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Vollständige Version anzeigen : Wie lange und wie oft? Trainingslehre in der Geschichte



Spud Bencer
26-03-2025, 08:50
Ich sags mal gleich wie es ist: Es scheint keine gegeben zu haben. Abgesehen von ein paar Andeutungen und Allgemeinplätzen in medizinischen antiken und Renaissance-Quellen, die sich auf diese antiken Quellen stützen, fehlt dieses Wissen vollkommen (Und die Andeutungen sind auch wenig hilfreich: Mässigung, keine Extreme, "die Übung soll abgebrochen werden wenn sie keine Freude mehr erzeugt", das ist schön und gut, kennt man auch von Strongman-Kursen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert wie z.B. Maxalding - das Problem ist , daß das nur bei Individualtraining funktioniert: Was mach ich, wenn ich schon nicht mehr kann, aber mein Partner noch fit ist? - und ob ein Hoplit, Legionär, Ritter oder Landsknecht dann doch nicht eher den als ungesund gescholtenen Weg des Leistungssportlers eingeschlagen hat, ist auch nicht klar.).

Egal in welches Land und in welches Jahrhundert wir schauen, genau dieses Detail fehlt immer, auch wenn ansonsten geradezu detailverliebt geschildert wird, was ein Schüler so alles trainieren sollte. Nirgends steht "Mach 10x das und 20x das", oder "10 Minuten Drills und dann eine Stunde Assault", oder "Trainiere an einem Tag 1 Stunde und mach am nächsten Tag Pause" o.ä., solche Trainingspläne kommen dann erst im 19. Jahrhundert auf, z.B. bei den Boxern in England wo dann sowas wie "Man mache im Training so und so viel Roadwork, dann eine Pause bis nach dem Mittagessen, dann nachmittags 1000x Hanteln herausstossen und bis zum Abend Sparring" geschrieben steht. Sicher, nicht grade die modernsten Methoden, aber immerhin kann man damit arbeiten.

Davor, also von der Antike ins Mittelalter über die Renaissance, Barock, Moderne... nichts.
Warum ist das so? Von Lehrbüchern sollte man doch eigentlich genau solche Informationen erwarten können.

marasmusmeisterin
26-03-2025, 09:37
Davor, also von der Antike ins Mittelalter über die Renaissance, Barock, Moderne... nichts.
Warum ist das so? Von Lehrbüchern sollte man doch eigentlich genau solche Informationen erwarten können.

AU-HAUERHA.
Das ist ein elend weites Feld. Wenn man das ernsthaft beantworten wollte, müßte man sich mit allen möglichen Konzepten von Körper, Bewegung und Gesellschaft in aller Breite und Tiefe über Jahrhunderte befassen. Ich lese gerade von Volker Schürmann "Mündige Leiber", da wird der ganze Komplex gut zusammengefaßt, allerdings auch erst ab der Aufklärung (Kant).
Ich versuchs trotzdem mal - mit großem Mut zur Lücke.
Mit dem frühen Griechenland, Rom etc. kenne ich mich nicht aus. Aber z.B. Im Mittelalter durften die Arme auch von Männern nicht entblößt werden - damit ist schon mal eine ganz unerwartete Beschränkung für weit ausgreifende oder schweißtreibende Tätigkeiten gegeben. Die Mode der damaligen Zeit erforderte auch elegante Ziehfalten durch zu knapp geschnittene Ärmel; das werden die Zeitgenossen nicht mutwillig beschädigt haben; Kleidung war handgenäht und entsprechend kostbar. Aus der Renaissance weiß ich z.B., daß der englische Name barbells bzw dumbbells daher rührt, daß zur Körperertüchtigung an funktionstüchtigen Glockenseilen gerissen wurde - das dürften sich wohl auch nur Adlige erlaubt haben (Freizeitverhalten). Schließlich wurde die akustische 360-Grad-Belästigung abgestellt durch das Abhängen der Glocken und ihr Verbinden mit Stangen. Man kann jetzt vermuten, daß damals evtl. Anleitungen zur Körperertüchtigung etwa auf der Linie der Tanzbücher mit Raumwegen lagen; es wurden keine Schritte oder -folgen aufgezeichnet. Die mußten sich spätere Jahrhunderte mühsam rekonstruieren.
Gerade im höfischen Umfeld spielt auch immer die Darstellung des höheren Rangs eine Rolle. Wie da z.B. das Verhältnis zum Schwitzen war, weiß ich nicht; aber ein Adliger des 17., 18. Jrhs. z.B. durfte das nur bei standesgemäßen Beschäftigungen, z.B. der Jagd. Alles andere war unter seinem Stand; "man" war ja weder Bauer noch Handwerker. Da spielt auch das Verhältnis zur Sauberkeit, bzw. zum Waschen, eine Rolle, das ist aber ein eigenes, auch wieder SEHR weites Feld.
Dann ist die Frage, wie war das dazugehörige Menschenbild, bzw. die Auffassung vom >Lernen< an sich. Unser heutiges Verständnis wird bzw. wurde ja lange von vielen Kulturen nicht geteilt, die ebenso kulturelle Techniken überliefern mußten bzw. auch immer noch wollen. Die Zerlegung in einzelne Schritte der Vorbereitung vor der eigentlichen Bewegungsaufgabe ist ein ziemlich modernes Konzept; auch heute kann man noch viele Unterrichtsmethoden antreffen, die das ganz anders handhaben (ich habe gerade wieder eine aus Japan mitgebrachte Trainingsmethode für Aikido am eigenen Leib erlebt; frustierend ist da noch milde ausgedrückt).
Puuh, so ein Hexenritt durch Zeiten und Themen - konnte ich Dir weiterhelfen?

Björn Friedrich
26-03-2025, 09:53
Weil der Maggus schon gesagt hat, er hat nie die Wiederholungen gezählt.....;-);-);-)

Ich denke mal, vielleicht war es auch wirklich dieses "Der Weg ist das Ziel" Ding, als es ging weniger um das Ziel und darum bestimmte Wiederholungszahlen zu erreichen, sondern eher darum, voll in der Tätigkeit aufzugehen.

Ein anderer Aspekt kann aber auch sein, das die äußeren Umstände eine Rolle gespielt haben dürften. Wer nur trainieren konnte und eine gute Ernährung hatte, der konnte mehr machen, als jemand der vielleicht noch hart arbeiten musste oder gerade in einer Hungersnot war.

Selbst heute ist das Thema Wiederholungen sehr relativ, man kann solche und solche Wiederholungen machen und auch heute spielen die anderen Umstände, Alter, Beruf, etc. ne große Rolle.

Katamaus
26-03-2025, 10:38
Gab es denn da bereits Training in größeren Gruppen/Verbänden. Ich spekuliere nur, aber wer alleine für sich trainiert, veröffentlicht keine Anweisungen für andere und ansonsten war die Übertragung wohl eher auch in Europa sehr individuell von einem Lehrer zu einer Handvoll Schüler und der Lehrer hat das dann wihl auch sehr individuell gehandhabt. Also wurde Wissen, wie etwa auch im Handwerk, eher müdlich/praktisch weitergegeben. Oder bin ich da auf dem total falschen Dampfer?

Cam67
26-03-2025, 12:30
Dazu kommt für mich der Zeitgedanke selbst. Sein wann gibt es die Stundeneinteilung , wohlgemerkt im Alltag , wie wir es kennen . Geschweige denn ein Denken in Minuten ? Da würde ich eher im Altertum Zeiteinheiten wie die Länge einer Viertel Gebetskerze oder Räucherstäbchen , oder zur Dämmerung oder ähnliches erwarten . Aber kein Denken in Wiederholungszahlen . Wundert mich nicht das es fehlt .^^

period
26-03-2025, 14:47
Item Es sol auch der Junckher sich hütten das er nit vill gehaimß mit den lütten hab das sein haimlichait niemen erfar vnd das im nit werd v°geben vnd besunder so sol er alltag frü vff stãn vnd hören ain meß vnd dar nach hain gãn vnd sol essen ain schnÿtte santj Johans brott vnd sich arbaitten zwu° stund in der ler vnd nit vil faists dings essen Vnd nach mittag aber zwu° stund Vnd zenacht so er schlauffen wil gãn so sol er essen ain Ruggj schnÿtte brot vß ainem kaltten wasser das macht Im gu°tten autem vnd wit vmb das hertz

vnd gedenck nach ritte~ schafft
mit freiden üben
stain werffen vñ stang schüben
tantzen vnd springen
fechtten vnd rÿngen
stechen vnd turniere~
schönen frawe~ hofiere~

(Hans Talhoffer, MS XIX.17-3 fol. 1 [ca. 1450])

Cam67
26-03-2025, 16:15
It sich arbaitten zwu° stund in der ler vnd nit vil faists dings essen Vnd nach mittag aber zwu° stund Vnd zenacht so er schlauffen wil gãn so sol er essen ain Ruggj schnÿtte brot vß ainem kaltten wasser das macht Im gu°tten autem vnd wit vmb das hertz

. 1 [ca. 1450])

So was in der Art erwarte ich eher statt WHZ und und das ist 1450 , also schon recht spät, wenn es um Fragen des Trainings im Altertum geht. . Erste Kirchturmuhren in dtl laut Netz ca. 1300 .

marasmusmeisterin
26-03-2025, 16:55
Gab es denn da bereits Training in größeren Gruppen/Verbänden.

Da ist wieder die richtige Antwort: es kommt drauf an. Z.B. die ersten Fußballspiele in England waren Massenveranstaltungen (um nicht zu sagen -schlägereien), Bogenschießen wurde aber individuell trainiert (soll laut einem obskuren Gesetz sogar heute noch im Hyde-Park erwünscht bzw. erlaubt sein; vielleicht hat´s aber inzwischen jemand gemerkt und geändert).
Wenn man davon ausgeht, daß nur die oberen Zehntausend (wenns denn so viele waren), sowas wie Freizeit hatten, dann steht hier auch wieder die Schichtspezifik im Vordergrund.
Später gabs dann auch methodische Unterschiede im englischen Sport, deutschen Turnen und der schwedischen Gymnastik (so weit bin ich bei Schürmann aber noch nicht). Meine eigenen Kenntnisse sind dazu aber zu fragmentarisch, um hier Substanzielles auszusagen.
Selbst heute gibts da noch Mischformen; falls du dich mal mit Loic Wacquant´s >Body and Soul - Notebooks of an Apprentice Boxer< beschäftigst: der hat in den 80ern in einem Ghetto in Chicago Boxen trainiert. Der Coach gab nur alle zwei Minuten ein Zeitzeichen, dann machte jeder das, was ihm der Coach speziell gesagt hatte. Techniken mußte man sich von anderen abgucken, was auch wieder der Coach initiierte.

marasmusmeisterin
26-03-2025, 16:57
@period:
He, danke dafür! Dieses Original-Altschwyzerisch ist ja ein echtes Glanzlicht.

marasmusmeisterin
26-03-2025, 17:07
Sein wann gibt es die Stundeneinteilung , wohlgemerkt im Alltag , wie wir es kennen .

Das dürfte sich massenmäßig erst mit der Industrialisierung durchgesetzt haben, als die Industrie-Arbeiter auf Zeiteinheiten diszipliniert wurden. Erste Ansätze liegen weit früher, etwa ab Ludwig - äh, 14 oder 16? weiß ich jetzt nicht so aus dem Ärmel - in Frankreich; die Sonnenuhr in Versailes war Maßstab für die ersten Taschenuhren, und der Mittag wurde per Kanonenschuß für Paris verkündet ("Midi pétant", knallender oder furzender Mittag, heute noch eine Redewendung). Da war die Zeitmessung noch weit von Minuten und Sekunden entfernt.

marasmusmeisterin
26-03-2025, 17:09
Da würde ich eher im Altertum Zeiteinheiten wie die Länge einer Viertel Gebetskerze oder Räucherstäbchen , oder zur Dämmerung oder ähnliches erwarten
Gebete oder Gesänge waren beliebte Zeitmesser, auch beim Schmieden z.B.

Cam67
26-03-2025, 17:09
Das dürfte sich massenmäßig erst mit der Industrialisierung durchgesetzt haben, als die Industrie-Arbeiter auf Zeiteinheiten diszipliniert wurden. Erste Ansätze liegen weit früher, etwa ab Ludwig - äh, 14 oder 16? weiß ich jetzt nicht so aus dem Ärmel - in Frankreich; die Sonnenuhr in Versailes war Maßstab für die ersten Taschenuhren, und der Mittag wurde per Kanonenschuß für Paris verkündet ("Midi pétant", knallender oder furzender Mittag, heute noch eine Redewendung). Da war die Zeitmessung noch weit von Minuten und Sekunden entfernt.

Dank dir

Cam67
26-03-2025, 22:23
Gebete oder Gesänge waren beliebte Zeitmesser, auch beim Schmieden z.B.

Hatte ich auch mal gelesen , dabei ging es aber schon mehr um konkrete Zeiteinheiten und Zeitpunkte wie lange das Eisen jeweils behandelt wird , im Feuer ,beim Falten , beim Abkühlen usw. . Plus der Codierung (Verschlüsselung ) des Vorgangs für Aussenstehende. Also sehr spezieller , als ein allgemeiner Zeitaufzeiger fürs tägliche Training ... aber ja, spannendes Thema .