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Vollständige Version anzeigen : Schlechte Schule, gutes Buch/Video oder Stilwechsel?



Bianhe
04-06-2005, 21:22
Ist quasi eine alte Frage in neuem Gewand, aber ich hoffe, ich bekomme dennoch wieder etwas Aufmerksamkeit. Um dem vorzugreifen, habe mir die jüngsten ähnlichen Themen hier bereits angesehen.

Ausgangsproblem: Habe lange Taijiquan betrieben, möchte es weiter tun. Die für mich erreichbaren Schulen sind nicht schlecht, sondern eigentlich gut, aber nur in den Bereichen Form und Tuishou (und da schon weniger, wenn man es realistisch möchte). Ich möchte nun gerne Chin Na anwenden, frei schlagen und treten, mit kurzen Waffen umgehen etc.. (Klingt vielleicht ein bißchen nach nimmersatt, kriegen andere Kampfkünstler aber, glaube ich, auch "geboten".) Ich sehe mir andere Stile an und erkenne ja schon selber, daß ich das mit Taijiquan (und meinen übrigen Neijia-Einflüssen) (fast) genauso kann/könnte, müßte es eben nur einmal etwas systematisch trainieren/gezeigt bekommen. Schau ich in die (online-)Shops, sehe ich zu vielen dieser Themen ein recht gutes Literaturangebot, vor allem sehe ich, daß diese Aspekte "anderswo" im Taijiquan erhalten sind.

Jetzt frage ich mich:

Kann ich meinem Stil nur wirklich treu bleiben, indem ich weiter zu ausgebildeten Lehrern gehe? Muß ich mit dem Mangel leben?

Kann ich mir auf meiner meiner Ansicht nach recht guten Basis mittels Büchern/Videos diese Aspekte der inneren Stile selber aneignen oder werde ich dabei zum hilflosen "Theoretiker"? (Habe früher die Idee, aus Büchern zu lernen, eher abgelehnt, aber jetzt drängt es sich mir langsam auf, außerdem mag ich ansonsten die Autodidaktik.)

Muß ich mich für diese Dinge in anderen Stilen unterrichten lassen, also für die Waffenanwendungen in eine Kendo- oder Escrima-Gruppe, für die waffenlosen Dinge zum Jiu-Jitsu, Muay Thai oder Ähnlichem? Aber ich fände es wirklich schade, daß Taijiquan dann praktisch nur noch als Form-Basis zu haben und es im Einsatz dann nur noch geringfügig umzusetzen, da ja die oben erwähnten Stile ihren eigenen Prinzipien gehorchen (müssen). Es gibt zwar Leute, die behaupten, man könne alles im Taijiquan "assimilieren" (Alles ist Tai Chi), aber andere Stile haben meiner Ansicht nach doch auch ihre eigene Didaktik und eigenen Ideen. ZWar treffen wir uns wahrscheinlich alle beim Maximum/am Gipfel, aber ich finde es nicht so gut, aus anderen Stilen nur ein paar "Brocken herauszureißen", ohne die Idee verstehen zu wollen.

Wenn mir jemand zu Möglichkeit 2 raten möchte, hättet Ihr auch schon Tipps? Gebe selber schon einmal einen für die Allgemeinheit ab: "Practical Chin Na" von Tim Cartmell. (Habe als nächstes "Effortless Combat Throws" im Auge.)

nagual
04-06-2005, 21:49
Ich würde empfehlen, einen ergänzenden Stil zu betreiben, und eventuell mit Büchern/Videos/Lehrgängen und privaten Trainingspartnern eigene Initiative zu ergreifen, Taiji kannst du ja parallel weiterlernen.
Im Taiji-Bereich auf systematisches Anwendungstraining zu warten, kann ewig dauern, die kommen nicht aus dem Quark, und dann sind nachher doch die Prinzipien wieder wichtiger, und die Anwendung kommt erst später ...

Es gibt viele SV-Stile, die bezüglich der wichtigen Taiji-Prinzipien (Körperhaltung, entspannung etc.) keine gegenläufigen Vorgaben machen, so dass man alles umsetzen kann. Hängt auch vom Lehrer ab, muss man halt ausprobieren.
Stile mit einer Karategrundschule wären evtl. eher zu meiden, muss man aber ausprobieren.

Dao
05-06-2005, 21:41
Hi,
eine Ergänzung deiner Taijiquan Fertigkeiten sind sicher ganz sinnvoll.
KF, Freefight, gutes Karate, Systema, ... und du wirst ganz automatisch mit Sparring beglückt und konfrontiert. Das suchst du doch?

nagual
06-06-2005, 15:18
Es gibt zwar Leute, die behaupten, man könne alles im Taijiquan "assimilieren" (Alles ist Tai Chi), aber andere Stile haben meiner Ansicht nach doch auch ihre eigene Didaktik und eigenen Ideen. ZWar treffen wir uns wahrscheinlich alle beim Maximum/am Gipfel, aber ich finde es nicht so gut, aus anderen Stilen nur ein paar "Brocken herauszureißen", ohne die Idee verstehen zu wollen.

Deine Vorbehalte zu diesen Behauptungen, die ich auch schon in einen bestimmten Verband mal gelegentlich zu hören bekommen habe, finde ich sehr berechtigt. Die Borg in Star Trek assimilieren auch alles, aber das eigentlich wichtige geht beim Assimiliationsvorgang flöten, und was übrig bleibt, ist zwar von sich selbst wegen der grandiosen Assimilationsfähigkeit ungeheuer überzeugt, aber nach der Assimilation nichts Besonderes mehr (alles gleich, nicht sehr attraktiv, und will nur weiter assimilieren...).

Die Überheblichkeit dieser Taiji-Leute, die so etwas gut finden, kommt (finde ich) dann zur Geltung, wenn man mal die Gegenbehauptung aufstellt: Taiji ist eine Kampfkunst, die nur dazu da, nachher in anderen "echten" Kampfkünsten, assimiliert zu werden. Es ist nicht Alles Taiji, sondern Taiji ist nichts. (Wenn die Behauptung "Alles ist Taiji" nicht überheblich wäre, müßten diese Taiji-Leute diese Ansicht ja genauso gut finden, oder ?)

Nicht, dass ich das ("Taiji ist nichts") jetzt zwangsläufig denken würde, es ist nur der logische und vielleicht genauso einleuchtende Gegenpol zu der von dir zitierten Meinung.

Es kann (finde ich) sowohl lohnenswert sein, andere Kampfkünste zu machen, in denen es gewisse Widersprüche oder Gegenpole zu typischen Taiji-Aspekten gibt, wie auch Sachen, die viele Ähnlichkeiten haben, aber auch konkrete und systematisierte Anwendungstechniken und nicht nur Prinzipien.

Den Gipfel, wo sich alle am Ende treffen, halte ich auch für eine Illusion. Wenn Leute viel können, gibt es natürlich immer Überschneidungen, aber wenn man näher hinsieht, hat jeder seinen eigenen Stil und seine eigenen Vorlieben, und auch unterschiedliche Sachen gelernt. Es gibt keinen Gipfel, wo sich alle treffen.

Bianhe
07-06-2005, 18:13
Schon einmal Danke für die Antworten.

Habe meine Situation auch eher etwas schwärzer dargestellt, als sie ist, bzw. in einer "Frust-Phase" geschrieben ;). Bin nämlich tatsächlich auch schon in einer JKD-Gruppe. (Trifft sich aber nur 1mal pro Woche.)

Vielleicht ist auch ein Aspekt meines Problems, daß ich also tatsächlich von der hohen Qualität des Taijiquans oder anderer Neijia-Disziplinen als Kampfsystem überzeugt bin. Aber eben nach dem urteilend, was ich so in Büchern/Videos sehe, nicht nach dem, was mir tatsächlich beigebracht worden ist. Meine Besuche bei verschiedenen Schulen in der Vergangenheit haben mir auch selten wirklich Besseres gezeigt, vielfach sind es einfach andere Vorstellungen, wie ein Kampf erfolgreich zu führen ist.

Nagual, die von Dir angesprochen Neijia-ähnlichen SV-Stile konnte ich so leider kaum finden. Habe mich wie erwähnt nach so etwas umgesehen, habe in dieser "Kategorie" Hapkido und Aikido gefunden, und bin da auf ein ähnliches Problem gestoßen, wie ich es jetzt beim Taijiquan habe: Die Teilnehmer befinden sich dort auf einem Level/haben eine Einstellung, daß sie eine Bewegungskunst lernen möchten. Ihre martialischen Fähigkeiten sind nur wenig besser ausgebildet als die mittelmäßiger Taiji'ler, ein bißchen mehr Treten oder Fallen macht da den Unterschied nicht.

Blieben natürlich die "ganz anderen" Stile. Da ich aber ja in die Tiefe und nicht in die Breite gehen möchte, frage ich mich, ob es auf Sicht sinnvoll ist, z.B. äußeres Kung Fu zu beginnen. Und wenn wir von den "boxenden" Stilen sprechen, deren Wettkampfhärte i.d.R. ja meist wirklich gut ist, sehe ich da häufig einen nur noch geringen Realitätsbezug. (Mache ich demnächst vielleicht ein eigenes Thema für auf, aber vielleicht hat ja jemand jetzt schon Lust: Wie trainiert man in traditionellen Systemen den Kampfaspekt besser: Sparring oder Anwendungstraining? Habe dazu kürzlich etwas von Erle Montaigue gelesen, der ja meint, Sparring sei verheerend für den Realkampf-Aspekt.)

An Dao: Was ist KF? Systema wäre bestimmt auch spannend, gibt's hier aber nicht. So ein bißchen Freefight mache ich sogar seit kurzem, bin da aber auch schon auf die oben genannte Problematik gestoßen, daß traditionelle Kung Fu Taktiken dort nur schwerlich umgesetzt werden können. Sieht man ja auch an Sanda im Vergleich zu Kung Fu.

An Nagual: Dein erster Post hatte mich zunächst doch überrascht, bin glücklich, daß noch der zweite kam. Denn es war zu einem gewissen Teil die kürzlich hier gelaufene Taijidao-Diskussion und Deine (wirklich sehr guten) Websites, die mich in meiner Meinung bestärkt haben, daß man

- die traditionellen Kampfkünste in ihrer Komplexität nicht unterschätzen darf,

- Mischsysteme selten zu größeren Erfolgen führen als die Ausgangssysteme (da zähle ich jetzt private Mischungen auch hinzu),

- und man "mit der leeren Schale" an neue Stile herangehen sollte, um sie vollständig zu erfahren, ansonsten läuft man Gefahr, nur neue Techniken zum eigenen System hinzuzufügen.

Die "Alles ist Tai Chi"-Idee habe ich nebenbei aus ähnlichen Kreisen gehört wie Du. Bin ich eben auch skeptisch.

Ich habe beim Freefight übrigens jetzt schon das Problem, mich zwischen Yiquan- und JKD-Stand zu entscheiden, da geht's schon los :).

Dao
07-06-2005, 18:30
KF = Kung Fu

nagual
07-06-2005, 19:47
Danke für die positive Rückmeldung bezüglich meiner Webseiten und meiner Antworten auf dein Posting!!!

Bei mir ist es so, dass ich zwar meine eigene Meinung und Erfahrungen habe, aber jeder seine eigene Erfahrungen machen muss, und jeder sich am besten seine eigene Kombination von Stilen zurecht sucht, wenn sich jemand in einem einzigen System nicht ganz verwirklichen kann. Die Probleme vereinfachter (zu wenig Komplexität bei zu vielen Formen), zu sehr standardisierter Übungsmethodik und Anpassung an die Hobbybedürfnisse gibt es offenbar in vielen Varianten in vielen Stilen.

Bei Anwendungssystemem stehe ich mehr auf Stile, in denen gezielt einzelne Techniken geübt werden, wie das auch beim Aikido und Hapkido der Fall ist, weniger auf Systeme mit viel Freefight-Elementen. Aber das ist sehr stark Persönlichkeits- und Geschmackssache.

Manchmal kann man bei verschiedenen Systemen, wenn man sie gleichzeitig betreibt, sehr nervige Widersprüche bei Dingen haben, die ich manchmal nur eingeschränkt wichtig finde, z.B. wenn das eine System sagt, Füße parallel, aber das andere 45 Grad geöffnet usw. In manchen Fällen ist der unterschiedliche Trainingseffekt und eine unterschiedliche Anwendungsidee tatsächlich wichtig, und manchmal ist es nur noch Genauigkeitsfetischischmus vom Trainer.

Naja, ich glaube, du wirst schon das passende für dich finden.

Beim Taijidao ist es (finde ich) tatsächlich das Hauptproblem, das Gesamtkonzept und Namensgebung so eine ungünstige Mischung zwischen Bescheidenheit und Anmaßung bilden, die ich auf die Dauer nicht zum Aushalten finde. Einerseits ein neuer Stil, und ein neuer Name, aber mit vollkommen allgemeinem Charakter, dann enthält es eine modifizierte Variante eines vollständigen Taiji-Systems, ein anscheinend relativ vollständiges XingYi-System, ein total reduziertes Bagua-System, und die Sachen sollen gleichzeitig original-altes Wissen sein, aber trotzdem ein neuer Stil, auch mit modern-Wushu-Showqualitäten. Die Taiji-Formen bestehen zu 95% aus bekannten Taiji-Figuren und Figuren aus Bagua und XingYi, nur in veränderter Reihenfolge. Nichts wirklich neues, nur eine neue Kombination. Auch der persönliche Stil von Shen Xijing wird manchmal groß rausgebracht und manchmal fällt er unter den Tisch.
Das sind zuviele Herren, denen da gleichzeitig gedient wird. Mich stört halt die implizierte Bagua-Repräsentativität, die ja auch (heimlich) mitschwingt, auch wenn sie nicht so ganz laut nach außen gebracht wird. Ich habe aber auch schon von (ziemlich bekannten) Taiji-Leuten gehört, die diese Repräsentativität bezüglich Taiji nicht so dolle finden.
Wenn diese Repräsentativität nicht wär, könnte man sich neutral überlegen, ob man es gut oder schlecht findet (und dann betreiben oder ignorieren), aber so ist es ja ein zwangsläufiges Ergebnis, dass sich Leute auf die Füße getreten fühlen. (TangLang-Leute sagen ja auch nicht, dass ihr System den Affenstil "beinhaltet", nur weil laut Geschichtsbuch oder Legende die Beinarbeit des Affenstils bei der Entwicklung eingeflossen ist.
Es ist gezielt so gemacht worden, dass es so ansatzweise genügend Neues ist, um es einen eigenen Stil zu nennen, und enthält dennoch nur einen Mix bekannter Teile, so dass dann wieder keine Kritik geübt werden kann (alles echt, alles alt, nicht von mir...)
Die eigentlichen Qualitäten von Shen Xijing sind ja unbestritten, aber er hat es tatsächlich zum größten Teil für den europäischen Markt entwickelt. Dabei spielte offenbar (ich habe es nur aus der Distanz beobachten können) auch eine Rolle, dass er seine eigene Chen-Stil-Interpretation in Deutschland nicht mehr vertreten konnte (oder durfte?).

Aber die Ursache für solche Entwicklungen liegen auch in China und in der verbreiteten Einstellung von Taiji-Leuten, dass Taiji angeblich in allem drin ist, alles umfaßt, und alles Integrieren kann. Eben das angesprochene Assimilationsproblem.

Ich hoffe halt, dass die Leute mit der Zeit die Sachen differenzierter sehen, damit man möglichst früh zu dem Stil finden kann, der wirklich passt. Was bringt es, Leute vom eigenen Stil zu "überzeugen", wenn sie später doch wieder abspringen? Das ist für Lehrer auch immer sehr frustrierend.

nagual
07-06-2005, 20:17
Wie trainiert man in traditionellen Systemen den Kampfaspekt besser: Sparring oder Anwendungstraining? Habe dazu kürzlich etwas von Erle Montaigue gelesen, der ja meint, Sparring sei verheerend für den Realkampf-Aspekt.)

Traditionelle GongFu-Systeme basieren auf Körperpower, die man (u.a.) durch das Training von Schlägen in die Luft bekommt. (dafür ist die richtige Technik nötig, die nicht mehr viele drauf haben, und man darf auch nicht zuviel Muckibudentraining machen). Boxer, Kickboxer, Muay Thai etc. trainieren hauptsächlich gegen Sandsäcke und so was. Das ist bei der Anwendung nachher ein großer Unterschied.

Die Körperpower (trainiert durch Schläge in die Luft) setzt man zuerst in gezielten Anwendungsübungen ein, und nachher in freieren Methoden, aber kein Wettkampf.
Wettkampf braucht immer Regeln, aber traditionelle Kampfmethoden widersprechen diesen Regeln zu stark, als dass Wettkampf als Ausbildungsmethode sehr wichtig sein könnte. Man sollte aber nicht so soft trainieren, wie z.B. die Aikido-Leute, sondern seinen Gegner/Partner auch erschrecken dürfen, durch heftige Angriffe und so, damit man lernt, heftige Reaktionen hervorzurufen, um die Verteidigung durchbrechen zu können. Diese Power erhält man nur durch knalliges Training, nicht durch softe Bewegungen und Gespür und feinsinnige Technik. (aber wer will schon knallig trainieren?)
Da haben unterschiedliche traditionelle (meistens eher äußere) GongFu-Stile unterschiedliche Bevorzugungen.

Klaus
08-06-2005, 12:14
Kampfkraft mit Systemen wie Taiji oder Bagua (im Taiji noch stärker) basiert stark darauf, seine körperlichen Möglichkeiten auszureizen. Das heisst, man muß, ob man das nun toll findet, langfristig und täglich oder jedenfalls fast täglich an der Körperkraft arbeiten, mit den Methoden dieser Stile, nicht mit anderen (Lanzentraining, schwere Waffen, leichte Waffen, Standtraining, sehr langsame Formen, vorsichtige Stampfübungen, usw.). Mit den stileigenen Beweglichkeitspraktiken lernt man dann, diese Kraft gleichmässig universell einzusetzen, bzw. es wird gleich zusammen trainiert. Um bestimmte mechanische/strukturelle Fähigkeiten zu bekommen, gibt es das Pushing Hands, in wesentlich grösseren Variationen als man das im üblichen VHS-Taiji findet.

Wenn man das alles macht, dann kann man auch frei schlagen und treten, da es im wesentlichen auf der körperlichen Fähigkeit beruht, koordiniert und kräftig mit dem Körper umzugehen. Ich habe mit 15 Leute mit einem Kick KO getreten, ohne viel am Sandsack zu machen oder überhaupt voll hacht zu sparren. Ich hatte einfach die Kraft, Koordination, und Schnelligkeit um den Kick ins Ziel zu bringen. Sowas liegt an SIMPLEN Übungen, die man einfach TÄGLICH macht. Mit zweimal die Woche ein bischen in der Luft rumfuchteln kommt man nicht hin.

Sparring mit solchen Methoden ist äusserst problematisch. Meiner Meinung nach kann man das nur so machen, daß man prinzipielle gefühlsorientierte Fähigkeiten in Partnerübungen wie Pushing Hands (mit vielen Varianten) erwirbt, und dann den Einsatz dieser Mittel WECHSELSEITIG mit einem Partner übt, der mit "normalen" Mitteln angreift. Beide mit allen Mitteln arbeiten wird zu Verletzungen führen, eventuell schwere. Gegen einen Shoot eine Palm-Push-Technik gegen den Kopf einzusetzen kann tödlich enden.

Man muß also mal ein bischen auf Lücke arbeiten, und damit leben nicht 100% zu wissen daß man den Tiger im Bengalischen Dschungel besiegen wird. Jemand der viel mit realen Geschwindigkeiten und Aktionen zu tun hat, sei es im Sport, oder eben mit solchen wechselnden Partnerübungen, der erwirbt meiner Meinung nach wirklich ausreichend Reflexe und Fähigkeiten. Wenn ich mit jemandem der das gleiche macht wie ich voll drauf los gehe, der eventuell sogar mehr Kraft hat, dann steht einer von beiden nicht mehr auf. Das muß nicht mal ein KO sein, sondern wird eher eine Bänderverletzung, Knie kaputt, usw.

Das mit Messern, Stöcken, usw., musst Du halt woanders holen. Ich glaube nicht daß so viele Leute ernsthaft Messerkampf betreiben. Eigentlich ist das Mittel gegen jemanden der mit dem Messer umgehen kann, daß man selbst welche hat, am besten mehr als eins. Das zweite ist enorme Geschwindigkeit, Gefühl für Bewegung, und Rücksichtslosigkeit mit dem Willen denjenigen völlig auszuschalten, und nur aufzuhören wenn es sich ergibt. Letzteres konnte ich mal und kann es im Moment nicht. Es hat zuviel mit Gefühlen zu tun, Hemmungen, usw. Schnelligkeit sollte man mit dem obigen Programm haben.

wuji
08-06-2005, 15:32
Ausgangsproblem: Habe lange Taijiquan betrieben, möchte es weiter tun. Die für mich erreichbaren Schulen sind nicht schlecht, sondern eigentlich gut, aber nur in den Bereichen Form und Tuishou (und da schon weniger, wenn man es realistisch möchte). Ich möchte nun gerne Chin Na anwenden, frei schlagen und treten, mit kurzen Waffen umgehen etc.. (Klingt vielleicht ein bißchen nach nimmersatt, kriegen andere Kampfkünstler aber, glaube ich, auch "geboten".) Ich sehe mir andere Stile an und erkenne ja schon selber, daß ich das mit Taijiquan (und meinen übrigen Neijia-Einflüssen) (fast) genauso kann/könnte, müßte es eben nur einmal etwas systematisch trainieren/gezeigt bekommen. Schau ich in die (online-)Shops, sehe ich zu vielen dieser Themen ein recht gutes Literaturangebot, vor allem sehe ich, daß diese Aspekte "anderswo" im Taijiquan erhalten sind.

Taijiquan hätte zwar vielleicht mehr als nur Formen und schlechtes Tuishou zu bieten, aber wenn andere Methoden nicht unterrichtet werden, die du gerne lernen würdest, verlasse die Schule, schließlich kannst du es dort eben nicht lernen. Außerdem, eine Form, wenn auf Anwendungen etc. gar nicht ausführlich eingegangen wird, kann man in paar Monaten korrekt erlernen und da eine Form in aller Regel ausreicht zu lernen, kannst du die dann auch zu Hause üben.


Traditionelle GongFu-Systeme basieren auf Körperpower, die man (u.a.) durch das Training von Schlägen in die Luft bekommt. (dafür ist die richtige Technik nötig, die nicht mehr viele drauf haben, und man darf auch nicht zuviel Muckibudentraining machen). Boxer, Kickboxer, Muay Thai etc. trainieren hauptsächlich gegen Sandsäcke und so was. Das ist bei der Anwendung nachher ein großer Unterschied.

Also im traditionellen Gongfu gibt es auch Sandsäcke und diverse andere Objekte, um speziell Schläge zu trainieren. Ich hab übrigens mal von einem Bagua-Mann gelesen, der täglich stundenlang auf einen solchen eingeschlagen haben soll.

Giles
08-06-2005, 15:35
Hi Bian He, (und Martin und alle),

Wollte schon ein paar Gedanken dazu schreiben, aber bei manchen kommt mir Klaus gerade zuvor. Also brauche ich da nur zu sagen, ich möchte zustimmen. (Jedoch ohne die Erfahrung vorweisen zu können, Gegner mit Kicks KO geschickt zu haben... ;) )

Mein Löffel Senf dazu, auf meiner Erfahrung basiert und auch auf der wesentlich grösseren Erfahrung meines Lehrers :

- Es kann sehr schwer klappen, daß man z.B. Sparring/Anwendungen/'Kampf' in einem anderen Stil lernt und dann versucht, dies direkt in die eigene TaiChi-Praxis einfliessen zu lassen, um eine Lücke zu füllen. Die Techniken, äusserlich gesehen, können sehr ähnlich sein, aber die Bewegungsqualität, Umgang mit (kinetischer) Energie usw. sind meistens anders. Und wenn man noch am Lernen ist, vertragen sie sich nicht. (Ja, man lernt immer, aber ich glaube es ist klar, was ich sagen will.) Und als relativer Anfänger (z.B. ich) lernt man immer nicht nur ein 'Was' sondern auch ein 'Wie', auch wenn unbewusst. Und wenn du Tai Chi vertiefen willst, ist z.B. jede Erhöhung der Muskeltonus beim Schlagen oder das Einsetzen von Blocks kontraproduktiv.
Es muss ein Kontinuum zwischen Form, Tuishou, Anwendungen, (nicht-sportliches) Sparring uws. geben. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß die gleiche Qualitäten in allen Bereichen wachsen und sich ergänzen.

- Andererseits spricht vieles dafür, auf der Basis von der eigenen Stil, auch Erfahrungen und Austausch mit anderen Stilen zu sammeln. Zum Beispiel ein paar freundliche Runden mit einem Thai-Boxer oder gutem Karateka und die obligatorischen saftigen Treffer am Kopf und Beine einstecken. Gut für Körper und Seele. :D Aber dann die Erfahrung mitnehmen und erforschen: Wie löse ich die aufgezeigten Probleme auf Tai-Chi-Art? Und nicht: Also integriere ich ein bisschen Muay Thai in mein Tai Chi. Natürlich kann man oft schnellere 'Kampferfolge' damit erzielen. Aber auf Dauer ist das eine Sackgasse, wenn man wirklich mit TCC in die Tiefe will.

- Nebenbei: Es gibt ein paar wirklich talentierte Menschen, die meines Erachtens tatsächlich 'lernend' eine 'neijia-artige' Synthese aus verschiedenen Stilen entwickeln können. Aller Achtung! Aber das sind echt die Ausnahmen.

- Fazit: Meiner Meinung nach, muss man einfach einen (Tai Chi) Lehrer finden, der wirklich etwas von TCC als Kampfkunst versteht, und auch bereit und in der Lage ist, sein Wissen weiter zu geben. Solche Menschen, die auch in Deutschland zugängig sind, gibt es in verschiedenen TCC-Stilen.
Und meiner persönlicher Erfahrung nach: Wenn es keinen in der Nähe gibt (was natürlich am Besten ist), dann ist es sinnvoll und lohnenswert, weiter zu reisen. Es bringt viel viel mehr, einen wirklich guten Lehrer (nur) ein paar Mal im Jahr zu sehen und dann in der Zwischenzeit für sich weiter zu üben und zu forschen, als Interessantes aber schliesslich nicht Kompatibeles sonstwo zu trainieren.

My ten cents - ich lasse mich auch gerne von anderen Erfahrungsberichten widersprechen :)

schöne Grüsse,

Giles

nagual
08-06-2005, 16:59
Hallo Giles,

nett, dass du auch einen Beitrag leistest, und auch dein persönlicher Gruß an mich (Gruß zurück!).

Und wenn du Tai Chi vertiefen willst, ist z.B. jede Erhöhung der Muskeltonus beim Schlagen oder das Einsetzen von Blocks kontraproduktiv.
Meine Meinung dazu: Man kann das so sehen, muss man aber nicht. Es hängt einerseits davon ab, ob man Taiji wirklich unbedingt als System verstehen will, welches immer möglichst weich und auf Vermeidung von bestimmten Muskelanwendungen ausgerichtet ist. Wenn man das Taiji-Prinzip eher geistig versteht, hat man größere Freiheiten, man kann dann viel Kraft einsetzen, wenn man nur im Geiste nicht verkrampft. In diese Richtung verstehen auch die Leute, die Taiji als "Assimilationssystem" verstehen, das Taiji-Prinzip, weil es das Ziel ist, alle Gegensätze zu umfassen. Andererseits ist es eine Frage des Ausbildungswegs. Wenn man in einer Taiji-Ausbildung natürlich sehr großen Wert darauf legt, dass man zuerst die Muskeln ausbildet, die die bevorzugte Haltungsstruktur stützen, können bestimmte eher kraftvolle Anwendungen den Ausbildungsweg stören, auch wenn diese Anwendungen später wieder akzeptabel sein können. Ich glaube, so etwas wolltest du auch andeuten.
Ich würde hier jedoch sagen, dass es gerade die äußerliche Ähnlichkeit (und natürlich das korrekte geistige Bemühen, gleichzeitig kraftvoll und locker zu sein, und nicht mit Krampfenergie in den Brust- und Schulterbereich zu gehen), ist, die auch kraftvollere Anwendungen bei (sagen wir mal) fortgeschrittenen Anfängern bei Nicht-Taiji-Systemen die gleichzeitige Praxis möglich macht. Selbst wenn jemand zeitweise nach Taiji-Anforderungen etwas zuviel Kraft benutzt, kann das später wieder besser werden, und Anwendungen hat derjenige trotzdem schon gelernt. Es ist, glaube ich, wirklich mehr die mentale Haltung, die entscheidet, in welche Richtung die ganzen Übungen führen.
Gerade explosives Powertraining wie in äußeren Stilen führt zu einer Art von Muskulatur, die für entspannte Anwendungen gut geeignet ist, ganz im Gegensatz zu Muckibudentraining und Sandsack, wodurch die sich die Muskeln verkürzen und verhärten und es zu Energieblockaden in der ganzen Körperhaltung kommt.

Klaus war wohl erst 15, als er die Leute KO-gekickt hat. Ich dachte erst, er macht das immer mit 15 Leuten gleichzeitig... :ups:


Nebenbei: Es gibt ein paar wirklich talentierte Menschen, die meines Erachtens tatsächlich 'lernend' eine 'neijia-artige' Synthese aus verschiedenen Stilen entwickeln können. Aller Achtung! Aber das sind echt die Ausnahmen.

Wenn jemand lange Zeit mehrere Stile, äußere und innere, zugleich macht, wird dabei zwangläufig auch eine Art neuer, persönlicher Stil bei demjenigen herauskommen. Andererseits beinhalten aber viele äußere Stile bereits bestimmte innere Elemente (Energieerzeugung im Dantian usw., bzw. hatten sie früher mal, bevor sie künstlich als äußerer Stil eingeordnet wurden, oder sogar Modern-WuShu-risiert wurden), so dass es nur selten angemessen ist, das persönliche Ergebnis als neuen Stil der Welt verkaufen zu wollen.
Beim Taijidao nervt mich, wie gesagt, nur die "Bagua-be-inhaltung", die bei Leuten, die sich nicht so sehr mit Stilen und Neijia-Prinzipien auskennen, eine falsche Meinung bewirken kann. Das ist auch unabhängig von dem persönlichen Stress, den ich mit den Leuten hatte. Sie sollten das Taijidao in "Shen-Stil-Taijiquan" umbenennen, und das XingYiSystem und die paar Bagua-Kreise und die Demo-Form wieder rausnehmen, das kann Xijing ja getrennt davon unterrichten. Das wäre eine korrekte Bezeichnung, das Konzept wäre klarer, und man hätte nicht den Eindruck, dass das Ganze eine Werbemasche sei. Das Bagua von Xijing ist auch nicht schlecht, es ist zwar kein Yin Stil Bagua, aber es stammt wohl aus einer Tradition, die aus dem Bereich der Cheng-Stil-ähnlichen Bagua-Stile ziemlich authentisch ist, so weit ich das beurteilen kann (wirklich Spiralpower, kein WuShu-Larifari, kein Taiji mit Kreislaufen). Ich fand es auch schade, dass da nicht mehr von da ist, als die Kreise und die Demo-Form.

mantis.wilm
08-06-2005, 17:07
Mir fällt dazu ein, dass ich vor kurzem die 'Cultura Martialis' gelesen habe, in der ein Interview mit Luo Dexiu (Xinyiquan) war, in dem er sagt, Wissenslücken solle man nicht mit Bruchstücken anderer Kampfkünste aufzufüllen versuchen (es war glaub' ich sogar sein letzer Satz- in dem Interview!)...wie auch immer er das meint... :rolleyes:

nagual
08-06-2005, 17:18
Mir fällt dazu ein, dass ich vor kurzem die 'Cultura Martialis' gelesen habe, in der ein Interview mit Luo Dexiu (Xinyiquan) war, in dem er sagt, Wissenslücken solle man nicht mit Bruchstücken anderer IKampfkünste aufzufüllen versuchen (es war glaub' ich sogar sein letzer Satz)...wie auch immer er das meint...

Würde ich zum größten Teil unterschreiben! Andererseits hat man in der Praxis manchmal nur die Möglichkeit, die Lücken sonst leer zu lassen und gar nichts zu lernen, z.B. weil man keinen Lehrer findet, der einem hilft die Lücken zu schließen. Man sollte sich dann aber genau merken, wo man geflickt hat, bzw. beiden praktizierten Kampfkünsten soviel Respekt entgegenbringen, dass man sie getrennt hält und nicht sofort vermischt.
Manche System (u.a. auch Taiji) führen jedoch zu Fähigkeiten, sich selbständig weiterentwickeln zu können. Wenn man soweit ist, darf man auch mal ein bißchen klauen, Techniken und Bewegungen besitzt ja keiner.

nagual
08-06-2005, 17:27
Also im traditionellen Gongfu gibt es auch Sandsäcke und diverse andere Objekte, um speziell Schläge zu trainieren. Ich hab übrigens mal von einem Bagua-Mann gelesen, der täglich stundenlang auf einen solchen eingeschlagen haben soll.

Irgendsoetwas muss dann ja einer posten...
Is auch gut so, dann bleiben nämlich die simpelsten Sachen weiter Geheimtechniken!

Klaus
08-06-2005, 18:35
Der Muskelspannungsanteil wird auch falsch eingeschätzt. Es geht eigentlich nur um den OPTIMALEN Tonus, also einen der sich mit der Anforderung nach oben oder unten ändert. Die Grundspannung soll niedrig sein, damit der Muskel weich ist und wenig Energie konsumiert, aber mit Last wird er immer enorm steigen. Der Effekt ist gerade daß der Tonus EXTREM wird wenn es darum geht, Power ausdrücken zu wollen, in den Körperteilen die beteiligt sind. In dem Zustand fängt alles an zu kribbeln. Das ist nur kein toter Tonus eines verkrampften, festen Muskels, einer der vor Angst zieht. In einem Powerpunch werden die Muskelgruppen stark kontrahieren, und von anderen Vorgängen unterstützt. Der Unterschied ist eigentlich daß in dem einen Fall die Fasern mal auf Verdacht schon mal anziehen, im anderen erst wenn es "losgeht", dann aber rapide. Das ist schon so gedacht daß es sich anfühlt als würde der Blitz einschlagen. Fachchinesisch heisst das der Wechsel von Rou nach Gan. Wir saren da light->solid, das umstrukturieren von leicht, gewichtslos, nach steinhart und schwer wie Blei. Hart wird dabei nur der "Groundpath", der Teil des Körpers der die notwendigen Wurzeln mit dem Teil verbindet der trifft. Der Rest bleibt locker. Schwierig ist, daß man eben nicht "üben" kann, ein viertel des Körpers in der Mitte steinhart werden zu lassen und den Rest lose. Das muß der Instinkt üben und alleine tun. Das was ich bewusst separat üben kann ist ganz locker die Formübungen zu machen, und hart gegen irgendwas gegenschlagen, was rumwerfen, oder ein aktives Etwas wie eine sich verwindende Lanze durch Körperkraft zu verwinden und mit ihr zu schlagen. Irgendwann lernt der Körper von sowas auch sich innerlich zu differenzieren. Ich halte so ziemlich gar nichts von aktivem sich denken von irgendwelchen "Yin-Yang-Spiralen", die der Körper ohnehin erst übersetzen muß in die Struktur die er machen kann. Das passiert zwar, aber eben nicht weil man sich das überlegt, sondern weil es sinnvoll ist. Die Ordnung von Muskeln, deren Tonus, der Lungen- und Rippenmuskulatur und des Lymphkörpers muß ohnehin über die instinktive Steuerung kommen, weil sowas viel zu kompliziert ist. Man kann es nur abrufen, und das eigentlich am besten auch indem man was übt wo es sinnvoll einsetzen kann. Als ich bestimmte Fähigkeiten gelernt habe, habe ich schlicht und einfach meinen Handball quer durch die Halle geworfen, eben mit dieser Kraft. Das wollte ich ohnehin, und da hat sich dann das Jing von selbst eingeschlichen bis ich aus den Fingern hart werfen konnte. Gedacht habe ich gar nichts bei sowas. Man sagt einem Kleinkind ja auch nicht, gell, jetzt musst Du den Fuss erst anheben, dann vorwärts, dann sinken lassen, fein balancieren ... Die laufen einfach los, am Anfang eher etwas unorthodox, dann immer gleichmässiger, bis es vollständig automatisch läuft. Und alle Kinder sehen gleich aus in der jeweiligen Phase.