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Vollständige Version anzeigen : Erste Informationsbroschüre des ersten deutschen Karate-Verbandes des DKB



shotokan-man
01-03-2005, 12:24
Wollte Euch diese schöne Geschichte nicht vorenthalten,
kannte sie schon jemand?



Mehr als Selbstverteidigung


Bei dem hier vorliegenden Text handelt es sich um die erste Informationsbroschüre des ersten deutschen Karate-Verbandes des Deutschen Karate Bundes (DKB), die vor 35 Jahren erschienen ist. Trotz der heute ungewöhnlichen Formulierungen gibt er Antworten auf viele Fragen die ein Anfänger hat. Viele Themen sind zeitlos und daher noch heute aktuell.

Ich werde ein Gorilla

"Wenn du Karate lernen willst, mußt du die Handkanten abhärten", sagten meine Bekannten. Un so hämmerte ich Tag für Tag gegen den scharfen Rand des Küchentisches und versuchte mich im Keller an Briketts.
Die Schriftzeichen im Titel bedeuten 'kara' - nackt, leer; 'te' - Hand, Hände und 'do' - Weg, ethisches Prinzip.
Nachdem die Wintervorräte im Kohlenkeller auf diese Weise halbiert waren, wuchs mein Tatendrang. Ich band ein Strohpolster an einen Stützbalken auf unserem Speicher. Solch einen Schlagpfosten nennen die Japaner "Makiwara". Damals hilet ich dieses Do-it-yourself-Gerät für den heiligen Totempfahl der totalen Abhärtung. Aber entweder war die Konstruktion falsch oder ich selbst lag schief mit der Methode: nach wenigen Tagen waren meine Hände zu Superpranken angeschwollen. Wenn mich jemand begrüßte, gab es ein betretenes "Nanu!". Nachdem ich dann auch noch ein hinter der Hand getuscheltes "Elephantiasis" aufschnappte, vergrub ich bei jedem Gruß die Hände in den Hosentaschen und nickte lässig mit dem Kopf. Sollte man mich ruhig für einen oppositionellen Radikalen halten.
Heimlich und konsequent bastelte ich unbeirrt am Image eines harten Overkill-Experten, dem Karate als das Zerstörende schlechthin leitbildhaft vorschwebte.
Die härteste Selbstverteidigung der Welt, mit einer eineinhalbjahrtausend-alten Tradition als Kunst des optimalen und rationellsten Einsatzes der menschlichen Gliedmaßen in Abwehr und Angriff. (Stammt nicht von mir, ich habe es irgendwo gelesen und auswendig gelernt.)
Ich begann Artikel zu sammeln: "Der Mann, der einen Kampfstier mit der bloßen Hand tötete", "Koreanische Tigerdivision fügt dem Feind mit Karate im Nahkampf schwere Verluste zu", "Karate-Experten als geheime Waffenträger polizeilich registriert".
Für eine Karateausbildung würde ich jedes Opfer bringen. Aber ich wollte nicht nach dem Lehrbuch sondern in der Praxis lernen. Solange die Lehrbücher keinen Sparringspartner mitlieferten.
Schneller als erwartet wurde es ernst: ein Karatemeister, ein farbechter Schwarzgurt, war in unseren Ort verzogen und kündigte eine Clubgründung an. Ich wollte und mußte sein erster Schüler sein, also nichts wie hin!
Die erste Begegnung fand in seiner Wohnung statt. Vergeblich hielt ich Ausschau nach Urkunden, Trophäen und Samuraischwertern. Der Meister trug Pantoffeln und wirkte auf mich geradezu mikrig. Seine Hände zeigten weder Schwielen noch Hornwülste. Ich war bitter einttäuscht.
Dann daß ich ihm gegenüber und wußte nicht, was ich eigentlich sagen sollte.
Entgeistert sah ich, wie er sich eine Pfeife ansteckte. Fehlt nur noch, daß er säuft, dachte ich. Was dann kam, haute mich fast vom Stuhl.
"Na los, Taschenformat, wo brennt's? Ich bin nicht der Big Boy, den du dir ausgemalt hast, stimmts? Und du glaubst, so eine Karate-Heini wäre auf Kilometer erkennbar. Spar dir deine großen Worte und komm zur Sache. Also du möchtest Karate lernen. Okay, Montag um 20 Uhr in der Kreisturnhalle. Alles weitere erklär' ich euch dort."
Er stand auf und erwartete, daß ich mich dünn mache. Aber ich blieb sitzen. Mit mir nicht, ich war kein Strohfeuer-Fan. Ich sah, wie er stutzte. "Na schön", sagte er, "fünf Minuten kostenlose Zugabe. Aber faß dich kurz."
Aus den fünf Minuten wurde eine geschlagene Stunde. Ich erfuhr alles, was ich wissen wollte. Ich durfte mir Fotos und Bücher ansehen. Ich durfte mir sein Meisterdiplom, die sogenannte Dan-Urkunde zu Gemüt führen. (Nachdem ich sie mehrere Minuten fachmännisch gemustert hatte, sagte er mir, ich hielte sie verkehrt herum.)
Immer die gleichen Fragen
Warum ich das alles erzähle? Weil mich gestern der Huber Sepp anquasselte und genau so blöd daherredete, wie ich vor einem Jahr.
"Hast du schon Dachpfannen zerschlagen? Hast du schon mal im Ernstfall Karate angewendet? Stimmt es, daß ein Karatemann besser ist als ein Boxer? Ist dein grüner Gürtel ein höherer Grad?
Das 'Kihon': die Grundschule. Hier werden die ganzen Karatetechniken, seien es Abwehren, Gegenangriffe, Tritte oder nur die einzelnen Stellungen und Schrittbewegungen gelernt und verfeinert.
"Hör zu", brauste ich auf, "jetzt werde ich dich in aller Freundschaft aufklären. Aber hör endlich mit deinen Fragen auf." Sepp glotzte wie ein Auto, verstummte und musterte mich, als ob ich Dracula persönlich sei.
Ein Jahr lang hatte ich die Klappe gehalten (was mir äußerst schwer fiel) und als fleißiger Schüler trainiert. In meiner Karate-Pubertätszeit, bevor ich meinen jetzigen "Sensei", den Schwarzgurt, kennengelernt hatte, war ich die Angabe in Person. Weiß der Teufel, warum ich heute so allergisch auf alles reagiere, was nach Show roch.
Es fing damit an, daß meine Braut sich über mich lustig machte. "Ist doch alles Theater und Geltungssucht", meinte sie. "Was hast du denn davon, daß du dir die Glieder verrenkst und nach dem Training schlagkaputt bist. Wie kann ein normaler Mensch so ein ausgefallenes Hobby haben!" Ich war wütend, aber ich dachte zum ersten Mal nach, in wieweit Karate ein echter Sport sei. Dann sprach ich mit meinem Ausbilder darüber. Inzwischen hatte ich ihn im Training erlebt, und alle Vorurteile waren passé.
Was ich jetzt meinem Kumpel erzählte, war nicht auf meinem Mist gewachsen. Aber ich hatte es gefressen und verdaut. "Karate ist ein wenig anders, als du es dir vorstellst. Ohne Sensationen. Kara heißt leer und Te heißt Hand. Kunst der leeren Hände, Kampf ohne Waffen. Nicht ringkampfmäßig wie beim Judo sondern auf Distanz.
Ursprünglich galt Karate als reine Selbstverteidigung: Abwehr und Gegenangriff mit Faust, Handkante oder Fuß. Die Wirkung eines Gegenangriffs kann verheerend sein; die Bruchtests beweisen es. Es gibt keine faulen Tricks dabei. Aber bis du es kannst, mußt du lange und verdammt ausdauernd trainieren. Und wenn du lange genug trainiert hast, pfeifst du auf den ganzen Rummel. Du hast gemerkt, daß Karate als Sport ganz andere Aussichten bietet als so ein idiotisches Zertrümmern von Baumaterial.
Die meisten sehen im Karate immer noch die Selbstverteidigung. Bitte sehr, mögen sie. Klar, daß ein Karatemann fantastisch reagiert und - da er alle Abwehr und Angriffe aus der Bewegung heraus lernt - keine Trockenkurse absolviert.
Du fängst ganz bescheiden an, als Weißgurt. Nach und nach steigert sich dein Können, du legst Gürtelprüfungen ab, die Gürtelfarbe wird dunkler. Als Braungurt zählst du schon zu den Fortgeschrittenen. Bis zum Schwarzgurt, zum Karatemeister, braucht man seine zwei bis drei Jährchen - sofern man das Zeug dazu hat. Und den Ehrgeiz. (Es gibt übrigens genug Clubs ['Dojos'], die von keinem Meister geleitet werden; der schwarze Gürtel ist also nicht unbedingt Voraussetzung.)
Im 'Kumite' werden die gelernten Grundschultechniken zusammen mit dem Partner geübt. Hier werden Timing, Distanzgefühl und Präzision geschult. Erst wird in vorgegebenen Formen geübt, die immer mehr an den freien Kampf heranreichen. Im freien Kampf besteht der Karateka seine letzte Bewährung. Mut, absolute Körperbeherrschung, blitzschnelle Reaktion und unbedingte Fairneß vermitteln ein faszinierendes Bild meisterhaften Könnens und größter Realistik.
Du brauchst auch nicht zu glauben, daß jeder 'Karate-Ka' ein künftiger Wettkämpfer ist: für den Hochleistungssport sind immer nur wenige geeignet, und wie in jedem Sport steht die Breitenarbeit im Vordergrund.
Kämpfer sind kleine (oder große) Experten, die im richtigen Moment abstoppen können und ihr Ziel nicht verfehlen. Sie beherrschen alle Angriffs- und Abwehrtechniken, sie haben überdurchschnittliche Reaktionen, sie kennen sich in der Kampfpsychologie aus und verfügen über eine beachtliche Kondition.
Wie gesagt, das ist noch Zukunftsmusik. Aber du kannst mir glauben, was sich bisher bei mir getan hat ist ganz große Klasse.
In den ersten Wochen habe ich mich gewundert, wie viele Muskeln der Mensch hat - ich habe sie alle gespürt. Dann habe ich 4 Kilo abgenommen und bin flinker als je zuvor. Meine Reaktion beim Autofahren hat sich schon herumgesprochen. Ich war noch nie so fit wie heute.
Und so wie ich fühlen alle 20 Mitglieder unseres Clubs. Ich möchte den sehen, der jetzt noch aussteigen möchte, obwohl es jedem frei steht, von heute auf morgen eine Fliege zu machen.
Wie man einen Heiligenschein erwirbt
Das Verrückteste aber ist vielleicht die Tatsache, daß mich dieser Sport restlos umgekrempelt hat. Was war ich für ein Angeber!
Unser Ausbilder sagte kürzlich, daß alle Angeber unter verdrängten Komplexen leiden. Nichts sein und dennoch bescheiden bleiben, gelingt den wenigsten. Wenn du mir heute sagst 'Mensch, was bist du nur für eine Flasche!' läßt mich das kalt wie 'ne Hundeschnauze. Wenn ich so zurückdenke, wie ich unseren Ausbilder bei meinem ersten Besuch eingeschätzt habe - daß mir dieser Mann so haushoch überlegen sein sollte, hätte ich nicht im Traum gedacht. Und dabei sagte er, daß er nur mittelmäßig sei, daß wir ihn in spätestens zwei Jahren eingeholt hätten. Ich war dabei wie ihn ein Halbstarker zusammenschlagen wollte. Was meinst du, wie er reagierte? Er sagte ihm ganz ruhig, daß er ihn zum nächsten Training einladen würde, schüttelte ihm die Hand und ging. Der andere stand wie 'ne Kuh wenn's blitzt. Aber das tollste kommt noch. Der Halbstarke kam tatsächlich als wir trainierten. Er saß mucksmäuschenstill und schaute zu. Was machte unser Ausbilder? Nach einer halben Stunde ging er zu ihm hin und begrüßte ihn ganz freundlich. Kein Wort, daß er ihm jetzt zu einem Fight zur Verfügung stünde. Und unser Halbstarker? Er ist längst Mitglied bei uns, ein netter Kerl übrigens und zahm wie 'ne Fliege.
Die 'Kata': als Turnierform in der Art des Schattenboxens in einer festgelegten Kombination von 30-40 Abwehren und Gegenangriffen gegenüber mehreren imaginären Gegnern stellt der Karateka vor der Jury den Stand seines technischen Könnens unter Beweis. Fünf bis sieben Kampfrichter urteilen gleichzeitig über Dynamik, Schnelligkeit, saubere Technik, harmonischen Bewegungsablauf, Rhythmus, Gleichgewicht, Stand, Atmung, Blick, Logik, Hüfteinsatz, Geschmeidigkeit, Kime, Hara, Ki und tatsächlichen Effekt im gegebenen Ernstfall.
Ob man beim Karate Japanisch lernen müsse? Wer hat dir denn diesen Bären aufgebunden! Natürlich hat man unter Fachidioten seinen eigenen Jargon. Aber so etwas lernt man nicht auswendig, das kommt mit der Zeit. Es hat den Vorteil, daß man sich international verständigen kann, und vorerst kommen unsere großen Lehrmeister ja bekanntlich aus dem Fernen Osten.

Dojokun
01-03-2005, 13:13
Sehr nett zu lesen. Steckt auch viel Wahres drin!
Von wann ist der Text?

King Karl
01-03-2005, 13:14
Na zwischen durch musste ich schon schmunzeln, aber es hat mir nichts gesagt, was ich nicht schon wusste...

Dojokun
01-03-2005, 13:19
Na zwischen durch musste ich schon schmunzeln, aber es hat mir nichts gesagt, was ich nicht schon wusste...

Der Text ist ja - wenn es eine Infobroschüre ist - in erster Linie für Nicht-Karateka gedacht...

Ki. 102
01-03-2005, 13:21
Wollte Euch diese schöne Geschichte nicht vorenthalten,
:halbyeaha :thx: :D :yeaha:

shotokan-man
01-03-2005, 16:52
Sehr nett zu lesen. Steckt auch viel Wahres drin!
Von wann ist der Text?


Müsste von 1965 sein.

Dojokun
02-03-2005, 07:35
Danke für die Info.
Na ja, teilweise hat sich in den letzten 40 Jahren ja nicht das meiste geändert in der Vorstellung der Leute :zwinkern:

joetokan
02-03-2005, 22:19
Interessanter Text. Danke für´s posten Shotokan Man.