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Vollständige Version anzeigen : Weng Chun - Ein Erfahrungsbericht



Jadetiger
17-06-2005, 10:27
Hi alle zusammen!
Ich habe es nun doch am Donnerstag vor einer Woche endlich geschafft mal auf ein Schnuppertraining bei der noch relativ neuen Münchner Weng Chun Schule vorbeizuschauen.

Ich wurde dort sehr freundlich begrüßt und das ganze Training fand in einer freundlichen, fast familiären Atmosphäre statt. Das wurde auch dadurch begünstigt, dass außer dem Sifu nur etwa acht Schüler anwesend waren.

Der Sifu nahm mich gleich zur Seite und erklärte mir ausführlich den Entwicklungsstammbaum seiner Kampfkunst. Schnell wurde mir klar, dass der Stil (ähnlich wie auch mein Stil Hung Gar) sich zwar als "Shaolin-Stil" bezeichnet, aber außer seinem Stilgründer (ein Schüler des berühmten Abtes Chi Sim aus dem Süd-Tempel in Fukien) und einem späteren Einfluß aus dem Nord-Shaolin-Tempel sich vollständig separat von Shaolin entwickelt hat.
Dies wurde durch das folgende Training noch deutlicher. Weder Beinarbeit noch Trainingsmethodik oder Körpermechanik haben etwas mit Süd-Shaolin gemein.
Die Stände der Beinarbeit sind alle sehr hoch und sehr beweglich, ähnlich dem Wing Chun. Ansonsten ist die Beinarbeit bei allem was ich gesehen habe (auch in den Formen) auf das Nötigste beschränkt.
Die Handtechniken basieren darauf, so wurde es mir auch von dem Sifu ("Winnie") erläutert, Dass man immer möglichst entspannt und weich bleibt und die Angriffskraft des Gegners entweder abgleiten läßt oder durch Chi Sao- und Kiu Sao-Techniken umlenkt und gegen den Angreifer selbst richtet. Hat man dies geschafft, wird der Gegner durch ein Trommelfeuer schneller Schläge in eine hoffnungslose Defensive getrieben.
Hört sich alles doch irgendwie nach Wing Chun an? Dachte ich auch.
ABER:
Der große Unterschied in der Kampftaktik liegt darin, dass man im Weng Chun nicht wie Wing Chun frontal auf den Gegner zugeht und sich immer frontal zu ihm dreht. Statt dessen versucht der Weng Chun Kämpfer ständig seinen Gegner zu "umgehen" und durch schnelle Sidesteps sowie Verdrehen des Gegners in dessen Flanke oder Rücken zu kommen.

Edit: Aufgrund meiner geringen Kenntnis von *ing *ung* ist die letzte Aussage ohne Gewähr. Ich habe dazu einen eigenen Thread aufgemacht.

Waffenformen habe ich zwar nicht gesehen, jedoch weiß ich von einer Bekannten, dass im Weng Chun lediglich der Langstock und die Schmetterlingsschwerter gelehrt werden. Auch Holzpuppentraining gehört in den höheren Stufen mit zum Programm.

Fazit:
Weng Chun ist durch seinen relativ geringes Angebot an Formen und Techniken und seine Spezialisierung auf eine bestimmte Kampfstrategie ein schönes kompaktes Kampfsystem, das sich auf das Wesentliche beschränkt und dieses zur Vollendung austrainiert. Das System gewinnt auch dadurch, dass es auf der ganzen Welt nur von einem kleinen Kreis von Enthusiasten gelehrt wird, die soweit ich erfahren habe nicht von finanziellen Zielen geleitet werden.

Persönliches Fazit:
Für mich persönlich ist der Stil als Kung Fu-Stil nix, da ich ein großer Fan der "Poserstellungen" des Kung Fu bin, die gerade in den Tierstilen schön zur Geltung kommen. Der Stil ist eben effektiv, aber rein optisch nicht besonders reizvoll.

Was mir persönlich aufgefallen ist, ist, dass Weng Chun nach meinem persönlichen Eindruck dem Wing Chun und, man höre und staune, dem italienischen "a calci e sciaffi" ("mit Tritten und Ohrfeigen" -> waffenloses System) aus dem SAL wesentlich näher steht als den anderen traditionellen Süd-Shaolin-Stilen.

Meine Wertung der Weng Chun Schule München:

Atmosphäre: 4 von 5 Fäuste
SV-Wert: 4 von 5 Fäuste
Fitnesswert: 2 von 5 Fäuste (2 statt 1 ergibt sich nur durch das BJJ, das zusätzlich trainiert wird)
Optik: 2 von 5 Fäuste
interne Aspekte (Qigong) ? von 5 Fäuste (nicht gesehen)

WT-Sifu
17-06-2005, 12:07
Der große Unterschied in der Kampftaktik liegt darin, dass man im Weng Chun nicht wie Wing Chun frontal auf den Gegner zugeht und sich immer frontal zu ihm dreht. Statt dessen versucht der Weng Chun Kämpfer ständig seinen Gegner zu "umgehen" und durch schnelle Sidesteps sowie Verdrehen des Gegners in dessen Flanke oder Rücken zu kommen.


???
Mein Ziel (mal abgesehen vom Hauptziel: ich bleib stehen und der Gegner ist KO) ist es auch, in die Flanke oder den Rücken des Gegners zu kommen. Dabei bleibe ich meistens frontal zu ihm ausgerichtet, aber halt eben nicht in der Front des Gegners!

WT-Sifu

Jadetiger
17-06-2005, 13:34
Meine WT-Kenntnisse beschränken sich auf das, was ich bisher bei drei Schnuppertrainings gesehen habe. Sorry, wen ich das falsch dargestellt habe.

Klaus
17-06-2005, 13:44
Warum wird eigentlich immer der sagenumwobene 13. Schüler des genauso umwobenen Abtes Chi Sim im ebenfalls sagenumwobenen Süd-Kloster im sagenumwobenen Fukien im sagenumwobenen China herangezogen ? Warum kann das nicht einfach die Familie Kung, Dorf Dingenskirchen, Fukien, aus lokal verbreiteten Stilen entwickelt haben ? Warum muß das immer die uneheliche Tochter von Chi Sim und Wu Mei, gezeugt in der Drachenhöhle bei Vollmond, im Blute ihres Antlitz gegen den bösen Warlord Link Töng erfunden haben ?

Alles in allem sahen die Videos die ich gesehen habe aber funktional und gut aus.

Jadetiger
17-06-2005, 14:04
Warum soll Weng Chun nicht aus Fukien und von Gim Si kommen? Der Stammbaum, den ich gesehen habe, sah recht schlüssig aus.

@WT-Sifu
Ich hab wegen der Taktik-Sache nen eigenen Thread aufgemacht.

Nanu
17-06-2005, 20:21
Hallo zusammen, bin auf der Suche nach geeigneten Schulen für Wing Chun oder Weng Chun, die nicht nur auf's abzocken aus sind.
Bin aus der Nähe von Karlsruhe (genauer: Bruchsal).
Hat jemand interessanten Links oder Tipps für mich?
Freue mich auf Antworten.
Nanu

Klaus
18-06-2005, 10:32
Weil Chi Sim, bei dem man sich offensichtlich nicht mal über den genauen Namen einig ist, alle bekannten, unbekannten und noch zu erfindenden Stile in ganz China entwickelt haben soll. Und das wo es nicht erst seit 1750 Kung-Fu in China gab. Das ist ungefähr so als soll James Watt nicht nur die Dampfmaschine, sondern auch die Elektrizität, die Atomspaltung, den Transistor und die kalte Fusion erfunden haben. Die meisten Stammbäume ignorieren auch hartnäckig die naheliegende Vermutung, daß auch in Fukien ein Mensch keine 200 wurde, und daß man dann nicht mit ein paar Generationen ins 20. Jahrhundert kommt. Im Nordkloster sagt auch niemand woher genau dieser oder jener Stil gekommen ist, man weiß nur, teils auch schriftlich, daß dieser oder jener bekannte Mensch dieses oder jenes trainiert hat. Es wäre schön wenn man sich diese Superstammbäume auch in "südlichen Stilen" mal endlich schenken würde. Aber, das kommt eben von "oben" und muß dann auch so weitererzählt werden. Mir ist schon klar daß man da als Lehrer in der Zwickmühle steckt, aber ich würde dann halt nicht besonders viel drüber reden und den Stammbaum Stammbaum sein lassen. Aber das ist eigentlich ein Randpunkt.

Jadetiger
18-06-2005, 11:47
Klaus, ich muss ganz ehrlich sagen, dass es mich total peripher tangiert wer was vor ein paar hundert Jahren entwickelt hat. Lass den Leuten doch ihren Glauben.

Gibts noch andere Fragen zu meinem Bericht? Ich kann gerne noch auf Details eingehen.

BakMee
18-06-2005, 12:02
Nun ja, hier muß ich Jadetiger zustimmen. Vieles beruht halt auf Legenden.
So ist z.B die Legende von Wu Mei bzw. Ng Mui heute fraglich ob es sie überhaupt gegeben hat. Außerdem war es nicht ihr wirklicher Name, sondern der gegebene Buddhistischer Name. Das Gleiche gilt auch für andere. Es sind halt auch viele Personen wo die genaue Herkunft auch nicht mehr zurückverfolgt werden kann, da es einfach zu lange her ist und es auch nicht schriftlich genug belegt werden kann. Teilweise passt auch tatsächlich viel nicht mit dem rein auszurechnenden Zeitalter nicht zusammen, wie Klaus es schon gesagt hat. Doch es gibt halt Sachen an die man festhalten sollte, welches man einst gelernt hat - auch wenn es (typisch für die Deutschen) oft alles in Frage gestellt wird und halt nicht drann geglaubt wird solange es alles richtig belegt und aufgeführt wird. Natürlich schmücken sich viele mit den bekannten Namen z.B der 5 Überlebenden oder der Abstammung aus Fukien. Aber ikch denke daß selbst die Altmeister nicht genau erklären können wie vieles in Zusammenhang gestanden hat. Denn wenn man immer wieder einen Altmeister nachfragt und ihn in Verlegenheit bringen würde, verliert man ihm Gegenüber automatisch sein gesicht. So sollte man möglichst respektvoll den alten Legenden einfach entgegentreten und nicht immer alles in Frage stellen. Wichtig ist es eine alte Kunst zu erlernen mit allem drum und drann. Das mögen hier vielleicht viele anders sehen, aber ich denke es ist jede seine persönliche Ansichtssache.
Beste Grüße,
BakMee

Klaus
18-06-2005, 20:34
Mir ist auch klar daß man nicht einfach so den Stammbaum weglassen kann, ohne in Ungnade zu fallen. Aber dann erkläre ich zumindest hier daß der Stil XY im Wesentlichen ein Handstil ist und viel mit Ableiten und Kontern arbeitet, oder mit Taiji-ähnlicher Arbeit. Und nicht, ja, das ist der ganz grosse Stil den Chi Sim erfunden hat, oder "wir sind der einzig authentische Stil von Zhang San Feng!". DAS ist wirklich peripher (und letzteres eine Lüge).


Aber mal zurück zum Bericht. Meiner Meinung nach ist das was ich auf dem Video was hier irgendwo vorgestellt wurde, durchaus "schön", und auch schönes sinnvolles Kung-Fu. Die Dynamik bei runden Bewegungen war durchaus gern gesehen, davon können sich zahlreiche "Tierstil"-Eleven die man in Gevelsberg über die Matte hat schleichen sehen eine Scheibe abschneiden.

Was die Fitness angeht, so habe ich die Schule in München und deren tägliches Programm nicht gesehen. Wenn man das was auf dem Video zu sehen war aber täglich macht, und auch mal eine halbe Stunde am Stück, dann ist der Fitness-Wert hoch. Fitness im Kung-Fu kommt über die hohe Anzahl an Wiederholungen bei einfachen Übungen und Formen. Eben eine Form nicht einmal drei Minuten machen, sondern 15 mal drei Minuten hintereinander. Das ist dann auch körperlich anspruchsvoll.

HuLong
19-06-2005, 14:11
Meine Wertung der Weng Chun Schule München:
Atmosphäre: 4 von 5 Fäuste
SV-Wert: 4 von 5 Fäuste
Fitnesswert: 2 von 5 Fäuste (2 statt 1 ergibt sich nur durch das BJJ, das zusätzlich trainiert wird)
Optik: 2 von 5 Fäuste
interne Aspekte (Qigong) ? von 5 Fäuste (nicht gesehen)

Wenn ich deine Bewertung so lese, dann wäre das ja die ideale SV. Man wird zum Fighter ohne körperliche Anstrengung? :ups: Allein schon deshalb hätte ich so meine Bedenken.

HuLong

Jadetiger
20-06-2005, 10:55
@Klaus und "Schönheit der Bewegungen"
Es gibt hier aus meiner Sicht zwei Probleme:
1) Schönheit liegt im Auge des Betrachters.
2) Ich war ja nur ein Training dabei und hab natürlich sicher nur einen kleinen Ausschnitt des Ganzen gesehen. Ich hoffe, das hat niemand missverstanden. Falls dem doch so sein sollte, kann ich das gern oben im ersten Post noch reineditieren.

@HuLong
Natürlich wird man nicht zum perfekten Kämpfer ohne Fitness. Der Fitness-Wert ist im Vergleich zu anderen mir bekannten Kampfstilen zu verstehen. Thaiboxen oder Vollkontakt-Karate sind im Training einfach im Welten anstrengender.

Marco_T
20-06-2005, 15:09
bzgl. des Fitnessaspektes:
na ja, kommt zum einen natürlich darauf an, mit welcher energie man die übungen ausführt. ;)
und wenn wir sparring machen, dann sieht der fitnessaspekt nicht viel anders aus, als in anderen kampfkünsten. man muss allerdings auch immer im hinterkopf haben sich die kraft und ausdauer einzuteilen, da das training am dienstag 4 stunden, am donnerstag 3 stunden geht. deswegen wechseln sich auspowernde mit ruhigeren übungen ab.
grüsse

Jadetiger
21-06-2005, 09:45
@headbutt
Endlich jemand, der selbst Weng Chun macht! Könntest du dich evtl. in der Wing Chun-Abteilung am Thread "Weng Chun vs. Wing Chun" beteiligen?

Jadetiger
23-06-2005, 08:49
Hier ist noch ein sehr schönes Video zu Weng Chun:
http://chun-wi.208243.vserver.de/fileadmin/material/Vids/HP-video-training-3.wmv

Ma Shao-De
23-06-2005, 14:37
nimen hao,

das video habe ich schonmal gesehen und ich finde das sehr gut....

sieht dem was wir so tun sehr sehr ähnlich...

:respekt: