Vollständige Version anzeigen : Morallehre im Karate der Gegenwart
Hallo,
gibt es heutzutage Karate-Vereine, -Schulen, -Gruppen, in denen die Morallehre einer Karate-Strömung als Bestandteil erachtet und aktiv innerhalb oder am Rande des Trainings unterrichtet bzw. besprochen wird? Falls ja, in welcher Form geschieht das genau?
Diese Frage bezieht sich auf schriftlich oder mündlich überlieferte Morallehre, d. h. beispielsweise den moralischen Aspekt des Lehrsatzes „Karate ni Sente nashi“, verschiedene „Dōjō-Kun“ usw.
Grüße,
Henning Wittwer
Im Goju-Ryu (IOGKF) wird die Dojo-Kun auf japanisch und deutsch rezitiert, immer am Ende des Trainings. Und dann auch während der Trainings an passender Stelle auf einzelne Aspekte verwiesen.
Bei Prüfungen sind die Inhalte dazu Prüfungsrelevant. Also man muss sie kennen und die Bedeutung wiedergeben können.
https://www.youtube.com/watch?v=DG-As8b0KK0
https://shudokan.de/dojokun/
und
Das Licht und die Dunkelheit (https://bagua-zhang.eu/?page_id=213)
Ich war in einigen asiatischen Länder und dortigen KK-Schulen.
Das hat da niemand interessiert.
Und auch niemand praktiziert. (Wenn dann nur sowas in Richtung National"stolz", aber das ist ein anderes Thema.)
Ich kannte das nur aus der - später so bezeichneten - deutschen Budo-Romantik.
Und dann Sprüche (wie der Mann in weiß oben) in japanisch zu zitieren.
Finde ich befremdlich...
Wird wohl auch heute als "kulturelle Aneignung" gesehen.
Und bald verdammt.
Schnubel
06-10-2025, 06:07
Ich war in einer solchen Gruppe, wo man am Anfang und am Ende Respekt, Höflichkeit und Reinlichkeit als Hauptdojokun aufsagen...und das auf japanisch. Das erschien geradezu lächerlich...wenn die Leute sich auf was japanisch daher gesammelt haben.
Die Regeln stammen zwar von einem okinawanischen Meister...Doch er selbst lässt die Regeln nicht aufsagen. So etwas bringt nur ein Deutscher fertig...der sich selbst nicht an diese Regeln hält.
Grundsätzlich habe ich nichts gegen eine Dojokun....wenn man danach auch wirklich lebt und sich an die Regeln hält. Aber das nur runterzubeten...ist für mich eine Lüge und nicht vertretbar. Das ist dann eine fruchtlose Blase von Budoromantik. In der westlichen Welt machen das viele und glauben so was besonderes für die Leute zu machen. In einigen Dojos auf Okinawa gibt es den Laberkram nicht.
Hallo,
es ist nicht meine Aufgabe, Erwachsene Leute in Ihrer (und meiner) Freizeit zu erziehen. Meine Ego ist auch bei Weitem nicht groß genug dafür.
Und "Karate ni sente nashi", so wie es heute meist aufgefasst wird (nämlich: Warte bis die gegnerisch Faust auf dich zufliegt.) lehren wir schon gar nicht.
Grüße
Sven
Katamaus
06-10-2025, 08:47
Und "Karate ni sente nashi", so wie es heute meist aufgefasst wird (nämlich: Warte bis die gegnerisch Faust auf dich zufliegt.) lehren wir schon gar nicht.
Das ist auch eine sehr unterkomplexe Auslegung dieser Phrase, um es höflich auszudrücken.
Hallo,
danke schon mal für die ersten Rückmeldungen! Besonders überraschend bzw. neu war für mich die Information, dass dieser Aspekt in der IOGKF sogar Teil der Prüfungsordnung ist.
Grüße,
Henning Wittwer
Kunoichi Girl
06-10-2025, 12:44
Es gibt in der brd offensichtlich einige dojos mit entsprechenden vorgaben, zb:
https://kara-te.de/verhalten-im-dojo/
https://karate-kempten.de/dojo-regeln-karate-etikette/
https://www.shotokan-karate-stade.de/startseite/dojo-regeln/
https://www.nibukai.de/ueber-uns/dojo-regeln
https://karate-funakoshi.de/training/dojo-regeln/
https://tsv-unterhaching.de/karate/dojo-regeln
KK-Baghira
06-10-2025, 12:50
Ich weiß nicht, ob es zu weit weg führt - und zu einem anderen aktuellen Thread (https://www.kampfkunst-board.info/forum/showthread.php?195502-Sexuelle-Gewalt-im-Sportverein-besonders-bei-Abh%C3%A4ngigkeit-Trainer-Sportler) würde es eher passen - aber ich habe gerade für einen wissenschaftlichen Artikel einen Artikel erneut gelesen, der sich mit Morallehre im Judo und der Trainerausbildung befasst:
De Crée, Carl (2015): The ‘Jūdō Sukebei’ Phenomenon: When Crossing the Line merits more than Shidō [minor infringement] – Sexual Harassment and Inappropriate Behavior in Jūdō Coaches and Instructors.
In: Problems of Psychology in the 21st Century, Volume 9, Issue, 2, pp. 85-128. (http://www.scientiasocialis.lt/ppc/node/111)
Gen Anfang seines Artikels berichtet De Crée (2015: 89ff.) über >Incidence and jurisprudence of cases of sexual abuse in jūdō< – wozu bspw. zu Beginn der 2000er Jahre in Bayern der jahrzehntelange Präsident des 1. Judovereins Passau in Bayern, German sex offender und als riskant-pädophil eingestuften Wolfgang Doffek mit mehrfachem sex. Kindesmissbrauch im Feld des Judo gehörte – und stellt davor bzw. danach >The nature and organizational framework of jūdō< vor sowie Erwägungen zu >Does jūdō attract sexual perverts and pedophiles?< – wobei „[s]exual desires produce a very powerful drive in living beings” und „People with aberrant sexual desires towards children and underage people seek out their company in both leisure and professional activities” und ferner eine korrekte Einordnung (pädophil/statutory rape) relevant ist –, zu >Jūdō’s authoritarian and hierarchical structure as a basis for ‘grooming’ by bullies and sex offenders< und zu >Gender construction in jūdō interactions< an (vgl. weiterführend: De Crée, 2015: 87ff., 102ff.).
Ferner gibt es Hentai-Manga sowie X-rated Filme aus Japan mit Judo-Bezug und auch im Westen findet eine >Eroticization of jūdō in Western mainstream and erotic media< statt sowie sind generell(er) >Cultural divide and perceptions of age disparity in sexual relationships< auszumachen (vgl. weiterführend: De Crée, 2015: 100ff., 106ff.). Dabei gilt: „While in Western magazines such as Playboy a nude model’s body is typically displayed in its entirety and accompanied by a narrative about the model’s background and future aspirations in order to build in the reader a desire for a sexual-affectionate fantasy-relationship […], Japanese hentai and manga depict a whole other atmosphere, namely that of a ‘part-object relation’“ (De Crée, 2015: 112).
Gegen Sexual Harassment & Inappropriate Behavior von Trainern bzw. gegen den sog. jūdō sukebei 柔道助平 [‘jūdō lecher’ or ‘jūdō pervert’] im Judo – wobei organisierter (Judo) Sport „has its own very hierarchical power and governing structures”, es gibt >inappropriate coaching methods< und „[p]hysical and sexual abuses in jūdō are a function of power relations and are therefore not dissociated from the reinforcement of gender hierarchy“ – bringt De Crée (2015: 85ff., 103ff.) einen Rekurs auf KANŌ Jigorō (1860-1938) & Jūdō’s moral philosophy vor:
De Crée (2015: 112ff.) führt KANŌs Ji-ta kyō-ei 自他共栄 als ,Mutual prosperity and harmony for everyone’, Moralerziehung/moralischen Fragen & Kants Kategorischen Imperativ ein und wendet sich der Trainerausbildung vor folgendem Hintergrund zu:
„Those who are in jūdō and commit sexual offences, and those who seek out jūdō as an environment to indulge in sexual offences with children or nonconsenting adults, did not act in a ‘thoughtful’ way; they did not know when to stop, and did they cross the (moral) line. They either did not fully realize the difference between good and evil, or they were mentally too weak to intellectually reject evil or to emotionally dislike evil […]. Another reason why jūdō has attracted jūdō sukebei […] and has been a safe haven for them is that jūdō instructors today are no longer trained and have not been trained in the moral aspects of jūdō“.
Bis in die 1970er Jahre hinein gab es für viele Judolehrende soweit keine formale Ausbildung; in den 1980er Jahren tauchten in Ländern wie bspw. Belgien oder den USA Kurse unterschiedlicher Länge, Dauer und institutioneller Verankerung auf, die sich alle weitestgehend auf Judo-Techniken beschränkten, denn was die erzieherisch-moralische Komponente betrifft, war es so, dass „curricular and steering committees and the teaching staff generally possess this knowledge“ (vgl. De Crée, 2015: 116f.). Blickt man ins ferne wie vergangene Japan, so gab es 1911 Kurse für angehende Kodokan-Instruktoren und die „emphasis of the Kōdōkan jūdō teachers’ training was not just on technical skills, but equally on intellectual knowledge and moral character“; allerdings wurde die Schule finanzbedingt sehr schnell nach dem Durchgang des ersten Kurses 1914 geschlossen und es hielt eine „absence of extensive and continued training in ethics and moral development in the formation of jūdō instructors“ Einzug, die bis heute fortfauert, wo(bei) es stark um ‚fighting and winning‘ geht (vgl. De Crée, 2015: 117).
----------------------------
Natürlich ist der Artikel jetzt auf ein sehr spezielles Thema und auf Judo gemünzt und ich weiß nicht, ob die Erzählung dessen, wer (k)ein moralisches Wissen/Kompetenz besaß/besitzt, wie sie vom Autor vorgenommen wurde, so aufrecht erhalten werden kann - aber vielleicht gab es ähnliche moralvermittelnde Strukturen oder Ideen/Grundsätze dazu ja auch in Karate-Richtungen o.ä. und so wäre der Artikel eine Art möglicher an-abgrenzender Bezugsfolie und vielleicht ein bisschen hilfreich/nützlich?
Schöne Grüße
Alex
Hallo Alex,
mich persönlich interessiert grundsätzlich erst mal viel, was mit japanischer Kampfkunst allgemein zu tun hat, weswegen ich damals auch den verlinkten Artikel aufmerksam las, zumal es zu dem Thema wenig anderen Stoff gibt.
Er passt insofern zu dem Thema hier: Auch G. Funakoshi schrieb eindeutig über „Moralerziehung“ und zwar in einem Format, das indirekt auf J. H. Pestalozzi (1746–1827) zurückgeht. In meinem Band III, S. 41 f. und S. 49 ff. (https://www.gibukai.de/buch-shop/sh%C5%8Dt%C5%8Dkan-%C3%BCberlieferte-texte-historische-untersuchungen-band-iii/), stelle ich G. Funakoshis Text vor und ordne ihn ein.
Da nun G. Funakoshi sein Karate eben u. a. auch mit gewissen Morallehren verknüpft überlieferte, wollte ich hier fragen, ob und wie das in der heutigen Karate-Praxis gehandhabt wird …
Grüße,
Henning Wittwer
KK-Baghira
06-10-2025, 15:36
Hallo Henning,
Danke sehr für deine Ausführungen und Einordnungen.
Mit indirektem Rekurs auf Pestalozzi - mein Lieblingspädagoge noch vor dem Studium in Erziehungswissenschaft & Philosophie und dank eines väterlichen Freundes/Lehrerbildners aus der Schweiz, der über Pestalozzi auch promoviert hat, bin ich da nicht ganz unwissend - ist ja witzig:
Bzgl. Kano & Judo hat William Bodiford einst auch einen solchen Pestalozzi-Bezug hergestellt, allerdings ohne dies weiter auszuführen und konkreter zu belegen. Ich hab mal mit Andreas Niehaus - der lustigerweise der Projekt/PhD-Supervisor von Carl De Crée ist - darüber gesprochen, ob er aus Kanos Schriften, Tagebüchern etc. vlt. direkte Pestalozzi-Referenzen kennt, zumal indirekt einiges an spannenden Bezügen herstellbar ist; ihm war aber leider nichts bekannt.
Sieht das bei Funakoshi anders aus? Ich muss mir echt mal deine drei Shotokan-Bände holen, wenn das liebe Geld nicht wär, und mich vertieft einlesen - denn bisher hab ich nur den Hoplologie-Band im Regal. ^^'''
Schöne Grüße
Alex
Hallo Alex,
bislang habe ich den Namen Pestalozzis selbst noch nicht in irgendeinem der Texte von G. Funakoshi gelesen. So etwas wie Quellenangaben waren damals in Japan auch eher unüblich, d. h. hin und wieder gibt G. Funakoshi einen Hinweis, auf wen oder was er sich bezieht, oftmals aber auch nicht.
Wie geschrieben, in dem Fall nutzt er ein Format, das erkennbar auf J. H. Pestalozzi zurückgeht und damals in Japan bekannt war. Innerhalb dieses Formats geht er dann auf Aspekte des Karate ein, wobei halt G. Funakoshis Morallehre sehr spezifisch aus einer kriegerischen/kampfkünstlerischen Kultur stammt …
Grüße,
Henning Wittwer
Ich war in einigen asiatischen Länder und dortigen KK-Schulen.
Das hat da niemand interessiert.
Und auch niemand praktiziert. (Wenn dann nur sowas in Richtung National"stolz", aber das ist ein anderes Thema.)...
Ich würde jetzt aus der Erinnerung behaupten, dass ich es in den Honbu-Dojos IOGKF und Jundokan (Goju-Ryu) auf Okinawa so gesehen habe bei Trainings. Also mit rezitieren der Dojo-Kun.
Hallo,
danke schon mal für die ersten Rückmeldungen! Besonders überraschend bzw. neu war für mich die Information, dass dieser Aspekt in der IOGKF sogar Teil der Prüfungsordnung ist...
Warum verwundert dich das? IOGKF unter Higaonna pocht doch seit eh und je darauf, traditionelles Okinawa Karate zu machen.
Nur folgerichtig, das sowas dann im Prüfungsprogramm eine Rolle spielt. Dort wird einiges abgefragt zu Geschichte, Kultur und "Lineage" des Goju-Ryu.
Katamaus
08-10-2025, 18:00
Jundokan (Goju-Ryu) auf Okinawa
Als wir dort zu Gast waren, nicht. Aber das war auch kein normales/reguläres Training.
FireFlea
08-10-2025, 18:14
Warum verwundert dich das? IOGKF unter Higaonna...
Ist nicht mehr unter Higaonna, da hat man sich doch zerstritten und Higaonna hat die TOGKF gegründet. Mit gegenseitigen Beschuldigungen usw., soviel zur Moral... ;)
Hallo,
die Information über die IOGKF-Prüfungsordnung war für mich neu; und sie überraschte mich, weil ich dergleichen bei anderen Organisationen bislang noch nicht erlebt oder gelesen habe.
Grüße,
Henning Wittwer
Ist nicht mehr unter Higaonna, da hat man sich doch zerstritten und Higaonna hat die TOGKF gegründet. Mit gegenseitigen Beschuldigungen usw., soviel zur Moral... ;)
Ja, aber war ja nun lange Higaonnas Organisation. Und man schmeißt ja auch nicht gleich das Programm über Bord, weil der Gründer abtrünnig ist. Ich denke, in seiner neuen Organisation werden diese Prinzipien auch eine Rolle spielen.
Hallo,
nun vielleicht noch kurz meine Antwort: Karate ist keine bloße Ansammlung von ein paar Techniken, sondern es umfasst u. a. auch viel – scheinbar eher – theoretisches Wissen. Dazu gehört im Fall des Karate-Dō Shōtōkan-Ryū auch ein gewisser Anteil Morallehre, über die sich G. Funakoshi (1868–1957) ausführlich in seinen japanischen Texten äußerte. Auf diesen japanischen Texten beruhend, lasse ich vor allem „Karate ni Sente nashi“ als grundsätzlich bedeutsam ein bis zwei Mal im Jahr für ein paar Minuten in die Karate-Übung einfließen. Dabei wird der Lehrsatz japanisch an eine Tafel geschrieben, vorgelesen (Aussprache), wörtlich übersetzt und verständlich gemacht. (Seine taktische Seite ist für Fortgeschrittene ebenfalls Thema, aber hier geht es vor allem um die moralische Seite.)
Dazu kommen hin und wieder Übersetzungen japanischer Texte über moralische Aspekte des Karate von G. Funakoshi oder seinen Schülern im Bulletin unserer Minigruppe sowie noch seltener Vorträge, in denen dieser Aspekt des Karate beleuchtet wird.
Um Karate – soweit das heute noch möglich ist – einigermaßen vollständig auszuüben, halte ich also auch seine Morallehre für nicht unerheblich …
Grüße,
Henning Wittwer
Kunoichi Girl
14-10-2025, 12:32
Um Karate – soweit das heute noch möglich ist – einigermaßen vollständig auszuüben, halte ich also auch seine Morallehre für nicht unerheblich …
Frage:
Gemäß dieser dojoregeln gilt auch:
https://kara-te.de/verhalten-im-dojo/
„Das Wort des Sensei ist Gesetz.“
Ist/war das auch eine regel im klassischen/vollständigen karate?
Als ich knapp 10 Jahre bei Andreas Albrecht in Wiesloch trainiert habe (https://www.karate-wiesloch.de), wurde dort nach jedem Training im Kreis abgekniet und gemeinsam die Dojo-kun rezitiert. Andreas hat auch ein Buch darüber veröffentlicht (https://www.amazon.de/Dôjôkun-Ethik-Karate-dô-Andreas-Albrecht/dp/3937745157).
Anschließend bei Carlos Molina waren zwar nicht direkt die Dojo-kun, aber vergleichbare Werte ständiges Thema im und nach dem Training.
Nick_Nick
15-10-2025, 09:38
Ich meine gelesen zu haben, dass Funakoshi seine moralischen Ausführungen vor allem wegen der jugendlichen Übenden entworfen hat? Dass das einfach Haudraufs waren wie viele 20jährige, und er das in Bahnen lenken wollte.
Jedenfalls mutet es schon etwas seltsam an, wenn Erwachsene in der Beziehung explizit belehrt werden.
Hallo,
das wäre dann eher eine geschichtliche Frage …
Zunächst ist z. B. „Karate ni Sente nashi“ kein Lehrsatz, den G. Funakoshi schuf; er lernte ihn von seinem Hauptlehrer, A. Asato (1828–1906), der wiederum aussagte, dass dieser Lehrsatz seit alter Zeit zum Unterrichten genutzt worden sei. Ganz ähnlich gab es in mehr oder weniger vielen alten japanischen Kampfkünsten Morallehre.
Zweitens gab es in Ryūkyū wohl Charakterprüfungen, bevor ein potentieller Interessent als „Karate“-Schüler angenommen wurde. D. h. der großflächige Wegfall solcher Prüfungen hinterließ quasi nur noch das „Moralisieren“ als letzte Maßnahme, um keine ungewollten Ereignisse hervorzurufen.
Das Verständnis, dass z. B. „Sente“ im Alltag keine gute Idee ist, kann (!) drittens bereits als Maßnahme des Selbstschutzes begriffen werden. D. h. es bleibt nicht beim bloßen moralischen Aspekt, sondern enthält gleichzeitig eine taktische Komponente. Dieser Punkt war in einer konfuzianisch geprägten Gesellschaft wie in Ryūkyū ebenso wichtig, da der Adept gesund und unversehrt bleiben musste, um seine Pflichten erfüllen zu können.
Es mutet tatsächlich etwas seltsam an, zu moralisieren, ja. Ich persönlich bewege mich da „nur“ auf dem Feld „möglichst vollständiges Karate“, und lasse meine eigenen Gedanken meist meine eigenen Gedanken bleiben. Aber gleichzeitig haben die Mitleser hier wohl so viel Lebenserfahrung, dass sie wissen, dass auch erwachsene Menschen ohne Not brutal handeln und so Anderen schaden können – ein Blick etwa in die hiesigen Gefängnisse oder die Schlange an der Fleischtheke dürfte reichen, um das zu erkennen. Daher war es möglicherweise nicht völlig verkehrt, auch ein wenig Morallehre in das Lehrgebäude des Karate einzubauen ...
Grüße,
Henning Wittwer
Nick_Nick
15-10-2025, 22:51
Danke! Wie ist denn (in deinem Shotokan) Karate das Mindset im Konfliktfall (hatten wir das Thema schon :gruebel:)?
Hallo,
was die Geisteshaltung und dergleichen in Ernstfällen betrifft, so werden in meiner Karate-Linie bereits Neulinge Schritt für Schritt an sie herangeführt (trainiert); aber dazu möchte ich mich nicht in einem Internetforum äußern, tut mir leid.
Grüße,
Henning Wittwer
LahotPeng
16-10-2025, 16:33
Schade, verstehe nicht ganz, was dich da abhält.
Ich meine, dass in KM-Kursen vom ersten Tag das gezielte Weichteilezerkloppen unterrichtet wird. Für die private SV sinnvoll und desillusionierend bzgl. aller Schnörkeltechniken traditioneller KK.
Das soll traditionelle KK nicht abwerten, nur verdeutlichen, dass das vermitteln nachhaltiger Verletzungen bereits bekannt ist, schlimmer kann es ja nicht werden...
Schnubel
16-10-2025, 16:43
Hallo,
was die Geisteshaltung und dergleichen in Ernstfällen betrifft, so werden in meiner Karate-Linie bereits Neulinge Schritt für Schritt an sie herangeführt (trainiert); aber dazu möchte ich mich nicht in einem Internetforum äußern, tut mir leid.
Grüße,
Henning Wittwer
Warum nicht...wo ist da das Problem?
Kunoichi Girl
16-10-2025, 18:14
…
was die Geisteshaltung und dergleichen in Ernstfällen betrifft, so werden in meiner Karate-Linie bereits Neulinge Schritt für Schritt an sie herangeführt (trainiert); aber dazu möchte ich mich nicht in einem Internetforum äußern, tut mir leid.
…
Wird man durch die geisteshaltung, die dort für den ernstfall trainiert wird, zu gefährlich, als dass man dazu
öffentlich etwas preisgeben könnte (missbrauchsgefahr)?
Nick_Nick
16-10-2025, 23:39
@ Henning
ist i.O., danke. Nebenbei finde ich es interessant, dass es auch auf Ryukyu Charakterprüfungen gegeben hat, das ist ja auch im alten japanischen Budo in Form von Probezeit und Blutschwur häufig der Fall. Ebenso Morallehre und Ethik. Nur mit "ni sente nashi" werden die im Schnitt nichts anfangen können :).
Schade, verstehe nicht ganz, was dich da abhält.
Ich meine, dass in KM-Kursen vom ersten Tag das gezielte Weichteilezerkloppen unterrichtet wird. Für die private SV sinnvoll und desillusionierend bzgl. aller Schnörkeltechniken traditioneller KK.
Das soll traditionelle KK nicht abwerten, nur verdeutlichen, dass das vermitteln nachhaltiger Verletzungen bereits bekannt ist, schlimmer kann es ja nicht werden...
Du betrachtest hier primär die körperliche Ebene (mit ein bisschen psychischen Hemmungsabbau durch praktische Übung), es gibt aber eben auch eine psychische Ebene des traditionellen Trainings die gezielt lehrt angeborenen oder anerzogene Hemmschwellen zu überwinden. So etwas wird im Detail nicht öffentlich und nicht jedem vermittelt (und das macht auch Sinn).
Ich weiß nicht ob das Henning auch der Grund ist, ich vermute es aber und kann es gut verstehen.
LahotPeng
19-10-2025, 17:55
Moin ThomasL und sorry für die langsame Antwort.
Also ich sehe das so. Es geht doch um das Mindset. Und um dieses zu trainieren gibt es "geistige Schulungen". Auch der Verstand kann geschliffen werden, dann wird er vielleicht mal messerscharf. ;-)
Das in der heutigen Zeit da noch Hemmungen bestehen darüber zu reden, kann ich nur auf wenige gute Gründe zurückführen:
1. Man hat geschworen es nur Menschen zu vermitteln, die man kennt und glaubt einschätzen zu können.
2. Man will es den Gaunern, die ihre Leute für bestimmte Geschäfte trainieren nicht leichter machen.
3. Man hat eigene Hemmungen und Gefühlswallungen, die man niemandem einfach so zeigen möchte (im Forum irrelevant glaube ich).
Grüßli
Das in der heutigen Zeit da noch Hemmungen bestehen darüber zu reden, kann ich nur auf wenige gute Gründe zurückführen:
1. Man hat geschworen es nur Menschen zu vermitteln, die man kennt und glaubt einschätzen zu können.
2. Man will es den Gaunern, die ihre Leute für bestimmte Geschäfte trainieren nicht leichter machen.
3. Man hat eigene Hemmungen und Gefühlswallungen, die man niemandem einfach so zeigen möchte (im Forum irrelevant glaube ich).
Grüßli
Es ist gar nicht so lange her , da schilderte Royce etwas ausführlicher wie es bei einer enthemmteren Vorgehensweise zugeht und sich anfühlt . Das war sogar noch innerhalb eines Sportes (MMA ) . Das heisst , es war noch nicht einmal im Rahmen einer tatsächlichen Opfer/Täter Konstellation mit dem normalerweise vorhandenen physischen Kraftgefälle in einer eskalierenden SV-Situation und der dort oft zu findenden Enthemmung ohne regulierende Parteien.
Und schon diese kleine , aus sportlicher Sicht beschriebene Enthemmung löste hier im Forum bei manchen schon eine ordentliche Portion Empörung aus . Mancher forderte sogar , daß der Post gelöscht werden sollte . DU erinnerst dich ?
Trotzdem wunderst du dich jetzt , daß es Zurückhaltungen gibt , wenn es darum geht Vorgehensweisen und ev. auch Ziele zu beschreiben , um genau diese notwendige Enthemmung im Kopf zu erreichen , damit ein Verhalten angeeignet wird , daß als Ergebnis dann etwas hervorbringt , was genau dem entspricht wovon Royce damals geschrieben hat.
Ich will damit sagen , daß auch oder vll. gerade wege der heutigen Zeit , es nicht wundert , wenn es Zurückhaltung und Vorsicht gibt sich zu diesem Thema öffentlich zu äussern.
Neben deinen angebrachten Gründen gibt es da noch eine Vielzahl weitere . man will Missverständnisee , Anfeindungen , Dissen , Abwertungen , Beleidigungen und und und ... vermeiden . Erst recht in social media zeiten und herrschendem Spaltungsdenken , wo es den Anschein hat es gibt nur noch ein Für oder ein Gegen und kein neutrales ,"lass uns mal darüber sprechen" , "lass uns mal das Thema ansich betrachten" .
amasbaal
19-10-2025, 20:18
eine für mich befremdliche diskussion. martial arts sind eben martial arts und keine peace arts.
gezielte desensibilisierung u.ä. ist in jedem militär üblich. schließlich geht es ja ums töten lernen.
damit ist es ein teil des wissens, das viele stile/schulen hüten und weitergeben (oder auch nicht).
ich sehe da nichts böses drin.
die frage ist nur, wen unterrichtet man und wofür? wenn es um Budo romantik oder breitensport/folklore geht, macht die sache keinen sinn und kann und sollte nicht thema sein. wenn es aber um ein "komplettes" lernen einer KK geht oder um training für tatsächliche "combat" anwendung, gehört es dazu. das hat dann jeder lehrer für sich einzuordnen.
interessant wird das besonders im bereich "SV"...
wenn es aber um ein "komplettes" lernen einer KK geht oder um training für tatsächliche "combat" anwendung, gehört es dazu. das hat dann jeder lehrer für sich einzuordnen.
..
Spätestens hier entsteht ein Dilemma. Enthemmung ist ein notwendiges Mittel um die Kk im Ernstfall zum laufen zu bringen . Wenn man daran schraubt , dann macht ein mitgeliefertes Ethik und/oder Moralpaket irgendwie schon Sinn , um die Gewaltausübung nicht chaotisch , willkürlich werden zu lassen .Ich bastel gewissermaßen einen Rahmen dem man sich unterstellt , Ein Konstrukt .... Ab hier wird es paradox , da der gleiche Rahmen der eine gewisse Gewaltkompetenz (kontrollierte Gewaltausübung ) ermöglichen soll, im selben Moment dieser angestrebten Form von Gewalt eine Restriktion beschert und so wieder eine künstliche Handbremse einbaut .... In meinen Augen ein nicht zu lösendes Dilemma.
Jede selbstauferlegte Beschneidung in Form von Ethik , Gewissen , Moral , Regeln , SV-verhältnismässigkeiten und so weiter , geht an der Natur einer existentiell bedrohlichen Situation vorbei und schenkt letztendlich dem Täter einen Vorteil. So unmoralisch das jetzt auch für manchen klingen mag.
interessant wird das besonders im bereich "SV".
Ganz genau . hatten wir beide ja schon paarmal ^^
Will man wirklich "nur" wegen einer SV-wahrscheinlichkeit jemand mindmässig so verändern (manipulieren ? ) , daß die ganzen Strategien , Techniken .... überhaupt sinnvoll durchgezogen werden können gegen einen der sich nicht an Grenzen und regeln hält ?
Macht man da nicht mehr kaputt , als man aufbaut , nur wegen einer Chancenerhöhung ? Und macht man es nicht , was dann ? Dann ist da jemand der schön Seminargeld bezahlt , aber sich selbst überhaupt nicht in die Voraussetzung bringt , die Inhalte im Ernstfall abzurufen .
Ebenfalls ein Dilemma . das nie komplett gelöst werden kann , sondern man sich nur angenähern kann ...
vBulletin v4.2.5, Copyright ©2000-2025, Jelsoft Enterprises Ltd.