maximus
03-03-2005, 14:33
Thaiboxer kämpfen gegen ein Image
Bashkim Berisha - Weltmeister im Thaiboxen - ist gewalttätig, erschiesst einen Mann und flüchtet vor der Polizei: Die Zürcher Thaibox-Szene sorgt sich um ihren Ruf.
Zürich. - In den ersten Nächten nach dem 11. Februar schlief Azem Maksutaj schlecht. Fast pausenlos riefen Journalisten an, wollten Interviews von ihm und Fotos von Bashkim Berisha. Berisha, vorbestraft wegen Gewalttätigkeiten, hatte am 11. Februar in Dübendorf einen Mazedonier erschossen und ist seither auf der Flucht. Und Berisha hatte in Maksutajs Kampfsportschule trainiert, bevor er 2001 Thaibox-Weltmeister wurde. Interview um Interview lehnte Maksutaj ab, und Fotos rückte er schon gar nicht heraus. «Ich bin fast durchgedreht», sagt er.
Der 29-Jährige steht in seiner Boxschule Wing Thai Gym in einem Keller in Winterthur zwischen Pokalen und Plakaten für seinen nächsten «Super Prestige Fight»: Am 5. März tritt er in der Eulachhalle gegen den Portugiesen Artur Sequeira an - Kategorie Superschwergewicht. Maksutaj ist umgänglich, hat eine einnehmende Art. Und sagt dann: «Immer hiess es: der Winterthurer Weltmeister im Thaiboxen.» Aber Berisha sei als «Buebli» bei ihm gewesen, habe später in Basel trainiert und schliesslich das Thaiboxen aufgegeben. «Aber dafür interessiert sich niemand. Auch fürs Thaiboxen nicht.»
22Knüppelhartes Training
Das Thaiboxen. An diesem Freitagabend trainiert in Maksutajs Wing Thai Gym ein knappes Dutzend Jugendliche. T-Shirts, Boxhosen, barfuss - Ausländer sind sie fast alle. An den Wänden prangt ein Drachen, ein Porträt des verstorbenen Schweizer Stars Andy Hug, ein Porträt von Azem Maksutaj. Er, der mehrfache Welt-, Europameister und Schweizer Meister, machts vor, die Jugendlichen eifern ihm nach, und man merkt, was der 14-jährige Adriatik meint, wenn er sagt: «Ich möchte werden wie Azem. Er ist mein Vorbild.» Seilspringen, Liegestützen, Rumpfbeugen, Schattenboxen, Sparringkämpfe - das Training ist knüppelhart. Doch keiner muckt auf.
«Die Jugendlichen lernen Respekt und Disziplin», sagt Maksutaj in bestem Schweizerdeutsch. Er selbst kam als 15-Jähriger aus Kosovo in die Schweiz, habe hier «gchrampfet» und für 8 Franken in der Stunde gearbeitet. Mit 18 reiste er für ein Jahr nach Thailand, um die Techniken des Thaiboxens zu lernen. Zurück in der Schweiz, lieh er sich Geld und kaufte das Wing Thay Gym. «Ich will meinen Schülern zeigen, dass sie etwas erreichen können. Viele von ihnen habe ich von der Strasse geholt», erzählt Maksutaj, der mehrmals bei Jugendprojekten mitarbeitete und dabei von Winterthurs Stadtpräsident Ernst Wohlwend öffentlich Lob erhielt. Und wenn die Jugendlichen das Thaiboxen trotzdem auf die Strasse tragen? «Da kenne ich nichts. Wer prügelt, wird ausgeschlossen.»
Thaiboxen gilt als «Formel 1 der Kampfsportarten». Im Ring ist (im Gegensatz zum restriktiveren Kickboxen) fast alles erlaubt: Boxhiebe, Beinschläge, Ellbogenstösse. Amateure kämpfen zumindest mit Zahn-, Tief- und Ellbogenschutz, Profis ohne, und einer der beiden Schweizer Thaibox-Verbände schreibt vor: «Die Telefonnummer der Ambulanz und des nächsten Neurologen müssen vor der Veranstaltung bekannt sein.»
Doch trotz der Härte wächst die Szene: Heute trainieren in der Schweiz geschätzte 2000 Männer und Frauen - bei weitem nicht alle sind Ausländer. Allein in und um Zürich gibt es ein gutes Dutzend Thaibox-Schulen, die meisten entstanden in den letzten zwei, drei Jahren. Sie befinden sich in Hauskellern und Bürogebäuden der Aussenquartiere, sind spartanisch eingerichtet und unterscheiden sich in ihrer Askese wohltuend vom Schnickschnack der Wellnesstempel in den Innenstädten. «Thaiboxen ist eine ehrliche Sportart», sagt denn auch Jacqueline Fuchs. Die 33-jährige Zürcherin wurde im November Weltmeisterin - praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
22Gegen die Ausgrenzung
Genau das ärgert Charles Märki masslos. Märki ist Chef des Fight Clubs Zürich, Besitzer einer Sicherheitsfirma - und eigentlich ein «Gmögiger». Der 45-Jährige lacht, macht Sprüche, ist gesprächig. Aber eben: «Wenn ein Thaiboxer jemanden erschiesst, dann interessiert das. Aber sonst interessiert nichts.» Dabei sei Bashkim Berisha lediglich ein «Buchstäbeli-Weltmeister» gewesen, Weltmeister eines unbedeutenden «Weltverbandes» mit einer willkürlichen Buchstabenabkürzung. «Von denen gibt es Dutzende.»
Auch im Fight Club wird engagiert trainiert. Die meisten Thaiboxer sind nicht älter als 20, einzelne vielleicht 25, auch ein paar Frauen hats darunter. Am TV im Hintergrund läuft Kampfsport, an der Wand hängt ein Fight-Club-Filmplakat, von der Decke leuchtet Neonlicht. Der Schweiss rinnt. «Das Training ist extrem», sagt Märki, aber extrem müsse es auch sein. «So lassen die Jugendlichen Dampf ab, Dampf, den sie sonst auf der Strasse ablassen.» Und wenn einer trotzdem auf die schiefe Bahn gerät? Natürlich gebe es das. Aber den Jugendlichen deshalb ausschliessen? «Nein, das mache ich nicht. Die werden doch sonst schon überall ausgegrenzt», sagt Märki. «Wissen Sie: Wenn einer in den Knast muss, findet das auch hier keiner cool.»
22Aggressionsabbau - oder -aufbau?
Ob Kampfsportarten wie Thaiboxen Aggressionen tatsächlich ab- oder im Gegenteil aufbauen, ist wissenschaftlich umstritten, wie Daniel Birrer sagt. Birrer ist Psychologe beim Bundesamt für Sport in Magglingen. Die so genannte Katharsis-These etwa besage, dass Sport Aggressionen kanalisieren und abfliessen lasse. Demgegenüber stehe beispielsweise die Frustrations-/Aggressions-These, gemäss der Frustrationen zu aggressivem Verhalten führten. Entscheidend sei dabei, wie jemand mit diesen Frustrationen, die er etwa im Sport erleide, umgehe.
Für Natthapong Lertpreechasakun dagegen ist klar: «Thaiboxen vermindert den Stress.» Nicht zufällig würden bei ihm auch Banker, Ärzte und Architekten trainieren. Stolz erzählt der 39-jäh
rige Thailänder, Besitzer des Thaiboxgym Natthapong in Zürich-Nord, wie er als 13-Jähriger Thaibox-Profi wurde und wie er in Bangkoks Grossstadien kämpfte. Und dann erzählt er auch die Legende vom Ursprung des Thaiboxens: Vor Jahrhunderten habe ein thailändischer Kriegsgefangener zum Vergnügen des burmesischen Königs gegen eine Übermacht von Kämpfern antreten müssen - und diese alle besiegt.
Bashkim Berisha - Weltmeister im Thaiboxen - ist gewalttätig, erschiesst einen Mann und flüchtet vor der Polizei: Die Zürcher Thaibox-Szene sorgt sich um ihren Ruf.
Zürich. - In den ersten Nächten nach dem 11. Februar schlief Azem Maksutaj schlecht. Fast pausenlos riefen Journalisten an, wollten Interviews von ihm und Fotos von Bashkim Berisha. Berisha, vorbestraft wegen Gewalttätigkeiten, hatte am 11. Februar in Dübendorf einen Mazedonier erschossen und ist seither auf der Flucht. Und Berisha hatte in Maksutajs Kampfsportschule trainiert, bevor er 2001 Thaibox-Weltmeister wurde. Interview um Interview lehnte Maksutaj ab, und Fotos rückte er schon gar nicht heraus. «Ich bin fast durchgedreht», sagt er.
Der 29-Jährige steht in seiner Boxschule Wing Thai Gym in einem Keller in Winterthur zwischen Pokalen und Plakaten für seinen nächsten «Super Prestige Fight»: Am 5. März tritt er in der Eulachhalle gegen den Portugiesen Artur Sequeira an - Kategorie Superschwergewicht. Maksutaj ist umgänglich, hat eine einnehmende Art. Und sagt dann: «Immer hiess es: der Winterthurer Weltmeister im Thaiboxen.» Aber Berisha sei als «Buebli» bei ihm gewesen, habe später in Basel trainiert und schliesslich das Thaiboxen aufgegeben. «Aber dafür interessiert sich niemand. Auch fürs Thaiboxen nicht.»
22Knüppelhartes Training
Das Thaiboxen. An diesem Freitagabend trainiert in Maksutajs Wing Thai Gym ein knappes Dutzend Jugendliche. T-Shirts, Boxhosen, barfuss - Ausländer sind sie fast alle. An den Wänden prangt ein Drachen, ein Porträt des verstorbenen Schweizer Stars Andy Hug, ein Porträt von Azem Maksutaj. Er, der mehrfache Welt-, Europameister und Schweizer Meister, machts vor, die Jugendlichen eifern ihm nach, und man merkt, was der 14-jährige Adriatik meint, wenn er sagt: «Ich möchte werden wie Azem. Er ist mein Vorbild.» Seilspringen, Liegestützen, Rumpfbeugen, Schattenboxen, Sparringkämpfe - das Training ist knüppelhart. Doch keiner muckt auf.
«Die Jugendlichen lernen Respekt und Disziplin», sagt Maksutaj in bestem Schweizerdeutsch. Er selbst kam als 15-Jähriger aus Kosovo in die Schweiz, habe hier «gchrampfet» und für 8 Franken in der Stunde gearbeitet. Mit 18 reiste er für ein Jahr nach Thailand, um die Techniken des Thaiboxens zu lernen. Zurück in der Schweiz, lieh er sich Geld und kaufte das Wing Thay Gym. «Ich will meinen Schülern zeigen, dass sie etwas erreichen können. Viele von ihnen habe ich von der Strasse geholt», erzählt Maksutaj, der mehrmals bei Jugendprojekten mitarbeitete und dabei von Winterthurs Stadtpräsident Ernst Wohlwend öffentlich Lob erhielt. Und wenn die Jugendlichen das Thaiboxen trotzdem auf die Strasse tragen? «Da kenne ich nichts. Wer prügelt, wird ausgeschlossen.»
Thaiboxen gilt als «Formel 1 der Kampfsportarten». Im Ring ist (im Gegensatz zum restriktiveren Kickboxen) fast alles erlaubt: Boxhiebe, Beinschläge, Ellbogenstösse. Amateure kämpfen zumindest mit Zahn-, Tief- und Ellbogenschutz, Profis ohne, und einer der beiden Schweizer Thaibox-Verbände schreibt vor: «Die Telefonnummer der Ambulanz und des nächsten Neurologen müssen vor der Veranstaltung bekannt sein.»
Doch trotz der Härte wächst die Szene: Heute trainieren in der Schweiz geschätzte 2000 Männer und Frauen - bei weitem nicht alle sind Ausländer. Allein in und um Zürich gibt es ein gutes Dutzend Thaibox-Schulen, die meisten entstanden in den letzten zwei, drei Jahren. Sie befinden sich in Hauskellern und Bürogebäuden der Aussenquartiere, sind spartanisch eingerichtet und unterscheiden sich in ihrer Askese wohltuend vom Schnickschnack der Wellnesstempel in den Innenstädten. «Thaiboxen ist eine ehrliche Sportart», sagt denn auch Jacqueline Fuchs. Die 33-jährige Zürcherin wurde im November Weltmeisterin - praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
22Gegen die Ausgrenzung
Genau das ärgert Charles Märki masslos. Märki ist Chef des Fight Clubs Zürich, Besitzer einer Sicherheitsfirma - und eigentlich ein «Gmögiger». Der 45-Jährige lacht, macht Sprüche, ist gesprächig. Aber eben: «Wenn ein Thaiboxer jemanden erschiesst, dann interessiert das. Aber sonst interessiert nichts.» Dabei sei Bashkim Berisha lediglich ein «Buchstäbeli-Weltmeister» gewesen, Weltmeister eines unbedeutenden «Weltverbandes» mit einer willkürlichen Buchstabenabkürzung. «Von denen gibt es Dutzende.»
Auch im Fight Club wird engagiert trainiert. Die meisten Thaiboxer sind nicht älter als 20, einzelne vielleicht 25, auch ein paar Frauen hats darunter. Am TV im Hintergrund läuft Kampfsport, an der Wand hängt ein Fight-Club-Filmplakat, von der Decke leuchtet Neonlicht. Der Schweiss rinnt. «Das Training ist extrem», sagt Märki, aber extrem müsse es auch sein. «So lassen die Jugendlichen Dampf ab, Dampf, den sie sonst auf der Strasse ablassen.» Und wenn einer trotzdem auf die schiefe Bahn gerät? Natürlich gebe es das. Aber den Jugendlichen deshalb ausschliessen? «Nein, das mache ich nicht. Die werden doch sonst schon überall ausgegrenzt», sagt Märki. «Wissen Sie: Wenn einer in den Knast muss, findet das auch hier keiner cool.»
22Aggressionsabbau - oder -aufbau?
Ob Kampfsportarten wie Thaiboxen Aggressionen tatsächlich ab- oder im Gegenteil aufbauen, ist wissenschaftlich umstritten, wie Daniel Birrer sagt. Birrer ist Psychologe beim Bundesamt für Sport in Magglingen. Die so genannte Katharsis-These etwa besage, dass Sport Aggressionen kanalisieren und abfliessen lasse. Demgegenüber stehe beispielsweise die Frustrations-/Aggressions-These, gemäss der Frustrationen zu aggressivem Verhalten führten. Entscheidend sei dabei, wie jemand mit diesen Frustrationen, die er etwa im Sport erleide, umgehe.
Für Natthapong Lertpreechasakun dagegen ist klar: «Thaiboxen vermindert den Stress.» Nicht zufällig würden bei ihm auch Banker, Ärzte und Architekten trainieren. Stolz erzählt der 39-jäh
rige Thailänder, Besitzer des Thaiboxgym Natthapong in Zürich-Nord, wie er als 13-Jähriger Thaibox-Profi wurde und wie er in Bangkoks Grossstadien kämpfte. Und dann erzählt er auch die Legende vom Ursprung des Thaiboxens: Vor Jahrhunderten habe ein thailändischer Kriegsgefangener zum Vergnügen des burmesischen Königs gegen eine Übermacht von Kämpfern antreten müssen - und diese alle besiegt.