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Vollständige Version anzeigen : Sanda in Deutschland



Yahya
22-06-2006, 11:27
Hi Chucky & Co,

Erklär(t) einem Berliner Doofkopp bitte mal, was am Sanda, so wie es jetzt in Deutschland entstehen soll, anders ist als im MMA.

So wie ich es verstanden habe, hat das, was jetzt von Dir und einigen anderen (sehr) Engagierten aus der Taufe gehoben wird, ziemlich wenig mit chinesischem Kung Fu zu tun. Ihr sagt selbst, dass es lediglich eine "Plattform" sein soll, das heißt ähnlich wie früher Kickboxen - und heute: MMA(!).

Was unterscheidet Euch dann noch von MMA?

Nix Chinesisches im Paket bzw. ein Thai Boxer mit BJJ Erfahrung hat die besten Chance. (Fast) Kein Kung Fu'ler könnte realistisch mithalten.

Warum nennt ihr das ganze Projekt um Himmels Willen "Sanda" ?


Beste Grüße,
Yahya



P.s.
Hatte Chucky privat angeschrieben und hab die Frage auf seinen Wunsch ins Forum gestellt.

chuckybabe
23-06-2006, 20:14
Ich hatte Yahya gebeten hier seine PN an mich zu posten, damit ich die von ihm angesprochene Thematik hier öffentlich in einem Rutsch abhandeln kann und so weitere PN oder E-Mails von anderen Teilnehmern hierzu überflüssig werden.


Hi Chucky & Co,

Erklär(t) einem Berliner Doofkopp bitte mal, was am Sanda, so wie es jetzt in Deutschland entstehen soll, anders ist als im MMA.

Zuallererst kann mal festgehalten werden, dass es im Sanda nach Version der WSOD drei Regelwerke gibt, was es so in den diversen Freefightformaten oder MMA-Richtungen nicht gibt. Dies sind die Wettkampfregelwerke für die Disziplinen Sanda Lightcontact, Sanda Fullcontact und Sanda Freefight. Außerdem ist in allen drei Disziplinen der Bodenkampf zeitlich limitiert, derzeit regelwerkabhängig auf entweder 10 respektive 15 Sekunden.

MMA stellt für uns (sprich die WSOD) im übrigen lediglich einen trainingsmethodischen Ansatz dar (und keinen Stil an sich!), der jedoch aus unserer persönlichen Überzeugung heraus für einen (Wett-)Kämpfer absolut entscheidend und unabdingbar ist, wenn es um die Erreichung realer Kampfesstärke geht, egal ob es sich um Sportwettkampf oder SV handelt. Training auf MMA-Basis ist also unabhängig vom Stil ein wesentlicher Baustein der täglichen Arbeit in der Trainingshalle. Und dies gilt nach unserer Überzeugung natürlich auch für alle Kung Fu Stilisten, die in der Realität eines sportlichen, dabei regelgerechten Freefight-Wettkampfes oder in einem regellosen Straßengefecht bestehen bzw. überleben wollen. Wenn Du z.B. den "Sound" eines Ringer- oder Boxerangriffs nie erlebt hast und nicht intensiv mit eben solchen Spezies gearbeitet hast, dann gibt es was auf die Ohren, wenn dann mal der Ernstfall mit einem auch nur halbwegs abgewixten Schläger eintritt.

Kommen wir aber wieder zu Unterschieden zwischen einem mit MMA-Methodik trainierten Sandaexperten und den meisten Ausübenden anderer MMA- / Freefightrichtungen. Ganz viele MMA-Aktive, die in den diversen Freefightformaten antreten, suchen aktiv den Bodenkampf um des Bodenkampfes Willen. D.h. auch wenn die Position nach einem Tackling vielleicht erstmal garnicht vorteilhaft an sich ist, wird erstmal der Bodenkampf gesucht, schließlich hat man ja Zeit und kann sich dann eine günstigere Position sukzessive erarbeiten, auch wenn es unter Umständen einige Minuten dauert. Wer das so machen möchte, soll es so machen, Bodenkampf macht ja auch vielen Kampfsportlern tatsächlich Spaß, ich selber konnte früher auch nicht genug davon bekommen! Und unter sportlichen Gesichtspunkten innerhalb eines reglementierten Sportwettkampfes hat dieses Ausleben des exzessiven "Herumtollens" am Boden auch absolut seine Daseinsberechtigung. Doch mit der Realität hat dies sicherlich nur noch bedingt etwas zu tun, was an anderer Stelle hier im Board schon ausgiebig pro und contra diskutiert wurde.

Und genau an dieser Stelle setzen die Sanda-Regelwerke und das überhaupt Typische für Sanda an. Diese Regelwerke sollen nämlich im Endeffekt eine möglichst sinnvolle, sportlich reglementierte Schnittstelle zum realen regellosen Kampf bieten. Ein Sandakämpfer muss zwar Groundfighting genauso wie Stand-Up-Fighting beherrschen, aber sein Focus liegt im Kampf darauf den Gegner aus der Stand-Up-Position heraus auszumachen. Und auch die TD's sind so gestrickt, das der Sandakämpfer nicht mit zu Boden geht (was sich natürlich nicht immer vermeiden lässt, aber dann heißt es halt so schnell wie möglich wieder hoch kommen oder wenn das nicht klappt, dann halt das Bodenkampfrepertoire intelligent und gezielt ;) einsetzen ...).

Das Zubodenbringen eines Gegners ist ein typisches strategisch-taktisches Mittel im Sanda um danach ein Fastfinish z.B. mit Soccerkicks oder mit den Fäusten aus dem Halbstand (ggf. mit Gegnerfixierung mittels Knie, Schienbein ...) hinzulegen. Geht ein Sandakämpfer aber bei einem Tackling bewußt mit in den Bodenkampf, dann wird er auch in der entscheidend güntigeren Position landen (dies sollte zumindest seine Intention bei einem solchen Tackling sein :rolleyes: ), die ihm ein Fastfinish erlaubt. (Und 15 Sekunden können gegen ein richtiges Bodenfrettchen wirklich verdammt lang sein!:D )

So, ich hoffe, dass hiermit ausreichend die Unterschiede zu anderen MMA-/ Freefight-Wettkampfformaten regeltechnisch, als auch von der allgemeinen strategisch-taktischen Zielsetzung her erklärt sind.


So wie ich es verstanden habe, hat das, was jetzt von Dir und einigen anderen (sehr) Engagierten aus der Taufe gehoben wird, ziemlich wenig mit chinesischem Kung Fu zu tun.

Ich will Dir zu diesem Punkt meine ganz persönliche Meinung wiedergeben, die absolut nicht zwangsläufig die Meinung der Verbandsmitglieder oder Kooperationspartner und Freunde der WSOD widerspiegeln muß:

Wenn Du mit "chinesischem Kung Fu", Kung Fu auf die traditionellen Kung Fu "Theoretikerformenlaufstile" und deren mehr oder minder in Bezug auf Real-Fight unrealistisch trainierende Vertreter abhebst, dann würde ich Dir wahrscheinlich sogar zustimmen.

Aber Kung Fu und seine menschlichen Vertreter sind technisch und kämpferisch ganz sicher nicht auf z.B. Formentraining, kooperatives Armejagen in statischen Positionen oder besondere Lahmarschigkeit in der Ausführung beschränkt. Und Kung Fu kann nichts dafür, dass viele Kollegen ihr Kung Fu so laschig betreiben und trainieren, wobei dann sogar einer Oma im Altersheim ganz langweilig würde!

Schau Dir doch mal gerade den aktuellen Thread über das chinesische Ringen an - ist doch wohl höchst interessant oder? Und ich habe mir selbst in China so einige "heiße" Typen aus den traditionellen Kung Fu angeschaut, sehr beeindruckend kann ich da nur sagen und gerade ein paar Taiji Jungs :ups: haben mich dabei schwer beeindruckt.

Und die chinesischen Freunde und Meister mit denen ich arbeite, vertreten - wie ich selbst auch - und das aus tiefster Überzeugung die Auffassung, dass Kung Fu sich weiterentwickeln wird und das neue Kung Fu Stile / Richtungen immer wieder entstehen werden (und so wird es wohl auch in der Vergangenheit immer gewesen sein, was auch gut so ist im Wettstreit der Systeme und im Sinne der Auslese). Gutes Kung Fu kann überall auf der Welt entstehen und ist sicherlich kein ausschließlich chinesisches Monopol, auch wenn in China die Wurzeln des Kung Fu an sich liegen. Im Kung Fu kommen nach meiner Überzeugung vielmehr eine bestimmte Arbeitsweise und wohlbedachte Formen der Zielsetzung und Zielerreichung zum Ausdruck, wobei ein großer Focus sicherlich in der Arbeitsweise liegt.

Und vor diesem Hintergrund fügt sich das Sanda IMHO in das chinesische Kung Fu ein, ohne das es einen Kung Fu Stil an sich darstellt, aber eine reglementierte Vergleichsplattform für den sportlichen Duellkampf, abgestimmt auf strategisch-taktische Überlegungen allgemeiner und spezieller Natur zum Kung Fu.


Ihr sagt selbst, dass es lediglich eine "Plattform" sein soll, das heißt ähnlich wie früher Kickboxen - und heute: MMA(!).
...

Die drei Sandawettkampfdisziplinen sollen eine Plattform bieten, die den Kung Fu Ausübenden Möglichkeiten bieten, ihre Skills unter möglichst angemessenen und realitätsnahen Bedingungen in verschiedenen Intensitätsstufen zu erproben. (Einhergehende elementare Komponenten und Betrachtungen des Arbeitens und Trainierens im Bereichen des Hochleistungssportes sollen an dieser Stelle mal nicht weiter erörtert werden.) Und damit man sich nicht selber über die Qualität der eigenen Kampfkraft bescheißen kann, sind unsere Sandawettkämpfe eben disziplin- und verbandsoffen. D.h. es kann als Gegner (und so war es auch auf unserer Westdeutschen Meisterschaft 2006) auch mal ein Boxer, Thaiboxer, Freefighter, Sambo-Fighter etc. auftauchen. Und dieser MMA-Wettkampfgedanke trägt einfach dazu bei, dass die Kung Fu Szene sich nicht länger abschotten wird, um ihre Titelträger im eigenen kleinen Elfenbeintürmchen in mehr oder weniger elitär anmutender Art und Weise untereinander auszukämpfen.

Sanda ist also aufgrund der Stiloffenheit ganz klar eine MMA-Wettkampfdisziplin, hat aber trotzdem aufgrund der Regelwerke und vor dem Hintergrund des Kung Fu in vielerlei Hinsicht eine ganz klare eigene Linie.


Nix Chinesisches im Paket bzw. ein Thai Boxer mit BJJ Erfahrung hat die besten Chance. (Fast) Kein Kung Fu'ler könnte realistisch mithalten.

Ich sehe diesen Part anders als Du, will das aber hier nicht weiter kommentieren und diskutieren, da dies hier momentan nicht wirklich sinnvoll und in angemessener Differenzierung möglich ist. Außerdem scheint es mir für den Kern des Threads nicht gerade wichtig zu sein ...:p


Warum nennt ihr das ganze Projekt um Himmels Willen "Sanda" ?

Zum einen ist dies in Absprache mit unseren chinesischen Partnern aus dem Sandawettkampfbereich und mit unseren dortigen Vertragspartnern aus dem Sandawang Proficircus verabredet worden.

Zum anderen sind die Regelwerke in dieser Form nach unserer Überzeugung eine sehr gelungene Umsetzung der Wettkampfregularien, die sowohl den alten Duellkämpfen auf der Plattform (und der damit zusammenhängenden strategisch-taktischen Ausrichtung von Duellkämpfen, bei denen zumindest eine Partei aus dem Kung Fu kommt), wie auch den Anforderungen an einen modernen Wettkampfsport gerecht werden.:)

christoph
24-06-2006, 07:59
Aber Kung Fu und seine menschlichen Vertreter sind technisch und kämpferisch ganz sicher nicht auf z.B. Formentraining, kooperatives Armejagen in statischen Positionen oder besondere Lahmarschigkeit in der Ausführung beschränkt. Und Kung Fu kann nichts dafür, dass viele Kollegen ihr Kung Fu so laschig betreiben und trainieren, wobei dann sogar einer Oma im Altersheim ganz langweilig würde!



Hahaha. Lachschlapp!! :rotfltota

Nee aber danke für die Ausführungen. Klingt sehr überlegt und sinnvoll. Wünsche Euch viel Erfolg!