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Vollständige Version anzeigen : Jūdō - vom sinn der kata



tom herold
11-04-2006, 11:36
ich bin gefragt worden, ob wir bei uns die kata (mehrzahl) des judo ebenfalls trainieren. selbstverständlich tun wir das! die fünfzehn grundlegenden kata des kodokan judo sind imho für die höheren grade ein unverzichtbarer bestandteil des trainings. die kata sind keine tanzübungen für ältere herren, die nicht mehr kämpfen können, aber dennoch weiter judo machen wollen! kano unterteilte die trainingspraxis des judo in : kata / randori / mondo. (wie ihr seht, erwähnte er den wettkampf nicht, denn er empfand ihn als randori-bestandteil). die wichtigsten kata des judo sind: nage-no-kata (1885), seiryoku-zenyo-kokumin-tai-ikku-no-kata (entstand 1885, wurde 1920 leicht verändert), ju-no-kata (eigentlich taiso-no-kata, enthält die grundlegenden bewegungsmuster des standkampfes, aber keine techniken), go-no-kata (kata der härte, enthält die grundlegenden verbindungen der atemi-waza mit den wurftechniken und wird so ausgeführt, daß uke sehr unkooperativ ist - eigentlich eher ein drill als eine feierliche form), itsutsu-no-kata (die höchste kata des judo, enthält die fünf grundlegenden prinzipien jeder seriösen kk, wird heute leider oft komplett mißverstanden - alle vorgenannten kata entstanden um das jahr 1887 herum), katame-no-kata (1888-1900, als der bodenkampf des kodokan vom fusen ryu beeinflußt wurde), kime-no-kata und koshiki-no-kata (aus dem tenshin-shinyo-ryu bzw. aus dem kito-ryu übernommen und leicht adaptiert demäß dem prinzip des seiryoku zenyo),
goshin-jutsu-no-kata (1889, in den späten fünfziger jahren des 20. jhd. vom kodokan verändert - nicht zum besseren, wie ich finde).
das sind in kürze die grundlegenden kata, die uns hier vorrangig interessieren sollen. der nutzen dieser kata ist kaum jemandem offensichtlich - wäre er es, würde man in europa nicht versucht haben, diese kata unautorisiert zu verändern (bsp. nage-no-kata).
ich möchte dazu cunningham zitieren: "kata haben omote und ura, d.h. sie haben eine vorder- und eine rückseite. omote ist das, was allen sichtbar ist. viele kata werden heute nur noch in omote gelehrt. es gibt kaum noch die lehre davon, was judo-kata wirklich beinhalten. da gibt es nämlich dinge wie kakushi-waza, verborgene inhalte, die später gelehrt werden. kata waren immer umgeben von einem netz aus zusätzlichen informationen über kombinationen, ausweichbewegungen und vielen anderen möglichkeiten. die kata sind der zentrale rahmen, um im judo informationen weiterzugeben." (cunningham 1998)
so, ich weiß, das ist viel holz. mich würden nun eure meinungen / erfahrungen mit den judo-kata interessieren (und natürlich eure fragen, die ich - falls ich dazu etwas weiß - gerne beantworten werde.):)
in diesem sinne - jiko no kansei!
tom

kennin
11-04-2006, 11:39
Bitte IMMER den Namen der KK oder KS melden im Titel!

tom herold
12-04-2006, 11:29
@kennin: ich werd dran denken.
ansonsten bin ich etwas erstaunt darüber, daß sich hier noch niemand zu wort gemeldet hat. es gibt doch etliche judoka im forum, soweit ich das überblicken kann. alle kein interesse an diesem thema? schade, der konkrete nutzen sämtlicher judo-kata wirkt sich ganz direkt und sehr positiv auf die fertigkeiten des kämpfens aus ... möglicherweise kennen aber die hier postenden (in diesem fall nicht postenden) judoka die kata des judo nicht oder nicht so gut, daß sie dazu stellung beziehen könnten. schade. ich dachte immer, daß man als judoka vor allem neugierig ist und zusieht, wo man möglichst viele kenntnisse herbekommt, um besser und besser zu werden ...:)
na ja, vielleicht kommt ja doch noch eine debatte in gang - ich geb die hoffnung erst mal nicht auf ...
mfg
tom

Schnueffler
12-04-2006, 12:11
Bei mir sind die Kata im Jiu Jitsu Prüfungsprogramm fest verankert. Sind in einer anderen Reihenfolge, als im derzeitigen Judoprogramm.
Oftmals stellt sich die Frage bzgl. des Sinns der Kata.
Für mich ist es hauptsächlich eine Kopfangelegenheit, da in den meisten der Kata die verschiedenen Prinzipien der einzelnen Techniken erläutert. Sei es das Prinzip des Ausweichens, des Gleichgewichtbrechens, der SV oder auch der alten Prinzipien der Weltanschauung!
Einfach nur eine Kata runter spulen und kopieren ist eine Sache, aber denn Sinn dahinter zu sehen eine andere. Dazu kommt dann noch die Harmonie mit dem Partner, mit dem man sie läuft und was man dabei ausstrahlt.
Ich persönlich werde bei der Kata mehr geistig als körperlich gefordert. :D
MfG
Markus

PikAsJoker
12-04-2006, 21:25
>> Viele Menschen glauben, das Leben würde
durch Formen erstarren. In Wirklichkeit wird es durch sie erst möglich.
Daher ist die Kata (Form) auch im Aikido (also auch Judo)
notwendig, denn sie erhebt die handwerkliche Kunst (Jitsu) zum Weg (Do) <<

entnommen aus "Aikido - Lehren und Techniken des harmonischen Weges" von Rolf Brand


... jederzeit auch aufs Judo übertragbar.

MfG
Lukas

DONNIE
12-04-2006, 22:40
Ich hab Katas (entschuldigt die etwas rüpelhafte Ausdrucksweise) als Konservation traditioneller Technikform kennengelernt. Insbesondere in Zeiten, in denen immer mehr an Techniken "herumgebastelt" und gewerkelt wird.

War auch mal Zeuge einer überragenden Kata-Darbietung und möchte diese Erfahrung nicht missen!
Ich bin gespannt auf meine erste Kata!

pinky
12-04-2006, 23:21
Ich finde, dass dass Hauptproblem bei den Kata ist, adequate Lehrer fuer selbige zu finden.
Ich bin zweimal die Kime-No-Kata als Uke gelaufen, in zwei unterschiedlichen Verbaenden. Zwar waren die Techniken und die Reihenfolge jener gleich, aber die Ausfuehrung nicht. Die einen Bleiben strikt auf der Kataachse die anderen bestehen darauf diese zu verlassen. Aber am schlimmsten sind die Oberfussmeister die die Richtlinien im Verband festlegen und hinterfragen abblocken oder darauf verweisen sie waeren in Japan gewesen und dort wurde es ihnen so gezeigt.

Weil ich eine Kata nicht trainieren kann wie ich sie und ihre Techniken optimal verstehe sondern mich an fragwuerdigen Richtlinien halten muss, habe ich die Kata aus meinem auf mich ausgerichteten Training gestrichen.
Sollte ich ich noch mal als Uke hinhalten werde ich einen Bewegungsablauf nach gutduenken der Pruefer hinlegen. Selber werde ich wohl keine Dan-Pruefung mehr machen (ich muesste jetzt die Ju-No-Kata -die bei uns als Balett-Kata verschrien ist- laufen wobei mein Partner ca. 10 kg schwerer ist als ich).

tom herold
13-04-2006, 10:52
@pinky: ju-no-kata ist alles andere als ballett. wenn dir diese kata richtig erklärt wird, dann wirst du sehen, daß sie überhaupt keine einzige technik enthält, dafür aber alle bewegungsmuster, die es im standkampf gibt. btw. ist es zudem eine ausgezeichnete form der gesunderhaltung, da die ausübung von ju-no-kata die geschmeidigkeit erhält. in einem anderen forum mußte ich jedoch lesen, daß es im djb tatsächlich höhergraduierte dan-träger gibt, die glauben, ju-no-kata lehre u.a. techniken, wie man dem gegner die wirbelsäule brechen könne:megalach:
man lernt eben immer wieder was neues ...:D
mfg
tom

Schnueffler
13-04-2006, 11:46
@ Pinky:
Du meinst mit dem Herren, der in Japan den Perfektionismus mit Löffeln gefuttert hat, doch nicht den Jochen??? ;)
Fand den auf den Kata-Lehrgängen immer recht "amüsant". Aber man muß ja da hin! :(
MfG
Markus

tom herold
13-04-2006, 16:09
es geht in den kata des kodokan nicht unbedingt um die in der jeweiligen form enthaltenen techniken - diese dienen nur zur verdeutlichung diverser grundlegender bewegungsmuster (auch prinzipien genannt). viel interessanter ist doch, daß sämtliche kata diverse kakushi-waza enthalten, also etwas, das man heute als links zwischen verschiedenen techniken / prinzipien bezeichnen würde. DAS ist es doch, was die kata interessant macht, und eben darum werden sie ja auch als informationscontainer bezeichnet. DAS ist es letzten endes auch, was den fortgeschrittenen (oder gar den meister) vom anfänger unterscheidet - wissen! um dahin zu kommen, muß man aber - das ist unumgänglich! - die "neuerungen", "modernisierungen" und verbesserungen", welche die traditionellen kata des judo (und des karate, nebenbei) erleiden mußten, einfach vergessen und die kata wieder so ausführen, wie es in den schriften der gründer beschrieben wird. man wird dabei ganz erstaunliche dinge entdecken ...:)
mfg
tom

Kimi
26-04-2006, 00:43
es geht in den kata des kodokan nicht unbedingt um die in der jeweiligen form enthaltenen techniken - diese dienen nur zur verdeutlichung diverser grundlegender bewegungsmuster (auch prinzipien genannt). viel interessanter ist doch, daß sämtliche kata diverse kakushi-waza enthalten, also etwas, das man heute als links zwischen verschiedenen techniken / prinzipien bezeichnen würde. DAS ist es doch, was die kata interessant macht, und eben darum werden sie ja auch als informationscontainer bezeichnet. DAS ist es letzten endes auch, was den fortgeschrittenen (oder gar den meister) vom anfänger unterscheidet - wissen! um dahin zu kommen, muß man aber - das ist unumgänglich! - die "neuerungen", "modernisierungen" und verbesserungen", welche die traditionellen kata des judo (und des karate, nebenbei) erleiden mußten, einfach vergessen und die kata wieder so ausführen, wie es in den schriften der gründer beschrieben wird. man wird dabei ganz erstaunliche dinge entdecken ...:)
mfg
tom

Das ist etwas, das ich im Karate mittlerweile gefunden habe, im Ju-Jitsu fehlt mir da noch etwas. Dort bin ich noch daran, die Elemente zum Funktionieren zu bringen.
Ich habe schon verschiedentlich die Ansicht gehört, Kata sei etwas, das nicht funktioniert und das man einfach vormacht für die Prüfung. Ich könnte jedesmal einen Anfall bekommen, wenn ich das höre. Vor allem, wenn es von Leuten kommt, die mit dieser Haltung die Dan-Prüfung bestehen.
Bisher denke ich jedoch noch, dass das, was in der Kata drin ist, funktionieren kann, wenn man es richtig macht. Meine Aufgabe ist es, die Technik zu studieren, bis ich sie kann, so dass sie funktioniert. Und ich kann auch überlegen, warum eine Bewegung in der Kata so ist, wie sie ist, ohne nur nach den direkten Wirkungen einer Technik zu schauen. Ich meine, die Kata ist nicht nur für eine Person, sondern für zwei. Warum sollte nicht auch etwas für Uke dabei sein? Muss ein zu Bodengehen mit eleganter Fallschule immer eine Folge einer zwingenden Hebelwirkung sein? Kann es nicht auch der sich letztlich als erfolglos herausstellende Versuch Ukes sein, sich durch eine schnelle, kontrollierte Fallbewegung gegen Verletzung zu schützen und Tori in der neuen Situation durch einen neuen Angriff zu überraschen (der dann allerdings nicht Teil der Kata ist oder durch Toris Kontrolle vereitelt wird)?

Manche Sachen funktionieren auch mit bestimmten Leuten nicht. Einer meiner Trainingspartner hat ein Handgelenk, bei dem ein klassischer Kote-gaeshi wie in der Goshin-Jitsu schlicht nicht wirkt. Bei praktisch allen anderen Leuten, die ich kenne, geht es. An diesem Handgelenk haben sich schon diverse, technisch sehr gute Leute geprüft - es ist jedesmal wieder interessant zuzuschauen.

Ansonsten scheint mir als offensichtlichster Nutzen (wie ich es von der Anschauung der Nage-no-kata vermute) die Übung der Technik in ihren Grundprinzipien zu sein. Wer bspw. nach der Übung der Kime-no-kata immer noch keinen Waki-gatame kann, wird es wohl nie lernen.

Jedenfalls kann man mit der entsprechenden Bereitschaft schon bald mehr aus dem Kata-Training machen, als einen Tanz für die Prüfung.

Schnueffler
26-04-2006, 07:19
Das ist es, um was es bei der Kata geht.
Erkenne die Prinzipien in ihrer Grundform, verstehe und verinnerliche sie.
Großenteils sind die Techniken, wie sie in der Kata ausgeführt werden nicht 1:1 in die Sv übertragbar, jedoch erkennt man die gleichen Prinzipien wieder.
Ob jemand eine Kata verstanden hat, sieht man bei der Umsetzung der Kata und wie er sie läuft. Wenn er sie einfach nur runterrasselt und der Uke genauso tanzt, ist meiner Meinung nach kein Verständnis dabei.
Wenn er aber die einzelnen Prinzipien sauber ausführt und die wichtigen Sachen hervorheben kann, ist der Sinn der Kata gezeigt und verstanden.
Interessant finde ich auch den Aspekt, das die Fallschule von Uke als Ausweich-/Meidbewegung zu verstehen um dann in eine günstigere Lage für einen erneuten Angriff zu kommen. Dies ist bei uns ein wichtiger Trainingsbestandteil außerhalb des Katatrainings (Konter-, Weiterführungs- und Kombinationstechniken)
MfG
Markus

Agi-Gum
26-04-2006, 10:42
Eine provokante These zum Anheizen der Diskussion:

Wenn es das Ziel des Trainings ist, Kämpfen zu lernen, dann verstehe ich nicht, was in einer Form/Kata/Poomse enthalten sein soll, dass nicht in anderer Art und Weise deutlich effektiver vermittelt werden kann.

"Versteckte" Prinzipien, Bewegungsabläufe etc. üben - warum diese nicht direkt am konkreten Beispiel erklären und mit progressivem Widerstand gegen einen lebendigen Gegner einüben?

Beweglichkeit, Geschmeidigkeit, Kraft aufbauen - warum nicht gezielt individuelle Gymnastik oder Krafttraining machen?

Aufbewahrung von Technikfolgen - warum nicht eine DVD oder ähnliches Medium benutzen?

Man beachte, dass ich nicht sage, dass die Technikfolgen oder Prinzipien oder Körperschulungen in jeder Kata schlecht seien oder nicht funktionieren. Mein Argument ist, dass es ineffiziente Trainingsmethoden sind und man die Zeit, die man für sie aufwendet, besser nutzen könnte.

Schnueffler
26-04-2006, 10:57
Hm, früher gab es noch keine DVD! Somit war die Kata die lebende Weitergabe der Techniken und Prinzipien!
Und bzgl. des "versteckten"! Wenn man eine Technik so zeigt, wird sie oftmals "nur" kopiert, ohne hinter die Technik mit uhren Prinzipien und Wirkungsweisen zu schauen. Wenn es so abläuft, ist die Kata eine Showvorführung/Tanzeinlage.
Es heißt ja auch nicht, das es ein MUSS ist, das man Kata läuft. Wenn man die Prinzipien auch so versteht und erklären kann, bzw. später dann weitergeben kann, ist alles in bester Ordnung.
Die Kata kann eine wertvolle Zugabe und Lehrmethode sein um dahin zu kommen.
Umd um dann die entsprechende Ausführung für die SV oder den Kampf zu erlernen, muß man an die angesprochene Gymnastik und an das Training mit dem "Gegner" (Widerstand, Reaktionen, etc.).
MfG
Markus

Kimi
27-04-2006, 08:12
Kata ist eine Übungsform von vielen.
Aber mehr noch als im Karate ist mir im Ju-Jitsu aufgefallen, was Kata einem noch abverlangt: Konzentration.
Die Kime-no-kata dauert gewöhnlich etwa 10 Minuten. Es ist etwas anderes eine Karate-kata von einer Minute oder eine Partnerübung von 10 Minuten zu machen.
Man könnte meinen zu zweit 10 Minuten lang etwas festgelegtes zu üben sei simpel und langweilig, aber die Herausforderung ist gerade, aufmerksam zu bleiben, nichts zu vergessen und erst recht nicht, die Teile zu vermischen.
Wie leicht driftet man ab mit einem Gedanken über einen Fehler... und schon verpennt man den nächsten Teil. Manchmal nur das Anzugordnen, was ja nicht wirklich wichtig, aber ein Zeichen der Harmonie mit dem Partner ist, manchmal aber auch eine Technik.
Im Kampf sollte man sich solches Abdriften auch nicht leisten. Es ist ein Zeichen der Anhaftung und des nicht-im-Moment-seins.
Ich merke dasselbe auch in anderen Formen, aber nie so deutlich wie in der Kata.
In anderen Partnerübungen, neigt man dazu, es einfach nochmal zu machen.
In der Kata geht es 'gnadenlos' weiter.

Agi-Gum
27-04-2006, 09:19
Kata ist eine Übungsform von vielen.
Aber mehr noch als im Karate ist mir im Ju-Jitsu aufgefallen, was Kata einem noch abverlangt: Konzentration.
Die Kime-no-kata dauert gewöhnlich etwa 10 Minuten. Es ist etwas anderes eine Karate-kata von einer Minute oder eine Partnerübung von 10 Minuten zu machen.
Man könnte meinen zu zweit 10 Minuten lang etwas festgelegtes zu üben sei simpel und langweilig, aber die Herausforderung ist gerade, aufmerksam zu bleiben, nichts zu vergessen und erst recht nicht, die Teile zu vermischen.
Wie leicht driftet man ab mit einem Gedanken über einen Fehler... und schon verpennt man den nächsten Teil. Manchmal nur das Anzugordnen, was ja nicht wirklich wichtig, aber ein Zeichen der Harmonie mit dem Partner ist, manchmal aber auch eine Technik.
Im Kampf sollte man sich solches Abdriften auch nicht leisten. Es ist ein Zeichen der Anhaftung und des nicht-im-Moment-seins.
Ich merke dasselbe auch in anderen Formen, aber nie so deutlich wie in der Kata.
In anderen Partnerübungen, neigt man dazu, es einfach nochmal zu machen.
In der Kata geht es 'gnadenlos' weiter.
Die Konzentration, die man für eine Form benötigt, ist eine andere Art der Konzentration, die man im Kampf benötigt.

Während einer Form ist man darauf fokussiert, festgelegte Techniken in einer vorgegebenen Reihenfolge korrekt auszuführen. Es ist eine vorher festgelegte statische Choreografie und ich muss mich darauf konzentrieren, diese korrekt auszuführen. Während eines Kampfes ist man dagegen darauf fokussiert, spontan je nach Gegebenheit zu agieren, bspw. eine Lücke zu schaffen und ausnutzen oder auf einen Fehler des Gegners zu reagieren. Außerdem kommt noch hinzu, dass man möglicherweise schon einige Treffer kassiert hat oder am Boden in einer schlechten Position ist aber sich trotzdem unter Streß "zusammennehmen muss". Das ist IMHO ein völlig anderes "Hiersein" als beim Formenlaufen und kann auch nicht ansatzweise hierdurch ersetzt werden.

(Mit keinem Wort behaupte ich übrigens, dass Formenlaufen nicht anstrengend sein oder keinen Spaß machen kann. Nur, vom Gesichtspunkt des Kämpfens her scheinen mir Formen ineffiziente Werkzeuge zu sein.)

Schnueffler
27-04-2006, 09:56
Das was du beschrieben hast, ist der Showlauf, bzw. die Tanzeinlage.
Worauf hier aber viele abzielen ist die Verdeutlichung der Prinzipien und nicht die 1:1 Nachahmung der Techniken. Wenn du dir alte Kata anschaust, wirst du feststellen, das sie viel freier waren und nicht so festgelegt, wie heute mit dem: nach Technik X muß Uke im 45 Gradwinkel fallen und in Position Y liegen bleiben.
Dort waren die Techniken und Prinzipien vorgegeben und die Ausführung an sich, mußte so sein, das es auf den Tori passte!
Damit sehe ich schon eine Parallele zu dem Kampf, denn da versuche ich auch die auf meinen Körper und die Situation angepassten Prinzipien auszunutzen und anzubringen.
MfG
Markus

tom herold
27-04-2006, 10:48
@agi-gum: auf eine argumentation wie die deine hab ich eigentlich schon länger gewartet ;) aaaalsoo: kata wird heute vielfach als lästige "pflicht" empfunden - bspw. für die erlangung von dan-graden. dabei wird verkannt, daß kata (vor allem im judo), wenn sie richtig ausgeführt werden (und eben daran hapert es sehr oft!!) eher drills realer fähigkeiten als feierliche tanzeinlagen sind. die kata waren in den ryu des koryu bujutsu - die eine dem randori (eher ran o toru) vergleichbare übungsform selten nutzten - die grundlage für die weitergabe der fortgeschrittenen bewegungsabläufe.
kaum jemand weiß, daß kata (jedenfalls im judo) eine omote-seite und eine ura-seite haben.
omote ist das offensichtliche, das, was jeder sehen kann - also der rein technische ablauf. ura aber ist der eigentliche inhalt der kata, und wenn der nicht vermittelt wird, ist er nur schwer oder gar nicht zu entdecken - daher die vielen mißverständnisse in bezug auf kata.
kata haben bspw. (ich kann da nur für judo sprechen) eine ideallinie, welcher der ausführende zu folgen hat, um wirklich effektiv zu sein. das üben der kata stelt also die anwendung der technik bzw. der prinzipien unter idealen, mithin anzustrebenden bedingungen dar. durch das üben der kata lernt der judoka, diese ideallinie auch im kampf, auch gegen den widerstand des partners / gegners zu finden und ihr zu folgen. durch die immer gleichen bewegungsabläufe kann sich der judoka auf die technik konzentrieren, kann allmählich immer ökonomischere bewegungsabläufe entwickeln - es handelt sozusagen um die programmierung bzw. neu-programmierung des eigenen muskelapparates (was ist feldenkerais denn anderes?)
zudem lehren die kata des judo die prinzipien des echten kampfes. haben wir alle schon mal gehört, klar. aber wer hats verstanden? wer übt denn die kata des judo noch so intensiv und vor allem so korrekt, wie das von kano sensei vorgegeben wurde?
das üben der kata ist eigentlich der schwierigste teil des judo. man hat keinen gegner - nur die eigene trägheit. man lernt nur sehr langsam, erfolge stellen sich erst nach sehr, sehr langem üben ein - wenn man endlich versteht, daß man über die grobmotorik zur feinmotorik und dann zu den mikrobewegungen kommt, durch die man ganz konkret im kampf dem anderen einiges voraus haben wird (ich habs seit langem ausprobiert: ist ein steiniger, aber lohnender weg).
kano sensei hat nicht umsonst das judo in die bereiche kata, randori und mondo eingeteilt. wie man sieht, ist da von wettkampf nach regeln (shiai) nicht die rede, diesen nämlich betrachtete kano als eher unwichtigen bestandteil des randori.
nebenbei: als kata bezeichnet man im judo nicht nur die fünfzehn kata des kodokan. kata praktiziert auch, wer bspw. uchikomi trainiert. alles, was mit dem üben von technik zu tun hat, ist laut kano als kata (form) anzusehen.
so, genug doziert;)
mfg
tom

Agi-Gum
27-04-2006, 12:49
Ich habe den Verdacht, dass wir unter "Kata" oder "Form" etwas anderes verstehen. So wie ich Eure (Schnüffler und Toms) Beiträge verstehe scheint ihr hierunter eine Art langen Drill bzw. eine Folge von Drills zu verstehen, bei dem ein Partner durchaus Gegenwehr aufbietet und evtl. sogar vom festen Programm der Form abweicht, richtig? Dass derartige Drills (sofern progressiv der Widerstand und die Freiheitsgrade erhöht werden) eine sinnvolle und notwendige Vorstufe zum freien Kämpfen sind ist wohl unstrittig. Aber das ist doch meines Erachtens nicht dasjenige, was zumeist als "Kata" oder "Form" gelehrt wird und dem ich so kritisch gegenüberstehe, nämlich eine vollkommen abgesprochene und vollkommen ohne Gegenwehr ("harmonisch") stattfindende Choreografie (und in so manchem Kampfstil auch noch von völlig stilisierten Techniken, die erst noch "entschlüsselt" werden müssen bevor man sie anwenden kann).

Schnueffler
27-04-2006, 17:12
Das ist der Unterschied zwischen den traditionell ausgeführten Kata und denjenigen, wie sie heute bei den meißten Prüfungen verlangt werden.
Trotz all dem, wird eine gewisse Form und Grundlage gewahrt. Also "spielt" Uke doch schon mit und gibt nicht 100% Widerstand, aber ein wenig schon. So das beide merken, das die Technik, bzw. die Prinzipie auf der die Technik beruht verstanden ist und auch funktioniert. Bei einer Vorführung ist dann natürlich etwas Show dabei. Da muß ich dir Recht geben. Aber das ist mehr Prüfung und nicht das Verständnistraining! Ist also ein zweischneidiges Schwert. ;)
MfG
Markus

Kimi
28-04-2006, 08:05
Zur Gegenwehr in der Kata: Natürlich muss man Kata auch so trainieren, das Uke nicht gleich nachgibt. Es ist zwar vorgegeben, dass Tori Erfolg haben soll, aber den muss er sich durch eine wirksame Technik erarbeiten. Nur bei einer Vorführung will ich meinen Partner nicht schlecht aussehen lassen. Aber im Training zeige ich ihm, ob das, was er macht, funktioniert. Und dabei lernt man dann sogar manchmal, warum die Technik in der Kata so ist, wie sie ist, und nicht, wie man sie ursprünglich lieber gehabt hätte.

Ein anderer Punkt sind Abweichungen: Jeder Fehler von Uke beim Angriff (ich beziehe mich in diesem Beispiel auf die Kime-no-kata) ist eine Abweichung. Im Kampf muss ich auf den Angriff reagieren, der kommt. In der Kata weiss ich, was kommen soll. Wenn das nicht kommt, ich aber meinem Programm folge, sieht das lustig aus. Manchmal passt es, meistens aber heisst es 'Komm nochmal'. Man sollte die Kata immer so machen, dass man auch mit den Fehlern umgehen kann. Erwarte ich einen Fusstritt und es kommt ein Fausstoss zum Kopf, sollte ich ihn mindestens abwehren, auch wenn ich nicht der Kata folgen kann.
Ich war bei einer Dan-Prüfung, wo Uke plötzlich einen Angriff mit Links ausgeführt hat statt mit rechts. Das hatte er noch nie gemacht. Die Abwehr kam nach Programm und passte zufällig, aber es war klar, dass der Wurf, der gemacht werden sollte, auf der Seite nicht funktionieren könnte, schliesslich stand Uke mit dem anderen Bein vorne und seine schwache Standrichtung war etwa 90° gedreht. Der Wurf nach Kata würde die Prinzipien von Standbrechen und Wurf in die schwache Richtung nicht erfüllen.
Tori hat den Wurf auf der anderen Seite gemacht, wo die Prinzipien beibehalten werden konnten.
Das ist zwar nicht mehr die Kata in der Form, aber die Kata im Inhalt.

tom herold
28-04-2006, 08:49
es geht nicht nur darum, wieviel widerstand uke leistet und ob überhaupt. es geht, wie schon gesagt, auch bei den formen, in denen uke hundertprozentig kooperiert, vor allem darum, die angesprochene ideallinie zu finden und dieser zu folgen - immer und immer wieder. erst wenn diese ideallinie gefunden wurde (und wenig wurde so mißverstanden wie dies!), kann man sich darauf konzentrieren, von den makrobewegungen der muskulatur zu den mikrobewegungen zu gehen. erst das üben der nage-no-kata bspw. ermöglicht es dem tori, bei sämtlichen wurftechniken den einsatz der hüfte / der beine zu optimieren. dazu muß er nach und nach ganz, ganz winzige korrekturen seiner bisherigen bewegungsabläufe vornehmen - er programmiert sich sozusagen neu. da eine solche neuprogrammierung der muskulatur sehr schwierig ist, geben viele auf, ehe sie das angestrebte ziel erreicht haben - oft wissen sie auch gar nicht, welches ziel die kata denn nun eigentlich verfolgen. der nutzen der kata (mikrobewegung/neuprogrammierung) aber ist für den kämpfer ungeheuer groß, denn die neuprogrammierung somatischer abläufe befähigt ihn, die eigene effektivität als kämpfer um einige hundert prozent zu erhöhen! er erlangt durch das üben der kata (vorausgesetzt, er übt nach den traditionellen vorgaben!!) erstmals ein nahezu vollständiges bewußtsein der eigenen balance - und dieses bewußtsein hat kaum jemand, wenn wir ehrlich sind. man kann die kata des kodokan judo mit dem vergleichen, was feldenkrais (der judoka und der erste europäische schüler von kano sensei war!) "bewußtheit durch bewegung" nennt und was zu einer funktionalen integration führt. seht euch mal die aufnahmen alter meister an, ob nun kano sensei, mifune sensei oder ueshiba sensei - sie sind vollkommen in der balance und daher zu dingen in der lage, die uns unnachahmlich erscheinen (und sie tun dies sogar als steinalte männer! seht euch mal die filmaufnahmen an, in denen mifune mit über siebzig jahren im randori nacheinander zehn junge, kräftige (wettkampf-) judoka regelrecht verkloppt!)
kata und kampf haben also eine symbiotische, unauflösbare beziehung und ihr wert ist geradezu unschätzbar,
in diesem sinne - jiko no kansei!
tom