Seminar: Wikinger Schwert & Schild mit Colin Richards [Archiv] - Kampfkunst-Board

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Marlon
11-10-2004, 20:26
http://www.gladiusetcodex.ch/events/images/viking_banner.jpg (http://www.gladiusetcodex.ch/events/colin_feb05.html)

Boozer
12-10-2004, 12:20
Kurze Nachfrage:
Wie extrahiert man denn den Kampfstil von heidnischen Analphabeten aus dem 7. - 8. Jahrhundert, indem man gelahrte christliche Fechtbücher aus dem 11. Jahrhundert oder später benutzt?

War jemand schonmal bei einem Seminar von dem Herren und was für einen Eindruck habt ihr von ihm in Bezug auf praktische Anwendbarkeit des gezeigten. Konntet ihr viel davon in euer reguläres Training einfließen lassen?

So long

Boozer

Marlon
12-10-2004, 12:34
Hallo Boozer,

Wie schon im Text korrekterweise geschrieben, heisst es "In Anlehnung an die Kampfesweisen wie sie in den alten nordischen Sagen und Geschichtsbüchern beschrieben wurden..."

Du bist natürlich jederzeit eingeladen zum Seminar und Colin für sich selber sprechen bzw. tun zu lassen.

Gruss, M.

Jörg B.
12-10-2004, 12:40
Hi Boozer!


Kurze Nachfrage:
Wie extrahiert man denn den Kampfstil von heidnischen Analphabeten aus dem 7. - 8. Jahrhundert, indem man gelahrte christliche Fechtbücher aus dem 11. Jahrhundert oder später benutzt?

Du hast recht, es ist

eine Rekonstruktion und
ein 'educated guess'


Sicherlich wären Primärquellen besser, aber die Beschreibungen aus dem späten Frühmittelalter/frühen Hochmittelalter sind halt am nächsten dran.
Es steckt viel biomechanisches Verständinis und Bewegungslogik in dem System, und sicherlich auch eine gehörige Portion Trial and Error (wie in den meisten histor. KK) aber in seiner derzeitigen Inkarnation funktioniert es gut und wird auch zum großen Teil durch Quellen aus tatsächlichen Fechtbüchern (wenn auch späteren Datums) gestützt.

Wie ich gerne sage, wenn ich nur eine Zeitmaschine und eine Videokamera hätte, wäre vieles einfacher... ;)


War jemand schonmal bei einem Seminar von dem Herren und was für einen Eindruck habt ihr von ihm in Bezug auf praktische Anwendbarkeit des gezeigten. Konntet ihr viel davon in euer reguläres Training einfließen lassen?

Colin ist cool, er hat einen sehr eigenen, sehr britischen Humor (den manche nicht unbedingt mögen, ich tue es), aber er ist ein sehr guter Lehrer.
Er arbeitet seit vielen Jahren an der Rekonstruktion von Schwert&Schild, hat seine Interpretation schon sehr vielen Frühmittelater-/Wikinger-Reenactors gelehrt und hat auch einen nicht unerheblichen KK-Background.

Sein System funktioniert. Da ich im Moment nicht regelmäßig mit Schwert und großem Schild trainiere (was sich aber evtl. ändern wird), mache ich natürlich nicht viel mit den Techniken, aber viele seiner Ansichten zum Thema Körpermechanik und Bewegung sind durchaus auf andere Waffen übertragbar.

Hoffe, das hilft.

Boozer
13-10-2004, 08:31
Hallo zusammen,

Ich versteh immer noch nicht was an den Techniken wikingerspezifisch sein soll. Und warum die Wikinger im Sinne von KampfKUNST gute Kämpfer gewesen sein sollen. Meines Wissens haben die doch so ziemlich jede Schlacht gegen wohlbewaffnete Gegner verloren. Oder liege ich da falsch? Quellenlage?

Ich würde natürlich gerne zum Seminar kommen und mir meine eigene Meinung bilden. Doch da ich näher zu den Wikingern als zu den Alpen beheimatet bin, ist der Weg nach Zürich doch ein wenig zu weit für mich. (1200 km )

So long

Boozer

Jörg B.
13-10-2004, 08:54
Hi Boozer!

Spezifisch ist an den Techniken gar nix, der Umgang mit einem Schwert und Schild im Frühmittelalter dürfte in Europa eigentlich weitgehend identisch gewesen sein. Ob es tatsächlich so war bringt mich zurück zu der Zeitmaschine. ;)

Was die Kampffertigkeiten der Wikis angeht, wer in der Lage ist, einen Großteil des christlichen Abendlandes über fast 300 Jahre in Angst und Schrecken zu versetzen (eine damals recht häufig in Kirchen gehörte Fürbitte war 'Herr, behüte uns vor der Raserei der Nordmänner), wer mehrfach Städte wie Paris oder Köln angreift und plündert, in England (Danelaw-Gebiet um York) und Frankreich (Normandie) Ländereien erobert, ein ganzes Reich begründet (Russland, von 'Rus' (Ruderer), und zur Leibwache des oströmischen Kaisers (Waranger-Garde) aufsteigt, dürfte wohl über ein nicht unerhebliches Maß an Fertigkeiten verfügt haben. ;)

Marlon
13-10-2004, 12:29
Hallo Boozer,

Hmmm... Nun ja - erst einmal ist natürlich auch der Begriff der Wikinger irreführend, ist das ja schliesslich eine Bezeichnung für 'Piraten' zwischen 793 und 1066 (dem Überfall bei Lindisfarne und der Schlacht von Hastings). Richtiger wäre es natürlich zwischen Schweden, Norwegern und Dänen zu unterscheiden, oder wie die englischen und deutschen Mönche es taten, sie als 'Nordmannen / Normannen' zusammenzufassen. Das selbst die Nordmänner den Begriff 'Vikingr' benutzten, um 'räuberische Männer zur See' zu bezeichnen, zeigt - zum Beispiel - der Sagenkreis um Starkad, nachzulesen bei Saxo Grammaticus, welcher einige Zeit seinen Unterhalt als Vikingr vor der Küste Schweden's verdiente.
Genaueres bitte hier nachlesen: Geschichte der Wikinger (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikinger)

Bei den Kampftechniken handelt es sich sicher nicht um eine Kampfkunst wie wir sie heute teilweise kennen - mit Gürteln, japanischen Bademänteln und wissenschaftlichen Prinzipien - ganz sicher hatten die Nordmänner eine Kampfausbildung seit frühester Jugend, die teilweise aus Kriegsspielen, teilweise aus Wettkämpfen bestand. Zum einen war Ringkampf (wie in fast allen Kriegerkulturen) sehr populär, siehe hierzu einen Artikel der EHCG über das Glima (http://wtmag.dk/Guild/?aid=36&lang=uk). Zum anderen gab es ein Spiel das dem heutigen Lacrosse ähnelt, bekannt als Knattleikr (http://www.valhs.org/history/articles/daily_living/text/knattleikr.htm). Und wer kann sich nicht den kleinen Wiki vorstellen wie er versucht mit Holzschwert & Kinderschild den Papa nachzuahmen? ;)

Was an dem Seminar also nun behandelt wird, ist eine besonders Wikinger spezifische Waffenkombination des runden Schild & und Wikingerschwert. Da Colin sich seit +/- 20 Jahren im Wikinger Re-Enachtment tummelt, hat er mit dieser Waffenkombination viel gearbeitet. Das Seminar soll eine Idee davon vermitteln, wie die Wikinger mit dieser Waffe gekämpft haben könnten, auf der Grundlage dessen, wie Colin erfolgreich mit dieser Waffenkombination gekämpft hat. Leider haben die alte Nordmänner ihre Schläge nicht patentieren lassen, und werden halt leider, leider auch nur das tun was ein Mensch mit zwei Armen und zwei Beinen welchem du diese Waffenkombination in die Hände drückst, nun einmal tun wird... :D

Colin hat m.M. eine guten Job getan, seine Erkenntnisse aus den Fechtbüchern, seine Erfahrungen in den Kampfkünsten und seine Erfahrungen im Kampf mit Schwert & Schild zusammen zu fassen und verständlich zu präsentieren. Mit haben seine Techniken beim Kämpfen viel gebracht - sie sind sehr praktisch und ergebnisorientiert.

Es wäre etwas irreführend das Seminar als "Normannisches Schwert & Schild" zu bezeichnen, da man unter Normannen heutzutage eher die Zeit nach den Wikingern bezeichnet und dessen Schild, eher das tropfenförmige Drachenschild ist. Wenn es für dich besser klingt, darfst du das Seminar natürlich auch "Nordmannischer Schwert & Schildkampf" nennen - die meisten Leute würden damit aber eher weniger anfangen können. ;)

Frage zufriedenstellend beantwortet?

Schade das du so weit oben wohnst, wo kommste denn her?

Gruss, M.

Calfbite
13-10-2004, 13:08
Die Wikinger haben Russland begründet?

Marlon
13-10-2004, 13:21
Wikipedia: Wikinger (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikinger)
Wikipedia: Rus (http://de.wikipedia.org/wiki/Rus)

Calfbite
13-10-2004, 13:55
Wikipedia: Wikinger (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikinger)
Wikipedia: Rus (http://de.wikipedia.org/wiki/Rus)

Ah, Danke...lustiges Völkchen...

Boozer
13-10-2004, 14:11
Also ich komme aus "Südschweden" (Rostock). Zur Erklärung: Die Gegend in Nordmecklenburg war teilweise bis ins 19. Jhdt. schwedisches Reichsterritorium.
Ansonsten sind wir uns glaubbich alle einig was wir unter Wikingern verstehen.
Eine schöne Überschrift für das Seminar wäre dann auch " Frühmittelalterliches Hooliganwesen ".
OK, ich hab ja schon verstanden das ihr da einfach mit Schwert und großem Rundschild hantiert und es der öffentlichen Wahrnehmung halber als Wikinger-Event verkauft. Mir war halt einfach nur beim Lesen des Begleittextes aufgefallen, das die ganze Aktion genausoviel mit Wikingern zu tun hat wie unser Schwert und Rundschild Sparring beim Escrima.

So long

Boozer

Marlon
13-10-2004, 14:51
Hallo Boozer,

Mit anderen Worten:
Du hast durch deine freundliche Fragestellung eine Angriffsfläche gesucht um das Seminar als Unsinn abzutun?

Wenn es so ist und dein Interesse nur vorgetäuscht war um evt. Vorurteile bestätigt zu wissen, dann hätte ich mir mein Geschreibe gespart.



Also ich komme aus "Südschweden" (Rostock). Zur Erklärung: Die Gegend in Nordmecklenburg war teilweise bis ins 19. Jhdt. schwedisches Reichsterritorium.

Das heisst: Es macht dich zu einem Experten auf dem Gebiet?

Das Seminar hat insofern etwas mit Wikingern zu tun als das, wie schon oben gesagt, Colin sich hauptsächlich im Bereich des frühmittelalterlichen Re-Enactment bewegt hat. Das heisst es geht in dem Seminar ganz speziell darum, wie könnten die Wikinger mit Schwert & Schild gekämpft haben. Dabei wird auf die Überlieferungen in den nordischen Sagen, den nordischen Geschichtsbüchern (Saxo Grammaticus, Heimskringla, u.a.) sowie dem corpus der Fechtbücher die sich mit Schwert & Schild beschäftigen zurückgegriffen sowie auf Colins Erfahrungen. Eindeutig bewegen wir uns damit auf einem Terrain voller Halbwissen und Unklarheiten - das ist jedem klar.


...zu tun hat wie unser Schwert und Rundschild Sparring beim Escrima.

Nun - wenn du schon alles im Escrima lernen kannst - ist das doch schön.

Gruss, M.

Jörg B.
13-10-2004, 14:59
Eine schöne Überschrift für das Seminar wäre dann auch " Frühmittelalterliches Hooliganwesen ".

Jau, stimmt! ;)


OK, ich hab ja schon verstanden das ihr da einfach mit Schwert und großem Rundschild hantiert und es der öffentlichen Wahrnehmung halber als Wikinger-Event verkauft. Mir war halt einfach nur beim Lesen des Begleittextes aufgefallen, das die ganze Aktion genausoviel mit Wikingern zu tun hat wie unser Schwert und Rundschild Sparring beim Escrima.

Ein 'einfaches Rumhantieren' ist es sicherlich nicht, und ehrlich gesagt, finde ich diese Klassifizierung ein wenig respektlos. Es steckt ein Haufen Arbeit, Zeit und Mühe in diesem System, und ich garantiere Dir, wenn Du es mal 'live und in Farbe' gesehen hast, wirst Du feststellen, das es deutlich mehr als hantieren ist.

Mit den Wikis hat das Ganze insofern zu tun, als das Colin selbst aus der Wikinger-/Frühmittelalter-Reenactment-Szene kommt und dieses System urspünglich für den Einsatz bei Wiki-/FMA-Reenactments entwickelt hat,
aber es beinhaltet noch viel mehr.

Abgesehen davon, *irgendeinen* Namen muss das Kind ja haben. ;)

Marlon
13-10-2004, 15:04
Ich fürchte das wenn wir das Seminar "Frühmittelalterliches Hooliganwesen" nenne würden, wir Leute aus einer ganz anderen Ecke anziehen werden denen Odin und so auf eine andere Art gefällt... ;)

Boozer
13-10-2004, 16:04
Nun reg dich mal bitte ab, so böse hab ich das doch gar nicht gemeint. Ich will hier nichts inhaltliches als Unsinn abstempeln.

Ich habe nur nachgefragt, ob ich den Text zum Seminar nur nicht verstanden habe, oder ob das Seminar wirklich nichts mit Wikingern zu tun hat. Hat es meines Erachtens nicht.

Siehe Zitat Jörg B. : " Spezifisch ist an den Techniken gar nix, der Umgang mit einem Schwert und Schild im Frühmittelalter dürfte in Europa eigentlich weitgehend identisch gewesen sein. "
Sehe ich ebenso.

Colin Richards zeigt da also wie er mit Schwert und Schild umzugehen gelernt hat. Ich finde dieses behängen mit effektheischenden Etiketten wie Wikinger und "Studium archäologischer Funde" (Ochs-Seite) etwas fehl am Platz.
Vor allem wenn der Inhalt dann genauso viel oder wenig mit Wikingern zu tun hat wie im unten angestellten Vergleich.

Wie bereits gesagt ich möchte niemandem zu nahe treten oder ihn herabwürdigen. Ich vertrete nur meine Meinung und stelle die Fragen, die mich interessieren und da dieses Forum der Kommunikation dient, sage ich auch was ich dazu denke.

Marlon
13-10-2004, 16:18
Hallo Boozer,

Ich bin überhaupt kein bisschen emotionell bewegt oder böse... :D

Sagen wir mal so, du hast eine etwas doppeldeutige Rhetorik, bevor ich also ein Missverständnis eingehe - frage ich nach.

Natürlich darfst du deine Meinung kundtun. Ich habe versucht dir deine Frage zu beantworten und zu erklären das es meiner Meinung nach nicht ganz so ist wie du es darstellst und das du bei deiner Meinung bleiben willst, ist OK für mich.
Schade das wir uns nicht treffen werden und ich dein Interesse nicht wecken konnte.

Letztendlich bitte nicht ganz so stier sein und neben dem krassen Kämpfen vergessen:

Wikinger sind cool.
Schwert & Schild ist cool.
Sparring damit ist cool.
Sich dann auch noch ein bisschen wie Starkad fühlen ist obercool
Die Leute die ich auf solchen Seminars treffe finde ich supercool.


Das heisst nebenbei werde ich zumindest einen ganzen ordentlichen Haufen Spass haben! :D

Gruss, M.

Boozer
13-10-2004, 16:45
Hey es ist nicht so dass du mein Interesse nicht wecken konntest, ansonsten hätte ich ja wohl nicht geschrieben.
Fakt bleibt die Entfernung Rostock - Zürich.

Marlon
13-10-2004, 16:51
Stimmt: Rostock - Zürich macht man mal nicht eben so. Schade! :(

Wo trainierst du denn Escrima?

Jörg B.
13-10-2004, 19:03
Nun reg dich mal bitte ab, so böse hab ich das doch gar nicht gemeint. Ich will hier nichts inhaltliches als Unsinn abstempeln.

...

Ich finde dieses behängen mit effektheischenden Etiketten wie ... "Studium archäologischer Funde" (Ochs-Seite) etwas fehl am Platz.

Meinung hin oder her, das Statement ärgert mich jetzt doch ein bisschen.

Wir gehen in Museen schauen uns erhaltene Waffen und Rüstungen an, in manchen Museen auch 'hands on' im Archiv.
Wir lassen erhaltene Stücke nachbauen und trainieren damit.
Wir studieren Artikel über Ausgrabungen auf Schlachtfeldern oder metallurgische Untersuchungen von Waffen und Rüstungen.
Wir wälzen Fachliteratur über die Interpretation historischer Quellen und belegen Kurse in Paläographie.
Und natürlich studieren wir die uns erhaltenen Fechtbücher.

All das dient dazu, unser Wissen und unser Verständnis der alten Künste zu verbessern.

WO bitteschön ist das 'Effekthascherei'?

Über eine Erklärung Deinerseits wäre ich sehr dankbar.

Boozer
14-10-2004, 07:54
Also auf Eurer Seite zum Seminar mit Colin Richards ist zu lesen :

" Colin based the sword & shield techniques on his study of I33, research within historical pictorial material, skeleton finds of the battle of Visby, shield finds and last but not least his long time martial background in various arts. "

Was hat das Studium archäologischer Ausgrabungen (Visby, Schildfunde) denn bitteschön mit dem Entwickeln von Kampftechniken zu tun? Es erweitert den Horizont über die Zeit in der diese Techniken angewandt wurden und man weiss wie die Werkzeuge damals wirklich ausgesehen haben. Keine Frage. Das möchte ich auch gar nicht herabsetzen. Aber ob ich mich mit der Klasisifizierung der Gewandfibeln auskenne, oder weiss ob dieser Schild nun rankenförmige oder oder gerade Beschläge hatte, qualifiziert mich in keiner Weise die Waffen in sinnvoller Form durch die Gegend schwingen zu können.

Allerdings klingt der Verweis auf archäologische Studien natürlich immer schön gebüldet und schindet Eindruck. Daher der Ausdruck Effekthascherei.
Wenn ich zum KfZ-Mechaniker gehe um mein Auto reparieren zu lassen, ist es doch auch nebensächlich, ob der sich auch privat für Motorsport interessiert oder nicht. Hauptsache ist, er weiss wie er den Anlasser wieder flott kriegt.

Jörg B.
14-10-2004, 11:08
Was hat das Studium archäologischer Ausgrabungen (Visby, Schildfunde) denn bitteschön mit dem Entwickeln von Kampftechniken zu tun? Es erweitert den Horizont über die Zeit in der diese Techniken angewandt wurden und man weiss wie die Werkzeuge damals wirklich ausgesehen haben. Keine Frage. Das möchte ich auch gar nicht herabsetzen. Aber ob ich mich mit der Klasisifizierung der Gewandfibeln auskenne, oder weiss ob dieser Schild nun rankenförmige oder oder gerade Beschläge hatte, qualifiziert mich in keiner Weise die Waffen in sinnvoller Form durch die Gegend schwingen zu können.

Du siehst das ein bißchen zu vereinfacht, man kann aus archäologischen Funden sehr viel mehr Rückschlüsse ziehen. Wenn ich weiß, wie ein Schild aus der Wikingerzeit tatsächlich ausgesehen hat und ich mir so ein Stück originalgetreu nachbaue(n lasse) und dann damit trainiere, dann wird sich das Design des Schildes auf die Techniken auswirken, die ich damit machen kann.

Ein richtig gemachter Schild ist eben keine tragbare Feuerschutztür, sondern eine erstaunlich leichte und bewegliche Verteidigungs- und Angriffswaffe, mit der man sehr viel mehr machen kann, als sie einfach nur vor sich zu halten.

Wenn ich ein Rüstungsteil möglichst exakt nachbaue, und dann mit ebenfalls exakt nachgebauten Waffen Tests gegen diese Rüstung mache, kann ich daraus lernen, was die Rüstungen ausgehalten haben, und welche Techniken mit welchen Waffen am effektivsten gegen welches Rüstungsteil eingesetzt werden können.

Es ist ganz einfach, das Werkzeug diktiert die Benutzungweise, und Techniken, die mit bestimmten, möglichst genau rekonstruierten, Waffen am sinnvollsten/effektivsten möglich sind, sind die, die damit früher auch am wahrscheinlichsten gebraucht wurden.

Und wenn ich mir Schlachtfeldausgrabungen wie z.B. Visby anschaue, dann kann ich anhand der an den Skeletten sichtbaren Verletzungs-spuren Rückschlüsse ziehen, wie möglicherweise gekämpft wurde. Die am häufigsten sichtbaren Verletzungen wurden wohl auch von den am häufigsten benutzten Angriffen verursacht, die gegen eine bestimmte Waffen- Rüstungs-Kombination geführt wurden.

Diese Erkenntnise, gekoppelt mit der Arbeit mit möglichst originalgetreu rekonstuiertem Werkzeug, dem Studium zeitgenössicher Quellen und Abbildungen, und natürlich mit den Hinweisen aus späteren Fechtbüchern, helfen, unsere Interpretationen zu verbessern.


Allerdings klingt der Verweis auf archäologische Studien natürlich immer schön gebüldet und schindet Eindruck. Daher der Ausdruck Effekthascherei.

Ich verstehe immer noch nicht, wieso es Effekthascherei sein soll, wenn wir lediglich beschreiben, was wir tun. Die Logik erschließt sich mir nicht.

Außerdem und ganz platt gesagt, weder ich noch meine Kollegen haben es nötig, irgendwo Eindruck zu schinden.

Boozer
14-10-2004, 12:16
Ach so, verstehe...

Du besitzt also sowohl Waffen als auch Rüstungen, die nach historische Vorbildern gefertigt sind, was Design und Material angeht. Du kennst also jemanden, der das mittelalterliche Schmiedehandwerk beherrscht und dir Klingen und Rüstung aus den, im Mittelalter verwendeten Metallen, in der im Mittelalter üblichen Technik?

Die Rüstungen kloppst du natürlich regelmäßig kaputt, um zu testen welche Techniken und Waffen dem Zweck der Rüstung wohl am besten entgegenlaufen und - so steht zu vermuten - damals wohl angewandt wurden.

Und natürlich sparrst du auch regelmäßig in der historischen Rüstung mit den historischen Waffen, da du ja nur so das Werkzeug seiner Bestimmung in einem realistischen Rahmen zuführen kannst. Für diesen realistischen Rahmen hast du ja die Studien betrieben, damit du endlich realistisches Werkzeug hast.

Zu den Ausgrabungen: Wenn du die Überreste auf Schlachtfeldern untersuchst, was findest du da? Ja, Reste von Knochen und Überreste schwer verrottender Gegenstände.
Hast du jemals die Verletzungen von dort gefundenen Knochen in Schwere, Richtung der Fremdeinwirkung und vermutliche Form des einwirkenden Gegenstands untersucht oder eine Arbeit gelesen wo jemand sowas gemacht hat?
Das ganze statistisch ausgewertet?
Aus den Daten rationellle Schlussfolgerungen angestellt mit was für einer Art von Waffe und " Technik " der Besitzer der Knochen aus dem Leben schied?
Wie findest du eigentlich raus wie der betreffende Leichnam zu einem solchen wurde? Und leitest daraus die Angriffe ab, gegen eine Rüstungskombination über die du auch nur vage rätseln kannst.

Der langen Rede kurzer Sinn: In Bezug auf das Kämpfen bringt dich das Tüpfelchen auf dem i in Sachen Originaltreue und historisch verbürgt nicht weiter. Daher ist es m. Verständnisses nach kein Qualitätsmerkmal archäologische und mediatävistische Studien betrieben zu haben, wenn man doch eigentlich zeigen will, wie man anderen Leuten den Schild in den Wanst haut.
Oder etwa doch nicht?

Ich will euch auch nicht anpöbeln, sodern nur begründen warum ich die Sache anders sehe.Abgesehen davon, wenn dich Effekthascherei stört, habe ich noch alternativ das Attribut "besonders werbewirksam aber mit wenig Nutzen" anzubieten.

Calfbite
14-10-2004, 12:38
...und dann damit trainiere, dann wird sich das Design des Schildes auf die Techniken auswirken, die ich damit machen kann.

...
Es ist ganz einfach, das Werkzeug diktiert die Benutzungweise, und Techniken, die mit bestimmten, möglichst genau rekonstruierten, Waffen am sinnvollsten/effektivsten möglich sind, sind die, die damit früher auch am wahrscheinlichsten gebraucht wurden.
...


Ist vielleicht ein etwas unqualifizierter Einwurf von mir, aber ich glaub eher, dass sich die Techniken auf´s Design ausgewirkt haben, als andersrum...natürlich ist es möglich, aus dem Design dann vielleicht wieder die Technik abzuleiten...aber wie wahrscheinlich es ist, dass man man dann die Technik erwischt, die der durchschnittliche Nordmann da betrieben hat, weiß ich nich...
Jedenfalls: das Werkzeig diktiert nicht die Benutzungsweise...ich seh ja auch keine Hacke und habe das zwanghafte Bedürfnis den Garten umzugraben, sondern normalerweise will ich den Garten umgraben, und überleg mir, wie ich das am besten anstelle.

Is problematisch, "ausgestorbene" Kampfweisen wiederzubeleben, aber verstehe, dass manchereiner sich um die Annäherung bemüht.
Mir persönlich wär´s glaub ich einfach zu theoretisch und mühsam.

Gruß

Jörg B.
14-10-2004, 13:19
Du besitzt also sowohl Waffen als auch Rüstungen, die nach historische Vorbildern gefertigt sind, was Design und Material angeht. Du kennst also jemanden, der das mittelalterliche Schmiedehandwerk beherrscht und dir Klingen und Rüstung aus den, im Mittelalter verwendeten Metallen, in der im Mittelalter üblichen Technik?

Tue ich, bzw, habe ich besessen, nicht soviele wie ich gerne hätte aber habe ich.


Die Rüstungen kloppst du natürlich regelmäßig kaputt, um zu testen welche Techniken und Waffen dem Zweck der Rüstung wohl am besten entgegenlaufen und - so steht zu vermuten - damals wohl angewandt wurden.

Nicht regelmäßig, aber ab und zu.


Und natürlich sparrst du auch regelmäßig in der historischen Rüstung mit den historischen Waffen, da du ja nur so das Werkzeug seiner Bestimmung in einem realistischen Rahmen zuführen kannst. Für diesen realistischen Rahmen hast du ja die Studien betrieben, damit du endlich realistisches Werkzeug hast.

Auch das.


Zu den Ausgrabungen: Wenn du die Überreste auf Schlachtfeldern untersuchst, was findest du da? Ja, Reste von Knochen und Überreste schwer verrottender Gegenstände.
Hast du jemals die Verletzungen von dort gefundenen Knochen in Schwere, Richtung der Fremdeinwirkung und vermutliche Form des einwirkenden Gegenstands untersucht oder eine Arbeit gelesen wo jemand sowas gemacht hat? Das ganze statistisch ausgewertet?

Nicht selbst untersucht, sondern Büchern von Leuten gelesen, die das getan haben. Ich empfehle Dir mal die Lektüre von Thordemann's 'Armour from the Battle of Wisby' (http://www.chivalrybookshelf.com/titles/wisby/wisby.htm) oder Blood Red Roses (http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/1842170252/qid=1097755467/sr=1-1/ref=sr_1_10_1/028-4080523-6229329).


Aus den Daten rationellle Schlussfolgerungen angestellt mit was für einer Art von Waffe und " Technik " der Besitzer der Knochen aus dem Leben schied?

Ge-nau.


Wie findest du eigentlich raus wie der betreffende Leichnam zu einem solchen wurde? Und leitest daraus die Angriffe ab, gegen eine Rüstungskombination über die du auch nur vage rätseln kannst.

Manche Verletzungen sind den Skeletten post mortem zugefügt worden, andere treten dafür so häufig auf, das die Wahrscheinlichkeit, das es sich hierbei um verwundende bzw. tödliche Kampfverletzungen handelt, naheliegt.

Rätseln bezügl. der Rüstung muss ich ich im Falle Visby nicht, da viele Tote in ihren Rüstungen bestattet worden sind, außerdem gibt es vor allem im SMA Musterrollen und Ordonanzlisten, die Bewaffnung und Ausrüstung recht detailliert beschreiben.


Der langen Rede kurzer Sinn: In Bezug auf das Kämpfen bringt dich das Tüpfelchen auf dem i in Sachen Originaltreue und historisch verbürgt nicht weiter. Daher ist es m. Verständnisses nach kein Qualitätsmerkmal archäologische und mediatävistische Studien betrieben zu haben, wenn man doch eigentlich zeigen will, wie man anderen Leuten den Schild in den Wanst haut.Oder etwa doch nicht?

Und hier habe ich eine deutlich andere Meinung. Die grösstmögliche Originaltreue bringt mich sehr wohl weiter. Wenn ich wissen will, wie man sich im 15.Jhd. in einem vollen Harnisch bewegen konnte, muss ich mich in einen entsprechenden Harnisch einpacken und das einfach tun.

Wenn ich wissen will, was für eine Wirkung ein Schwert auf ein Kettenhemd hatte, muss ich entsprechende Versuche machen.

Und wenn ich wissen will, was die beste Kombination ist, um einen Schildträger umzuhauen, schaue ich mir Untersuchungen aus der forensischen Archäologie an, um zu sehen, was damals denn funktioniert hat.

All das fließt in mein Training ein.


Ich will euch auch nicht anpöbeln, sodern nur begründen warum ich die Sache anders sehe.

Historische Kampfkunst ist mehr, als nur lernen, wie man jemand 'das Schild in den Wanst haut'. Kampfkünste existierten nie in einem Vakuum, sondern waren immer in ihre jeweilige Zeit und Region eingebunden. Wenn ich möglichst genau wissen will, wie es damals gewesen sein könnte, muss ich mich auch mit den Begleitumständen befassen.


Abgesehen davon, wenn dich Effekthascherei stört, habe ich noch alternativ das Attribut "besonders werbewirksam aber mit wenig Nutzen" anzubieten.

Und der Nutzen ist durchaus nicht gering, wie ich oben schrieb, aber das ist meine Ansicht, YMMV.

Jörg B.
14-10-2004, 13:23
Ist vielleicht ein etwas unqualifizierter Einwurf von mir, aber ich glaub eher, dass sich die Techniken auf´s Design ausgewirkt haben, als andersrum...natürlich ist es möglich, aus dem Design dann vielleicht wieder die Technik abzuleiten...aber wie wahrscheinlich es ist, dass man man dann die Technik erwischt, die der durchschnittliche Nordmann da betrieben hat, weiß ich nich...
Jedenfalls: das Werkzeig diktiert nicht die Benutzungsweise...ich seh ja auch keine Hacke und habe das zwanghafte Bedürfnis den Garten umzugraben, sondern normalerweise will ich den Garten umgraben, und überleg mir, wie ich das am besten anstelle.

War von mir auch etwas schlecht formuliert, Technik und Design beeinflussen sich immer wechselseitig.


Is problematisch, "ausgestorbene" Kampfweisen wiederzubeleben, aber verstehe, dass manchereiner sich um die Annäherung bemüht. Mir persönlich wär´s glaub ich einfach zu theoretisch und mühsam.


Problematisch ist es, mehr als der Versuch einer Annäherung wird es nie sein (solange denn niemand eine Zeitmaschine erfindet ;)) mühsam ist es, aber es macht sehr viel Spaß, konsumieren kann jeder. ;)

Und das bisschen Theorie macht den Braten auch nicht fett, die Hauptsache ist und bleibt trainieren.

Marlon
14-10-2004, 13:48
Naja - Jörg kann's einfach viel besser als ich, deswegen Beitrag gelöscht und an Jörg übergeben! ;) :D

Eskrima-Düsseldorf
14-10-2004, 13:59
Jedenfalls: das Werkzeig diktiert nicht die Benutzungsweise...ich seh ja auch keine Hacke und habe das zwanghafte Bedürfnis den Garten umzugraben, sondern normalerweise will ich den Garten umgraben, und überleg mir, wie ich das am besten anstelle.



Wenn Dein Garten jetzt "aufrüsten" würde, um sich gegen Deine Hacke zu wehren und Du diesen Schutz wiederum durch aufrüsten unwirksam machen wolltest würde das Gleichnis eher passen.

Grüße

Christian

Marlon
14-10-2004, 14:08
Wenn Dein Garten jetzt "aufrüsten" würde, um sich gegen Deine Hacke zu wehren und Du diesen Schutz wiederum durch aufrüsten unwirksam machen wolltest würde das Gleichnis eher passen.


Ok - also ich bin jetzt überfordert mit diesem Hacke-Gleichnis... :confused:

Eskrima-Düsseldorf
14-10-2004, 14:14
Ok - also ich bin jetzt überfordert mit diesem Hacke-Gleichnis... :confused:

Ist doch eigentlich ganz einfach :D :

Du willst einen nackten Mann erschlagen und haust mit deinem Fauskeil auf ihn ein.

Da der Bruder des nackten Mannes das gesehen hat setzt er sich einen Helm auf und baut sich eine Rüstung.

Um den Bruder des nackten Mannes trotzdem erschlagen zu können, befestigst Du Deinen Faustkeil an einem Knüppel und hast eine Axt. Diese hat mehr Schwung und Du kannst den Bruder des nackten Mannes trotzdem erschlagen, der baut sich eine bessere Schutzausrüstung, Du Dir eine bessere Waffe usw. usw. :soldat: :soldat: :soldat: :soldat:


Grüße

Christian

Calfbite
14-10-2004, 14:45
äh...das hat jetzt aber eigentlich glaub ich nix mehr mit der Hacke und dem Garten zu tun...

Marlon
14-10-2004, 14:45
Yup Christian, Danke, jetzt hab ich's:

Technik und Design beeinflussen sich immer wechselseitig.
:klatsch:

Boozer
14-10-2004, 14:47
Sag mal wie teuer ist so eine Rüstung denn eigentlich? Das muss ja ein teurer Spaß sein, da könnte man ja wahrscheinlich glatt Privatstunden bei Herrn Sayoc nehmen. :-)

Gut und schön mit den Schlussfolgerungen aus den Skeletten. Das Visby-Buch scheint überhaupt sehr interessant zu sein. Danke für den Tip. Konnte mir zwar nur die Beispiele anschauen, aber die Feststellung Schnitte an Armen und Beinen hilft mir ja immer noch nicht viel weiter. Das hätte ich jetzt auch ganz ungebildet mal vermutet. Die eigentlich interessante Frage ist doch : Wie hat es denn der Angreifer geschafft, den verwundenen oder tötenden Schlag zu führen obwohl der Tote sich gewehrt hat. Dazu können mir die Befunde dann doch keine Antwort geben. Und genau das meinte ich mit Technik.
Das ein Mann vermutlich unterliegen wird, wenn man es schafft ihn an Armen und Beinen zu zerhacken ist nun wirklich keine Neuigkeit. Die Frage ist: Wie komme ich dahin, eben dies tun zu können?

Und wenn ich wissen will, wie man den Schildträger am besten aus den Latschen haut, dann nehme ich mir eine Glefe oder was auch immer und sparr das aus.
Vielleicht bin ich dann nicht historisch korrekt, aber ICH weiss was ICH tun kan mit dem Material, das mir zur Verfügung steht.

Jörg B.
14-10-2004, 15:00
Sag mal wie teuer ist so eine Rüstung denn eigentlich? Das muss ja ein teurer Spaß sein, da könnte man ja wahrscheinlich glatt Privatstunden bei Herrn Sayoc nehmen. :-)

Für einen vollen Harnisch von einem guten Plattner bekommt man ein nicht allzu altes, nicht allzu kleines Auto. Ein Schwert von einem *wirklich* guten Schmied kostet leicht ein Monatsgehalt, ein halbes mindestens.

Und NEIN, ich bin weder Grossverdiener noch Lottogewinner, momentan habe ich keine Eisenteile mehr, da ich zum einen etwas aus dem Leim gegangen bin :rolleyes: , zum anderen mache ich kein Reenactment mehr und zum dritten bin ich (u.a. bedingt durch die Beschäftigung mit Originalen ;)) sehr pingelig geworden, was Hardware angeht.

Mein derzeitiger Waffenbestand ist gerade so akzeptabel, aber ich arbeite daran.


Gut und schön mit den Schlussfolgerungen aus den Skeletten. Das Visby-Buch scheint überhaupt sehr interessant zu sein. Danke für den Tip. Konnte mir zwar nur die Beispiele anschauen, aber die Feststellung Schnitte an Armen und Beinen hilft mir ja immer noch nicht viel weiter. Das hätte ich jetzt auch ganz ungebildet mal vermutet. Die eigentlich interessante Frage ist doch : Wie hat es denn der Angreifer geschafft, den verwundenen oder tötenden Schlag zu führen obwohl der Tote sich gewehrt hat. Dazu können mir die Befunde dann doch keine Antwort geben. Und genau das meinte ich mit Technik.
Das ein Mann vermutlich unterliegen wird, wenn man es schafft ihn an Armen und Beinen zu zerhacken ist nun wirklich keine Neuigkeit. Die Frage ist: Wie komme ich dahin, eben dies tun zu können?

Die nackten Daten alleine helfen nicht, das stimmt. Jetzt kommen wieder Fechtbücher, Sagas, zeitgenössische Abbildungen etc. ins Spiel. Nur wenn man das ganze holistisch sieht wird ein Schuh draus.


Und wenn ich wissen will, wie man den Schildträger am besten aus den Latschen haut, dann nehme ich mir eine Glefe oder was auch immer und sparr das aus.
Vielleicht bin ich dann nicht historisch korrekt, aber ICH weiss was ICH tun kan mit dem Material, das mir zur Verfügung steht.

Das tun wir auch, ist meist sogar einer der ersten Schritte. ;) Nur hören wir danach nicht auf. ;)

Calfbite
14-10-2004, 15:06
Kann jemand mal nen Link oder Textbeispiel posten, über eine "Kampfszene" in einer alten Sage?
Kann mir das gerad relativ schlecht vorstellen.

Gruß

Marlon
14-10-2004, 15:20
Kurze Frage:
Calfbite / Boozer - macht ihr hier Escrima?
http://www.escrima-rostock.de/

Boozer
14-10-2004, 15:45
Ja. Gibt hier weit und breit nichts anderes.

Jörg B.
14-10-2004, 16:32
Kann jemand mal nen Link oder Textbeispiel posten, über eine "Kampfszene" in einer alten Sage?
Kann mir das gerad relativ schlecht vorstellen.

Guckstu hier. (http://www.thearma.org/essays/vikingfight.htm)

Boozer
15-10-2004, 07:53
Und genau bei der Interpretation der "forensischen Daten", Sagas, Fechtbücher, zeitgenösischen Abbildungen etc. und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen liegt der Hase im Pfeffer begraben.

Ich will nicht sagen das die Beschäftigung mit diesen Dingen keinen Nutzen hat, sie bringt Ideen was man versuchen könnte und außerdem ist Bildung nie schlecht. Keine Frage.

Ich habe aber bisher nichts derartiges gesehen was mir exakte Informationen liefert. Sondern kryptische Texte in untergegangenen Sprachen, kurze Skizzen komplexer Bewegungen, literarische Werke, die als Gesamtkunstwerk gelten sollen und keinen Wert auf minutiöse, genaue Beschreibung der Kampfhandlungen dienen. Dann auch noch übersetzt. ZU den Sagas empfehle ich mal den Essay " Vom Übersetzen und den Wörtern " von J.R.R. Tolkien.

Kurz, ich habe eine Menge an Daten vorliegen. Leider sind diese Daten so bruchstückhaft, heterogen, uneindeutig und schlecht nachzuvollziehen, dass man allein anhand dieser Daten keine zwingenden Schlüsse ziehen kann. Also nehme ich diese Daten sowie meine persönlichen Erfahrungen aus dem Sparring und füge mir daraus ein Gesamtbild, das der praktischen Überprüfung auch standhält.

Das Gesamtbild hält aber nur deshalb stand, weil ich einen Teil der Daten aufgrund meiner Sparringserfahrung als nicht zutreffend/falsch interpretiert ausgesondert und verworfen habe.

Mein Gesamtbild basiert also nicht auf meiner Interpretation der schriftlichen Quellen sondern auf der praktischen Erfahrung; was funktioniert und was funktioniert eben nicht.

Daher kann das Wissen über die verschiedenen Quellen eine Bereicherung der Kampferfahrung/des Skills sein, essentiell ist es jedoch nicht.

Jörg B.
15-10-2004, 08:05
Kurz, ich habe eine Menge an Daten vorliegen. Leider sind diese Daten so bruchstückhaft, heterogen, uneindeutig und schlecht nachzuvollziehen, dass man allein anhand dieser Daten keine zwingenden Schlüsse ziehen kann. Also nehme ich diese Daten sowie meine persönlichen Erfahrungen aus dem Sparring und füge mir daraus ein Gesamtbild, das der praktischen Überprüfung auch standhält.

Das ist genau das, was wir tun, mit dem Unterschied, das wir die Daten nicht als so bruchstückhaft ansehen.


Daher kann das Wissen über die verschiedenen Quellen eine Bereicherung der Kampferfahrung/des Skills sein, essentiell ist es jedoch nicht.

Wenn bloße Effizienz mein Ziel ist nicht, wenn ich versuchen will, zu verstehen, wie es damals höchstwarscheinlich war, dann sind diese Zusatzinformationen essentiell.

Ich denke, wir können uns darauf einigen, das wir in diesenm Punkt eine unterschiedliche Meinung haben.

Boozer
15-10-2004, 09:16
[QUOTE=Jörg B.]Das ist genau das, was wir tun, mit dem Unterschied, das wir die Daten nicht als so bruchstückhaft ansehen.
[QUOTE]

Das ist natürlich Ermessensfrage was man als bruchstückhaft bezeichnet und ob man glaubt mit den Daten sinnvoll arbeiten zu können. Ob die Lücken zu gross sind wird sich zeigen.
Letztendlich ist die Situation vergleichbar mit der Paläobiologie. Man hat zwar DNA vom Mammut isoliert und kann daran Untersuchungen anstellen, aber sehr wahrscheinlich kann daraus kein Mammut klonen.

Und ja, wir können uns darauf einigen, dass unsere Meinung über Sinn und Unsinn von historischer Korrektheit im Schwertkamf auseinandergeht.

M.A.Knapp
21-10-2004, 00:26
@Boozer: Denk nicht so kompliziert !

Wenn man ein Schwert und ein Schild in der Hand hat, sind bestimmte Bewegungen möglich, andere wiederum unmöglich.
Ein Handstand geht nicht, aber ein Schlag mit dem Schild ins Gesicht des Gegeners unmittelbar gefolgt von einem Schwerthieb auf die Beine geht schon.

Ein Angriff erfolgt in der Regel so, daß dem Gegener möglichst wenig Möglichkeiten für einen Gegenangriff gegeben werden. Dazu dient eben das Schild. Man kann damit dem Gegner die Sicht nehmen, man kann damit Schläge abwehren, man kann mit dem Schild zuschlagen, etc... Außerdem hat man ja noch das Schwert, das man dann im richtigen Moment einsetzen kann. Idealerweise ist ein Kampf in einer Schlacht spätestens nach 5-10sek entschieden.
An den Verletzungen, Rüstungsbeschädigungen, etc. kann man feststellen, auf welche Körperstellen die Schläge mit dem Schwert einwirkten. So war anhand den Überbleibseln der Schlacht von Visby feststellbar, daß 70% aller untersuchten Skelette Beinverletzungen (am Knochen) links außen und rechts innen (vom Getroffenen aus gesehen) aufwiesen. Davon kann man ausgehen, das entweder viele Schläge von rechts (Schwert in der rechten hand) gegen die Beine geführt wurden, oder die Beine gegen Schläge von links (vom Getriffenen aus gesehen) schlecht geschützt waren (durch aktiven und passiven Schutz). Anzunehmen ist eher das Erstere, das sich durch viel Probieren als das Richtige erweist.
Daraus kann man sich eine Schwert&Schildkampftechnik herausdestilieren, die sich dann im Idealfall mit Berichten zeitgenössischer Chronisten deckt bzw. auch mit Beschreibungen ähnlicher Techniken in Fechtbüchern.

Es hat niemand behauptet, die Schwert&Schildtechnicken exakt und "historisch korrekt" zu präsentieren, sondern nur eine plausible Annäherung derselben.

MfG, Michael

MORTIS
21-10-2004, 03:44
Ich gebe jetzt auch mal meinen Senf dazu, bin zwar nicht wirklich qualifiziert aber ich habe gerade Zeit.





Und wenn ich wissen will, wie man den Schildträger am besten aus den Latschen haut, dann nehme ich mir eine Glefe oder was auch immer und sparr das aus.
Vielleicht bin ich dann nicht historisch korrekt, aber ICH weiss was ICH tun kan mit dem Material, das mir zur Verfügung steht.
Ja ich sehe das genau so aber ich betreibe auch meinen Kampfsport so ich Trainiere nur das effektive und lasse jedes traditionelle und Rituelle beigemüse weg. ABER das mach ich so weil es mir so gefällt. Andere Leute mögen genau das Esoterische Zeugs an den Kampfkünsten. Und genau dasselbe Problem besteht doch hier (meiner Meinung nach) um den "optimalen" Schwertstil zu entwickeln müsste man die Filipinischen, Japanischen, Chinesischen Techniken und die überlieferten Sachen aus den historischen Fechtbüchern mischen. Aber so wie ich das verstehe ist dass nicht das Ziel von Gladius et Codex und den anderen Anhängern des "Historischen Kampfes" die versuchen einfach, so zu kämpfen wie im Mittelalter (oder die Wikinger oder so). Und da diese Dinge nicht so gut weitergeben wurden wie z.B die asiatischen versuchen sie auf diese Weise zu ihrem Wissen zu kommen. Das ist sicher nicht das schlechteste. Aber für mich persönlich ist das auch zu theoretisch (wie mir ein probetraining vor ca. 3 Jahren gezeigt hat).

Gruss
Jerome

bobi
21-10-2004, 09:06
sehr interressant das ganze.....

als oberflächlicher kauz schiess ich jetzt völlig quer und
bleib beim design hängen...... marlon coole ausschreibung auf der
website -sieht richtig knackig aus. ich komm wen ich kann
gruss bobi

Boozer
21-10-2004, 10:04
@ M.A. Knapp

Das ist es ja, was ich hier die ganze Zeit sage. Wenn man sowieso nicht exakt rauskriegen kann wie man damals gekämft hat, braucht man auch nicht allzuviel Zeit darauf verwenden genau das zu versuchen.
Und das es ein guter Plan ist, mit dem Schild oben anzugreifen und gleichzeitig in die Beine zu hauen, ist glaubbich jedem klar, der zum ersten Mal einen Schild in der Hand hat. Auch hier liefern mir die wichtigen forensischen Befunde nichts Neues.

Calfbite
21-10-2004, 11:10
@ M.A. Knapp

Das ist es ja, was ich hier die ganze Zeit sage. Wenn man sowieso nicht exakt rauskriegen kann wie man damals gekämft hat, braucht man auch nicht allzuviel Zeit darauf verwenden genau das zu versuchen.



Nana, wenigstens lungern sie nich auf der Straße rum, solange sie sich auf Burgen das eine oder andere Horn Met in den Wikingerbart kippen ;)
Kann ja jeder halten, wie er will.



(meiner Meinung nach) um den "optimalen" Schwertstil zu entwickeln müsste man die Filipinischen, Japanischen, Chinesischen Techniken und die überlieferten Sachen aus den historischen Fechtbüchern mischen. Aber so wie ich das verstehe ist dass nicht das Ziel von Gladius et Codex und den anderen Anhängern des "Historischen Kampfes" die versuchen einfach, so zu kämpfen wie im Mittelalter (oder die Wikinger oder so).


Ich persönlich habe aber schon ein wenig den Eindruck, als würde eben in jene Rekonstruktion auch Technik aus anderen (u.a. asiatischen) Stilen miteinfließen. Ich nehme an, dass einige der historischen Fechter hier schon Erfahrungen in derartigen Stilen gesammelt haben.
Ich weiß jetzt nicht, inwiefern man das beim rekonstruieren verdrängen kann, aber durch derartige Erfahrungen werden glaub ich schon ein paar mehr Sachen mit Schwert und Schild möglich. Sachen, auf die die alten Nordleute vielleicht gar nich gekommen wären. Auch was Positionierung angeht.

Egal. Wenn ich meine Zeit drauf verwende, hier was zu schreiben (und manchmal sogar was zu lesen), Werd ich keinem nen Strick draus drehen, wenn er versucht den Wikingern nachzueifern...und n Wikingerschwert will ich vielleicht auch mal haben...

Gruß

Jörg B.
21-10-2004, 12:02
Vorerfahrungen bringt fast jeder mit.
Die Frage ist nur, an welcher Stelle meiner Rekonstruktion ich Vorerfahrungen (oder wie es ein Kollege aus den Staaten ausdrückt 'frog DNA') einfließen lasse und bis zu welchem Grad, da ist interlektuelle Ehrlichkeit gefragt.

Marlon
21-10-2004, 16:00
Calfbite, Boozer - kommt doch mal bei uns vorbei, dann seht ihr was wir in unserer Freizeit, etc so machen.

Gruss, M:

Jörg B.
21-10-2004, 18:26
Eben, Marlon! Schwätzen kann man viel, es geht ums TUN!

Bis bald in Wien!

bobi
22-10-2004, 09:52
also das klingt jetzt von calfbite / mortis
so als ob es nicht so draufankomme was man genau macht....
und als ob man alle stile miteinander mischen könnte.
aber wieso sollte ich einen japanischen samuraischwertstil mit einem europäischen mischen? der hintergrund, die zeit und die waffe sind
ganz anders. logisch gibt es motorische parallelen, schnittarten
was weiss ich.....
nebenbei glaube ich vorallem die asiatischen stile werden da überwertet.
wir haben selber ringen, boxen, und waffenkampf in unserer
jahrhundert alten kriegsgeschichte..... ich muss kein
kendowikiboxshaolinringjutsu machen.

ich kanns nicht beurteilen wies beim schwert schild steht
bei den wikingern. aber zum beispiel bei lichtenauer
ein alter fechtmeister aus dem 13.jhr aus deutschland (sagt mir
wen ich mich irre). trainiert man da ein in sich stimmiges
system das ohne beigemüse auskommt, -ich sag jetzt nicht das man
es nicht ergänzen kann - nur das es in sich genügt und ein essence/
einen kern, ähnlich wie bjj, wt, oder auch pekiti tirsia hat.

ist nicht alles tutti frutti bei den "historikern".

ich glaube viele kampfkünstler und normalos haben immer noch ein völlig
verschrobbenes bild von den historischen europäischen kampfkünsten.
derweil es bei den historischen ähnlich wie bei den gängigen, eine
ganze pallette gibt von artistischem schabbernack über tanz-
stilen, effektiv-kampfbetonten systemen, pseudo-mysteriösen verkleidungs-stilen.... und so weiter.

ähh wo waren wir?
back to work :-)

Eskrima-Düsseldorf
22-10-2004, 10:22
Auf jeden Fall Hut ab vor Leuten wie Marlon oder Jörg, das ist schon ne Heidenarbeit die die leisten.

Stellt Euch mal vor, in fünfhundert Jahren findet jemand "Karate Komplett", "Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen" aus dem Falken Verlag, vielleicht noch ein Jiu-Jitsu Buch von Weinmann und versucht auf Grundlage dieser Bücher den waffenlosen Kampf unserer Gegenwart zu rekonstruieren. Daß das Ergebnis nicht so aussieht wie ein echter Kampf zur heutigen Zeit, dürfte klar sein.

Grüße

Christian

Calfbite
22-10-2004, 11:57
Calfbite, Boozer - kommt doch mal bei uns vorbei, dann seht ihr was wir in unserer Freizeit, etc so machen.

Gruss, M:

Ich glaub, das Problem der Entfernung hatten wir schonmal angesprochen...
Einer der Gründe, wieso ich hier ein bisschen über die Herangehensweise an die historische Kampfkunst erfahren möchte, ist der Mangel an finanziellen Mitteln und Mobilität, um mir alles mal persönlich anzugucken.
Abgesehen davon bin ich auch nich der Überfan, was diese Art zu kämpfen angeht. Wie gesagt, die Klingen würden mich ja schon interessieren, aber das zünftige Rüstzeug ist dann schon wieder weniger mein Geschmack (was ich bisher auch nur rein theoretisch sagen kann, weil noch nie Panzerung getragen).
Ich versuche hier nur auf recht bequemem Wege ein bissel was über Herangehensweisen an das ganze herauszufinden. Dass das die praktische Erfahrung nich annähernd ersetzt, ist mir völlig klar.
Wenn´s mich irgendwann mal wirklich packt, werd ich mir vielleicht mal das Huscarl-Zeug, was, wie ich glaube in Hamburg gepflegt wird, mal angucken.

@bobi

wo klang das jetzt so, als wenn´s nich so drauf ankomme, was man wirklich macht?

Die historische europäische Kampfkunst hat meines Wissens den Nachteil, dass sie eben nur in einigen Büchern überlebt hat. Die mutmaßliche Kampfkunst der Wikinger hat noch nich mal in der Verschriftlichung überlebt.
Ich find´s auch toll, dass das nu von Leuten wie Jörg und Marlon wiederbelebt wird.
Letztenendes bleibt es aber problembehaftet, "ein in sich stimmiges" System aus einem Buch zu erlernen. Besonders, wenn´s vor ein paar hundert Jahren geschrieben worden ist. Eventuell noch mit Bildern, die man unterschiedlich interpretieren kann. Aber das hatten wir ja alles scho.

Und zum Mischen von Stilen sei nur noch mal erwähnt, dass ich persönlich es für möglich befinde, dass nicht jeder über die von Jörg erwähnte intellektuelle Ehrlichkeit verfügt, und das dadurch eben bewährte Elemente aus ganz anderen Stilen mit in die Rekonstruktion des historischen Stils miteinfließen (könnten).

Naja, völlig einig sind wir uns wohl in bezug darauf, dass man viel schwätzen kann. Es geht um´s Tun.

:) Gruß

Jörg B.
22-10-2004, 14:00
Hallo zusammen.

Eines nochmal ganz klar: JEDER historische KK'ler benutzt im Laufe seiner Interpretation 'frog DNA', die Frage ist nicht *ob*, sondern *wann*, *welche*.und *in welchem Umfang*.

Es gibt in Hans Talhoffers Fechtbuch aus dem Jahr 1467 z.B. ein paar Abb. im langen Messer( wer nachschauen will, es ist Tafel 224 (http://www.schielhau.org/images/tafel_224.gif)), die man, je nach Hintergrund als Roofblock/hohe Prim mit anschließendem Einschließen des Armes Schlag zum Kopf (http://www.schielhau.org/images/tafel_225.gif) erkennt.


Oder zu erkennen glaubt.

Wenn man nämlich ein wenig tiefer in die Materie einsteigt erkennt man, daß die dargestellte Situation nämlich nur Plan B ist. (Die Ausgangssituation ist hier (http://www.schielhau.org/images/tafel_223.gif) dargestellt.) Das Hauptziel ist es, dem Angreifer mit einem gleichzeitigen Hieb die Hand abzuschlagen (http://www.schielhau.org/images/tafel_228.gif) und ihn dann endgültig auszuschalten (http://www.schielhau.org/images/tafel_229.gif) . Nur, wenn das nicht gelingt und er den Schlag pariert kommt man überhaupt in Situation, die in Tafel 224 dargestellt wird.

Diese Interpretation passt deutlich besser in das taktische Konzept der 'deutschen Schule', die passive Bewegungen/Aktionen meidet, wie der Teufel das Weihwasser; die Regel lautet 'Schlag wenn er schlägt, stich wenn er sticht'.

Talhoffer's Bildtafel sind vielfach echte 'Flowcharts', die unterschiedliche Lösungen aufzeigen, je nachdem, wie sich eine Situation entwickelt.

Leider wurde das Buch mindestens einmal neu gebunden, so daß einige Tafeln durcheinandergeraten sind (ob dabei auch welche entnommen wurden, wer weiß).

Aber *das* sie überhaupt neu gebunden wurden, wissen wir nur dank der Tatsache, daß sich einige Akademiker mit der Materie auseinandergesetzt haben. Das gleiche gilt für die Publikmachung von Liechtenauers Versen, hätte ein gewisser Martin Wierschin nicht im Jahr 1965 seine Dissertation über Siegmund Ringecks Fechtbuch geschrieben und dabei auch die komplette Handschrift transkribiert, wüssten wir heute nicht halb soviel über die Kunst unserer Vorväter.

Was natürlich auch noch wichtig ist, ist das es ein paar Bekloppte wie mich, Marlon und noch einige andere mehr gibt, die diese akademischen Texte auch tatsächlich *lesen* und darauf basierend arbeiten.

Weltweit beschäftigen sich viele Leute mit ganz unterschiedlichem Hintergrundwissen mit der Materie. Je mehr Leute, die räumlich voneinander getrennt sind, unabhängig von ihrem Background zum gleichen Ergebnis kommen, um so wahrscheinlicher ist das, worauf sich alle einigen können sehr nahe an der historischen Wahrheit, so genau man eben dran sein kann.

Wenn ich mir aber diese Mühe nicht mache, sondern bei meiner ersten Interpretation (Roofblock/hohe Prim) bleibe, habe ich am Ende etwas, was wahrscheinlich effizient ist, keine Frage. Ob es aber auch ins taktische und historische Gesamtkonzept der Kunst passt, ist eine andere Frage.

Ich habe die o.g. Tafel 224 anfangs auch als hohe Prim mit Einschließen und Schlag interpretiert und auch so gefochten. Und für meinen damaligen Kenntnisstand war das auch OK.

Man darf halt nicht dabei stehenbleiben, sondern muss seine Interpretationen immer weiter hinterfragen und überarbeiten, um soviel 'frog DNA' wie möglich wieder zu eliminieren.

Ich hoffe, das macht die Sache ein bißchen klarer.

Eskrima-Düsseldorf
22-10-2004, 14:09
Wenn man nämlich ein wenig tiefer in die Materie einsteigt erkennt man, daß die dargestellte Situation nämlich nur Plan B ist. (Die Ausgangssituation ist hier (http://www.schielhau.org/images/tafel_223.gif) dargestellt.) Das Hauptziel ist es, dem Angreifer mit einem gleichzeitigen Hieb die Hand abzuschlagen (http://www.schielhau.org/images/tafel_228.gif) und ihn dann endgültig auszuschalten (http://www.schielhau.org/images/tafel_229.gif) . Nur, wenn das nicht gelingt und er den Schlag pariert kommt man überhaupt in Situation, die in Tafel 224 dargestellt wird.

Das ist in den FMA auch so, von daher wäre eine Verwechselung mit dem Dachblock nicht so schlimm :D

Ich weiß aber was Du meinst.

Grüße

Christian

Jörg B.
22-10-2004, 18:30
Das ist in den FMA auch so, von daher wäre eine Verwechselung mit dem Dachblock nicht so schlimm :D

Echt? :ups:
Na prima, und ich habe mich deswegen schon (verbal) mit einigen FMA-lern herumgeschlagen. :rolleyes:

Ohne Schmarrn, wird das in vielen FMA-Stilen so gelehrt?

Marlon
22-10-2004, 19:18
Ohne Schmarrn, wird das in vielen FMA-Stilen so gelehrt?

Worum geht's jetzt genau? :confused:

Eskrima-Düsseldorf
23-10-2004, 07:56
Ohne Schmarrn, wird das in vielen FMA-Stilen so gelehrt?

Eigentlich ja, es mag aber durchaus sein, daß viele trainierende das aus Bequemlichkeit vergessen, aber eigentlich ist jeder Block ein Schlag zum Waffenarm. Nur aus Traingszwecken wird auf dem Stock geblockt. (oder wenn der andere zu schnell ist und einem nichts anderes übrig bleibt als auf dem Stock zu blocken).

Grüße

Christian

Boozer
23-10-2004, 09:56
He Jörg,

hab ich dichjetzt richtig verstanden, dass laut deiner Interpretation nach Tafel 223 eigentlich Tafel228 kommt, als Alternativplan allerdings auch Tafel224?

Außerem machen wir fast nie statische Blocks sondern sehen wie schon von Christian gesagt, jede Aktion als möglichen Gegenangriff. Allerdings schlagen wir nicht zum Stock als Ersatz für den Arm, sondern ziehen uns Handschuhe an.

Jörg B.
23-10-2004, 12:50
Ja, nach Tafel 223 folgt entweder 228/229 oder 224/225, je nachdem, ob und wie der Angreifer reagiert.

Ulrich
23-10-2004, 16:45
Ja, nach Tafel 223 folgt entweder 228/229 oder 224/225, je nachdem, ob und wie der Angreifer reagiert.
ist eigentlich die gute alte Regel das im Zweifel auch das Gegenteil des erstrebten funktionieren sollte :D

Jörg B.
24-10-2004, 19:30
Jau, so sollte das sein, ich habe aber tatsächlich in der Vergangenheit öfters mal mit Escrimadores geredet,die das Konzept 'Blöcke = Gegenschläge' nicht kannten oder nicht verstanden haben, erwähnt haben sie es nämlich nicht. ;)

Aber sei's drum, gut zu sehen, das die Gemeinsamkeiten vielfach grösser sind als angenommen. Und was dazugelernt hab ich auch noch. ;)

Ulrich
24-10-2004, 19:36
Manchmal sind es halt auch Blöcke, z.B. wenn man sich nicht offensiv wehren darf /kann m.E. ist das mehr beom Stock sprich Stumpfen Waffen der Fall oder wenn man halt zu spät dran ist mit einem direkten Konter reicht es manchmal halt nur zum covern

Eskrima-Düsseldorf
24-10-2004, 19:42
Manchmal sind es halt auch Blöcke, z.B. wenn man sich nicht offensiv wehren darf /kann m.E. ist das mehr beom Stock sprich Stumpfen Waffen der Fall oder wenn man halt zu spät dran ist mit einem direkten Konter reicht es manchmal halt nur zum covern

Zumal auch ein Dachblock auf den Arm des Angreifers mit einem Stock viel weniger Wirkung, bzw. eine ganz andere Wirkung zeigt als z. B. mit einer Machete.

Grüße

Christian

Eskrima-Düsseldorf
24-10-2004, 19:46
Aber sei's drum, gut zu sehen, das die Gemeinsamkeiten vielfach grösser sind als angenommen. Und was dazugelernt hab ich auch noch. ;)

Bei teilweise gleichen/ähnlichen Waffen muß es doch Gemeinsamkeiten geben. Ich denke da z. B. an Machete/lange Messer.

Ich habe mal ein paar mal mit einem Deiner Mitochsen trainiert was dann leider aus Zeitgründen Beiderseits wieder eingeschlafen ist. Ich sehe da eigentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

Grüße

Christian

Marlon
24-10-2004, 21:49
Escrima und HEMA (Historical European Martial Arts) haben eindeutig Ähnlichkeiten. Man darf allerdings nie vergessen das ein Stock ein Stock ist und ein Schwert ein Schwert. Der Stock mag ein guter Simulator sein, doch verhält sich ein Schwert immer anders. Machete und Langes Messer haben zwar sehr viele Ähnlichkeiten, meiner Ansicht nach aber auch sehr viel Unterschiede. So habe ich bisher keinen Escrimador getroffen der das Konzept des Windens umgesetzt hat. Im Gegenteil bin ich eher auf Aussagen wie "Beim Stock gibt es kein Chi-Sao" getroffen, womit ausgesagt werden sollte, das man bei Waffen (hier Stock), nicht das Konzept des taktilen Fühlens umsetzt. Dies wird von den Historischen Quellen nach Liechtenauer, hier bester Vergleich Lecküchner, genau anders gehandhabt. Auch ist das lange Messer in der Regel länger und etwas heftiger als die Machete, wodurch sich ebenfalls wieder Unterschiede ergeben.

Aber zugestimmt, die Ähnlichkeiten überwiegen und innerhalb der FMA (Filipino Martial Arts) gibt es ja auch einen Haufen bunter Lehrmeinungen... ;) :halbyeaha

Ulrich
25-10-2004, 05:31
welche Abmessungen und Massen gelten für "lange Messer"

Jörg B.
25-10-2004, 07:55
Hi Ulrich!

Die Abb. im Talhoffer sind schon nicht ganz daneben. ;)

Hier noch ein paar ganz grobe Daten:

Die Gesamtlänge variiert zwischen ~50 cm und ~100cm, einschneidige, kräftige Klinge, meist so um 4 cm breit, oft mit kurzer Rückenschneide und eingezogener Spitze, Grifflänge zwischen 10 cm und 25 cm.

Charakteristisch ist die an den meisten Messern terzseitig angebrachte Parierplatte, der so genannte 'Nagel'.

Interessanterweise wurden meines Wissens mehr kürzere Messer (GL so um 55 cm) gefunden, als längere (~ 70-100 cm)

Jörg B.
25-10-2004, 07:57
Ich habe mal ein paar mal mit einem Deiner Mitochsen trainiert was dann leider aus Zeitgründen Beiderseits wieder eingeschlafen ist. Ich sehe da eigentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

Mit Stefan? Lebt der noch? Ich weiß gar nicht, ob der überhaupt noch Vereinsmitglied ist, wenn er Dir mal über den Weg läuft, sag ihm doch bitte, er möge sich mal melden.

Eskrima-Düsseldorf
25-10-2004, 08:21
Meine letzte Info ist ungefähr ein Jahr alt. Glaube kaum daß er mir noch einmal über den Weg läuft, ich glaube er ist sogar umgezogen.

Grüße

Christian

Eskrima-Düsseldorf
25-10-2004, 10:00
So habe ich bisher keinen Escrimador getroffen der das Konzept des Windens umgesetzt hat.

Wenn Du damit meinst, daß bei einer Klingenbindung der Druck des Gegners ausgenutzt wird, gibt es das teilweise auch in den FMA, allerdings nicht so ausgeprägt wie bei den europäischen Methoden.

Grüße

Christian

Marlon
25-10-2004, 10:59
Wenn Du damit meinst, daß bei einer Klingenbindung der Druck des Gegners ausgenutzt wird, gibt es das teilweise auch in den FMA, allerdings nicht so ausgeprägt wie bei den europäischen Methoden.


Eben, innerhalb der FMA (Filipino Martial Arts) gibt es ja auch einen Haufen bunter Lehrmeinungen...

Boozer
25-10-2004, 13:35
Weshalb ich gefragt habe: Wie kommt man denn aus der Position auf Tafel 223 in einer Bewegung/ einem Schritt in die Stellung auf Tafel 228?

Wir habens am Freitag beim Training mal ausprobiert. Hat sich mir irgendwie nicht erschlossen. Was genau bringt dich denn auf deine "SeitenverwechslungsTheorie"?

So long

Boozer

Jörg B.
25-10-2004, 14:16
Ist doch ganz einfach.

Beide starten rechts vor, Waffenhaltung wie in Tafel 223 dargestellt.
Angreifer (links) macht einen Schritt/Falling Step nach vorn und schlägt abwärts zum Kopf.

Verteidiger (links) macht einen Schritt nach vorwärts links mit dem rechten Bein und schlägt gleichzeitig diagonal-aufwärts nach der Hand. Presto, Tafel 228.

Ulrich
25-10-2004, 16:31
Kann es sein das Schritte und Distanzen codiert sind?

Jörg B.
25-10-2004, 17:36
Definiere codiert, ich weiß leider im Moment nicht, was Du meinst.

Ulrich
25-10-2004, 17:51
ein Bild =zwei Schritte und mehrere Armbewegungen?

Jörg B.
25-10-2004, 18:55
Schwer zu sagen, die Interpretation mittelalterlicher Abb. ist eine Wissenschaft für sich.

In diesem Falle würde ich aber sagen, nein. Das Buch wurde für jemand geschrieben, der bei Talhoffer fechten gelernt hat, als Gedächtnisstütze sozusagen.

Wenn Du Dir die Fechter mal genau anschaust, wirst Du da auch einige Info's zum Thema Körperspannung und Beinarbeit sehen.