil", den er unterrichtet? was ist mit sogenannten "multi-style systems", also hybriden, die sich nicht aus verschiedenen kks zusammensetzen, sondern aus verschiedenen ausprägungen einer kk, die sich aus einem einzigen ursprungssystem entwickelt haben? es scheint da so was, wie schnittmengen von "system" und "stil" zu geben.
im fall des Kali Sikaran ist es so, dass der gründer immer betont hat, es sei sein persönlicher stil, der auf verschiedenen quellen basiert und den er weitervermitteln will, damit man selbst letztlich auch was "persönliches" draus macht. was ist das dann, wenn man dabei dennoch mit einem allgemeingültigen "programm" zu tun bekommt, das technisch-taktische vorgaben macht und das "stilistische" vorbild des gründers dazu anleitet, die ausführungen auf die gleiche, zumindest sehr ähnliche art und weise, wie er selbst zu trainieren?
in der praktischen kk-welt ist die differenz system-stil oft irgendwie "wischiwaschi".

CeKaVau
25-02-2023, 15:02
Hallo,

für mich gibt es "Stile" im weiteren und engeren Sinne.

Ich betreibe "Shotokan-Karate". Für mich ist Shotokan definiert durch die stilrelevanten Kata (Wie auch immer die Auswahl zustande gekommen ist. Dies spielt nicht wirklich eine Rolle.) und den daran enthaltenen Techniken, Taktiken und Ableitungen davon.

Dies würde ich als Sil im "weiteren Sinne" begreifen.

Im "engeren Sinne", schränke ich mich selbst weiter ein: Ich praktiziere nicht alle Kata gleich häufig; ich lasse Dinge ganz weg (Sprung in Unsu); ich übe die Anwendung (also die Techniken und Taktiken) bestimmter Kata gar nicht.
Des Weiteren heißt für mich "Stil im engeren Sinne", dass ich für alle Techniken, die im "weiteren Sinne" stilzugehörig sind, eine persönliche Ausführungsart bevorzuge. Es gibt die unterschiedlichsten Art und Weisen, Gyaku-Zuki auszuführen - und ich verwende halt meine.

Bei uns im Training, u.U ein Extremfall, ist es sogar so, dass jeder Anwesende seinen eigenen Stil (im engeren Sinne) praktziert. Dies liegt einfach an körperlichen Einschränkungen, dem Alter oder der Interessenlage. Ich fördere das. 1:1-Copy-Karate, das bedingungslose Kopieren einer anderen Person, halte ich weder für praktisch noch gesund.

Selbst wenn aber jeder "Stilangehörige" die gleichen Techniken verwendet, entstehen trotzdem Unterschiede, die man als persönlichen Stil bezeichnen kann. Ich würde gehaupten, dass sowohl Henry Maske als auch Mike Tyson erfolgreiche Boxer waren, die aber aus den Boxtechniken völlig anderes Boxen herausgeholt haben.

Grüße
Sven

amasbaal
25-02-2023, 15:21
dass sowohl Henry Maske als auch Mike Tyson erfolgreiche Boxer waren, die aber aus den Boxtechniken völlig anderes Boxen herausgeholt haben.

auch, wenn ich das beispiel boxen in diesem sinne auch benutzt habe: es gibt auch leute, die sagen, das seien "schulen". in dem fall "peek a boo" nach Cus D'amato und "klassische DDR boxschule". beides dann wiederum in individueller umsetzung. auch hier also keine klaren trennlinien... (obwohl klar ist, wie "stil" definiert werden müsste, wenn man das so sieht, wie ich oben beschrieben habe)

Björn Friedrich
25-02-2023, 16:58
Ich würde sagen, es ist das Produkt einer oder mehrerer Personen, ihrer Lebensumstände, ihren Zielen, Regeln, oder moralischen Vorstellungen. Je enger die Ziele gefasst sind, desto spezifischer ist der Stil.

Einfaches Beispiel Boxen ist ein Stil, weil es darum geht, nach einem bestimmten Regelwerk, bestimmte Ziele zu erreichen.

Fasst man die Ziele noch enger, also z.B. wie kann das Problem von einem kleinen, schnellen Mann oder von einem großen langsamen Mann gelöst werden, wird es halt noch spezifischer und es entstehen persönliche Stilrichtungen.

Oldschool
26-02-2023, 13:13
In Anknüpfung an diese (https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?190767-Hikite&p=3877233#post3877233) Diskussion stelle ich die Frage: Was ist eigentlich ein "Stil", und was ist dazu unter besonderer Berücksichtigung von Sportverbänden und deren Funktionären zu bemerken?

Meine Definition ginge etwa in diese Richtung: Ein Stil (in der Kampfkunst - noch einmal zu unterscheiden von Kampfsport) ist eine Auswahl an Techniken und Übungen, die nach bestimmten Kriterien in einer bestimmten Art und Weise trainiert werden.

Ich würde das wie die anderen sehen: System als eine Art Oberbegriff, Stil als persönliche Interpretation. Beispiel Karate: Karate ist das System, Wado, Shotokokan und wie sie alle heißen wären dann die Stile, dann die Lehrer der jeweiligen Richtungen noch mal als Unterstil.

Die Unterscheidung Kampfkunst und Kampfsport halte ich dabei - ohne diesen Nebenkriegsschauplatz aufmachen zu wollen - für falsch, künstlich und nicht zielführend.



Es ist also in jedem Fall ein eingeschränktes Üben. Bestimmte Inhalte werden nicht geübt, bestimmte Arten des Übens auch nicht, weil sie "nicht zum Stil" gehören. Es erfolgt also eine mehr oder weniger große Einschränkung des natürlichen Spektrums.

Das ist m.E. ein Nachteil, nicht nur dann, wenn ich Kampfkunst unter dem Aspekt der Selbstverteidigung sehe - ggf. sind die stilrichtungskonformen Angriffsformen in reality überhaupt nicht zu erwarten - , sondern auch im Hinblick auf etwaige Vorschriften des Stils, die einer möglichst gesunden Ausführung der Bewegungen widersprechen.

Hier ein klares Nein. Konsens ist doch z. B., dass Boxer sich gut zur Wehr setzen können und auch im Ring nicht zu unterschätzen sind. Ebenfalls reine Ringer. Von denen trainiert doch kein einziger den "Umgang" mit systemfremden Techniken. Und es kümmert sich auch niemand in diesen Systemen um irgendwelche "Lücken". Egal mit was man einen Ringer angreift, oder welches System man trainiert, der Ringer überbrückt die Distanz, packt, bringt zu Boden und macht Aua. Dieses "ich finde, da ist noch eine Lücke, die muss ich mir mit der und der Technik aus dem und dem System/Stil schließen" ist wieder völlig künstlich und genau das nicht, was man tun sollte.


Bin ich demzufolge als "Fortgeschrittener" nicht sogar gezwungen, den Stil zu verlassen bzw. seine Vorschriften zu übertreten?

na, binich gespannt. :)

Nein. Maximal innerhalb eines Systems die einzelnen Stilvertreter abklappern, um da noch andere Sichtweisen auf bekannte Bestandteile zu finden.

Cam67
26-02-2023, 13:38
I

Hier ein klares Nein. Konsens ist doch z. B., dass Boxer sich gut zur Wehr setzen können und auch im Ring nicht zu unterschätzen sind. Ebenfalls reine Ringer. Von denen trainiert doch kein einziger den "Umgang" mit systemfremden Techniken. Und es kümmert sich auch niemand in diesen Systemen um irgendwelche "Lücken". Egal mit was man einen Ringer angreift, oder welches System man trainiert, der Ringer überbrückt die Distanz, packt, bringt zu Boden und macht Aua. Dieses "ich finde, da ist noch eine Lücke, die muss ich mir mit der und der Technik aus dem und dem System/Stil schließen" ist wieder völlig künstlich und genau das nicht, was man tun sollte.



Ebenso Nein , aber nicht so klar.
Man muss Lücken nicht schliessen , wenn man es schafft sein eigenes Zeug durchzuziehen. Stimme ich zu . Nur , diese Schaffen ist dann halt der Knackpunkt .
Als wir mit Ringern anfingen öfter Übungskämpfe zu machen , waren es die Ringer die immer wieder mal in eine Würge oder Genickhebel landeten , weil sie es nicht gewohnt waren den Hals zu verteidigen , wenn KEIN Arm dazwischen ist . Ebenso hatten sie immer wieder Lücken , wenn wir uns sofort auf den Rücken legten , da wir damit das Ziel der Ringer quasi in Luft auflösten . die Ringer wiederum lernten fix sich abzugewöhnen sich auf den Bauch zu legen . Das alles durch den Austausch mit anderen systemen .

Selbstverständlich versuchten sie anfangs einen zu packen und zu Boden zu bringen ,und es klappte auch oft genug , aber oft eben auch mit dem Preis in der Würge drin zu sein. Die Art und Weise dich zu packen , modifizierten sie dann beizeiten , Eben weil es Lücken hatte .

Bücherwurm
26-02-2023, 20:13
Ich würde das wie die anderen sehen: System als eine Art Oberbegriff, Stil als persönliche Interpretation. Beispiel Karate: Karate ist das System, Wado, Shotokokan und wie sie alle heißen wären dann die Stile, dann die Lehrer der jeweiligen Richtungen noch mal als Unterstil.

In Übereinstimmung mit den meisten. Das erscheint auch sinnvoll.



Die Unterscheidung Kampfkunst und Kampfsport halte ich dabei - ohne diesen Nebenkriegsschauplatz aufmachen zu wollen - für falsch, künstlich und nicht zielführend.

Ganz im Gegenteil! Die ist essenziell! :D


Dieses "ich finde, da ist noch eine Lücke, die muss ich mir mit der und der Technik aus dem und dem System/Stil schließen" ist wieder völlig künstlich und genau das nicht, was man tun sollte.

Nicht "eine Technik". Ganze Verfahren, viele Zusammenhänge! Daher muß ich restlichen Sachen auch verneinen. Begründung braucht etwas.

Abgesehen davon ist es bei mir eh zu spät. :D